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Die somalisch-britische Autorin Warsan Shire ist eine Legende. Ihre Texte für Beyoncé machten sie zum Star. Ihre Gedichte fanden weltweit Millionen von Leser*innen. Mit ihren Versen machten Artikel der »New York Times« auf. Die Gedichte in »Haus Feuer Körper« sind eine der großen Überraschungen der Gegenwart: Sensibel und kompromisslos erkunden sie atmosphärisch dicht die Abgründe unserer Welt. Sie erzählen von Vertreibung, Gewalt und Diskriminierung. Der eigene Körper wird zum Instrument einer sinnlichen, poetisch direkten Sprache, die ruft und schreit und der Leser*in ins Ohr flüstert. Um einen Ausweg zu finden, zeichnet sie auf ihre Haut Landkarten. Doch Vorsicht: wo Licht ist, lauert Feuer … Zweisprachige Ausgabe und mit einem Nachwort von Sharon Dodua Otoo »Gedichte so unmittelbar, so eindringlich, als säße eine Schwester neben mir.« Sharon Dodua Otoo
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Seitenzahl: 83
Warsan Shire
Bless the Daughter Raised by a Voice in Her Head
Gedichte
»Gedichte so unmittelbar, so eindringlich, als säße eine Schwester neben mir.«
Sharon Dodua Otoo
Die somalisch-britische Autorin Warsan Shire ist eine Legende. Ihre Texte für Beyoncé machten sie zum Star. Ihre Gedichte fanden weltweit Millionen von Leser*innen. Mit ihren Versen machten Artikel der »New York Times« auf.
Die Gedichte in »Haus Feuer Körper« sind eine der großen Überraschungen der Gegenwart: Sensibel und kompromisslos erkunden sie atmosphärisch dicht die Abgründe unserer Welt. Sie erzählen von Vertreibung, Gewalt und Diskriminierung. Der eigene Körper wird zum Instrument einer sinnlichen, poetisch direkten Sprache, die ruft und schreit und der Leser*in ins Ohr flüstert. Um einen Ausweg zu finden, zeichnet sie auf ihre Haut Landkarten. Doch Vorsicht: wo Licht ist, lauert Feuer …
»Warsan Shire ist eine außerordentlich begnadete Dichterin, deren zutiefst bewegenden Gedichte dem Unausgesprochenen eine ausdrucksvolle Stimme verleihen.«
Bernardine Evaristo
Zweisprachige Ausgabe und mit einem Nachwort von Sharon Dodua Otoo
Die somalisch-britische Autorin Warsan Shire wurde 1988 in Kenia geboren und zog mit ihren Eltern als Kleinkind nach London, wo sie studierte. Bereits mit 15 nahm sie an Poetry Workshops teil und wurde unter anderem von Bernardine Evaristo gefördert. 2011 veröffentlichte sie ein schmales Chapbook mit Gedichten, »Teaching My Mother How to Give Birth«, aber die meisten begegneten ihren Versen im Internet, wo sie virale Verbreitung fanden. 2013 wurde sie zum ersten Young Poet Laureate for London und erhielt in England den African Poetry Prize der Brunel-University. 2017 sprach Beyoncé für ihren Film »Lemonade« Verse von Shire zwischen den Songs ein.
Übertragen wurden die Gedichte von einem Kollektiv: Muna AnNisa Aikins ist Sozialforscherin und Autorin des 2020 erschienenen Romans »Die Haut meiner Seele«. – Mirjam Nuenning ist Spezialistin für die Übersetzung afrodiasporischer Literatur und übertrug neben Sharon Dodua Otoo Bücher von Octavia Butler und Audre Lorde. – Hans Jürgen Balmes ist Lektor und Mitherausgeber der »Neuen Rundschau«, in der 2017 Gedichte von Warsan Shire erschienen.
For/Für
Samawado, Suban, Salma
I was an ugly child
You were an ugly child
We were ugly children.
— HIROMI ITŌ
Ich war ein hässliches Kind
Du warst ein hässliches Kind
Wir waren hässliche Kinder.
– HIROMI ITŌ
Hooyo ma joogto, kabaheeda qaadatay.
Your mother isn’t home, she left the house and took her shoes.
— SOMALI CHILDREN’S LULLABY
Hooyo ma joogto, kabaheeda qaadatay.
Deine Mutter ist nicht zu Hause, sie hat es verlassen und nahm ihre Schuhe mit.
– SOMALISCHES WIEGENLIED
Was dich nicht umbringt
A loop, a girl born
to each family,
prelude to suffering.
Bless the baby girl,
caul of dissatisfaction,
patron saint of not
good enough.
Are you there, God?
It’s me, Warsan.
Maladaptive daydreaming,
obsessive, dissociative.
Born to a lullaby
lamenting melanin,
newborn ears checked
for the first signs of colour.
At first I was afraid, I was petrified.
The child reads surahs each night
to veil her from il
protecting body and home
from intruders.
She wakes with a fright,
someone cutting the rope,
something creeping
deep inside her.
Are you there, God?
It’s me, the ugly one.
Bless the Type 4 child,
scalp massaged with the milk
of cruelty, cranium cursed,
crushed between adult knees,
drenched in pink lotion.
Everything you did to me,
I remember.
Mama, I made it
out of your home
alive, raised by
the voices
in my head.
Ein Kreislauf, ein Mädchen geboren,
in jede Familie,
Vorspiel des Leidens.
Segne das kleine Mädchen,
Fruchthülle des Unmuts,
Schutzpatronin des
Niemals-Genug.
Bist du da, Gott?
Ich bin’s, Warsan.
Tagträume, fehlangepasst,
obsessiv, dissoziativ.
Geboren zu einem Wiegenlied,
einem Klagelied über das Melanin,
die Ohren des Neugeborenen auf erste Anzeichen
des Hauttons geprüft.
At first I was afraid, I was petrified.
Jeden Abend liest das Kind Suren,
um es vor Il zu verbergen,
um Körper und Heim
vor Eindringlingen zu schützen.
Erschrocken wacht sie auf,
jemand durchtrennt die Schnur,
etwas kriecht
tief in sie hinein.
Bist du da, Gott?
Ich bin’s, die Hässliche.
Gesegnet sei das Kind mit Haartyp 4,
die Kopfhaut mit der Milch
der Grausamkeit massiert, der Schädel verflucht,
eingequetscht zwischen Erwachsenenknien,
getränkt in Pink Lotion.
Alles, was du mir angetan hast,
erinnere ich.
Mama, ich habe es lebend
aus deinem Haus
geschafft, großgezogen
von den Stimmen
in meinem Kopf.
MN
We never unpacked,
dreaming in the wrong language,
carrying our mother’s fears in our feet—
if he raises his voice we will flee
if he looks bored we will pack our bags
unable to excise the refugee from our hearts, unable to sleep through the night.
The refugee’s heart has six chambers.
In the first is your mother’s unpacked suitcase.
In the second, your father cries into his hands.
The third room is an immigration office,
your severed legs in the fourth,
in the fifth a uterus—yours?
The sixth opens with the right papers.
I can’t get the refugee out of my body,
I bolt my body whenever I get the chance.
How many pills does it take to fall asleep?
How many to meet the dead?
The refugee’s heart often grows
an outer layer. An assimilation.
It cocoons the organ. Those unable to grow the extra skin
die within the first six months in a host country.
At each and every checkpoint the refugee is asked
are you human?
The refugee is sure it’s still human but worries that overnight,
while it slept, there may have been a change in classification.
Wir packten unsere Koffer nie ganz aus,
träumten in der falschen Sprache,
trugen die Ängste unserer Mütter in unseren Füßen –
wenn er seine Stimme erhebt, fliehen wir
wenn er gelangweilt aussieht, packen wir unsere Taschen
unfähig, die Erfahrung der Flucht aus unseren Herzen zu verbannen, unfähig, nachts durchzuschlafen.
Das Herz der Geflüchteten hat sechs Kammern.
In der ersten befindet sich der ungepackte Koffer deiner Mutter.
In der zweiten schluchzt dein Vater in seine Hände.
Der dritte Raum ist eine Einwanderungsbehörde,
deine abgetrennten Beine befinden sich in der vierten,
in der fünften, eine Gebärmutter – deine?
Die sechste öffnet sich mit den richtigen Papieren.
Ich kriege die Flucht nicht aus meinem Körper,
ich versperre meinen Körper immer, wenn ich kann.
Wie viele Tabletten braucht es, um einzuschlafen?
Und wie viele, um bei den Toten zu sein?
Um das Herz der Geflüchteten bildet sich oft
eine äußere Schicht. Eine Anpassung.
Sie umhüllt das Organ. Wer diese Extrahaut nicht bilden kann,
stirbt innerhalb der ersten sechs Monate im Aufnahmeland.
Grenzübergang für Grenzübergang werden Geflüchtete gefragt,
bist du Mensch?
Flüchtling ist sich sicher, noch Mensch zu sein, doch fürchtet,
die Klassifikation könnte sich über Nacht, während es schlief, geändert haben.
MN
He smokes until he sees something
moving in the smoke, remembers
joy like blindness: swimming at Jazeera
Beach, gorging on belonging, barwaaqo,
iftiin. He remembers riding through Suuqa Bakaaraha
on a motorbike, held onto by women with hair
trailing behind them like black smoke.
It’s raining in London again, Hassan
Aden Samatar sings from a small, sullen
cassette player in the corner of the room,
tonight no one knows you.
Cidlada ka atkow, Abti—be stronger than your loneliness
Uncle, steam rises from qaxwo bitter with tears, carefully
rolling tobacco the same colour as his hands.
He sings along. Alone this time, alone every time.
Er raucht, bis er im Qualm etwas
sich regen sieht, erinnert
Freude wie Blindheit: schwimmt am Jazeera
Beach, den Schlund nie voll davon, dazuzugehören, barwaaqo,
iftiin. Er erinnert sich, wie er auf dem Motorrad
durch Suuqa Bakaaraha fuhr, umklammert von Frauen, deren Haar
wie schwarzer Rauch hinter ihnen herwehte.
In London regnet es wieder, in einem Winkel
des Zimmers singt Hassan Aden
Samatar aus dem kleinen, dumpfen Kassettenrecorder,
heute Nacht kennt dich niemand.
Cidlada ka atkow, Abti – sei stärker als deine Einsamkeit,
Onkel, bitter vor Tränen steigt vom qaxwo Dampf, vorsichtig
rollt er Tabak von der Farbe seiner Hände.
Er singt mit. Diesmal allein, immer allein.
HJB
I
No one leaves home unless home is the mouth of a shark. You only run for the border when you see the whole city running as well.
The boy you went to school with, who kissed you dizzy behind the old tin factory, is holding a gun bigger than his body. You only leave home when home won’t let you stay.
No one would leave home unless home chased you. It’s not some- thing you ever thought about doing, so when you did, you carried the anthem under your breath, waiting until the airport toilet to tear up the passport and swallow, each mournful mouthful making it clear you would not be going back.
No one puts their children in a boat, unless the water is safer than the land. No one would choose days and nights in the stomach of a truck, unless the miles travelled meant something more than journey.
No one would choose to crawl under fences, beaten until your shadow leaves, raped, forced off the boat because you are darker, drowned, sold, starved, shot at the border like a sick animal, pitied. No one would choose to make a refugee camp home for a year or two or ten, stripped and searched, finding prison everywhere. And if you were to survive, greeted on the other side—Go home Blacks, dirty refugees, sucking our country dry of milk, dark with their hands out, smell strange, savage, look what they’ve done to their own countries, what will they do to ours?
The insults are easier to swallow than finding your child’s body in the rubble.