Heimtückische AIDA. Kreuzfahrtkrimi Teil 5 (AIDA Krimi) - Krinke Rehberg - E-Book

Heimtückische AIDA. Kreuzfahrtkrimi Teil 5 (AIDA Krimi) E-Book

Krinke Rehberg

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Beschreibung

Mord auf hoher See: Geheimnisvolle Todesfälle und das Rätsel um das Voynich-Manuskript Krimispannung auf der der AIDA Cara. Auf einer Ostseekreuzfahrt nach St. Petersburg geschieht ein mysteriöser Mord. Eine Passagierin stirbt unter verdächtigen Umständen. Der Schiffsarzt erkennt eine Vergiftung und es wird klar, dass es sich um einen gezielten Mord handelt. Als ein Crewmitglied unter den gleichen Vergiftungssymptomen stirbt, wird die AIDA Cara im Hafen festgesetzt. Frida, eine Reisende an Bord, taucht in die Welt der beiden Opfer ein. Obwohl sie sehr unterschiedlich sind und keine Verbindung zwischen ihnen zu existieren scheint, enthüllt Frida schließlich, dass die ermordete Passagierin an der Lösung des berühmten Voynich-Manuskripts gearbeitet hat. Der Fall nimmt eine dramatische Wendung.

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Seitenzahl: 245

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ISBN: 978-3-98865-802-9

© 2023 Kampenwand Verlag

Raiffeisenstr. 4 · D-83377 Vachendorf

www.kampenwand-verlag.de

Text: Krinke Rehberg

Umschlagfotos: ©Oleg_Yakovlev/shutterstock, ©Busara/shutterstock, ©andrejs polivanovs/shutterstock, ©Gordan/shutterstock

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

AUCH WICHTIG!

Die Geschichte ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und/oder realen Handlungen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Ausgenommen hiervon sind historische Personen und Ereignisse.

Dieses Buch steht in keinem Zusammenhang mit der AIDACruise und der Carnival Maritime GmbH.

Lediglich die Handlung spielt auf einem der AIDA Kreuzfahrtschiffe.

Für Sabine Ohne sie wäre alles nix!

ACH JA: NIEMAND IST PERFEKT!

Daher bitte ich eventuelle Rechtschreibfehla zu entschuldigen ...; )

Castello Aragonese, Ischia, Golf von Neapel – 1439

Es ist soweit, meine Königin!«

Die Nonne hob ihr Gewand und verbeugte sich tief vor Maria von Aragón. Der grob gehauene Steinboden unter ihren Füßen fühlte sich kalt an. Die Sonne hatte um diese Jahreszeit noch nicht ausreichend Kraft, um die Räume innerhalb der dicken Steinmauern zu erwärmen.

»Und den deinen kannst du vertrauen?« Marias Stimme war klar und strahlte Autorität aus. Sie sah auf die Nonne, die vor ihr kniete.

»Sie würden sich eher die Zunge abbeißen, als dass ein Wort über ihre Lippen käme!«, erwiderte sie mit fester Stimme. »Vergesst nicht, meine Königin, dass es auch ihre eigenen Lehren enthält!«

Maria von Aragon blickte aus einem Fenster der auf dem Felsen thronenden Festung hinaus über die Insel. Einige Möwen begleiteten ein einlaufendes Fischerboot. Ihr Gekreische drang hinauf bis in den Burghof.

Unten am Ufer sah sie die Zimmerleute, die ihr Ehemann, König Emanuel der Glückliche, beauftragt hatte, eine Brücke vom Castillo zur Insel zu errichten. Seit Monaten fuhren Hunderte Karren ganze Bäume heran; ein Heer an Arbeitern war vonnöten, die zweihundert Meter lange Brücke zu bauen. Sie blickte zu Vivara, der kleinen, vorgelagerten Insel.

»Erhebe dich, Eleonore!« Sie legte beide Hände auf die Schultern der Nonne. »Wir werden dieses Geheimnis wahren, denn Johann, der Bruder deines Königs und meines Gemahls, strebt nach der Herrschaft über Aragon. Sardinien und Navarra sind ihm bereits zugefallen und ich befürchte, dass wir sein nächstes Ziel sein werden.« Maria wusste, dass gerade die kleinen Königreiche und Fürstentümer durch geschickte Verbindungen und die Wahl der richtigen Verbündeten ihr Überleben sichern mussten. »Er hat seine Augen und Ohren innerhalb des Ordens. Papst Amadeus ist erst seit Kurzem im Amt. Er soll zwar gemäßigt und friedfertig sein, doch durch die Inquisition hat der Klerus eine Macht erlangt, die nicht mehr zu zügeln ist.«

Die Nonne bekreuzigte sich. War die Inquisition auch Teil der Kirche, der sie angehörte, so hielt sie diese barbarische Verfolgung von Heiden für unchristlich. Hexen oder Zauberer existierten nicht, aber die Inquisition hielt jeglichen Fortschritt in der Wissenschaft und Heilkunde für Teufelswerk. Gerade weil König Manuel I. und seine Gemahlin die Kunst und Wissenschaft förderten, warf die heilige Inquisition ein besonderes Auge auf das kleine Königreich.

Maria von Aragon nickte nachdenklich. Es existierten zahlreiche machthungrige Feinde, die nur darauf warteten, sie zu denunzieren. Ihnen war jedes Mittel recht.

Die Friedensverhandlungen mit ihrer Schwägerin waren auf Missgunst und Unverständnis gestoßen. Damit hatte sie in den Augen vieler Regenten ihre Kompetenzen überschritten, dennoch hielt der Frieden bis heute.

Als Königin von Aragon hatte sie ihre Macht geschickt genutzt, war Allianzen eingegangen und hatte für ihr Vermächtnis vorgesorgt. Nichts würde sie jetzt davon abhalten, ihren Plan zu vollenden! »Eleonore, lass uns beginnen!«

In den Nächten der folgenden Monate schrieben die Nonnen den Kodex mit Tinte und Feder auf unzähligen Pergamentseiten nieder.

2

St. Petersburg – heute

Irgendetwas stimmte nicht. Sie spürte es tief im Innern.

Das war kein Asthmaanfall!

Diese Anfälle gingen mit Beschwerden beim Ausatmen einher. Zwar hatte sie dasselbe Engegefühl in der Brust, aber anders als sonst, gelang es ihr nicht, tief einzuatmen.

Hektisch sah sie sich im Bus um. Niemand achtete auf sie. Sie saß allein auf einer Zweierbank kurz vor den hinteren Türen.

Beide Hände krampfhaft zu Fäusten geballt, konzentrierte sie sich auf das Atmen.

Finde deinen Rhythmus!

Dieses Mantra in Verbindung mit meditativer Konzentration hatte ihr bisher zuverlässig geholfen, aber jetzt wollte sich kein inneres Pendel einschwingen.

Bilder vom goldglänzenden Mariinsky-Theater zogen wie dichte Nebelschwaden vor ihrem inneren Auge vorbei. Dazwischen die Tänzerinnen in ihren weißen Kostümen mit akrobatischen Figuren, eingehüllt in die bebende Musik des Orchesters. Schwanensee im berühmten Mariinsky-Theater hatte weit oben auf ihrer persönlichen To-do-­Liste gestanden.

Sie hob den Brustkorb, versuchte, einen tiefen Atemzug zu nehmen. Gierig sog sie die Luft in die Lungen und doch bekam sie nicht genügend davon. Sie hatte das Gefühl, ersticken zu müssen.

Aus irgendeinem Grund musste sie in diesem Moment an Weihnachten denken.

Seltsamerweise hörte sie sich selbst atmen, spürte die Luft in ihre Lungen strömen, beobachtete ihren Brustkorb, der sich hob und senkte, und konnte einfach nicht verstehen, weshalb sie dennoch keine Luft bekam.

Sie begann zu japsen, griff mit beiden Händen an die Kopfstütze des Vordersitzes.

Die Frau vor ihr drehte sich um und schrie im nächsten Moment um Hilfe. Verschwommen nahm sie die heranstürmenden Fahrgäste des Busses wahr. Jemand griff nach ihr, hob sie hoch und legte sie auf den schmalen Gang zwischen den Sitzreihen.

Aus den Augenwinkeln erblickte sie den Bug des Kreuzfahrtschiffes, sah das riesige Auge mit der blauen, geschwungenen Linie. Eine einzelne Schäfchenwolke am sonst wolkenlosen Himmel erinnerte sie an die zierliche Primaballerina in ihrem schneeweißen Röckchen.

Ihr pragmatischer Verstand sagte ihr, dass sie sich zur Sommersonnenwende, den Weißen Nächten, in St. Petersburg befand, also war das Tageslicht um Mitternacht vollkommen normal. Seltsam, welche Gedanken im Todeskampf wie Seifenblasen vor ihr aufplatzten. Dann ging das Licht aus und eine endgültige Schwärze umfing sie.

Das medizinische Notfallteam der AIDAcara war von der Reiseleiterin vor Ankunft des Reisebusses telefonisch benachrichtigt worden, sodass das Team des Bordhospitals bereits mit einer Trage und kompletter Notfallausrüstung auf die Patientin wartete, als der Busfahrer vor der Gangway hielt.

»Sie leidet unter Asthma!«, rief eine Frau aus dem hinteren Teil des Busses, als der Schiffsarzt das Beatmungsgerät anschloss.

3

Gestern – Ostsee

Morgen erreichen wir St. Petersburg!«, jauchzte Annika, während sie versuchte, gleichzeitig Milchkaffe und Croissant zu verspeisen.

Sie saßen auf der Terrasse ihrer Suite im Bug der AIDAcara. Frieda hatte Frühstück bringen lassen und saß mit einer Decke auf dem Schoß am Tisch.

Die morgendlichen Temperaturen kämpften sich gerade über die 15-Grad-Marke, aber die Sonne zeigte sich am wolkenlosen Himmel über der Ostsee und wärmte ihr Gesicht.

»Ganz ehrlich, Tante Frieda, Tallin war einfach traumhaft!« Annika schoss ein Selfie von sich mit der Ostsee im Hintergrund. »Für meinen Reiseblog!«, zwinkerte sie Frieda zu.

Der Blog, den sie vorhatte zu schreiben, war erstmal verschoben worden. Es gab einfach viel zu viel zu sehen und Annika hatte verkündet, sich Notizen im Kopf und viele Fotos zu machen. So würden, wenn sie wieder zu Hause war, alle Eindrücke wieder präsent sein. Schließlich sollte es sich ja nicht um einen Live-Blog handeln!

Frieda lächelte ihre einzige Nichte liebevoll an. Diese Reise war ihr Geschenk an Annika zum bestandenen Abitur gewesen, und mit einem Blick auf das strahlende Gesicht vor sich wurde ihr bewusst, dass sie sich selbst beschenkt hatte!

Seit Antritt der Reise erfüllte Lachen die Suite und Frieda konnte sich nicht erinnern, wann sie jemals so albern und unbeschwert gewesen war. Auf ihren bisherigen Reisen hatte sie nie eine Begleitung vermisst. Zu wichtig war ihr der persönliche Freiraum gewesen. Mit Annika allerdings war das vollkommen anders. Ihre unbekümmerte, offene und manchmal burschikose Art weckte in Frieda eine naive Lebensfreude und sie genoss ihre Gesellschaft uneingeschränkt. »Du wirst St. Petersburg lieben!«

Annika biss von ihrem Croissant ab und nickte mit vollem Mund. »Ja! Und die St.Petersburger werden mich ja wohl auch lieben! Vielleicht werde ich Zarin, wer weiß!«

Frieda grinste sie an.

»Dann wäre ich Zarin-Tante! Oder noch besser: Alter vor Schönheit, ich werde Zarin und du Zarin-Nichte!«

»Nichts da! Ich hab’s zuerst gesagt!«

Annika wedelte mit ihrem halbabgebissenen Croissant vor Friedas Nase herum.

»Okay, eine Runde UNO, und wer gewinnt, wird Zarin!« Sie holte das Kartenspiel aus der Suite und legte es auf den Tisch.

Frieda nickte. Ihre Nichte liebte, genau wie sie selbst, jede Art von Gesellschaftsspiel. »Dann muss ich wohl gewinnen!«, grinste sie.

»Nicht gegen mich, ich bin eine UNO-Maschine!«, lachte Annika und zog die Stirn in Falten. Als sie die Kartenstapel abzählte, stockte sie kurz. »Hast du gestern die junge Frau gesehen, die in Tallin neben mir im Bus gesessen hat?«

»Ja, wie kommst du jetzt darauf?«

»Die war eine Maschine! Eine Sudokumaschine. Sie hatte einen Sudokublock mit neun Spielfeldern auf einer Seite. Es dauerte ungefähr eine Minute oder so, dann griff sie in ihre Tasche, holte einen Kugelschreiber heraus und füllte alle neun Sudokus ohne zu zögern aus. Krass!«

»Das hört sich unglaublich an! Dafür gibt es nur zwei Erklärungen!«, bemerkte Frieda ehrfürchtig.

Annika hielt mit dem Austeilen inne und wartete.

»Entweder sie ist ein Mathematikgenie oder sie ist …«

»Eine Maschine!«, grätschte Annika dazwischen. »So, genug gequatscht. Jetzt eine Runde UNO und dann geht es auf die Joggingstrecke! So ein Seetag ist nicht zum Faulenzen da!«

Fünfzehn Minuten später war klar, dass Frieda Zarin werden würde, und während Annika sich ihre Sportklamotten anzog, blieb Frieda auf der Terrasse sitzen und genoss die Ostseesonne. Sie freute sich auf die drei Tage in St. Petersburg.

Die Weißen Nächte waren der Höhepunkt der Reise. Sie hatte für den ersten Abend einen Besuch im Mariinsky-Theater für Tschaikowskys Schwanensee für Annika und sich gebucht, und die beiden anderen Tage würden sie auf eigene Faust die ehemalige Zarenstadt erkunden. Deswegen hatte sie vor Antritt der Reise extra Visa für St. Petersburg beantragt, um von den Schiffsausflügen unabhängig zu sein.

Bei dem Gedanken an die U-Bahn-Fahrt, die Annika unbedingt mit ihr machen wollte, musste sie grinsen. Seniorenbetreuung inklusive, hatte ihre Nichte jegliche Bedenken beiseitegewischt.

Friedas Gedanken schweiften zu der Frau mit den neun Sudokus. Das war schon eine übermenschliche Rechenleistung, so schnell so viele dieser Matherätsel zu lösen. Andererseits könnte die Frau auch willkürlich Zahlen in die Kästchen gesetzt haben, egal, ob sie richtig waren. Nicht alles war, wie es auf den ersten Eindruck schien.

»Wenn ich vom Joggen zurückkomme, weiß ich schon, was wir heute machen!«

»Und?«

»Wir spielen Essen von A-Z!« Annika strahlte übers ganze Gesicht.

»Und wie sind die Spielregeln?«, erkundigte Frieda sich.

»Wir futtern uns von A, wie Apfel oder Aal oder was auch immer, bis Z wie … Zander durch.«

»Oder Zabaione!«

»Aber zu jedem Buchstaben müssen wir beide etwas anderes essen!«

»Deal!«, nickte Frieda begeistert und fühlte sich spontan Jahrzehnte jünger.

»Du lernst schnell, Tante!« Annika zwinkerte ihr zu und verschwand durch die Kabinentür.

Den Blick über den Bug voraus gerichtet, schaute Frieda auf die Ostsee. Mit Annika hatte sie einen Glücksgriff für diese Reise getan. Essen von A-Z, was für ein wunderbarer Humbug! Die Idee gefiel ihr. Sie mussten ja keine ganzen Portionen essen, immer nur eine Kleinigkeit für jeden Buchstaben.

Als sie am Abend japsend und übersättigt im Selectionrestaurant an einem der Tische am Fenster saßen, hatten sie das Spiel mit Zabaione und einem Stück Zwiebelkuchen beendet. Annika seufzte zufrieden, während Frieda in dem bequemen Sessel zu versinken schien. Draußen war es immer noch taghell.

Frieda fiel auf, wie leer das Restaurant war, aber bei diesen Wetterbedingungen saßen die meisten Gäste auf den Außendecks und der Terrasse des Calypsorestaurants.

Annika überprüfte ihre Instagramposts. Sie hatte 24 Fotos vom Essen mit den entsprechenden Buchstaben des Alphabets versehen und diese auf Instagram gepostet.

»Das kann ich nur einmal pro Jahr spielen!«, stöhnte Frieda.

Annika grinste und offenbarte ihren Plan für den kommenden Tag: »Morgen machen wir das mit Getränken!«

4

Heute – St. Petersburg

Frieda und Annika waren nach der Schwanensee-Aufführung mit dem Taxi zur Newa gefahren. Die Weißen Nächte wurden in St. Petersburg ausgelassen gefeiert. Es war Mitternacht und am Horizont kündigte ein silbriger Streifen bereits den Sonnenaufgang an. Die Nächte fielen in diesen Tagen der Mittsommerwende einfach aus.

Auf dem Fluss fuhr eine alte Brigg unter Motor auf und ab. Die purpurroten Segel waren gehisst und dank einer leichten Brise blähten sie sich dekorativ auf. Die Farbe stand für erfüllte Träume und Hoffnung.

Ein Feuerwerk übertönte das Orchester auf dem Schiff und überall stießen die Besucher des Volksfestes mit Sekt an.

Frieda ließ sich auf einer Bank nieder, sog die Gerüche der umliegenden Essensstände ein und genoss die feierliche Atmosphäre, während Annika auf der Suche nach den besten Fotomotiven auf Bänke und Mauern stieg und das Gespräch mit Einheimischen suchte.

Den Blick auf den Fluss gerichtet, dachte Frieda an ihren ersten Besuch in St. Petersburg. Damals war Jörg, ihr verstorbener Mann, zu einem Juristensymposium eingeladen worden und sie hatte ihn begleitet. Trotz der vorgeschriebenen Kontrollen und Visabestimmungen für Westdeutsche waren sie von den Gastgebern des russischen Justizministeriums wie Staatsgäste hofiert worden, und hatten diese Reise hinter den Eisernen Vorhang sehr genossen. Jetzt war sie wieder am Ufer der Newa, diesmal mit ihrer bezaubernden Nichte. Sie empfand tiefe Dankbarkeit, noch einmal hier sein zu dürfen. Natürlich wusste Frieda, dass sie mit ihren zweiundsiebzig Jahren nicht mehr jung war, aber Annikas Elan färbte auf sie ab. Statt mit dem frühen Bus zum Schiff zurückzufahren, hatte sie sich für dieses bunte Treiben entschieden und genoss die zahlreichen Eindrücke. Plötzlich schreckte sie auf. Wo war Annika?

Hektisch suchten ihre Augen die nähere Umgebung nach dem blau-weiß gepunkteten Kleid und der blonden Mähne ab. Vergeblich. Sie stellte sich auf die Sitzbank, um einen besseren Überblick zu bekommen. Sollte sie rufen? Nein, ein Feuerwerk hatte begonnen und es war ohrenbetäubend laut. Ein Ruf würde ungehört verhallen. War etwas passiert? Annika würde sie niemals allein zurücklassen! Sie konnte zur Toilette gegangen sein. Aber wo? Und hätte sie ihr nicht Bescheid gegeben?

Die Kulisse um sie herum mit den roten Segeln und der dämmrigen Beleuchtung mutete plötzlich gespenstisch an. Ihre Nichte konnte doch nicht unter ihren Augen verschwinden! Sicherlich, Annika war erwachsen, aber sie fühlte sich trotzdem verantwortlich.

Reiß dich zusammen, nicht überall lauert ein Verbrechen! Es gibt dutzende naheliegende Gründe, weshalb sie nicht zu sehen ist!

Eine Hand legte sich von hinten auf ihre Schulter.

»Tante Frieda, was machst du hier oben auf der Bank?«

Als sie sich umwandte, sah sie in Annikas strahlendes Gesicht.

»Hier, hab ich uns besorgt. Typisch russischer Mitternachtssnack!«

Sie hielt ihr ein dampfendes Schmalzgebäck in einer Serviette hin.

»Alles in Ordnung, Tante Frieda? Geht es dir gut?«, fragte sie besorgt.

Frieda nickte nur und schüttelte ihre Anspannung ab. Sie hatte eindeutig überreagiert. »Alles gut, Annika. Ich habe mich nur gefragt, wo du abgeblieben bist!« Lächelnd nahm sie den Pyschki an und biss herzhaft hinein.

Sie schlenderten die von Ständen und Straßenmusikern gesäumte Uferpromenade entlang. Als Annika sich bei ihr unterhakte, empfand sie nichts als reine Freude.

Zwanzig Minuten später saßen sie in einem Taxi und fuhren zu dem neuen Kreuzfahrtterminal am Stadtrand. Neben der AIDAcara lagen vier weitere weiße Riesen an der Pieranlage. Der Ausblick von hier war weniger prächtig und glanzvoll. Zahlreiche Plattenbauten und ein großes Fußballstadion bestimmten das Bild. Dafür war der Blick auf den finnischen Meerbusen an der Bucht vor St. Petersburg umso schöner. Sie befanden sich am östlichsten Punkt der Ostsee.

Als das Taxi die russische Hafenkontrolle passiert hatte und an der Gangway zur AIDAcara hielt, lag das kleinste und älteste Schiff der AIDA-Flotte friedlich da. Frieda empfand bei dem Anblick ein Gefühl von Geborgenheit.

Sie gingen mittschiffs auf der Steuerbordseite die Gangway hinauf und nahmen den Fahrstuhl zu Deck 7. Hinter ihnen lag ein ereignisreicher Tag und es war bereits 2 Uhr morgens. In ein paar Stunden würden sie sich schon auf Erkundungstour in dieser einzigartigen Stadt befinden.

Auf Deck 5 stieg ein Paar in Smoking und Abendkleid ein. Der Kleidung nach zu urteilen, hatten sie ebenfalls das Ballett besucht.

Plötzlich knackte es in dem Lautsprecher des Fahrstuhls.

»STARCODE DECK 2, STERN. I repeat: STARCODE DECK 2, STERN«

Annika sah Frieda fragend an. »Was hat das zu bedeuten?«

»Ein medizinischer Notfall am Heck auf Deck 2. Offensichtlich handelt es sich um ein Besatzungsmitglied, denn Passagiere haben zu Deck 2 keinen Zugang«, erklärte Frieda.

»Schon wieder?«, rief der Mann im Smoking. »Wir hatten im Transfer-Bus vom Theater bereits einen medizinischen Notfall«, erklärte er kopfschüttelnd.

Der Fahrstuhl hielt auf Deck 7 und Frieda verließ mit Annika den Fahrstuhl, wünschte dem Paar eine gute Nacht und schloss kurze Zeit später mit einem Seufzen die Tür zu ihrer Suite.

Eine viertel Stunde später schlief sie bei den Klängen der Bibi-und-Tina-Folge, die Annika allabendlich hörte, lächelnd ein.

Am nächsten Morgen um kurz vor neun Uhr läutete das Kabinentelefon. Als Frieda abnahm, wünschte Kapitän de Vries ihr einen guten Morgen. Sofort kam die Erinnerung an die beiden medizinischen Notfälle vom Vorabend zurück.

Der holländische Akzent des Kapitäns erinnerte Frieda an Rudi Carell, und natürlich bejahte sie seine dringliche Bitte um ein vertrauliches Gespräch. Damit würde der Ausflug in die Stadt für sie ausfallen.

Friedas Sensoren waren allesamt auf einen ungeklärten Todesfall an Bord des Schiffes gerichtet. Ergeben seufzte sie. Konnte es denn keine Reise ohne Mordermittlungen für sie geben? Ganz kurz stieg Selbstmitleid in ihr auf. Im Gegensatz zu den letzten Fällen, verspürte sie keinerlei Stolz oder Aufregung, an den Ermittlungen beteiligt zu werden. Die unbeschwerte Leichtigkeit, die sie in Annikas Gesellschaft empfand, schien ihr wertvoller, als auf Täterjagd zu gehen.

Dumme Gans!Es geht nicht um dich! Wenn du helfen kannst, ein Verbrechen aufzuklären, wirst du es tun! , schalt sie sich.

5

Eine halbe Stunde später saß Frieda auf Deck 10 in der kleinen Kapitänsmesse.

Ein Offizier hatte sie von ihrem Kabinendeck abgeholt und auf die Brücke geführt. Sie hatte darauf bestanden, die Treppe zu nehmen. Gerade an Bord war es wichtig, auf ein Minimum an Bewegung zu achten.

De Vries war ein Riese von einem Mann mit einem festen Händedruck und leuchtend blauen Augen. Mit seinem rotblonden Haar und dem Vollbart sah er wie ein Wikinger aus. Seine Stimme war tief und kraftvoll. »Kaffee?« Er bot ihr einen Stuhl an.

Ein Kapitän der alten Schule, dachte Frieda. »Nein danke, ich habe gerade gefrühstückt.«

Er nickte und nahm ihr gegenüber Platz. Seine Ellenbogen lagen wie wuchtige Anker auf der Tischplatte. Alles an ihm strahlte Kraft und Selbstbewusstsein aus. Er war ein Kapitän wie aus dem Bilderbuch und Frieda verglich ihn unwillkürlich mit ihrem Sohn, der auf der AIDAbella als Kapitän fuhr. Sie lächelte. Klaas war ungefähr genauso groß, allerdings von athletischer Statur, muskulös, aber nicht massig und mindestens zehn Jahre jünger.

»Es geht um die beiden medizinischen Notfälle von gestern Nacht, richtig?«, erkundigte sie sich und seine Reaktion bestätigte ihre Vermutung.

»Woher wissen Sie davon?«

Sie winkte ab. »Ein Gast im Fahrstuhl erzählte von dem Notfall im Bus, nachdem der Notfall auf Deck 2 über die Lautsprecher verkündet worden war.«

»Wir haben bedauerlicherweise zwei Todesfälle in den letzten acht Stunden an Bord.«

Frieda erinnerte sich an den gestrigen Abend am Ufer der Newa, an die Minuten, in denen sie Annika vermisst hatte und daran, dass es häufig harmlose Erklärungen für Ereignisse gab. »Und die beiden Todesfälle sind nicht natürlicher Art?«

De Vries schüttelte den Kopf. »Nun ja, beide sind eines natürlichen Todes gestorben.«

»Aber Sie glauben nicht daran?«

Er sah Frieda überrascht an.

»Sonst hätten Sie mich nicht hergebeten!«

Er seufzte und nickte schließlich. Seine hünenhafte Gestalt stand im Gegensatz zu seiner Unsicherheit. »Wie soll ich es Ihnen sagen?«

Frieda reagierte zurückhaltend. »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen, Kapitän.«

Er raufte sich kurz Bart und Haare, als gäbe er sich einen Ruck. »Ich habe allergrößten Respekt vor Ihrer Arbeit!«, begann er.

»Welche Arbeit? Ich bin Rentnerin!«, entgegnete Frieda in dem Versuch, die Situation mit Humor zu entspannen. Offensichtlich war dem Kapitän nicht ganz wohl zumute.

»Ihre Ermittlungsarbeit natürlich. Ich habe jeden ihrer Fälle fasziniert verfolgt.«

»Es ist nett, dass Sie mir schmeicheln wollen, aber ich bin lediglich als Beraterin an den Fällen beteiligt gewesen, und lieber wäre es mir gewesen, es hätte keinen dieser Morde an Bord der Schiffe gegeben.«

»Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass ich Hochachtung und Respekt vor Ihrer Ermittlungsarbeit habe«, wiederholte er. »Ich bin begeisterter Krimileser und mich fasziniert die Lösung kniffliger Rätsel!«

Plötzlich nahm sie in den blauen Kapitänsaugen ein Leuchten wahr. Fast so, als würde ein kleiner Junge einen Traktor sehen. Frieda fragte sich irritiert, ob der Kapitän einer dieser Fans von ihr war. Seit sie die Morde auf den AIDA-Schiffen aufgeklärt hatte, war sie durch die Medienlandschaft gereicht worden. Anfangs hatte sie es genossen, dann jedoch sehr schnell bemerkt, dass ihr dieser Promi-Status nichts als Ärger, Stress und Unbequemlichkeiten einbrachte.

Es existierte tatsächlich ein Frieda-Olsen-Fan-Club auf Facebook und es war vorgekommen, dass sie auf dem Wochenmarkt in Kiel um ein Autogramm gebeten wurde. Nein, das war nichts für sie!

De Vries spürte Friedas Distanziertheit und wiegelte sogleich ab. »Entschuldigen Sie bitte, Frau Olsen, ich will mich nicht als Hobbydetektiv beweisen, ich bin Kapitän eines Passagierschiffes und möchte Gewissheit haben, dass beide Tode natürlichen Ursprungs sind. Schließlich trage ich die Verantwortung für eintausendsechshundert Personen an Bord.«

Frieda lächelte ihn offenherzig an. »Sie müssen sich nicht entschuldigen, Kapitän! Auch ich kann mich nicht davon freisprechen, bei dem ersten Fall eine irrational wohlige Aufgeregtheit verspürt zu haben. Als Gattin eines Strafverteidigers hatte ich Zugang zu vielen Strafakten und mich faszinierten die menschlichen Abgründe dieser Verbrechen. Allerdings musste ich feststellen, dass die fehlende Distanz zu Opfer und Täter mich schnell auf den Boden der Tatsachen geholt hat. Schließlich geht es in jedem einzelnen Fall um Menschenleben! Aber zurück zu den beiden Todesfällen, wie lautet denn die Diagnose des Schiffsarztes?«

De Vries hatte aufmerksam zugehört und schließlich bestätigend genickt. »Laut unseres Bordhospitals gab es bei beiden Toten keine Fremdeinwirkung.«

»Nun gut, was lässt Sie denken, dass ich helfen könnte?«

»Zwei Tote in einer Nacht, beide durch Erstickungsanfälle! Für mich ist das zu viel des Zufalls!«

»Kapitän, bei allem Respekt, aber dafür ist eigentlich die Polizei zuständig.« Frieda wusste natürlich, wie ungern ein Kapitän eine fremde Hoheitsgewalt an Bord seines Schiffes lassen wollte.

»Wir sind in Russland, Frau Olsen! Ich habe zwei medizinische Notfälle mit Todesfolge gemeldet. Das ist eine reine Formsache, die die Zollbehörden aufnehmen. Sollte aber ein Verbrechen auf russischem Boden stattgefunden haben, sitzen wir hier fest!«

Frieda gab dem Kapitän recht. Zwei Todesfälle auf die gleiche Art innerhalb weniger Stunden erschien ihr ebenfalls verdächtig genug, um Ermittlungen anzustellen. Letzten Endes bewies der Kapitän große Umsicht, auch wenn er selbst ein Krimifan war und in seiner Phantasie vielleicht die jungen Gäule mit ihm durchgingen.

»Es ist ein wahrer Glücksfall, dass in dieser Situation ausgerechnet Sie an Bord meines Schiffes sind, Frau Olsen!«

»Nein, Herr Kapitän, das ist ein wahrer Unglücksfall! Zwei Menschen sind tot. Ich finde das schon ohne Gewalteinwirkung schlimm genug.«

»Verzeihen Sie, so habe ich das nicht gemeint!«

Das Funkgerät am Gürtel des Kapitäns unterbrach ihr Gespräch.

»Käpt’n, Braikovic hier. Sie sollten sich das mal ansehen!«

»Was ist los, Doc?«

»Irgendetwas stimmt nicht mit den beiden Todesopfern!«

»Ich komme!« De Vries sah Frieda auffordernd an. »Begleiten Sie mich?«

Sie nickte und bedauerte spontan, den morgendlichen Anruf entgegengenommen zu haben. Viel lieber würde sie mit Annika die Stadt erkunden!

6

Prag, Hof Rudolf II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs – 1593

Ich habe es mit eigenen Augen gesehen! Der Kaiser verwahrt es in einem speziellen Schrank auf.«

»Und du sagst, er weiß, wer es geschrieben hat?«

Michal Sedziwoj war erst seit wenigen Wochen am Hofe Rudolfs auf dem Hradschin in Prag. Als Arzt, Philosoph und Alchemist hatte er Zugang zu dem Labor. »Es soll von Roger Bacon stammen, einem Franziskanermönch, der …«

»Ich weiß, wer Roger Bacon war, schweig!«

Sedziwoj grinste in sich hinein. Der Umstand, dass der Kollege den Kodex dem Gelehrten Roger Bacon zuschrieb, ließ darauf schließen, dass er von einer Entschlüsselung der Schriften sehr weit entfernt war.

Der Kaiser hatte eine heimliche Leidenschaft für Okkultes und die Alchemie. Er unterhielt ein Labor, das in Alchemistenkreisen einen guten Ruf besaß. Zahlreiche Leibärzte und andere Gelehrte der Alchemie standen in seinem Dienst. Dieser innere Zirkel war sehr verschlossen. Selten drang eine wissenschaftliche Erkenntnis nach draußen. Die Konkurrenz und das Misstrauen waren zu groß. Nicht zuletzt, weil Rudolf mehrfach von reisenden Goldmachern betrogen worden war.

»Und du sagst, es ist mehrfarbig?«, fragte Sedziwoj nach.

Der ehemalige Hofdiener nickte eifrig. Er war wegen einer Lappalie des Hofes verwiesen worden und hatte seitdem keine Arbeit gefunden. Nun bot sich ihm eine Bezahlung für die Informationen, die er dem Adligen aus Polen lieferte.

»Selbst dieser Franzose, Nostradamus, war schon hier auf dem Hradschin. Kaiser Rudolf hatte ihm das Buch gezeigt.«

Michal Sedziwoj griff in seinen Geldbeutel und warf dem Diener zwei Mark zu. Er fing die Münzen flink auf und entfernte sich eilig.

Michal Sedziwoj war bereits seit einigen Jahren auf der Suche nach dem Kodex von Maria von Aragon. Nach ihrem Tod hatten Nonnen die Dokumente verwahrt und schließlich außer Landes in ein Kloster nahe Venedig gebracht.

Als polnischer Adeliger, Arzt und Philosoph war er der Legende dieses Kodex quer durch unzählige Königreiche gefolgt. Jetzt, hier am Hofe Rudolfs II., war er endlich fündig geworden. Er musste das Vertrauen des Kaisers gewinnen und versuchen, die Schrift an sich zu nehmen oder zumindest einige Seiten zu kopieren.

Seine Quellen sprachen von geheimen Formeln und Rezepten.

Sedziwoj war überzeugt, dass Maria von Aragón einen Schlüssel zur Herstellung von Gold gefunden hatte. Als sie 1458 starb, hinterließ sie Unmengen von Reichtümern und Gold, die sie unmöglich nur durch die Beutezüge ihres Mannes, König Manuel I., hatte anhäufen können. Auch war überliefert, dass sie das Lösegeld für ihren Mann, der bei der Niederlage von Ponza durch die Genueser festgenommen worden war, in purem Gold gezahlt hatte. Unter ihrer Regentschaft waren die Klöster in Kastilien und Katalonien aufgeblüht. Sie hatte Schulen, Hospitäler und Labore errichtet.

Maria von Aragón war kinderlos geblieben und Zeitzeugen hatten von einer rätselhaften Krankheit berichtet, an der sie gelitten habe.

Wenn der Kaiser diesen Kodex hier am Hofe aufbewahrte, dann würde Sedziwoj ihn finden. Es würde Mittel und Wege geben, dem für seine Leichtgläubigkeit bekannten Rudolf II. das Buch zu entwenden. Was auch immer auf diesen Seiten geschrieben stand, er würde es herausfinden, denn letzten Endes war auch Maria von Aragón Alchemistin gewesen und hatte das ultimative Rätsel gelöst. Es musste ihr gelungen sein, Gold herzustellen!

7

Heute – St. Petersburg

Auf Deck 3 im Bordhospital wurden sie von Schiffsarzt Dr. Braikovic und Assistenzarzt Dr. Brange empfangen.

Brange begrüßte den Kapitän beinahe ehrfürchtig. Es war sein erster Einsatz auf einem Schiff der AIDA-Flotte.

»Ich habe Dr. Brange hinzugebeten, da er es entdeckt hat.« Braikovic blickte seinen jüngeren Kollegen beifällig an. »Nur zu, teilen Sie Ihre Beobachtung dem Käpt’n mit.«

Frieda bemerkte die Aufregung des jungen Arztes, die in krassem Gegensatz zu der ruhigen Ausstrahlung seines Vorgesetzten stand. Braikovic war ein rüstiger Mittsechziger und seine Statur stand der des Kapitäns in nichts nach.

»Nun, es ist wissenschaftlich bewiesen, dass 40 % der Menschen genetisch bedingt nicht in der Lage sind, den Geruch wahrzunehmen. Offensichtlich gehört Dr. Braikovic, im Gegensatz zu mir, zu diesen 40 %.«, erklärte Brange.

Während de Vries seine Stirn in Falten legte, dämmerte es Frieda bereits.

»Beide Opfer sind vollkommen unabhängig voneinander …«

»Vergiftet worden!«, unterbrach Frieda den Doktor, der sie überrascht anstarrte.

»Woher wissen Sie?«, stammelte er und auch Braikovic und de Vries schauten sie verdutzt an.

»Blausäure, korrekt?«

»Korrekt!«

»Bittermandel! Der typische Atemgeruch des Opfers bei einer Blausäurevergiftung. Es riecht makabererweise nach Weihnachten. Blausäure verursacht einen Erstickungstod. Diesen Bittermandelgeruch können tatsächlich viele Menschen nicht wahrnehmen.«

Beide Ärzte nickten stumm und sahen fragend zu de Vries.

»Meine Herren, darf ich vorstellen, Frieda Olsen!« Der Kapitän grinste stolz.

»Sie sind Frau Olsen?« Braikovic streckte ihr die Hand entgegen. »Ich habe Sie im Fernsehen gesehen, hätte Sie aber nicht wiedererkannt.« Er deutete auf ihre moderne Kurzhaarfrisur.

»Genau das war meine Intention, Herr Doktor!«, entgegnete Frieda lächelnd.

»Okay, wer weiß bisher davon?«, erkundigte sich de Vries.

»Bisher nur wir vier!« Braikovic hob vier Finger seiner rechten Hand. »Heißt das, wir haben einen Giftmörder an Bord?«, wandte er sich direkt an Frieda.

»Ist es nur eine Vermutung, oder haben sie bereits einen Bluttest durchgeführt?«

»Ja, im Blut lässt sich eindeutig Blausäure nachweisen«, ergriff Brange das Wort. »Allerdings können wir keine gerichtsmedzinischen Untersuchungen anstellen. Ich kann nicht erklären, wie das Cyanid in den Körper der beiden Frauen gelangte.«

»Eine Vergiftung muss nicht immer vorsätzlich sein. Kann es sich um einen tragischen Unfall handeln?«, fragte Frieda.

Braikovic schüttelte stumm den Kopf. »Um innerhalb weniger Minuten zu ersticken, muss die Dosis schon hoch gewesen und unmittelbar vorher verabreicht worden sein.«

»Das sollte den Täterkreis doch erheblich einschränken! Um wen handelt es sich bei den beiden Toten?«, fragte Frieda.

»Das erste Opfer, ­Sandra Mittental, ist Alleinreisende und im Bus auf der Rückfahrt vom Mariinsky-Theater erstickt. Nur zwei Stunden später ist Maryia Flores, ein Mitglied der Crew, in einer Gemeinschaftsdusche auf Deck 2 gestorben.«

Frieda kannte die Gemeinschaftsbäder von einem Rundgang unter Deck. Viele Kabinen hatten kein eigenes Bad, sondern teilten sich eines mit der Nachbarkabine. Bei einer Doppelbelegung in den Kabinen teilten sich so vier Personen ein Bad.

»Ich nehme nicht an, dass es einen Kontakt oder eine Verbindung zwischen den beiden Frauen gab?«

»Korrekt!«

Frieda sah den Captain an. »Wie lautet das Protokoll bei Mord? Müssen Sie den Vorfall den russischen Behörden melden?«

De Vries nickte stumm.

»Das gibt ein Theater!«, rief Braikovic spontan.

De Vries fasste sich konzentriert an den Bart und wog die Möglichkeiten ab. »Lässt sich hier an Bord eine Obduktion vornehmen?«

»Wir geben unser Bestes, aber es muss ein gerichtsmedizinisches Gutachten erstellt werden, das kann unsere Leichenschau nicht ersetzen.«