Hardcover Achilles - Alex Gfeller - E-Book

Hardcover Achilles E-Book

Alex Gfeller

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Beschreibung

Erzählungen aus Feld und Wald. Hemmungslos und unvernünftig.

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Seitenzahl: 442

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Inhaltsverzeichnis

Achill

Am See

Arboga

Auf dem Hausberg

Authentizität

Clonmel

Das Institut für forensische Euthanasie IFFE

Das Leben als Kopie

Demokratie

Der Innere Feind

Am Kiosk

Der Offizier und sein Besenstiel

Die Kultur der Denunziation

Die Nachrichtensendung

Die unfreundliche Stadt

Der Pfau

2

im Salon

Ein kniffliger Mechanismus

Fest im Griff

Götterknatsch

Abgebrochene Vorbereitungen

Hexenkomplott

In der Einöde

Kolding

Kreta

Krimskrams

Kronos

Lauter unlautere Absichten

Libourne

Macerata: 1. Teil

Macerata: 2. Teil

Männerängste

Morgenland

Nachrichten aus Olympia

Opportunismus

Parkhauskriminalität

Pech gehabt!

Priapos

Quimper

Reminiszenz

Traum 19

Traum 13

Traum 31

Traum 8

So genannte Künstler

Wałcz

Wenn Nusstorten knallen I Oder: Erased Drawing I von RobertRauschenberg

Wenn Nusstorten knallen II Oder: Erased Drawings II von Robert Rauschenberg

Yeovil

Achill

Nemesis erinnert sich immer wieder mit Schaudern an den fürchterlichen Kampf zwischen Penthesilea und Achill, der sie besiegt und getötet und leider zu spät erkannt hat, wie schön sie gewesen ist. Zu Pferde wäre sie unbesiegbar geblieben, schnell wie der Wind und absolut treffsicher mit dem Bogen, aber Achill hat sie geschickt vom Pferd geworfen. Als sie bereits tot hingesunken, getroffen von seinem Spieß, hat er sich, immer noch heftig keuchend, recht verwundert und durchaus interessiert über sie gebeugt, und prompt hat er sich hoffnungslos in ihre Leiche verliebt, was auf Außenstehende in der Tat ein bisschen makaber wirken mag. Genau das hat ihm anschließend das Gespött der Griechen eingebracht.

Man vergisst dabei leicht, dass sich zwei Kämpfer im Zweikampfe näher kommen, als andere Leute es unter normalen, also friedlichen Bedingungen jemals versuchen möchten, und dass sich Krieger im Zweikampf unvorstellbar schneller kennenlernen, als andere es jemals in einem ganzen Leben schaffen würden – selbst Liebende nicht, vermute ich jetzt mal, denn Liebende glauben sich nur zu kennen, wenigstens für eine Wiele, was sich aber in den meisten Fällen bald einmal als billige Farce oder als üble Täuschung herausstellt. Kämpfer aber müssen sich zwingend kennen, sonst verlieren sie den Zweikampf schon im Voraus.

Achilles also hat sich tatsächlich als Erstes gefragt, ob er sie womöglich fickend wieder zum Leben erwecken könnte, um sie dann als Lebende umso ordentlicher weiterficken zu können, ein sehr animalischer Reflexgedanke angesichts eines allzu frühen und sehr bedauerlichen Todes, ein plumper Wiederbelebungsversuch, den man übrigens als Spontanhandlung bei allen männlichen, dominanten Herdentieren tatsächlich beobachten kann, also bei Anführern einer Herde, die zuweilen ein totes weibliches Tier post mortem zu besteigen versuchen, nur um es wieder auf die Beine zu kriegen, weil wahrscheinlich gerade in diesem Falle der natürliche Fluchtreflex bei allen Weibchen sehr virulent wäre.

Derartiges überlegt Achill also, während sich die Zuschauer über ihn, den unglücklichen Sieger und jetzt gleichzeitig auch noch unglücklichen Liebhaber, halb totlachen. Aber was sind schon Feinde? kann man sich angesichts dieser prekären Sachlage durchaus fragen, und man muss wieder einmal festhalten, dass Feinde – auch und besonders in kriegerischen Zeiten – ihren Gegnern und Feinden unter gewissen Umständen viel näher stehen können, als alle Vorgesetzten und Mitstreiter zusammen, das ist durchaus denkbar, denn manchmal sind die angeblichen Feinde ganz eindeutig die besseren Freunde, und zuweilen sind sie tatsächlich die einzigen Freunde überhaupt.

Oder anders gesagt: Manchmal sind nur Feinde die echten Freunde, und die so genannten Freunde sind folglich die wahren und eigentlichen Feinde, womit der Kreis geschlossen wäre. Das kann es tatsächlich geben, und zwar häufiger, als man denkt: Denken Sie nur an die gängigen Herrschaftsformen oder an das Feindliche in uns selbst und dieser ganze Psychokram. Dies hängt nämlich mit dem System der Unterdrückung überraschend eng zusammen; das sollten sich mal all die bekackten Vorgesetzten, die beschissenen Übergeordneten, die bescheuerten Vorangestellten und die verdammten Höhergestellten überhaupt erst mal gründlich überlegen.

Wutentbrannt hat Achill deshalb den erstbesten Griechen, der ihm in die Finger gekommen ist, Thersites, kurzerhand totgeschlagen, einen so genannten Freund also, nur nebenbei gesagt, aber einen verdammt unangenehmen Störenfried. Einen richtigen Vollidioten, denn nicht zufällig ist er der größte Spötter im griechischen Lager gewesen, der sich vor Lachen am Boden gewälzt hat, sich kaum noch erholen konnte, nach Luft gerungen und deshalb von seinem eigenen raschen Abgang gar nichts mehr mitbekommen hat. Pech gehabt, könnte man dazu sagen, aber immerhin: Thersites ist laut lachend gestorben; und das ist doch für einmal ein ganz anderer, ein ganz besonders exquisiter Tod, das muss man ihm zugestehen. Er hat sich totgelacht, das blöde Arschloch. Geschah ihm ganz recht.

Achill ist bekanntlich ständig scharf auf trojanische Frauen gewesen, klar, wie alle griechischen Krieger, das ist eindeutig und allseits bekannt. So was gehört nun mal zu einem verdammten Krieg, wo man immerzu und gleich als Erstes die Weiber des Feindes ficken will, auch wenn Penthesilea, obwohl auf Seiten Trojas kämpfend, genau genommen selber gar keine Trojanerin gewesen ist, sondern eine ungewohnt braunhaarige, fast blonde, blauäugige Asiatin aus den weiten Steppen Kasachstans, wie alle ihre flinken und streitbaren Mitstreiterinnen, die sie klug befehligt hat, die gefürchteten Amazonen, todesmutige Kriegerinnen, exzellente Bogenschützinnen, viel schneller und treffsicherer als alle Männer zusammen, präziser als selbst die trojanischen Bogenschützen, die ja bislang als die besten Bogenschützen der Welt gegolten hatten, geübte Reiterinnen, die schon als Kleinkinder den ganzen Tag auf den Pferden verbracht haben, somit auf Pferden aufgewachsen waren und dementsprechend krumme Sichelbeine gehabt haben, richtige Reiterinnenbeine halt, die bestimmt nicht fürs Gehen oder Laufen geschaffen waren. Aber allein deshalb war Penthesilea Achill am Boden hoffnungslos unterlegen.

Das hat indessen für einen Superbumser wie den rammeligen Sieger überhaupt kein Hindernis dargestellt, der unbesehen jede trojanische Schönheit gevögelt hat, welche die Beine überhaupt noch auseinander kriegen konnte, und auf prächtig strahlende, stolze Asiatinnen mit krummen Reiterinnenbeinen ist er sogar ganz besonders scharf gewesen, der göttliche Superstecher, wie man weiß. Das ganze asiatische Reiterinnenheer hätte er unbesehen drangenommen, und er hat ja auch als klarer, strahlender Siegertyp und ewiggeiler Supermacho, einem alten, nicht nur athenischen Kriegerbrauch folgend, ganz systematisch und unermüdlich all die schönen Trojanerinnen, derer er habhaft werden konnte, der Reihe nach flachgelegt, angefangen mit Chryseis und Briseis. Doch Kassandra hat er, wie wir wissen, nicht gekriegt, und bei Penthesilea ist er eindeutig zu spät dran gewesen und erst dann richtig scharf auf sie geworden, als sie schon mausetot im Staub gelegen hat.

Das muss ihn sehr geärgert und gleichzeitig auch sexuell enorm erregt haben, denn er hat sie ja kurz zuvor eigenhändig durch einen gezielten Speerwurf getötet, wohl ohne überhaupt erst richtig hinzusehen, also ohne zu wissen, was er da angerichtet hat, der Idiot, wie es ja in einem langen und langwierigen Abnützungskrieg wie dem Trojanischen so oft geschieht, wo sich die spärlichen Unterschiede zwischen den Gegnern, wie übrigens in jedem Krieg, der nicht enden will, langsam und unweigerlich annähern, angleichen und verwischen, denn Feinde pflegen sich immer mehr aneinander anzupassen, je länger so ein Scheißkrieg dauert, und am Schluss kann man sie überhaupt nicht mehr auseinanderhalten, all die blindwütigen Streithähne; am Schluss massakrieren sich lauter Gleichgesinnte, ja, Freunde gar, wie bereits erwähnt. Am Ende morden sich bekanntlich nur noch Brüder und allenfalls Schwestern; so bedauerlich eng liegen die Dinge in Wirklichkeit, ganz entgegen aller Kriegspropaganda, und zwar auf beiden Seiten, weil sich natürlich auch die Propaganda in ihrer ganzen offensichtlichen Verlogenheit stets angleichen und anpassen muss, so wie später die beschissene Geschichtsschreibung auch.

Kriegsgegner, von tapferen Helden bis zu Desperados, unterscheiden sich in der Regel, de facto und recht eigentlich durch nichts, denn sie stecken ja beide am selben Ort und zur selben Zeit im selben Krieg. Genau dies macht sie zu Gegnern, ein altes Gesetz des Krieges, und gegen Ende eines jeden Krieges töten sie wie zum Ausgleich nur noch ihresgleichen, oder sie töten sogar sich selber, wenn es denn ums Verrecken sein muss. Alles ist möglich.

Überhaupt hat der jähzornige Achill die wütenden Griechen durch seine bescheuerte Rechthaberei mindestens zweimal in allerfurchtbarste Bedrängnis gebracht, doch anderseits hat er als der Tapferste aller Tapferen auf dem Schlachtfeld zuweilen so viele Trojaner getötet, dass ihre Leichen den Fluss Skamandros haben verstopfen und überlaufen lassen. Eine wahrhaft extrem zwiespältige Sache, zudem sehr diskrepant und schreiend inkongruent, wie immer und überall in üblen Kriegszeiten, wo alles immer gleich radikal werden muss. Von Ausgewogenheit ist da schnell mal keine Spur mehr vorhanden, be-sonders am Ort des Geschehens, wo nur noch die unmenschlichsten Eigenschaften gesucht, gefördert und gefragt sind, und überraschend gleichzeitig auch die menschlichsten hervortreten, gleich einem überaus absurden Verwirrspiel und als ein völlig verrückter Ausgleich, denn immerhin ist Achill auch Hektors Besieger, und das will etwas heißen. Es gibt immer noch welche, die behaupten, dass Achill mit dem Sieg über Hektor eigentlich der wahre Sieger über Troja gewesen sei. Dreimal hat er ihn um die massiven Stadtmauern Trojas herum verfolgt, unter den Augen aller, unter den Augen sowohl der Verteidiger, als auch der Angreifer Trojas, bevor er ihn endlich erwischt und ein für allemal erledigt hat. Aber das ist längst Geschichte und von Hollywood verfilmt.

Daraufhin ist er aber doch nur, nachdem auch ihn der von Apollon gelenkte, tödliche Pfeil getroffen hat, König der Toten geworden, ist also lediglich zum königlichen Herrscher im Totenreich befördert worden, obschon er mehrmals verärgert und ziemlich enttäuscht erklärt hat, er wäre jetzt verdammt lieber nur ein einfacher, also ein ganz gewöhnlicher Ackerknecht und dafür lebendig, viel lieber als nur der beschissene, weil tote König des Hades. Doch das war nun mal die reichlich zweifelhafte Belohnung, die der große Krieger von den typisch knauserigen Göttern gekriegt hat, mehr nicht, und das, nachdem sich doch die gesamte Götterschar vom Olymp herab monatelang an seinen spektakulären Zweikämpfen aufgegeilt hatte: Ein unbedeutender, schlecht bezahlter Dreckjob tief im Hades unten war der Lohn. Das war alles, was dabei herausgeschaut hat, also richtig peinlich, aber gewohnt kleinlich, um es deutlich auszudrücken, wie zum Hohn und Spott und an olympischer Schäbigkeit nicht zu überbieten. Tote Krieger sind am Schluss immer die Beschissenen, und zwar rundweg die Vollbeschissenen, ausnahmslos alle Gefallenen, und seien sie im Kriege noch so tapfer gewesen; sie sitzen, anders als die Überlebenden, als die Kriegsversehrten oder als die hämischen Zivilisten gar, als mausetote Kriegsopfer richtig in der Scheiße.

Aber die Zivilisten, sofern sie überhaupt am Leben geblieben sind, müssen immerhin nachträglich auf Jahrzehnte hinaus dafür bezahlen; sie müssen blechen, müssen nachher, erst nach dem Krieg also, richtig bluten, denn tote Zivilisten zählen nicht mehr. Nie mehr. Die kann man von nun an getrost vergessen, ganz unabhängig davon, ob sie zu den toten Siegern oder zu den toten Verlierern gezählt werden. Man holt alles ausschließlich von den Überlebenden, nur von ihnen, nimmt den Übriggebliebenen alles ab – wem denn sonst?

Viele Überlebende eines Krieges beneiden deshalb nachträglich die Gefallenen. Das kennt man, das ist bekannt, das sollte man doch endlich wissen und kapiert haben, denn andere, die unter vielen wohlfeilen Sprüchen immer schön auf Distanz und in sicherer Deckung geblieben sind, also die Taktischeren, die sorgsam auf dem Trockenen, also in Sicherheit gewartet haben, die Feiglinge, die Gewitzteren also, die während der kriegerischen Ereignisse nahezu unsichtbar geblieben sind, also Klügere, die sich schlauerweise weder die Hände, noch die Schuhe schmutzig gemacht, noch das delikate Gewissen beschmutzt und auch nicht das labile Gemüt beschädigt haben, werden anschließend Verwaltungsräte, Minister, staatlich Bevollmächtigte, Direktoren oder Präsidenten von gemeinnützigen Stiftungen, werden Richter, Bürochefs oder Europaabgeordnete, Botschafter ihres Landes bei der UNO, Kardinäle, Staatssektretäre oder wenigstens Sachbearbeiter bei einer Bank oder bei einer Autoversicherung, oder aber zumindest Konsul in Monaco, Andorra, Luxemburg oder Liechtenstein. Sie werden bewunderte Friedensnobelpreisträger, werden stolze, großsprecherische und einflussreiche Fußballklubbesitzer, werden steinreiche Autoimporteure, Bankiers, Gärtnermeister, Zeitungsverleger oder auch nur Ehrenvorsitzende der Gewerkschaft Bau und Holz.

Kurz, wir sehen anbei: Auch göttliche Lebensläufe sind nicht immer einwandfrei und lupenrein, zugegeben, und olympische Karrieren sind mitunter auch nicht das Gelbe vom Ei. Fragen Sie Achilles! Das arme Schwein ärgert sich noch heute darüber!

Am See

Die beiden ausgelassenen Göttinnen befinden sich in einer schwimmbadähnlichen, ziemlich naturnah belassenen Badeanlage am unteren, stillen Ende eines großen, sehr finsteren Sees, dessen geschwungene, mit dunklen, bereits blattlosen Bäumen bestandenen Uferzonen sich im schweren, grauen Dunst allmählich verlieren. Der Himmel dräut sehr düster, und es sieht aus, als ob es gleich zu regnen oder gar zu schneien begänne, denn es ist immerhin bereits Ende November, schon bald Dezember. Ein finsteres Dunkelgrau herrscht bei sehr starker Bewölkung demzufolge auch tagsüber vor und spiegelt sich im tiefschwarzen Wasser. Schwere Wolken voller gewichtiger Trägheit stoßen an die lichtlosen Uferzonen, die im rückwärtigen Raum in der Düsternis verschwinden, und dunkle Gedanken weben allerorten eine Welt voller Schwermut und stiller Dramatik. In solch unheilvollen Kulissen bringen sich Könige um; in solch bedrohlichen Szenerien werden Prinzessinnen ermordet, Zigeuner vertrieben und Touristen geneppt.

Nemesis wundert sich indessen sehr, dass hier immer noch Leute baden. Es muss sich um einen ihr unbekannten Thermalsee handeln, der unterirdisch vulkanisch aufgewärmt wird, oder vielleicht um einen geheimnisvollen See mit warmen, unterirdischen Quellen; jedenfalls kann man in dieser gebirgigen Gegend um diese Jahreszeit in keinem anderen See mehr baden, das steht fest, denn einige höher gelegene Gewässer sind bereits zugefroren, und auf den nahen Gipfeln liegt der leuchtend frische Schnee des nächsten Winters.

In einem gemieteten Vergnügungsboot sitzt Nemesis zusammen mit einer heute überaus aufgeräumt wirkenden Aphrodite, der Göttin mit dem anerkanntermaßen schönsten Gesäß der ganzen griechischen Antike. Aphrodite fischt munter und vergnügt mit Rute und Angel und zieht zu ihrer eigenen Überraschung entzückt einen großen Fisch nach dem anderen heraus. Es ist, als ob diese ebenfalls dunkelgrauen, eleganten, großschuppigen Fische von der Länge eines Unterarms nur darauf gewartet hätten, endlich von jemandem gefangen zu werden, noch bevor die große Kälte kommen wird, noch bevor die ersten Schneeflocken auch hier unten fallen werden. Genau so sieht es aus, denn auch sie, die Fische also, wirken fröhlich und vergnügt, wie die beiden entzückten Göttinnen. Sie scheinen sogar zu lachen, wenn sie im kleinen Boot auf den hölzernen Planken lustig durcheinanderzappeln.

Die beiden Göttinnen sind also recht übermütig, und angesichts der vielen am Ufer Badenden springt Nemesis zum Spaß in all ihren luftigen Röcken im Stile des Fin de Siècle vom Boot, weil, wie sie spaßeshalber behauptet, das Wasser so einladend warm aussehe, dass man unbedingt darin baden müsse. Es ist in der Tat angenehm warm, viel wärmer als die Luft jedenfalls, stellt sie sofort befriedigt fest. Ägäische Göttinnen mögen nun mal warmes Wasser, auch wenn dieses Wasser hier nicht strahlend blau, glasklar und durchsichtig, sondern pechschwarz und unergründlich ist. Sie schwimmt eine Weile gegen das Ufer hin, wo die Leute in ihren bunten Badekleidern bis zu den Knien oder bis zu den Hüften im dunklen Wasser stehen und sie, die Schwimmende, die sich draußen im See befindet, gespannt zu beobachten scheinen.

Doch wie sich Nemesis im Wasser umständlich umdreht und sich schwimmend wieder zum Boot hinwendet, merkt sie verblüfft, dass das kleine, weiße Ruderboot mitsamt Aphroditen und all den gefangenen Fischen soeben rasch und geräuschlos versinkt. Sie versucht, ihrer Freundin etwas zuzurufen, doch sie weiß in ihrem Schrecken plötzlich nicht mehr, wie Aphrodite heißt. Zudem weiß sie auch nicht mehr, was sie ihr überhaupt zurufen sollte, weil sie gleichzeitig nicht mehr weiß, welche Sprache wohl die geeignete dafür wäre. Gleichzeitig hat sie ihren kurzen Text vergessen und kriegt keinen Ton mehr heraus. Sie hat eine richtig klassische Textblockade und fällt voller Verzweiflung in das schwarze Loch der dem Schicksal ergebenen Ausdruckslosigkeit. Erschwerend kommt hinzu, dass all ihre hinderlichen, nassen Gewänder sie jetzt unerbittlich nach unten ziehen, wenn sie sich nicht durch unablässiges Wassertreten, verbunden mit zaghaften Schwimmbewegungen, dagegen wehren würde, und sie muss befürchten, bald ebenfalls in die dunklen Tiefen dieses äußerst merkwürdigen Gewässers zu versinken, falls sie sich nicht entschieden dagegen wehrt. Deshalb strampelt sie immer heftiger gegen die zusehends schwerer werdenden Kleider an, um sich auf diese Weise mühsam über Wasser halten zu können, um also nicht unterzugehen, auch und besonders nicht als unsterbliche griechische Göttin.

Wie gesagt, das Boot ist rasch und absolut lautlos in den dunklen Fluten verschwunden, und von Aphrodite ist zum Schrecken von Nemesis überhaupt nichts mehr zu sehen. Sie überlegt sich bereits, wie lange jemand unter Wasser eigentlich überleben kann, findet dann aber, dass Aphrodite als mächtige Göttin selber wissen müsse, wie sie sich aus dieser prekären Lage retten oder retten lassen könnte, zumal sicher jemand Göttliches auf sie aufpassen würde, wenn auch nicht Zeus, ihr strenger, doch recht unzuverlässiger Vater, so doch Dione, ihre Mutter, oder gar ihr alter, liebenswürdiger Okeanos-Großvater, Uranos selber, der sich schon immer intensiv um die Schaumgeborene gekümmert hat, damals bekanntlich einfallsreich mittels seines auf der Wasseroberfläche schwimmenden, großväterlichen Ejakulat-Schaumes.

Zunächst hat ja der selbstsüchtige Vaterverstümmler Kronos mit einer scharfen Sichel mit einem einzigen, entschlossenen Schnitt die integralen Genitalien von Uranos, seinem eigenen, leiblichen Vater, dem Titanen – zack! – abgetrennt, und danach hat sich um das achtlos in die tiefblaue Ägäis geworfene, ein einziges Mal noch an der Wasseroberfläche auftauchende, hoch erigiert zuckende und ein allerletztes Mal orgiastisch-spastisch ejakulierende, blutige Gemächt ein dichter, schneeweißer Teppich von federleichtem, göttlichem Ejakulat gebildet. Dieses schwimmende Männer-Eiweiß wiederum, bestehend aus Akrosom Hyaloronidase, Akrosin, Spermatogonien, Spemin, Spermatozyten, Fruktose, Phosphorylcholin, Egothionin, Ascorbinsäure, Zink, Prostaglandine, Carnitin, saurer Phosphatase, Glutaminsäure, Fibrinolysin, diversen Proteinen und Glycerylphosphorylcholin, eine Mischung, die viele Frauen auf Geheiß ihrer Begatter, Besteiger und Befruchter sogar schlucken müssen, hat die neugeborene Aphrodite aus den Fluten zu heben und so lange über der Wasseroberfläche zu tragen vermocht, bis sie im Rekordtempo zur ausgewachsenen Göttin hat heranreifen können, zur Göttin der Liebe, zur Göttin der wahren, der richtigen, also der einzigen Liebe und nicht etwa nur zur Göttin der heute üblichen, sehr vergänglichen, postromantischen Soap-Operaoder Telenovela-Liebe für verträumte Singles, Sperma schluckende Teenager und homosexuelle Entertainer, für hoffnungslos debile und imbezile Fernsehzuschauermassen, für unglückliche Hausfrauen, für nüchtern kalkulierende Schauspielerinnen und bankrotte Coiffeusen auf Koks, die eigentlich Schlagersängerinnen werden wollen, doch bestenfalls in der Pornobranche landen, für kicherige Teenietussen mit Pickeln und Babyspeck und für ständig masturbierende Kindsköpfe aus der deutlich retardierten Kifferszene.

So aber ist Aphrodite, die später anerkanntermaßen schönste Göttin überhaupt, also die Göttin mit dem prächtigsten Gesäß des ganzen Olymp, gegen jedes spießige, säuerliche Nasenrümpfen und moralinöse Zeigefinger-Hochstrecken ein erstes Mal postnatal gerettet worden und somit der griechischen Mythologie, der griechischen Götterwelt und der menschlichen Kultur überhaupt erst erhalten geblieben. Es wäre jammerschade gewesen, wenn es im antiken Griechenland keine Göttin der Liebe gegeben hätte, non e vero? Denn wenn wir schon von der Liebe sprechen: Etwas Wichtiges würde einer ganzen, wegweisenden Kultur, einer eindeutigen Leitkultur wie der griechischen doch sehr gefehlt haben, und folglich auch dem anschließenden Christentum, welches daraufhin die Liebe gewissermaßen ideologisch annektiert und prompt monopolisiert, also ausschließlich für sich selber in Anspruch genommen und gleichzeitig in einer haarsträubenden klerikal-ideologischen Volte als schrecklichste aller Sünden direkt in die Hölle verbannt hat, ein geradezu unglaublicher, jedenfalls unvorhersehbarer und heute noch völlig unverständlicher, doch überaus vitaler ikonoklastischer Salto mortale, den man zunächst als einen unvorstellbaren, ja, unmöglichen und unstatthaften Prozess angesehen haben musste, sich dann aber angesichts der inquisitorischen Gewalt, also auf Grund der hartnäckigen und endlosen Verfolgungen und raffinierten Foltermethoden mit gleich anschließender unausweichlicher Todesfolge mangels Gottesbeweis schnell eines Besseren belehren lassen durfte, ein geradezu ungeheurer Prozess mit einer bemerkenswert querköpfigen Ausschließlichkeit, als ob andere, also nicht klerikalkonforme, nicht klerusgläubige Menschen, überhaupt gar nicht erst zu einer exklusiven Liebe befähigt, noch berechtigt wären, zu welcher Liebe auch immer. Wohl gemerkt, wir sprechen hier von einer schlichten Liebe, die im klerikalen Selbstverständnis gleichzeitig als die sündhafteste Sündhaftigkeit gar nicht erst existieren dürfte, und was alles der theologischen Kapriolen noch sind: Da sind sie erfinderisch gewesen, die klerikalen Gauner und Halunken!

Nun ja, die Liebe wäre somit, in der Hand einer solch rigorosen Religion, gewiss nicht das geblieben, was sie heute immer noch ist: Ein weit über alle kulturellen und sozialen Vorgaben hinausgehender Maßstab, und zwar weltweit, dazu ein nach wie vor unvorhersehbarer und unberechenbarer Vorgang in einer unteilbaren Freiheit, der sich nicht und nirgendwo ein- und unterordnen lässt, ein ganz offensichtlicher Akt des generellen und globalen Ungehorsams gegen nahezu sämtliche Gesetze, Reglemente, Verordnungen und Verbote und als solcher nach wie vor unvergleichlich und gleichzeitig unersetzlich – wenn wir mal ganz hoch greifen wollen.

Kronos hat damals mit seiner blutigen Tat zwar die Herrschaft über die Welt gewonnen, einverstanden, und zwar als Herr über die Zeit, und er hat anschließend auch noch einzig aus reinem Misstrauen heraus bedenkenlos alle seine Kinder, die ihm seine Schwester Rheia geschenkt hatte, lebend verschlungen, bis auf den kleinen Zeus, den schnuckeligen Zeusi, den Rheia bekanntlich in einer abgelegenen Höhle in Kreta vor dem gnadenlosen Zugriff seines Erzeugers hat verstecken können. Doch es soll jetzt nicht näher auf diese von allen kultivierten und deshalb ganz zu Recht äußerst entsetzten Griechen als völlig ungriechisch, weil von ebendiesen anständigen und allein deshalb zutiefst schockierten Hellenen ursprünglich als rein asiatisch-persisch oder als rein ägyptisch-afrikanisch bezeichnete Episode eingegangen werden, aber an dieser Stelle nur noch eines und nur der Vollständigkeit halber: Der spätere Göttervater Zeus hat seine Geschwister folgerichtig gerächt, wie es einem anständigen, aufrechten Griechen geziemt, und hat Kronos – immerhin seinen eigenen Vater und Erzeuger – unerbittlich gezwungen, all seine gefressen Kinder auf der Stelle wieder auszukotzen, und zwar lebend und völlig unversehrt, Hestia, Demeter, Hera, Hades und Poseidon, zum Glück, möchte man dazu nur sagen. Mehr nicht.

Doch dies alles, also dieses völlig unästhetische göttliche Geschehen gleich zu Beginn der göttlichen Zeitrechnung wiederum, hat sich nur deshalb zutragen können und zutragen müssen, weil ein dämliches Orakel Kronos geweissagt hat, dass ihn dereinst einer seiner Söhne entmachten werde, was, wie kurz erwähnt, durch die unerbittliche Rache von Zeus an seinem eigenen Vater denn auch prompt geschehen ist: Er ist nicht nur entmachtet worden, er hat dabei auch noch gleich sein Gemächt verloren. (Man kann ruhig davon ausgehen, dass ein enger etymologischer Zusammenhang zwischen Macht und Gemächt besteht.) Zeus ist somit selber zum allmächtigen Herrscher der Welt aufgestiegen, wie wir alle wissen, und der Gottvater hat die Zeit besiegt, wenigstens für eine gewisse Zeit, für die Zeit der griechischen Antike also, für die Zeit der mykenischen Kultur und der Blüte Griechenlands. Immerhin! Respekt, Alter!

Heute aber herrscht auf dem Olymp die blanke Anarchie, also Anarchos, die typisch griechische Herrschaftslosigkeit, wenn man überhaupt so sagen darf. Doch wir können getrost aufatmen. Kein Patriarchat mehr, und auch kein Matriarchat mehr, auch wenn dies Artemis, die stets nach Rache dürstende Götterüberobermuttergottes, gar nicht gerne hört. Und in der griechischen Polis herrschen weder Könige, noch Tyrannen, auch kein dominantes Patriziat, sondern pure Demokratie, die wohl lauterste und eindrücklichste griechische Erfindung, meine Damen und Herren, ein griechisches Geschenk an die ganze Welt von unbezahlbarem Wert, dessen Geburt wahrlich einen klaren hellenischen Geist benötigt hat.

Nun, um auf Aphrodite mit dem prächtigen Hintern zurückzukommen: Aus diesem schwimmenden Ejakulatschaum heraus ist sie schließlich erwachsen geworden, die große Fruchtbarkeitsgöttin, die sowohl in allen männlichen Tieren, als auch in vorwiegend männlichen Menschen das weltweit wohl bekannteste, heftigste und unwiderstehlichste männliche Verlangen wecken kann, nämlich die nahezu unbezähmbare Begierde, sich mit einem Weibchen zu paaren, wenn irgend möglich, also zu kopulieren, koste es, was es wolle und wo immer die Möglichkeit, um nicht zu sagen, die Gelegenheit besteht, und zwar sowohl Tiere mit Tieren, als auch Menschen mit Menschen gleichen oder unterschiedlichen Geschlechts, was durchaus die Regel darstellt, aber auch schon mal Tiere mit Menschen und Menschen mit Tieren, oder aber auch unter gleichgeschlechtlichen Tieren, was in den Augen vieler eher zu den abseitigen und deshalb diskret verschwiegenen Pikanterien der Erotik gehören mag, aber ganz unbestritten auch dazu gehört, zum ganzen Sexus nämlich, unverbrüchlich. Deshalb die Verteufelung, trotz aller Verherrlichung. Das Tierische am Ganzen lässt sich nicht abstreiten; man denke nur an die grotesken Bewegungsabläufe, aber auch an Minotauros, an Pegasos und an all die anderen prächtigen und eindrücklichen Mischformen, die solch lüsterne Praktiken jemals hervorgebracht und auf dem Olymp zweifellos auch ihre Existenzberechtigung gehabt haben, allesamt Produkte dieser vielleicht etwas ungewöhnlichen Folies à deux in wohl mehrheitlich einsamen Stunden an vorzugsweise verschwiegenen Orten der klassischen Geografie. Pasiphae und der kretische Stier, Medusa und Chrysaor, ach Gott, das kann jedem mal passieren, denn das liegt in der Natur der Sache. Der Mann fickt, was er nun mal zur Verfügung hat, Frauen, Nutten, Ziegen, Kamele, Männer, Buben, Mädchen, aufblasbare, lebensgroße Puppen mit schrecklichem Antlitz und sogar kleine Schaumgummimuschis, wenn er denn schon wieder mal dieses unwiderstehliche Bedürfnis verspürt und solange das Testosteron überhaupt noch brodelt, n’est-ce pas?

Einige sind froh, wenn es dies überhaupt noch tut, und fühlen sich bestätigt, wenn es noch tut, andere fühlen sich davon ein ganzes Leben lang belästigt und verfolgt und sind ebenso froh, wenn es dies endlich nicht mehr tut, so dass sie endlich ihre Ruhe haben, behaupten sie.

Doch dieser vielbesungene und oft diskutierte Paarungstrieb, von den einen als Lust und Freude, von den andern eher als lästige Pflicht, von Dritten nur als richtige Qual und endlose Plage empfunden, von Vierten verteufelt und mit dem Bannstrahl der Verachtung bestraft und von Fünften sogar als inexistent deklariert und rundweg negiert, ist nun mal da, ist stets machtvoll präsent, ist allzeit abspritzbereit, wenn man so will, und leider nur allzu oft gleich auch noch zu überhaupt allem bereit, zu wirklich allem, dieser verdammte Trieb, und somit auch zu allen denkbaren und undenkbaren Schandtaten, wie wir aus den Boulevardmedien fast täglich vernehmen müssen, ohne es indes unbedingt jederzeit zugeben zu wollen. Wir alle kennen das Dilemma, jedenfalls für eine kurze Weile, sagen wir mal, grob geschätzt, für zehn oder höchstens zwanzig Jahre, allerhöchstens für dreißig Jahre, wenn’s wirklich hochkommt, also für die brünstigen Jahre eines vorwiegend männlichen Menschenlebens also. Tag und Nacht steht der Paarungstrieb auf Abruf bereit, für die Weibchen angeblich ein bisschen weniger lang, sagen wir mal für durchschnittlich zwanzig bis maximal fünfundzwanzig Jahre – wenn überhaupt. Dann aber ist für alle Feierabend. (Die Meinungen gehen stark auseinander und decken sich nur in den seltensten Fällen mit der Wirklichkeit. Denn vieles davon ist bekanntlich nur Aufschneiderei oder schnödes Blendwerk. Und auch reiner Selbstbetrug und pure Selbstverleugnung.) Alles andere, was diesbezüglich vorher stattfindet und was eventuell nachher auch noch kommen möchte, gehört unter die Begriffe „Jugendliche Körperertüchtigungen“ und „Entdecke deinen Körper und auch denjenigen deines besten Kumpels“, oder aber „Tabuloses Altersturnen“ oder „Gesunde Sportgymnastik für Senioren und solche, die es werden wollen“, wenn nicht gar „Lustvolles Handwerk im fortgeschrittenen Alter“, also klassische Handarbeit am altersschwachen Körper.

However, man kann diesen Trieb nicht einfach leugnen und schnöde vom Tisch wischen, das wäre dann doch etwas zu weltfremd, selbst bei denjenigen, die dies gewissermaßen aus beruflichen Gründen tun müssen oder die zumindest während ihrer Adoleszenz dazu angehalten worden sind, wie wir immer wieder zu hören bekommen, ganz besonders die Zölibatären, die bekanntlich allein auf Grund der pflichtbewussten Enthaltsamkeit Tag und Nacht an nichts anderes mehr denken können als ans Ficken, an dicke Schwänze und an feuchte Mösen zwischen zwei gestöhnten Hallelujas und Hosiannas. Die armen Schweine. Doch es gibt Hoffnung: Fast alle männlichen Geschlechtstrieb-Überreifen, ganz bestimmt aber rundweg alle männlichen Geschlechtstrieb-Überdrüssigen, sie alle wissen bestimmt irgendwann mal selber, was für ein ekliger Ärger das sich immer wieder ungefragt aufdrängende Fickbedürfnis für Sterbliche bedeuten und auch handfest bringen kann. Zu ihrer Erleichterung sei an dieser Stelle gesagt, dass besagter Drang zum Glück nicht endlos anhält; er nutzt und schleift sich unbestreitbar ab, er schwächt sich unaufhörlich ab, er feilt sich unaufhaltsam ab, der verfickte Geschlechtstrieb; er verschwindet zur Erleichtrung aller allmählich in der sensualistischen Gleichgültigkeit und im emotionalen Nichts, genauso wie die ganze Testosteronproduktion. Denn das gemeine Erdenmännchen, homo sapiens, entwickelt sich fast unausweichlich vom Zwölf-Uhr-Mann zum Zehn-Uhr-Mann, dann zum Acht-Uhr-Mann und schließlich zum Sechs-Uhr-Mann, daran kann man nichts ändern. Und dann hat er den Endpunkt geschafft, die finale Wende zum Guten und zum Glücklichen, zur Erleichterung und zur Erlösung, das heißt, beide Geschlechter haben endlich Ruhe, den Göttern sei’s gedankt.

Kehren wir kurz zu den griechischen Göttern zurück, kehren wir zu Aphroditen, der Herrin über die Östrogen- und Testosteronproduktion zurück: Das ist doch auch was? Das ist doch auch eine richtige Begabung? Ich meine damit die Fähigkeit von Aphrodite, diese sehr vitalen Lebensgeister oder aber diese sehr vitalen Plagegeister überhaupt erst zu wecken, je nachdem, wie man diese meist ziemlich delikaten Dinge überhaupt sehen will, sehen kann, sehen darf oder sehen muss, was für psychische oder auch physische Defekte man zudem aufzuweisen hat, die diese Geister machtvoll steuern oder zumindest so stark beeinflussen, und zwar sowohl in göttlichen, als auch in sterblichen Lebewesen. Das ist doch der volle Hammer, Leute? Ein richtiger Oberhammer ist das! Eine politische, klerikale oder militärische Diktatur ist ein Klacks gegen das tierische Diktat der Libido, Alter!

Nemesis schwimmt also atemlos, völlig außer sich und mit nahezu letzter Kraft zum Ufer und klammert sich, endlich dorten angekommen, schwer atmend an den Rand einer gemauerten, massiven Uferbefestigung mit eingelassenen, breiten Treppenstufen, ähnlich einer schlüpfrigen, algenbedeckten, mit großen Steinquadern gebauten Kaimauer. Sie bemerkt gleich neben sich eine sehr lebhafte, ja, lärmende Gruppe von unerträglichen Arschloch-Kindern, die völlig unbekümmert in Ufernähe herumschwimmen und herumplanschen, sieht sogar fassungslos eine zierliche, honighäutige Thailänderin in einem geblümten, gelben Bikini mit strahlendem Gesicht und blendend weißen Zähnen auf einem viel zu großen, gelben Surfbrett mit Hilfsmotor stehen, und gleichzeitig hat sie das untrügliche, aber unerklärliche Gefühl, unmittelbar unter und neben ihr schwämmen jetzt ziemlich unentschlossen genau diese großen, dunklen, lachenden Fische, die Aphrodite vorhin einen nach dem andern mit der Angel aus dem See gezogen und nicht sogleich getötet, sondern lebend auf den Bootsboden geworfen hat. Was haben diese verdammten Fische nur vor, fragt sie sich unsicher, sind sie eine Gefahr, braut sich da etwas zusammen, oder sind sie ganz einfach nur verwirrt, genau wie ich? Haben sie es vielleicht sogar gemeinsam geschafft, das verdammte Boot mitsamt der munteren Fischerin zum Sinken zu bringen? Wenn ja, wie hätten sie das hinkriegen sollen? Können sich Fische überhaupt absprechen? Was denken Fische, die soeben gefangen worden sind, eigentlich als Letztes? Wie fühlen sie sich an der frischen Luft? Was geht in ihren Köpfen vor, wenn sie hilflos an der Angel oder im Netz hängen? Wissen sie möglicherweise, was ihnen blüht? Haben sie eine Ahnung davon, wie sie, sauber filetiert, in der Pfanne und hernach lecker auf einem Teller mit Salzkartoffeln und Petersilie auf den Betrachter wirken? Wissen Fische überhaupt, dass sie nur mit der Gabel gegessen werden dürfen, in einem guten Kapernsud oder mit einer schlanken Béarnaise, doch niemals mit dem Messer, weil sich das nicht gehört, höchstens mit einem extra dafür vorgesehenen, stumpfen Fischmesser, meist zusammen mit leckeren, butterzarten, aber festkochenden Salzkartoffeln und etwas leichtem, luftigem, zartem Schnittsalat mit Olivenöl und Zitrone? Wissen sie, dass sie ernährungstechnisch sogar sehr gesund und durchaus bekömmlich sind? Oder schwimmen Fische in der Regel völlig ahnungslos durch ihr blödsinnig eintöniges, gleichförmiges Fischleben, ohne jemals die geringste Kenntnis ihrer mannigfachen Funktionen im biologischen System zu erlangen? Es ist durchaus denkbar, findet Nemesis nach einiger Überlegung, dass ihnen auf Grund ihrer doch ziemlich beschränkten intellektuellen Kapazität nicht einmal richtig klar ist, dass sie überhaupt Fische sind. Sie könnten tatsächlich ihr ganzes, blödes Fischleben als Fisch verbringen und dabei nicht einmal wissen, dass sie Fische sind, diese Blödiane! Sie könnten vielleicht sogar ernsthaft der Meinung sein, sie seien Kängurus! Oder Kaffeesiebe! Oder Tageszeitungen! Ja, es könnte sogar sein, dass sie als wahre Volldeppen nach jedem Flossenschlag immer gleich alles wieder vergessen! Sie schwimmen als richtige Dummköpfe pausenlos im Wasser herum, gucken blöd aus der Wäsche und sagen: „Oh! Sieh da! Ein Wurm! Lecker! Miam!“ Und drei Sekunden später haben sie das schon wieder vergessen, ob sie nun an der Angel hängen, oder nicht. Aber wahrscheinlich stellen sie sich bei allem, was ihnen unter Wasser jemals begegnen kann, also bei jedem Unbekannten Schwimm-Objekt (USO), das ihnen in die Quere kommt, bloß die folgenden drei kurzen, aber durchaus wesentlichen, also entscheidenden Fragen:

1. „Wird man von diesem USO gefressen?“

2. „Kann man dieses USO fressen?“

3. „Kann man dieses USO fischeln?“

Fische sprechen wahrscheinlich nicht vom Vögeln, wenn sie vom Geschlechtsverkehr reden, denn sie sind ja keine Vögel und können in den meisten Fällen gar nicht wissen, dass es Vögel gibt, die zudem auch noch vögeln. (Wem jetzt auch diese Begriffswendung zu krass ist, beweist damit lediglich, dass er weder Fisch noch Vogel ist, und genau daher kommt auch dieser bekannte Ausdruck. Jemand, der weder Fisch noch Vogel ist, ist auch sexuell völlig uninteressant, wenn Sie verstehen, was ich meine.) Es könnte durchaus sein, dass sie sich, nur als Beispiel, für Kanarienvögel halten. „Wir Kanarienvögel“, würden sie denn auch folgerichtig voller Stolz über sich sagen, wenn sie von sich reden, was sie übrigens unablässig tun, „wir Kanarienvögel sind doch ganz einfach einzigartig! Erstens sind wir gelb, und zweitens leben wir in einem Käfig.“ Und dies würden sie absurderweise allein deshalb behaupten, weil sie weder wissen könnten, was gelb bedeutet, noch wie Kanarienvögel aussehen, noch was ein Käfig ist, geschweige denn, wie ein Käfig aussieht, diese unwissenden Deppen.

Kurzum, sie behaupten, genau wie die Sterblichen auch, einfach mehr oder weniger irgendwas, meist einfach das, was ihnen gerade einfällt, oder das, was ihnen gerade in den Kram passt, das Naheliegende halt, oder das, was man ihnen seinerzeit eingebläut hat, und sie kümmern sich einen Dreck darum, ob das überhaupt stimmt oder nicht, und von Logik ist da natürlich auch keine Spur vorhanden. Genau so ist es nämlich auch mit den Sterblichen: Sie stolzieren und promenieren am Samstagnachmittag in den Fußgängerzonen umher, essen vergnügt Doppelrahmglace mit Schoko- und Mandelsplittern, wackeln mit dem Hintern und erklären völlig unangefochten, also überaus selbstzufrieden und selbstgerecht: „Wir Menschen sind einfach einzigartig. Ist es nicht so? Wir sind schon rein biologisch gesehen das Höchste überhaupt, was die Natur oder die Schöpfungsgeschichte jemals hervorgebracht und überhaupt zu bieten hat, das weiß jedes Kind. Wir sind also nicht nur die Krone der Schöpfung und als solche befugt, die Damen und Herren einer Welt zu sein, die wir uns selbstverständlich untertan gemacht haben wollen, versteht sich, wir profitieren auch von einer überragenden, ja, geradezu unvergleichlichen Intelligenz. Wir besitzen eine schicke, wenn auch gefälschte Rolex und einen mäßig eleganten Opel Vectra, telefonieren andauernd mit Nokia-Telefonen, tragen teure Armani-Jacken und Adidas- oder Nike-Turnschuhe, heißen Kevin, Sven oder Sascha, Sandra, Jasmin oder Cindy und sind nichts weniger als ein Ebenbild Gottes.“ Aber hallo! Wenn das nicht alles sagt! Auf jeden Fall lässt solcherlei tief blicken.

Vielleicht halten sich auch die Fische insgeheim für unsterblich, vielleicht glauben auch sie, sie seien das Ebenbild Gottes, geradewegs wie die blöden Menschen auch. Es könnte ja sein, dass sich Fische, zum Beispiel die Hechte, schon von Kindsbeinen an gegenseitig erklären: „Wir sind das Höchste, nämlich das Endprodukt der ganzen Evolution, weil wir im Wasser leben können, was andere nicht können, weil die armen Schweine auf zwei Beinen nicht einmal Kiemen haben, und wir Existenzgiganten schwimmen ein Leben lang elegant und völlig schwerelos in allen stehenden und fließenden Gewässern herum, auch und besonders wenn wir sehr fettleibig sind, und wir bewegen uns absolut unangestrengt mittels gelassener Unterwasserschwimmbewegungen, wofür wir extra gebaut und ideal geformt sind und was eindeutig die leichteste und eleganteste aller Fortbewegungsarten ist, viel leichter als gehen, hüpfen oder springen jedenfalls, viel leichter noch als fliegen und natürlich auch viel leichter als kriechen, schlängeln oder krabbeln, versteht sich. Dreidimensional, wenn ihr Idioten überhaupt verstehen könnt, was wir meinen. Und vom Klettern wollen wir gar nicht erst reden; das ist ja wohl die peinlichste Fortbewegungsweise überhaupt, abgesehen vom Robben, Bungee-Jumpen und Skifahren.“

Eine Fortsetzung dieser reifen Überlegung drängt sich nun unaufhaltsam auf: „Wir (die Fische) sind somit nicht nur gottgleich, wir sind auch die intelligentesten Lebewesen überhaupt, denn wir sind an der Spitze der Evolution, sind also das Spitzenprodukt der Natur, sind geradezu halbgöttliche Lebewesen, die einzig dafür geschaffen sind, den gastronomisch orientierten Göttern der ganzen Welt, die zudem auf gesunde Ernährungsweise achten, etwas Kurzweil in der Küche zu bescheren, etwas Leichtigkeit, etwas Schmackhaftigkeit und etwas Einfallsreichtum und bestenfalls mediterranes Flair. Denken wir nur an Japan, wo man uns in frischem Zustand sogar roh isst, als leckeres Sushi, und das mit ungebrochener Begeisterung, selbst dann noch, wenn alle Meere längst leergefischt sind! Dann gibt es einfach industrielles Sushi, aus alter Dachpappe gefertigt. Denn wenn es dereinst keine Fische mehr geben sollte, werden wir uns ganz einfach auf Algensushi konzentrieren, auf Muschelsushi, auf Quallensushi oder auf Kelpsushi. Und warum nicht auf synthetisches Sushi? Auf Polybutylenterephthalat-Sushi oder Acrylesterstyrolacrylnitril-Sushi?“ Das ist möglicherweise noch wahrscheinlicher.

Es könnte somit sein, dass die Fische ebenso blöd wie die Menschen sind, denn so sehen sie übrigens aus. Könnte sein, könnte durchaus sein, findet eine jetzt doch etwas nachdenklich gewordene Nemesis bei längerer Betrachtung der Dinge rund um das Fischgeschehen. So könnten die Fakten liegen, denn es ist tatsächlich möglich, dass sich auch die Fische als die Krone der Schöpfung betrachten, oder aber die Vögel selber, warum nicht, dass nämlich auch sie der festen und unverrückbaren Überzeugung sind, sie seien ein Ebenbild Gottes, vielleicht nur deshalb, weil sie fliegen können, logischerweise, die krächzenden Kacker, die piepsenden Vögler, dass also sie den ultimativen Schöpfungsakt der Vogelgötter, bzw. der Fischgötter darstellen, ausgestattet mit einer angeblich wahrhaftig alles überragenden Vogel-, bzw. Fischintelligenz.

Nemesis würde sich nicht wundern, wenn dem tatsächlich so wäre. Zumindest gewisse Inka-Götter würden diese Theorie durchaus billigen, und somit wären die Götter Fische. Oder Vögel, je nachdem. Oder Seekühe. Schildkröten. Giraffen. Krokodile (Ägypten!). Kakerlaken. Hunde oder Katzen. Kamele. Zecken. Kühe. Affen. Was auch immer. Wir wollen ja nicht allzu exklusiv werden.

„Wir Götter“, sagen zum Beispiel die Zecken stolz und zufrieden, wenn sie untereinander sind und ungestört von sich selber sprechen können. „Wir auserwählten Zeckengötter und Götterzecken sind nun mal unverwüstlich und unvergänglich, sind kurzum unsterblich.“ „Das stimmt ganz genau“, sinniert eine andere Zecke verzückt. „Wir sitzen geduldig auf den Blättern der Büsche, Sträucher, Bäume und Gräser und warten einfach, bis ein warmblütiges Arschloch vorbeikommt. Dann lassen wir uns fallen und beißen oder bohren zu, am liebsten in eine knackige Tante mit warmem Blut. Das allein beweist bereits eindrücklich, wie überlegen wir sind, denn wir brauchen keinen Wank zu machen, brauchen keinen kleinen Finger zu rühren.“

Oder sie sagen: „Gott sei Dank sind wir glücklichen Zecken Götter! Kaum auszudenken, was wäre, wenn die verdammten Buchfinken und Kohlmeisen, die uns ständig bedrohen, Götter wären, oder die Fische gar, die nach uns schnappen, wenn wir ins Wasser fallen!“ Dann schütteln sich die anderen Zecken vor Abscheu und murmeln verstört: „Sag sowas nicht!“ „Sowas sagt man nicht!“ „Sowas bringt Unglück!“ „Reden wir von was anderem!“ „Wechseln wir das Thema!“ „Reden wir doch vom Zeckeln. Das macht mehr Spaß.“ „Ja, du hast recht, zeckeln tun alle gerne.“

Alle Lebewesen und auch alle Gegenstände, so muss man logischerweise annehmen, führen solcherlei Dialoge, also Vögel, Fische, Badewannen, Zecken, Lampen, Kaffeesiebe, Gemüseraffeln, Nadelbäume und sogar brennende Giraffen. Somit fragt also ein Fisch, wie er neben all den andern Fischen in einer stillen Ecke ruhig und satt vor sich hinschwänzelt (Wenn er hungrig wäre, käme er niemals auf solche Gedanken, niemals, denn zuerst kommt das Fressen, und erst danach die Moral, auch bei den Fischen! Und gefischelt wird eh nur mit vollem Magen, das ist ja wohl klar.):

„Was wäre, wenn wir nicht göttergleich wären?“ Und dazu meint ein anderer, ein ganz verwunderter Fisch, vielleicht ein Kugelfisch, nach einer Weile nachdenklich: „Wie kommst du nur auf eine solch absurde Idee?“ Und wieder ein anderer, ein ganz kleiner Barsch mit Bürstenschnitt, meint barsch: „Uns gehört die Welt! Das ist allgemein bekannt und auch allseits anerkannt. Weil sie zum größten Teil aus Wasser besteht, diese Welt. Habe ich recht? Die Welt besteht nun mal vorwiegend aus Wasser. Das ist wissenschaftlich erwiesen und geografisch unwiderlegbar. Wir machen uns das Wasser untertan, aber sowas von untertan! Nur Idioten und Landratten behaupten stur etwas anderes. Sie sind eben unbelehrbar. Dies allein beweist bereits ihre intellektuelle Minderwertigkeit.“ „Egal wie, aber wir machen sie uns untertan“, nickt ein weiterer Fisch, ein etwas größerer, besonnener Stör, der gerade in der Nähe ist. „Das Wasser ist nun mal unser Element, und ohne Wasser gäbe es eh kein Leben, weder pflanzliches, noch tierisches, noch irgendwelches.“ „Wo kein Wasser ist, ist auch kein Leben“, fügt ein Schlammspringer beiläufig hinzu. Er muss es ja wissen. „Wasser bedeutet Leben“, nickt eine Scholle bedächtig, so gut halt eine platte Scholle mit ihrem schräggelegten Kopf überhaupt nicken kann. „Na also“, meint ein Gründling, also ein Fisch, der sich berufeshalber ausschließlich am Grunde aufhält und es sich somit gewohnt ist, den Dingen gründlich auf den Grund zu gehen, „ist doch echt tierisch, sowas! Und zudem gibt es außer Wasser nichts. Hat jemand von uns schon mal etwas anderes als Wasser angetroffen? Na, also! Wasser ist überall. Das weiß jeder Jungfisch noch vor dem ersten Fischeln. Von Luft kann sicher niemand leben, und auch von Erde nicht, wenn man mal von den stumpfsinnigen Pflanzen absieht. Und von Feuer wollen wir gar nicht erst reden. Das ist ja wohl das unglaubhafteste Element überhaupt!“ „Ja“, haucht ein schüchterner Weißfisch, der sich unabsichtlich in die Gesellschaft der richtigen Fische verirrt hat und der genau weiß, dass er überhaupt nichts wert ist, nicht einmal als Fischfutter. „Pflanzen sind das Letzte.“ (Auch die untersten Existenzen finden bekanntlich immer noch jemand, auf dem sie genüsslich herumtrampeln können, und seien es nur ausländische Zierfische oder eben unschuldige Pflanzen.)

Ein prächtiger Zahnder nickt bedächtig: „Selbst vom Himmel stürzt das Wasser! Und das will doch etwas heißen?“ „Himmelswasser! Genau! Das ist eindeutig ein Zeichen der Götter!“ schreit ein Papageienfisch aufgeregt. „Ja, genau! Wenn das kein eindeutiger Gottesbeweis ist, dann weiß ich nicht mehr, was ein Gottesbeweis ist, meine Herren!“ kreischt eine fette Makrele hysterisch und wartet atemlos auf eine Reaktion der anderen Fische um sie herum.

Eine besonders schöne Bachforelle, der Liebling aller, nimmt den Faden vorsichtig wieder auf: „Wir sind allmächtig, wir Götter, o ja! Allmächtig! Das ist bekannt.“ Dazu zeigt sie stolz ihre ganze Farbenpracht. Ein Neun-Auge tut es ihr gleich und fügt verlegen, aber selbstverliebt hinzu: „Nur Götter können so schön sein wie wir.“ Alle Fische nicken wissend. Was gesagt werden muss, muss einfach mal gesagt werden.

Eine weitere Forelle haut in dieselbe Kerbe: „Wir sind das Ebenbild Gottes. Darauf kannst du wetten! Das steht sogar irgendwo.“ Dazu ein langer Aal: „Wir Aale sind das exakte Ebenbild des Großen Aalgottes, stimmt absolut. Ebenbild des aalischen Göttervateraals, nicht wahr, Genossen, kurzum, ein Abbild des Großen Aals. Ich selber glaube nur an den Großen Aal, und mein Glaube ist unerschütterlich.“ Und alle Lachse bestätigen im Chor: „Der Große Lachsgott!“ Oder die Heilbutte brüllen mit geschwollenen Halsadern: „Heil Butt!“ Und dazu heben sie die rechte Flosse zum Buttgruß. Sie gehören zu denjenigen, die wirklich nichts kapiert haben, auch nach zwei Weltkriegen nicht. Aber solche gibt’s auch. Darum sterben sie langsam aus, die Trottel, aus lauter Uneinsichtigkeit. Selber schuld, die Arschlöcher.

Je nachdem, welcher spezifischen Glaubensrichtung die Fische anhängen, lobpreisen sie jetzt alle ihren fischspezifischen Gott, versteht sich. Das müssen sie tun; dazu sind sie bekenntnisbezogen verpflichtet und auch berechtigt. Doch einzig die Forellen sind der festen Überzeugung, dass der Große Forellengott eigentlich der einzig richtige Gott ist, also der Gott aller Fische, auch der Nichtforellen, aber sie halten sich weise und absichtlich zurück, nobel, vornehm, diskret und tolerant, wie Forellen nun mal als typische Edelfische sind, auch um den religiösen Wasserfrieden nicht zu stören. Denn allein die verstörende Vorstellung von einem Gründlingsgott, zum Beispiel, widerstrebt ihnen fundamental, wie auch die Vorstellung von einem Elritzengott, nicht zu reden von einem Heringsgott oder gar von einem Sardinengott, ich bitte Sie! Wie schrecklich! Allein die Vorstellung eines Seeteufelgottes, zum Beispiel, lässt sie alle augenblicklich frösteln. Seit wann ist ein Seeteufel ein Gott? Wen fröstelt hierbei nicht, außer den Seeteufeln selber? Seeteufel sind für die fischklerikale Weltordnung unrettbar verloren, und trotzdem sind sie dabei. Ein theologisches Rätsel, wie die das immer wieder sauber hinkriegen. Ein theognostisches Theologumenon.

Auch Fische machen natürlich feinsinnige Unterscheidungen. Ein, sagen wir mal, fetter Karpfen, zum Beispiel, würde niemals zum Hechtgott beten, das ist ja wohl klar, das versteht sich von selbst, das widerspricht sich, das widerspricht sich ja komplett. Er wäre schön blöd, und zudem wäre so etwas Absurdes irgendwie pervers und moralisch richtig verkommen. Nicht wahr? Das wäre gegen die Natur, gegen die natürliche Weltordnung, ganz eindeutig, zumal gegen die natürliche Bestimmung, also widernatürlich. Eine Todsünde, ganz augenfällig und absolut unwidersprochen, wenn nicht gar nackte Blasphemie, wenn Sie mich fragen!

Und ein großer Hecht (Hechte sind bekannt für ihre geistige Langsamkeit und für ihre intellektuelle Beschränktheit, darum steht ihnen immer eine mentale Verspätung zu, außer beim Jagen und Fressen, versteht sich, da sind sie schneller als alle andern. Aber dabei müssen sie zum Glück nicht denken, sonst wären sie nämlich längst verhungert und glatt ausgestorben.) fügt strahlend hinzu: „Wir Hechte putzen uns jeden Morgen die Zähne mit Colgate! Allein das zeigt uns, wie überlegen wir sind! Wir sind schöpfungs- und entwicklungsgemäß ganz eindeutig die piscische Evolutionsspitze, das ist wissenschaftlich erwiesen und bleibt unwidersprochen!“

Und darauf schnappt er sich blitzschnell den leckeren, fetten Karpfen vor seiner Nase, einen richtigen Deppen, der nie eine Ahnung von Tuten und Blasen gehabt hat und sowieso die Dämlichkeit selber und rein existenziell eigentlich komplett überflüssig ist, auch artentechnisch, sowohl als Karpfen, als auch als Fisch überhaupt, weil er als Karpfen absolut keinem gängigen Götterbild unter Fischen entspricht, um ehrlich zu sein. Ein Karpfengott? Ich bitte Sie! So dämlich kann doch ein Gott gar nicht sein? Da müssen ja Sprotten spotten!

Ja, so sind sie, die fiesen Fische. All die Kacke behaupten sie nämlich auch dann noch steif und stur, wenn sie schon längst hilflos an der Angel oder im Netz hängen, weil sie es einfach nie kapieren werden, die Deppen, denn ihr Glaube ist ein fester Glaube, verstehen Sie? Ein feste Burg ist unser Butt. Kurz, der Glaube an den richtigen Butt wird’s schon richten, sagen sie sich. Ausgerechnet sie! Gerade an der Angel! Gerade im Netz! Und zur Rechtfertigung erklären sie unerschrocken: Dann müsse er sich jeweils erstmals so richtig bewähren und beweisen, der rechte Fischglaube an den richtigen Fischbutt! Bestätigen und bekräftigen! Solcherlei behaupten sie stur, und dazu singen sie gemeinsam und innig tröstliche Lieder aus dem Fischgesangbuch. Spätestens dann müsse sich der Fischbutt zum ersten Mal so richtig durchsetzen! Doch leider dauert das alles viel zu lange, denn sobald sie ausgesungen haben, ist es endgültig zu spät für die Erleuchtung. Aber wenn der Kabeljau endlich im heißen Öl der Bratpfanne angekommen ist, sagen wir mal als paniertes Fischstäbchen, glauben die Fische womöglich plötzlich auch noch ans Fegefeuer, es ist wirklich nicht zu fassen. In Wirklichkeit wissen sie in ihrer ganzen Dämlichkeit nicht einmal, was eine Angel ist und was ein Netz, die unbelehrbaren Idioten, und sie werden es nie wissen, denn sie kapieren nichts, gar nichts, rein gar nichts, niemals. Sie sind und bleiben blöde Fische, und sonst nichts. Das ist es ja! Keine Spur von Gottheiten, ich bitte Sie! Das ist lächerlich! Wie kann man nur so etwas Absurdes behaupten!

Darin sind sie den Menschen wiederum ähnlich. Sie wissen nicht einmal, was eine Pfanne ist oder was eine Sauce Béarnaise, geschweige denn, was ein Fegefeuer oder ein Fisch-messer sein soll. Welcher Fisch kann schon wissen, wie z.B. panierte Fischstäbchen aussehen, wie gut sie riechen beim Backen in der Küche und geschweige denn, wie sie mit Mayonnaise aus der Tube und ein paar Trotzen Zitronensaft schmecken, an Kindergeburtstagen oder an besonderen Kinderanlässen, und welcher Fisch möchte, nun mal ehrlich, als Fish Mac zwischen zwei pappigen Brötchenhälften enden, irgendwo in einem abgewrackten Drive-in an einer nie enden wollenden Ausfallstraße einer beliebig großen Stadt?

Arboga

Fredy mag gar nicht mehr aus dem Bad steigen. Er liegt bewegungslos im warmen Wasser und hält die Polaroid-Aufnahme vor sich hin, die er ins Badezimmer mitgenommen hat: Man erkennt darauf einige langgestreckte, rote und weiße Holzhäuser in dieser freundlichen, schwedischen Schlichtheit, dazu viel Wasser und viel Grün. Eigentlich ist dies ein nichtssagendes Bild, und darunter steht flüchtig Arboga hingeschrieben. Fredy schaut sich die Aufnahme interessiert an.

In Arboga hat er erstmals Sankt Hans gefeiert, fällt ihm ein, das große, populäre Sommernachtsfest, den längsten Tag des Jahres, im Garten dieses wortkargen Psychiaters und seiner rundlichen Frau. Er war, unter welch abenteuerlichen Umständen auch immer, von diesen freundlichen Leuten eingeladen worden, und er hatte die Einladung selbstverständlich erfreut angenommen, denn sein bescheidenes Leben lief damals recht still, etwas kümmerlich und vor allem ungewöhnlich isoliert ab, ganz besonders unter all diesen zwar jederzeit freundlichen und offenen, aber doch recht zurückhaltenden und vor allem überaus wortkargen schwedischen Menschen.

Lange Zeit hatte er diese für ihn recht ungewöhnliche Reserviertheit fälschlicherweise mit Verschlossenheit verwechselt. Aber die Leute waren nicht mürrisch oder verschlossen, wie es auf einen flüchtigen Blick immer aussah, ganz und gar nicht, ganz im Gegenteil; sie redeten einfach nur dann, wenn ihnen darum war, und es war ihnen selten darum. Das war alles. Wenn man das endlich kapiert hatte, kam man mit ihnen ganz gut zurecht, denn eigentlich waren sie alle von einer seltenen, im Grunde genommen angenehmen und geradezu beispielhaften Unaufdringlichkeit, wie Fredy allmählich herausgefunden hatte, und es gab grundsätzlich zwei Sorten von ihnen: Die einen kamen jeweils meist erst dann aus ihrer grundsätzlich depressiven Melancholie heraus, also richtig ins Plaudern und Schäkern, also ins Witzeln und Aufschneiden, respektive auf Touren, wenn sie besoffen waren, und die anderen stürzten twärtom mit zunehmendem Alkoholgenuss erst recht in eine verbissene und verbiesterte, wortlose Verstocktheit ab, also ins große, depressive Schweigen. In diese zwei doch recht unterschiedliche Klassen teilte sich die ansonsten absolut mustergültige, für Außenstehende fast klassenlos erscheinende schwedische Gesellschaft, ganz unabhängig von der Höhe des Einkommens oder des Vermögens, ganz unabhängig von der Bildung, der Herkunft, des Alters oder des Geschlechts, nämlich in die Klasse der erst im Rausch Gesprächigen und in die Klasse der im Rausch endgültig Verstummenden. Diese ganz individuell geprägte Aufteilung der schwedischen Gesellschaft wiederum spielte im öffentlichen Leben zwar meist keine große Rolle, da ohnehin kaum gesprochen wurde, war allerdings für Schwedenungewohnte oder für Anfängerschweden durchaus recht mühsam zu ertragen, denn wenn diese bleierne, nordische Beschwernis so richtig zum Tragen kam, oft verbunden mit völlig konfusen Philosophien über den Sinn der Welt und den Zweck des menschlichen Lebens, wenn möglich sogar auch noch hoffnungslos religiös versaut, dann nützten alle wohlgemeinten und wohldurchdachten Beschwichtigungen überhaupt nichts mehr. Einem normalkommunikativen Normaleuropäer blieben in diesem Moment jeweils nur noch zwei Möglichkeiten: mitsaufen oder weggehen. Also blieb auch Fredy, absolut integrationswillig und durchaus integrationsfähig, jederzeit umgänglich, aber gleichzeitig nicht allzu freundlich und auch nicht allzu gesprächig, und das traf sich mit der allgemein geltenden Mentalität der Leute in Arboga und überhaupt im ganzen Land aufs Präziseste. Er passte sich ihnen auch in Bezug aufs zügige Saufen bei Bier und Schnaps an, bei öl och sprit, und das war nicht sonderlich schwierig, wenn man mal davon absieht, dass dort oben praktisch nur unter staatlicher Aufsicht gesoffen werden kann und darf; aber somit war das Leben auch in Schweden, in diesem fast menschenleeren Riesenland, durchaus erträglich.

Unter diesen landestypischen Voraussetzungen fiel es ihm verständlicherweise recht schwer – wenn es denn nicht ganz unmöglich wurde – menschliche Kontakte zu knüpfen, also menschlich förderliche Bekanntschaften zu schließen, Freunde zu gewinnen, vor allem in der Anfangszeit, und genau deshalb hatte er sofort bedenkenlos und hocherfreut zugesagt, als er vom dicken Psychiater, mit dem er in der öffentlichen Sauna ganz unverbindlich über die italienische Psychiatrie und ihre politischen Folgen geplaudert hatte, überraschenderweise zu diesem alljährlich wiederkehrenden, nationalen Großereignis der besonderen Art, dem ganz landesuntypisch rauschenden Mittsommernachtfest anlässlich der midnattssol eingeladen worden war.

An diesem Gartenfest also war er der Dame des Hauses den ganzen Nachmittag lang mit äußerster Zuvorkommenheit und mondäner Eleganz helfend zur Hand gegangen, hatte sich freiwillig um die Bewirtung der Gäste gekümmert, hatte den Grill bedient, hatte Hunderte von armen, wehrlosen Krebsen lebend in den heissen Dill- und Gemüsesud geschmissen, hatte das frische Bier angezapft, hatte mit dem hauseigenen Volvo-Automobil – säkerhets-bälte! – im staatlichen Schnapsladen den Aquavit-Nachschub geholt, ohne viele Worte zu verlieren, wie alle Leute hier, also praktisch wortlos, und hatte in seiner freundlichen Umtriebigkeit besonders der Hausherrin überaus nachhaltig Eindruck gemacht. Sie war restlos begeistert von seiner mediterranen Geschmeidigkeit, wie sie sein Benehmen freudig nannte, und sie war umgehend, wenn auch nur heimlich, mächtig scharf auf ihn geworden, wie übrigens fast alle Schwedinnen, denen er, der Traumtänzer, jemals begegnet war. Das war immer nahezu unausweichlich.

Es war somit ebenso unumgänglich, dass sich die ebenfalls eher dicke, aber ganz ungewöhnlich lebhafte Frau des ansonsten typisch wortkargen und lethargischen Psychiaters für ihn zu interessieren begann, aufgeschlossen und weltoffen wie sie nun mal war, also richtig kosmopolitisch, und es dürstete sie bald einmal unstillbar nach einem saftigen Seitensprung mit diesem südländischen Luftikus, mit diesem italiensk dansör. Nun, alles ist reichlich relativ; für die trockenen Schweden sind bereits die spröden Dänen unseriöse, südländische Plaudertaschen.

Deshalb beschloss die Psychiatergattin eines Tages keck, Fredy noch vor dem Einkaufen in der Stadt unangemeldet zu besuchen. Sie musste mehrere Male anklopfen, bevor sie sein schwaches „In!“