Häusliche Gewalt - betroffenen Männern* helfen - Jana Peters - E-Book

Häusliche Gewalt - betroffenen Männern* helfen E-Book

Jana Peters

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Beschreibung

‚Männer, die sich von ihren Frauen schlagen lassen? Was sind denn das für Weicheier?‘ Häusliche Gewalt gegen Männer* ist gesellschaftlich weitgehend tabuisiert. Doch einige Interessierte, selbst Betroffene und engagierte Träger haben den Bedarf an Schutzeinrichtungen für Männer* mit Gewalterfahrungen im häuslichen Kontext erkannt. Sie stehen oft vor der Frage, wie nun weiter. Dieses Buch bietet Antworten an. Der Leitfaden widmet sich zuerst grundsätzlichen Themen wie Ursachen, Mustern und Betroffenheit von Männern*. Daraus und aus den Erfahrungen der Praxis leitet die Autorin praktische Schritte ab, die man(n*) zum Aufbau einer Schutzeinrichtung nutzen kann. Dazu zählen Fragen nach Finanzierung, rechtlichem Rahmen oder bereits bestehenden Kooperationsnetzwerken. Der Inhalt dieses Buches ist als Bachelorarbeit an der Hochschule Zittau/Görlitz entstanden. Sie bündelt viel zu viel praxisrelevantes Erfahrungswissen, als dass sie in den Schubladen der Theorie nach unten rutscht. Der Asterisk * (Gender-Sternchen) steht für Akzeptanz und Berücksichtigung der geschlechtlichen Vielfalt.

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Inhaltsverzeichnis

DANKSAGUNG

EINLEITUNG

1.1 Vorgehensweisen

1.2 Buchaufbau

GRUNDSÄTZLICHE ERLÄUTERUNGEN

2.1 Differenzierung von Projekt und Einrichtung

2.2 Definition von häuslicher Gewalt, ihre Folgen und Dynamiken

2.2.1 Folgen häuslicher Gewalt

2.2.2 Gewaltmuster und -dynamik

2.3 Charakteristika häuslicher Gewalt gegen Männer*

2.4 Zufluchtsstätten vs. Männer*schutzwohnungen

FÜNF MÄNNER*SCHUTZEINRICHTUNGEN IN DEUTSCHLAND

BEDARFSANALYSE

4.1 Statistische Bedarfslage

4.2 Markt- und Umfeldanalyse

4.2.1 Umfeldanalyse: PESTEL

4.2.2 Stakeholder-Analyse

4.2.3 SWOT-Analyse

4.3 Spezifische Bedarfe bei der Hilfeleistung von gewaltbetroffenen Männern*

4.3.1 Grundlegende Regeln für die Beratung von Betroffenen

4.3.2 Beratungsspezifika für Männer*

ZIELORIENTIERUNG DER EINRICHTUNG

5.1 Zielgruppe

5.2 Zielsetzung der Arbeit

METHODEN UND DIENSTLEISTUNGEN DER EINRICHTUNG

6.1 Methoden

6.1.1 Case Management

6.1.2 Soziale Beratung

6.1.3 Soziale Gruppenarbeit

6.1.4 Reflexion, Intervision und Supervision

6.2 Angebote und Leistungen

TRÄGERSCHAFT UND FINANZIERUNG

7.1 Trägerschaft

7.2 Finanzierungsmodelle

7.3 Finanzierungsplanung

ORGANISATION

8.1 Personelle und zeitliche Ausstattung

8.2 Räumliche und sachliche Ausstattung

GESETZLICHER RAHMEN

9.1 Rechtlicher Handlungsrahmen

9.2 Förderungsgrundlagen

AUSSENARBEIT UND -WIRKUN

10.1 Kooperations- und Netzwerkarbeit

10.2 Öffentlichkeitsarbeit

QUALITÄTSSICHERUNG

11.1 Begriffserläuterung

11.2 Methodisches Vorgehen nach Meinhold

11.2.1 Phase 1: Unverbindliche Qualitätsdiskussion

11.2.2 Phase 2: Festlegung der Bereiche für die Qualitätsstandardentwicklung

11.2.3 Phase 3: Festlegung von Qualitätsstandards

11.2.4 Phase 4: Festlegung der Maßnahmen zur Qualitätssicherung

11.2.5 Phase 5: Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement

RESÜMEE

12.1 Ergebnisdarstellung

12.2 Ausblicke für die Weiterarbeit

ANHANG

Anhang A: Tabellarische Zusammenfassung der Expertengespräche nach Einrichtungsart

Anhang B: Tabellarische Zusammenfassung der Expertengespräche nach konzeptionellen Rahmenbedingungen der Einrichtungen

Anhang C: (Erste) Standards für Männer*schutzeinrichtungen

LITERATURVERZEICHNIS

DANKSAGUNG

Ich bedanke mich bei den Mitarbeitenden des Männernetzwerk Dresden e.V., LEMANN e.V., Weissenberg e.V., Männer-(Wohn-)Hilfe e.V. sowie des Sozialberatung Stuttgart e.V. für die hilfreiche Unterstützung durch praxisnahe Auskünfte und eigene Erfahrungen in der alltäglichen Arbeit. Besonderer Dank gilt Prof. Dr. Ulrike Gräßel und Frank Scheinert, die mich in der Ausarbeitung inhaltlich begleiteten, Enrico Damme, der mir bei der Veröffentlichung des Werkes half sowie den Mitarbeitenden des LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e.V., die mir stets für Fragen zur Verfügung standen.

Außerdem danke ich meinem Partner Thomas und meinem Sohn Linus, die mich moralisch unterstützten und stets zum Weitermachen motivierten.

Vielen Dank.

1. EINLEITUNG

„Männer, die sich von ihren Frauen schlagen lassen? Was sind denn das für Weicheier?“

Seit nunmehr über eineinhalb Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema häusliche Gewalt gegen Männer*1. Zunächst im Rahmen einer Prüfungsleistung an der Hochschule Zittau/Görlitz, darauffolgend in meinem Praxissemester in der Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen und in meiner Bachelorarbeit. In der Zeit begegnete ich auch vielen Nichtfachleuten. Aussagen wie die im vorangestellten Zitat waren dabei häufige erste Reaktionen auf die Thematik, von Männern* wie Frauen*. Dies brachte und bringt mir immer wieder vor Augen, dass häusliche Gewalt, die sich gegen Männer* richtet, in der allgemeinen Bevölkerung noch viel zu wenig Anerkennung findet, oft unreflektiert passiert und tabuisiert wird. Und das, obwohl empirische Ergebnisse beweisen, dass – je nach Studie – fünf bis 25% der Gewaltbetroffenen Männer* sind (vgl. Kapitel 4.1). Die Zahlen zeigen natürlich auch die wesentlich größere Betroffenheit von Frauen*, weswegen ihre öffentliche Beachtung und damit einhergehend der nahezu flächendeckende Ausbau eines Schutz- und Hilfsnetzwerks samt finanzieller Unterstützung durch öffentliche Mittel notwendig und gerechtfertigt ist.

Zum Jahreswechsel 2011/12 gab es in Deutschland „genau 353 Frauenhäuser sowie 41 Zufluchtswohnungen mit über 6.000 Plätzen“ (Deutscher Bundestag 2016). Übertragen auf Männer*, müssten also bei gemittelten 15% Betroffenheit mindestens 70 Gewaltschutzwohnungen für Männer* bereitgestellt werden, die dann Schutzraum für bis zu 1.060 Männer* böten. Anfang 2019 bestanden deutschlandweit lediglich insgesamt vier staatlich unterstützte Männer*schutzeinrichtungen sowie vier privat finanzierte stationäre Angebote für betroffene Männer*. Ein realistischer Meilenstein wären zunächst drei bis fünf Schutzwohnungen für Männer* pro Bundesland. Dr. Dag Schölper vom Bundesforum Männer - Interessenverband für Jungen, Männer & Väter e.V. forderte am 22.01.2018 zum Start der seinerzeit gerade gebildeten Bundesregierung, „Männer als gleichstellungspolitische Akteure in allen Politikfeldern stärker einzubeziehen“ (Schölper 2018), und, im gleichen Kontext, eine bundesweite Studie zur Gewaltbetroffenheit von Männern*, sowie die Schaffung eines flächendeckenden Beratungs- und Schutznetzwerks für Männer*.

Die vorliegende Publikation beschäftigt sich mit der Frage, was organisatorische, konzeptionelle, strukturelle und rechtliche Voraussetzungen sind, um eine Männer*schutzwohnung zu eröffnen. Das Buch stellt einen Leitfaden zum Aufbau einer solchen Einrichtung dar. Während meines Praktikums in der Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen stellte ich immer wieder fest, dass sich einzelne Engagierte, Interessengruppen oder ganze Einrichtungen für von häuslicher Gewalt betroffene Männer* stark machen und gern eine Schutzeinrichtung betreiben wollen. Jedoch standen und stehen sie vor vielen Fragen. Die Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen bot und bietet immer noch individuelle Treffen und Beratungsleistungen zum Informationsaustausch und zur Hilfestellung bei diesen wichtigen ersten Schritten an.

Ich möchte mit dem Buch das bisherige Know-how zu Schutzeinrichtungen, die vorliegenden praktischen Erfahrungen der Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen sowie von fünf Männer*schutzeinrichtungen in Deutschland bündeln und mit theoretischen sowie empirischen Kenntnissen anreichern. Gleichzeitig möchte ich Interessierten und Engagierten mit diesem Wissenspool einen Leitfaden an die Hand geben. Dies geschieht auch mit dem Wissen, dass jeder potentielle Träger anderen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen unterliegt. Ich sehe die Notwendigkeit und Möglichkeit, mit der vorliegenden Arbeit beizutragen, dass sich Engagierte auf den Weg machen. So könnte über kurz oder lang ein flächendeckendes Hilfenetzwerk für von häuslicher Gewalt betroffene Männer* entstehen.

Gleichstellungsarbeit bzw. die Gleichstellung von Mann* und Frau* bedeutet für mich, dass für alle Gruppen mit geschlechterspezifischen Unterstützungsangeboten gesorgt wird, sodass sowohl Männern* als auch Frauen* und anderen Geschlechtern ein selbstbestimmtes, gewaltfreies Leben möglich ist.

Grundsätzlich werde ich nachfolgend weniger von Opfern häuslicher Gewalt, vielmehr von Betroffenen, Geschädigten, Rat- und Hilfesuchenden, Beratenen, bzw. Bewohner*innen oder Nutzer*innen der Hilfsangebote sprechen. Die Anerkennung als Opfer achtet den Menschen zwar in seiner leidvollen komplexen Betroffenheit, jedoch in einer passiven Konnotation. Betroffene Menschen sind allerdings meiner Meinung nach nicht ausschließlich passiv, sie suchen im Rahmen ihrer Möglichkeiten immer eine Umgangsform, der Gewalt zu begegnen, diese zu meiden, zu mindern oder zu verhindern. Und dies, auch wenn die gewählte Bewältigungsstrategie nicht immer zielführend erscheint. Gerade Betroffene, die institutionelle Unterstützung suchen – sei es bei der Polizei, Beratungsstellen oder Schutzeinrichtungen – handeln aktiv gegen ihre derzeitige Konflikt- und Gewaltsituation. Für den Hilfeprozess in Beratungs- und Schutzeinrichtungen ist aber eine aktive Haltung der Ratsuchenden umso dienlicher, sodass sie die vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen (re-)aktivieren und ins Hilfesystem mit einbeziehen. Eine klagende Opferhaltung verschafft den Betroffenen zwar Gehör (ebenfalls eine wichtige Sache), dient dem Hilfeprozess selbst aber wenig. Eine hoffnungslose, aufgebende Opferhaltung wirkt hemmend. Dieser Haltung entsprechend werde ich die Betroffenen, Hilfesuchenden, Bewohner*innen, Beratenen usw. (möglichst) nicht als Opfer titulieren.

Ebenso umstritten ist der stigmatisierend wirkende Begriff Täter*in. Viele Einrichtungen gehen davon aus, dass Beteiligte häuslicher Gewalt sowohl Täter*innen- als auch Opferanteile innehaben. Somit werde ich statt von Täter*innen vorwiegend von Gewalt ausführenden Menschen sprechen.

1.1 Vorgehensweisen

Grundlage des vorliegenden Buches bildet die literarische Recherche am Thema. Der Text ist somit grundsätzlich eine Literaturarbeit. Unterstützend kommen Informationen aus fünf Expertengesprächen hinzu. Diese sind jedoch nicht als wissenschaftlich qualitative Datenerhebung zu werten, da sie zwar protokolliert, aber nicht transkribiert und nicht methodisch-analytisch ausgewertet wurden. Die tabellarischen Zusammenfassungen der Gespräche sind im Anhang enthalten.

Die Expertengespräche wurden Leitfaden gestützt mit Mitarbeitenden der folgenden fünf deutschen Männer*schutzeinrichtungen geführt.

Einrichtung

Befragte Experten*

Dauer des Gesprächs

Datum

Männernetzwerk Dresden e.V.

1

100 Minuten

20.12.2017

Sozialberatung Stuttgart e.V.

2

119 Minuten

29.01.2018

Männer-(Wohn-) Hilfe e.V., Oldenburg

2

94 Minuten

30.01.2018

LEMANN e.V., Leipzig

1

99 Minuten

31.01.2018

Weissenberg e.V. Männernetzwerk Plauen/Vogtland

1

60 Minuten

30.01.2019

Diese fünf Gespräche begannen mit der eröffnenden Frage nach den Schritten, welche die Einrichtung gegangen ist, um arbeitsfähig zu sein. Weiterhin gingen wir jeweils auf folgende Punkte ein:

Bedarfsanalyse (Welche Voraussetzungen musste die Schutzwohnung bzgl. Lage, Anbindung, sozialem Umfeld, Größe, Kosten mitbringen? Welche beruflichen Qualifikationen benötigen die Mitarbeitenden?)

Projektdefinition und Zielgruppe (Wie definieren Sie sich: als Männer*schutzwohnung bzw. Zufluchtsstätte? Für welche Zielgruppe bieten Sie Hilfen an? Welche Ausschlusskriterien liegen bei Ihnen vor?)

Dienstleistungen (Welche Dienstleistungen bieten Sie mit Ihrem Schutzraum an?)

Finanzierungsmodelle (Wie finanziert sich die Männer*schutzeinrichtung? Welche Kosten fallen wann an? Wie organisiert sich die Trägerschaft?)

Gesetzlicher Rahmen (Nach welchen gesetzlichen Richtlinien arbeiten Sie?)

Kooperationspartner (Mit welchen Einrichtungen und Netzwerken kooperieren Sie? Sind die Kooperationen vertraglich festgelegt?)

Öffentlichkeitsarbeit (Wie treten Sie an die Öffentlichkeit?)

Mit den Expertengesprächen zielte ich auf konzeptionelle Ausrichtungen, Gemeinsamkeiten und Besonderheiten sowie auf die notwendigen Schritte der Einrichtungen im regional spezifischen Kontext.

Ein sechstes Gespräch führte ich mit einer Einrichtung im brandenburgischen Ketzin. Das ist jedoch für dieses Buch nicht ausreichend relevant.

Außerdem führte ich mehrere Expertengespräche mit Frank Scheinert, dem geschäftsführenden Bildungsreferenten der Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen. Die Landesfachstelle leistet vorwiegend geschlechterspezifische Arbeit im vorpolitischen Bereich sowie Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit für Themen, die Männer* betreffen, also beispielsweise Männer*gesundheit, Männer im Altersübergang oder Männer* und häusliche Gewalt. Die Landesfachstelle stellte 2015 die politische Forderung nach drei Männer*schutzwohnungen für Sachsen auf. Sie begleitet inzwischen das sachsenweite Pilotprojekt Männerschutzwohnungen durch fachlich-inhaltliche und fachpolitische Arbeit, Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit sowie mit quantitativer Untermauerung. Das Pilotprojekt wird vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales, Fachbereich Gleichstellung und Integration getragen und unterstützt.

Die tabellarische Aufarbeitung der Expertengespräche ist im Anhang A und B zu finden. Hier habe ich konzeptionelle Kategorien gebildet und die fünf Männer*schutzeinrichtungen verglichen. Die Inhalte finden sich in den Texten als Praxisbezug wieder.

1.2 Buchaufbau

Die Veröffentlichung soll als Hilfestellung zur Konzeptionierung und Initiierung einer Rückzugs- und Schutzwohnung für Männer* dienen. Es beinhaltet Elemente aus der Organisationsentwicklung, der Konzeptentwicklung, dem Projektmanagement sowie dem Qualitätsmanagement. Durch die Organisationsentwicklung werden Organisationsstrukturen aufgebaut oder modifiziert, z.B. weil sich die Zielgruppe, Finanzierung oder Rahmenbedingungen verändert haben. Durch die Konzeptentwicklung wird ein Leitfaden erstellt, der zielgerichtet, systematisch, handlungsorientiert, mittelfristig verpflichtend und regelmäßig zu überprüfen ist. Sie geht auf konzeptionelle Grundlagen wie Handlungsmodelle, Grundsätze zu speziellen Themen wie z.B. Qualität, das Selbstverständnis der Einrichtung und das Programm des Trägers ein. Das Projektmanagement „kann als Verfahrensunterstützung zur Realisierung von Vorhaben verstanden werden“ (Wendt 2015, S. 363). Anhand des Qualitätsmanagements werden Prüfkriterien zur Beschaffenheit der Rahmenbedingungen, der Arbeit selbst und der Ergebnisse mit ins Spiel gebracht (vgl. ebd., S. 359 ff.).

Gedanklich und strukturell ist der Aufbau des Buches an die vier Phasen eines Projekts – Projektdefinition, Projektplanung, Durchführung und Abschluss (vgl. Haynes 1999, S. 10) – angelehnt, wobei die meisten Schritte vor Inbetriebnahme einer Schutzeinrichtung konzeptionell niedergeschrieben und praktisch umgesetzt werden müssen.

Zunächst gehe ich auf grundsätzliche Begrifflichkeiten wie Projekt und Einrichtung, auf Gewalt, häusliche Gewalt und Spezifika häuslicher Gewalt gegen Männer* ein und differenziere Zufluchtsstätten von Männer*schutzwohnungen.

Die Projektplanung bedarf einerseits einer Vorbereitung durch Vorstudien und die Ansammlung aktuellen Wissens. Demnach stelle ich im dritten Kapitel fünf deutsche Männer*schutzeinrichtungen vor, um im vierten Kapitel zur Bedarfsanalyse überzugehen. Hier werden neben den bisherigen Studien und den Anlaufstellen, wo regional relevante Statistiken erschlossen werden können, auch drei Analysemöglichkeiten erläutert. Diese beleuchten das Umfeld des geplanten Projekts, die Stakeholder sowie die Chancen und Risiken. Außerdem führe ich spezifische Bedarfe von Männern*, die häusliche Gewalt erfuhren, an. Andererseits beinhaltet die Projektplanung die Konzeptionierung des Vorhabens. So gehe ich im fünften Kapitel auf die Zielgruppe und Ziele der Schutzwohnungen ein, gefolgt von den in ihren Kontexten genutzten Methoden und angebotenen Dienstleistungen.

Der Phase der Durchführung habe ich die Finanzierungsmodelle, die Ausstattung des Projekts, die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Kooperations- und Netzwerkarbeit wie auch die Öffentlichkeitsarbeit zugeordnet. Zudem erläutere ich in Kapitel elf das Vorgehen der Entwicklung qualitativer Standards.

Zum Abschluss setze ich mich kritisch mit dem Mehrwert der Inhalte für die Praxis auseinander.

1 Der Asterisk * (Gender-Sternchen) steht für Akzeptanz und Berücksichtigung der geschlechtlichen Vielfalt.

2. GRUNDSÄTZLICHE ERLÄUTERUNGEN

2.1 Differenzierung von Projekt und Einrichtung

Unter einem Projekt versteht man „ein Vorhaben, das zeitlich befristet ist, sich durch Neuartigkeit und Einmaligkeit auszeichnet sowie eine beachtliche Größe und einen hohen Grad an Komplexität aufweist“ (Bea, Scheurer, Hesselmann 2008, S. 30). Nach Ablauf der Projektdauer wird es entweder abgeschlossen, da das Ziel erreicht wurde oder die Ergebnisse den Abschluss befürworten. Oder es folgen neue Projekte bzw. das Projekt geht in eine zeitlich unbefristete Form über. Ein Projekt kann Teil einer Einrichtung sein.

Eine Einrichtung, lat. Institution, ist „ein Ort, der zu einem bestimmten Zweck errichtet wurde“ (Wortbedeutung.info. I Wörterbuch: Einrichtung (o. ED.)). Einrichtung wird in der vorliegenden Arbeit synonym mit Institution, Organisation und Unternehmen verwendet und meint den koordinierten sowie zweckgebundenen Zusammenschluss von Menschen und Ressourcen, also die Erbringung einer Dienstleistung (vgl. Wortbedeutung.info I Wörterbuch: Organisation (o. ED.)). Der Begriff „Leistungserbringer*in“ ist in Kapitel 7.1 expliziter definiert.

2.2 Definition von häuslicher Gewalt, ihre Folgen und Dynamiken

Gewalt ist „jede ausgeführte oder angedrohte Handlung (einschließlich der Duldung oder Unterlassung), die mit der Absicht oder mit der in Kauf genommenen Absicht ausgeführt wird, eine andere Person seelisch oder körperlich zu schädigen“ (Runder Tisch gegen Gewalt 1997). Häusliche Gewalt bezeichnet „alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer, (sozialer) oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts (...) vorkommen“ (Council of Europe 2011, S. 5). Es handelt sich um Gewalthandlungen in einer Partnerschaft, die aktuell besteht, die sich in Auflösung befindet oder die beendet ist. Gewaltausführende können ebenso der Ursprungsfamilie entstammen, Spezialfälle sind u. a. Zwangsheiraten. Aber auch andere Beziehungskonstellationen, wie Gewalt zwischen Geschwistern, von Eltern gegen ihre Kinder oder umgekehrt, werden unter häuslicher Gewalt verstanden (vgl. Eidgenössisches Büro für Gleichstellung von Mann und Frau EBG; Informationsblatt 1, 2017, S. 3). Betroffene wie Ausführende von häuslicher Gewalt stammen aus allen sozialen Schichten, sexuellen Orientierungen und allen Altersgruppen. Sie gehören unterschiedlichsten Konfessionen und Ethnien an.

Hauptmerkmale häuslicher Gewalt sind

die emotionale Bindung zwischen Geschädigten und Ausübenden,

die oftmals eigene Wohnung, in der die Gewalt passiert,

die Verletzung der körperlichen und/oder psychischen Integrität durch angedrohte oder ausgeübte Gewalt,

der längere Zeitraum, in dem die Gewalt stattfindet, wobei sich oft die Intensität steigert

das vorhandene Machtgefälle zwischen Geschädigten und Ausführenden, welches in gewaltvollen Beziehungen zu Dominanz, Kontrollverhalten und dadurch zu Gewalt führt (vgl. Eidgenössisches Büro für Gleichstellung von Mann und Frau EBG; Informationsblatt 1, 2017, S. 2)

(Landesarbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser Schleswig-Holstein 2014)

„Opfer häuslicher Gewalt empfinden ihre Situation oftmals als ausweglos:

Wo sie Geborgenheit erwarten, erleben sie Gewalt, denn der Täter ist oder war ein geliebter Mensch.

Bedrohung, Isolation und Kontrolle durch den gewalttätigen Partner verunsichern und erschüttern das Selbstwertgefühl.

Häufig sind Kinder betroffen; deshalb geht mit allen Folgeentscheidungen häufig die Sorge einher, den Kindern "einen Elternteil wegzunehmen", falls man sich zur Trennung entschließt.

Oftmals bestehen finanzielle Abhängigkeiten zwischen Opfer und Täter, was den Schritt zur Trennung erschwert“ (Weisser Ring e.V. 2010).

2.2.1 Folgen häuslicher Gewalt

Häusliche Gewalt ist strafbar. Sie stellt eine schwerwiegende Menschenrechts- und Grundrechtsverletzung mit gravierenden Folgen für die physische und psychische Unversehrtheit der Gewalterfahrenden dar. Gesundheitliche Schäden wie blaue Flecken, (Gesichts-) Verletzungen und Prellungen, Übelkeit, Erbrechen, Unterleibschmerzen und Genitalverletzungen, Verstauchungen und Brüche oder bei Frauen* Schwangerschaftsbeschwerden und Fehlgeburten, können durch körperliche Gewalt auftreten. Es können auch dauerhafte körperliche Schäden und chronische Schmerzen bleiben. Mögliche seelische und psychosomatische Folgen sind Ängste bis hin zu Panikattacken, ein geringes Selbstwertgefühl, Scham- und Schuldgefühle, Niedergeschlagenheit bis zu Depressionen und Suizidalität, Schlafstörungen, Albträume, Suchtmittelmissbrauch, Essstörungen, Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten sowie Probleme bei der Arbeit bzw. Ausbildung oder sexuelle Probleme (vgl. Gloor und Meier 2010, S. 31 f.). Dabei gilt „je stärker das Ausmass (sic!) an erlittener Gewalt, desto grösser (sic!) die Beschwerden“ (ebd., S. 32). Soziale und finanzielle Folgen können Stigmatisierung durch das soziale Umfeld, sozialer Rückzug bis hin zu Isolation, finanzielle Schwierigkeiten durch eine Trennung, ggf. Wohnungslosigkeit sein. Außerdem können aus einer Scheidung aufenthaltsrechtliche Folgen für Menschen mit Migrationshintergrund resultieren (vgl. Eidgenössisches Büro für Gleichstellung von Mann und Frau EBG; Informationsblatt 1, 2017, S.6).

Kinder sind in Gewaltbeziehungen immer mitbetroffen. Auch in Fällen, in denen Kinder nicht selbst Geschädigte sind, sondern „nur“ Zeugen von häuslicher Gewalt werden, stellt das Miterleben von Gewalthandlungen eine existentielle, emotionale und psychische Überforderungssituation mit weitreichenden Folgen dar. „Viele haben Angst, sind entsetzt und fühlen sich schuldig“ (Sauermost 2010, S. 87). Einige versuchen, den betroffenen Elternteil zu schützen oder zu trösten, benachrichtigen die Polizei oder Nachbarn und bringen jüngere Geschwister in Sicherheit.

Häufige Folgen von miterlebter Gewalt bei Kindern sind Angst, Erstarren bis Verstummen und Hilflosigkeit, Sorge um den betroffenen Elternteil und Anhänglichkeit an diesen, ständige Alarmbereitschaft in (auch geringeren) Bedrohungssituationen, Ein- und Durchschlafschwierigkeiten, Albträume, Einnässen oder Einkoten, Gefühlskälte oder anderweitige heftige, ungewohnte Emotionsausdrücke (vgl. ebd., S. 89). Der Kontakt mit anderen Kindern kann sich schwieriger gestalten und „geprägt (...) von stereotypen Geschlechtsrollenbildern und einem aggressiven Verhaltensstil“ (ebd.) sein. Kinder, die häusliche Gewalt selbst erfuhren oder miterlebten, werden häufig im Erwachsenenalter selbst gewalttätig oder Betroffene von Gewalt durch den/die Partner*in (vgl. Eidgenössisches Büro für Gleichstellung von Mann und Frau EBG; Informationsblatt 3, 2012, S. 5).

Die Liste der aufgeführten Folgen ist unvollständig und ließe sich noch erheblich verlängern.

2.2.2 Gewaltmuster und -dynamik

In der Literatur werden drei Muster häuslicher Gewalt unterschieden. Die situative Partnergewalt