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Spätsommer, Erntezeit im Rheinland: Ein junger Landwirt wird gewaltsam aus seinem Traktor gezerrt. Kurze Zeit später findet man seine Leiche am sogenannten Siebenschuss, einer alten Landmarke mit Hasenrelief - versehen mit einer Ohrmarke für Schweine. Kommissarin Melly Papen wendet sich an Mombert Gryn von Frenz, seines Zeichens Landwirtschaftskontrolleur: Kann er vielleicht herausfinden, woher die Marke stammt?
Melly, Mombert und Dorfpolizist Heinz Heckenbusch ermitteln wieder mal gemeinsam: Das Opfer hatte offenbar nicht nur Geldprobleme, sondern auch eine Affäre mit der Geliebten seines besten Freundes. Und dann gibt es da noch eine unheimliche alte Wahrsagerin, die sich Runhilda nennt ...
Spannend, liebenswert-skurril, lustig - der dritte Fall für den ermittelnden Graf Mombert aus dem Rheinland.
Alle Fälle in der richtigen Reihenfolge:
1. Reibekuchenmord
2. Sauerbratentod
3. Hasenpfefferschwindel
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Seitenzahl: 387
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Prolog
Präriehund
Schwarzwild
Rohrspatz
Bärbeißig
Stiernacken
Goldenes Kalb
Löwenmähne
Turteltaube
Pudelwohl
Glücksschwein
Goldesel
Wolfsrudel
Ochsentour
Angsthase
Pferdefuß
Saubande
Mausetot
Schleichkatze
Hasenjagd
Schwarze Schafe
Leitwolf
Bärendienst
Höllenhund
Himmelhund
Vogelfrei
Hasenfuß
Affenzirkus
Hornochse
Schweinehund
Streithahn
Fischkopf
Hasenherz
Ziegenbart
Rabenschwarz
Hundsgemein
Herzkäfer
Wolfshunger
Platzhirsch
Haifischbecken
Falsche Schlange
Hundeelend
Bärenstark
Begossener Pudel
Eselei
Schlangenwurz
Trockenfisch
Wolkenkuckucksheim
Fuchsbau
Krummer Hund
Höhle des Löwen
Schlangengrube
Adlerauge
Aasgeier
Epilog
Glossar
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Spätsommer, Erntezeit im Rheinland: Ein junger Landwirt wird gewaltsam aus seinem Traktor gezerrt. Kurze Zeit später findet man seine Leiche am sogenannten Siebenschuss, einer alten Landmarke mit Hasenrelief – versehen mit einer Ohrmarke für Schweine. Kommissarin Melly Papen wendet sich an Mombert Gryn von Frenz, seines Zeichens Landwirtschaftskontrolleur: Kann er vielleicht herausfinden, woher die Marke stammt?
Melly, Mombert und Dorfpolizist Heinz Heckenbusch ermitteln wieder mal gemeinsam: Das Opfer hatte offenbar nicht nur Geldprobleme, sondern auch eine Affäre mit der Geliebten seines besten Freundes. Und dann gibt es da noch eine unheimliche alte Wahrsagerin, die sich Runhilda nennt …
Spannend, liebenswert-skurril, lustig – der dritte Fall für den ermittelnden Graf Mombert aus dem Rheinland.
Provinzkrimi
Was war verdammt noch mal los mit ihm? Er konnte nicht mehr schlafen, schon seit gefühlt hundert Nächten nicht mehr. Er ärgerte sich über sich selbst. Nicht nur wegen der miesen Nächte. Sondern, weil er sich neuerdings dabei ertappte, wie er auch tagsüber ständig über die Schulter sah. Wie er in jedem dunklen Schatten im Hof den Umriss eines Mannes zu sehen glaubte. Wie er morgens kurz aus dem Fenster schaute, bevor er das Haus verließ. Dabei klappte doch eigentlich alles super. Doch in letzter Zeit hatte sich ein ungutes Gefühl eingeschlichen. Es war Blödsinn, er wusste es, trotzdem wurde er es nicht los.
Müde zog er die schwere Egge ans hintere Ende des Traktors, um sie anzuschließen. Der Bolzen klemmte natürlich mal wieder und wollte nicht durch die Öse an der Egge.
»Verfluchtes Teil!«, schimpfte er. Dabei musste er sich beeilen, wenn er den Acker noch vor der Abenddämmerung fertig kriegen wollte. Er trat einmal kräftig gegen das Metall, und endlich rutschte der Stift durch.
Er fuhr vom Hof und erreichte nach zehn Minuten das kleine Feld, das direkt am Waldrand lag. Das Flurstück war schmal, dennoch war es guter Boden, dunkel vom Humus, der Weizen gedieh hier immer wie blöd. Gepflügt hatte er das bereits abgeerntete Stoppelfeld schon am Nachmittag, jetzt mussten die Furchen geglättet werden. Vorbereitung fürs Einsäen des Wintergetreides. Während er auf die groben Schollen rumpelte, betätigte er den Joystick, und die Egge senkte ihre stählernen Krallen in die Erde.
Obwohl sich die Sonne schon dem Horizont näherte, grillte die Spätsommerhitze die metallene Kabine des Traktors. Er öffnete das Seitenfenster. Ein bisschen Dieselgeruch kam herein. Eine Klimaanlage, das wäre was. Jedoch waren die teuren High-End-Maschinen, in denen man wie im Wohnzimmer saß und vor sich hin döste, während der Autopilot per Satellitennavigation den Rest machte, unerschwinglich für ihn.
Er hatte die erste Bahn noch nicht beendet, als er plötzlich jemanden rufen hörte. Am Waldrand hatte sich eine Gestalt aus den Baumschatten gelöst. Kurz erschrak er. Dann verfluchte er seine verdammte Paranoia. Derjenige trug eine Basecap, deren Schirm das Gesicht halb verdeckte, und kam winkend auf ihn zu.
Er stoppte den Traktor und nahm den Gang heraus.
»Was gibt’s denn?«, fragte er mürrisch durchs offene Fenster, doch dann sagte der andere etwas, das ihn erstarren ließ.
Nur einige Minuten später krümmte und wand er sich am Boden, während er sich die Seite hielt. Die feuchte Erde fühlte sich an seinem Gesicht kühl an. Hinter sich hörte er den Traktor immer noch im Leerlauf vor sich hin tuckern. Beim letzten Tritt hatte es seitlich in seinem Brustkorb geknackt. Es waren bestimmt gleich mehrere Rippen gebrochen. Er würde garantiert für ein paar Tage ausfallen auf dem Hof. Sein Vater würde ihm was erzählen. Die Faustschläge und Tritte hatten zum Glück aufgehört. Er hatte seltsamerweise niemanden weggehen hören.
Er versuchte aufzustehen, doch sofort schoss ihm der Schmerz so heftig in die Brust, dass er kaum atmen konnte. Unwillkürlich stöhnte er auf. Er musste es wohl langsamer angehen. Das Blöde war, dass ihm nun auch noch schwummrig wurde. Alles verschwamm vor seinen Augen zu einem weichgezeichneten Bild. Als wenn sich das Feld und der Wald in einem Teich spiegeln würden, den der Wind leicht kräuselte.
Das wird ein Nachspiel haben!, dachte er wütend. Niemand machte so was mit ihm. Doch als Erstes musste er wieder rauf auf den Trecker kommen. Das würde nicht leicht werden. Er fluchte leise.
Der lang gezogene Schrei eines Mäusebussards ertönte am Himmel. Auf einmal erschrak er bis in die Knochen. Jemand umfasste ihn von hinten. Er schien ihm aufhelfen zu wollen. Wer hatte ihn denn auf diesem abgelegenen Ackerstück gefunden? Kräftige Arme brachten ihn in eine halb sitzende Position. Erstaunt wollte er sich umwenden, jedoch packte ihn der Helfer komischerweise so fest, als ob er ihm die Luft abschnüren wollte. Da, wo die Rippen vermutlich gebrochen waren, schoss ein irrer Schmerz ein. Er wollte dem Typen sagen, dass er nicht so fest zufassen musste, aber es kam nur ein heiseres Geräusch aus seinem Mund. Der Druck wurde stärker, legte sich wie ein Eisenring um seine Brust, und er konnte nur noch flach atmen. Mit jedem Ausatmen nahm die Enge noch zu, sodass er kaum noch einatmen konnte.
Plötzlich bekam er Angst. Was sollte das? Mit einer entschlossenen Kraftanstrengung wollte er den anderen abschütteln. Doch er war völlig kraftlos. Schwarze Punkte erschienen am Rande seines Gesichtsfelds. Gleichzeitig kam ein seltsamer Nebel auf. Er begann, sich auf den Wald und den Acker herabzusenken, und breitete sich erstaunlich schnell aus. Gerade hatte doch noch die Abendsonne von einem blanken dunkelblauen Himmel geschienen.
Verwirrt beobachtete er, wie der Nebel nun rasch dichter wurde. Er hatte den Abendhimmel und die untergehende Sonne bereits verschluckt. Dann begann er, auch den Wald und den Acker aufzusaugen. Jetzt legte sich der kalte Dampf auf seinen Kopf, den Rücken und die Arme.
Als der Dunst in seinen Körper eindrang, prickelte es angenehm. Wie wenn man ein kaltes Bier etwas zu schnell herunterstürzte. Der Schmerz in der Seite hörte auf, und auch die Einschnürung der Brust schien sich zu lösen. Als das Weiß schließlich sein Herz erreichte, erlosch das Tuckern des Traktors, und alles wurde still.
»Wo steckt er denn?«, frage ich Vorarbeiter Florim Dobrev.
Der rumänische Erntehelfer deutet mit dem Kinn in Richtung Haupthaus und knurrt: »Drinnen. Er wieder will auswandern. Nach Texas.« Der hagere Mann zuckt die Achseln und grinst schief. Dann zeigt er mit dem Daumen hinter sich auf das Feld, wo ein Traktor mit Anhänger wartet. »Ich muss los. Pause vorbei.«
Er wirft die aufgerauchte Kippe weg, die zwischen seinen Zähnen geklemmt hat. Dann folgt er einer Gruppe von Frauen und Männern in Arbeitskleidung, die über den Acker stapfen, um sich die nächste Reihe mit Kohlköpfen vorzunehmen.
Am liebsten würde ich auf dem Absatz kehrtmachen. Wenn Landwirt Matzerath nach Texas will, verspricht die Betriebskontrolle wieder mal besonders erbaulich zu werden. Seufzend schelle ich an der Haustür.
Kai Matzerath sieht mich aus geröteten Augen unter einem Cowboyhut hervor an. »Ach nee! Der Herr Graf von Grütz-Franz«, nuschelt er mit schwerer Zunge. Er hätte meinen Namen vermutlich auch nüchtern falsch ausgesprochen. So wie neunzig Prozent der Leute, die mit meinem Familiennamen Gryn von Frenz überfordert sind. Was man übrigens verstehen kann. Mir selbst geht das auch so. Und ich lebe schon bald vier Jahrzehnte damit. Von meinem Vornamen Mombert will ich gar nicht erst reden.
»Guten Morgen, Herr Matzerath.« Ich versuche, flach zu atmen, weil eine beißende Whiskyfahne zu mir herüberweht. »Ich möchte heute die Nachprüfung machen. Bei Ihrer Dokumentation gab’s beim letzten Mal Mängel. Sie wissen es sicher noch.«
»Und Sie wissen sicher, dat der ganze Papierscheiß nix als Schikane ist. Es wird immer schlimmer, verdamp noch emol! Ich muss jeden Schritt aufschreiben, den ich mache«, lallt er erbost. »Sogar die Fahrspur vom Trecker aufm Feld wird aufgezeichnet. Bekloppt! Bald muss ich noch notieren, wann ich aufs Klo geh und wat ich da …«
»Herr Matzerath!«, bremse ich ihn. »Könnten wir vielleicht einfach anfangen?« Dabei muss ich zugeben, er hat gar nicht so unrecht. Es gibt eigentlich keinen Handgriff mehr, den ein Landwirt nicht festhalten muss. »Heute bräuchte ich Ihre Aufzeichnungen zu den Betriebsmitteln«, sage ich. »Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmittel, Sie wissen schon. Da gab’s letztens Defizite.«
»Defizite!«, äfft er mich nach. Dann schiebt er sich den Hut nach hinten. »Schon gut, Sie kriegen, wat ich dahabe. Ob’s reicht, ist mir egal. Ich bin eh bald weg.« Jetzt sieht er mich triumphierend an. »Ich kauf mir nämlich ’ne Farm. In Texas. Da kann ein Bauer noch Bauer sein. Dort wissen sie noch, was Freiheit ist.« Sein Blick geht an mir vorbei in die Ferne. Statt seiner Kohlfelder sieht er offenbar endlose Prärien vor sich, am Horizont begrenzt von blauen Bergen. Seine Augen glänzen.
Ich wünsche es mir auch so sehr. Dass er nach Texas geht, meine ich. Aber der Traum wird sich kaum erfüllen, denn von Amerika schwadroniert der Landwirt schon, seit ich vor sechs Jahren das erste Mal hier war.
Drei Stunden und ein paar neu entdeckte Lücken in seiner Dokumentation später rolle ich in meinem Passat Kombi erschöpft vom Hof.
Es ist inzwischen Mittag, und ich brauche dringend etwas, das mich aufrichtet. Ich werde zur »Sitzenden Wildsau« fahren, meinem Lieblingslokal. Es ist in einem ehemaligen kleinen Bahnhof am Rande des Kottenforsts untergebracht. Hier gibt’s die besten rheinischen Gerichte. Schlechte Laune hat gegen diese Hochgenüsse nicht den Hauch einer Chance. Ich überlege, ob es wohl heute Endiviengemenge mit Flönz, also Endiviensalat mit knusprigen Speckwürfeln und gerösteter Blutwurst gibt. Das hatte ich lange nicht. Ich merke, wie mir das Wasser im Mund zusammenläuft.
Kurz bevor ich auf die Bundesstraße Richtung Kottenforst abbiegen will, klingelt mein Handy. Ich drücke den kleinen Schalter an meinem In-Ear und melde mich.
»Grüß dich, Mo, ich bin’s, Melly!«
Ich bin überrascht. »Melly, du? Das ist aber schön! Wie geht’s dir?«
»Mir geht es gut. Und wie geht es dir?«, sagt sie betont förmlich. Dann kichert sie. »Ach, prima geht’s mir. Du, ich hätte da was, wobei ich deine Hilfe brauche. Es geht um Ohrmarken.«
Ich frage mich, was der Job einer Kriminaloberkommissarin mit Viehhaltung zu tun hat.
»Ohrmarken?«, echoe ich. »Du meinst, für Tiere?«
»Ach, es gibt noch andere?«, fragt sie spöttisch. Dann wird sie ernst. »Ich kann das schlecht am Telefon erklären. Können wir uns kurz sehen?«
»Ich bin gerade unterwegs zu Jupps Lokal. Wenn du noch nicht Mittag gemacht hast, komm doch auch dahin.«
»Hm, nix gegen den Jupp, aber lass uns diesmal ins ›Wurzelzwerg‹ in Bonn gehen. Zu dem Veganer.«
Ein veganer Wurzelzwerg? Hektisch suche ich nach einer Ausrede, doch mir fällt auf die Schnelle keine ein. Verflixt. Andererseits bin ich so oft in der »Sitzenden Wildsau«, dass ein bisschen Abwechslung ehrlicherweise nicht schaden würde. Und gesund ist es schließlich auch, das Pflanzenzeug. Unwillkürlich sehe ich auf meinen Bauchansatz runter.
»Okay«, seufze ich schicksalsergeben.
»Prima, dann bis gleich.« Melly klickt sich weg.
Während ich an der Kreuzung bedauernd in Richtung Grünfutter abbiege, statt in Richtung Speckwürfel, ist mir noch aus einem anderen Grund unbehaglich. Wenn Mariella Papen, die lieber Melly genannt wird, sich mit mir treffen will, dann geht es meist um einen neuen Fall. Doch nachdem mich meine Einmischung in polizeiliche Ermittlungen schon zweimal fast umgebracht hätte, kann mich das definitiv nicht mehr locken. Vielleicht braucht Melly ja auch bloß irgendeine Info von mir. Einigermaßen beruhigt beschleunige ich den Wagen.
Dreißig Minuten später sehe ich die junge Kriminalistin über einen Berg aus Taboulé, Quinoa und anderen fremdartigen Substanzen hinweg an. Wir sitzen an einem Zweiertisch. Ich und ein junger Mann mit Rastalocken am Nebentisch sind die einzigen Männer in dem Lokal.
Eigentlich hatte ich gedacht, dass Melly auch Heinz Heckenbusch herbitten würde. Heinz ist Polizeiobermeister, und wir haben bei unseren letzten Fällen mit ihm zusammen ermittelt. Auch er ist längst ein Freund. Es ist zwar schade, dass Heinz nicht da ist, doch ich werte das als gutes Zeichen. Vermutlich will mich Melly wirklich nur kurz was fragen.
Mitten in meine Gedanken hinein stöhnt sie begeistert auf, nachdem sie den ersten Bissen von einem kleinen Blätterteig-Quadrat mit Spinat und Ziegenkäse genommen hat. »Woah, das war genau das, was ich jetzt brauchte.«
Mir geht das nicht ganz so. Misstrauisch sehe ich auf das krümelige Getreide auf meinem Teller. Und auf den Porzellanbecher mit Labbertee, den ich statt eines Malzbiers vor mir stehen habe. »Hier gibt’s keine zuckerhaltigen Getränke. Du kannst Matetee haben«, hatte mir die Bedienung erklärt und mich dabei abschätzig gemustert.
Ich nehme vorsichtig etwas von dem grießähnlichen Bulgur auf die Gabel und bin von dem frischen Geschmack nach Zitrone und Kräutern angenehm überrascht.
Die blonde Kommissarin beobachtet mich unter ihrem Pony hinweg. »Sag ich doch! Ist gut, ne?« Sie grinst.
»Gar nicht so übel«, gebe ich kauend zu. »Aber jetzt sag mal: Was ist das für eine Sache mit den Ohrmarken, die du am Telefon erwähnt hast?«
Sie legt die Gabel ab, verschränkt die Finger und sieht geistesabwesend aus dem Fenster. Dann schaut sie mich an. »Also, wenn’s nicht so makaber wäre, wär’s fast originell«, beginnt sie zögernd.
Ich sehe sie fragend an.
»Wir haben einen Ermordeten. Mit einer Ohrmarke.«
»Wie. Wirklich am Ohr? Also richtig dort festgemacht?«, stammle ich.
»Ja. Fachmännisch reingeknipst. Mit allem Drum und Dran. Gelb und mit Zahlen drauf.«
Ich schlucke trocken und lege die volle Gabel, die ich gerade zum Mund führen wollte, auf den Teller.
»Ich muss wissen, von wo die Marke stammt. Vermutlich führt sie uns auf direktem Wege zum Mörder.«
»Hm, für Tierhaltung sind wir vom Landwirtschaftsamt nicht zuständig, das ist das Veterinäramt.«
»Schon«, gibt sie zu. Dann sieht sie mich mit einem Blick an, der offenbar tiefstes Vertrauen ausdrücken soll. »Aber du hast da doch sicher auch deine Möglichkeiten.«
»Na ja«, sage ich zögerlich. »Auch wir haben Zugriff aufs HIT.«
»Und das ist was?«
»Das ›Herkunftssicherungs- und Informationssystem Tiere‹. Dort sind alle Rinder, Schweine, Ziegen und Schafe registriert, mitsamt ihren Ohrmarken-Nummern.«
»Ah, das gläserne Tier sozusagen. Perfekt! Kannst du da mal für mich nachgucken? Schau mal, hier kannst du die Marke sehen.« Sie tippt auf ihrem Handy herum, dann hält sie mir das Display entgegen. Auf dem Bildschirm ist die Seite eines Männerkopfs zu sehen, und an dessen Ohr hängt eine ziemlich große gelbe Marke, wie man sie für Schweine verwendet. Wo der Plastik-Pin mit der kleinen Metallspitze durch die Ohrmuschel gestochen wurde, ist etwas Schwarzes. Getrocknetes Blut.
Mir wird dezent schlecht. Welcher Irre macht denn so was?
»Ja. So etwas hab ich bisher auch noch nicht gesehen«, sagt die junge Oberkommissarin nachdenklich, als hätte sie meine Gedanken gehört. Fasziniert schaut sie sich das Foto nun selbst noch mal an. »Ich bin so was von gespannt, wie sich das mit der Marke klären wird.« Aus ihren Augen sprüht die pure Neugier, und mir wird wieder mal klar, dass sie genau den richtigen Beruf ergriffen hat.
»Wo habt ihr ihn denn gefunden?«, frage ich. »Es ist doch ein Mann, oder?«
»Jep. Nicht wir haben ihn gefunden, sondern eine Joggerin. Ganz früh heute Morgen.« Melly wischt wieder auf ihrem Smartphone herum und hält es mir erneut hin. Die Leiche ist nun im Ganzen zu sehen. Der offenbar noch sehr junge Mann lehnt an einer Art Grabstein. Sein Gesicht ist grau, der Blick der offenen Augen seltsam melancholisch. Eine Welle aus Traurigkeit durchflutet mich. Gestern hatte er noch ein Leben vor sich, das sich bis hinter den Horizont erstreckte. Er hatte bestimmt tausend Hoffnungen. So viele Erfahrungen, Begegnungen und schöne Momente warteten auf ihn. Die Liebe, vielleicht Kinder. All das einfach ausgeknipst, von jetzt auf gleich. Ich schlucke.
Auf dem Granit des Steins, an dem er lehnt, ist eine Art Relief zu sehen, aber sein Körper verdeckt das meiste davon. Als ich genauer hinsehe, pralle ich leicht zurück. Irgendetwas hat den Toten offenbar … na ja, angenagt. Sein Körper ist nicht mehr ganz vollständig. Ich unterdrücke einen Würgereiz.
»Ja, er war offenbar ziemlich angefressen«, sagt Melly trocken. Dann sieht sie meinen Gesichtsausdruck. »Sorry, ich weiß, das ist nicht witzig.«
»Aber wieso sieht er so aus?«, frage ich.
»Wildschweine«, sagt die blonde Kriminalistin kauend. »Sie sind Allesfresser. Und wenn, tja, Fleisch im Wald herumliegt, dann zögern sie nicht lange und …«
»Danke, ich hab’s verstanden«, unterbreche ich sie und versuche, das Bild aus dem Kopf zu kriegen, das bei ihren Schilderungen aufgepoppt ist. Obwohl ich mich eigentlich nicht mehr in Ermittlungen einmischen will, rutscht mir die Frage raus: »Wurde er dort getötet, wo er lag?«
»Nein. Die Stelle ist nicht der Tatort. Das sagt zumindest die Spurensicherung. Der Tote muss dorthin geschafft worden sein. Irgendwann gestern Abend. Und die Ohrmarke wurde nach seinem Tod reingestanzt, es gibt nur sehr wenig Blut an der Einstichstelle.«
Wenn ich’s mir recht überlege, will ich diese Details gar nicht wissen. Eilig sage ich: »Okay, dann schau ich schnell mal nach wegen der Ohrmarkennummer.«
»Ach, das geht von hier aus?« Die Kommissarin ist sichtlich erfreut.
»Hm ja«, murmle ich knapp, schiebe meinen Teller zur Seite und ziehe mein Tablet aus seiner Hülle.
Melly diktiert mir die Buchstaben- und Nummernfolge der Marke. Ungeduldig fährt sie sich mit der Hand durch ihr kurzes, leicht strubbeliges Haar, während ich die Nummern dekodiere.
»Die Marke stammt aus NRW«, sage ich. »Und hier steht auch die dazugehörige Betriebsnummer. Der Hof muss in der Gemeinde Swisttal liegen. Und er gehört, Augenblick … Ah, hier haben wir es: Landwirt Ulrich Wuttke.« Zufrieden sehe ich auf.
»Adresse?«, fragt die Kommissarin routiniert.
Ich nenne ihr eine Adresse am Ortsausgang von Swisttal-Heimerzheim.
»Sehr gut! Ich danke dir, Mo! Das ist eine Riesenhilfe!« Melly hat alles zufrieden notiert.
»Dann war’s das?«, frage ich erleichtert.
»Klar.« Sie sieht mich unschuldig aus blauen Augen an. »Und jetzt iss mal weiter, Mo. Es ist so lecker.« Entspannt schiebt sie sich eine Gabel mit irgendwelchen Gemüsestreifen in den Mund.
Ich stochere nur noch im Essen herum. Das Foto von der Leiche geht mir nicht aus dem Kopf. Gegen meinen Willen höre ich mich fragen: »Wir wurde er denn … Ich meine, er sieht noch so jung aus.«
»Zuerst zusammengetreten. Daran wäre er vermutlich auch schon gestorben, er hatte einen Leberriss. Aber dann wurde er mit einem Gürtel um die Brust erstickt«, sagt Melly ungerührt und nimmt den nächsten Bissen in den Mund.
Erschrocken atme ich ein. »Mit einem Gürtel um die Brust?«, wiederhole ich. »Das habe ich noch nie gehört.«
»Ich auch nicht. Wenn man jemanden erwürgen will, wäre der Hals schließlich viel naheliegender.« Sie zuckt die Schultern. »Wir müssen sowieso erst mal den Obduktionsbericht abwarten.«
»Aber warum wurde er umgebracht?«, frage ich wenig originell.
»Ja, das ist immer die ganz große Frage«, entgegnet die Kriminalistin leicht spöttisch. Dann beugt sie sich zu mir vor. Ihr Gesichtsausdruck ist auf einmal konzentriert. »Mo, wo du schon fragst. Weißt du, ich hab gedacht, weil du doch als Hofkontrolleur arbeitest …«
»Nein! Echt, Melly. Ich bin da raus!« Ich lege mein Besteck zur Seite und hebe abwehrend die Handflächen nach außen.
»Aber sieh mal, Mo, es wäre ideal! Du hast Zugang zu den Bauernhöfen, ohne dass es auffällt. Auch zu dem von Ulrich Wuttke. Und zu dem des Mordopfers. Er war nämlich auch Landwirtssohn.«
Als ich nichts sage, ergänzt sie: »Du weißt, dass ich dich nicht gern frage. Du bist Laie, es ist nicht erlaubt. Und ja, bei den letzten Ermittlungen war es hier und da ein bisschen heikel für dich, aber …«
»Ein bisschen heikel?« Ich rufe es fast, und ein paar der anderen Tofu-Aktivisten schauen erstaunt zu uns rüber. »Eure Täter«, ich betone das Wort, »hatten es seltsamerweise immer nur auf mich abgesehen. Gleich mehrmals wäre ich fast die nächste Leiche geworden, falls du dich erinnern möchtest. Und dann wäre meine Tochter …« Ohne Vater aufgewachsen, wollte ich eigentlich sagen. Aber gerade noch fällt mir ein, dass sie das sowieso muss. Weil meine Exfrau Nabisha mich verlassen hat, als unser Baby kaum auf der Welt war, und zwar ohne mir den Grund zu sagen. Fahrig sage ich: »Fast hätte Banu keinen Vater mehr gehabt.«
»Aber es ist doch nichts passiert.« Die junge Beamtin sieht meinen Gesichtsausdruck. »Okay, es war ein paarmal brenzlig. Aber das ist wirklich die Ausnahme. So was kommt sonst fast nie vor.«
»Klar.« Ich sehe bockig weg.
Sie tut, als bemerke sie es nicht. »Weißt du, was seltsam ist?«, fragt sie nachdenklich.
Ich nehme betont gelangweilt einen Schluck von dem Tee. Er schmeckt, als wollte man damit irgendeine Krankheit kurieren.
»Dass der Ermordete überhaupt keine Feinde hatte«, beantwortet Melly ihre Frage selbst. »Im Gegenteil, er war im Junggesellenverein und bei der Freiwilligen Feuerwehr. Alle sagten übereinstimmend, was für ein toller Freund und Kamerad er war.«
»Tja, irgendeinen Feind hatte er offenbar doch«, sage ich, ehe ich es verhindern kann.
Melly sieht mich so aufmerksam an, als hätte ich gerade etwas unfassbar Weises gesagt. Ich argwöhne, dass sie mich einwickeln will.
Sie nickt ernst. »Bis du mir gerade den Namen genannt hast, hat den Wuttke niemand erwähnt. Wenn ich mich recht erinnere, steht er auch auf keiner Mitgliederliste der zwei Vereine, in denen der Ermordete aktiv war. Der Tote ist zwar auch Bauernsohn. Sein Vater und er bauen Getreide und Gemüse an, in Swisttal-Odendorf. Mit Tierhaltung haben sie gar nichts zu tun.«
»Schon skurril, das mit der Ohrmarke«, sage ich unwillkürlich und könnte mir schon wieder auf die Zunge beißen. Am liebsten würde ich auch noch fragen, wie der Tote hieß. Zumindest aus unserer Kartei kenne ich fast jeden Hof der Region. Aber wenn ich noch mehr Interesse zeige, ist mein Widerstand gegen Mellys Sirenengesang Geschichte.
Doch die Jungkommissarin zieht gnadenlos den nächsten Joker. »Der Ermordete hieß übrigens Simon Hellwig.«
Diese Frau ist mir gerade entschieden zu unheimlich.
»Kennst du den Hof der Hellwigs?«, schiebt sie neugierig nach.
»Nur vom Namen«, sage ich einsilbig. »Ich war selbst aber noch nie dort.«
»Wir müssen wissen, wo die Verbindung zu Wuttke ist«, sagt Melly. Jetzt sieht sie mich eindringlich an. »Mo. Das ist keine Ermittlung! Du wärest nur … eine Art Berater.« Ihre Augen spiegeln reinste Unschuld. »Ich selbst tappe völlig unbedarft auf den Höfen herum, mir erzählt doch keiner was«, ergänzt sie.
Ich zögere und sehe an Melly vorbei. Wenn ich ganz ehrlich sein soll, kitzelt es mich schon ein kleines bisschen, dieser mysteriösen Sache auf den Grund zu gehen.
Andererseits kommt mich meine achtjährige Tochter Banu in wenigen Tagen besuchen. Das allererste Mal. Klar hätte ich versuchen können, schon früher Treffen durchzusetzen. Aber ich hatte Angst, Banu zu verschrecken, wenn sie ihren Vater unter Zwang treffen muss. Ich habe mich darauf beschränkt, Unterhalt zu überweisen. Doch auf Mellys Rat hin habe ich mich getraut und Nabisha einen Brief geschickt. Hab ihr geschrieben, dass es mir leidtut, dass zwischen uns offenbar alles schiefgelaufen ist. Danach hat Nabisha zum ersten Mal zurückgeschrieben. Und gesagt, dass Banu mich einige Tage besuchen kann. Ich kann kaum noch schlafen.
Aber vielleicht ist der Fall ja bis dahin längst gelöst. Und ich könnte ein paar Infos beisteuern, ohne gleich den Ermittler zu spielen.
»Ich kann mich mal umhören«, sage ich zögernd. Schließlich will ich nicht wirken, als wäre ich leicht zu haben. »Dass etwas dabei herauskommt, kann ich aber nicht versprechen«, ergänze ich.
Mellys Mundwickel zucken, aber sie reißt sich zusammen. »Gut«, sagt sie sachlich.
Wir schweigen ein paar Augenblicke. Dann stützt sie das Kinn auf den aufgestellten Arm, pustet sich den Pony aus der Stirn und grinst mich nun doch breit an.
»Denk bloß nicht …«, fange ich an, aber sie unterbricht mich.
»Ach Mo, es geht wirklich nur um ein bisschen Unterstützung.«
»Aber dann fehlt noch jemand«, sage ich. »Was ist mit Heinz?«
»Ich seh nicht, wo er diesmal helfen könnte. Ich will ihn da nicht mit reinziehen. Für ihn ist es noch riskanter, er ist Polizeibeamter. Er kriegt ein Disziplinarverfahren, wenn er Kriminalist spielt. Zumal er dabei gern mal in Uniform auftritt, wie du weißt. Wir haben das schon zu oft riskiert.«
Das alte Lied. Ich finde, Heinz kann selbst entscheiden, ob er das Risiko eingehen will. Andererseits wird es ja sowieso keine Wiederauflage unserer inoffiziellen Soko geben.
»Mal was anderes«, sage ich. »Was war denn das für ein Stein auf dem Foto? Ich meine, der, an dem der Ermordete gelehnt hat. Ist das ein Grab?«
»Ach so, nee, das ist ein alter Grenzstein. Er steht im Kottenforst bei Buschhoven.«
»Und was ist darauf zu sehen? Ein Muster?«
»Kein Muster. Ein Hase. Den hat ein unbekannter Steinmetz vor langer Zeit da eingemeißelt.«
»Ein Hase?« Ich sehe sie überrascht an, und sie zeigt mir ein Handyfoto von dem Stein, diesmal ohne Leiche. Der Hase sieht aus, als ob er fröhlich tanzt.
»Es hat mit einer alten Legende zu tun«, erklärt sie. »Es gab mal eine Treibjagd im Kottenforst, irgendwann im neunzehnten Jahrhundert. Angeblich haben sieben Jäger versucht, mit sieben Schüssen einen besonders schlauen Hasen zu erlegen. Aber der hat so geschickt Haken geschlagen, dass er ihnen entwischt ist.« Sie lächelt. »Deshalb heißt der Stein im Volksmund ›Siebenschuss‹.«
»Aber wieso mag der Tote genau da abgelegt worden sein?«
»Keine Ahnung. Wenn man das mit der Ohrmarke bedenkt, hat der Täter offenbar ein Faible für Inszenierungen.«
Wir schweigen nachdenklich.
Dann nehme ich den Faden wieder auf. »Da werde ich wohl heute Nachmittag mal eine unangekündigte Betriebskontrolle bei Ulrich Wuttke vornehmen, von dem die Ohrmarke stammt, oder?«, sage ich und seufze ergeben.
»Ich hatte gehofft, dass du das sagst.« Melly atmet auf. »Dann gehst du am besten noch vor mir dahin, damit er nicht aufgeschreckt wird. Ich vernehme ihn dann später.«
»Wann genau wurde dieser Simon Dings … Hellwig eigentlich ermordet?«, frage ich. Wenn ich schon auf seinem Hof bin, kann ich Landwirt Ulrich Wuttke auch gleich nach seinem Alibi fragen.
»Der Gerichtsmediziner sagt, der Tod trat etwa zwischen neunzehn und einundzwanzig Uhr ein.«
Als ich eine halbe Stunde später in meinen Wagen steige, ist es innen so heiß, als hätte ich direkt in der Sahara geparkt. Während ich die Tür noch etwas offen lasse und darauf warte, dass die aufgeheizte Luft nach draußen zieht, starre ich durch die Windschutzscheibe. Unbehaglich frage ich mich, was genau ich gerade vorhabe. Egal, wie ich es nenne, ich mische mich schon wieder in die Arbeit der Kripo ein. Und das will ich immer noch nicht. Ich beschließe, nur diesen einen Besuch auf Landwirt Wuttkes Hof zu machen. Die anderen Bauern müssen sich Melly und Konsorten selbst vornehmen. Entschlossen drehe ich den Zündschlüssel.
»Ich hab überhaupt keine Zeit für Sie«, protestiert Landwirt Wuttke, als ich ihm verkünde, dass heute eine spontane Kontrolle anstehe. »Eine meiner Sauen hat eine Infektion am Gesäuge. Ich kann mich nicht auch noch um Beamte kümmern, die nicht wissen, wie sie die Zeit totschlagen sollen.« Der Mann mit dem buschigen Schnauzbart macht Anstalten, mich einfach stehen zu lassen.
Offenbar muss ich ihn ein bisschen einschüchtern. »Gut, dann notiere ich, dass Sie die Kontrolle verweigern. Das gibt natürlich ein Bußgeld.« Ich klappe gleichmütig mein Tablet auf. »Das wird nicht billig.« Ich fange an, etwas einzutippen.
Er dreht sich ungläubig zu mir um. »Sie können doch nicht einfach hier auftauchen und verlangen, dass ich alles stehen und liegen lasse!«, empört er sich.
»Doch, kann ich«, sage ich tiefenentspannt. »So sind die Gesetze.« Was übrigens stimmt, da sind wir Kontrolleure klar im Vorteil.
»Das ist Amtswillkür!«, schimpft er. Als ich nicht reagiere, sondern konzentriert weiterschreibe, knickt er ein. »Da es anscheinend unbedingt sein muss«, knurrt er wütend. »Dann machen Sie aber schnell!«
»Immer mit der Ruhe«, sage ich und schließe das Tablet. Ich habe die Betriebskontrolle gerade in unser Amtssystem eingefügt, damit alles offiziell ist. Weil unser Behördenchef Luzius Frings ein Herz für neue Programme hat, müssen wir uns momentan schon wieder in eine fremde Software einarbeiten. Sie hat den poetischen Namen GEIL. Zum Bedauern einiger Kollegen bietet sie aber keine sexy Fotos für die Mittagspause. Außer man findet den Anblick eines Kartoffelfelds erregend. Sondern GEIL ist die Abkürzung für »Geografisches Entwicklungs-Informationssystem in der Landwirtschaft«. Ich übersetze es aber gern mit: Gnadenlos ehrliche Infos lieber jetzt als gleich. Schließlich können wir damit kontrollieren, ob die Landwirte uns in ihren Subventionsanträgen nicht bescheißen.
Erstaunlicherweise hat unser Programm diesmal nichts gegen meine Manipulationen einzuwenden. Im Gegenteil, GEIL hält die Kontrolle für eine prima Idee, weil der Betrieb von Landwirt Wuttke sowieso demnächst fällig gewesen wäre.
Wuttke stellt widerwillig einen Mitarbeiter für die kranke Muttersau ab. Als Erstes laufen wir einen Acker mit zwei Hektar Futterrüben ab. Ich bestimme mit meinem GPS-gesteuerten Vermessungsgerät kurz die Ackergröße. Dabei sage ich beiläufig: »Sie haben zweihundert Mastschweine plus vierzig Zuchtsauen. Da bleibt nicht viel Zeit fürs Privatleben, oder?«
Erstaunt über so viel plötzliches Mitgefühl zögert Wuttke kurz, dann bricht es förmlich auch ihm heraus. »Is’ so! Ich weiß nicht mal, wie man Freizeit buchstabiert.« Er lacht bitter. »Oder gar Urlaub. Den hab ich seit acht Jahren nicht gemacht.«
»Dann haben Sie wohl auch keine Zeit, um in den örtlichen Vereinen aktiv zu sein?«, frage ich mitfühlend. So als ob ich selbst den Hals von organisierter Geselligkeit nicht voll genug kriegen könnte.
»Nee. Macht aber nix, ich bin eh nicht der Typ für so was.«
»Ah, dann haben Sie vielleicht noch gar nicht gehört von der Sache mit Simon Hellwig? Von der Freiwilligen Feuerwehr?«
Er sieht auf. »Der Sohn vom alten Hellwig? Wieso, was ist mit dem?«
»Er ist ermordet worden. Gestern Abend.« Ich beobachte seinen Gesichtsausdruck.
Er steckt die Hände in die Hosentaschen, atmet einmal schnell aus und sieht über das Rübenfeld. »Nee, davon hab ich nix gehört.« Er kratzt sich an der Nase, dann sieht er mich an. »Wie ist er denn … ich meine, getötet worden?«
Ich weiß nicht, wie ich seine Reaktion deuten soll. Müsste er nicht überraschter sein oder sogar erschrocken?
Ich gehe nicht auf seine Frage ein. »Wissen Sie, was makaber ist?«, frage ich. »Dass der Tote eine Ohrmarke getragen haben soll.«
Jetzt steht dem Bauern der Mund offen. »Eine Ohrmarke?«
»Genau. Die für Schweine.« Und bevor er sich sortieren kann, setze ich nach: »Sie verwenden diese Marken doch auch. Nicht dass die am Ende von Ihrem Hof stammt?« Interessiert sehe ich ihn an.
Er löst sich aus seiner Starre. »Spinnen Sie jetzt völlig? Was soll denn das?« Wut und Unsicherheit wechseln sich auf seinem Gesicht ab wie Wetterleuchten. »Ich hab nichts mit Ohrmarken an irgendwelchen Leichen zu tun.«
Ich setze ein unbeteiligtes Gesicht auf. »Sicher. Die Polizei wird das bestimmt auch rasch feststellen.«
Auf einmal scheint er zu begreifen, was das alles für ihn bedeuten könnte. »Sie meinen, die Polizei wird hier auf den Hof kommen?«
»Nein«, sage ich beruhigend. »Außer natürlich, wenn die Ohrmarke von Ihrem Betrieb stammt.«
»Aber das wäre ja …« Er fährt sich nervös mit den Fingern durch die Haare. »Quatsch, die kann gar nicht von hier sein.«
»Nee. Und außerdem haben Sie doch bestimmt ein Alibi für gestern Abend, oder?« Ich beglückwünsche mich dazu, wie geschickt ich das Thema angeschnitten habe. Vermutlich hätte ich eine richtig große Karriere bei der Kripo machen können. Kurz sonne ich mich in der Vorstellung. Kriminaldirektor Graf Gryn von Frenz.
»Alibi?« Ein dünner Schweißfilm hat sich auf Ulrich Wuttkes Oberlippe gebildet. Hektisch überlegt er laut: »Also, bis acht war ich im Stall, und da hat mich auch der Dings, Milan Romanescu, gesehen, einer der Saisonarbeiter. Danach bin ich rein, meine Frau hatte Wirsingeintopf gemacht.«
Er scheint ganz vergessen zu haben, dass er mir nicht Rede und Antwort stehen muss. Ich sage nichts, um seinen Redefluss nicht zu unterbrechen.
»Danach haben wir ferngesehen. Und weil ich abends immer total platt bin, war ich um zehn im Bett. Meine Cornelia kann das bezeugen.« Schon etwas beruhigter sieht er mich an.
Ich nicke und denke, dass das Alibi nichts taugt, denn das Zeugnis einer Ehefrau ist bekanntermaßen nicht ganz neutral.
»Und Ihre Angestellten?«, frage ich.
»Ich hab nur einen, der fest hier arbeitet, den Bernd. Das ist der, der gerade bei der Muttersau mit der Entzündung ist. Der Rest sind Saisonarbeiter. Aber das mit den Ohrmarken mach ich immer selbst.«
»Hatte denn jeder Zugang zu den Ohrmarken und der Zange?«, frage ich ungerührt weiter. Aber meine Glückssträhne ist vorbei. Ich sehe es an Wuttkes Gesicht.
»Sagen Sie mal, wollen Sie mich aushorchen? Hat einer von den anderen Landwirten etwa gesagt, ich wäre der Mörder? Wer hat das behauptet?« Wütend starrt er mich an, die Hände zu Fäusten geballt.
»Keiner. Aber wegen der Ohrmarke ist jeder Schweinehalter der Gegend erst mal verdäch…«
Er hört nicht zu. »Wenn das einer über mich sagt! Dem haue ich die Schnauze aus der Fresse«, schäumt er.
Interessiert sehe ich ihn an. Ein lupenreiner Choleriker. So hätte ich ihn gar nicht eingeschätzt. Vielleicht kannte er den Toten sehr wohl und hatte mit ihm einen Streit, der eskaliert ist? Ich denke daran, was Melly über die Fußtritte gesagt hat.
Ich lenke Ulrich Wuttke mühsam ab, indem ich sage, dass ich mir als Nächstes noch seine Heuwiesen ansehen will. Nur langsam beruhigt sich der Landwirt wieder. Mir tut Melly jetzt schon leid, die ihn später auch noch befragen muss. Ich werde ihr sagen, dass sie lieber nicht allein herkommen soll.
Und das mache ich dann auch, als ich nach drei Stunden mit der Kontrolle endlich fertig bin und sie anrufe.
Sie pfeift durch die Zähne. »Ganz schön professionell, wie du ihn aus der Reserve gelockt hast, alle Achtung!«
»Ein Alibi nur von seiner Ehefrau wäre natürlich eher müde«, schränke ich ein. »Und ob die Ohrmarken gut zugänglich waren und wer sich daran vergriffen haben könnte, konnte ich auch nicht mehr rauskriegen.«
»Das kann ich ihn auch noch fragen«, entgegnet Melly.
Mir fällt ein, dass ich sie noch warnen wollte. »Nimm aber einen Kollegen mit, der Wuttke ist verdammt reizbar«, sage ich, und sie verspricht es.
Als ich in Rheinbach auf den Parkplatz unserer Behörde fahre, sehe ich zu meiner Überraschung den Streifenwagen von Heinz dort stehen. Sofort packt mich das schlechte Gewissen, weil Melly und ich ihm bisher nicht von dem Fall erzählt haben. Eigentlich gibt es ja auch gar keinen Fall, beruhige ich mich.
Als ich ins Amt komme, ist der Polizeiobermeister nirgends zu entdecken. Vermutlich hockt er drinnen beim Frings, unserem charismatischen Amtsleiter. Die beiden sind zusammen zur Schule gegangen. Und obwohl der bescheidene Heinz wenig gemeinsam hat mit Frings und seinem Riesen-Ego, hängen sie irgendwie aneinander.
Zuerst steuere ich unsere kleine Kaffeeküche an. Erfreut stelle ich fest, dass jemand frischen Kaffee aufgesetzt hat, die Kanne ist noch fast voll. Ich fülle meine Tasse und will gerade in mein Büro gehen, da geht hinten im Flur Frings’ Tür auf.
»Dann gehab dich wohl, mein Lieber, und komm bald wieder vorbei!«, sagt unser Chef gerade. »Und das mit der, du weißt schon … Das bleibt unter uns, ja?«
Heinz brummt irgendetwas Zustimmendes, und die beiden verabschieden sich per Schulterklopfen. Dann geht Frings’ Tür zu. Ich warte, bis Heinz sich nähert.
»Mensch, grüß dich, Heinz, lange nicht gesehen!« Lächelnd mache ich einen Schritt auf ihn zu.
Er macht einen kleinen Ausfallschritt und geht vorbei, ohne mich anzusehen. So als wäre ich nur eine Topfpflanze, die im Weg steht.
Sprachlos sehe ich ihm nach. »Heinz? Was …?«
Doch schon ist er durch die gläserne Amtstür durch, und ich sehe ihn die flachen Treppenstufen vor dem Gebäude runtergehen.
Ich mache ein paar eilige Schritte und greife nach der Glastür, die sich gerade wieder schließt. Dann laufe ich dem behäbigen Polizisten nach, der heute erstaunlich zügig geht. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass auch unser Amtsdackel Friedhelm der Zweite noch blitzschnell mit rausgeflitzt ist, bevor sich die Tür geschlossen hat.
»Heinz, jetzt warte doch mal!«
Friedhelm Zwei hat aufgeholt, und zusammen wetzen wir hinter dem Wachtmeister her. Doch Heinz erhöht sein Gehtempo noch. Er ist schon beinahe bei seinem Streifenwagen angelangt. In meiner Verzweiflung rufe ich: »Lass ihn nicht entkommen, Friedhelm!«
Der größenwahnsinnige Dackel, der sich insgeheim für einen Polizeihund hält, gibt mit seinen Stummelbeinen noch mehr Gas. Er schneidet Heinz den Weg ab, baut sich zwischen ihm und dem Streifenwagen auf und kläfft energisch.
»Mach Platz, Friedhelm!«, sagt der Polizist ungeduldig und will die Fahrertür öffnen. Doch nun setzt Friedhelm Zwei sein gefürchtetes Barrakuda-Gesicht auf. Das hat er sonst nur für den Kollegen Toni reserviert, den er nicht leiden kann. Besonders, seit Toni sein Techtelmechtel mit Friedhelms Frauchen Julia Koslowski beendet hat. Friedhelms nadelspitze Zähne blitzen hervor, und er knurrt drohend. Heinz bleibt seufzend stehen.
»Echt jetzt?«, fragt er genervt.
»Würdest du mir bitte mal verraten, was los ist?« Ich habe den Kampfdackel eingeholt und baue mich atemlos hinter Heinz auf.
Langsam dreht er sich zu mir um.
»Was los ist? Meinst du die Frage ernst?«
Ich erschrecke über den Gesichtsausdruck des bärtigen Polizisten, der mich ansieht, als hätte ich seiner Oma gerade die Rente aus der Handtasche geklaut.
Wieder packt mich das schlechte Gewissen. Doch Heinz kann eigentlich noch gar nicht wissen, dass ich und Melly …
»Warum habt ihr es mir nicht gesagt?« Er sieht aus wie ein gutmütiger Bernhardiner, den man geschlagen hat.
»Was gesagt?«, frage ich dümmlich.
Er sieht an mir vorbei. »Heute Morgen riefen gleich zwei junge Männer auf der Wache an. Sie haben sich erkundigt, wie weit die Polizei bei den Ermittlungen zu Simon Hellwig ist. Es ist immer verdächtig, wenn jemand bei uns nachhört, ob es schon Hinweise gibt. Deshalb hab ich sofort Melly informiert.« Er sieht an mir vorbei. »Sie wirkte irgendwie komisch am Telefon. Und auf einmal hatte ich eine Eingebung. Es ist schließlich ein Fall in der Bauernschaft, nicht wahr?« Jetzt sieht er mir in die Augen. »Ich habe sie gefragt, ob sie dich um Hilfe gebeten hat. Sie hat erst rumgedruckst, und dann hat sie behauptet, sie hätte dich nur nach ein paar Infos gefragt.« Jetzt rötet sich sein Gesicht, und ich kann nicht sagen, ob aus Wut oder aus Enttäuschung. »Ich dachte, wir wären Freunde. Ich dachte, unser Dreier-Team hätte immer gut funktioniert.«
»Ach Mensch, Heinz. Es stimmt doch. Wir sind Freunde!«
Er stößt spöttisch die Luft aus.
»Es ist nicht, weil wir dich nicht dabeihaben wollten.«
»Sondern?«
Ich hebe verzweifelt die Hände. »Na, weil Melly wieder ihre alte Phobie hatte. Dass sie schuld sein könnte, wenn du deinen Job verlierst und dann auf der Straße stehst und so weiter und so weiter. Die alte Leier, du weißt schon.«
»Aber …« Er wirkt hilflos. »Das ist doch allein meine Sache.«
»Ich weiß. Aber sie sieht das nicht so. Sie ist Kripobeamtin, und du bist ebenfalls Polizist. Und wenn sie dich in einen Mordfall reinzieht, dann … Du weißt doch, wie ihr das jedes Mal zu schaffen macht.« Ich setzte nach: »Außerdem mache ich gar nicht mit bei den Ermittlungen.«
»Nicht?« Zweifelnd sieht er mich an.
»Nee. Sie wollte nur, dass ich ihr sage, von welchem Hof diese Marke stammt, die der Tote am Ohr hat. Und dass ich da mal hingehe und dem Landwirt unauffällig ein paar Fragen stelle. Das hab ich gemacht, und das war’s.«
Heinz wirkt nicht mehr ganz so aufgebracht. Ich habe eine Idee.
»Sag mal, hast du nicht auch gleich Feierabend?«, frage ich. »Ich mach für heute Schluss, und ich finde, ein Ausklang in der ›Sitzenden Wildsau‹ wäre genau das Richtige.«
Heinz’ Gesicht leuchtet kurz auf. Dann guckt er bockig. »Ich weiß nicht. Eigentlich hab ich keine Zeit, ich muss noch Berichte schreiben.« Konzentriert knibbelt er eine unsichtbare Fluse von seinem Ärmel.
»Ach, jetzt komm schon, Heinz!« Ich fasse ihn sanft an den Schultern, schüttle ihn ein wenig und grinse ihn an. Und endlich erscheint ein schwaches Lächeln auf dem Gesicht des Polizisten.
»Du scheinst ja ein üppiges Gehalt zu bekommen, wenn du sogar zweimal am Tag auswärts essen gehen kannst.« Melly nippt an ihrem alkoholfreien Bier und sieht ein bisschen vorwurfsvoll auf meinen Teller, auf dem sich ein goldener Berg aus Bratkartoffeln mit knusprigem Speck auftürmt, begleitet von einer dicken Scheibe hausgemachter Sülze mit Senf und Remoulade. Ich sage ihr nicht, dass ich heute Mittag beim Veganerzwerg nicht wirklich satt geworden bin.
Melly wollte mir vorhin am Handy von ihrem Besuch bei Bauer Wuttke berichten. Als ich erzählt habe, wo Heinz und ich gerade sind, hat sie kurz gestutzt und ist dann zu uns gestoßen. Als sie zögernd zu unserem Tisch kam, hat Heinz finster auf seine Bratwurst mit Pommes geschaut, ohne sie zur Kenntnis zu nehmen.
»Jetzt guck nicht so, Heinz!«, fing Melly verlegen an. »Ich wollte halt nicht, dass du …«
»Ich kann bei dem Fall sehr hilfreich sein«, stieß er gekränkt hervor. »Man kennt mich hier, die Leute vertrauen mir. Ich kriege eher mal was erzählt als ihr smarten Büroleute aus Bonn.«
»Ich weiß. Verdammt, es tut mir leid!« Sie wand sich. »Aber ich wollte von Mo nur ein paar Informationen.« Sie sah so unbehaglich aus, dass der Polizist schließlich brummte: »Jetzt hör auf, so rumzuzappeln, Melly, und setz dich endlich mal hin!«
Erleichtert hat die Oberkommissarin sich neben ihn plumpsen lassen und ihre Jeansjacke ausgezogen. Anschließend habe ich Heinz von meinem Besuch bei Ulrich Wuttke berichtet und davon, dass er kein echtes Alibi hat.
»Hat er dir noch was Neues erzählt, als du da warst?«, frage ich nun an Mellys Adresse.
»Zunächst schien er schockiert, dass die Ohrmarkennummer wirklich von seinem Betrieb stammt. Sein Schrecken kam mir echt vor. Die Marken hat er angeblich im Büro aufbewahrt, in einem verschlossenen Schrank. Und nur er selbst hat sie in die Ohren der armen kleinen Ferkel … gestanzt.« Melly erschauert unwillkürlich.
»Ich glaube, das ist auch üblich«, sage ich. »Also, dass er das selbst gemacht und nicht irgendwelchen Mitarbeitern überlassen hat. Er muss genau Buch darüber führen und die Tiere online im Register anmelden.«
Melly nickt. »Von seinen elf Saisonkräften will auch keiner irgendwas mitbekommen haben, die Kollegen haben sie alle befragt. Sie sind aus Osteuropa. Aus Rumänien, der Slowakei, Bulgarien, Polen und so. Sie sind nur für ein paar Monate hier. Sie kennen das Mordopfer nicht mal, sagten sie. Sie bleiben wohl eher unter sich. Nach Feierabend grillen sie meistens vor ihren Unterkünften und sitzen bis spät zusammen.«
»Was ist mit Wuttkes einzigem festen Angestellten?«, frage ich. Ich denke an den Mitarbeiter, der vorhin die Behandlung der Zuchtsau übernommen hat.
»Bernd Krumme. Er behauptet, er habe noch nie eine Ohrmarkenzange benutzt. Muss natürlich nicht stimmen.«
»Sind denn keine Fingerabdrücke auf der Zange?«, fragt Heinz.
»Den Zangen«, korrigiert Melly. »Wuttke hat mehrere. Er sagt, er weiß nicht genau, ob es drei oder vier sind. Auf denen, die er hervorgekramt hat, waren nur seine eigenen Abdrücke. Vermutlich hat der Mörder eine mitgenommen. Falls Wuttke es nicht selbst war, natürlich.«
»Wo war dieser Knecht, der Bernd Krumme, denn zur Tatzeit?«, hakt Heinz nach.
»Heinz, man sagt heute nicht mehr Knecht«, sagt Melly halb tadelnd, halb amüsiert. »Also, Krumme hat angeblich abends bei seiner Mutter irgendwas repariert. Sie ist in Frührente wegen Raucherhusten oder so. Er schaut öfters bei ihr nach dem Rechten. Sie hat es bestätigt.«
»Auch wieder so ein lauwarmes Alibi«, moppert Heinz. »Was war denn eigentlich mit den beiden Jungs, die mich heute Vormittag angerufen haben? Du weißt schon, die wissen wollten, ob wir bereits was über den Täter rausgekriegt haben.«
»Ah, stimmt, das wollte ich noch erzählen«, sagt Melly. »Also, den Ersten habe ich zurückgerufen, um ihm auf den Zahn zu fühlen. Er war bloß vom Junggesellenverein dazu verdonnert worden, mal bei uns nachzufragen. Aus Neugier oder Betroffenheit oder beidem. Es war ihm ganz klar unangenehm. Der zweite Anrufer war da schon interessanter. Tom Caspari.«
Ich habe mich bisher zurückgehalten, schließlich ermitteln wir nicht. Ich zumindest nicht. Doch jetzt rutscht es mir neugierig raus: »Wer ist das?«
»Er war wohl der beste Freund von Simon Hellwig. Deshalb sind wir da mal hingefahren, nachdem wir beim Wuttke waren. Caspari wohnt in Euskirchen. Er hat geflennt wie ein Schlosshund über seinen toten Kumpel. Er war richtiggehend außer sich. Ich hab selten jemanden so laut weinen hören.«
Wir schweigen. Ich denke, dass der Tod eines Menschen einen Abgrund direkt vor den Füßen derer aufreißt, die gestern noch glaubten, sie stünden auf sicherem Boden.
»Es kam mir fast ein bisschen übertrieben vor«, sagt Melly, die immer so verdammt sachlich sein muss.
»Wie haben eigentlich die Eltern des Toten reagiert?«, frage ich unwillkürlich.
»Wir konnten bisher nur mit dem Vater sprechen.« Melly streicht nachdenklich an ihrem Bierglas entlang. »Gleich heute Morgen, nach Auffinden der Leiche. Zuerst hat er ewig nichts gesagt. Dann murmelte er so was wie: ›Tja, davor ist heute keiner mehr gefeit‹, oder so ähnlich.«
Als wir sie überrascht anstarren, sagt sie: »Das muss nicht immer was heißen. Gerade Männer reagieren in derartigen Situationen manchmal betont kontrolliert. Die Psyche hat bei jedem andere Strategien, um mit so einer Nachricht umzugehen.«
»Trotzdem. Nicht zu fassen«, sagt Heinz. »Und Simons Mutter?«
»Hat die Familie sang- und klanglos verlassen. Schon vor Jahren. Hellwig weiß nicht, wo sie lebt. Wir versuchen gerade, sie zu finden.«
»Wie alt war der Tote eigentlich?« Ich muss an das Foto von der Leiche denken. Der junge Mann hatte höchstens wie neunzehn ausgesehen.
»Dreiundzwanzig. Und sein bester Freund, dieser Caspari, ist genauso alt. Sie kannten sich wohl schon seit dem Kindergarten.«
»Wo war Caspari gestern Abend?«, frage ich.
»Er hat kein Alibi. Muss er auch nicht, er ist bisher nicht tatverdächtig. Fragen darf man natürlich mal. Und er sagte, er sei in seiner Mietgarage in Euskirchen gewesen und habe den ganzen Abend an seinem Auto geschraubt. Keine Zeugen.«
»Sag mal, Melly, wo wir doch jetzt gemeinsam ermit…, ich meine natürlich, Informationen sammeln«, Heinz malt Anführungszeichen in die Luft. »Was steht denn im Obduktionsbericht? Und was sagt die Spurensicherung?«