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Sie hat die Chance auf ihren Traumjob – doch Unterwäsche-Model Nick funkt gewaltig dazwischen!
Sarah liebt ihren Beruf als Schaufensterdekorateurin – außer in der Adventszeit. All diese goldenen Sterne und lockigen Engelchen, ätzend! Ihr größter Traum ist es, für das supermoderne Kaufhaus Eden zu arbeiten. Dafür muss sie an den Kaufhaus-Chef herankommen und wittert bei einer Ausstellung ihre Chance. Aber dieser Muskelprotz Nick, der ständig um sie herumschleicht, macht alles zunichte. Wie sie diesen Idioten mit seinem Angeber-Sixpack hasst! Ausgerechnet Nick könnte aber die Rettung für ihren Traumjob sein. Doch dafür müsste die bodenständige Sarah ihm vertrauen – einem selbstverliebten Unterwäsche-Model im peinlichen Engelskostüm? Nie im Leben! Aber Nick hat ein Geheimnis - er kommt nämlich von oben, von ganz weit oben ...
Viel Spaß mit dem himmlischen harten Kerl!
Aus der Reihe gibt es noch eine Menge weitere "Kerle", sie sind übrigens auch als Hörbücher erhältlich.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Harte Kerle sind keine Engel
Eine Liebeskomödie von
Karin Koenicke
Copyright © 2021 Karin Koenicke Coverdesign: Rebecca Russ Sturmmöwen.at
Kontakt: Karin Koenicke Primelstr. 9 85386 Eching [email protected]
Alle Rechte vorbehalten
Sie hat die Chance auf ihren Traumjob – doch Unterwäsche-Model Nick funkt gewaltig dazwischen!
Sarah liebt ihren Beruf als Schaufensterdekorateurin – außer in der Adventszeit. All diese goldenen Sterne und lockigen Engelchen, ätzend! Ihr größter Traum ist es, für das supermoderne Kaufhaus Eden zu arbeiten. Dafür müsste sie an den Kaufhaus-Chef herankommen. Bei einer Ausstellung wittert sie endlich ihre Chance. Aber dieser Muskelprotz Nick, der ständig um sie herumschleicht, macht alles zunichte.
Wie sie diesen Idioten mit seinem Angeber-Sixpack hasst!
Ausgerechnet Nick könnte aber die Rettung für ihren Traumjob sein. Doch dafür müsste die bodenständige Sarah ihm vertrauen – einem selbstverliebten Unterwäsche-Model im peinlichen Engelskostüm? Nie im Leben!
Sarah
Sarah trug Flauschesocken, balancierte auf einem Bein und streckte einen Arm nach vorne. Beim Yoga hätte so etwas sicher einen klingenden Namen, fiel ihr ein. Fliegender Buddha vielleicht, oder Die Waage des atmenden Wurzelchakras. Allerdings stand sie nicht auf einer Yogamatte in einem hippen Studio, sondern mitten in einem Schaufenster in der Brentanostraße. Sie trug auch kein bambusfarbenes Wickelshirt, sondern normale Klamotten, hatte außerdem in jeder Hand eine rosa Prinzessin Lillifee-DVD und überlegte, an welche Stelle des Schaufensters sie die noch stellen könnte.
Die Auslage von Simonas Spielzeug- und Kinderwarenladen war schon fast fertig dekoriert. Lustige Wichtel saßen zwischen Babystramplern und Brettspielen, zwei Sterne-Mobiles hingen von der Decke, ein Lichtspiel warf glitzernde Schneeflocken auf den Gehweg vor dem Geschäft. Und als Krönung des Ganzen saß mitten in der Auslage ein als Nikolaus verkleideter Benjamin Blümchen auf einem Kinderschaukelstuhl. War gar nicht so leicht gewesen, der Plüschfigur die Zipfelmütze über die Elefantenohren zu ziehen, aber Sarah war schließlich eine geübte Schaufenstergestalterin und fand - als sie sich jetzt kritisch umsah – dass sie auch diesen Auftrag gut gemeistert hatte.
Sie lehnte die DVDs an drei rotweiß geringelte Zuckerstangen, streute noch ein wenig Glitzerstaub rund um die Spiele und konnte es sich nicht verkneifen, Benjamin einen kleinen Strohstern an den Rüssel zu hängen. Schmunzelnd nickte sie dem flauschigen Plüschtier zu und stieg vorsichtig aus dem Ladenfenster. Wenn sie jetzt noch die Eingangstür und den Kassenbereich dekorierte, war sie fertig für heute.
Kaum stand sie im Shop und zog sich die dicken Socken von den Füßen, die sie beim Arbeiten im Schaufenster trug, kam Madita auf sie zu – und hatte schon wieder eine Tasse und ein Schälchen Kekse in der Hand. Verflixt! Madita war hier in Simonas Laden die Auszubildende und ganz offensichtlich ein riesiger Weihnachts-Fan. Ein wirklich elefantenhoch-riesiger Fan! Was man von Sarah allerdings überhaupt nicht behaupten konnte, sie freute sich nämlich jetzt schon auf den Januar, wo sie statt dicker Engelchen mit goldenen Löckchen endlich wieder pudelbemützte Skifahrer und bunte Rennrodler in die Ladenfenster stellen konnte. Aber bis dahin galt es, noch ein paar Wochen zu überstehen und unzählige Strophen von „In der Weihnachtsbäckerei“ über sich ergehen zu lassen, denn Madita ließ hier im Laden unerbittlich die gängigen Kinder-CDs laufen.
„Den Kinderpunsch hab ich selbst gemacht“, verkündete Madita stolz. „Mit echten Orangenschalen, braunem Zucker, Anis, Nelken und einer mitgekochten Zimtstange. Probier doch mal. Die Vanillekipferl passen auch super dazu.“
Sarah zwang sich zu einem Lächeln. Sie mochte die engagierte Madita richtig gerne. Außerdem war es toll, als Dekorateurin hier im Kinderladen so umsorgt zu werden. Aber nach diesem Tag mit zahlreichen Lebkuchen, Glühweintassen und Stollenkonfekt sehnte sie sich irrsinnig nach einem richtig scharfen Chili con Carne. Außerdem hasste sie Zimt, doch das wollte sie Madita natürlich nicht auf die Nase binden.
„Echt lieb von dir“, sagte sie und nahm der Auszubildenden die Tasse und die Kekse ab. Sie biss in ein süßes Kipferl, während im Hintergrund Rolf Zuckowski so manchen Knilch besang, der zwischen Mehl und Milch eine riesengroße Sauerei machte.
Sarah musste lachen. „Wenn ich Plätzchen backen müsste, würde es wahrscheinlich noch schlimmer zugehen als in dem Lied“, sagte sie zu Madita. „Obwohl ich mich selbst nicht unbedingt als Knilch bezeichnen würde.“
Kochen war okay, das bekam sie halbwegs gut hin. Zumindest hatte Lenny sich noch nicht beschwert, wenn sie ihm was in die Pfanne haute. Aber die ganze Ausstecherei und das Zuckergussbestreichen beim Kekse Backen war nichts, was Sarah jemals freiwillig tun würde. Im letzten Jahr hatte sie mal versucht, doppelstöckige „Spitzbuben“ zu backen und dabei so höllisch geflucht, dass sogar Lenny eingeschritten war. Und das wollte was heißen, denn bei seinen Freunden ging’s auch oft derb zu.
„Oh, gut zu wissen, dass du nicht gern backst!“, rief Madita sofort. „Ich hab noch eine ganze Dose mit meinen Lieblingskeksen, alle selbst gemacht, die gebe ich dir gerne mit! Man kann doch keinen Advent feiern ohne Kokosmakronen und Marzipanhäufchen!“
„Doch, doch!“, beeilte sich Sarah, zu sagen. „Das geht auch ganz wunderbar mit Wasabi-Nüssen und extrascharfen Paprika-Chips. Ich habe für heute schon mehr als genug Süßes verdrückt.“ Dass sie manchmal dazu sogar einen Bruce Willis-Actionfilm in der Originalversion schaute, weil er da seine Widersacher immer so schön als „motherf...er“ beschimpfte, verriet sie Madita lieber nicht. Die wirkte trotz ihrer Piercings und den kunterbunten Haaren, als wäre sie Vorsitzende im Fanclub von „Drei Nüsse für Aschenbrödel“.
Es war ja nicht so, dass Sarah grundsätzlich eine Aversion gegen Glitzersterne und Holzkrippen hatte. Nur war sie weder religiös, noch hatte sie in ihrer Familie jedes Jahr ein golden-warmes Weihnachtsfest erlebt, bei dem alle Menschen glänzende Augen hatten und wo drei Tage lang Harmonie herrschte. Ganz im Gegenteil.
Aber die Dekoration von Simonas Kindermode- und Spielzeugladen machte ihr tatsächlich Spaß. Zu all den Puppen und Babysachen passte es ja wirklich, eine romantische Winterlandschaft zu zaubern. Da fiel es Sarah nicht schwer, grinsende Elche neben Filzwichtel zu setzen. Aber bei anderen Shops hätte sie sich sehr gewünscht, auch mal eine reduzierte Deko ausprobieren zu dürfen. Nur war ihr Chef Rüdiger Tief von „Krea-Tief: Wir machen Ihre Auslage zur Augenweide“, für den sie schon einige Jahre arbeitete, strikt gegen solche modernen Ideen. Sehr zu ihrem Leidwesen.
„Dann soll ich dir keine Plätzchen einpacken?“, fragte Madita und sah sie völlig perplex an. „Ich habe wirklich viele und geb dir gern welche ab!“
Madita sah aus, als könnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendjemand auf dieser Welt nicht umgehend losjubelte, wenn er selbstgebackene Kekse überreicht bekam.
„Ein paar nehme ich gerne“, willigte Sarah ein. Sie wollte Madita die Freude nicht verderben. Außerdem würde sich ihr Freund Lenny vielleicht darüber freuen, obwohl der sich auch nicht so viel aus Süßem machte.
Sarah trank einen Schluck vom Punsch, stellte dann die Tasse ab und überlegte, wie sie den Eingangsbereich gestalten sollte. Sie musste einen Schritt zur Seite machen, da Simona gerade ein Großelternpaar verabschiedete, das sie mit üppigen Geschenken für die Enkelkinder ausgestattet hatte. Als die Kunden weg waren, stellte Simona sich neben Sarah, blickte zu Madita, die gerade den Aufsteller mit den Namens-Schutzengeln neu sortierte, und zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Madita blüht so richtig auf in der Vorweihnachtszeit“, erklärte sie. „Da ist sie nur noch am Backen und Punschkochen.“
„Ist ja auch die tollste Jahreszeit ever!“, rief Madita, die das gehört hatte, und sang halblaut die nächste Strophe der Weihnachtsbäckerei mit.
Lachend schüttelte Simona den Kopf, überließ die nächsten Kunden der Auszubildenden und nahm Sarah zur Seite.
„Du scheinst nicht ganz so begeistert zu sein vom Adventszauber wie Madita“, sagte sie.
„Ist es so offensichtlich?“, fragte Sarah. Oh verdammt, sie musste wirklich aufpassen. Gerade in diesen Monaten boomte das Geschäft natürlich bei „Krea-Tief“ und sie durfte auf keinen Fall einen Kunden vergraulen, weil sie zu wenig begeistert erschien.
„Nein, nein. Du schlägst dich tapfer. Aber ich habe eine gute Menschenkenntnis.“ Simona lächelte sanft.
„Es ist mir halt manchmal etwas zu viel, das ist alles“, erwiderte Sarah. „Ich liebe meinen Job sehr! Aber im Advent kann man den Lichterketten gar nicht mehr entkommen. Tagsüber in der Arbeit, auf dem Heimweg in der ganzen Stadt und abends flimmert dann auch lauter solche Werbung über den Fernseher. Da fehlt vielleicht einfach der Ausgleich.“
Das war natürlich maßlos untertrieben. Lenny grinste immer, wenn sie beim Auftauchen eines bunt funkelnden Christbaums die Augen verdrehte, und nannte es SarahsKitsch-Allergie.
„Verstehe ich. Ich habe Glück, ich bin abends immer in meinem Tanzstudio, wo ich den Schülern mit heißen Salsa-Rhythmen einheize, das hilft mir.“
„Glaube ich sofort.“ Das konnte Sarah sich gut vorstellen. Als sie letzte Woche hier gewesen war, um sich den Spielwarenladen anzuschauen und die Deko zu planen, hatte ihr Simona eine lustige Geschichte erzählt. Von Feuerwehrleuten und harten Karatekämpfern, die unfreiwillig im Zumbakurs gelandet waren und sich mit dem fröhlichen Hinternwackeln richtig schwergetan hatten. Das hätte sie echt gern gesehen!
„Kommen die Feuerwehr-Kerle immer noch zum Tanzen?“, hakte sie nach.
„Nur noch zwei“, gab Simona zu. „Aber das macht nichts, inzwischen läuft das Studio richtig gut. Komm doch mal vorbei! Ich gebe dir und deinem Freund gern eine Probestunde.“
„Du liebe Zeit, Lenny und Tanzen?“ Sarah lachte. „Also, das passt überhaupt nicht. Und ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, ob ich selbst für sowas Talent habe.“
„Quatsch, probiert es doch einfach aus!“
„Mal sehen“, erwiderte Sarah vorsichtig.
Sie war irgendwie eher der burschikose Typ, fürchtete sie. Nicht so eine feurige Frau wie Simona, deren dunkelrotes Strickkleid sexy ihre Figur betonte, an deren Ohrläppchen silberne Creolen blitzten und die dezent geschminkt war.
Mit einem schnellen Blick sah Sarah an sich selbst herunter. Wie immer trug sie bei der Arbeit eine Hose aus einem äußerst berühmten Modehaus mit einem ebenfalls berühmten Logo. Nur war es halt nicht das Gucci-Symbol, sondern ein Vogel. Und berühmt war das Modehaus eher bei Handwerkern, nicht bei It-Girls. Ihre Hose war nämlich von Engelbert Strauß. Weil die eine Menge Taschen hatte, wo sich ihre Utensilien verstauen ließen, und weil sogar extra Schlaufen vorhanden waren, an die sie die Tüte mit Glitzerstaub oder die Eisblumen-Sprühdose hängen konnte. Dazu war Sarah heute in ein graues Langarmshirt geschlüpft, das ihr viel Bewegungsfreiheit gab. Und ihre braunen Haare hatte sie nicht wie Simona zu einem glänzenden, wippenden Pferdeschwanz gebunden, sondern nur zu einem praktischen Dutt gedreht, aus dem sich aber inzwischen die ersten Strähnen lösten. Kein Wunder, dass alle Männer, die den Laden betraten, nur Augen für Simona hatten und sie keines Blickes würdigten. Aber das war okay, sie hatte sowieso gern ihre Ruhe bei der Arbeit. Außerdem war sie schließlich vergeben.
Sarah wandte sich wieder der Eingangstür zu.
„Willst du hier kleine, glänzende Geschenke hängen haben?“, fragte sie. „Ich könnte farblich passend die gleichen Wichtel dazunehmen, die wir in größerer Ausfertigung im Schaufenster haben. Den Kassenbereich würde ich dann entsprechend anpassen.“
„Klingt perfekt“, sagte Simona sofort. „Mach es so, wie du es gut findest. Ich habe dafür kein so tolles Händchen. Und wenn ich Madita beauftrage, habe ich hinterher den ganzen Laden vollstehen mit Dekomaterial. Dabei ist unser Lager sowieso schon total vollgestopft.“
Sarah grinste. „Das ist genau der Grund, warum man Leute wie mich buchen kann. Wir bringen unser Material mit und du bekommst sogar jedes Jahr was Neues. Ganz ohne Lagerprobleme.“
Sie musste einen Schritt zur Seite machen, weil eine Kundin das Geschäft betrat. Danach gleich noch zwei weitere. Sarah schaute auf die Uhr. Es war halb fünf, da begann das Feierabendgeschäft. Sie sollte sich sputen, um alles heute fertig zu bekommen.
Also trug sie erst mal das nicht mehr benötigte Material ins Auto, holte die bereits vorgefertigten Kordeln mit kleinen Geschenken in Glanzpapier und machte sich an die Arbeit. Nach einer halben Stunde sah die Tür so einladend aus, dass Madita völlig verzückt war und ihr unbedingt noch einen Walnuss-Spezial-Lebkuchen aufdrängte. Eine weitere halbe Stunde später erstrahlte auch der Kassenbereich weihnachtlich-wichtelfröhlich.
„Einfach klasse!“, lobte Simona. „Ich würde dich total gern auf eine würzige Parmesan-Oregano-Stange ins Café Woll-Lust einladen, aber mein Zumbakurs fängt bald an. Vielleicht die nächsten Tage mal?“
Sarah musste lachen. „Café Woll-Lust? Heißt das wirklich so?“
„Klar, weil man da auch häkeln und stricken kann. Du kennst das nicht? Also echt, Sarah, das ist eine Bildungslücke. Da müssen wir bald mal hin, ist hier gleich um die Ecke.“
„Wenn es dort sogar Parmesanstangen gibt, bin ich dabei.“
„Und beim Salsa will ich dich auch sehen!“
„Ja, ja, ich überleg‘s mir.“
Da Simona es eilig hatte, sich fertig zu machen, verabschiedete sich Sarah, trank höflichkeitshalber den schrecklich süßen Kinderpunsch aus und nahm Maditas liebevoll geschnürtes Plätzchenpäckchen in die Hand. Dann ging sie nach draußen, wo der Wagen parkte.
„Verdammt“, fluchte sie, als ihr die Schlüssel aus der Hand fielen. Mit einiger Mühe fand sie den Bund neben dem Reifen und schloss den Wagen auf.
Das duftende Kekspaket legte sie in den Ladebereich des „Krea-Tief“-Lieferwagens, der vor der Tür parkte. Die Kekse rochen nämlich dermaßen intensiv nach Zimt, dass Sarah sie nicht auf dem Beifahrersitz haben wollte. Ein Königreich für eine extrascharfe Currywurst!
Doch wo bekam sie die jetzt her, ohne erneut von „Lustig, lustig, trallalallalaaa“ beschallt zu werden? Der Bratwurststand auf dem Weihnachtsmarkt war direkt neben dem Kinderkarussell aufgebaut, der schied aus.
Vielleicht in Suzies Bar? Hatte die schon auf? Da trieben sich zwar eine Menge Biker, Altrocker und schräge Typen herum, aber man war absolut sicher, musikalisch keinem einzigen „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ in die Arme zu laufen.
Sarah setzte sich auf den Fahrersitz und zog ihr Handy heraus, um kurz nachzufragen, ob Suzie um diese Zeit überhaupt schon geöffnet hatte. Lenny hatte heute sowieso Spätschicht und für sich alleine wollte sie nicht extra kochen.
Doch gerade als sie die Nummer googelte, fiel ihr Blick auf das Schaufenster eines Ladens. Es fiel ihr nur auf, weil der Lichtkegel eines vorbeifahrenden Autos es streifte, aber es erregte ihre Neugier.
War das ein Hutladen? Gab es so etwas heute noch?
Kurzentschlossen steckte sie ihr Handy zurück in eine der vielen Hosentaschen und stieg aus. Ein paar Schritte nur, dann stand sie vor der Auslage. Es war tatsächlich ein Hutmacher, der hier seinen Laden hatte. Und es war endlich mal ein Schaufenster, das sie so richtig in Entzücken versetzte! Also neben denen vom Kaufhaus Eden natürlich, die waren ungeschlagen die best-dekorierten der Stadt und absolut außer Konkurrenz.
Dieses hier punktete mit britischem Understatement. Sarah bewunderte zahlreiche Schirmmützen, Damenhüte mit Federn, pastellfarbene Fascinators und zwei Zylinder, die an den Seitenwänden angebracht waren oder mitten im Schaufenster an Ständern hingen. Zwischen all diesen Hüten thronte eine polierte Wurzel, an deren Armen drei matte, rote Christbaumkugeln baumelten. Dazu hing von oben ein ebenfalls roter Holzstern herunter. Rund um die beiden eleganten Zylinder lagen Walnüsse, Pinienzapfen und als Highlight eine Hand voll winziger roter Kugeln, natürlich ebenfalls matt. An die Scheibe hatte jemand in schnörkelloser, aber eleganter Handschrift „Merry Christmas!“ gepinselt.
„Wow“, entfuhr es Sarah.
Einen Augenblick später zuckte sie zusammen, weil ein schmaler, älterer Mann im dreiteiligen Anzug und schwarzen Mantel aus dem Geschäft gekommen war und jetzt neben ihr stand. Vor lauter Begeisterung für das herrlich reduzierte Schaufenster hatte sie gar nicht auf die Ladentür geachtet.
„Sie bewundern den royalblauen Fascinator, nehme ich an?“, fragte er mit freundlichem Lächeln und leichtem britischen Akzent.
„Ehrlich gesagt fasziniert mich Ihre Dekoration viel mehr“, gab Sarah zu. „Wissen Sie, ich bin Schaufenstergestalterin und seit Wochen damit beschäftigt, möglichst viel Gold und Glitzer in den Auslagen unterzubringen. Da tut es irrsinnig gut, mal eine so tolle, schlichte Variante zu sehen.“
„Ah, I see!“ Er nickte verständnisvoll. „Das ist gewiss so, als würde ein Chocolatier nach einem Arbeitstag den starken Wunsch verspüren, sich ein Glas Peperoni einzuverleiben.“
„Ganz genau!“ Sie mochte den alten Briten auf Anhieb. Er hatte so ein Zwinkern in den Augen, das ihr gefiel. „Das kommt ja noch erschwerend hinzu. Ich wurde den ganzen Tag mit Lebkuchen, Nougathappen und Glühwein gefüttert. Das Wort Peperoni klingt absolut wunderbar in meinen Ohren.“ Sarah lachte.
„Dann begleiten Sie mich doch auf einen herzhaften Snack ins Café Woll-Lust“, sagte er und streckte ihr die Hand hin. „Mein Name ist Stuart Madbatter und ich bin dort Stammgast.“
Sarah schüttelte erfreut seine Hand und stellte sich ebenfalls vor. „Mit jemandem, der sein Fenster so modern dekoriert, gehe ich überall hin.“
Er deutete eine kleine Verbeugung an und ging mit ihr zusammen die Straße hinab.
„Haben Sie denn keine freie Hand, wenn Sie einen Laden dekorieren?“, fragte er interessiert. „Nicht jeder Kunde hat ja feste Vorstellungen, nehme ich an.“
So einfach war es leider nicht.
„Dachte ich eigentlich auch“, erwiderte Sarah. „Ich habe eine ganze Truppe eleganter Metallbäumchen besorgt, dazu Adventskränze aus poliertem Nussholz und sogar welche aus glasiertem Ton. Man könnte daraus eine irrsinnig stilvolle Dekoration zaubern. Etwas, das sich vom Einheitsbrei der vorweihnachtlichen Schaufenster angenehm abheben würde. Aber ausnahmslos jeder Ladeninhaber besteht auf Schneemänner und Lametta.“
„Oh, es war mir nicht klar, dass ich so eine Ausnahme bin. Ich mag es wirklich lieber ohne zu viel Glitter and Gold.“ Nachdenklich betrachtete er die Auslage eines Blumenladens, die natürlich auch mit vielen Lichterketten, Strohsternen und grinsenden Elchen samt silberner Jäckchen geschmückt war.
„Sie sind sogar eine riesengroße Ausnahme!“, bestätigte Sarah. „Einmal habe ich versucht, den Inhaber eines hippen Brillengeschäfts von meinen Ideen zu überzeugen, und der Mann wäre fast darauf angesprungen. Aber mein Boss ist total ausgeflippt, als er davon Wind bekommen hat. ‚Wir bleiben traditionell!‘, hat er gebrüllt. ‚Neumodischen Schnickschnack will niemand haben. Ich bestimme das so, basta!‘ Seither verstauben die Metallbäumchen bei mir im Keller.“
„Der Führungsstil Ihres Chefs scheint mir eher autoritär zu sein.“
Sarah seufzte. „Ein wahres Wort!“
„Warum machen Sie sich nicht selbstständig?“
„Das dürfte ich laut Vertrag gar nicht, also hier in der Stadt eine Konkurrenz starten. Außerdem buchen die meisten Ladeninhaber seit Jahren die Firma ‚Krea-Tief‘. Es ist richtig schwer, im Markt Fuß zu fassen. Klar, bei einzelnen Kaufleuten wie Simona vom Spielwarengeschäft könnte ich auch alleine arbeiten, aber sie lässt ihren Laden halt nur dreimal im Jahr dekorieren, davon kann man nicht leben.“
Mister Madbatter nickte. Dann schien ihm etwas einzufallen. „Dieses große Kaufhaus in der City – das gestaltet seine Schaufenster ständig um. Und ziemlich flippig, wenn ich das so sagen darf.“
Sarah ließ den Kopf hängen. „Kaufhaus Eden. Ich weiß. Die sind richtig modern, die trauen sich was, die haben grandiose Ideen. Aber da kommt man nicht rein. Mario Eden, der Chef, hat sein Team seit vielen Jahren und braucht niemand Neuen. Ich habe schon angefragt und sofort eine gnadenlose Ablehnung kassiert.“
„What a pity! Tut mir wirklich leid, liebe Sarah. Aber wissen Sie was? Ich lade Sie auf einen Lady Grey Tea ein, der hat eine zitronige Note, die vertreibt schlechte Gedanken. Außerdem passt der Tee zu allem Herzhaften. Schauen Sie, wir sind schon am Café angekommen.“
Er deutete nach rechts und ging mit entschlossenen Schritten auf das Café zu. „Ich bin viel zu spät dran für meinen five o’clock-tea“, sagte er entschuldigend. „Aber das macht nichts, guten britischen Tee kann man zu jeder Tageszeit trinken.“
Zögerlich folgte ihm Sarah in das kleine Café und schaute sich um. Hier drinnen sah es richtig gemütlich aus. Die Wände waren fliederfarben gestrichen, von der Decke hingen Makramee-Blumenampeln, die Gäste saßen auf gemütlichen Rattanmöbeln. An der hinteren Wand wartete ein kunterbuntes Woll-Regal auf Kundinnen und die Tische waren liebevoll gedeckt, aber das Highlight war die Kuchen-Verkaufstheke. Obwohl Sarah nicht den geringsten Appetit auf Süßes hatte, ging sie darauf zu, als würde etwas sie magisch anziehen. Allein schon, um die ausgefallenen Kreationen genauer zu betrachten, musste sie näherkommen.
„Cupcakes als winzige Adventskränze mit Marzipankerzen!“, staunte sie halblaut. „Und 3D-Blätterteig-Christbäume!“
„Mit einem Stamm aus feinstem Mandelkrokant“, ergänzte Mister Madbatter. „Ein Gedicht! Aber schauen Sie hier, Sarah, da sind die herzhaften Gebäckteile.“
Er deutete auf die linke Seite der Theke, wo laut fliederfarbenen Schildchen Feta-Focaccia-Schnitten und Rosmarin-Tomaten-Serrano-Dreiecke aufgebaut waren.
„Das will ich beides probieren!“, beschloss Sarah spontan und überlegte, ob danach in ihrem Magen noch Platz für ein filigranes Peperoni-Pfeffersalami-Petit Four wäre. Mit drei salzigen Pistazien obendrauf.
Ihr englischer Begleiter wandte sich einer jungen Frau mit blonden Locken und einem umwerfenden Lächeln zu, die gerade einen Espresso servierte. „Jasmin, ich habe einen Notfall mitgebracht. Darf ich Ihnen Sarah vorstellen? Sie hat den ganzen Tag geschuftet, und zwar unter schlimmsten Süßwaren-Overkill-Bedingungen, also braucht sie dringend eine Ladung Chili-Schärfe.“
Jasmin lachte. „Das kriegen wir hin. Erst mal Willkommen im Café Woll-Lust! Was magst du denn trinken? Und wo sitzen? Ich kann dir einen Stuhl an den Cousinen-Tisch stellen. Oder willst du lieber hier an der Theke bleiben?“
Sarah hatte keinerlei Vorstellung davon, was ein „Cousinen-Tisch“ war, also entschied sie sich für den Tresen und bestellte sich zwei der herzhaften Teilchen.
Mister Madbatter ließ es sich nicht nehmen, für sie den angekündigten Lady Grey Tee zu ordern, und lud sie zu sich an den Tisch ein, wo bereits drei grauhaarige Damen saßen.
„Setzen Sie sich ruhig zu uns, wir beißen nicht. Das hier sind Roberta und ihre Cousinen Friederike und Ottilie“, sagte er.
„Wir gehören zum Inventar!“, rief eine der Damen fröhlich.
„Und wir haben inzwischen unseren eigenen Eierlikör, schauen Sie nur!“
Eine andere hielt eine halbvolle Flasche hoch. Das Etikett zeigte tatsächlich eine Gruppe von drei Frauen, die den Cousinen erstaunlich ähnlich sah. Nur trugen sie gewagte Hüte, elegante Kleider in Bonbonfarben und auf den Hinterteilen üppige Schleifen. Sarah überlegte, ob das Kleider von Brautjungfern waren, aber normalerweise waren diese Jungfern jünger. Viel jünger. Ungefähr fünfzig Jahre jünger.
„Das ist lieb, aber ich bleibe erst mal hier“, lehnte Sarah höflich ab. Die Eierlikörbande war ihr nicht ganz geheuer, die Damen sahen nämlich aus, als würden sie ihr umgehend ein Gläschen des süßen Gesöffs anbieten, sobald sie am Tisch saß. Und das wollte sie unter allen Umständen vermeiden, noch mehr Süßes hielt sie nicht mehr aus.
„Ich braue den Likör selbst“, raunte Jasmin ihr zu, während die alte Dame großzügig die Gläser füllte und mit ihren Cousinen anstieß. „Und ich bin etwas sparsamer mit dem Alkohol als bei gekauftem Eierlikör. Es ist nämlich schon mehrfach passiert, dass die Ladies sich zu viel davon gegönnt haben. Bei ihrer Strickerei haben sie dann etliche Maschen fallen lassen und Valerie war im Anschluss zwei Stunden damit beschäftigt, die Pullis und Jäckchen wieder hinzubiegen.“
Eine weitere junge Frau erschien an ihrer Seite, ein Tablett mit frischem Hefegebäck in der Hand. „Erinnere mich nicht daran!“, sagte sie schmunzelnd. „Ottilie hatte beim Häkeln plötzlich lauter einfache Maschen anstatt doppelter Stäbchen gemacht, ich musste siebzehn Reihen auftrennen und neu häkeln, damit die Weste nicht aussah, als wäre sie an unpassendster Stelle tailliert.“ Sie lachte. „Aber dank Jasmins neuem Eierlikör sind die Cousinen jetzt zielsicherer bei ihrer Nadelei.“
„Eine richtig kreative Idee!“, sagte Sarah. „Aber noch kreativer sind die Cupcakes hier, das ist ja der pure Wahnsinn.“
„Ach was“, wiegelte Jasmin ab und stellte eine duftende Tasse Tee vor Sarah ab. „Ist doch nur meine normale Arbeit als Konditorin.“
„Nein, nein, die sind wirklich super. Ich habe ein Auge dafür. Ich gestalte Schaufenster und deine Muffins könnten als Dekoration in jeder Auslage stehen, so klasse sehen die aus.“
„Ah!“, rief Valerie plötzlich. „Jetzt weiß ich, warum du mir so bekannt vorgekommen bist! Ich war heute unterwegs und bin an Simonas Laden vorbeigelaufen. Da hast du gerade mitten im Schaufenster gestanden.“
„Stimmt, das war ich.“
„Kann man dich buchen?“, fragte Jasmin sofort. „Machst du auch Cafés? Wir haben hier ja noch fast gar nichts Adventliches.“
„Um Himmels willen, ihr habt so tolle Kuchen und Blumen und überhaupt. Ihr wollt doch nicht lauter Christbäume hier reinstellen und Leucht-Rentiere an die Decke hängen oder sowas!“, rief Sarah entsetzt.
Bitte nicht! Das Café war wunderbar, wie es war! Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es hier aussehen würde, wenn man alles mit Dekoration überfrachtete.
„Du würdest also gar nicht schmücken?“, fragte Jasmin zweifelnd. „Nicht mal mit ein paar Lichterketten oder ein paar kleinen Wichteln?“
Oh verflixt, nicht schon wieder Wichtel! Wenn es so weiterging, würde sie heute Nacht von grinsenden Waldwichteln in grünen Filzhosen träumen, die mit geringelten Zuckerstangen auf sie einprügelten.
Sarah sah kurz nach unten zu ihrer Hose und lächelte zufrieden. Manchmal war es nicht schlecht, dass sie statt Esprit oder Chanel eben Engelbert Strauß trug.
„Passt auf, ich mach euch ein Angebot.“ Sie nahm die Sprühdose aus der Halterung an ihrer Hüfte. „Zufällig habe ich noch ein Eisblumen-Spray dabei. Damit würde ich euch die Ecken des vorderen Schaufensters verzieren, vielleicht noch einen Stern mitten auf die Scheibe malen. Ihr könnt dann über der Kaffeemaschine und am Woll-Regal ein paar Lichterketten aufhängen, das sieht von außen total einladend aus. Aber mehr würde ich wirklich nicht machen.“
„Klingt gut. Aber erst einmal probierst du alle meine würzigen Kreationen durch!“, bestimmte Jasmin und stellte einen voll beladenen Teller ab.
Das tat Sarah mit wachsender Begeisterung. Oh Mann, die Schnitte und das Dreieck schmeckten so genial, dass sie – obwohl sie schon ziemlich satt war – noch das herzhafte Petit Four hinterherschieben musste. Der Lady Grey Tee passte wirklich perfekt dazu, wie sie Mister Madbatter auf dessen Nachfrage mitteilte.
Als sie wirklich pappsatt war, lehnte sie sich zurück und sah sich um.
Es war seltsam.
Sie war zum allerersten Mal hier in diesem Café, fühlte sich aber, als würde sie alte Freunde besuchen. Dabei war sie sonst gar nicht so gut darin, neue Freunde zu finden. Schon früher in der Schule hatte sie immer andere Interessen gehabt als ihre Mitschülerinnen. Die waren abends in die Disko gegangen, während sie in Kunstmuseen herumgewandert war. Die hatten mit der besten Freundin vor dem Spiegel Schminktipps ausgetauscht, während sie alleine ihr Zimmer umdekoriert hatte. Mit Tüllstoffen, die sie im Ausverkauf beim Stoffhändler ergattert hatte, oder mit einem langen Efeuzweig, den der Nachbar vom Haus heruntergerissen hatte. Selbst die Schule hatte ihr am meisten Spaß gemacht, wenn die Klasse aus Bucheckern lustige Tiere basteln durfte. Da waren dann auch ihre Noten am besten gewesen.
Sarah trank den zitronigen Schwarztee aus, tupfte sich mit einer fliederfarbenen Serviette, auf der ein lachendes Woll-Knäuel abgedruckt war, die Mundwinkel ab und stand auf. Sie stellte sich erst mal mitten in den Raum und maß mit ein paar Blicken ab, wo sie sprühen sollte. Dann ging sie zur linken Seite des Schaufensters, weil dort niemand saß, und begann, Eisblumen auf die Scheibe zu zaubern.
Während sie arbeitete, kam ein Pärchen herein. Die junge Frau war zierlich und nickte ihr freundlich zu, ihr Begleiter überragte sie um einen ganzen Kopf, es war ein breiter Typ mit Möbelpackerkreuz, blitzenden Augen und sympathischen Lachfältchen.
Sie nahmen an einem Tisch Platz, der nicht weit von Sarah entfernt war. Deshalb konnte sie hören, was die beiden redeten.
„Komm schon, Sergej, du hast doch inzwischen Übung darin. Und die Kinder lieben dich!“, sagte die Frau.
„Ja, als Prinz!“, erwiderte er. „Das passt ja auch zu mir. Aber doch nicht das, was du von mir verlangst!“
Jasmin kam zu ihnen und begrüßte die beiden auf vertraute Art. Anschließend fuhr sie diesem Sergej mit der Hand über die ratzekurzen Haare.
„Worüber regt sich denn mein Lieblings-Russe auf?“, fragte sie grinsend.
Sergej seufzte sehr tief und sehr theatralisch. „Schau mich mal an, Jasmin!“, sagte er, streckte die Brust raus und spannte seine Bizepse an. „Ich bin perfekt als kraftvoller Dornröschen-Prinz in einem Kindergarten-Märchenspiel, nicht wahr?“
„Klar, das hast du toll gemacht.“ Jasmin nickte.
„Genau. Aber ich bin doch keinesfalls ein zarter Engel! Nina will nämlich, dass ich einen spiele und das geht überhaupt nicht! Oder hast du schon mal so einen Engel gesehen?“ Jetzt ließ er seine Brustmuskeln hüpfen.
Sarah konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen.
„Oooch“, machte Jasmin und ihre Augen blitzten schelmisch. „Ich glaub schon, dass es auch Engelchen ohne Rauschemähne gibt. Aber fragen wir doch unsere Fachfrau.“
Sie drehte sich um und wandte sich Sarah zu.
„Sarah, du als Schaufenstergestalterin bist doch quasi Spezialistin für Engel. Gibt es welche, die aussehen wie unser Sergej?“, fragte sie grinsend.
„Na ja“, erwiderte Sarah gedehnt und ließ die Spraydose sinken. „In meine Fenster hänge ich meist Engelchen, die aussehen wie pausbäckige Kinder. Also so wie die Putten im Barock. Aber klar gibt es auch erwachsene Engel.“
„Mit Muckis?“, fragte Sergej und schien dabei noch ein Stück breiter und noch ein wenig verzweifelter zu werden.
„Äh, gute Frage.“ Sie musste schmunzeln, weil er so panisch dreinschaute. Ein bisschen tat er ihr leid. „Also, in meiner Vorstellung haben Engel eher eine zarte Figur. Und vor allem natürlich lange, goldene Locken.“ Sie kicherte.
„Siehst du!“ Er fuhr zu Nina herum. „Ich bin ungeeignet. Denn ich werde im Leben keine Perücke aufsetzen. Nicht mal für die tollste Kindergartengruppe der Welt!“
Nina lachte fröhlich. „Ich krieg dich schon noch rum. Wir Frauen haben da unsere Tricks. Stimmt`s, Jasmin?“
Jasmin nickte und tat, als müsste sie Sergej ganz genau mustern. „Ich muss mal überlegen, was wohl in diesem schwierigen Fall am besten wirkt: Sexentzug oder Muffinsentzug.“
„Oder beides“, sagte Nina trocken, während Sergej noch tiefer seufzte als vorhin. Und das sollte was heißen!
Sarah sah von einem zum anderen und grinste vor sich hin. Hier im Café Woll-Lust kam wirklich eine lustige Meute zusammen.
Aber sie sollte langsam fertig werden, sonst schloss das Café irgendwann seine Pforten. Sie hatte erst die halbe Schaufensterscheibe mit Eisblumen verziert. Eilig ging sie zur anderen Seite, besprühte auch die und setzte mitten hinein noch einen großen Stern.
Valerie hatte inzwischen von irgendwoher ein paar Lichterketten aufgetrieben, die sie mithilfe von zwei Kerlen in Karateanzügen hinter der Theke und am Wollregal aufhing. Ob einige der Jungs zu denen gehörten, die bei Simona Zumba geübt hatten? Sarah schaute ganz genau hin, ob einer beim Reinschlagen der beiden Nägel rhythmisch mit der Hüfte hin- und herschwang, aber leider Fehlanzeige.
Als sie fertig war, steckte sie die Spraydose wieder weg und ging anschließend nach draußen in die Novembernacht, um ihr Werk von der Straße aus zu bewundern. Sie stapfte bis zum Gehweg gegenüber, um zu sehen, wie es für vorbeifahrende Autos oder Fußgänger aussah.
„Stimmig!“, fand sie und wollte gerade wieder zurückgehen, da kam Jasmin heraus und stellte sich neben sie.
„Wahnsinn!“, freute sie sich. „Das schaut ja aus, als wäre unser Café ein glitzernder Eispalast! Man kann noch alles sehen, aber es ist eine richtig winterliche Stimmung. Und so romantisch mit den Lichterketten, die man erahnen kann hinter den Eisblumen.“ Jasmin strahlte heller, als ein LED-Schneemann es könnte.
„Schön, dass es dir gefällt. War ja schnell gemacht.“
„Was kriegst du denn von uns dafür?“, fragte Jasmin.
Sarah schüttelte den Kopf. „Gar nichts natürlich! Du bist ja gut! Das waren doch nur ein paar Minuten Arbeit.“
„Dann packe ich dir dafür eine große Tüte mit würzigem Gebäck ein“, beschloss Jasmin. „Ich habe noch frische Feta-Oliven-Muffins, die ...“
Sie hielt inne. Legte den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel hinauf. Gleichzeitig berührte sie Sarahs Arm.
„Da! Hast du das gesehen? Eine Sternschnuppe!“
Sarah schaute ebenfalls nach oben, sah aber nichts. „Die gibt es doch nur im Sommer, dachte ich.“
Sie hatte noch nie eine gesehen und bezweifelte schon lange, dass solche Schnuppen überhaupt existierten. Wahrscheinlich war das eher eine Mischung aus Wunschvorstellung und abendlichem Flugverkehr. Lenny und sie hatten sich jedenfalls im August über die Nachbarn lustig gemacht, die allen Ernstes auf dem Parkplatz hinter Lennys Wohnung Liegestühle aufgebaut hatten und sich hineingefläzt hatten. „Weil es doch nichts Romantischeres gibt, als gemeinsam Sternschnuppen zu beobachten“, hatte diese überdrehte Deborah gesäuselt und die Hand ihres Horst-Günthers gedrückt, als Sarah ihr im Treppenhaus begegnet war. Sie hatte die Augen verdreht und Lenny erzählt, dass die beiden nicht ganz sauber in der Birne wären. Er hatte zugestimmt und sich ein Bier aufgemacht, bevor sie sich gemeinsam eine Monstertruck-Show angeschaut hatten.
Trotzdem war Sarah zwei Mal mit einem fadenscheinigen Grund in die Küche gegangen, um aus dem Fenster zu schauen, wo das Pärchen von nebenan tatsächlich eine ganze Stunde lang liegenderweise Händchen hielt und in den Himmel starrte. Natürlich hatte Sarah das als totalen Unsinn abgetan. Aber irgendwie hatte an diesem Abend trotzdem keine rechte Stimmung aufkommen wollen beim Fernsehschauen.
Und jetzt erkannte sie in Jasmins Gesicht ein ähnliches Strahlen wie damals bei Deborah, die ihr am nächsten Tag stolz erzählt hatte, wie viele Schnuppen sie beobachtet hatten.
„Ich habe sie ganz deutlich gesehen!“, verkündete Jasmin. „Und das passt auch total. Meine Tarotkarten haben nämlich prophezeit, dass heute etwas Neues beginnt. Etwas Großes, Magisches, Übersinnliches. Und schon schneist du herein und machst den ersten Schritt, indem du unser Café so herrlich dekorierst!“
Sarah musste lachen.
„Mit Übersinnlichem bist du bei mir an der ganz falschen Adresse. Bodenständiger als ich kann man überhaupt nicht sein. Und auch wenn es dich vielleicht enttäuscht – die Magie der Eisblumen steckt in diesem profanen Spray, das an meiner ganz unzauberhaften Handwerkerhose hängt.“ Sie deutet auf die Schlaufe, an der die Sprühdose befestigt war.
Doch Jasmin schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Sie blieb ernst und schüttelte leicht den Kopf.
„Nein, nein“, beharrte sie. „Ich meine nicht das Eisblumenspray. Sondern dich. Du hast diese spezielle Aura. Von einem Menschen, der vor einer ganz tiefgehenden Veränderung steht. Das kann ich deutlich spüren. Und ich habe mich dabei noch nie getäuscht, da kannst du jeden im Café Woll-Lust fragen. Gibt es denn etwas, dass du dir sehnlichst wünschst?“
Sie sah Sarah mit ihren großen, blauen Augen an, die seltsamerweise auch jetzt, wo es ganz dunkel war, irgendwie leuchteten. Dabei stand hier gar keine Straßenlaterne.
Ohne es zu wollen, begann Sarah zu sprechen. „Das Kaufhaus Eden“, hörte sie sich antworten. „Ich würde wahnsinnig gern dort arbeiten und die Schaufenster supermodern gestalten.“
Verflixt! Sie hatte doch gar nichts sagen wollen! Aber gut, so ein schlimmes Geheimnis war das nun auch wieder nicht.
„Hm“, machte Jasmin nachdenklich. „Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich der Wunsch ist, um den es geht. Weißt du was? Ich lege später nochmal die Karten. Nur für dich. Dann sehen wir ganz genau, ob jemand in dein Leben tritt und all deine heimlichen Sehnsüchte erfüllt.“
„Na gut“, stimmte Sarah zu, obwohl sie weder vom Kartenlegen noch von Wunscherfüllung viel hielt. Und von guten Feen schon gar nicht.
„Komm die nächsten Tage nochmal vorbei, dann sag ich dir genau, was passieren wird“, ergänzte Jasmin. „Also so genau, wie die Tarotkarten es eben prophezeien.“
„Mach ich“, versprach Sarah.
Nicht, weil sie daran glaubte. Sondern weil sie ein höflicher Mensch war und weil Jasmin die besten Peperoni-Petit Fours der Welt backen konnte.
Dass die Vorhersage der Karten sich niemals erfüllen würde, war ihr klar. Das war schlichtweg unmöglich. Denn sie hatte überhaupt keine heimlichen Sehnsüchte. Und schon gar keine, die ein gewisser Jemand erfüllen könnte!
Sarah
Eigentlich hatte Sarah sich einen gemütlichen Abend in ihren eigenen vier Wänden machen wollen. Lenny hatte Spätschicht, das hieß, dass er erst um acht Uhr abends aus der Fabrik kam, in der er arbeitete. Er war bei einem Automobilzulieferer angestellt und baute etwas, das sich Kurbelwelle nannte. Sarah hatte sich schon mehrmals von Lenny erklären lassen, was das genau war, aber sie vergaß es immer sofort wieder. Lag vielleicht auch daran, dass Lenny nicht der geduldigste aller Erklärbären war.
Jedenfalls verbrachten sie die Spätschichtabende normalerweise getrennt, denn Lenny war nach einem langen Arbeitstag an den Maschinen so platt, dass er sich nur noch aufs Sofa warf und den ganzen Abend nicht mehr aufstand. Außer, um sich ein paar Fläschchen Bier zu holen oder ebendieses später wieder loszuwerden.
Dass sie nicht zusammen wohnten, lag an Sarahs Zurückhaltung bei diesem Thema. Lenny würde am liebsten sofort bei ihr einziehen, aber sie fürchtete, dann auf dem gesamten Haushalt und der doppelten Wäsche sitzen zu bleiben.
Heute jedoch war sie mit einer riesigen, fliederfarbenen Papiertüte mit diversen herzhaften Leckereien ausgestattet worden, außerdem lagen im Lieferwagen die zimtduftenden Plätzchen von Madita. Sie konnte das alles unmöglich selbst verdrücken, deshalb fuhr sie nicht nach Hause, sondern drei Straßen weiter, wo Lenny wohnte.
Nach dem langen Tag heute stand ihr selbst auch der Sinn nach gemütlichem Extremcouching. Im Sommer spielte Sarah gern mal am See mit ihrer Freundin Mia und noch ein paar anderen Leuten Beachvolleyball oder schwamm ein paar Runden. Auch ein paar spannende Radtouren hatte sie schon mit Lenny unternommen. Aber im Advent, wo sie den ganzen Tag über auf den Beinen war, hatte sie keine Energie mehr übrig für Sport. Mit Schrecken dachte sie manchmal an Lennys Vorgänger, der sie dreimal wöchentlich zum Yoga gezwungen hatte, gefolgt von Meditieren auf einem schrecklich unbequemen Holzhocker, unter das man die Knie quetschen musste, sodass einem nach spätestens zehn Minuten immer die Beine einschliefen.
Oh nein, es ging wirklich nichts über einen herrlich gemütlichen Abend zu zweit auf Lennys abgewetztem Sofa!
Sarah fand einen Parkplatz, stieg aus und ging mitsamt den beiden Tüten fröhlich die Treppe zu Lenny hinauf. Nur noch ein Stockwerk, dann war endlich Ruhe. Dann konnten sie den Abend schön ausklingen lassen.
Doch als sie vor seiner Tür stand, hörte sie von drinnen Stimmen. Viele Stimmen.
Hatte er Besuch?
Mit gerunzelter Stirn klingelte sie. Wartete. Nichts passierte. Erst nach dem dritten Klingeln riss Lenny die Tür auf.
„Hey, Schatzi, komm doch rein!“, begrüßte er sie fröhlich und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. Sein Atem roch nach Alkohol.
„Was ist denn hier los?“, fragte sie und sah sich um. Im Wohnzimmer standen drei seiner Kollegen herum, die sie flüchtig kannte. Und seine beiden besten Kumpel kamen gerade aus der Küche, jeder mit einer Flasche Bier in der Hand.
„Stell dir vor, unsere Tippgemeinschaft hat bei der Sportwette gewonnen!“, rief er.
„Ja, wir haben richtig abkassiert!“, jubelte Björn, sein alter Schulfreund.
Oha! Sarah hielt die Luft an. Ein unerwarteter Geldsegen? So, wie die Jungs feierten, musste das ja ein großer Betrag sein! Hoffnung stieg in ihr auf. Wenn es richtig viel Geld war – dann konnte sie sich vielleicht ja doch irgendwann ihren Traum erfüllen und sich in einer anderen Stadt selbstständig machen! Oder Grafikdesign studieren, das interessierte sie nämlich schon immer. Und endlich mal mit Lenny die erträumte Reise nach Bali unternehmen, wo die Sonne rotgolden im Ozean versank, die Natur in unendlichen Grüntönen schimmerte und die Tempel nur darauf warteten, von ihr skizziert und im Schaufenster eines hippen Reisebüros nachgebaut zu werden.
„Wie viel habt ihr gewonnen?