Heinrich Heines Versepen, Erzählprosa und Memoiren. Ausgewählte Werke I - Heinrich Heine - E-Book

Heinrich Heines Versepen, Erzählprosa und Memoiren. Ausgewählte Werke I E-Book

Heinrich Heine

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Beschreibung

Berühmt, berüchtigt, beliebt, verboten. Des Tanzbären Flucht in die Pyrenäen, sein weiteres Schicksal, die ideologische Unterrichtung der Bärenkinder, Hexensohn Lascaro, die Hexenhöhle Urakas, die wilde Jagd, wie es der schwarzen Mumma, Atta Trolls Weibe, ergeht. Das Wintermärchen, die Reise von Paris nach Hamburg, im traurigen Monat November geißelt deutsche Zustände. Schelm Schnabelewopski interessiert sich zeitlebens vor allem für Liebe und das Fressen. Maximilian erzählt in Florentinischen Nächten seiner kranken Freundin allerlei Phantastereien. Rabbi Abraham flieht mit seiner wunderschöne Frau Sara vor dem befürchteten Pogrom in Bacherach auf dem Rhein nach Frankfurt am Main, wo sich dann manches zuträgt. Schilderungen frühester Jugend Heinrich Heines, sein fulminanter Einzug in Paris 1831 u. a. in seinen Memoiren und Geständnissen. [siehe die ausführlichen Angaben in Über das Buch, S. 4, und im Nachwort des Herausgebers J. K. Sommermeyer, S. 271 ff.]

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RAT ACBOReiheAlte Tradition Azurcelesteblueoscuroherausgegeben von Joerg K. Sommermeyer & Orlando Syrg

Exemplarische Werke der Weltliteratur herausgegeben von Joerg K. Sommermeyer

Über dieses Buch

Atta Troll. Ein Sommernachtstraum: Der sich zum Kunsthüter aufwerfende Tanzbär, entkommt in seine Höhle, wo er Bärenkinder unterrichtet, Republikanismus und Kommunismus verspottet, die Einheit aller Tiere anmahnt, Gleichheit wiederherstellen will, aristokratische Anmaßung und Eigentum eliminieren, sich gegen Atheismus wendet, den die Welt regierenden Eisbären herbeisehnt. Es folgen: Hexensohn Lascaro, Pyrenäen, Hexenhütte der Uraka, wilde Jagd mit mythischen Frauen, Shakespeare und Goethe, Atta Trolls Tod, seine schwarze Frau Mumma einen weißhaarichten sibirischen Wüstenbär liebend im Pariser Jardin des Plantes. Die reimlosen Vierzeiler, immer wieder mit Anspielungen auf Freiligraths Gedicht Der Mohrenfürst, nehmen romantisch-volkstümlich, freilich desillusionierend gebrochen, die politisch-tendenziöse Lyrik der Zeit aufs satirische Korn, geißeln bloße Gesinnung auf Kosten dichterischer Güte.

Deutschland. Ein Wintermärchen: Beschreibung einer Reise von Paris nach Hamburg, verquickt mit regionalen, historischen, autobiografischen Elementen, politischen und philosophischen Erwägungen, „illegalen" Gedanken, „Konterbande" des Erzählers. Die Satire der Misere deutscher Zustände im Zeichen politischer Romantik. Wie im Atta Troll Strophen aus Vierzeilern, 27 Kapitel in einer kunstvollen Sprache, die Alltagsprosa und Jargon nicht scheut. Dabei wird die Verspottung von Tendenzpoesie nicht zurückgenommen, wenn auch die Umsetzung politischer Ideen ins dichterische Bild evident scheint (viele poetische Metaphern, Märchen, Ballade, Romantik et cetera). Zukunftsfreude und Novembertraurigkeit, Dichtertum und politisches Engagement in spannungserfüllter Koexistenz, Widersprüchliches vereint, bewusst gemacht.

Aus den Memoiren des Herrn von Schnabelewopski: Das Fragment eines antiidealistischen Schelmenromans (Ablehnung sowohl von Geld und Genuss- als auch Schmerzreligion) erzählt Abenteuer eines adligen, lebenslang törichten Studenten und dessen exorbitanter Vorliebe fürs Kulinarische und Erotische; polnische Kindheit, Aufenthalte in Hamburg, Amsterdam und Leiden, wo er Theologie studieren soll. Zwischen den Episoden die Ballade Herr Vonved und Erzählung vom fliegenden Holländer.

Florentinische Nächte: Maximilian erfindet auf Bitten des Arztes für seine morbide Freundin „närrische Geschichten": fahrendes Volk, Tänzerinnen, Marmorbilder ohne Fleisch und Blut, Paganini, Bauchredner, Zwerg Türlütü.

Der Rabbi von Bacherach: Fragment eines historischen Romans, teilweise chronikartig. Rabbiner Abraham sitzt mit seiner Familie beim Passahmahl, als er bemerkt, wie Fremde einen blutigen Kinderleichnam unter dem Tisch verstecken, um Juden einen rituellen Mord anzuhängen, ein Pogrom auszulösen. Flucht mit seiner Frau, der schönen Sara, auf dem Rhein nach Frankfurt am Main. Buntes Treiben in der Reichsstadt, burleske Ghetto-Szenen, Wiedersehen mit Don Isaak Abarbanel, Freund des Rabbi aus spanischer Studentenzeit.

Memoiren und Geständnisse: Schilderungen frühester Jugend; Einzug in Paris am 19. Mai 1831 u. a. – [siehe auch das Nachwort von Joerg K. Sommermeyer, unten S. → ff.]

Der Autor

Christian Johann Heinrich (Harry) Heine, geboren am 13. Dezember 1797, Düsseldorf/Herzogtum Berg - gestorben am 17. Februar 1856, Paris. Kritischer, politisch engagierter Journalist, Essayist, Satiriker. Gilt als „letzter Dichter der Romantik" und als deren Überwinder. Machte mit Leichtigkeit, Grazie und Eleganz Alltagssprache lyrikfähig, Feuilleton und Reisebericht zur Kunstform. Vielfach übersetzt und vertont. Die Polemiken des Außenseiters bewundert und gefürchtet. Von Antisemiten und Nationalisten wegen seiner jüdischen Abstammung und politischen Haltung lange über seinen Tod hinaus heftigst angefeindet. Publikationsverbote. Von 1831 bis an sein Ende im Pariser Exil.

[Detaillierter Lebenslauf im Nachwort von Joerg K. Sommermeyer, S. → ff.]

Der Herausgeber

Joerg K. Sommermeyer (JS), geboren am 14. Oktober 1947 in Brackenheim/Heilbronn. Jurist, Musiker und Schriftsteller. 1976 bis 2004 Rechtsanwalt in Freiburg. Zahlreiche Veröffentlichungen.

Orlando Syrg, Berlin, 11. Mai 2019

Durchgesehen, revidiert und mit einem Nachwort herausgegeben von Joerg K. Sommermeyer

Inhalt

Über dieses Buch

Der Autor

Der Herausgeber

Impressum

Widmung

Versepen

Atta Troll. Ein Sommernachtstraum

Vorrede

Caput I [Rings umragt von dunklen Bergen]

Caput II [Dass ein schwarzer Freiligräthscher]

Caput III [Traum der Sommernacht! Phantastisch]

Caput IV [Ronceval, du edles Tal!]

Caput V [In der Höhle, bei den Seinen]

Caput VI [Doch es ist vielleicht ersprießlich]

Caput VII [Düster, in der düstern Höhle]

Caput VIII [Mancher tugendhafte Bürger]

Caput IX [Wie die scharlachrote Zunge]

Caput X [Zwo Gestalten, wild und mürrisch]

Caput XI [Wie verschlafne Bajaderen]

Caput XII [Wie sie schwärmen, die Poeten]

Caput XIII [In dem schwarzen Felsenkessel]

Caput XIV [Aus dem sonn'gen Goldgrund lachen]

Caput XV [Riesenhafte Felsenblöcke]

Caput XVI [Schaust du diese Bergesgipfel]

Caput XVII [Ist ein Tal gleich einer Gasse]

Caput XVIII [Und es war die Zeit des Vollmonds]

Caput XIX [Aber als der Schönheit Kleeblatt]

Caput XX [Sonnenaufgang. Goldne Pfeile]

Caput XXI [Argonauten ohne Schiff]

Caput XXII [Phöbus, in der Sonnendroschke]

Caput XXIII [Aus dem Spuk der Hexenwirtschaft]

Caput XXIV [In dem Tal von Ronceval]

Caput XXV [Dreiunddreißig alte Weiber]

Caput XXVI [Und die Mumma? Ach, die Mumma]

Caput XXVII [Wo des Himmels, Meister Ludwig]

Deutschland. Ein Wintermärchen

Vorwort

Caput I [Im traurigen Monat November war's]

Caput II [Während die Kleine von Himmelslust]

Caput III [Zu Aachen, im alten Dome, liegt]

Caput IV [Zu Köllen kam ich spätabends an]

Caput V [Und als ich an die Rheinbrück' kam]

Caput VI [Den Paganini begleitete stets]

Caput VII [Ich ging nach Haus und schlief, als ob]

Caput VIII [Von Köllen bis Hagen kostet die Post]

Caput IX [Von Köllen war ich drei Viertel auf acht]

Caput X [Dicht hinter Hagen ward es Nacht]

Caput XI [Das ist der Teutoburger Wald]

Caput XII [Im nächtlichen Walde humpelt dahin]

Caput XIII [Die Sonne ging auf bei Paderborn]

Caput XIV [Ein feuchter Wind, ein kahles Land]

Caput XV [Ein feiner Regen prickelt herab]

Caput XVI [Das Stoßen des Wagens weckte mich auf]

Caput XVII [Ich habe mich mit dem Kaiser gezankt]

Caput XVIII [Minden ist eine feste Burg]

Caput XIX [Oh, Danton, du hast dich sehr geirrt]

Caput XX [Von Harburg fuhr ich in einer Stund']

Caput XXI [Die Stadt, zur Hälfte abgebrannt]

Caput XXII [Noch mehr verändert als die Stadt]

Caput XXIII [Als Republik war Hamburg nie]

Caput XXIV [Wie ich die enge Saaltrepp' hinauf]

Caput XXV [Die Göttin hat mir Tee gekocht]

Caput XXVI [Die Wangen der Göttin glühten so rot]

Caput XXVII [Was sich in jener Wundernacht]

Erzählprosa

Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski

Kapitel I [Mein Vater hieß Schnabelewopski]

Kapitel II [Meine Mutter packte selbst meinen Koffer]

Kapitel III [Mein erster Ausflug, als ich Schnabelewops verließ]

Kapitel IV [Für Leser, denen die Stadt Hamburg nicht bekannt ist]

Kapitel V [Während ich das vorige Kapitel hinschrieb / Herr Vonved]

Kapitel VI [Es war aber ein gar lieblicher Frühlingstag]

Kapitel VII [Die Fabel von dem Fliegenden Holländer]

Kapitel VIII [Aber nicht bloß in Amsterdam haben die Götter]

Kapitel IX [Wenn der Braten ganz schlecht war]

Kapitel X [Mit dem kleinen Simson hatte ich zu Leiden]

Kapitel XI [Das Haus, worin ich zu Leiden logierte]

Kapitel XII [Unglückselige Eifersucht!]

Kapitel XIII [Wäre die Wirtin zur Roten Kuh eine Italienerin gewesen]

Kapitel XIV [Diese Szene hatte mich furchtbar erschüttert]

Florentinische Nächte

Erste Nacht [Im Vorzimmer fand Maximilian den Arzt]

Zweite Nacht [Und warum wollen Sie mich noch mit dieser hässlichen]

Der Rabbi von Bacherach

Erstes Kapitel [Unterhalb des Rheingaus, wo die Ufer des Stromes]

Zweites Kapitel [Als die schöne Sara die Augen aufschlug]

Drittes Kapitel [Als die schöne Sara nach beendigtem Gottesdienst]

Memoiren

Geständnisse

Vorwort [Die nachfolgenden Blätter schrieb ich]

Geständnisse [Ein geistreicher Franzose]

Anhang

I.

[Es sind nicht bloß die Franzosen und der Kaiser]

II.

[Ich sah auch nicht Herrn Villemain]

Memoiren

Nachwort des Herausgebers Joerg K. Sommermeyer

Für alle meine treuen Freunde, die verlorenen Leben und Lieben, den nächtlichen Schwarm durch mein Gemüt

Versepen

Atta Troll Ein Sommernachtstraum

[Zeitung für die elegante Welt, Leipzig 1843]

Aus dem schimmernden, weißen Zelte hervor Tritt der schlachtgerüstete, fürstliche Mohr; So tritt aus schimmernder Wolken Tor Der Mond, der verfinsterte, dunkle, hervor.»Der Mohrenfürst« von F. Freiligrath

Vorrede

Der »Atta Troll« entstand im Spätherbst 1841 und ward fragmentarisch abgedruckt in der »Eleganten Welt«, als mein Freund Heinrich Laube wieder die Redaktion derselben übernommen hatte. Inhalt und Zuschnitt des Gedichtes mussten den zahmen Bedürfnissen jener Zeitschrift entsprechen; ich schrieb vorläufig nur die Kapitel, die gedruckt werden konnten, und auch diese erlitten manche Variante. Ich hegte die Absicht, in späterer Vervollständigung das Ganze herauszugeben, aber es blieb immer bei dem lobenswerten Vorsatz, und wie allen großen Werken der Deutschen, wie dem Kölner Dom, dem Schellingschen Gott, der preußischen Konstitution usw., ging es auch dem »Atta Troll« – er ward nicht fertig. In solcher unfertigen Gestalt, leidlich aufgestutzt und nur äußerlich gerundet, übergebe ich ihn heute dem Publico, einem Drange gehorchend, der wahrlich nicht von innen kommt.

Der »Atta Troll« entstand, wie gesagt, im Spätherbst 1841, zu einer Zeit, als die große Erneute, wo die verschiedenfarbigsten Feinde sich gegen mich zusammengerottet, noch nicht ganz ausgelärmt hatte. Es war eine sehr große Erneute, und ich hätte nie geglaubt, dass Deutschland so viele faule Äpfel hervorbringt, wie mir damals an den Kopf flogen! Unser Vaterland ist ein gesegnetes Land; es wachsen hier freilich keine Zitronen und keine Goldorangen, auch krüppelt sich der Lorbeer nur mühsam fort auf deutschem Boden, aber faule Äpfel gedeihen bei uns in erfreulichster Fülle, und alle unsere großen Dichter wussten davon ein Lied zu singen. Bei jener Erneute, wo ich Krone und Kopf verlieren sollte, verlor ich keins von beiden, und die absurden Anschuldigungen, womit man den Pöbel gegen mich aufhetzte, sind seitdem, ohne dass ich mich zu einer Widerrede herabzulassen brauchte, aufs Kläglichste verschollen. Die Zeit übernahm meine Rechtfertigung, und auch die respektiven deutschen Regierungen, ich muss es dankbar anerkennen, haben sich in dieser Beziehung verdient um mich gemacht. Die Haftbefehle, die von der deutschen Grenze an, auf jeder Station, die Heimkehr des Dichters mit Sehnsucht erwarten, werden gehörig renoviert, jedes Jahr, um die heilige Weihnachtszeit, wenn an den Christbäumen die gemütlichen Lämpchen funkeln. Wegen solcher Unsicherheit der Wege wird mir das Reisen in den deutschen Gauen schier verleidet, ich feiere deshalb meine Weihnachten in der Fremde und werde auch in der Fremde, im Exil, meine Tage beschließen. Die wackern Kämpen für Licht und Wahrheit, die mich der Wankelmütigkeit und des Knechtsinns beschuldigten, gehen unterdessen im Vaterlande sehr sicher umher, als wohlbestallte Staatsdiener, oder als Würdenträger einer Gilde, oder als Stammgäste eines Klubs, wo sie sich des Abends patriotisch erquicken am Rebensafte des Vater Rhein und an meerumschlungenen schleswig-holsteinischen Austern.

Ich habe oben mit besonderer Absicht angedeutet, in welcher Periode der »Atta Troll« entstanden ist. Damals blühte die sogenannte politische Dichtkunst. Die Opposition, wie Ruge sagt, verkaufte ihr Leder und ward Poesie. Die Musen bekamen die strenge Weisung, sich hinfüro nicht mehr müßig und leichtfertig umherzutreiben, sondern in vaterländischen Dienst zu treten, etwa als Marketenderinnen der Freiheit oder als Wäscherinnen der christlich-germanischen Nationalität. Es erhub sich im deutschen Bardenhain ganz besonders jener vage, unfruchtbare Pathos, jener nutzlose Enthusiasmusdunst, der sich mit Todesverachtung in einen Ozean von Allgemeinheiten stürzte und mich immer an den amerikanischen Matrosen erinnerte, welcher für den General Jackson so überschwänglich begeistert war, dass er einst von der Spitze eines Mastbaums ins Meer hinabsprang, indem er ausrief: »Ich sterbe für den General Jackson!« Ja, obgleich wir Deutschen noch keine Flotte besaßen, so hatten wir doch schon viele begeisterte Matrosen, die für den General Jackson starben, in Versen und in Prosa. Das Talent war damals eine sehr missliche Begabung, denn es brachte in den Verdacht der Charakterlosigkeit. Die scheelsüchtige Impotenz hatte endlich, nach tausendjährigem Nachgrübeln, ihre große Waffe gefunden gegen den Übermut des Genius; sie fand nämlich die Antithese von Talent und Charakter. Es war fast persönlich schmeichelhaft für die große Menge, wenn sie behaupten hörte, die braven Leute seien freilich in der Regel sehr schlechte Musikanten, dafür jedoch seien die guten Musikanten gewöhnlich nichts weniger als brave Leute, die Bravheit aber sei in der Welt die Hauptsache, nicht die Musik. Der leere Kopf pochte jetzt mit Fug auf sein volles Herz, und die Gesinnung war Trumpf. Ich erinnere mich eines damaligen Schriftstellers, der es sich als ein besonderes Verdienst anrechnete, dass er nicht schreiben könne; für seinen hölzernen Stil bekam er einen silbernen Ehrenbecher.

Bei den ewigen Göttern! Damals galt es, die unveräußerlichen Rechte des Geistes zu vertreten, zumal in der Poesie. Wie eine solche Vertretung das große Geschäft meines Lebens war, so habe ich sie am allerwenigsten im vorliegenden Gedicht außer Augen gelassen, und sowohl Tonart als Stoff desselben war ein Protest gegen die Plebiszite der Tagestribünen. Und in der Tat, schon die ersten Fragmente, die vom »Atta Troll« gedruckt wurden, erregten die Galle meiner Charakterhelden, meiner Römer, die mich nicht bloß der literarischen, sondern auch der gesellschaftlichen Reaktion, ja sogar der Verhöhnung heiligster Menschheitsideen beschuldigten. Was den ästhetischen Wert meines Poems betrifft, so gab ich ihn gern preis, wie ich es auch heute noch tue; ich schrieb dasselbe zu meiner eignen Lust und Freude, in der grillenhaften Traumweise jener romantischen Schule, wo ich meine angenehmsten Jugendjahre verlebt und zuletzt den Schulmeister geprügelt habe. In dieser Beziehung ist mein Gedicht vielleicht verwerflich. Aber du lügst, Brutus, du lügst, Cassius, und auch du lügst, Asinius, wenn ihr behauptet, mein Spott träfe jene Ideen, die eine kostbare Errungenschaft der Menschheit sind und für die ich selber so viel gestritten und gelitten habe. Nein, eben weil dem Dichter jene Ideen in herrlichster Klarheit und Größe beständig vorschweben, ergreift ihn desto unwiderstehlicher die Lachlust, wenn er sieht, wie roh, plump und täppisch von der beschränkten Zeitgenossenschaft jene Ideen aufgefasst werden können. Er scherzt dann gleichsam über ihre temporelle Bärenhaut. Es gibt Spiegel, welche so verschoben geschliffen sind, dass selbst ein Apollo sich darin als eine Karikatur abspiegeln muss und uns zum Lachen reizt. Wir lachen aber alsdann nur über das Zerrbild, nicht über den Gott.

Noch ein Wort. Bedarf es einer besonderen Verwahrung, dass die Parodie eines Freiligrathschen Gedichtes, welche aus dem »Atta Troll« manchmal mutwillig hervorkichert und gleichsam seine komische Unterlage bildet, keineswegs eine Misswürdigung des Dichters bezweckt? Ich schätze denselben hoch, zumal jetzt, und ich zähle ihn zu den bedeutendsten Dichtern, die seit der Julirevolution in Deutschland aufgetreten sind. Seine erste Gedichtsammlung kam mir sehr spät zu Gesicht, nämlich eben zur Zeit, als der »Atta Troll« entstand. Es mochte wohl an meiner damaligen Stimmung liegen, dass namentlich der »Mohrenfürst« so belustigend auf mich wirkte. Diese Produktion wird übrigens als die gelungenste gerühmt. Für Leser, welche diese Produktion gar nicht kennen – und es mag deren wohl in China und Japan geben, sogar am Niger und am Senegal –, für diese bemerke ich, dass der Mohrenkönig, der zu Anfang des Gedichtes aus seinem weißen Zelte, wie eine Mondfinsternis, hervortritt, auch eine schwarze Geliebte besitzt, über deren dunkles Antlitz die weißen Straußenfedern nicken. Aber kriegsmutig verlässt er sie, er zieht in die Negerschlacht, wo da rasselt die Trommel, mit Schädeln behangen – ach, er findet dort sein schwarzes Waterloo und wird von den Siegern an die Weißen verkauft. Diese schleppen den edlen Afrikaner nach Europa, und hier finden wir ihn wieder im Dienste einer herumziehenden Reitergesellschaft, die ihm, bei ihren Kunstvorstellungen, die türkische Trommel anvertraut hat. Da steht er nun, finster und ernsthaft, am Eingang der Reitbahn und trommelt, doch während des Trommelns denkt er an seine ehemalige Größe, er denkt daran, dass er einst ein absoluter Monarch war, am fernen, fernen Niger, und dass er gejagt den Löwen, den Tiger –

»Sein Auge ward nass; mit dumpfem Klang

Schlug er das Fell, dass es rasselnd zersprang.«

Geschrieben zu Paris im Dezember 1846Heinrich Heine

Caput I

Rings umragt von dunklen Bergen,

Die sich trotzig übergipfeln,

Und von wilden Wasserstürzen

Eingelullet, wie ein Traumbild,

Liegt im Tal das elegante

Cauterets. Die weißen Häuschen

Mit Balkonen; schöne Damen

Stehn darauf und lachen herzlich.

Herzlich lachend schaun sie nieder

Auf den wimmelnd bunten Marktplatz,

Wo da tanzen Bär und Bärin

Bei des Dudelsackes Klängen.

Atta Troll und seine Gattin,

Die geheißen schwarze Mumma,

Sind die Tänzer, und es jubeln

Vor Bewundrung die Baskesen.

Steif und ernsthaft, mit Grandezza,

Tanzt der edle Atta Troll,

Doch der zott'gen Ehehälfte

Fehlt die Würde, fehlt der Anstand.

Ja, es will mich schier bedünken,

Dass sie manchmal cancaniere,

Und gemütlos frechen Steißwurfs

An die Grand'-Chaumière erinnre.

Auch der wackre Bärenführer,

Der sie an der Kette leitet,

Scheint die Immoralität

Ihres Tanzes zu bemerken.

Und er langt ihr manchmal über

Ein'ge Hiebe mit der Peitsche,

Und die schwarze Mumma heult dann,

Dass die Berge widerhallen.

Dieser Bärenführer trägt

Sechs Madonnen auf dem Spitzhut,

Die sein Haupt vor Feindeskugeln

Oder Läusen schützen sollen.

Über seine Schulter hängt

Eine bunte Altardecke,

Die als Mantel sich gebärdet;

Drunter lauscht Pistol und Messer.

War ein Mönch in seiner Jugend,

Später ward er Räuberhauptmann;

Beides zu verein'gen, nahm er

Endlich Dienste bei Don Carlos.

Als Don Carlos fliehen musste

Mit der ganzen Tafelrunde,

Und die meisten Paladine

Nach honettem Handwerk griffen –

(Herr Schnapphahnski wurde Autor) –,

Da ward unser Glaubensritter

Bärenführer, zog durchs Land

Mit dem Atta Troll und Mumma.

Und er lässt die beiden tanzen

Vor dem Volke, auf den Märkten; –

Auf dem Markt von Cauterets

Tanzt gefesselt Atta Troll!

Atta Troll, der einst gehauset,

Wie ein stolzer Fürst der Wildnis,

Auf den freien Bergeshöhen,

Tanzt im Tal vor Menschenpöbel!

Und sogar für schnödes Geld

Muss er tanzen, er, der weiland,

In des Schreckens Majestät,

Sich so welterhaben fühlte!

Denkt er seiner Jugendtage,

Der verlornen Waldesherrschaft,

Dann erbrummen dunkle Laute

Aus der Seele Atta Trolls;

Finster schaut er wie ein schwarzer

Freiligräthscher Mohrenfürst,

Und wie dieser schlecht getrommelt,

Also tanzt er schlecht vor Ingrimm.

Doch statt Mitgefühl erregt er

Nur Gelächter. Selbst Juliette

Lacht herunter vom Balkone

Ob den Sprüngen der Verzweiflung. – –

Juliette hat im Busen

Kein Gemüt, sie ist Französin,

Lebt nach außen; doch ihr Äußres

Ist entzückend, ist bezaubernd.

Ihre Blicke sind ein süßes

Strahlennetz, in dessen Maschen

Unser Herz, gleich einem Fischlein,

Sich verfängt und zärtlich zappelt.

Caput II

Dass ein schwarzer Freiligräthscher

Mohrenfürst sehnsüchtig lospaukt

Auf das Fell der großen Trommel,

Bis es prasselnd laut entzweispringt:

Das ist wahrhaft trommelrührend

Und auch trommelfellerschütternd –

Aber denkt euch einen Bären,

Der sich von der Kette losreißt!

Die Musik und das Gelächter,

Sie verstummen, und mit Angstschrei

Stürzt vom Markte fort das Volk,

Und die Damen, sie erbleichen.

Ja, von seiner Sklavenfessel

Hat sich plötzlich losgerissen

Atta Troll. Mit wilden Sprüngen

Durch die engen Straßen rennend –

(Jeder macht ihm höflich Platz) –,

Klettert er hinauf die Felsen,

Schaut hinunter, wie verhöhnend,

Und verschwindet im Gebirge.

Auf dem leeren Marktplatz bleiben

Ganz allein die schwarze Mumma

Und der Bärenführer. Rasend

Schmeißt er seinen Hut zur Erde,

Trampelt drauf, er tritt mit Füßen

Die Madonnen! reißt die Decke

Sich vom scheußlich nackten Leib,

Flucht und jammert über Undank,

Über schwarzen Bärenundank!

Denn er habe Atta Troll

Stets wie einen Freund behandelt

Und im Tanzen unterrichtet.

Alles hab er ihm zu danken,

Selbst das Leben! Bot man doch

Ihm vergebens hundert Taler

Für die Haut des Atta Troll!

Auf die arme schwarze Mumma,

Die, ein Bild des stummen Grames,

Flehend, auf den Hintertatzen,

Vor dem Hocherzürnten stehnblieb,

Fällt des Hocherzürnten Wut

Endlich doppelt schwer, er schlägt sie,

Nennt sie Königin Christine,

Auch Frau Muñoz und Putana. – –

Das geschah an einem schönen,

Warmen Sommernachmittage,

Und die Nacht, die jenem Tage

Lieblich folgte, war süperbe.

Ich verbrachte fast die Hälfte

Jener Nacht auf dem Balkone.

Neben mir stand Juliette

Und betrachtete die Sterne.

Seufzend sprach sie: »Ach, die Sterne

Sind am schönsten in Paris,

Wenn sie dort, des Winterabends,

In dem Straßenkot sich spiegeln.«

Caput III

Traum der Sommernacht! Phantastisch

Zwecklos ist mein Lied. Ja, zwecklos

Wie die Liebe, wie das Leben,

Wie der Schöpfer samt der Schöpfung!

Nur der eignen Lust gehorchend,

Galoppierend oder fliegend,

Tummelt sich im Fabelreiche

Mein geliebter Pegasus.

Ist kein nützlich tugendhafter

Karrengaul des Bürgertums,

Noch ein Schlachtpferd der Parteiwut,

Das pathetisch stampft und wiehert!

Goldbeschlagen sind die Hufen

Meines weißen Flügelrössleins,

Perlenschnüre sind die Zügel,

Und ich lass sie lustig schießen.

Trage mich, wohin du willst!

Über luftig steilen Bergpfad,

Wo Kaskaden angstvoll kreischend

Vor des Unsinns Abgrund warnen!

Trage mich durch stille Täler,

Wo die Eichen ernsthaft ragen

Und den Wurzelknorr'n entrieselt

Uralt süßer Sagenquell!

Lass mich trinken dort und nässen

Meine Augen – ach, ich lechze

Nach dem lichten Wunderwasser,

Welches sehend macht und wissend.

Jede Blindheit weicht! Mein Blick

Dringt bis in die tiefste Steinkluft,

In die Höhle Atta Trolls –

Ich verstehe seine Reden!

Sonderbar! wie wohlbekannt

Dünkt mir diese Bärensprache!

Hab ich nicht in teurer Heimat

Früh vernommen diese Laute?

Caput IV

Ronceval, du edles Tal!

Wenn ich deinen Namen höre,

Bebt und duftet mir im Herzen

Die verschollne blaue Blume!

Glänzend steigt empor die Traumwelt,

Die jahrtausendlich versunken,

Und die großen Geisteraugen

Schaun mich an, dass ich erschrecke!

Und es klirrt und tost! Es kämpfen

Sarazen und Frankenritter;

Wie verzweifelnd, wie verblutend,

Klingen Rolands Waldhornrufe!

In dem Tal von Ronceval,

Unfern von der Rolandsscharte –

So geheißen, weil der Held,

Um sich einen Weg zu bahnen,

Mit dem guten Schwert Duranda

Also todesgrimmig einhieb

In die Felswand, dass die Spuren

Bis auf heut'gem Tage sichtbar –

Dort in einer düstren Steinschlucht,

Die umwachsen von dem Buschwerk

Wilder Tannen, tief verborgen,

Liegt die Höhle Atta Trolls.

Dort, im Schoße der Familie,

Ruht er aus von den Strapazen

Seiner Flucht und von der Mühsal

Seiner Völkerschau und Weltfahrt.

Süßes Wiedersehn! Die Jungen

Fand er in der teuren Höhle,

Wo er sie gezeugt mit Mumma;

Söhne vier und Töchter zwei.

Wohlgeleckte Bärenjungfraun,

Blond von Haar, wie Pred'gerstöchter;

Braun die Buben, nur der Jüngste

Mit dem einz'gen Ohr ist schwarz.

Dieser Jüngste war das Herzblatt

Seiner Mutter, die ihm spielend

Abgebissen einst ein Ohr;

Und sie fraß es auf vor Liebe.

Ist ein genialer Jüngling,

Für Gymnastik sehr begabt,

Und er schlägt die Purzelbäume

Wie der Turnkunstmeister Maßmann.

Blüte autochthoner Bildung,

Liebt er nur die Muttersprache,

Lernte nimmer den Jargon

Des Hellenen und des Römlings.

Frisch und frei und fromm und fröhlich,

Ist verhasst ihm alle Seife,

Luxus des modernen Waschens,

Wie dem Turnkunstmeister Maßmann.

Am genialsten ist der Jüngling,

Wenn er klettert auf dem Baume,

Der, entlang der steilsten Felswand,

Aus der tiefen Schlucht emporsteigt

Und hinaufragt bis zur Koppe,

Wo des Nachts die ganze Sippschaft

Sich versammelt um den Vater,

Kosend in der Abendkühle.

Gern erzählt alsdann der Alte,

Was er in der Welt erlebte,

Wie er Menschen viel und Städte

Einst gesehn, auch viel erduldet,

Gleich dem edlen Laertiaden,

Diesem nur darin unähnlich,

Dass die Gattin mit ihm reiste,

Seine schwarze Penelope.

Auch erzählt dann Atta Troll

Von dem kolossalen Beifall,

Den er einst durch seine Tanzkunst

Eingeerntet bei den Menschen.

Er versichert, jung und alt

Habe jubelnd ihn bewundert,

Wenn er tanzte auf den Märkten

Bei der Sackpfeif süßen Tönen.

Und die Damen ganz besonders,

Diese zarten Kennerinnen,

Hätten rasend applaudiert

Und ihm huldreich zugeäugelt.

Oh, der Künstlereitelkeiten!

Schmunzelnd denkt der alte Tanzbär

An die Zeit, wo sein Talent

Vor dem Publico sich zeigte.

Übermannt von Selbstbegeistrung,

Will er durch die Tat bekunden,

Dass er nicht ein armer Prahlhans,

Dass er wirklich groß als Tänzer –

Und vom Boden springt er plötzlich,

Stellt sich auf die Hintertatzen,

Und wie eh'mals tanzt er wieder

Seinen Leibtanz, die Gavotte.

Stumm, mit aufgesperrten Schnauzen,

Schauen zu die Bärenjungen,

Wie der Vater hin und her springt

Wunderbar im Mondenscheine.

Caput V

In der Höhle, bei den Seinen,

Liegt gemütskrank auf dem Rücken

Atta Troll, nachdenklich saugt er

An den Tatzen, saugt und brummt:

»Mumma, Mumma, schwarze Perle,

Die ich in dem Meer des Lebens

Aufgefischt, im Meer des Lebens

Hab ich wieder dich verloren!

Werd ich nie dich wiedersehen,

Oder nur jenseits des Grabes,

Wo von Erdenzotteln frei

Sich verkläret deine Seele?

Ach! vorher möcht ich noch einmal

Lecken an der holden Schnauze

Meiner Mumma, die so süße,

Wie mit Honigseim bestrichen!

Möchte auch noch einmal schnüffeln

Den Geruch, der eigentümlich

Meiner teuren schwarzen Mumma,

Und wie Rosenduft so lieblich!

Aber ach! die Mumma schmachtet

In den Fesseln jener Brut,

Die den Namen Menschen führet,

Und sich Herrn der Schöpfung dünkelt.

Tod und Hölle! Diese Menschen,

Diese Erzaristokraten,

Schaun auf das gesamte Tierreich

Frech und adelsstolz herunter,

Rauben Weiber uns und Kinder,

Fesseln uns, misshandeln, töten

Uns sogar, um zu verschachern

Unsre Haut und unsern Leichnam!

Und sie glauben sich berechtigt,

Solche Untat auszuüben

Ganz besonders gegen Bären,

Und sie nennen's Menschenrechte!

Menschenrechte! Menschenrechte!

Wer hat euch damit belehnt?

Nimmer tat es die Natur,

Diese ist nicht unnatürlich.

Menschenrechte! Wer gab euch

Diese Privilegien?

Wahrlich nimmer die Vernunft,

Die ist nicht so unvernünftig!

Menschen, seid ihr etwa besser

Als wir andre, weil gesotten

Und gebraten eure Speisen?

Wir verzehren roh die unsern,

Doch das Resultat am Ende

Ist dasselbe – Nein, es adelt

Nicht die Atzung; der ist edel,

Welcher edel fühlt und handelt.

Menschen, seid ihr etwa besser,

Weil ihr Wissenschaft und Künste

Mit Erfolg betreibt? Wir andre

Sind nicht auf den Kopf gefallen.

Gibt es nicht gelehrte Hunde?

Und auch Pferde, welche rechnen

Wie Kommerzienräte? Trommeln

Nicht die Hasen ganz vorzüglich?

Hat sich nicht in Hydrostatik

Mancher Biber ausgezeichnet?

Und verdankt man nicht den Störchen

Die Erfindung der Klistiere?

Schreiben Esel nicht Kritiken?

Spielen Affen nicht Komödie?

Gibt es eine größre Mimin,

Als Batavia, die Meerkatz'?

Singen nicht die Nachtigallen?

Ist der Freiligrath kein Dichter?

Wer besäng den Löwen besser

Als sein Landsmann, das Kamel?

In der Tanzkunst hab ich selber

Es so weit gebracht wie Raumer

In der Schreibkunst – schreibt er besser,

Als ich tanze, ich der Bär?

Menschen, warum seid ihr besser

Als wir andre? Aufrecht tragt ihr

Zwar das Haupt, jedoch im Haupte

Kriechen niedrig die Gedanken.

Menschen, seid ihr etwa besser

Als wir andre, weil eu'r Fell

Glatt und gleißend? Diesen Vorzug

Müsst ihr mit den Schlangen teilen.

Menschenvolk, zweibein'ge Schlangen,

Ich begreife wohl, warum ihr

Hosen tragt! Mit fremder Wolle

Deckt ihr eure Schlangennacktheit.

Kinder! hütet euch vor jenen

Unbehaarten Missgeschöpfen!

Meine Töchter! Traut nur keinem

Untier, welches Hosen trägt!«

Weiter will ich nicht berichten,

Wie der Bär in seinem frechen

Gleichheitsschwindel räsonierte

Auf das menschliche Geschlecht.

Denn am Ende bin ich selber

Auch ein Mensch, und wiederholen

Will ich nimmer die Sottisen,

Die am Ende sehr beleid'gend.

Ja, ich bin ein Mensch, bin besser

Als die andern Säugetiere;

Die Intressen der Geburt

Werd ich nimmermehr verleugnen.

Und im Kampf mit andern Bestien

Werd ich immer treulich kämpfen

Für die Menschheit, für die heil'gen

Angebornen Menschenrechte.

Caput VI

Doch es ist vielleicht ersprießlich

Für den Menschen, der den höhern

Viehstand bildet, dass er wisse,

Was da unten räsoniert wird.

Ja, da unten in den düstern

Jammersphären der Gesellschaft,

In den niedern Tierweltschichten,

Brütet Elend, Stolz und Groll.

Was naturgeschichtlich immer,

Also auch gewohnheitsrechtlich,

Seit Jahrtausenden bestanden,

Wird negiert mit frecher Schnauze.

Von den Alten wird den Jungen

Eingebrummt die böse Irrlehr',

Die auf Erden die Kultur

Und Humanität bedroht.

»Kinder« – grommelt Atta Troll,

Und er wälzt sich hin und her

Auf dem teppichlosen Lager –

»Kinder, uns gehört die Zukunft!

Dächte jeder Bär und dächten

Alle Tiere so wie ich,

Mit vereinten Kräften würden

Wir bekämpfen die Tyrannen.

Es verbände sich der Eber

Mit dem Ross, der Elefant

Schlänge brüderlich den Rüssel

Um das Horn des wackern Ochsen;

Bär und Wolf, von jeder Farbe,

Bock und Affe, selbst der Hase,

Wirkten ein'ge Zeit gemeinsam,

Und der Sieg könnt uns nicht fehlen.

Einheit, Einheit ist das erste

Zeitbedürfnis. Einzeln wurden

Wir geknechtet, doch verbunden

Übertölpeln wir die Zwingherrn.

Einheit! Einheit! und wir siegen,

Und es stürzt das Regiment

Schnöden Monopols! Wir stiften

Ein gerechtes Animalreich.

Grundgesetz sei volle Gleichheit

Aller Gotteskreaturen,

Ohne Unterschied des Glaubens

Und des Fells und des Geruches.

Strenge Gleichheit! Jeder Esel

Sei befugt zum höchsten Staatsamt,

Und der Löwe soll dagegen

Mit dem Sack zur Mühle traben.

Was den Hund betrifft, so ist er

Freilich ein serviler Köter,

Weil Jahrtausende hindurch

Ihn der Mensch wie 'n Hund behandelt;

Doch in unserm Freistaat geben

Wir ihm wieder seine alten

Unveräußerlichen Rechte,

Und er wird sich bald veredeln.

Ja, sogar die Juden sollen

Volles Bürgerrecht genießen

Und gesetzlich gleichgestellt sein

Allen andern Säugetieren.

Nur das Tanzen auf den Märkten

Sei den Juden nicht gestattet;

Dies Amendement, ich mach es

Im Intresse meiner Kunst.

Denn der Sinn für Stil, für strenge

Plastik der Bewegung, fehlt

Jener Rasse, sie verdürben

Den Geschmack des Publikums.«

Caput VII

Düster, in der düstern Höhle,

Hockt im trauten Kreis der Seinen

Atta Troll, der Menschenfeind,

Und er brummt und fletscht die Zähne:

»Menschen, schnippische Kanaillen!

Lächelt nur! Von eurem Lächeln

Wie von eurem Joch wird endlich

Uns der große Tag erlösen!

Mich verletzte stets am meisten

Jenes sauersüße Zucken

Um das Maul – ganz unerträglich

Wirkt auf mich dies Menschenlächeln!

Wenn ich in dem weißen Antlitz

Das fatale Zucken schaute,

Drehten sich herum entrüstet

Mir im Bauche die Gedärme.

Weit impertinenter noch

Als durch Worte offenbart sich

Durch das Lächeln eines Menschen

Seiner Seele tiefste Frechheit.

Immer lächeln sie! Sogar

Wo der Anstand einen tiefen

Ernst erfordert, in der Liebe

Feierlichstem Augenblick!

Immer lächeln sie! Sie lächeln

Selbst im Tanzen. Sie entweihen

Solchermaßen diese Kunst,

Die ein Kultus bleiben sollte.

Ja, der Tanz, in alten Zeiten,

War ein frommer Akt des Glaubens;

Um den Altar drehte heilig

Sich der priesterliche Reigen.

Also vor der Bundeslade

Tanzte weiland König David;

Tanzen war ein Gottesdienst,

War ein Beten mit den Beinen!

Also hab auch ich den Tanz

Einst begriffen, wenn ich tanzte

Auf den Märkten vor dem Volk,

Das mir großen Beifall zollte.

Dieser Beifall, ich gesteh es,

Tat mir manchmal wohl im Herzen;

Denn Bewundrung selbst dem Feinde

Abzutrotzen, das ist süß!

Aber selbst im Enthusiasmus

Lächeln sie. Ohnmächtig ist

Selbst die Tanzkunst, sie zu bessern,

Und sie bleiben stets frivol.«

Caput VIII

Mancher tugendhafte Bürger

Duftet schlecht auf Erden, während

Fürstenknechte mit Lavendel

Oder Ambra parfümiert sind.

Jungfräuliche Seelen gibt es,

Die nach grüner Seife riechen,

Und das Laster hat zuweilen

Sich mit Rosenöl gewaschen.

Darum rümpfe nicht die Nase,

Teurer Leser, wenn die Höhle

Atta Trolls dich nicht erinnert

An Arabiens Spezerei'n.

Weile mit mir in dem Dunstkreis,

In dem trüben Missgeruche,

Wo der Held zu seinem Sohne

Wie aus einer Wolke spricht:

»Kind, mein Kind, du meiner Lenden

Jüngster Sprössling, leg dein Einohr

An die Schnauze des Erzeugers

Und saug ein mein ernstes Wort!

Hüte dich vor Menschendenkart,

Sie verdirbt dir Leib und Seele;

Unter allen Menschen gibt es

Keinen ordentlichen Menschen.

Selbst die Deutschen, einst die Bessern,

Selbst die Söhne Tuiskions,

Unsre Vettern aus der Urzeit,

Diese gleichfalls sind entartet.

Sind jetzt glaubenlos und gottlos,

Pred'gen gar den Atheismus –

Kind, mein Kind, nimm dich in acht

Vor dem Feuerbach und Bauer!

Werde nur kein Atheist,

So ein Unbär ohne Ehrfurcht

Vor dem Schöpfer–ja, ein Schöpfer

Hat erschaffen dieses Weltall!

In der Höhe Sonn' und Mond,

Auch die Sterne (die geschwänzten

Gleichfalls wie die ungeschwänzten)

Sind der Abglanz seiner Allmacht.

In der Tiefe, Land und Meer,

Sind das Echo seines Ruhmes,

Und jedwede Kreatur

Preiset seine Herrlichkeiten.

Selbst das kleinste Silberläuschen,

Das im Bart des greisen Pilgers

Teilnimmt an der Erdenwallfahrt,

Singt des Ew'gen Lobgesang!

Droben in dem Sternenzelte,

Auf dem goldnen Herrscherstuhle,

Weltregierend, majestätisch,

Sitzt ein kolossaler Eisbär.

Fleckenlos und schneeweiß glänzend

Ist sein Pelz; es schmückt sein Haupt

Eine Kron' von Diamanten,

Die durch alle Himmel leuchtet.

In dem Antlitz Harmonie

Und des Denkens stumme Taten;

Mit dem Zepter winkt er nur,

Und die Sphären klingen, singen.

Ihm zu Füßen sitzen fromm

Bärenheil'ge, die auf Erden

Still geduldet, in den Tatzen

Ihres Martyrtumes Palmen.

Manchmal springt der eine auf,

Auch der andre, wie vom Heil'gen

Geist geweckt, und sieh! da tanzen

Sie den feierlichsten Hochtanz –

Hochtanz, wo der Strahl der Gnade

Das Talent entbehrlich machte,

Und vor Seligkeit die Seele

Aus der Haut zu springen sucht!

Werde ich unwürd'ger Troll

Einstens solchen Heils teilhaftig?

Und aus irdisch niedrer Trübsal

Übergehn ins Reich der Wonne?

Werd ich selber, himmelstrunken,

Droben in dem Sternenzelte,

Mit der Glorie, mit der Palme

Tanzen vor dem Thron des Herrn?«

Caput IX

Wie die scharlachrote Zunge,

Die ein schwarzer Freiligräthscher

Mohrenfürst verhöhnend grimmig

Aus dem düstern Maul hervorstreckt:

Also tritt der Mond aus dunkelm

Wolkenhimmel. Fernher brausen

Wasserstürze, ewig schlaflos

Und verdrießlich in der Nacht.

Atta Troll steht auf der Koppe

Seines Lieblingsfelsens einsam,

Einsam, und er heult hinunter

In den Nachtwind, in den Abgrund:

»Ja, ich bin ein Bär, ich bin es,

Bin es, den ihr Zottelbär,

Brummbär, Isegrim und Petz

Und Gott weiß wie sonst noch nennet.

Ja, ich bin ein Bär, ich bin es,

Bin die ungeschlachte Bestie,

Bin das plumpe Trampeltier

Eures Hohnes, eures Lächelns!

Bin die Zielscheib' eures Witzes,

Bin das Ungetüm, womit

Ihr die Kinder schreckt des Abends,

Die unart'gen Menschenkinder.

Bin das rohe Spottgebilde

Eurer Ammenmärchen, bin es,

Und ich ruf es laut hinunter

In die schnöde Menschenwelt.

Hört es, hört, ich bin ein Bär,

Nimmer schäm ich mich des Ursprungs,

Und bin stolz darauf, als stammt' ich

Ab von Moses Mendelssohn!«

Caput X

Zwo Gestalten, wild und mürrisch,

Und auf allen vieren rutschend,

Brechen Bahn sich durch den dunklen

Tannengrund, um Mitternacht.

Das ist Atta Troll, der Vater,

Und sein Söhnchen, Junker Einohr.

Wo der Wald sich dämmernd lichtet,

Bei dem Blutstein, stehn sie stille.

»Dieser Stein« – brummt Atta Troll –

»Ist der Altar, wo Druiden

In der Zeit des Aberglaubens

Menschenopfer abgeschlachtet.

O der schauderhaften Gräuel!

Denk ich dran, sträubt sich das Haar

Auf dem Rücken mir – Zur Ehre

Gottes wurde Blut vergossen!

Jetzt sind freilich aufgeklärter

Diese Menschen, und sie töten

Nicht einander mehr aus Eifer

Für die himmlischen Intressen; –

Nein, nicht mehr der fromme Wahn,

Nicht die Schwärmerei, nicht Tollheit,

Sondern Eigennutz und Selbstsucht

Treibt sie jetzt zu Mord und Totschlag.

Nach den Gütern dieser Erde

Greifen alle um die Wette,

Und das ist ein ew'ges Raufen,

Und ein jeder stiehlt für sich!

Ja, das Erbe der Gesamtheit

Wird dem einzelnen zur Beute,

Und von Rechten des Besitzes

Spricht er dann, von Eigentum!

Eigentum! Recht des Besitzes!

O des Diebstahls! O der Lüge!

Solch Gemisch von List und Unsinn

Konnte nur der Mensch erfinden.

Keine Eigentümer schuf

Die Natur, denn taschenlos,

Ohne Taschen in den Pelzen,

Kommen wir zur Welt, wir alle.

Keinem von uns allen wurden

Angeboren solche Säckchen

In dem äußern Leibesfelle,

Um den Diebstahl zu verbergen.

Nur der Mensch, das glatte Wesen,

Das mit fremder Wolle künstlich

Sich bekleidet, wusst auch künstlich

Sich mit Taschen zu versorgen.

Eine Tasche! Unnatürlich

Ist sie wie das Eigentum,

Wie die Rechte des Besitzes –

Taschendiebe sind die Menschen!

Glühend hass ich sie! Vererben

Will ich dir, mein Sohn, den Hass.

Hier auf diesem Altar sollst du

Ew'gen Hass den Menschen schwören!

Sei der Todfeind jener argen

Unterdrücker, unversöhnlich,

Bis ans Ende deiner Tage –

Schwör es, schwör es hier, mein Sohn!«

Und der Jüngling schwur, wie eh'mals

Hannibal. Der Mond beschien

Grässlich gelb den alten Blutstein

Und die beiden Misanthropen. – –

Später wollen wir berichten,

Wie der Jungbär treu geblieben

Seinem Eidschwur; unsre Leier

Feiert ihn im nächsten Epos.

Was den Atta anbetrifft,

So verlassen wir ihn gleichfalls,

Doch um später ihn zu treffen,

Desto sichrer, mit der Kugel.

Deine Untersuchungsakten,

Hochverräter an der Menschheit

Majestät! sind jetzt geschlossen;

Morgen wird auf dich gefahndet.

Caput XI

Wie verschlafne Bajaderen

Schaun die Berge, stehen fröstelnd

In den weißen Nebelhemden,

Die der Morgenwind bewegt.

Doch sie werden bald ermuntert

Von dem Sonnengott, er streift

Ihnen ab die letzte Hülle

Und bestrahlt die nackte Schönheit!

In der Morgenfrühe war ich

Mit Laskaro ausgezogen

Auf die Bärenjagd. Um Mittag

Kamen wir zum Pont d'Espagne.

So geheißen ist die Brücke,

Die aus Frankreich führt nach Spanien,

Nach dem Land der Westbarbaren,

Die um tausend Jahr' zurück sind.

Sind zurück um tausend Jahre

In moderner Weltgesittung –

Meine eignen Ostbarbaren

Sind es nur um ein Jahrhundert.

Zögernd, fast verzagt, verließ ich

Den geweihten Boden Frankreichs,

Dieses Vaterlands der Freiheit

Und der Frauen, die ich liebe.

Mitten auf dem Pont d'Espagne

Saß ein armer Spanier. Elend

Lauschte aus des Mantels Löchern,

Elend lauschte aus den Augen.

Eine alte Mandoline

Kneipte er mit magern Fingern;

Schriller Misslaut, der verhöhnend

Aus den Klüften widerhallte.

Manchmal beugt' er sich hinunter

Nach dem Abgrund, und er lachte,

Klimperte nachher noch toller,

Und er sang dabei die Worte:

»Mitten drin in meinem Herzen

Steht ein kleines güldnes Tischchen,

Um das kleine güldne Tischchen

Stehn vier kleine güldne Stühlchen.

Auf den güldnen Stühlchen sitzen

Kleine Dämchen, güldne Pfeile

Im Chignon; sie spielen Karten,

Aber Klara nur gewinnt.

Sie gewinnt und lächelt schalkhaft.

Ach, in meinem Herzen, Klara,

Wirst du jedesmal gewinnen,

Denn du hast ja alle Trümpfe.« –

Weiterwandernd, zu mir selber

Sprach ich: >Sonderbar, der Wahnsinn

Sitzt und singt auf jener Brücke,

Die aus Frankreich führt nach Spanien.

Ist der tolle Bursch das Sinnbild

Vom Ideentausch der Länder?

Oder ist er seines Volkes

Sinnverrücktes Titelblatt?<

Gegen Abend erst erreichten

Wir die klägliche Posada,

Wo die Ollea Potrida

Dampfte in der schmutz'gen Schüssel.

Dorten aß ich auch Garbanzos,

Groß und schwer wie Flintenkugeln,

Unverdaulich selbst dem Deutschen,

Der mit Klößen aufgewachsen.

Und ein Seitenstück der Küche

War das Bett. Ganz mit Insekten

Wie gepfeffert – Ach! die Wanzen

Sind des Menschen schlimmste Feinde.

Schlimmer als der Zorn von tausend

Elefanten ist die Feindschaft

Einer einz'gen kleinen Wanze,

Die auf deinem Lager kriecht.

Musst dich ruhig beißen lassen –

Das ist schlimm – Noch schlimmer ist es,

Wenn du sie zerdrückst: der Missduft

Quält dich dann die ganze Nacht.

Ja, das Schrecklichste auf Erden

Ist der Kampf mit Ungeziefer,

Dem Gestank als Waffe dient –

Das Duell mit einer Wanze!

Caput XII

Wie sie schwärmen, die Poeten,

Selbst die zahmen! und sie singen

Und sie sagen: die Natur

Sei ein großer Tempel Gottes;

Sei ein Tempel, dessen Prächte

Von dem Ruhm des Schöpfers zeugten,

Sonne, Mond und Sterne hingen

Dort als Lampen in der Kuppel.

Immerhin, ihr guten Leute!

Doch gesteht, in diesem Tempel

Sind die Treppen unbequem –

Niederträchtig schlechte Treppen!

Dieses Ab- und Niedersteigen,

Bergaufklimmen und das Springen

Über Blöcke, es ermüdet

Meine Seel' und meine Beine.

Neben mir schritt der Laskaro,

Blass und lang, wie eine Kerze;

Niemals spricht er, niemals lacht er,

Er, der tote Sohn der Hexe.

Ja, es heißt, er sei ein Toter,

Längst verstorben, doch der Mutter,

Der Uraka, Zauberkünste

Hielten scheinbar ihn am Leben. –

Die verwünschten Tempeltreppen!

Dass ich stolpernd in den Abgrund

Nicht den Hals gebrochen mehrmals,

Ist mir heut noch unbegreiflich.

Wie die Wasserstürze kreischten!

Wie der Wind die Tannen peitschte,

Dass sie heulten! Plötzlich platzten

Auch die Wolken – schlechtes Wetter!

In der kleinen Fischerhütte,

An dem Lac de Gobe fanden

Wir ein Obdach und Forellen;

Diese aber schmeckten köstlich.

In dem Polsterstuhle lehnte,

Krank und grau, der alte Fährmann.

Seine beiden schönen Nichten,

Gleich zwei Engeln, pflegten seiner.

Dicke Engel, etwas flämisch,

Wie entsprungen aus dem Rahmen

Eines Rubens: goldne Locken,

Kerngesunde, klare Augen,

Grübchen in Zinnoberwangen,

Drin die Schalkheit heimlich kichert,

Und die Glieder stark und üppig,

Lust und Furcht zugleich erregend.

Hübsche, herzliche Geschöpfe,

Die sich köstlich disputierten:

Welcher Trank dem siechen Oheim

Wohl am besten munden würde?

Reicht die eine ihm die Schale

Mit gekochten Lindenblüten,

Dringt die andre auf ihn ein

Mit Holunderblumenaufguss.

»Keins von beiden will ich saufen«

Rief der Alte ungeduldig –

»Holt mir Wein, dass ich den Gästen

Einen bessern Trunk kredenze!«

Ob es wirklich Wein gewesen,

Was ich trank am Lac de Gobe,

Weiß ich nicht. In Braunschweig hätt ich

Wohl geglaubt, es wäre Mumme.

Von dem besten schwarzen Bocksfell

War der Schlauch; er stank vorzüglich.

Doch der Alte trank so freudig,

Und er ward gesund und heiter.

Er erzählte uns die Taten

Der Banditen und der Schmuggler,

Die da hausen, frei und frank,

In den Pyrenäenwäldern.

Auch von älteren Geschichten

Wusst er viele, unter andern

Auch die Kämpfe der Giganten

Mit den Bären in der Vorzeit.

Ja, die Riesen und die Bären

Stritten weiland um die Herrschaft

Dieser Berge, dieser Täler,

Eh' die Menschen eingewandert.

Bei der Menschen Ankunft flohen

Aus dem Lande fort die Riesen,

Wie verblüfft; denn wenig Hirn

Steckt in solchen großen Köpfen.

Auch behauptet man: die Tölpel,

Als sie an das Meer gelangten

Und gesehn, wie sich der Himmel

In der blauen Flut gespiegelt,

Hätten sie geglaubt, das Meer

Sei der Himmel, und sie stürzten

Sich hinein mit Gottvertrauen;

Seien sämtlich dort ersoffen.

Was die Bären anbeträfe,

So vertilge jetzt der Mensch

Sie allmählich, jährlich schwände

Ihre Zahl in dem Gebirge.

»So macht einer« – sprach der Alte –

»Platz dem andern auf der Erde.

Nach dem Untergang der Menschen

Kommt die Herrschaft an die Zwerge,

An die winzig klugen Leutchen,

Die im Schoß der Berge hausen,

In des Reichtums goldnen Schachten,

Emsig klaubend, emsig sammelnd.

Wie sie lauern aus den Löchern,

Mit den pfiffig kleinen Köpfchen,

Sah ich selber oft im Mondschein,

Und mir graute vor der Zukunft!

Vor der Geldmacht jener Knirpse!

Ach, ich fürchte, unsre Enkel

Werden sich wie dumme Riesen

In den Wasserhimmel flüchten!«

Caput XIII

In dem schwarzen Felsenkessel

Ruht der See, das tiefe Wasser.

Melancholisch bleiche Sterne

Schaun vom Himmel. Nacht und Stille.

Nacht und Stille. Ruderschläge.

Wie ein plätscherndes Geheimnis

Schwimmt der Kahn. Des Fährmanns Rolle

Übernahmen seine Nichten.

Rudern flink und froh. Im Dunkeln

Leuchten manchmal ihre stämmig

Nackten Arme, sternbeglänzt,

Und die großen blauen Augen.

Mir zur Seite sitzt Laskaro,

Wie gewöhnlich blass und schweigsam.

Mich durchschauert der Gedanke:

Ist er wirklich nur ein Toter?

Bin ich etwa selbst gestorben,

Und ich schiffe jetzt hinunter,

Mit gespenstischen Gefährten,

In das kalte Reich der Schatten?

Dieser See, ist er des Styxes

Düstre Flut? Lässt Proserpine,

In Ermangelung des Charon,

Mich durch ihre Zofen holen?

Nein, ich bin noch nicht gestorben

Und erloschen – in der Seele

Glüht mir noch und jauchzt und lodert

Die lebend'ge Lebensflamme.

Diese Mädchen, die das Ruder

Lustig schwingen und auch manchmal

Mit dem Wasser, das herabträuft,

Mich bespritzen, lachend, schäkernd –

Diese frischen, drallen Dirnen

Sind fürwahr nicht geisterhafte

Kammerkatzen aus der Hölle,

Nicht die Zofen Proserpinens!

Dass ich ganz mich überzeuge

Ihrer Oberweltlichkeit,

Und der eignen Lebensfülle

Auch tatsächlich mich versichre,

Drückt ich hastig meine Lippen

Auf die roten Wangengrübchen,

Und ich machte den Vernunftschluss:

Ja, ich küsse, also leb ich!

Angelangt ans Ufer, küsst ich

Noch einmal die guten Mädchen;

Nur in dieser Münze ließen

Sie das Fährgeld sich bezahlen.

Caput XIV

Aus dem sonn'gen Goldgrund lachen

Violette Bergeshöhen,

Und am Abhang klebt ein Dörfchen,

Wie ein keckes Vogelnest.

Als ich dort hinaufklomm, fand ich,

Dass die Alten ausgeflogen

Und zurückgeblieben nur

Junge Brut, die noch nicht flügge.

Hübsche Bübchen, kleine Mädchen,

Fast vermummt in scharlachroten

Oder weißen wollnen Kappen;

Spielten Brautfahrt, auf dem Marktplatz.

Ließen sich im Spiel nicht stören,

Und ich sah, wie der verliebte

Mäuseprinz pathetisch kniete

Vor der Katzenkaiserstochter.

Armer Prinz! Er wird vermählt

Mit der Schönen. Mürrisch zankt sie,

Und sie beißt ihn, und sie frisst ihn;

Tote Maus, das Spiel ist aus.

Fast den ganzen Tag verweilt ich

Bei den Kindern, und wir schwatzten

Sehr vertraut. Sie wollten wissen,

Wer ich sei und was ich triebe?

»Lieben Freunde« – sprach ich –, »Deutschland

Heißt das Land, wo ich geboren;

Bären gibt es dort in Menge,

Und ich wurde Bärenjäger.

Manchem zog ich dort das Fell

Über seine Bärenohren.

Wohl mitunter ward ich selber

Stark gezaust von Bärentatzen.

Doch mit schlechtgeleckten Tölpeln

Täglich mich herumzubalgen

In der teuren Heimat, dessen

Ward ich endlich überdrüssig.

Und ich bin hierhergekommen,

Bessres Weidwerk aufzusuchen;

Meine Kraft will ich versuchen

An dem großen Atta Troll.

Dieser ist ein edler Gegner,

Meiner würdig. Ach! in Deutschland

Hab ich manchen Kampf bestanden,

Wo ich mich des Sieges schämte.« – –

Als ich Abschied nahm, da tanzten

Um mich her die kleinen Wesen

Eine Ronde, und sie sangen:

»Girofflino, Girofflette!«

Keck und zierlich trat zuletzt

Vor mir hin die Allerjüngste,

Knickste zweimal, dreimal, viermal,

Und sie sang mit feiner Stimme:

»Wenn der König mir begegnet,

Mach ich ihm zwei Reverenzen,

Und begegnet mir die Kön'gin,

Mach ich Reverenzen drei.

Aber kommt mir gar der Teufel

In den Weg mit seinen Hörnern,

Knicks ich zweimal, dreimal, viermal –

Girofflino, Girofflette!«

»Girofflino, Girofflette!«

Wiederholt' das Chor, und neckend

Wirbelte um meine Beine

Sich der Ringeltanz und Singsang.

Während ich ins Tal hinabstieg,

Scholl mir nach, verhallend lieblich,

Immerfort, wie Vogelzwitschern:

»Girofflino, Girofflette!«

Caput XV

Riesenhafte Felsenblöcke,

Missgestaltet und verzerrt,

Schaun mich an gleich Ungetümen,

Die versteinert, aus der Urzeit.

Seltsam! Graue Wolken schweben

Drüber hin, wie Doppelgänger;

Sind ein blödes Konterfei

Jener wilden Steinfiguren.

In der Ferne rast der Sturzbach,

Und der Wind heult in den Föhren!

Ein Geräusch, das unerbittlich

Und fatal wie die Verzweiflung.

Schauerliche Einsamkeiten!

Schwarze Dohlenscharen sitzen

Auf verwittert morschen Tannen,

Flattern mit den lahmen Flügeln.

Neben mir geht der Laskaro,

Blass und schweigsam, und ich selber

Mag wohl wie der Wahnsinn aussehn,

Den der leid'ge Tod begleitet.

Eine hässlich wüste Gegend.

Liegt darauf ein Fluch? Ich glaube

Blut zu sehen an den Wurzeln

Jenes Baums, der ganz verkrüppelt.

Er beschattet eine Hütte,

Die verschämt sich in der Erde

Halb versteckt; wie furchtsam flehend

Schaut dich an das arme Strohdach.

Die Bewohner dieser Hütte

Sind Cagoten, Überbleibsel

Eines Stamms, der tief im Dunkeln

Sein zertretnes Dasein fristet.

In den Herzen der Baskesen

Würmelt heute noch der Abscheu

Vor Cagoten. Düstres Erbteil

Aus der düstern Glaubenszeit.

In dem Dome zu Bagnères

Lauscht ein enges Gitterpförtchen;

Dieses, sagte mir der Küster,

War die Türe der Cagoten.

Streng versagt war ihnen eh'mals

Jeder andre Kircheneingang,

Und sie kamen wie verstohlen

In das Gotteshaus geschlichen.

Dort auf einem niedern Schemel

Saß der Cagot, einsam betend,

Und gesondert, wie verpestet,

Von der übrigen Gemeinde. –

Aber die geweihten Kerzen

Des Jahrhunderts flackern lustig,

Und das Licht verscheucht die bösen

Mittelalterlichen Schatten! –

Stehnblieb draußen der Laskaro,

Während ich in des Cagoten

Niedre Hütte trat. Ich reichte

Freundlich meine Hand dem Bruder.

Und ich küsste auch sein Kind,

Das, am Busen seines Weibes

Angeklammert, gierig saugte;

Einer kranken Spinne glich es.

Caput XVI

Schaust du diese Bergesgipfel

Aus der Fern', so strahlen sie,

Wie geschmückt mit Gold und Purpur,

Fürstlich stolz im Sonnenglanze.

Aber in der Nähe schwindet

Diese Pracht, und wie bei andern

Irdischen Erhabenheiten

Täuschten dich die Lichteffekte.

Was dir Gold und Purpur dünkte,

Ach, das ist nur eitel Schnee,

Eitel Schnee, der blöd und kläglich

In der Einsamkeit sich langweilt.

Oben in der Nähe hört ich,

Wie der arme Schnee geknistert,

Und den fühllos kalten Winden

All sein weißes Elend klagte.

»Oh, wie langsam« – seufzt' er – »schleichen

In der Öde hier die Stunden!

Diese Stunden ohne Ende,

Wie gefrorne Ewigkeiten!

Oh, ich armer Schnee! Oh, wär ich,

Statt auf diese Bergeshöhen,

Wär ich doch ins Tal gefallen,

In das Tal, wo Blumen blühen!

Hingeschmolzen wär ich dann

Als ein Bächlein, und des Dorfes

Schönstes Mädchen wüsche lächelnd

Ihr Gesicht mit meiner Welle.

Ja, ich wär vielleicht geschwommen

Bis ins Meer, wo ich zur Perle

Werden konnte, um am Ende

Eine Königskron' zu zieren!«

Als ich diese Reden hörte,

Sprach ich: »Liebster Schnee, ich zweifle,

Dass im Tale solch ein glänzend

Schicksal dich erwartet hätte.

Tröste dich. Nur wen'ge unten

Werden Perlen, und du fielest

Dort vielleicht in eine Pfütze,

Und ein Dreck wärst du geworden!«

Während ich in solcher Weise

Mit dem Schnee Gespräche führte,

Fiel ein Schuss, und aus den Lüften

Stürzt' herab ein brauner Geier.

Späßchen war's von dem Laskaro,

Jägerspäßchen. Doch sein Antlitz

Blieb wie immer starr und ernsthaft.

Nur der Lauf der Flinte rauchte.

Eine Feder riss er schweigend

Aus dem Steiß des Vogels, steckte

Sie auf seinen spitzen Filzhut,

Und er schritt des Weges weiter.

Schier unheimlich war der Anblick,

Wie sein Schatten mit der Feder

Auf dem weißen Schnee der Koppen,

Schwarz und lang, sich hinbewegte.

Caput XVII

Ist ein Tal gleich einer Gasse,

Geisterhohlweg ist der Name;

Schroffe Felsen ragen schwindlicht

Hoch empor zu jeder Seite.

Dort, am schaurig steilsten Abhang,

Lugt ins Tal, wie eine Warte,

Der Uraka keckes Häuslein;

Dorthin folgt ich dem Laskaro.

Mit der Mutter hielt er Rat

In geheimster Zeichensprache,

Wie der Atta Troll gelockt

Und getötet werden könne.

Denn wir hatten seine Fährte

Gut erspürt. Entrinnen konnt er

Uns nicht mehr. Gezählt sind deine

Lebenstage, Atta Troll!

Ob die Alte, die Uraka,

Wirklich eine ausgezeichnet

Große Hexe, wie die Leute

In den Pyrenä'n behaupten,

Will ich nimmermehr entscheiden.

Soviel weiß ich, dass ihr Äußres

Sehr verdächtig. Sehr verdächtig

Triefen ihre roten Augen.

Bös und schielend ist der Blick;

Und es heißt, den armen Kühen,

Die sie anblickt, trockne plötzlich

In der Euter alle Milch.

Man versichert gar, sie habe,

Streichelnd mit den dürren Händen,

Manches fette Schwein getötet

Und sogar die stärksten Ochsen.

Solcherlei Verbrechens wurde

Sie zuweilen auch verklagt

Bei dem Friedensrichter. Aber

Dieser war ein Voltairianer,

Ein modernes, flaches Weltkind,

Ohne Tiefsinn, ohne Glauben,

Und die Kläger wurden skeptisch,

Fast verhöhnend, abgewiesen.

Offiziell treibt die Uraka

Ein Geschäft, das sehr honett;

Denn sie handelt mit Bergkräutern

Und mit ausgestopften Vögeln.

Voll von solchen Naturalien

War die Hütte. Schrecklich rochen

Bilsenkraut und Kuckucksblumen,

Pissewurz und Totenflieder.

Eine Kollektion von Geiern

War vortrefflich aufgestellt,

Mit den ausgestreckten Flügeln

Und den ungeheuren Schnäbeln.

War's der Duft der tollen Pflanzen,

Der betäubend mir zu Kopf stieg?

Wundersam ward mir zumute

Bei dem Anblick dieser Vögel.

Sind vielleicht verwünschte Menschen,

Die durch Zauberkunst in diesem

Unglücksel'gen, ausgestopften

Vogelzustand sich befinden.

Sehn mich an so starr und leidend,

Und zugleich so ungeduldig;

Manchmal scheinen sie auch scheu

Nach der Hexe hinzuschielen.

Diese aber, die Uraka,

Kauert neben ihrem Sohne,

Dem Laskaro, am Kamine.

Kochen Blei und gießen Kugeln.

Gießen jene Schicksalskugel,

Die den Atta Troll getötet.

Wie die Flammen hastig zuckten

Über das Gesicht der Hexe!

Sie bewegt die dünnen Lippen

Unaufhörlich, aber lautlos.

Murmelt sie den Drudensegen,

Dass der Kugelguss gedeihe?

Manchmal kichert sie und nickt sie

Ihrem Sohne. Aber dieser

Fördert sein Geschäft so ernsthaft

Und so schweigsam wie der Tod. –

Schwül bedrückt von Schauernissen,

Ging ich, freie Luft zu schöpfen,

An das Fenster, und ich schaute

Dort hinab ins weite Tal.

Was ich sah zu jener Stunde –

Zwischen Mitternacht und eins –,

Werd ich treu und hübsch berichten

In den folgenden Kapiteln.

Caput XVIII

Und es war die Zeit des Vollmonds,

In der Nacht vor Sankt Johannis,

Wo der Spuk der Wilden Jagd

Umzieht durch den Geisterhohlweg.

Aus dem Fenster von Urakas

Hexennest konnt ich vortrefflich

Das Gespensterheer betrachten,

Wie es durch die Gasse hinzog.

Hatte einen guten Platz,

Den Spektakel anzuschauen;

Ich genoss den vollen Anblick

Grabentstiegner Totenfreude.

Peitschenknall, Hallo und Hussa!

Rossgewieh'r, Gebell von Hunden!

Jagdhorntöne und Gelächter!

Wie das jauchzend widerhallte!

Lief voraus, gleichsam als Vortrab,

Abenteuerliches Hochwild,

Hirsch' und Säue, rudelweis;

Hetzend hinterdrein die Meute.

Jäger aus verschiednen Zonen

Und aus gar verschiednen Zeiten;

Neben Nimrod von Assyrien

Ritt zum Beispiel Karl der Zehnte.

Hoch auf weißen Rossen sausten

Sie dahin. Zu Fuße folgten

Die Pikeure mit der Koppel

Und die Pagen mit den Fackeln.

Mancher in dem wüsten Zuge

Schien mir wohlbekannt – der Ritter,

Der in goldner Rüstung glänzte,

War es nicht der König Artus?

Und Herr Ogier, der Däne,

Trug er nicht den schillernd grünen

Ringenpanzer, dass er aussah

Wie ein großer Wetterfrosch?

Auch der Helden des Gedankens

Sah ich manchen in dem Zuge.

Ich erkannte unsern Wolfgang

An dem heitern Glanz der Augen –

Denn, verdammt von Hengstenberg,

Kann er nicht im Grabe ruhen,

Und mit heidnischem Gelichter

Setzt er fort des Lebens Jagdlust.

An des Mundes holdem Lächeln

Hab ich auch erkannt den William,

Den die Puritaner gleichfalls

Einst verflucht; auch dieser Sünder

Muss das Wilde Heer begleiten

Nachts auf einem schwarzen Rappen.

Neben ihm, auf einem Esel,

Ritt ein Mensch – Und, heil'ger Himmel!

An der matten Betermiene,

An der frommen weißen Schlafmütz',

An der Seelenangst, erkannt ich

Unsern alten Freund Franz Horn!

Weil er einst das Weltkind Shakespeare

Kommentiert, muss jetzt der Ärmste

Nach dem Tode mit ihm reiten

Im Tumult der Wilden Jagd!

Ach, mein stiller Franz muss reiten,

Er, der kaum gewagt zu gehen,

Er, der nur im Teegeschwätze

Und im Beten sich bewegte!

Werden nicht die alten Jungfern,

Die gehätschelt seine Ruhe,

Sich entsetzen, wenn sie hören,

Dass der Franz ein Wilder Jäger!

Wenn es manchmal im Galopp geht,

Schaut der große William spöttisch

Auf den armen Kommentator,

Der im Eselstrab ihm nachfolgt,

Ganz ohnmächtig, fest sich krampend

An den Sattelknopf des Grauchens,

Doch im Tode, wie im Leben,

Seinem Autor treulich folgend.

Auch der Damen sah ich viele

In dem tollen Geisterzuge,

Ganz besonders schöne Nymphen,

Schlanke, jugendliche Leiber.

Rittlings saßen sie zu Pferde,

Mythologisch splitternackt;

Doch die Haare fielen lockicht

Lang herab, wie goldne Mäntel.

Trugen Kränze auf den Häuptern,

Und mit keck zurückgebognen,

Übermüt'gen Posituren

Schwangen sie belaubte Stäbe.

Neben ihnen sah ich ein'ge

Zugeknöpfte Ritterfräulein,

Schräg auf Damensätteln sitzend,

Und den Falken auf der Faust.

Parodistisch hinterdrein,

Auf Schindmähren, magern Kleppern,

Ritt ein Tross von komödiantisch

Aufgeputzten Weibspersonen,

Deren Antlitz reizend lieblich,

Aber auch ein bisschen frech.

Schrien, wie rasend, mit den vollen,

Liederlich geschminkten Backen.

Wie das jubelnd widerhallte!

Jagdhorntöne und Gelächter!

Rossgewieh'r, Gebell von Hunden!

Peitschenknall, Hallo und Hussa!

Caput XIX

Aber als der Schönheit Kleeblatt

Ragten in des Zuges Mitten

Drei Gestalten – Nie vergess ich

Diese holden Frauenbilder.

Leicht erkennbar war die eine

An dem Halbmond auf dem Haupte;

Stolz, wie eine reine Bildsäul',

Ritt einher die große Göttin.

Hochgeschürzte Tunika,

Brust und Hüfte halb bedeckend.

Fackellicht und Mondschein spielten

Lüstern um die weißen Glieder.

Auch das Antlitz weiß wie Marmor,

Und wie Marmor kalt. Entsetzlich

War die Starrheit und die Blässe

Dieser strengen edlen Züge.

Doch in ihrem schwarzen Auge

Loderte ein grauenhaftes

Und unheimlich süßes Feuer,

Seelenblendend und verzehrend.

Wie verändert ist Diana,

Die, im Übermut der Keuschheit,

Einst den Aktäon verhirschte

Und den Hunden preisgegeben!

Büßt sie jetzt für diese Sünde

In galantester Gesellschaft?

Wie ein spukend armes Weltkind

Fährt sie nächtlich durch die Lüfte.

Spät zwar, aber desto stärker

Ist erwacht in ihr die Wollust,

Und es brennt in ihren Augen

Wie ein wahrer Höllenbrand.

Die verlorne Zeit bereut sie,

Wo die Männer schöner waren,

Und die Quantität ersetzt ihr

Jetzt vielleicht die Qualität.

Neben ihr ritt eine Schöne,

Deren Züge nicht so griechisch

Streng gemessen, doch sie strahlten

Von des Keltenstammes Anmut.

Dieses war die Fee Abunde,

Die ich leicht erkennen konnte

An der Süße ihres Lächelns

Und am herzlich tollen Lachen!

Ein Gesicht, gesund und rosig,

Wie gemalt von Meister Greuze,

Mund in Herzform, stets geöffnet,

Und entzückend weiße Zähne.

Trug ein flatternd blaues Nachtkleid,

Das der Wind zu lüften suchte –

Selbst in meinen besten Träumen

Sah ich nimmer solche Schultern!

Wenig fehlte und ich sprang

Aus dem Fenster, sie zu küssen!

Dieses wär mir schlecht bekommen,

Denn den Hals hätt ich gebrochen.

Ach! sie hätte nur gelacht,

Wenn ich unten in den Abgrund

Blutend fiel zu ihren Füßen –

Ach! ich kenne solches Lachen!

Und das dritte Frauenbild,

Das dein Herz so tief bewegte,

War es eine Teufelinne,

Wie die andern zwo Gestalten?

Ob's ein Teufel oder Engel,

Weiß ich nicht. Genau bei Weibern

Weiß man niemals, wo der Engel

Aufhört und der Teufel anfängt.

Auf dem glutenkranken Antlitz

Lag des Morgenlandes Zauber,

Auch die Kleider mahnten kostbar

An Scheherezadens Märchen.

Sanfte Lippen, wie Grenaten [Granatäpfel],

Ein gebognes Liliennäschen,

Und die Glieder schlank und kühlig

Wie die Palme der Oase.

Lehnte hoch auf weißem Zelter,

Dessen Goldzaum von zwei Mohren

Ward geleitet, die zu Fuß

An der Fürstin Seite trabten.

Wirklich eine Fürstin war sie,

War Judäas Königin,

Des Herodes schönes Weib,

Die des Täufers Haupt begehrt hat.

Dieser Blutschuld halber ward sie

Auch vermaledeit; als Nachtspuk

Muss sie bis zum Jüngsten Tage

Reiten mit der Wilden Jagd.

In den Händen trägt sie immer

Jene Schüssel mit dem Haupte

Des Johannes, und sie küsst es;

Ja, sie küsst das Haupt mit Inbrunst.

Denn sie liebte einst Johannem –

In der Bibel steht es nicht,

Doch im Volke lebt die Sage

Von Herodias' blut'ger Liebe –

Anders wär ja unerklärlich

Das Gelüste jener Dame –

Wird ein Weib das Haupt begehren

Eines Manns, den sie nicht liebt?

War vielleicht ein bisschen böse

Auf den Liebsten, ließ ihn köpfen;

Aber als sie auf der Schüssel

Das geliebte Haupt erblickte,

Weinte sie und ward verrückt,

Und sie starb in Liebeswahnsinn.

(Liebeswahnsinn! Pleonasmus!

Liebe ist ja schon ein Wahnsinn!)

Nächtlich auferstehend trägt sie,

Wie gesagt, das blut'ge Haupt

In der Hand, auf ihrer Jagdfahrt –

Doch mit toller Weiberlaune

Schleudert sie das Haupt zuweilen

Durch die Lüfte, kindisch lachend,

Und sie fängt es sehr behende

Wieder auf, wie einen Spielball.

Als sie mir vorüberritt,

Schaute sie mich an und nickte

So kokett zugleich und schmachtend,

Dass mein tiefstes Herz erbebte.

Dreimal auf und nieder wogend

Fuhr der Zug vorbei, und dreimal

Im Vorüberreiten grüßte

Mich das liebliche Gespenst.

Als der Zug bereits erblichen

Und verklungen das Getümmel,

Loderte mir im Gehirne

Immerfort der holde Gruß.

Und die ganze Nacht hindurch

Wälzte ich die müden Glieder

Auf der Streu – (denn Federbetten

Gab's nicht in Urakas Hütte) –

Und ich sann: Was mag bedeuten

Das geheimnisvolle Nicken?

Warum hast du mich so zärtlich

Angesehn, Herodias?

Caput XX

Sonnenaufgang. Goldne Pfeile

Schießen nach den weißen Nebeln,

Die sich röten, wie verwundet,

Und in Glanz und Licht zerrinnen.

Endlich ist der Sieg erfochten,

Und der Tag, der Triumphator,

Tritt, in strahlend voller Glorie,

Auf den Nacken des Gebirges.

Der Gevögel laute Sippschaft

Zwitschert in verborgnen Nestern,

Und ein Kräuterduft erhebt sich,

Wie 'n Konzert von Wohlgerüchen. –

In der ersten Morgenfrühe

Waren wir ins Tal gestiegen,

Und derweilen der Laskaro

Seines Bären Spur verfolgte,

Suchte ich die Zeit zu töten

Mit Gedanken. Doch das Denken

Machte mich am Ende müde

Und sogar ein bisschen traurig.

Endlich müd' und traurig sank ich

Nieder auf die weiche Moosbank,

Unter jener großen Esche,

Wo die kleine Quelle floss,

Die mit wunderlichem Plätschern

Also wunderlich betörte

Mein Gemüt, dass die Gedanken

Und das Denken mir vergingen.

Es ergriff mich wilde Sehnsucht

Wie nach Traum und Tod und Wahnsinn,

Und nach jenen Reiterinnen,

Die ich sah im Geisterheerzug.

Oh, ihr holden Nachtgesichte,

Die das Morgenrot verscheuchte,

Sagt, wohin seid ihr entflohen?

Sagt, wo hauset ihr am Tage?

Unter alten Tempeltrümmern,

Irgendwo in der Romagna,

(Also heißt es) birgt Diana

Sich vor Christi Tagesherrschaft.

Nur in mitternächt'gem Dunkel

Wagt sie es hervorzutreten,

Und sie freut sich dann des Weidwerks

Mit den heidnischen Gespielen.

Auch die schöne Fee Abunde

Fürchtet sich vor Nazarenern,

Und den Tag hindurch verweilt sie

In dem sichern Avalun.

Dieses Eiland liegt verborgen

Ferne, in dem stillen Meere

Der Romantik, nur erreichbar

Auf des Fabelrosses Flügeln.

Niemals ankert dort die Sorge,

Niemals landet dort ein Dampfschiff

Mit neugierigen Philistern,

Tabakspfeifen in den Mäulern.

Niemals dringt dorthin das blöde

Dumpf langweil'ge Glockenläuten,

Jene trüben Bumm-Bamm-Klänge,

Die den Feen so verhasst.

Dort, in ungestörtem Frohsinn,

Und in ew'ger Jugend blühend,

Residiert die heitre Dame,

Unsre blonde Frau Abunde.

Lachend geht sie dort spazieren

Unter hohen Sonnenblumen,

Mit dem kosenden Gefolge

Weltentrückter Paladine.

Aber du, Herodias,

Sag, wo bist du? – Ach, ich weiß es,

Du bist tot und liegst begraben

Bei der Stadt Jeruscholayim!

Starren Leichenschlaf am Tage

Schläfst du in dem Marmorsarge!

Doch um Mitternacht erweckt dich

Peitschenknall, Hallo und Hussa!

Und du folgst dem wilden Heerzug

Mit Dianen und Abunden,

Mit den heitern Jagdgenossen,

Denen Kreuz und Qual verhasst ist!

Welche köstliche Gesellschaft!

Könnt ich nächtlich mit euch jagen

Durch die Wälder! Dir zur Seite

Ritt' ich stets, Herodias!

Denn ich liebe dich am meisten!

Mehr als jene Griechengöttin,

Mehr als jene Fee des Nordens,

Lieb ich dich, du tote Jüdin!

Ja, ich liebe dich! Ich merk es

An dem Zittern meiner Seele.

Liebe mich und sei mein Liebchen,

Schönes Weib, Herodias!

Liebe mich und sei mein Liebchen!

Schleudre fort den blut'gen Dummkopf

Samt der Schüssel, und genieße

Schmackhaft bessere Gerichte.

Bin so recht der rechte Ritter,

Den du brauchst – Mich kümmert's wenig,