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Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.
Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.
Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:
Alpengold 162: Casanova im grünen Loden
Bergkristall 243: Das Medaillon der schönen Moni
Der Bergdoktor 1681: Kleiner Engel in Gefahr
Der Bergdoktor 1682: Kennst du die Wünsche deiner Frau?
Das Berghotel 99: Ein Busserl für die liebste Mama der Welt
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 600
Sissi Merz, Marianne Burger, Andreas Kufsteiner, Verena Kufsteiner
Heimat-Roman Treueband 4 - Sammelband
Cover
Impressum
Casanova im grünen Loden
Vorschau
Casanova im grünen Loden
Wie ein skrupelloser Schürzenjäger Mariannes Herz brach
Von Sissi Merz
Ein Förster, so fesch wie es so schnell keinen Zweiten gibt, das ist der junge Hartmann-Andreas, und die Madeln im schönen Taufenstein erliegen reihenweise seinem Charme. Doch lange kann er keiner treu sein, und so wird der Club der Verlassenen von Woche zu Woche größer.
Als die hübsche angehende Forstwirtin Marianne Seebach ausgerechnet Andreas’ Obhut anvertraut wird, um ihr Praktikum zu machen, merkt sie gleich, dass sie ihr Herz ganz fest in beide Hände nehmen muss, wenn sie Andreas’ Charme-Offensive widerstehen will! Aber es kommt, wie’s kommen muss: Allein mit ihm im malerischen Forsthaus, verliebt auch Marianne sich Hals über Kopf in den lebenslustigen Burschen, und wie viele andere vor ihr ist sie sicher, dass er sie von Herzen wiederliebt …
Ein fataler Irrtum, wie sich zeigen soll! Doch gerade, als Marianne den Burschen verlassen will, überschlagen sich im Forst auf tragische Weise die Ereignisse …
»Mei, Marianne, wie machst du das nur? Ich müh mich ab mit dem Stoff und hab den Eindruck, dass dir das alles nur so zufällt.« Sabine Gruber warf einen etwas neidischen Blick auf die Zensur der Freundin und seufzte. »Verrätst du mir dein Geheimnis?«
Marianne Seebach lachte unbekümmert auf. Sie strich sich eine vorwitzige Locke ihres blonden Haares aus der Stirn und meinte: »Da gibt es kein Geheimnis. Ich muss auch lernen. Aber es fällt mir net schwer, weil mir die Ausbildung zur Forstwirtin eben einen so großen Spaß macht.«
»Aber doch net die Theorie! Und diese ganzen langweiligen Mathe- und Statistikaufgaben.« Wieder seufzte Sabine, und diesmal klang es wirklich gequält. »Immer, wenn ich mich über meine Bücher setze, verspüre ich den unwiderstehlichen Drang, auf der Stelle einzuschlafen.« Sie nahm ihre Tasche und folgte der Freundin aus dem Seminarraum der Fachhochschule.
An diesem Tag hatten die angehenden Forstwirte eine wichtige Arbeit zurückerhalten, und es hatte einige lange Gesichter gegeben. Professor Eder zensierte streng, aber gerecht. Und er hatte für Marianne wie meist auch ein Lob übrig gehabt.
Nun wartete der Professor vor dem Seminarraum und sprach Marianne noch einmal freundlich an. Er war auch ihr Tutor, so eine Art Vertrauenslehrer, an den sie sich wenden konnte, wenn sie Fragen oder Schwierigkeiten hatte.
Dies war bislang nicht der Fall gewesen. Mariannes Berufswunsch hatte bereits in der Schule festgestanden.
Ihr Vater war ebenfalls Förster gewesen. Die Erinnerung an ihre Kindheit im Forsthaus hatte sie geprägt und dazu geführt, dass sie sich gar nichts anderes vorstellen konnte, als selbst Försterin zu werden.
Leider hatten ihre Eltern sich scheiden lassen, als Marianne zwölf Jahre alt gewesen war. Die Mutter war nach Berchtesgaden in eine Wohnung gezogen und hatte die Tochter mitgenommen. Und Mariannes Vater war ausgewandert.
Er hatte seinen Traum verwirklicht, in Kanada als Ranger in einem Nationalpark zu arbeiten. Oft hatte er ihr geschrieben und sie eingeladen, ihn zu besuchen. Aber die Mutter hatte sie nicht allein auf eine so weite Reise gehen lassen. Und vor ein paar Jahren war Mariannes Vater dann bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommen. Sie bereute es, ihn nicht wiedergesehen zu haben. Und sie hatte das ihrer Mutter auch vorgehalten. Doch diese hatte sich in der Zwischenzeit wieder verheiratet. Und seit Marianne ausgezogen war, um ihre Ausbildung zu machen, war ihr Kontakt nur noch sehr sporadisch.
Das Madel verdiente sich seine Ausbildung durch Jobben und war stolz darauf, unabhängig zu sein. Die Erbschaft, die ihr Vater Marianne hinterlassen hatte, war fest angelegt für schlechte Zeiten. Man wusste ja schließlich nie, ob man gleich einen passenden Arbeitsplatz fand.
Professor Eder sagte nun zu Marianne: »Ich habe gute Neuigkeiten für Sie. Sie können ab nächster Woche Ihr Praktikum in Taufenstein antreten. Das wird dann der Abschluss ihrer Anwärterzeit, Marianne. Danach können Sie die Laufbahnprüfung ablegen und sind fertig.« Er reichte ihr einige Unterlagen.
Das Madel strahlte. »Ich danke Ihnen herzlich, Herr Professor! Damit habe ich gar net so schnell gerechnet. Vielen Dank!«
Der Professor schmunzelte. »In Taufenstein wartet Arbeit auf Sie, Marianne. Die Praktikanten müssen schon zeigen, was sie können. Und die Bewertung fließt in Ihre Abschlussprüfung ein. Das wird also kein Urlaub werden.«
»Ich werde mich bemühen, allen Anforderungen gerecht zu werden«, versicherte das Madel ernsthaft. »Es ist ja net das erste Praktikum, das ich mache. Mir ist schon klar, dass es da einen gewaltigen Unterschied gibt zwischen Theorie und Praxis.«
»Sie machen das schon«, war Professor Eder überzeugt. »Alles Gute. Wir sehen uns dann im Herbst wieder.«
Marianne bedankte sich noch einmal und schloss sich dann wieder Sabine an, die ein Stück entfernt bei einigen Kollegen stand und sich unterhielt. Die Freundin wollte gleich wissen, was es Neues gab.
»Mein Praktikum. Ich werde nach Taufenstein fahren. Das ist gar net mal so weit weg von hier.« Sie lächelte. »Darüber bin ich echt froh und erleichtert. Ich hatte nämlich die ganze Zeit ein bisserl Angst davor, in irgendeinen entlegenen Winkel geschickt zu werden, wo das Heimweh mich plagt.«
Sabine schaute sich die Unterlagen an und nickte dabei anerkennend.
»Schön ist es da. Schau nur, wie idyllisch der Ort liegt. Und das Forsthaus ist richtig schmuck!« Sie deutete auf ein Foto, das ein traditionelles Holzbohlenhaus zeigte, umgeben von himmelhohen Föhren. »Wenn du Glück hast, ist der Kollege dort jung und einschichtig …«
»Du und deine Ideen!« Marianne packte die Unterlagen in ihre Tasche. »Ich muss da arbeiten, das wird kein Urlaub mit Flirt. Ich hoffe, der Förster nimmt mich für voll und lässt mich net nur den Papierkorb leeren und Kaffee kochen. Man hört ja immer wieder, dass die älteren Kollegen was gegen Madeln in diesem Beruf haben.« Sie machte ein entschlossenes Gesicht. »Wenn der in Taufenstein so ein alter Knochen ist, werde ich mich schon durchzusetzen wissen!«
»Na klar, du erreichst doch immer, was du dir vornimmst. Gehen wir in die Mensa? Ich hab einen Mordshunger.«
Sabine war ein wenig rundlich, sie aß für ihr Leben gern. Nudeln und andere Mehlspeisen hatten es ihr besonders angetan. Von körperlicher Bewegung hielt sie wenig.
Marianne wusste, dass die Freundin weitaus lieber einen Förster heiraten würde, als selbst diesen Beruf zu ergreifen. Und sie vermutete, dass Sabine eben mit diesem Hintergedanken überhaupt an die FH gekommen war. Besonderen Ehrgeiz, was das Berufliche anbelangte, legte sie jedenfalls nicht an den Tag.
»Willst du dein Praktikum net auch bald in Angriff nehmen?«, fragte das blonde Madel die Freundin, als sie wenig später bei Nudeln mit Fleischklößchen in der Mensa saßen.
Der verglaste Anbau neben dem Fachbereich Volkswirtschaft war wie stets gut besucht, denn das Essen war preiswert und genießbar. Auf dem Campus blühten unter alten Buchen die ersten Schneeglöckchen, Winterlinge und eine Zaubernuss hatte ihre goldgelben Blüten geöffnet, die im schon nicht mehr ganz so kalten Spätwinterwind flatterten. Die Sonne schien von einem klaren, blauen Himmel.
Marianne dachte an Taufenstein und lächelte. Bei diesem Wetter den ersten Rundgang durch den Forst zu unternehmen, würde Spaß machen …
Sabine kümmerte der Ausblick nicht, sie beschäftigte sich mit ihrem Teller und schielte dabei bereits begehrlich auf den Nachtisch, Grießpudding mit Erdbeersoße.
Kauend antwortete sie auf Marianne Frage: »Das hat noch Zeit. Ehrlich gesagt bin ich darauf gar net so scharf. Die Theorie fällt mir zwar schwer, aber wenn ich für irgendeinen Kollegen die ganze Arbeit im Forst erledigen soll, werde ich mich gewiss bald hierher zurückwünschen.«
Marianne konnte über diese Einstellung nur den Kopf schütteln.
»Sag mal, Bine, gibt es eigentlich irgendeinen Aspekt bei unserer Ausbildung, der dir so richtig gut gefällt? Ich meine, du musst doch auch einen Grund gehabt haben, warum du damit angefangen hast. Ich kann mir net denken, dass du einfach blind mit dem Finger im Vorlesungsverzeichnis etwas herausgepickt hast, oder?«
Sabine lachte. »Nein, das net gerade! Also, meinen Eltern hab ich erzählt, dass ich mal eine Stelle in der Forstverwaltung anstrebe. Und das stimmt ja auch. Ein Revier zu übernehmen, wie du das gerne machen willst, wäre nix für mich. Das ist mir nämlich viel zu anstrengend.«
»Und was hast du nun wirklich im Sinn? Ich meine jetzt net die Version für die Eltern, sondern deine eigenen Wünsche.«
»Du hast mich durchschaut. Der Beruf ist mir wirklich net so wichtig, jedenfalls steht er net an erster Stelle.« Sie lächelte verschmitzt, beugte sich ein wenig vor und bekannte: »Dir ist doch gewiss schon mal aufgefallen, dass wir Madeln hier in der Unterzahl sind, gelt? Das ist einer der Gründe, warum ich mich für die Forstwirtschaft entschieden habe.«
»Wegen der Forstwirte«, schloss Marianne.
Sabine schob mit einem zufriedenen Lächeln ihren leeren Teller von sich und widmete sich dann mit Hingabe dem Nachtisch.
»Du hast es erfasst. Ich bringe einfach net deinen Ehrgeiz auf, wenn es ums Berufliche geht. Außerdem wünsche ich mir eine Familie, ganz traditionell. Kinder aufziehen und meiner Kochleidenschaft frönen.« Ihr Lächeln vertiefte sich. »Und ebenfalls meiner Essleidenschaft.«
»Ich verstehe. Dann wünsche ich dir, dass du bald den Förster fürs Herz findest«, meinte Marianne aufrichtig. »Und bei deinem Talent fürs Kochen sollte dir das net schwerfallen.«
»Eile mit Weile«, murmelte Sabine gemütlich. »Das dauert alles seine Zeit. Ich will nix überstürzen, es soll ja der Rechte sein. Und während du in Taufenstein das Forstrevier auf Vordermann bringst, werde ich hier ein paar infrage kommende Kandidaten ausgiebig bekochen. Dazu sind die Semesterferien schließlich da.«
Marianne hätte einwenden können, dass man die freie Zeit auch dazu nutzen konnte, seine schulischen Leistungen zu verbessern, doch sie sparte ihren Atem, denn der wäre verschwendet gewesen. Die Freundin hatte ihre Prioritäten nun mal anders gesetzt.
»Aber weißt du das?«, sinnierte Sabine, als sie noch Kaffee zusammen tranken. »Vielleicht werde ich ja gar net fündig, und du verliebst dich dafür in Taufenstein …«
Marianne lachte. »Keine Sorge, das wird ganz gewiss net geschehen. Ich fahre nämlich ausschließlich zum Arbeiten nach Taufenstein.«
In dem Punkt sollte das Madel sich irren. Aber das ahnte Marianne in diesem Moment noch nicht …
***
Der kleine Ort Taufenstein lag wirklich sehr idyllisch in einem Tal, eingebettet im schönen Berchtesgadener Land. Folgte man der Landstraße von Bischofswiesen aus, die sich schmal und kurvenreich durch die gebirgige Landschaft schlängelte, sah man zu beiden Seiten dichte Föhrenwälder.
Kurz vor Taufenstein öffnete sich der Blick dann auf den Untersberg, den Hausberg des Dorfes, die weiter westlich gelegene Kneifelspitze und im Norden den Hintersee mit seinem klaren, grünen Gebirgswasser. Der See wurde von mehreren Gletscherbächen gespeist und war das ganze Jahr über zu kalt, um darin zu baden.
In Taufenstein lebten die Menschen noch von der Landwirtschaft in einem klimatisch bevorzugten Bereich. Die Winter waren hier nicht so lang wie sonst im Berchtesgadener Land, die Sommer dafür durchwachsen mit regelmäßigen Regengüssen. Ideale Voraussetzungen also, um von dem zu leben, was der fruchtbare Boden hergab. Man fand hier auch zwei Fremdenpensionen, und einige Landwirte boten im Sommer »Ferien auf dem Bauernhof« an.
Alles in allem war es ein ruhiges und beschauliches Leben in Taufenstein. Die Menschen kannten und respektierten sich, kleinere und größere Schwächen waren bekannt und wurden toleriert. Man kam recht gut miteinander aus, denn der hiesige Menschenschlag war bedächtig, neigte nicht zum Streit und war durchaus als phlegmatisch zu bezeichnen.
In diese Idylle war nun vor ein paar Jahren ein Casanova im grünen Loden eingebrochen und hatte die Dorfgemeinschaft ordentlich aufgemischt.
Andreas Hartmann, ein fescher Waidmann, groß und sportlich, mit einem gut geschnittenen Gesicht, dichtem dunklem Haar und klaren, grauen Augen sowie einer fatalen Wirkung aufs andere Geschlecht.
Seit er in Taufenstein der Revierförster war, hatte er im ganzen Umkreis Dutzende Mädchenherzen gebrochen. Es war immer das gleiche Spiel: Begegnete Andreas ein hübsches Madel, dann schien sein Jagdinstinkt wach zu werden. Er umgarnte die Schöne mit allen Tricks und Schlichen, die er auf Lager hatte – und das waren nicht wenige. Und er ruhte nicht eher, bis das Madel in seinen Armen lag. Um dieses Ziel zu erreichen, schreckte er auch vor glühenden Liebeserklärungen nicht zurück.
Keine hatte ihm bislang widerstehen können. Und immer wenn er sein Ziel erreicht hatte, war sein Interesse schlagartig erloschen. Weder unglückliche Verflossene noch erzürnte Eltern oder zornige Burschen hatten diesem Spiel bislang ein Ende bereiten können. Immer wieder wurde ein Madel schwach. Immer wieder glaubte eine, die Eine zu sein, mit der Andreas es eben doch ehrlich meinte. Und immer wieder schlich sie dann nach einem kurzen Glücksrausch betreten und schamhaft zurück zu ihrem Freund oder Verlobten.
Der fesche Förster dachte sich nichts dabei. Er hatte auch kein schlechtes Gewissen. Immerhin kamen die Madeln freiwillig zu ihm. Niemals hatte er eine zu etwas gezwungen. Wie fadenscheinig diese Behauptung im Grunde war, schien ihn nicht zu kratzen. Dabei war Andreas nicht immer so gewesen.
Es hatte eine Zeit im Leben des jungen Mannes gegeben, da war alles ganz anders gewesen. Und diese Zeit lag nun erst ein paar Jahre zurück …
Damals war Andreas noch in der Ausbildung gewesen, ein eher schüchterner Bursch, der sich auf sein gutes Aussehen nichts einbildete. Er hatte fleißig gelernt, um zeitig seinen Abschluss zu machen und seinen Eltern nicht zu lange auf der Tasche zu liegen. Vom Ausgehen und Poussieren mit hübschen Madeln hatte er nichts gehalten. Bis er einmal einen Spezl auf ein Tanzfest begleitet und dort ein zauberhaftes Madel kennengelernt hatte.
Christel Talhuber hatte Andreas an diesem Abend völlig den Kopf verdreht. Er hatte sich sozusagen auf den ersten Blick in die rassige Schönheit mit dem glänzenden, dunklen Haar und den warmen braunen Augen verliebt. Und er war überglücklich gewesen, als ihm klar geworden war, dass sie ihn auch gern hatte.
Verliebte Wochen waren gefolgt. Der Bursch hatte noch fleißiger gelernt und darauf gedrängt, sich eine Existenz aufzubauen, denn er wollte seine Christel heimführen.
Dass die verwöhnte Schönheit durchaus noch andere Verehrer hatte und von Treue nichts hielt, hatte er lange nicht gemerkt. In seiner Verliebtheit wollte er nur das Positive, das Schöne sehen.
Er baute in Gedanken bereits eine gemeinsame Zukunft für sich und das Madel, das er lieb hatte, auf. Die Ernüchterung war dann plötzlich und völlig unvorbereitet über ihn gekommen. Diesen regnerischen Herbsttag würde Andreas nie vergessen, denn er hatte sein ganzes Leben verändert.
Der angehende Forstwirt hatte sein mühsam Erspartes in einem kostbaren Ring für seine Liebste angelegt. Er wollte ihn ihr als Verlobungsring an den Finger stecken. Immer wieder hatte er sich ausgemalt, wie ihre Augen glänzen würden, wenn er ihr einen Antrag machte. Während er zu dem geliebten Madel geeilt war, waren all seine Gedanken nur bei ihr gewesen.
Aber dann war alles ganz anders gekommen. Christel war nicht allein gewesen. Und sie hatte über den »mickrigen Ring« nur gelacht. Ihr neuer Freund, den er bei dieser Gelegenheit so ganz nebenbei kennengelernt hatte, konnte ihr mehr bieten. Damit war die Sache für Christel erledigt gewesen. Sie hatte es niemals ernst mit Andreas gemeint. Er war nur einer unter vielen gewesen.
Unglücklich, niedergeschlagen und völlig verzweifelt war er durch den zunehmenden Regen gelaufen und hatte keinen Sinn mehr in seinem Leben gesehen. Im ersten Impuls hatte er den Ring einfach wegwerfen und sich selbst vor einen Zug stürzen wollen. Zu groß war die Enttäuschung gewesen. Zu schlimm der Schmerz, der in seinem Innern gewühlt hatte.
Der Lebenswille hatte schließlich gesiegt und ihn davon abgehalten, eine Dummheit zu begehen. Sich wegen eines Madels, das es nicht wert war, das Leben zu nehmen, war falsch. Das sagte sein Verstand ihm immer wieder, so lange, bis sein Herz endlich schwieg. Und von diesem Tag an war es stumm geblieben.
Nachdem Andreas seine Enttäuschung halbwegs verwunden hatte, war für ihn eines klar gewesen: Nie wieder wollte er dermaßen verletzt werden, nie wieder so sehr leiden. Kein Madel sollte ihm mehr das Herz brechen. Von nun an würde er die Rollen tauschen. Er wollte sein gutes Aussehen nutzen, um nach Herzenslust à la carte zu leben. Keine Gefühle mehr, die tiefer gingen, nur noch Spaß und unverbindliche Affären.
Zuerst war ihm das noch schwergefallen. Das Gewissen hatte sich jedes Mal gemeldet, wenn er ein Madel verführt und dann einfach abserviert hatte. Doch mit der Zeit gewöhnte Andreas sich daran, nur an sich selbst zu denken. Hatte er doch einmal Skrupel, dann musste er nur an jenen verregneten Herbsttag denken, an dem Christel ihm das Herz gebrochen hatte. Dann wurde alles ganz leicht.
Nach seiner Ausbildung kam Andreas schließlich nach Taufenstein. Er hatte sich auf Anhieb wohlgefühlt in dem schönen Ort. Das Leben im Forsthaus gefiel ihm, der Beruf machte ihm Spaß. Und sein »Jagdrevier« fand er bestens gefüllt vor …
***
An diesem sonnigen Märztag, als Marianne Seebach sich auf den Beginn ihres Praktikums in Taufenstein vorbereitete, hatte Andreas Hartmann mal wieder eine Verabredung.
Claudia Faber hieß das Madel, dessen Familie im Ort eine Landwirtschaft betrieb. Mit dem goldblonden Haar und den himmelblauen Augen war Claudia eine echte Schönheit. Der Hof der Eltern warf genug ab, um davon leben zu können, was das Madel zusätzlich zu einer begehrten Partie im Tal machte.
Claudia hatte viele Verehrer, doch bislang hatte sie sich für keinen so recht erwärmen können. Dass sie einmal auf den Casanova vom Forsthaus hereinfallen würde, hätte sie sich noch vor Kurzem kaum vorstellen können. Sie hatte mitleidig den Kopf geschüttelt, wenn mal wieder eine ihrer Freundinnen sich über Andreas beschwert hatte. Wie konnte man aber auch! Es war doch ganz offensichtlich, dass dieser viel zu gut aussehende Bursch ein echter Schürzenjäger war. Die Madeln hatten selbst schuld!
Das war Claudias Einstellung gewesen. Jedenfalls bis vor ein paar Wochen. Da war sie am späten Nachmittag mit dem Auto aus Bischofswiesen vom Einkaufen gekommen und hatte eine Reifenpanne gehabt. Ausgerechnet der Förster war vorbeigekommen. Er hatte ihr nicht nur den Reifen gewechselt, sondern sie auch gleich zum Essen eingeladen. Claudia war auf seine freundliche Masche hereingefallen. Und es hatte nicht lange gedauert, bis sie rettungslos in ihn verliebt gewesen war.
Claudias Eltern waren entsetzt gewesen, ihr Bruder hatte gedroht, den Förster zu verprügeln. Und ihre Freundinnen hatten ihr einhellig ein gebrochenes Herz prophezeit. Claudia aber schlug alle Warnungen in den Wind und ging in die altbekannte Falle. Eine Weile schwebte sie auf Wolken und träumte von einer gemeinsamen Zukunft mit dem feschen jungen Förster.
In der Zwischenzeit hatte das Madel einige Zweifel. Andreas war bei Weitem nicht mehr so aufmerksam ihr gegenüber wie am Anfang. Er schien auch nicht immer ehrlich zu sein. Hinterging er sie vielleicht? Kein schöner Gedanke, den sie lieber von sich schob, auch wenn er nicht gerade abwegig war.
Claudia musste sich selbst eingestehen, dass sie ihr Herz an den Hallodri verloren hatte. Und auch wenn es kaum etwas nützen würde, den Kopf einfach in den Sand zu stecken und so zu tun, als wäre zwischen ihnen alles in bester Ordnung, so hatte sie sich doch vorgenommen, genau das zu machen.
An diesem Abend fuhren sie nach Bischofswiesen und gingen essen. Andreas gab sich charmant wie immer. Er erzählte von seiner Arbeit und brachte Claudia des Öfteren zum Lachen. Doch er schien nicht ganz bei der Sache zu sein. Er wirkte zerstreut auf das Madel. Immer wieder wanderte sein Blick unruhig durch das Lokal, so, als suchte er nach jemandem. Und sie hatte den Eindruck, dass er jetzt lieber woanders gewesen wäre.
Zunächst überspielte Claudia noch die immer länger werdenden Pausen in ihrer Unterhaltung. Aber auf dem Heimweg hatte sie schließlich genug davon. Sie dachte nicht mehr an das, was sie sich vorgenommen hatte; sie wollte Gewissheit haben!
Wenn Andreas sich mit ihr langweilte, dann sollte er ihr das ins Gesicht sagen. Natürlich hatte sie Angst davor, dass er sie nun abservieren würde wie all die anderen. Sie wollte nicht in den Club der Verflossenen eintreten, auch wenn der in Taufenstein und Umgebung bereits viele Mitglieder hatte. Schließlich hatte Claudia sich für schlauer gehalten. Nun erfahren zu müssen, dass es ihr erging wie all den anderen Madeln, das war bitter. Von dem Liebeskummer, dem Schmerz, der Verzweiflung und all den Tränen ganz zu schweigen, die in vielen kommenden einsamen Nächten auf sie warteten.
Aber dieser Schwebezustand, in dem sie sich jetzt befand, war noch weitaus schlimmer. Kaum zu ertragen.
Der junge Forstmann hielt vor dem Faber-Hof, schaltete den Motor seines Jeeps aus und wollte Claudia ein Busserl zum Abschied geben. Doch sie schob ihn stumm von sich. Er stutzte.
»Was hast du denn, Schatzerl? Stimmt was net?«, fragte er überrascht.
»Das kann man wohl sagen! Da stimmt einiges net«, erwiderte sie bemüht ruhig. Doch sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme leicht zitterte. Andreas war das natürlich nicht entgangen. Er wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Das war schließlich nicht das erste Ende einer Affäre, das er erlebte. Er blieb nach außen hin ruhig und gelassen wie immer.
»Ich würde gern erfahren, warum du mich so schlecht behandelst«, sagte Claudia leise. »Was hab ich dir getan?«
»Nichts. Ich bin mir keiner Schuld bewusst.« Seine Stimme klang neutral, weder ärgerlich noch abweisend. Aber auch nicht sonderlich herzlich.
»Du tust so, als wäre ich dir einerlei«, beschwerte das Madel sich da bitter. »Net einmal nach der Goldenen Hochzeit möchte ich von meinem Mann so behandelt werden. Findest du mich nimmer attraktiv? Bin ich dir zu langweilig? Es muss doch einen Grund geben, dass ich dich nimmer reize!«
»Das tust du doch.« Er nahm sie in den Arm. »Ich beweise es dir gern, Schatzerl. Sei halt wieder lieb und lass das Reden!«
Ein Busserl gewährte sie ihm, denn es fiel ihr trotz allem schwer, ihm zu widerstehen. Dabei tat ihr das Herz aber weh.
»So habe ich das net gemeint«, stellte sie dann klar. »Du behandelst mich einfach schlecht, Andi, das musst du doch selbst merken. Jetzt sag mir halt, was es ist!« Sie senkte den Blick und seufzte schwer. »Ich weiß, dass du allerweil die Abwechslung suchst und nie lange bei einem Madel bleibst. Aber ich hab wirklich gedacht, mit uns, das ist was anderes. Sonst hätte ich mich nie darauf eingelassen, das musst du doch wissen!«
Er lächelte schmal, strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn und meinte: »Ich muss jetzt los, es ist schon spät.«
»Andi! Jetzt sei doch endlich einmal ehrlich! Du kannst mich net so zappeln lassen. Bin ich dir denn so wenig wert?«
»Madel, ich versteh dich net«, behauptete er da. »Wir zwei sind doch wunderbar miteinander ausgekommen.«
»Ich dachte, du hast mich lieb.« Ihre Stimme war ganz klein.
»Liebe kommt, Liebe geht, so ist das im Leben. Nix ist für die Ewigkeit gemacht. Warum sollen wir uns jetzt darüber streiten? Das ist doch ein Schmarren. Gib mir lieber noch ein Busserl!«
»Ich hasse dich!« Sie wollte ihm eine Watschen verpassen, aber er fing ihre Hand ab und lachte.
»Claudia, du bist ja ein Wildkatzerl. Ich glaub, ich muss mich vor dir in Acht nehmen.«
»Bitte, Andi, sei mir net bös! Ich … hab’s ja net so gemeint. Es ist nur, das macht mich ganz narrisch, dass ich net weiß, woran ich bei dir bin. Ich hab dich doch lieb! Und du tust so, als wäre das gar nix. Das kann ich nimmer ertragen!«
»Ich hab dich auch gern, wir verstehen uns doch wunderbar«, hielt er ihr entgegen. »Warum willst du alles kompliziert machen? Das ist doch dumm. Wir sollten lieber unser Leben genießen, statt es uns unnötig schwer zu machen.«
»Aber das geht doch auf meine Kosten, verstehst du das net? Ich kann nimmer ewig so weitermachen. Ich muss endlich wissen, woran ich bin. Bitte sag mir jetzt, wie du zu mir stehst, auf der Stelle! Oder ich steig aus, und wir werden uns nimmer wiedersehen!«
Andreas sagte nichts. Es dauerte nur ein paar Augenblicke, dann wurde dem Madel bewusst, dass es sich selbst ins Aus manövriert hatte. Genau darauf schien der Bursch nur gewartet zu haben. So also zog man sich elegant aus der Affäre! Claudia hätte sich niemals vorstellen können, wie bitter der Sinn dieses Ausspruchs wirklich war, hätte sie es nicht am eigenen Leib erlebt. Wütend und enttäuscht riss sie die Autotür auf und rannte davon.
Der junge Förster blieb noch einen Moment lang, wo er war, schaute dem Madel nach und startete den Motor erst, als er sah, dass Claudia im Haus verschwunden war. Dann machte er sich auf den Heimweg.
Erleichterung erfüllte ihn, denn er hatte nicht recht gewusst, wie er dieses Madel loswerden sollte. Er mochte Claudia ehrlich und wollte ihr nicht wehtun. Aber es wurde Zeit, sich nach etwas Neuem umzusehen, bevor er vielleicht noch echte Gefühle entwickelte. Nur das nicht!
Weder Claudia noch Andreas hatten den dunklen Schatten bemerkt, der zwischen Haus und Remise gestanden und sie beobachtet hatte. Nachdem der Förster abgefahren war, löste der Schatten sich von der Hauswand und verschwand in der Nacht.
Keiner sah ihn, wie er seines Wegs ging, denn er kannte sich in Taufenstein gut aus und benutzte nur Schleichwege.
Der Schatten verschmolz mit der Finsternis der Märznacht. Beinahe lautlos schlich er fort. Nur ab und zu fluchte er leise. Was er gesehen und gehört hatte, machte ihn nämlich sehr wütend.
***
Am nächsten Morgen schien die Sonne, die Vögel zwitscherten, und der Himmel war blau. Der März machte seinem Namen als erster Frühlingsmonat alle Ehre. Auch wenn es nachts noch fror und auf den umgebenden Gipfeln der Schnee lag, so hing doch eine erste Ahnung der kommenden milden Jahreszeit in der Luft.
Andreas Hartmann war bester Dinge. Er fühlte sich so frei wie die Tannenmeisen, die in den Wipfeln der alten Föhren ihr lustiges Liedchen zwitscherten.
Kurz nach dem Frühstück trafen die beiden Förstergehilfen Wolferl Staudt und Peter Richter im Forsthaus ein. Die zwei waren fleißig und verträglich. Sie taten ihre Arbeit ordentlich und stießen am Feierabend gerne mal mit Bier und Enzian an. Da auch Andreas kein Abstinenzler war, hatte sich zwischen den dreien ein fast freundschaftliches Verhältnis entwickelt. In gemütlicher Runde gab der Förster dann öfter manch launige Schilderung seiner amourösen Abenteuer zum Besten.
Während Peter sich mit stiller Bewunderung amüsierte, fand Wolferl das Ganze einfach nur beneidenswert. Er hatte bislang nicht viel Glück bei den Madeln gehabt, obwohl er ein fescher Bursch war. Doch er meinte, dass ein armer Schlucker eben keine Ansprüche stellen konnte. Die hübschen Madeln hielten nur nach einer guten Partie Ausschau. Und die hässlichen mochte er nicht. Ein wenig neidisch war er schon, wenn sein Chef von all den Eroberungen berichtete, die er schon gemacht hatte. Davon konnte Wolferl wohl nur träumen …
An diesem Morgen hatte Andreas wieder etwas zu erzählen. Es ging aber nicht um eine Eroberung, eher um das Gegenteil.
»Wenn ihr zwei heut auf d’ Nacht noch nix vorhabt, lad ich euch zu einer fröhlichen Zechrunde beim Ochsenwirt ein«, schlug er großzügig vor. »Da ich jetzt wieder frei wie ein Vogerl bin, kann ich mir das leisten.«
Peter nickte anerkennend. »Ich bin dabei, Chef. Dann heißt das wohl, du hast die Claudia abserviert, net wahr?«
»Sagen wir mal so: Sie hat sich selbst abserviert.« Er lächelte schmal. »Wenn ein Madel anfängt zu klammern, dann wird es Zeit, zu einem Befreiungsschlag auszuholen, wie man so schön sagt. Oder seid ihr zwei anderer Meinung?«
»So ein Leben à la carte, das muss man sich leisten können«, gab Peter zu bedenken. »Ich halt mich lieber zurück bei den Madeln. Net ein jeder ist so clever wie du, Chef. Nachher schleppen sie einen gleich zum Traualtar …«
»Da musst du schon achtgeben«, pflichtete der Förster ihm bei. »Man darf sich halt net festlegen. Allerweil ein Hintertürl offen lassen, durch das man im Notfall entwischen kann.« Er lachte unbekümmert auf. »Das Leben kann so schön sein. Warum es sich durch eine Ehefessel vermiesen lassen?«
Peter lachte ebenfalls, während Wolferl die ganze Zeit mit leicht verkniffener Miene geschwiegen hatte. Andreas wollte ihn gerade auf sein Verhalten ansprechen, da begann sein Handy zu klingeln.
Am anderen Ende meldete sich ein aufgebrachter Bürgermeister. Xaver Rothaupt war nicht nur der Ortsvorsteher von Taufenstein, ihm gehörte auch die Sägemühle. Er war der größte Holzkunde, seine Firma lieferte vom Schalungsholz am Bau bis zu teuren Holzmöbeln alles, was man aus dem begehrten Rohstoff herstellen konnte. Normalerweise war der korpulente Gebirgler ein umgänglicher Mensch. Er zahlte prompt und war ein verlässlicher Geschäftspartner. Lief in seiner Sägemühle oder den Holzwerken aber etwas schief, konnte Xaver sehr ungemütlich werden. Und das war an diesem Morgen der Fall.
»Was ist denn das für ein Chaos bei dir im Forst, Andi?«, rief er in einer Lautstärke, die den Gebrauch des Telefons eigentlich überflüssig machte. Peter und Wolferl tauschten daraufhin einen vielsagenden Blick und verzogen sich.
»Chaos?«, echote der Förster. »Ich weiß net …«
»Dann werde ich dir mal ein Lichterl aufstecken! Hundert Ster Polderholz sollte mein Fahrer heut Morgen mit dem Tieflader abholen. War das ausgemacht oder net?«
»Freilich. Das Holz sitzt am Weg zur Niederklamm wie abgesprochen«, erwiderte Andreas verbindlich.
»Mag schon sein. Aber euer berühmter ›Spaßvogel‹ scheint mal wieder am Werk gewesen zu sein. Die Wegbeschilderung ist ausgetauscht worden. Mein Fahrer, der Hias, stammt net von hier, der kennt sich net so aus wie ein Hiesiger, sonst wäre ihm der Fehler gewiss aufgefallen. So ist er statt zur Klamm in den Schuss unterhalb vom alten Eichenwald gefahren. Ich nehme an, du weißt, wo das ist und wie es dort ausschaut?«
Der junge Waidmann schluckte. »Das ist ein enger Weg, da kommt man kaum mit dem Jeep weiter. Ich vermute …«
»Er steckt fest!«, donnerte Xaver Rothaupt und nahm Andreas’ Schlussfolgerung so vorweg. »Kannst du dir denken, wie er da wieder herauskommen soll?«
»Das wird schwer.« Andreas dachte fieberhaft nach, dann schlug er vor: »Ich schick den Peter und den Wolferl mit schwerem Gerät. Sie werden den Schuss verbreitern. Das kann aber eine Weile dauern. Was anderes fällt mir im Moment net ein.«
»Im alten Eichenwald steht wertvolles Holz. Ich muss wohl net extra erwähnen, dass es da keine Beschädigungen geben darf«, knurrte der Bürgermeister ungnädig. »Ich warn dich, Andreas, wenn deine Leut Mist bauen …«
»Keine Sorge, die zwei kennen sich aus. Ich komme gleich rüber und werde dafür sorgen, dass alles glattläuft«, versicherte er verbindlich. »Das kriegen wir schon wieder hin.«
»Kümmere dich um diesen ›Spaßvogel‹. Wenn so was öfter vorkommt, wird das für dich ernste Konsequenzen haben«, drohte Xaver noch, dann war die Verbindung unterbrochen.
Andreas eilte nach draußen. Er gab seinen beiden Mitarbeitern stichwortartige Anweisungen, sprang dann in seinen Geländewagen und fuhr los. Mit verkniffener Miene bretterte er über den Waldweg, der zum alten Eichenforst führte. Seine gute Laune war dahin.
In letzter Zeit häuften sich solche Fälle von grobem Unfug und Sachbeschädigung. Es hatte damit angefangen, dass einer Wegweiser ausgegraben und an anderer Stelle wieder aufgestellt hatte. Nachdem das mehrere Male passiert war, hatte Andreas eines Morgens alle Wildverbissmanschetten in einem Aufforstungsstück vermisst. Die hellen Plastikhüllen, die junge Bäume vor den Rehen schützten, waren später als groteske Verzierung in einem Birkenhain aufgetaucht. Und dann war da noch die Geschichte mit der roten Holzbank.
Der Bürgermeister hatte sie an einem Aussichtspunkt auf halber Höhe des Untersberges aufstellen lassen. Sie hatte eine richtige Rundreise durch das Forstrevier von Taufenstein angetreten, war mal hier, mal dort aufgetaucht.
Das Lokalblatt hatte die Geschichte schließlich aufgeschnappt und den Unbekannten, der ständig sein Unwesen in Andreas’ Revier trieb, als den »Spaßvogel« tituliert. Dieser Name war hängen geblieben, jeder in Taufenstein nannte ihn nun so. Dabei war das, was da ablief, alles andere als spaßig. Jedenfalls für den jungen Förster.
Angefangen hatte es mit kleinem Schabernack, sich nun aber zu richtig dickem Ärger ausgewachsen. Die Aktion mit dem Tieflader des Bürgermeisters würde nicht nur teuer werden, sie konnte Andreas auch schaden. Letztlich fielen all diese Begebenheiten auf ihn zurück und verstärkten immer mehr den Eindruck, dass er sein Revier nicht im Griff hatte.
Ein Stück vor seinem Ziel hielt der Förster an und stieg aus. Die breiten Reifen des Tiefladers hatten sich weit in den weichen Waldboden eingegraben. Die Erde war nass, das Gewicht des Fahrzeugs hatte sie zu kleinen Gräben zusammengedrückt. Vermutlich wäre der Tieflader auch stecken geblieben, wenn der Weg breit genug gewesen wäre.
Hier gab es keine Verfestigungsschicht wie auf befahrbaren Waldwegen, an denen Holz lagerte. Dies war ein Waldabschnitt, der nicht mehr bewirtschaftet wurde. Die alten Eichen standen bereits seit ein paar Hundert Jahren in dem Gebiet.
Andreas seufzte. Es würde nicht leicht werden, das große Fahrzeug ohne nennbare Schäden für die Umgebung zurück auf die Straße zu bugsieren. Er schluckte einen Fluch herunter. Wenn er diesen »Spaßvogel« erwischte, der konnte sein blaues Wunder erleben!
Das Knattern von zwei Dieselmotoren klang wenig später durch die Stille der Natur. Peter und Wolferl waren zur Stelle und begannen sofort mit der Arbeit.
Andreas hatte sich in der Zwischenzeit die Bescherung näher angeschaut. Und er hatte sich nicht getäuscht. Der Tieflader steckte nicht nur seitlich fest, er war auch im weichen Waldboden eingesunken und kam weder nach vorne noch zurück.
Xaver Rothaupt lief schimpfend über die nahe Lichtung und telefonierte. Seine Schimpfkanonaden gingen im Getöse der Maschinen unter, die den Weg verbreiterten.
So ging das bis zum frühen Nachmittag. In der Zwischenzeit war auch die Feuerwehr angerückt und ein Abschleppwagen einer Autofirma aus Bischofswiesen. Als der Weg breit genug war, um von mehreren Fahrzeugen benutzt zu werden, machte man sich mit vereinten Kräften daran, den Tieflader aus seiner misslichen Lage zu befreien.
Allerdings zeigte sich bald, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit war. Erst ein Kranwagen, der am frühen Abend aus Berchtesgaden kam, brachte genug Leistung, um den Tieflader der Sägemühle wieder flottzumachen.
Als es geschafft war, atmeten alle auf. Doch die Erleichterung währte nicht lange.
»Für die Schäden bist du mir verantwortlich, Andreas«, grollte der Bürgermeister. »Ich werde dich net persönlich haftbar machen können, aber das da fällt auf dich zurück!« Er deutete auf den verwüsteten Weg und die gefällten Bäume. »Streng dich lieber bei der Suche nach diesem ›Spaßvogel‹ ein bisserl mehr an! Wenn noch mal so was passiert, seh ich schwarz für deine Zukunft als Revierförster in Taufenstein.«
»Den krieg ich«, murmelte der Förster mit schmalen Lippen, und es klang wie ein Schwur. »Das wird der mir büßen!«
Als Andreas dann eine Weile später heimkam, wartete noch die ganze Post und aller Papierkram auf ihn. Er war müde und hungrig und beschloss, alles Weitere auf den nächsten Tag zu verschieben. Missmutig briet er sich ein paar Spiegeleier, aß einen Kanten Brot dazu und dachte nicht zum ersten Mal, dass im Forsthaus eine gescheite Hauserin fehlte. Da fiel ihm etwas ein.
»Moment mal«, murmelte er, und es kam wieder Leben in ihn. Er ging hinüber in sein Arbeitszimmer, wühlte im Posteingangskorb und förderte schließlich ein Schreiben der Forstverwaltung zutage. »Die Praktikantin, die kommt ja schon morgen.« Er atmete auf, und ein entspanntes Lächeln legte sich um seinen Mund. Da hatte er ja die Unterstützung, die er brauchte!
Das Madel konnte den Haushalt führen und den verhassten Schreibkram erledigen, während er sich auf die Suche nach dem »Spaßvogel« machte. War sie zudem auch noch halbwegs hübsch, würde ihm das die Arbeit sehr versüßen. Wenn das keine guten Aussichten waren …
***
Marianne schaute sich mit offenen Augen um, während der Linienbus von Bischofswiesen sie nach Taufenstein brachte. Ein herrliches Fleckchen Erde war das! Noch schöner als auf den Fotos, die sie bereits gesehen hatte. Ein hellblauer Frühlingshimmel spannte sich über das Tal von Taufenstein. Ausgedehnte Wälder säumten die beiden Straßenränder. Es musste hier viel Wild geben, denn immer wieder fanden sich Schilder, die vor dem Wildwechsel warnten. Als der Wald ein wenig zurücktrat, konnte das Madel mehr von der Landschaft entdecken.
Im Norden erstreckte sich in der Ferne ganz vertraut der Nationalpark, in südlicher Richtung wuchs der Untersberg auf, dessen Fuß sie bereits passiert hatten. Marianne entdeckte die Kneifelspitze, den Hintersee und stellte fest, dass die Umgebung ihr gar nicht so fremd war. Sie war eben nur zwei Stunden von daheim entfernt. Und doch war alles neu und aufregend.
Das Madel dachte an sein letztes Praktikum, das weitaus weniger reizvoll gewesen war. Marianne hatte einige Wochen in der Forstverwaltung in Berchtesgaden gearbeitet. Für Sabine wäre das sicher der Horror gewesen, dachte Marianne und musste schmunzeln. Sie selbst hatte eine Menge gelernt, was sie später gut hatte gebrauchen können. Und ihr war nun einmal jeder Aspekt ihres Berufes gleich lieb.
Der Bus hielt nun in der Ortsmitte von Taufenstein. Marianne fragte den Fahrer nach dem Weg zum Forsthaus, woraufhin der sie recht seltsam musterte und meinte: »Ist das Ihr Ernst, Fräulein? Sie trauen sich da ganz allein hin?«
Das Madel wusste nicht recht, was es von dieser Antwort halten sollte. »Kennen Sie den Weg nun oder net?«, fragte sie nach.
»Schon. Aber ich will mich net schuldig machen an Ihrem Unglück.« Er grinste anzüglich. »Fragen Sie lieber jemand anders!«
»Das ist doch … Sie sind wohl der Spaßvogel vom Dienst.«
»Nein, gewiss net. Das wäre mir zu gefährlich in diesen Zeiten«, setzte er noch eins drauf und schloss dann zischend die Bustüren, als hätte er Angst, Marianne könnte es sich anders überlegen und wieder einsteigen.
Das Madel blieb etwas ratlos zurück. Ein Blick in die Runde brachte dann aber mehr als das Gespräch mit dem Busfahrer. Neben der Bushaltestelle fand sich ein Wegweiser, auf dem mehrere Straßen, das Haus des Bürgermeisters und auch das Forsthaus ausgeschildert waren.
Marianne prägte sich die Richtung ein und marschierte los. Leider begegnete ihr niemand, den sie hätte fragen können. Schließlich hatte sie den Dorfrand erreicht und sah erneut einen Wegweiser. Groß und breit stand darauf »Zum Forsthaus«. Sie war also auf dem richtigen Weg!
Das Madel bog in einen schmalen Waldweg ein und lief weiter. Schließlich endete der Pfad abrupt vor einem Holzstapel. Marianne blieb stehen und zog die Stirn in nachdenkliche Falten. Dies hier war eindeutig ein sogenannter Holzweg, wie er von Selbstwerbern angelegt wurde. Er diente lediglich dazu, das geschlagene Holz zu verladen und aus dem Wald zu schaffen, und führte nirgendwo hin. Was hatte denn das zu bedeuten? Wieso stand auf dem Hinweisschild, dass es hier zum Forsthaus ging?
Ärgerlich kehrte sie um. Als sie die Landstraße erreichte, ließ sie ihren Blick erneut schweifen. Es gab kein weiteres Schild, nichts, das darauf hinwies, wie sie zum Forsthaus kam. Das fing ja gut an! Was sollte sie nun machen?
Marianne war unschlüssig. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als zurück zur Bushaltestelle zu laufen. Vielleicht konnte sie sich beim Bürgermeister erkundigen. Das erschien ihr die beste Lösung. Sie wollte sich gerade wieder in Bewegung setzen, als ein Jeep neben ihr hielt.
Ein gut geschnittenes Männergesicht lächelte sie an und fragte freundlich: »Kann es sein, dass du die Marianne Seebach bist?«
»Das kann schon sein. Ich verrat es aber nur, wenn du mir auch deinen Namen nennst«, parierte sie schlagfertig.
Der junge Mann lachte. »Ich bin der Andreas Hartmann, der Revierförster hier. Und ich erwarte heut eine Praktikantin.«
»Dann kommen wir zusammen. Ich hab versucht, das Forsthaus zu finden, aber das scheint hier unmöglich zu sein.« Sie deutete auf das Schild hinter ihr. »Soll das vielleicht ein Witz sein?«
Andreas’ eben noch entspannte Miene wich deutlicher Verärgerung. »So ein Mistfink!«, knurrte er, sprang aus dem Jeep und nahm Marianne das Gepäck ab, das er in den Kofferraum beförderte. Als er ihr auch noch die Wagentür öffnete, errötete sie leicht. Dieser Kollege war sehr viel fescher, als sie es erwartet hätte. Sein Lächeln war ebenso jungenhaft wie charmant. Er war groß und sportlich, und als er sich neben sie setzte, nahm sie einen dezenten, maskulinen Duft wahr.
Vorsicht, warnte sie eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf. Ein Hallodri! Er sieht viel zu gut aus, um harmlos zu sein. Und er weiß, wie er auf Frauen wirkt. Außerdem ist er gepflegt, gibt was auf sein Äußeres. Einer, der nur seine Arbeit im Kopf hat, steht morgens net vor dem Spiegel. Da war eindeutig Vorsicht geboten, das sagte Marianne schon die weibliche Intuition.
»Was hat es denn mit dem Schild auf sich?«, fragte sie, als er wieder losgefahren war.
»Ach, wir haben hier Probleme mit so einem Deppen, der mir ständig das Revier in Unordnung bringt. Ich erzähl es dir später. Sei mir net bös, wenn ich dich jetzt nur am Forsthaus absetze! Ich muss weiter, meine beiden Gehilfen markieren Bäume, die im Herbst gefällt werden sollen. Und denen rutscht schon mal die Farbpistole aus, wenn sie übermütig werden.«
»Kann ich net mitkommen? Das würde mich interessieren.«
Andreas warf ihr einen anerkennenden Blick zu. »Von mir aus, gern. Kannst du denn kochen?«
»Was hat denn das mit den Baummarkierungen zu tun?«
Er lachte. »Nix. Aber ich wüsste es eben doch gern. Mir fehlt momentan nämlich eine Hauserin im Forsthaus.«
»So, so. Das kann ich mir denken«, murmelte das Madel spitz. »Also, kochen kann ich schon. Deshalb bin ich jedoch net hier.«
»Aber essen wirst doch auch was wollen. Und vor meinen Kochkünsten kann ich dich freilich nur warnen.«
Marianne sparte sich einen Kommentar, denn sie hatten ihr Ziel nun erreicht. Andreas bog von der Landstraße auf einen Waldweg ab. Gleich darauf stoppte er, und sie stiegen aus.
Sie gingen ein Stück nebeneinander her. Zu beiden Seiten des Weges erstreckte sich gesunder Mischwald. Noch waren die Bäume kahl, aber die Blattknospen der Hainbuchen waren bereits dick geschwollen. In der kühlen Luft lag ein frischer Geruch nach feuchtem Moos, Baumrinde und den ersten Blüten wilder Kräuter. Es war still, irgendwo verkündete ein Eichelhäher krächzend ihre Anwesenheit.
»Schön ist es hier«, stellte das Madel spontan fest.
»Ja, das kann man so sagen«, pflichtete Andreas Marianna mit einem wohlwollenden Blick bei.
Dachte ich’s mir doch!, ging es Marianne daraufhin durch den Sinn. Ein Casanova im grünen Loden …
Peter und Wolferl waren fleißig am Werke. Sie musterten das fremde Madel mit unverhohlenem Interesse und drückten Marianne dann beide ausgiebig die Hand.
»Wie weit seid ihr denn schon gekommen?«, wollte der Förster wissen. »Die Arbeit muss bis heut Abend abgeschlossen sein.«
»Die Hälfte haben wir ungefähr«, antwortete Peter.
»Darf ich?« Marianne streckte die Hand nach Peters Farbspray aus. »Das ist doch recht übersichtlich und schnell gemacht.«
»Hier muss aber alles stimmen«, gab der Förster zu bedenken. »Dieses Waldstück geht an den Bürgermeister. Der wird sauer, wenn net richtig markiert ist.«
»So?« Das Madel kniff die Augen zusammen. »Zwei Drittel des Bestandes muss raus, da ist der Wuchs zu dicht. Und einen Schaden durch Borkenkäfer gibt es hier auch. Das dürften an die fünfzig Stämme sein, die anfallen.«
Andreas zeigte sich beeindruckt. »Du hast ein gutes Augenmaß. Also schön, Peter, gib ihr das Spray! Hernach wollen wir mal sehen, was unsere Praktikantin so kann.«
Marianne ließ sich nicht lange bitten. Sie spazierte durch die Baumreihen und sprühte die Fällzeichen mit knappen Handbewegungen an. Sie zögerte kaum und war bereits nach einer guten halben Stunde fertig.
Andreas hatte es sich mit Peter und Wolferl auf einem umliegenden Baumstamm bequem gemacht. Sie hatten Marianne genau beobachtet und waren nun alle drei fasziniert.
»Die kann was«, murmelte Wolferl.
»Das Madel hat den Durchblick«, merkte Peter an und warf dem Förster einen vielsagenden Blick zu. »Gib nur acht, sonst macht sie dir noch den Job streitig, Chef!«
»Keine Sorge, ich hab alles im Griff«, entgegnete der lässig und sagte dann zu Marianne: »Gute Arbeit. Ich denk, wir werden uns vertragen, wenn du weiterhin so fleißig bist.« Er hielt ihr die Hand hin, sie schlug lächelnd ein.
»Dank schön. Hat aber auch Spaß gemacht.«
»Also dann fahren wir jetzt zum Forsthaus. Ihr zwei habt ja noch drüben am Eichenschuss zu tun. Meldet euch vor Feierabend!«
Peter nickte, und nachdem Andreas mit der Praktikantin außer Hörweite war, murmelte Wolferl: »Ich wett, er will allein mit dem Madel sein. Die ist doch gewiss nach seinem Herzen.« Ein leiser Neid schwang in seiner Stimme mit.
»Sag mal, Wolferl, hast du das noch net gespannt? Eine jede ist nach seinem Herzen. Ausnahmen gibt’s da keine. Ich hoff nur, das Madel ist schlauer, wär schad, wenn sie wie all die anderen enden tät …«
***
Andreas war bester Laune, als er Marianne im Forsthaus herumführte und dann meinte: »Ich hol dein Gepäck, dann kannst du auspacken und nachher gleich was Schönes für uns zwei kochen.« Er umfing sie mit einem Blick, der sie ganz kribbelig machte und die sprichwörtlichen Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzen ließ. Dieses Mannsbild verfügte tatsächlich über einen nahezu sagenhaften Charme. Doch bei Marianne würde er damit nicht weit kommen. Sie hatte ihn bereits durchschaut.
»Auspacken muss ich net, weil ich net hier wohnen werde«, stellte sie freundlich klar. »Ich hab ein Zimmer auf dem Faber-Hof, das ist alles schon abgesprochen.«
»Auf dem Faber-Hof?«, dehnte Andreas. Die Enttäuschung war ihm deutlich anzusehen. »Wieso denn das? Ich muss sagen, das finde ich recht unpraktisch. Jeden Morgen der weite Weg hier hinaus. Und wenn es mal einen Notfall gib t …«
»Was denn für einen Notfall?«, fragte sie mit leisem Amüsement in der Stimme. »Wenn der Förster einsam ist?«
»Zum Beispiel.« Er nahm ihre Rechte und drückte sie leicht. »Hier draußen kann es nämlich sehr einsam sein, wenn man allein ist. Andererseits zu zweien aber auch überaus romantisch.«
»Gewiss hast du das schon oft ausprobiert. Aber ich leg darauf keinen Wert. Wenn ich mich sonst noch irgendwie nützlich machen kann, bleibe ich gern. Nachher muss ich dann mein Quartier beziehen. Die Fabers erwarten mich ja heut.«
»Schade, ich hab extra das Gästezimmer aufgeräumt.«
»Sehr reizvoll. Aber nein danke.«
»Schön, da kann man wohl nix machen. Dann weise ich dich in die schriftlichen Arbeiten ein. In den ersten Tagen wirst du mit uns dreien viel im Forst sein, um die praktische Seite der Arbeit kennenzulernen. Aber das Schriftliche gehört leider auch dazu.«
»Macht nix, das fällt mir net schwer.« Marianne stutzte, weil Andreas sie gar so anstaunte. »Stimmt was net?«
Er lachte. »Wenn du anständig kochen kannst, Madel, werde ich womöglich mit meinen alten Vorsätzen brechen und heiraten. So ein kleines Wunder wie du ist mir noch nie über den Weg gelaufen, mein Kompliment. Gibt es denn auch was, das dir zuwider ist?«
Sie stimmte unbekümmert in sein Lachen ein. »Casanovas. Sie mag ich nämlich überhaupt net!«
»Aha.« Der Dämpfer saß. Andreas beschloss, seine Begeisterung für Marianne ein wenig zu drosseln. Dieses Madel war nicht nur bildsauber, fleißig, klug und schlagfertig, es schien ihn und seine Absichten zudem auf den ersten Blick durchschaut zu haben. Hier bedurfte es offenbar diffizilerer Methoden, um zum Ziel zu kommen. Der erfahrene Schürzenjäger gab sich zurückhaltend.
Marianne hatte die Vorgänge im Forstbüro schnell durchschaut. Sie machte sich ohne Murren an die Korrespondenz und sorgte auch hier dafür, dass alles reibungslos im Handumdrehen erledigt wurde. Danach gab es für Andreas noch einen süß duftenden Kaiserschmarren und eine aromatische Kanne Kaffee, bevor Marianne sich von ihm verabschieden wollte.
Peter und Wolferl waren in der Zwischenzeit eingetrudelt. Andreas gab ihnen knapp ein paar Anweisungen für den nächsten Tag, dann sagte er zu Marianne: »Ich bring dich rasch zum Faber-Hof. Es ist ein ganzes Stückerl. Der Hof liegt zudem ein wenig abseits, ist net ganz leicht zu finden.«
Da Marianne redlich müde war nach diesem ereignisreichen Tag, hatte sie gegen das freundliche Angebot nichts einzuwenden.
»Bist du eigentlich von hier, Andreas?«, fragte sie auf der Fahrt ins Dorf. »Ich mein, weil du dich so gut auskennst.«
»Das net. Aber ich lebe schon ein paar Jahre in Taufenstein.« Er bremste vor dem Haus des Bürgermeisters. Xaver Rothaupt stand da mit ein paar Honoratioren beisammen. Am Abend war Sitzung im Gemeinderat. »Ich mach dich mit dem Bürgermeister bekannt, Marianne. Der wird staunen …«
Der Bürgermeister drückte Marianne herzhaft die Hand und sagte dann mit einem schelmischen Schmunzeln zu Andreas: »Dass mir da aber keine Klagen kommen! So was Hübsches im Forsthaus, ich weiß net recht, was ich davon halten soll.«
»Sie wohnt bei den Fabers. Im Forsthaus wird sie nur arbeiten«, erwiderte Andreas wenig begeistert.
»Aha, sehr klug, Madel. Und du, Andi, wirst net abgelenkt bei deiner Suche nach dem ›Spaßvogel‹, gelt?«
Der junge Förster lächelte säuerlich. Nachdem er wieder losgefahren war, fragte Marianne: »Was hat es denn nun mit diesem ›Spaßvogel‹ auf sich? Ich hör zum zweiten Mal davon.«
»Keiner weiß, wer das ist. Ein Kerl mit seltsamem Humor, der mir ständig Ärger macht«, knirschte Andreas. Dann erzählte er von der Sache mit dem Holzlaster.
Marianne erschrak. »Da kann man ja nur hoffen, dass du den Kerl bald findest. So was ist net nur ärgerlich, sondern richtig gemeingefährlich.«
»Wie meinst du jetzt das?«
»Na ja, wenn der auf die Idee kommt, beim nächsten Mal einen Wegweiser an den Rand der Klamm zu stellen …«
»Das wollen wir doch wohl net hoffen. So, da ist der Faber-Hof.« Andreas hielt ein Stück entfernt, denn er wollte sich bei Claudia nicht unbedingt sehen lassen. »Falls du es dir anders überlegen solltest, das Gästezimmer im Forsthaus wartet auf dich. Ich würde mich freuen …«
Das Madel lächelte vielsagend. »Kann ich mir denken. Aber ich bleib lieber hier. Dann bis morgen!« Rasch griff sie nach ihrer Reisetasche und machte sich davon, denn ihr Herz schlug in Andreas’ unmittelbarer Nähe einfach unvernünftig schnell …
***
Als Marianne am nächsten Morgen aufwachte, schien die Sonne ins Zimmer und erfüllte es mit goldenem Licht. Vogelgezwitscher und die Geräusche aus dem nahen Kuhstall hatten das Madel sanft geweckt. Marianne warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass sie noch Zeit hatte. Sie blieb noch ein wenig liegen, streckte sich gemütlich aus und lächelte zufrieden.
Ihre erste Bewährungsprobe als Praktikantin hatte sie am Vortag bereits bestanden. Und dabei dachte sie nicht nur ans Berufliche, sondern vor allem auch an Andreas’ charmante Art.
Sie musste auf der Hut bleiben, wenn sie die Zeit in Taufenstein gut hinter sich bringen wollte. Der Förster war dabei eine stete Gefahr, aber auch eine Übung für ihre Selbstbeherrschung. Marianne musste schmunzeln, als sie sich vorstellte, wie Sabine Gruber wohl auf Andreas reagieren würde. Ganz sicher würde sie ihn bekochen und hoffen, in ihm den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Aber eben das war Andreas ganz sicher nicht. Er war ein Schürzenjäger und würde sich bestimmt noch einiges einfallen lassen, um sie zu bezirzen.
Als ihr Wecker klingelte, schwang Marianne die langen, schlanken Beine aus dem Bett und ging nach nebenan unter die Dusche.
Während das angenehm warme Wasser über ihren Körper floss, dachte sie über ihren Einstand bei den Fabers nach. Die Bauernfamilie war ihr auf Anhieb sympathisch gewesen. Vor allem Claudia, die Hoftochter, hatte eine nette und herzliche Art, die es Marianne leicht machte, sich heimisch zu fühlen.
Das Zimmer, das sie bezogen hatte, war geräumig und hell. Dazu gemütlich mit Holzmöbeln eingerichtet. Hier konnte man sich wohlfühlen. Und die Fabers hatten am Vortag durchblicken lassen, dass Marianne Familienanschluss bekam, wenn sie den wollte. Die Mahlzeiten nahm man gemeinsam ein. Dabei hatte sie schon alle Familienmitglieder kennengelernt. Gertraud und Sepp Faber waren nette Leute, mit denen man auskommen konnte. Claudias Bruder Fred war ein bisschen zurückhaltend. Es mochte auch daran liegen, dass Marianne ihm noch fremd war. Alles in allem hatte sie es auf dem Faber-Hof aber gut getroffen.
Die angehende Forstwirtin verließ gleich darauf das kleine Bad und zog sich an. Es war noch frisch, auch wenn die Sonne schien. Marianne wählte derbe Hosen, ein helles T-Shirt und darüber eine karierte Bluse. Ihr blondes Haar flocht sie zu einem Zopf im Nacken und war so startklar für alle Aufgaben, die Andreas ihr an diesem Tag stellen würde.
Zuvor gab es aber Frühstück. Obwohl es noch längst nicht acht Uhr war, hatten die Fabers bereits gegessen und waren schon bei der Arbeit in Haus und Stall. Claudia hatte Marianne aber ein »spätes Frühstück« gerichtet, wie sie das nannte. Während das Madel in der Küche an der Eckbank aß, bereitete die Hoftochter bereits das Mittagessen vor.
»Und? Gut geschlafen?«, wollte Claudia wissen. »Du kennst doch gewiss den Spruch, dass das, was man in der ersten Nacht in einem fremden Bett träumt, sich erfüllt.«
Marianne lächelte schmal. Sie hatte von Andreas geträumt. Aber was genau, das behielt sie lieber für sich. Und auch wenn dieser Traum nicht unangenehm gewesen war, hoffte sie doch sehr, dass er sich nicht erfüllen würde.
»Geschlafen hab ich wie ein Stein«, antwortete sie ausweichend. »Nachts herrscht hier ja eine sagenhafte Ruhe, net zu vergleichen mit der Stadt.«
»Da könnte ich net leben«, sinnierte Claudia. »Der Krach, die Hektik, die schlechte Luft. Ich bin doch ein Kind der Berge.«
»Taufenstein liegt auch besonders schön. Ich hatte Glück, dass ich mein Praktikum hier machen kann«, meinte Marianne unbekümmert und biss herzhaft in eine Semmel.
»Dann konntest du dir das net aussuchen?«
»Nein, das entscheidet der Zufall. Wo gerade was frei ist. Ich hatte schon ein bisserl Angst, dass ich weiter wegmuss. Weißt du, ich hänge nämlich auch sehr an der Gegend hier. Als Kind hab ich im Forsthaus von Schmirl gelebt. Das hat mich geprägt.«
»Dein Vater war auch Förster?«
»Ja, freilich. Er war mein Vorbild. Deshalb wusste ich ja schon früh, was ich beruflich mal machen will.«
»Dann ist er jetzt gewiss stolz auf dich.« Claudia nahm sich auch noch ein Haferl Kaffee und gesellte sich zu Marianne. Die wurde ernst, als sie erwiderte: »Mein Vater ist vor ein paar Jahren gestorben. Aber ich denk mir, dass er wirklich stolz auf mich gewesen wäre.«
»Das tut mir leid. Doch deine Mutter hast du doch noch, oder?«
»Sie hat wieder geheiratet, wir haben kaum Kontakt. So besonders gut haben wir uns nie verstanden. Deshalb finde ich es bei euch so schön. Ihr seid eine große Familie und haltet zusammen, wie es sein soll.«
»Mein Bruder hat sich letzten Herbst verlobt; im Sommer wird er heiraten. Dann vergrößert sich die Familie noch.«
»Mei, das ist herrlich. Freust du dich?«
»Für den Fred schon. Die Lia ist ein nettes Madel. Trotzdem halte ich im Moment net viel vom Heiraten.«
Marianne schaute die Hoftochter aufmerksam an. Sie hatte am Vortag bemerkt, dass Claudia bedrückt wirkte. Offenbar hatte sie Liebeskummer.
»Wenn der Rechte kommt, wirst du bestimmt deine Meinung ändern. So was kann ganz schnell gehen.«
»Bei mir nimmer.« Claudia seufzte leise. »Wenn man gerade eine Enttäuschung hinter sich hat, sieht man die Welt nimmer durch die rosarote Brille. Da wird man kritisch.« Sie schaute Marianne ernst an, die ihr Frühstück gerade beendet hatte. »Bevor du ins Forsthaus gehst, will ich dich warnen. Du kannst es ruhig wissen, dass es der Andi war, der mich enttäuscht hat. Ich hätte mich besser vor ihm in Acht nehmen sollen, aber das ist manchmal gar nicht so einfach.«
»Das tut mir leid. Magst du darüber reden?«
Claudia hob die Schultern, es war eine resignierte Geste. Ebenso klang ihre Stimme, als sie erwiderte: »Was gibt es da schon groß zu sagen? Es war das alte Lied. Ich hab genau gewusst, dass der Andi ein untreuer Gesell ist. Net nur eine von meinen Freundinnen hat er unglücklich gemacht. Ich war überheblich und hab geglaubt, dass mir so was net passieren könnte. Aber dann bin ich eben doch auf seine schönen Augen reingefallen. Und auf sein schönes Gerede. Hab mir eingebildet, dass es zwischen uns was Besonderes ist. Bis er mich abserviert hat. Ein paar Tage ist das erst her.«
»Mei, Claudia, das ist schlimm! So ein Mistkerl!« Ehrliches Mitleid sprach aus Mariannes Worten, das Claudia guttat.
»Ist schon recht, ich werde damit fertig.« Sie lächelte schmal. »Irgendwann bestimmt. Aber ich hab dir das erzählen müssen, um dich zu warnen. Fall nur net auf ihn herein! Er wird dir das Herz brechen, ohne mit der Wimper zu zucken.«
»Ich pass schon auf. Trotzdem danke für die Warnung.«