Hausroman - Gudrun Seidenauer - E-Book

Hausroman E-Book

Gudrun Seidenauer

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Beschreibung

Was ein Haus erzählt: vom Leben unter einem Dach, zwischen Wänden und Türen. Und mit den Menschen geht auch die Liebe ein und aus. Da ist zum Beispiel Konrad, er ist Architekt: Als er mit Dora einzog, war sie schwanger, elf Jahre später verließ sie ihn, mit der gemeinsamen Tochter Katharina. Mit sechzehn zieht sie wieder zu ihm, er füllt den Kühlschrank auf. Und er holt das Modell der idealen Wohnanlage hervor, an dem er in den Jahren der Einsamkeit gebaut hat. Konrad sieht nicht, wie seine Tochter vor seinen Augen verschwindet, weil sie nichts isst. Er sieht aber auch Marie nicht, die Ärztin aus dem Mezzanin, die sich in ihn verliebt und Katharina nach ihrem Zusammenbruch findet. So wie diese Geschichte öffnen sich auch alle anderen Geschichten, die dieses Haus erzählt, von zwei Seiten, wie Türen, die von einem Raum zum anderen führen. Gudrun Seidenauer öffnet die Türen in einen Kosmos auf kleinem Raum, in dem Vergangenes und Gegenwart einander durchdringen. Stilistisch brillant, mit feinem psychologischem Gespür erzählt sie, was ein Haus vom Leben erzählen würde, wenn es nicht dessen stummer Zeuge wäre.

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Gudrun Seidenauer

Hausroman

Residenz Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2012 Residenz Verlagim Niederösterreichischen PressehausDruck- und Verlagsgesellschaft mbHSt. Pölten – Salzburg – Wien

Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub:978-3-7017-4342-1

ISBN Printausgabe:978-3-7017-1601-2

1WO ABER GEFAHR IST, WÄCHST DIE GEFAHR

Er schreibt es in großzügig geschwungenen Buchstaben, Aufstrich, Abstrich, zweimal die üppige Rundung des G, die ihn an einen schwangeren Bauch erinnert, bläst auf das Papier und hält es gegen das Licht. In Spiegelschrift könnte er es auch schreiben, das würde Dora noch mehr ärgern. Darunter: Gruß, Konrad. Der bekannte Druck am Brustbein, unruhige Finger. Er schiebt den Umschlag in die Mitte des Tisches und taucht den Blick in die Farben der gegenüberliegenden Wand, bis sie verschwimmen. Helles Anthrazit und cremiges Smaragd. Die Farben retten immer für eine Weile. Glatte, kühle Flächen, aber nicht so glatt, dass ihre Perfektion einen zurückstößt. Er hat lange nach dem richtigen Anstrich für die Küchenwände gesucht, nach einem ganz speziellen, der mit der Farbe im Stiegenhaus korrespondiert, Mineralfarbe, die einen weicheren Ton ergibt, nicht das billige Zeug, das man in jedem Baumarkt bekommt. Die Jalousien sind zu drei Viertel geschlossen. An diesem Augusttag brüllt die Hitze und verschärft den Gegensatz zwischen drinnen und draußen bis ins Unwirkliche. Konrad löscht Doras Anruf aus dem Protokoll des Telefons. Zwei schmale Lichtstreifen fallen über die Knopfleiste seines weißen Hemdes und die Seitennaht seiner Hose und geben der ganz alltäglichen Kleidung einen Moment lang das Aussehen einer leicht futuristischen Uniform. Er schiebt die zwei Dokumente, die Dora haben wollte, in eine Klarsichthülle und legt das Blatt mit seinem Gruß in den Umschlag. Doris nennt sie sich jetzt. Kein Absender, wozu, sie kennt seine Schrift. Die immer wieder abblätternde Stelle in der linken Ecke über dem Fenster hat er in der Form eines Kometen ausgeritzt. Das Perfekte ist das Tödliche steht winzig mit Bleistift hingekritzelt darunter, nicht lesbar von hier aus. Solche Sätze liebt er, über so etwas redete er gern bei einer halb geleerten Flasche Wein, die Wärme des Essens, der zuhörenden Gäste und Doras um sich. Die Aufmerksamkeit seiner Ex-Frau hatte ihn immer beflügelt und weitergetrieben, wenn er ins Stocken geriet, sich in seinen Gedanken verhedderte und fürchtete, das Interesse der Gäste könnte in höflich maskierte Genervtheit kippen. Doras nachsichtiger und immer erhebender Blick ließ ihn dann meist eine elegante Kurve nehmen, machte eine selbstironische Bemerkung möglich, sodass er nicht allzu schrullig erschien.

Ich mochte ihn von Anfang an. Wer weiß warum, vielleicht nur wegen der Farbe der Küche, wegen des Kometen, wegen der Ernsthaftigkeit seiner Träumereien und der Risiken, die er einging. Sein Zwang, anders zu denken, anders zu sein, gegen einen manchmal imaginären Mainstream zu rudern, trieb ihn an. Auch dass seine Wagnisse letztlich theoretisch blieben, war mir bald klar. Schon damals, als Konrad und Dora einzogen, unschlagbar verliebt, Dora schwanger, wusste ich das. Trotzdem, ich mochte ihn, auch ich konnte nicht anders. In gewisser Hinsicht war und ist er ein Seelenverwandter. Lieber sehe ich mich als die Summe all meiner Bewohner und bin damit mehr als das. Aber Seele oder Zukunft, das richtige Leben, das Wahre: Ideen über Ideen. Wie viele davon allein in einem nicht allzu großen Haus ein und aus gehen, verzerrtes Geflüster und Gestammel, ein Rauschen aus Kindertagen, Mutter, Vater, die Geschichten Tausender Jahre. Ich horche und horche.

Von Glück können die reden, die im Laufe ihrer Jahre die Idee, als die sie einst in den Köpfen ihrer Eltern herumgeisterten, mit ihrem Leben auszuhöhlen verstehen, bis zumindest Teile davon abfallen. Oder die, zu denen ihren Eltern und Lehrern von vorneherein nicht viel eingefallen ist. Es sind ja die besten Ideen, die nicht selten die unglücklichsten Menschen hervorbringen. Warum das so ist, verstehe ich noch nicht. Doch seit ich Sprache habe, habe ich auch Hoffnung. Ich weiß, darin liegt eine nicht unbeträchtliche Gefahr. Es muss an der Sprache selbst liegen: Die Hoffnung, gehört zu werden, ist nun einmal in sie eingeschrieben, und ich gestehe: Ich werde geschwätzig. Mit den Jahren nehme ich immer mehr von den schlechten Gewohnheiten der Menschen an. Ablenkung ist eine davon und die Neigung zu bodenloser Abstraktion. Dabei habe ich Alter und Tod nicht zu fürchten. Wenigstens neige ich nicht auch noch dazu, meine Schwächen für Stärken zu halten.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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