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Gedichte aus mehreren Jahrzehnten, sowie kurze Prosastücke. Illustrationen der Autorin.
Das E-Book Hat wohl jemand eine Harfe in den Baum gehängt wird angeboten von Aufgang-Verlag und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Gedichte, kurze Prosa, eigene Bilder
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Seitenzahl: 116
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Ute Zydek
HAT WOHL JEMAND EINE HARFE
© 2015 Aufgang Verlag Augsburg © der Texte und Bilder: Ute Zydek Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Reproduktionen: Peter Karau, Bochum
ISBN
978 3-945732-00-7 Hardcover)978-3-945732-01-4 (Paperback)978 3-945732-02-1 (eBook)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de
Ute Zydek
HAT WOHL JEMAND EINE HARFE IN DEN BAUM GEHÄNGT
Gedichte und kleine Prosa
Vorwort
In den 1980er Jahren erschienen im Kiefel Verlag in Wuppertal drei Bücher mit Gedichten von Ute Zydek: „Ein Haus das hab ich nicht“; „Hoffnung trag ich noch immer“ und „Herzsprünge“. Die Autorin war selbst längere Zeit Lektorin in diesem Verlag, der vor Jahren aufgehört hat zu existieren. So sind die liebevoll gestalteten Gedichtbände nicht mehr zu bekommen. Vor ein paar Jahren hat Ute Zydek zwei Bändchen mit neueren Gedichten im Selbstverlag veröffentlicht mit der stillen Hoffnung, dass sich eines Tages ein Verlag dafür interessiert.
Ich kenne Ute Zydek seit vielen Jahren und habe mich immer wieder mit ihren Gedichten befasst. Von Anfang an beeindruckten sie mich durch ihre „Echtheit“, ihre offenkundige Nähe zu erlittenem Leid, ihr Hin- und Hergerissensein zwischen Hoffnungslosigkeit und der Suche nach Licht. In allen Gedichten begegnen dem Leser der Ernst und die Tapferkeit der Autorin und lassen ihn nicht wieder los.
Seit langer Zeit bedauerte ich, dass dieser Schatz unzugänglich geworden war, und ich trug mich häufig mit dem Gedanken, ihn wieder zu heben. Doch bis vor kurzem hatte ich nicht die Möglichkeit. Jetzt aber kann ich einen umfassenden Überblick über Ute Zydeks Werk anbieten. Möge das vorliegende Buch dazu beitragen, für diese Autorin viele neue Leser zu gewinnen.
Im Dezember 2014 Christoph Rinser
I
EIN HAUS DAS HAB ICH NICHT
Immer auf dem Sprung
Eine zähe Katze
aus Versehen
nicht ersäuft
eine stolze Katze
und schwermütig
eine streunende Katze
ewig hungrig
Katze mit dem
grünen Blick
dem ur-alten
immer
auf dem Sprung
Eine Heimat nicht gefunden
Seit Jahrzehnten auf der Flucht
nie angekommen irgendwo
Landschaften durchquert
an Türen gepocht
immer wieder abgewiesen worden
streunend weitergezogen
manchem hinterhergetrottet
viel gehungert und gefroren
zuweilen in Herbergen gerastet
dort Brot und Gnade bekommen
aber
eine Heimat nicht gefunden
Schwarzer Vogel
Schwarzer Vogel
Trauervogel
hast es dir
wohnlich gemacht
als wär ich
dein Baum
Nur selten
fliegst du weg
Ich singe und tanze
ein Aufatmen lang
Trauervogel
du kommst
zurückgeflogen
schwarz und schwer
so vollgefressen
dass mein Geäst
tiefhängt
und aufstöhnt
Harlekin
Harlekin auf meinem Korbstuhl
ich schau dich an
du starrst ins Leere
dein Porzellangesicht
hat eine Träne
mein Tränengesicht
ist nicht aus Porzellan
mit hängenden Armen
sitzt du
hängenden Beinen
schwarzseidig
kalkgesichtig
du Harlekin Ich
Lebenslauf
Hart an der Grenze von
Auschwitz zum Leben gekommen
umspült vom Blutgestöhn
der Geschändeten
befrachtet mit ihrem Leiden
dem Schuld- und Sühnegedanken
lebenslang ausgeliefert
Wer bin ich
Ich möchte die sein
die ich bin
aber wer bin ich?
Menschwerdung
Ich werd mich übergeben müssen
noch und noch
ich werd mich häuten müssen
sieben mal siebenmal
Hat wohl jemand eine Harfe in den Baum gehängt
Zerrissen-kaputtes Herz
ich hängs in den Birnbaum vom Nachbarn
geh herzlos umher unangreifbar
die Leut findens gut sagen na siehst du
und schütteln mir freundlich die Hand
Nur nachts wenn ich still lieg und horche
klingts wie zerrissenes Schluchzen und ich denk
hat wohl jemand eine Harfe in den Baum gehängt
und der Wind fährt drüber da weint sie
Der See
Im Wald von Cadlub
der verzauberte See
wo Großmutter ging in ihrer Kindheit
wo das Geisterlachen erklang
übern See sich bunte Luftballons
und Bänder schlangen
wo der Teufel dann in die Hände klatschte
und der Vater den Kindern befahl
sich um Gottes willen
nicht umzudrehn
Rumpelstilzchen
Ach wie gut dass niemand weiß …
Zwergig hüpfend
triumphierend
Fieberglanz in Koboldaugen
Rumpelstilzchen freut sich sehr
Kommt am Tag
in Menschengassen
sagt den Namen nicht
und schweigt
Kehrt zurück zum hohen Berge
an das lodernd helle Feuer
will die alten Sprünge machen
Doch da kriecht ein Ungekanntes
an dem Zwergenwichte hoch
Rumpelstilzchen will sich wehren
stampft vor Zorn
rauft sich die Haare
wird dann still und immer stiller
in dem dunklen dunklen Wald
Ach wie schlimm dass niemand weiß …
Lasst mich die Grenzen überschreiten
Lasst mich Gift und Galle spucken
meine Anklagen hinausschrein
Gerechte und Ungerechte beschimpfen
weinen und wehklagen
den Hohn in die Gärten
der Vorstadt lachen
den Tod aus den Gräbern
der Friedhöfe sammeln
die Trauer aus meinem
Dachfenster hängen –
lasst mich die Grenzen überschreiten
damit ich wieder leben kann
Schwere Zeiten
Alle sagen:
denk an die Blinden und Lahmen
an die vielen die
wirklich leiden
Alle sagen:
du musst aktiv werden
anderen helfen und
nicht an dich denken
Manche sagen:
auch wir hatten schwere
Zeiten und Depressionen aber
wir nahmen uns zusammen
Manche sagen:
man dürfte dir keine Hilfe geben
auch nicht das Existenzminimum dann
würdest du dich besinnen
Und manche denken und
wenige sprechen es deutlich aus:
im Dritten Reich da hätten sie dich …
Na ja …
Und ich weine
Und ich weine
weine über den Menschen
der weder leben
noch sterben kann
Sterntaler-Mädchen
Das Leben ist nicht so
sagen sie
es gibt keine Wunder
Sterntaler-Mädchen
Nacht-Worte
Mond
Sturm
Wolkenfetzen
Nachthexen
Stille
Uhrticken
Stöhnen
Schlaflosigkeit
Zerrissenheit
Allein
Weil sie daheim verkommen wollt
Feuer wird ausbrechen Feuer uns aufbrennen
rauskommen wir nie mehr auch du nicht
Tag Tag Nacht Nacht die Alte hämmerts mir ein
mit bösem Blick und wirrem Haar angebunden
hat man sie an Händen Füßen festgeschnallt
damit sie nicht mehr kratzen schlagen kann
und keift doch weiter wehrt sich wo sie kann
macht wohl aus Trotz auch unter sich ich hörs
die Schwestern sagen doch alles hilft ihr nichts
Der Sohn hat sie gebracht hierher weil
sie daheim verkommen wollt und böse war
man wird sie hier schon stille kriegen
und lieb wenn erst die Infusionen laufen
Dunkler Gott hör
Dunkler Gott dunkler
hier in dem Haus des Wahnsinns
hast uns vergessen vielleicht die
nicht mehr können und wollen
und sich zerstören die
verachtet von allen geächtet
weil so erbärmlich gesunken
dunkler Gott dunkler hör
Zonengrenze
Schnee überm Grenzland
die Füchse davongejagt
Reglosigkeit
Kein Weg
kein Gleiten
übers Schneefeld
Ödland
Nur Krähen
wagen
zu schrein
Ich schweig ihn laut
Dein Name abgenutzt
vom vielen Schreien
Wimmern Stammeln
Betteln Drohen
ich schweig ihn
laut
Kaum beachtet
Stängel
der die Blüte hält
kaum
beachtet
Meine verzauberte Stadt
Meine verzauberte Stadt
hat rote Türme
darüber fliegen zwei Engel
Sie hat eine blaue Kirche
und ein grünes Rathaus
Die Leute öffnen die Fenster
sie öffnen die Türen und
öffnen die Herzen
Keiner hat Angst vor dem andern
Niemand ist allein
Die Menschen sehen einander an
und finden sich wieder
Sie haben frohe Gesichter
und manche singen in den Straßen
Sie haben grenzenlos Zeit
zum Sprechen zum Freuen zum Lieben
Und alle Menschen achten einander
Es gibt viele Linden in der verzauberten Stadt
die duften und viele Birken die lächeln
und Kastanien die schweigen
Die Stadt hat einen Fluss
einen Fluss aus reinem Gold
der leuchtet weit weithin
Maiwald
Ein Grün ein Grün und noch ein Grün
Es schwimmt das Auge im Grünmeer
Brich mir das Herz nicht
Wald grüngrüner
Die Rose blüht auch
In die Luft
mal ich das Zeichen
den Kreis
Nichts wollen:
sein
Die Rose blüht auch
Siebe den Sand der Wüste
Siebe den Sand der Wüste
suche Goldkörner im Sand
Suche die Wüste nach Grün ab
Meine Lippen trocken-heiß
warten auf das Wunder
Wasser
damit die Wüste blühe
Bin Stein
Manchmal
werd ich zu Stein
Ich bewege mich nicht
ich rühre mich
nicht fort vom Fleck
bin Stein
wo alles sich bewegt
und bewegen muss
und dynamisch ist
Ich spreche nicht
ich esse nicht
und geh nicht
aus dem Zimmer
nicht ans Telefon
Ich erstarre
und werde mir selber fremd
und leide dennoch
als Stein
steinschwer
Ein Zauberer
kommt
niemals vorbei
mich zu berühren
und zu lösen
Wie auch
meine Türen sind zu
Aber Zauberer
könnten
doch zaubern …
Ich zieh den Mantel an und geh
Kein Zeichen fällt
aus deinem Mund
aus deiner Hand
Trüb hängt November
zwischen uns
Ich weiß nicht
soll ich mich
in diesem Grau bewegen -
lautlos sein?
Bereitet war der Tisch
die Stühle freigestellt
Nur Licht war anzuzünden
weil es dunkel ist
Gilt es nun abzuräumen
Spuren zu verwischen?
Ich zieh den Mantel an und geh
Der Schnee fällt
streifenweis
in mein Gesicht
Worte
I
Worte
auch eine Möglichkeit
zu überleben
Wie
wenn man sie
nicht findet?
II
Worte
die es möglich machen
zu dir zu kommen
ich habe sie nicht
Blindgeworden
grabe ich
einen Weg zu dir
einen unterirdischen
doch er
nützt mir nichts
Was
wenn der Maulwurf sich
nach Licht sehnt?
III
Mühsam suche ich
aus dem Trümmerhaufen
Worte
Wenige sind
mit denen es gelänge
eine Sprache zu bilden
In harter Arbeit
setze ich dennoch
Wort an Wort
aber
es ergibt keinen Sinn
Ratlos
blicke ich
auf die Trümmer
Zu schwer
Es hat
keinen Sinn
sich anklammern zu wollen
wenn man
zu schwer ist
Niemand
kann Schwere ertragen
Hätt ich doch
Vogelgewicht
Erlöse mich
Bin immer
im Winter
und mit Reif
beschlagen
Eiskristalle
wachsen
um meinen Mund
löse mich
erlöse mich
Ein Baum sollt ich sein
Als Baum gepflanzt
gedüngt
mit einem Zauberwort
so begann es
Die Wetter
aushalten
und die andern Bäume
ihre Art
wort-los
lernt ich gut
Jahre vergingen
Um mich
ein Rauschen
Grünen
Blühen
und ich nur Stamm
So mild auch
Regen und Wind
und Sonne
baumerwärmend
nichts Grünes
kam aus mir
Ich
ohne Zweige
ohne Blätter
erstickte
brach ab
Gegen Todesangst zu sagen
Schließlich
haben die vor mir
es auch gekonnt
das Sterben
Gegen Lebensangst zu sagen
Schließlich
haben die vor mir
es auch zu Ende gebracht
das Leben
Höhlenbewohner
Höhlenbewohner
hinterlasse Zeichen
an deiner Wand
Vielleicht ist es gut
wenn einer sie findet
nach deinem Erlöschen
Einer vielleicht
wird entziffern die Runen
und begreifen
was im Verstummen
zwischen Stein und Erde
geschah
Ich hör das Gras wachsen
Ich hör das Gras wachsen
Sieh doch sieh
so hoch schon
und höher noch
atemschnell
Erstickungsgefahr
Bin Staub
Bin Staub
Wind weh mich
fort
Nichts
lass zurück
als einen Tupfen
Licht
Und ich bemüht
Längst hat Oktober
sein Licht gelöscht
mit Sturmschritt
überlief uns November
riss letzte Blätter
von Bäumen ab
Hoffnungen auch
Öfter scheint
die Totenglocke
zu läuten
von überallher
hellhörig ist es
im Erdraum geworden
Und ich bemüht
in diesem November
mit meinen glitschigen Schuhen
nicht in die offenen Gräber
zu fallen
Manchmal
Manchmal
habe ich eine Seele
die ich spüre
und manchmal
habe ich
Nichts
Ein Gedicht
Zwischen
dem Nichts
von gestern
und dem Nichts
von heute
steht
ein Gedicht
Ich denke an Rilkes Herbsttag-Gedicht
Mein Sommer war nicht groß
wenn ich ehrlich bin
er war nie da
blieb fern
wie vieler Menschen Sommer
fernbleibt
Sein Schatten
lag verfrüht
auf Sonnenuhren
und arge Winde
warn vorzeiten los
Vollendung
ohne Sonne
ohne Süße
überhaupt
wie sollte das geschehn?
Zu keltern
eine derart kümmerliche Traube
verlohnt sich nicht
Ein Haus
das hab ich nicht
und werd ich niemals haben
Allein
werd ich wohl weiter bleiben
und wachen nachts
mich ängstigen und sehnen
Das Lesen
ist mir schwer geworden
und lange Briefe schreiben
wer
würde sie denn haben wollen?
Was bleibt
von Rilkes Herbsttag mir?
Das unruhig Wandern
zwischen Jetzt und Niemalsmehr
und manchmal noch
ein Laufen durch Alleen
im November
und irgendwo
ein klitzekleines
unbestimmtes
Fetzchen Hoffnung
Herr es wird Zeit
Wandlung
Einmal hatte ich
schweigend und entschlossen
die Augen zugemacht
jetzt bin ich fast blind
und möchte sehen
Einmal hatte ich
schweigend und entschlossen
alle Schläge hingenommen
jetzt schrei ich auf
bei der kleinsten Berührung
Es ist Zeit
Es ist Zeit
irgendwohin zu gehn
nicht stehenzubleiben
auf dem nämlichen Fleck
nicht zurück-
zuschaun nicht
zu weit nach vorn
beides könnte
dich töten
Immer
zu neuem Aufbruch bereit
mit gutem Schuhwerk
versehen
Brot im Beutel
und einen Schluck Wasser
Hunger und Durst
rechne damit
Den Namen des Ortes
wo du ankommen willst
schreib deutlich auf
einen Zettel
für den Beutel
und
in dein Herz
leicht vergisst sich
was am wichtigsten
Es ist
eine schwere Zeit
Lief und lief
Lief und lief
auf Feuersandalen
die Erde brannte
überall
Ich konnte nicht löschen
Und jetzt
in der Wüste
alles gelöscht
Warte auf Feuer
das mich verbrennt
Komm Bruder Feuer
komm bin bereit
Das neue Alphabet
Und ich suchend
das neue
Alphabet
Buchstaben die
sich sträuben
sich weigern
einen Sinn
zu bilden
NICHTS
wollen sie sagen
Dennoch
ich lege sie
auf den Amboss
aufglühn sie im Feuer
Ich biege sie
im Schweiße
meines Angesichts
Funken sprühn auf
unter meinem Hammer
Heiß ist und hart
das neue Alphabet
aus dem ich Worte
schlage
II
HOFFNUNG TRAG ICH NOCH IMMER
Grüne Fäden
Zerstört die Hoffnung
auf Leben
auf wiederkehrendes Frühjahr
Winter wird bleiben denk ich
wir habens verdient
Da weht mir die Birke
grüne Fäden ins Haar
ich kanns gar nicht fassen
Und sie kommt sie kommt
Hoffnung aus allen Ecken
Du weinst
Schnee auf Kirschblüten
zwiefache Reinheit
Du weinst?
Winterblumen
Winterblumen
wuchsen mir entgegen
duftlos und kühl
Ich wollte sie brechen
Meine Hand erfror
fiel herab
Spätsommer
In jedem Sommer
zittert Herbst in mir
es kann kalendermäßig
Mitte Juli sein
Und seh ich erste Dahlien
Sonnenblumen
befällt mich Schwermut
und Vergänglichkeit
wächst mir entgegen
Vielleicht ist es
Verlangen
nach dem Sommer
der meinem Leben
fremd blieb
Und wenn die Rose
gar zu heftig blüht