Haus Feuer Körper - Warsan Shire - E-Book

Haus Feuer Körper E-Book

Warsan Shire

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Beschreibung

Die somalisch-britische Autorin Warsan Shire ist eine Legende. Ihre Texte für Beyoncé machten sie zum Star. Ihre Gedichte fanden weltweit Millionen von Leser*innen. Mit ihren Versen machten Artikel der »New York Times« auf.   Die Gedichte in »Haus Feuer Körper« sind eine der großen Überraschungen der Gegenwart: Sensibel und kompromisslos erkunden sie atmosphärisch dicht die Abgründe unserer Welt. Sie erzählen von Vertreibung, Gewalt und Diskriminierung. Der eigene Körper wird zum Instrument einer sinnlichen, poetisch direkten Sprache, die ruft und schreit und der Leser*in ins Ohr flüstert. Um einen Ausweg zu finden, zeichnet sie auf ihre Haut Landkarten. Doch Vorsicht: wo Licht ist, lauert Feuer … Zweisprachige Ausgabe und mit einem Nachwort von Sharon Dodua Otoo »Gedichte so unmittelbar, so eindringlich, als säße eine Schwester neben mir.« Sharon Dodua Otoo

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Warsan Shire

Haus Feuer Körper

Bless the Daughter Raised by a Voice in Her Head

Gedichte

 

 

Aus dem Englischen von Muna AnNisa Aikins, Mirjam Nuenning und Hans Jürgen Balmes Mit einem Nachwort von Sharon Dodua Otoo

 

 

 

Über dieses Buch

 

 

»Gedichte so unmittelbar, so eindringlich, als säße eine Schwester neben mir.«

Sharon Dodua Otoo

 

Die somalisch-britische Autorin Warsan Shire ist eine Legende. Ihre Texte für Beyoncé machten sie zum Star. Ihre Gedichte fanden weltweit Millionen von Leser*innen. Mit ihren Versen machten Artikel der »New York Times« auf.

 

Die Gedichte in »Haus Feuer Körper« sind eine der großen Überraschungen der Gegenwart: Sensibel und kompromisslos erkunden sie atmosphärisch dicht die Abgründe unserer Welt. Sie erzählen von Vertreibung, Gewalt und Diskriminierung. Der eigene Körper wird zum Instrument einer sinnlichen, poetisch direkten Sprache, die ruft und schreit und der Leser*in ins Ohr flüstert. Um einen Ausweg zu finden, zeichnet sie auf ihre Haut Landkarten. Doch Vorsicht: wo Licht ist, lauert Feuer …

 

»Warsan Shire ist eine außerordentlich begnadete Dichterin, deren zutiefst bewegenden Gedichte dem Unausgesprochenen eine ausdrucksvolle Stimme verleihen.«

Bernardine Evaristo

 

Zweisprachige Ausgabe und mit einem Nachwort von Sharon Dodua Otoo

Biografie

 

 

Die somalisch-britische Autorin Warsan Shire wurde 1988 in Kenia geboren und zog mit ihren Eltern als Kleinkind nach London, wo sie studierte. Bereits mit 15 nahm sie an Poetry Workshops teil und wurde unter anderem von Bernardine Evaristo gefördert. 2011 veröffentlichte sie ein schmales Chapbook mit Gedichten, »Teaching My Mother How to Give Birth«, aber die meisten begegneten ihren Versen im Internet, wo sie virale Verbreitung fanden. 2013 wurde sie zum ersten Young Poet Laureate for London und erhielt in England den African Poetry Prize der Brunel-University. 2017 sprach Beyoncé für ihren Film »Lemonade« Verse von Shire zwischen den Songs ein.

 

Übertragen wurden die Gedichte von einem Kollektiv: Muna AnNisa Aikins ist Sozialforscherin und Autorin des 2020 erschienenen Romans »Die Haut meiner Seele«. – Mirjam Nuenning ist Spezialistin für die Übersetzung afrodiasporischer Literatur und übertrug neben Sharon Dodua Otoo Bücher von Octavia Butler und Audre Lorde. – Hans Jürgen Balmes ist Lektor und Mitherausgeber der »Neuen Rundschau«, in der 2017 Gedichte von Warsan Shire erschienen.

For/Für

Samawado, Suban, Salma

I was an ugly child

You were an ugly child

We were ugly children.

— HIROMI ITŌ

Ich war ein hässliches Kind

Du warst ein hässliches Kind

Wir waren hässliche Kinder.

– HIROMI ITŌ

 

Hooyo ma joogto, kabaheeda qaadatay.

Your mother isn’t home, she left the house and took her shoes.

— SOMALI CHILDREN’S LULLABY

Hooyo ma joogto, kabaheeda qaadatay.

Deine Mutter ist nicht zu Hause, sie hat es verlassen und nahm ihre Schuhe mit.

– SOMALISCHES WIEGENLIED

WHAT DOESN’T KILL YOU

Was dich nicht umbringt

EXTREME GIRLHOOD

A loop, a girl born

to each family,

prelude to suffering.

Bless the baby girl,

caul of dissatisfaction,

patron saint of not

good enough.

Are you there, God?

It’s me, Warsan.

Maladaptive daydreaming,

obsessive, dissociative.

Born to a lullaby

lamenting melanin,

newborn ears checked

for the first signs of colour.

At first I was afraid, I was petrified.

The child reads surahs each night

to veil her from il

protecting body and home

from intruders.

She wakes with a fright,

someone cutting the rope,

something creeping

deep inside her.

Are you there, God?

It’s me, the ugly one.

Bless the Type 4 child,

scalp massaged with the milk

of cruelty, cranium cursed,

crushed between adult knees,

drenched in pink lotion.

Everything you did to me,

I remember.

Mama, I made it

out of your home

alive, raised by

the voices

in my head.

Extreme Mädchenzeit

Ein Kreislauf, ein Mädchen geboren,

in jede Familie,

Vorspiel des Leidens.

Segne das kleine Mädchen,

Fruchthülle des Unmuts,

Schutzpatronin des

Niemals-Genug.

Bist du da, Gott?

Ich bin’s, Warsan.

Tagträume, fehlangepasst,

obsessiv, dissoziativ.

Geboren zu einem Wiegenlied,

einem Klagelied über das Melanin,

die Ohren des Neugeborenen auf erste Anzeichen

des Hauttons geprüft.

At first I was afraid, I was petrified.

Jeden Abend liest das Kind Suren,

um es vor Il zu verbergen,

um Körper und Heim

vor Eindringlingen zu schützen.

Erschrocken wacht sie auf,

jemand durchtrennt die Schnur,

etwas kriecht

tief in sie hinein.

Bist du da, Gott?

Ich bin’s, die Hässliche.

Gesegnet sei das Kind mit Haartyp 4,

die Kopfhaut mit der Milch

der Grausamkeit massiert, der Schädel verflucht,

eingequetscht zwischen Erwachsenenknien,

getränkt in Pink Lotion.

Alles, was du mir angetan hast,

erinnere ich.

Mama, ich habe es lebend

aus deinem Haus

geschafft, großgezogen

von den Stimmen

in meinem Kopf.

MN

ASSIMILATION

We never unpacked,

dreaming in the wrong language,

carrying our mother’s fears in our feet—

if he raises his voice we will flee

if he looks bored we will pack our bags

unable to excise the refugee from our hearts, unable to sleep through the night.

The refugee’s heart has six chambers.

In the first is your mother’s unpacked suitcase.

In the second, your father cries into his hands.

The third room is an immigration office,

your severed legs in the fourth,

in the fifth a uterus—yours?

The sixth opens with the right papers.

I can’t get the refugee out of my body,

I bolt my body whenever I get the chance.

How many pills does it take to fall asleep?

How many to meet the dead?

The refugee’s heart often grows

an outer layer. An assimilation.

It cocoons the organ. Those unable to grow the extra skin

die within the first six months in a host country.

At each and every checkpoint the refugee is asked

are you human?

The refugee is sure it’s still human but worries that overnight,

while it slept, there may have been a change in classification.

Anpassung

Wir packten unsere Koffer nie ganz aus,

träumten in der falschen Sprache,

trugen die Ängste unserer Mütter in unseren Füßen –

wenn er seine Stimme erhebt, fliehen wir

wenn er gelangweilt aussieht, packen wir unsere Taschen

unfähig, die Erfahrung der Flucht aus unseren Herzen zu verbannen, unfähig, nachts durchzuschlafen.

Das Herz der Geflüchteten hat sechs Kammern.

In der ersten befindet sich der ungepackte Koffer deiner Mutter.

In der zweiten schluchzt dein Vater in seine Hände.

Der dritte Raum ist eine Einwanderungsbehörde,

deine abgetrennten Beine befinden sich in der vierten,

in der fünften, eine Gebärmutter – deine?

Die sechste öffnet sich mit den richtigen Papieren.

Ich kriege die Flucht nicht aus meinem Körper,

ich versperre meinen Körper immer, wenn ich kann.

Wie viele Tabletten braucht es, um einzuschlafen?

Und wie viele, um bei den Toten zu sein?

Um das Herz der Geflüchteten bildet sich oft

eine äußere Schicht. Eine Anpassung.

Sie umhüllt das Organ. Wer diese Extrahaut nicht bilden kann,

stirbt innerhalb der ersten sechs Monate im Aufnahmeland.

Grenzübergang für Grenzübergang werden Geflüchtete gefragt,

bist du Mensch?

Flüchtling ist sich sicher, noch Mensch zu sein, doch fürchtet,

die Klassifikation könnte sich über Nacht, während es schlief, geändert haben.

MN

MY LONELINESS IS KILLING ME

He smokes until he sees something

moving in the smoke, remembers

joy like blindness: swimming at Jazeera

Beach, gorging on belonging, barwaaqo,

iftiin. He remembers riding through Suuqa Bakaaraha

on a motorbike, held onto by women with hair

trailing behind them like black smoke.

It’s raining in London again, Hassan

Aden Samatar sings from a small, sullen

cassette player in the corner of the room,

tonight no one knows you.

Cidlada ka atkow, Abti—be stronger than your loneliness

Uncle, steam rises from qaxwo bitter with tears, carefully

rolling tobacco the same colour as his hands.

He sings along. Alone this time, alone every time.

Meine Einsamkeit bringt mich um

Er raucht, bis er im Qualm etwas

sich regen sieht, erinnert

Freude wie Blindheit: schwimmt am Jazeera

Beach, den Schlund nie voll davon, dazuzugehören, barwaaqo,

iftiin. Er erinnert sich, wie er auf dem Motorrad

durch Suuqa Bakaaraha fuhr, umklammert von Frauen, deren Haar

wie schwarzer Rauch hinter ihnen herwehte.

In London regnet es wieder, in einem Winkel

des Zimmers singt Hassan Aden

Samatar aus dem kleinen, dumpfen Kassettenrecorder,

heute Nacht kennt dich niemand.

Cidlada ka atkow, Abti – sei stärker als deine Einsamkeit,

Onkel, bitter vor Tränen steigt vom qaxwo Dampf, vorsichtig

rollt er Tabak von der Farbe seiner Hände.

Er singt mit. Diesmal allein, immer allein.

HJB

HOME

I

No one leaves home unless home is the mouth of a shark. You only run for the border when you see the whole city running as well.

The boy you went to school with, who kissed you dizzy behind the old tin factory, is holding a gun bigger than his body. You only leave home when home won’t let you stay.

No one would leave home unless home chased you. It’s not some- thing you ever thought about doing, so when you did, you carried the anthem under your breath, waiting until the airport toilet to tear up the passport and swallow, each mournful mouthful making it clear you would not be going back.

No one puts their children in a boat, unless the water is safer than the land. No one would choose days and nights in the stomach of a truck, unless the miles travelled meant something more than journey.

No one would choose to crawl under fences, beaten until your shadow leaves, raped, forced off the boat because you are darker, drowned, sold, starved, shot at the border like a sick animal, pitied. No one would choose to make a refugee camp home for a year or two or ten, stripped and searched, finding prison everywhere. And if you were to survive, greeted on the other side—Go home Blacks, dirty refugees, sucking our country dry of milk, dark with their hands out, smell strange, savage, look what they’ve done to their own countries, what will they do to ours?

The insults are easier to swallow than finding your child’s body in the rubble.