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Heinrich von Kleist stand als "Außenseiter im literarischen Leben seiner Zeit jenseits der etablierten Lager" und der Literaturepochen der Weimarer Klassik und der Romantik. Kleists erste Tragödie Die Familie Schroffenstein orientiert sich am Dramenstil Shakespeares und thematisiert die für Kleists Schaffen zentralen Themen Schicksal vs. Zufall und subjektives Urteil vs. objektive Wirklichkeit. Seine zweite Tragödie Penthesilea ist inspiriert von drei antiken Tragödien des Euripides (Medea, Hippolytos und Die Bakchen). Sie handelt von der Amazonenkönigin, die in kriegerischer Weise auf einem Schlachtfeld vor Troja um den griechischen Helden Achilles wirbt und dabei scheitert. Wegen der stilistisch gehobenen Sprache, der damals nicht darstellbaren Kriegsszenen und der der antiken Tragödie nachempfundenen Grausamkeit war dem Stück zu Kleists Lebzeiten kein Erfolg beschieden, es wurde erst 1876 in Berlin uraufgeführt. Erfolgreicher als diese beiden Tragödien war damals sein romantisches Schauspiel Das Käthchen von Heilbronn, oder Die Feuerprobe 1808, ein poetisches Drama voller Rätsel und mittelalterlichem Treiben, das sich seine Popularität erhalten hat. Im Genre der Komödie machte sich Kleist einen Namen mit dem Zerbrochenen Krug. Die Hermannsschlacht behandelt ein historisches Thema und ist zugleich voller Referenzen auf die politischen Verhältnisse seiner Zeit. In der Hermannsschlacht verleiht Kleist seinem Hass auf die Unterdrücker seines Landes Ausdruck. Inhalt: Die Familie Schroffenstein Amphitryon Der zerbrochne Krug Penthesilea Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe Die Hermannsschlacht Robert Guiskard Prinz Friedrich von Homburg Der Zwang zum Drama (Stefan Zweig) Heinrich von Kleist: Ein Bild seines Lebens und Wirkens (Rudolf Genée)
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Seitenzahl: 872
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Rossitz. Das Innere einer Kapelle. Es steht ein Sarg in der Mitte; um ihn herum Rupert, Eustache, Ottokar, Jeronimus, Ritter, Geistliche, das Hofgesinde und ein Chor von Jünglingen und Mädchen. Die Messe ist soeben beendigt.
CHOR DER MÄDCHEN (mit Musik): Niedersteigen, Glanzumstrahlet, Himmelshöhen zur Erd herab, Sah ein Frühling Einen Engel. Nieder trat ihn ein frecher Fuß.
CHOR DER JÜNGLINGE: Dessen Thron die weiten Räume decken, Dessen Reich die Sterne Grenzen stecken, Dessen Willen wollen wir vollstrecken, Rache! Rache! Rache! schwören wir.
CHOR DER MÄDCHEN: Aus dem Staube Aufwärts blickt' er Milde zürnend den Frechen an; Bat, ein Kindlein, Bat um Liebe. Mörders Stahl gab die Antwort ihm.
CHOR DER JÜNGLINGE (wie oben):
CHOR DER MÄDCHEN: Nun im Sarge, Ausgelitten, Faltet blutige Händlein er, Gnade betend Seinem Feinde. Trotzig stehet der Feind und schweigt.
CHOR DER JÜNGLINGE (wie oben):
(Während die Musik zu Ende geht, nähert sich die Familie und ihr Gefolge dem Altar.)
RUPERT: Ich schwöre Rache! Rache! auf die Hostie, Dem Haus Sylvesters, Grafen Schroffenstein.(Er empfängt das Abendmahl.) Die Reihe ist an dir, mein Sohn.
OTTOKAR: Mein Herz Trägt wie mit Schwingen deinen Fluch zu Gott. Ich schwöre Rache, so wie du.
RUPERT: Den Namen, Mein Sohn, den Namen nenne.
OTTOKAR: Rache schwör ich, Sylvestern Schroffenstein!
RUPERT: Nein irre nicht: Ein Fluch, wie unsrer, kömmt vor Gottes Ohr Und jedes Wort bewaffnet er mit Blitzen. Drum wäge sie gewissenhaft. - Sprich nicht Sylvester, sprich sein ganzes Haus, so hast Dus sichrer.
OTTOKAR: Rache! schwör ich, Rache! Dem Mörderhaus Sylvesters.(Er empfängt das Abendmahl.)
RUPERT: Eustache, Die Reihe ist an dir.
EUSTACHE: Verschone mich, Ich bin ein Weib –
RUPERT: Und Mutter auch des Toten.
EUSTACHE: O Gott! Wie soll ein Weib sich rächen?
RUPERT: In Gedanken. Würge Sie betend. (Sie empfängt das Abendmahl.)
(Rupert führt Eustache in den Vordergrund. Alle folgen.)
RUPERT: Ich weiß, Eustache, Männer sind die Rächer – Ihr seid die Klageweiber der Natur. Doch nichts mehr von Natur. Ein hold ergötzend Märchen ists der Kindheit, Der Menschheit von den Dichtern, ihren Ammen, Erzählt. Vertrauen, Unschuld, Treue, Liebe, Religion, der Götter Furcht sind wie Die Tiere, welche reden. – Selbst das Band, Das heilige, der Blutsverwandtschaft riß, Und Vettern, Kinder eines Vaters, zielen, Mit Dolchen zielen sie auf ihre Brüste. Ja sieh, die letzte Menschenregung für Das Wesen in der Wiege ist erloschen. Man spricht von Wölfen, welche Kinder säugten, Von Löwen, die das Einzige der Mutter Verschonten. – Ich erwarte, daß ein Bär An Oheims Stelle tritt für Ottokar. Und weil doch alles sich gewandelt, Menschen Mit Tieren die Natur gewechselt, wechsle Denn auch das Weib die ihrige – verdränge Das Kleinod Liebe, das nicht üblich ist, Aus ihrem Herzen, um die Folie, Den Haß, hineinzusetzen. Wir Indessen tuns in unsrer Art. Ich biete Euch, meine Lehensmänner, auf, mir schnell Von Mann und Weib und Kind, und was nur irgend Sein Leben lieb hat, eine Schar zu bilden. Denn nicht ein ehrlich offner Krieg, ich denke, Nur eine Jagd wirds werden, wie nach Schlangen. Wir wollen bloß das Felsenloch verkeilen, Mit Dampfe sie in ihrem Nest ersticken, – Die Leichen liegen lassen, daß von fernher Gestank die Gattung schreckt, und keine wieder In einem Erdenalter dort ein Ei legt.
EUSTACHE: O Rupert, mäßge dich! Es hat der frech Beleidigte den Nachteil, daß die Tat Ihm die Besinnung selbst der Rache raubt, Und daß in seiner eignen Brust ein Freund Des Feindes aufsteht wider ihn, die Wut – Wenn dir ein Garn Sylvester stellt, du läufst In deiner Wunde blindem Schmerzgefühl Hinein. – Könntst du nicht prüfen mindestens Vorher, aufschieben noch die Fehde. – Ich Will nicht den Arm der Rache binden, leiten Nur will ich ihn, daß er so sichrer treffe.
RUPERT: So, meinst du, soll ich warten, Peters Tod Nicht rächen, bis ich Ottokars, bis ich Auch deinen noch zu rächen hab – Aldöbern! Geh hin nach Warwand, kündge ihm den Frieden auf. – Doch sags ihm nicht so sanft, wie ich, hörst du? Nicht mit so dürren Worten – Sag daß ich Gesonnen sei, an seines Schlosses Stelle Ein Hochgericht zu bauen. – Nein, ich bitte, Du mußt so matt nicht reden – Sag ich dürste Nach sein und seines Kindes Blute, hörst du? Und seines Kindes Blute.
(Er bedeckt sich das Gesicht; ab, mit Gefolge, außer Ottokar und Jeronimus.)
JERONIMUS: Ein Wort, Graf Ottokar.
OTTOKAR: Bist dus, Jerome? Willkommen! Wie du siehst, sind wir geschäftig, Und kaum wird mir die Zeit noch bleiben, mir Die Rüstung anzupassen. – Nun, was gibts?
JERONIMUS: Ich komm aus Warwand.
OTTOKAR: So? Aus Warwand? Nun?
JERONIMUS: Bei meinem Eid, ich nehme ihre Sache.
OTTOKAR: Sylvesters? Du?
JERONIMUS: Denn nie ward eine Fehde So tollkühn rasch, so frevelhaft leichtsinnig Beschlossen, als die eur'.
OTTOKAR: Erkläre dich.
JERONIMUS: Ich denke, das Erklären ist an dir. Ich habe hier in diesen Bänken wie Ein Narr gestanden, Dem ein Schwarzkünstler Faxen vormacht.
OTTOKAR: Wie? Du wüßtest nichts?
JERONIMUS: Du hörst, ich sage dir, Ich komm aus Warwand, wo Sylvester, den Ihr einen Kindermörder scheltet, Die Mücken klatscht, die um sein Mädchen summen.
OTTOKAR: Ja so, das war es. – Allerdings, man weiß, Du giltst dem Hause viel, sie haben dich Stets ihren Freund genannt, so solltest du Wohl unterrichtet sein von ihren Wegen. Man spricht, du freitest um die Tochter – Nun, Ich sah sie nie, doch des Gerüchtes Stimme Rühmt ihre Schönheit! Wohl. So ist der Preis Es wert. –
JERONIMUS: Wie meinst du das?
OTTOKAR: Ich meine, weil –
JERONIMUS: Laß gut sein, kann es selbst mir übersetzen. Du meinest, weil ein seltner Fisch sich zeigt Der doch zum Unglück bloß vom Aas sich nährt, So schlüg ich meine Ritterehre tot, Und hing' die Leich an meiner Lüste Angel Als Köder auf –
OTTOKAR: Ja, grad heraus, Jerome! Es gab uns Gott das seltne Glück, daß wir Der Feinde Schar leichtfaßlich, unzweideutig, Wie eine runde Zahl erkennen. Warwand, In diesem Worte liegts, wie Gift in einer Büchse; Und weils jetzt drängt, und eben nicht die Zeit, Zu mäkeln, ein zweideutig Körnchen Saft Mit Müh herauszuklauben, nun so machen Wirs kurz, und sagen: du gehörst zu Warwand.
JERONIMUS: Bei meinem Eid, da habt ihr recht. Niemals War eine Wahl mir zwischen euch und ihnen; Doch muß ich mich entscheiden, auf der Stelle Tu ichs, wenn so die Sachen stehn. Ja sieh, Ich spreng auf alle Schlösser im Gebirg, Empöre jedes Herz, bewaffne, wo Ichs finde, das Gefühl des Rechts, den frech Verleumdeten zu rächen.
OTTOKAR: Das Gefühl Des Rechts! O du Falschmünzer der Gefühle! Nicht einen wird ihr blanker Schein betrügen; Am Klange werden sie es hören, an Die Tür zur Warnung deine Worte nageln. – Das Rechtgefühl! – Als obs ein andres noch In einer andern Brust, als dieses, gäbe! Denkst du, daß ich, wenn ich ihn schuldlos glaubte, Nicht selbst dem eignen Vater gegenüber Auf seine Seite treten würde? Nun, Du Tor, wie könnt ich denn dies Schwert, dies gestern Empfangne, dies der Rache auf sein Haupt Geweihte, so mit Wollust tragen? – Doch Nichts mehr davon, das kannst du nicht verstehn. Zum Schlusse – wir, wir hätten, denk ich, nun Einander wohl nichts mehr zu sagen?
JERONIMUS: – Nein.
OTTOKAR: Leb wohl!
JERONIMUS: Ottokar! Was meinst du? Sieh, du schlägst mir ins Gesicht, Und ich, ich bitte dich mit mir zu reden – Was meinst du, bin ich nicht ein Schurke?
OTTOKAR: Willst Dus wissen, stell dich nur an diesen Sarg.
(Ottokar ab. Jeronimus kämpft mit sich, will ihm nach, erblickt dann den Kirchenvogt.)
JERONIMUS: He, Alter!
KIRCHENVOGT: Herr!
JERONIMUS: Du kennst mich?
KIRCHENVOGT: Warst du schon In dieser Kirche?
JERONIMUS: Nein.
KIRCHENVOGT: Ei, Herr, wie kann Ein Kirchenvogt die Namen aller kennen, Die außerhalb der Kirche?
JERONIMUS: Du hast recht: Ich bin auf Reisen, hab hier angesprochen, Und finde alles voller Leid und Trauer. Unglaublich dünkts mich, was die Leute reden, Es hab der Oheim dieses Kind erschlagen. Du bist ein Mann doch, den man zu dem Pöbel Nicht zählt, und der wohl hie und da ein Wort Von höhrer Hand erhorchen mag. Nun, wenns Beliebt, so teil mir, was du wissen magst, Fein ordentlich und nach der Reihe mit.
KIRCHENVOGT: Seht, Herr, das tu ich gern. Seit alten Zeiten Gibts zwischen unsern beiden Grafenhäusern, Von Rossitz und von Warwand einen Erbvertrag, Kraft dessen nach dem gänzlichen Aussterben Des einen Stamms, der gänzliche Besitztum Desselben an den andern fallen sollte.
JERONIMUS: Zur Sache, Alter! das gehört zur Sache nicht.
KIRCHENVOGT: Ei, Herr, der Erbvertrag gehört zur Sache. Denn das ist just als sagtest du, der Apfel Gehöre nicht zum Sündenfall.
JERONIMUS: Nun denn, So sprich.
KIRCHENVOGT: Ich sprech! Als unser jetzger Herr An die Regierung treten sollte, ward Er plötzlich krank. Er lag zwei Tage lang In Ohnmacht; alles hielt ihn schon für tot, Und Graf Sylvester griff als Erbe schon Zur Hinterlassenschaft, als wiederum Der gute Herr lebendig ward. Nun hätt Der Tod in Warwand keine größre Trauer Erwecken können, als die böse Nachricht.
JERONIMUS: Wer hat dir das gesagt?
KIRCHENVOGT: Herr, zwanzig Jahre sinds, Kanns nicht beschwören mehr.
JERONIMUS: Sprich weiter.
KIRCHENVOGT: Herr, Ich spreche weiter. Seit der Zeit hat der Sylvester stets nach unsrer Grafschaft her Geschielt, wie eine Katze nach dem Knochen, An dem der Hund nagt.
JERONIMUS: Tat er das!
KIRCHENVOGT: Sooft Ein Junker unserm Herrn geboren ward, Soll er, spricht man, erblaßt sein.
JERONIMUS: Wirklich?
KIRCHENVOGT: Nun, Weil alles Warten und Gedulden doch Vergebens war, und die zwei Knaben wie Die Pappeln blühten, nahm er kurz die Axt, Und fällte vorderhand den einen hier, Den jüngsten, von neun Jahren, der im Sarg.
JERONIMUS: Nun das erzähl, wie ist das zugegangen?
KIRCHENVOGT: Herr, ich erzähls dir ja. Denk dir, du seist Graf Rupert, unser Herr, und gingst an einem Abend Spazieren, weit von Rossitz, ins Gebirg; Nun denke dir, du fändest plötzlich dort Dein Kind, erschlagen, neben ihm zwei Männer Mit blutgen Messern, Männer, sag ich dir Aus Warwand. Wütend zögst du drauf das Schwert Und machtst sie beide nieder.
JERONIMUS: Tat Rupert das?
KIRCHENVOGT: Der eine, Herr, blieb noch am Leben, und Der hats gestanden.
JERONIMUS: Gestanden?
KIRCHENVOGT: Ja, Herr, er hats rein h'raus gestanden.
JERONIMUS: Was Hat er gestanden?
KIRCHENVOGT: Daß sein Herr Sylvester Zum Morde ihn gedungen und bezahlt.
JERONIMUS: Hast dus gehört? Aus seinem Munde?
KIRCHENVOGT: Herr, Ich habs gehört aus seinem Munde, und die ganze Gemeinde.
JERONIMUS: Höllisch ists! – Erzähls genau: Sprich, wie gestand ers?
KIRCHENVOGT: Auf der Folter.
JERONIMUS: Auf Der Folter? Sag mir seine Worte.
KIRCHENVOGT: Herr, Die hab ich nicht genau gehöret, außer eins. Denn ein Getümmel war auf unserm Markte, Wo er gefoltert ward, daß man sein Brüllen Kaum hören konnte.
JERONIMUS: Außer eins, sprachst du; Nenn mir das eine Wort, das du gehört.
KIRCHENVOGT: Das eine Wort, Herr, war: Sylvester.
JERONIMUS: Sylvester! – – Nun, und was wars weiter?
KIRCHENVOGT: Herr, weiter war es nichts. Denn bald darauf Als ers gestanden hatt, verblich er.
JERONIMUS: So? Und weiter weißt du nichts?
KIRCHENVOGT: Herr, nichts.
(Jeronimus bleibt in Gedanken stehn.)
EIN DIENER (tritt auf): War nicht Graf Rupert hier?
JERONIMUS: Suchst du ihn? Ich geh mit dir.
(Alle ab. Ottokar und Johann treten von der andern Seite auf)
OTTOKAR: Wie kamst du denn zu diesem Schleier? Er Ists, ists wahrhaftig – Sprich – Und so in Tränen? Warum denn so in Tränen? So erhitzt? Hat dich die Mutter Gottes so begeistert, Vor der du knietest?
JOHANN: Gnädger Herr – als ich Vorbeiging an dem Bilde, riß es mich Gewaltsam zu sich nieder. –
OTTOKAR: Und der Schleier? Wie kamst du denn zu diesem Schleier, sprich?
JOHANN: Ich sag dir ja, ich fand ihn.
OTTOKAR: Wo?
JOHANN: Im Tale Zum heilgen Kreuz.
OTTOKAR: Und kennst nicht die Person, Die ihn verloren?
JOHANN: – Nein.
OTTOKAR: Gut. Es tut nichts; Ist einerlei. – Und weil er dir nichts nützet, Nimm diesen Ring, und laß den Schleier mir.
JOHANN: Den Schleier –? Gnädger Herr, was denkst du? Soll Ich das Gefundene an dich verhandeln?
OTTOKAR: Nun, wie du willst. Ich war dir immer gut, Und wills dir schon so lohnen, wie dus wünschest.(Er küßt ihn, und will gehen.)
JOHANN: Mein bester Herr – O nicht – o nimm mir alles, Mein Leben, wenn du willst. –
OTTOKAR: Du bist ja seltsam.
JOHANN: Du nähmst das Leben mir mit diesem Schleier. Denn einer heiligen Reliquie gleich Bewahrt er mir das Angedenken an Den Augenblick, wo segensreich, heilbringend, Ein Gott ins Leben mich, ins ewge führte.
OTTOKAR: Wahrhaftig? – Also fandst du ihn wohl nicht? Er ward dir wohl geschenkt? Ward er? Nun sprich.
JOHANN: Fünf Wochen sinds – nein, morgen sinds fünf Wochen, Als sein gesamt berittnes Jagdgefolge Dein Vater in die Forsten führte. Gleich Vom Platz, wie ein gekrümmtes Fischbein, flog Das ganze Roßgewimmel ab ins Feld. Mein Pferd, ein ungebändigt tückisches, Von Hörnerklang, und Peitschenschall, und Hund- Geklaff verwildert, eilt ein eilendes Vorüber nach dem andern, streckt das Haupt Vor deines Vaters Roß schon an der Spitze – Gewaltig drück ich in die Zügel; doch, Als hätts ein Sporn getroffen, nun erst greift Es aus, und aus dem Zuge, wie der Pfeil Aus seinem Bogen, fliegts dahin – Rechts um In einer Wildbahn reiß ich es, bergan; Und weil ich meinen Blicken auf dem Fuß Muß folgen, eh ich, was ich sehe, wahr Kann nehmen, stürz ich, Roß und Reiter, schon Hinab in einen Strom. –
OTTOKAR: Nun, Gott sei Dank, Daß ich auf trocknem Land dich vor mir sehe. Wer rettete dich denn?
JOHANN: Wer, fragst du? Ach, Daß ich mit einem Wort es nennen soll! – Ich kanns dir nicht so sagen, wie ichs meine, Es war ein nackend Mädchen.
OTTOKAR: Wie? Nackend?
JOHANN: Strahlenrein, wie eine Göttin Hervorgeht aus dem Bade. Zwar ich sah Sie fliehend nur in ihrer Schöne – Denn Als mir das Licht der Augen wiederkehrte, Verhüllte sie sich. –
OTTOKAR: Nun?
JOHANN: Ach, doch ein Engel Schien sie, als sie verhüllt nun zu mir trat; Denn das Geschäft der Engel tat sie, hob Zuerst mich Hingesunknen – löste dann Von Haupt und Nacken schnell den Schleier, mir Das Blut, das strömende, zu stillen.
OTTOKAR: O Du Glücklicher!
JOHANN: Still saß ich, rührte nicht ein Glied, Wie eine Taub in Kindeshand.
OTTOKAR: Und sprach sie nicht?
JOHANN: Mit Tönen wie aus Glocken – fragte, stets Geschäftig, wer ich sei? woher ich komme? – Erschrak dann lebhaft, als sie hört', ich sei Aus Rossitz.
OTTOKAR: Wie? Warum denn das?
JOHANN: Gott weiß: Doch hastig fördernd das Geschäft, ließ sie Den Schleier mir, und schwand.
OTTOKAR: Und sagte sie Dir ihren Namen nicht?
JOHANN: Dazu war sie Durch Bitten nicht, nicht durch Beschwören zu Bewegen.
OTTOKAR: Nein, das tut sie nicht.
JOHANN: Wie? kennst Du sie?
OTTOKAR: Ob ich sie kenne? Glaubst du Tor, Die Sonne scheine dir allein?
JOHANN: Wie meinst Du das? – Und kennst auch ihren Namen?
OTTOKAR: Nein, Beruhge dich. Den sagt sie mir so wenig Wie dir, und droht mit ihrem Zorne, wenn Wir unbescheiden ihn erforschen sollten. Drum laß uns tun, wie sie es will. Es sollen Geheimnisse der Engel Menschen nicht Ergründen. Laß – ja laß uns lieber, wie Wir es mit Engeln tun, sie taufen. Möge Die Ähnliche der Mutter Gottes auch Maria heißen – uns nur, du verstehst; Und nennst du im Gespräch mir diesen Namen, So weiß ich wen du meinst. Ich habe lange Mir einen solchen Freund gewünscht. Es sind So wenig Seelen in dem Hause, die Wie deine, zartbesaitet, Vom Atem tönen. Und weil uns nun der Schwur der Rache fort Ins wilde Kriegsgetümmel treibt, so laß Uns brüderlich zusammenhalten; kämpfe Du stets an meiner Seite.
JOHANN: – Gegen wen?
OTTOKAR: Das fragst du hier an dieser Leiche? Gegen Sylvesters frevelhaftes Haus.
JOHANN: O Gott, Laß ihn die Engellästrung nicht entgelten!
OTTOKAR: Was? Bist du rasend?
JOHANN: Ottokar – Ich muß Ein schreckliches Bekenntnis dir vollenden – Es muß heraus aus dieser Brust – denn gleich Den Geistern ohne Rast und Ruhe, die Kein Sarg, kein Riegel, kein Gewölbe bändigt, So mein Geheimnis. –
OTTOKAR: Du erschreckst mich, rede!
JOHANN: Nur dir, nur dir darf ichs vertraun – Denn hier Auf dieser Burg – mir kommt es vor, ich sei In einem Götzentempel, sei, ein Christ, Umringt von Wilden, die mit gräßlichen Gebärden mich, den Haaresträubenden, Zu ihrem blutgen Fratzenbilde reißen – – Du hast ein menschliches Gesicht, zu dir, Wie zu dem Weißen unter Mohren, wende Ich mich – Denn niemand, bei Gefahr des Lebens, Darf außer dir des Gottes Namen wissen, Der mich entzückt. –
OTTOKAR: O Gott! – Doch meine Ahndung?
JOHANN: Sie ist es.
OTTOKAR (erschrocken): Wer?
JOHANN: Du hasts geahndet.
OTTOKAR: Was
Warwand. Ein Zimmer im Schlosse.Agnes führt Sylvius in einen Sessel.
SYLVIUS: Agnes, wo ist Philipp?
AGNES: Du lieber Gott, ich sags dir alle Tage, Und schriebs dir auf ein Blatt, wärst du nicht blind. Komm her, ich schreibs dir in die Hand.
SYLVIUS: Hilft das?
AGNES: Es hilft, glaub mirs.
SYLVIUS: Ach, es hilft nicht.
AGNES: Ich meine, Vor dem Vergessen.
SYLVIUS: Ich, vor dem Erinnern.
AGNES: Guter Vater.
SYLVIUS: Liebe Agnes.
AGNES: Fühl mir einmal die Wange an.
SYLVIUS: Du weinst?
AGNES: Ich weiß es wohl, daß mich der Pater schilt, Doch glaub ich, er versteht es nicht. Denn sieh, Wie ich muß lachen, eh ich will, wenn einer Sich lächerlich bezeigt, so muß ich weinen, Wenn einer stirbt.
SYLVIUS: Warum denn, meint der Pater, Sollst du nicht weinen?
AGNES: Ihm sei wohl, sagt er.
SYLVIUS: Glaubst dus?
AGNES: Der Pater freilich solls verstehn, Doch glaub ich fast, er sagts nicht, wie ers denkt. Denn hier war Philipp gern, wie sollt er nicht? Wir liebten ihn, es war bei uns ihm wohl; Nun haben sie ihn in das Grab gelegt – Ach, es ist gräßlich. – Zwar der Pater sagt, Er sei nicht in dem Grabe. – Nein, daß ichs Recht sag, er sei zwar in dem Grabe – Ach, Ich kanns dir nicht so wiederbeichten. Kurz, Ich seh es, wo er ist, am Hügel. Denn Woher, der Hügel?
SYLVIUS: Wahr! Sehr wahr! – Agnes, der Pater hat doch recht. Ich glaubs Mit Zuversicht.
AGNES: Mit Zuversicht? Das ist Doch seltsam. Ja, da möcht es freilich doch Wohl anders sein, wohl anders. Denn woher Die Zuversicht?
SYLVIUS: Wie willst dus halten, Agnes?
AGNES: Wie meinst du das?
SYLVIUS: Ich meine, wie dus gläubest?
AGNES: Ich wills erst lernen, Vater.
SYLVIUS: Wie? du bist Nicht eingesegnet? Sprich, wie alt denn bist du?
AGNES: Bald funfzehn.
SYLVIUS: Sieh, da könnte ja ein Ritter Bereits dich vor den Altar führen.
AGNES: Meinst du?
SYLVIUS: Das möchtest du doch wohl?
AGNES: Das sag ich nicht.
SYLVIUS: Kannst auch die Antwort sparen. Sags der Mutter, Sie soll den Beichtger zu dir schicken.
AGNES: Horch! Da kommt die Mutter.
SYLVIUS: Sags ihr gleich.
AGNES Nein, lieber Sag du es ihr, sie möchte ungleich von Mir denken.
SYLVIUS: Agnes, führe meine Hand Zu deiner Wange.
AGNES (ausweichend): Was soll das?
(Gertrude tritt auf)
SYLVIUS: Gertrude, hier das Mädel klagt dich an, Es rechne ihr das Herz das Alter vor, Ihr blühend Leben sei der Reife nah Und knüpft' ihn einer nur, so würde, meint sie, Ihr üppig Haupthaar einen Brautkranz fesseln – Du aber hättst ihr noch die Einsegnung, Den Ritterschlag der Weiber, vorenthalten.
GERTRUDE: Hat dir Jerome das gelehrt?
SYLVIUS: Gertrude, Sprich, ist sie rot?
GERTRUDE: Ei nun, ich wills dem Vater sagen: Gedulde dich bis morgen, willst du das?(Agnes küßt die Hand ihrer Mutter.) Hier, Agnes, ist die Schachtel mit dem Spielzeug. Was wolltest du damit?
AGNES: Den Gärtnerkindern, Den hinterlaßnen Freunden Philipps schenk Ich sie.
SYLVIUS: Die Reuter Philipps? Gib sie her: (Er macht die Schachtel auf) Sieh, wenn ich diese Puppen halt, ist mirs, Als säße Philipp an dem Tisch. Denn hier Stellt' er sie auf, und führte Krieg, und sagte Mir an, wies abgelaufen.
AGNES: Diese Reuter, Sprach er, sind wir, und dieses Fußvolk ist Aus Rossitz.
SYLVIUS: Nein, du sagst nicht recht. Das Fußvolk War nicht aus Rossitz, sondern war der Feind.
AGNES: Ganz recht, so mein ich es, der Feind aus Rossitz.
SYLVIUS: Ei nicht doch, Agnes, nicht doch. Denn wer sagt dir, Daß die aus Rossitz unsre Feinde sind?
AGNES: Was weiß ich. Alle sagens.
SYLVIUS: Sags nicht nach: Sie sind uns ja die nahverwandten Freunde.
AGNES: Wie du nur sprichst! Sie haben dir den Enkel, Den Bruder mir vergiftet, und das sollen Nicht Feinde sein!
SYLVIUS: Vergiftet! Unsern Philipp!
GERTRUDE: Ei Agnes, immer trägt die Jugend das Geheimnis Im Herzen, wie den Vogel in der Hand.
AGNES: Geheimnis! Allen Kindern in dem Schlosse Ist es bekannt! Hast du, du selber es Nicht öffentlich gesagt?
GERTRUDE: Gesagt? Und öffentlich? Was hätt ich öffentlich gesagt? Dir hab Ich heimlich anvertraut, es könnte sein, Wär möglich, hab den Anschein fast –
SYLVIUS: Gertrude, Du tust nicht gut daran, daß du das sagst.
GERTRUDE: Du hörst ja, ich behaupte nichts, will keinen Der Tat beschuldgen, will von allem schweigen.
SYLVIUS: Der Möglichkeit doch schuldigst du sie an.
GERTRUDE: Nun, das soll keiner mir bestreiten. – Denn So schnell dahin zu sterben, heute noch In Lebensfülle, in dem Sarge morgen. – Warum denn hätten sie vor sieben Jahren, Als mir die Tochter starb, sich nicht erkundigt? War das ein Eifer nicht! Die Nachricht bloß Der Krankheit konnte kaum in Rossitz sein, Da flog ein Bote schon herüber, fragte Mit wildverstörter Hast im Hause, ob Der Junker krank sei? – Freilich wohl, man weiß, Was so besorgt sie macht', der Erbvertrag, Den wir schon immer, sie nie lösen wollten. Und nun die bösen Flecken noch am Leibe, Der schnelle Übergang in Fäulnis – Still! Doch still! der Vater kommt. Er hat mirs streng Verboten, von dem Gegenstand zu reden.
(Sylvester und der Gärtner treten auf)
SYLVESTER: Kann dir nicht helfen, Meister Hans. Geb zu, Daß deine Rüben süß wie Zucker sind. –
GÄRTNER: Wie Feigen, Herr.
SYLVESTER: Hilft nichts. Reiß aus, reiß aus –
GÄRTNER: Ein Gärtner, Herr, bepflanzt zehn Felder lieber Mit Buchsbaum, eh er einen Kohlstrunk ausreißt.
SYLVESTER: Du bist ein Narr. Ausreißen ist ein froh Geschäft, Geschiehts um etwas Besseres zu pflanzen. Denk dir das junge Volk von Bäumen, die, Wenn wir vorbeigehn, wie die Kinder tanzen, Und uns mit ihren Blütenaugen ansehn. Es wird dich freuen, Hans, du kannsts mir glauben. Du wirst sie hegen, pflegen, wirst sie wie Milchbrüder deiner Kinder lieben, die Mit ihnen Leben ziehn aus deinem Fleiße. Zusammen wachsen wirst du sie, zusammen Sie blühen sehn, und wenn dein Mädel dir Den ersten Enkel bringt, gib acht, so füllen Zum Brechen unsre Speicher sich mit Obst.
GÄRTNER: Herr, werden wirs erleben?
SYLVESTER: Ei, wenn nicht wir, Doch unsre Kinder.
GÄRTNER: Deine Kinder? Herr, Ich möchte lieber eine Eichenpflanzung Groß ziehen, als dein Fräulein.
SYLVESTER: Wie meinst du das?
GÄRTNER: Denn wenn sie der Nordostwind nur nicht stürzt, So sollt mir mit dem Beile keiner nahn, Wie Junker Philipp'n.
SYLVESTER: Schweig! Ich kann das alberne Geschwätz im Haus nicht leiden.
GÄRTNER: Nun, ich pflanz Die Bäume. Aber eßt Ihr nicht die Früchte, Der Teufel hol mich, schick ich sie nach Rossitz.
(Gärtner ab; Agnes verbirgt ihr Gesicht an die Brust ihrer Mutter.)
SYLVESTER: Was ist das? Ich erstaune – O daran ist, Beim Himmel! niemand schuld als du, Gertrude! Das Mißtraun ist die schwarze Sucht der Seele, Und alles, auch das Schuldlos-Reine, zieht Fürs kranke Aug die Tracht der Hölle an. Das Nichtsbedeutende, Gemeine, ganz Alltägliche, spitzfündig, wie zerstreute Zwirnfäden, wirds zu einem Bild geknüpft, Das uns mit gräßlichen Gestalten schreckt. Gertrude, o das ist sehr schlimm. –
GERTRUDE: Mein teurer Gemahl! –
SYLVESTER: Hättst du nicht wenigstens das Licht, Das, wie du vorgibst, dir gezündet ward, Verbergen in dem Busen, einen so Zweideutgen Strahl nicht fallen lassen sollen Auf diesen Tag, den, hätt er was du sagst Gesehn, ein mitternächtlich Dunkel ewig, Wie den Karfreitag, decken müßte.
GERTRUDE: Höre Mich an. –
SYLVESTER: Dem Pöbel, diesem Starmatz – diesem Hohlspiegel des Gerüchtes – diesem Käfer Die Kohle vorzuwerfen, die er spielend Aufs Dach des Nachbars trägt –
GERTRUDE: Ihm vorgeworfen? O mein Gemahl, die Sache lag so klar Vor aller Menschen Augen, daß ein jeder, Noch eh man es verbergen konnte, schon Von selbst das Rechte griff.
SYLVESTER: Was meinst du? Wenn Vor achtzehn Jahren, als du schnell nach Rossitz Zu deiner Schwester eiltest, bei der ersten Geburt ihr beizustehn, die Schwester nun, Als sie den neugebornen Knaben tot Erblickte, dich beschuldigt hätte, du, Du hättest – du verstehst mich – heimlich ihm, Verstohlen, während du ihn herztest, küßtest, Den Mund verstopft, das Hirn ihm eingedrückt –
GERTRUDE: O Gott, mein Gott, ich will ja nichts mehr sagen, Will niemand mehr beschuldgen, wills verschmerzen, Wenn sie dies Einzge nur, dies Letzte uns nur lassen. –
(Sie umarmt Agnes mit Heftigkeit.)
EIN KNAPPE (tritt auf): Es ist ein Ritter, Herr, am Tore.
SYLVESTER: Laß ihn ein.
SYLVIUS: Ich will aufs Zimmer, Agnes, führe mich.
(Sylvius und Agnes ab.)
GERTRUDE: Soll ich ihm einen Platz an unserm Tisch Bereiten?
SYLVESTER: Ja, das magst du tun. Ich will Indessen Sorge tragen für sein Pferd.
(Beide ab; Agnes tritt auf, sieht sich um, schlägt ein Tuch über, setzt einen Hut auf, und geht ab. Sylvester und Aldöbern treten auf)
SYLVESTER: Aus Rossitz, sagst du?
ALDÖBERN: Ritter Aldöbern Aus Rossitz. Bin gesandt von meinem Herrn, Dem Rupert, Graf von Schroffenstein, an dich, Sylvester, Grafen Schroffenstein.
SYLVESTER: Die Sendung Empfiehlt dich, Aldöbern; denn deines Herrn Sind deine Freunde. Drum so laß uns schnell hinhüpfen über den Gebrauch; verzeih Daß ich mich setze, setz dich zu mir, und Erzähle alles, was du weißt, von Rossitz. Denn wie, wenn an zwei Seegestaden zwei Verbrüderte Familien wohnen, selten, Bei Hochzeit nur, bei Taufe, Trauer, oder Wenns sonst was Wichtges gibt, der Kahn Herüberschlüpft, und dann der Bote vielfach, Noch eh er reden kann, befragt wird, was Geschehn, wies zuging, und warum nicht anders, Ja selbst an Dingen, als, wie groß der Ältste, Wie viele Zähn der Jüngste, ob die Kuh Gekalbet, und dergleichen, das zur Sache Doch nicht gehöret, sich erschöpfen muß – Sieh, Freund, so bin ich fast gesonnen, es Mit dir zu machen. – Nun, beliebts so setz dich.
ALDÖBERN: Herr, kann es stehend abtun.
SYLVESTER: Ei, du Narr, Stehn und Erzählen, das gehört zusammen, Wie Reiten fast und Küssen.
ALDÖBERN: Meine Rede Wär fertig, Herr, noch eh ich niedersitze.
SYLVESTER: Willst du so kurz sein? Ei, das tut mir leid; Doch wenns so drängt, ich wills nicht hindern. Rede.
ALDÖBERN: Mich schickt mein Herr, Graf Rupert Schroffenstein, Dir wegen des an seinem Sohne Peter Verübten Mords den Frieden aufzukünden. –
SYLVESTER: Mord?
ALDÖBERN: Mord. Doch soll ich, meint er, nicht so frostig reden, Von bloßem Zwist und Streit und Kampf und Krieg, Von Sengen, Brennen, Reißen und Verheeren. Drum brauch ich lieber seine eignen Worte, Die lauten so: Er sei gesonnen, hier Auf deiner Burg ein Hochgericht zu bauen; Es dürste ihm nach dein und deines Kindes – Und deines Kindes Blute – wiederholt' er.
SYLVESTER (steht auf, sieht ihm steif ins Gesicht): Ja so – Nun setz dich, guter Freund. – (Er holt einen Stuhl.) Du bist Aus Rossitz nicht, nicht wahr? – Nun setz dich. Wie War schon dein Name? Setz dich, setz dich. – Nun, Sag an, ich habs vergessen, wo, wo bist Du her?
ALDÖBERN: Gebürtig? Herr, aus Oppenheim: – Was soll das?
SYLVESTER: So, aus Oppenheim – nun also Aus Rossitz nicht. Ich wußt es wohl, nun setz dich.(Er geht an die Tür.) Gertrude! (Gertrude tritt auf) Laß mir doch den Knappen rufen Von diesem Ritter, hörst du? (Gertrude ab.) Nun, so setz dich Doch, Alter – Was den Krieg betrifft, das ist Ein lustig Ding für Ritter; sieh, da bin ich Auf deiner Seite. –
ALDÖBERN: Meiner Seite?
SYLVESTER: Ja, Was Henker denkst du? Hat dir einer Unrecht, Beschimpfung, oder sonst was zugefügt, So sag dus mir, sags mir, wir wollens rächen.
ALDÖBERN: Bist du von Sinnen, oder ists Verstellung?
(Gertrude, der Knappe und ein Diener treten auf)
SYLVESTER: Sag an, mein Sohn, wer ist dein Herr? Es ist Mit ihm wohl – nun du weißt schon, was ich meine. –
ALDÖBERN: Den Teufel bin ich, was du meinst. Denkst du Mir sei von meiner Mutter so viel Menschen- Verstand nicht angeboren, als vonnöten, Um einzusehn, du seist ein Schurke? Frag Die Hund auf unserm Hofe, sieh, sie riechens Dir an, und nähme einer einen Bissen Aus deiner Hand, so hänge mich. – Zum Schlusse So viel noch. Mein Geschäft ist aus. Den Krieg Hab ich dir Kindesmörder angekündigt. (Will ab.)
SYLVESTER (hält ihn): Nein, halte – Nein, bei Gott du machst mich bange. Denn deine Rede, wenn sie gleich nicht reich, Ist doch so wenig arm an Sinn, daß michs Entsetzet. – Einer von uns beiden muß Verrückt sein; bist dus nicht, ich könnt es werden. Die Unze Mutterwitz, die dich vom Tollhaus Errettet, muß, es kann nicht anders, mich Ins Tollhaus führen. – Sieh, wenn du mir sagtest, Die Ströme flössen neben ihren Ufern Bergan, und sammelten auf Felsenspitzen In Seen sich, so wollt – ich wollts dir glauben; Doch sagst du mir, ich hätt ein Kind gemordet, Des Vetters Kind –
GERTRUDE: O großer Gott, wer denn Beschuldiget dich dieser Untat? Die aus Rossitz, Die selbst, vor wenig Monden –
SYLVESTER: Schweig. Nun wenns Beliebt, so sags mir einmal noch. Ists wahr, Ists wirklich wahr? Um eines Mordes willen Krieg wider mich?
ALDÖBERN: Soll ichs dir zehenmal Und wieder zehnmal wiederkäun?
SYLVESTER: Nun gut: Franz, sattle mir mein Pferd. – Verzeih mein Freund, Wer kann das Unbegreifliche begreifen? – Wo ist mein Helm, mein Schwert? – Denn hören muß Ichs doch aus seinem Munde, eh ichs glaube. – Schick zu Jeronimus, er möchte schnell Nach Warwand kommen. –
ALDÖBERN: Leb denn wohl.
SYLVESTER: Nein, warte; Ich reite mit dir, Freund.
GERTRUDE: Um Gotteswillen, In deiner Feinde Macht gibst du dich selbst?
SYLVESTER: Laß gut sein.
ALDÖBERN: Wenn du glaubst, sie werden schonend In Rossitz dich empfangen, irrst du dich.
SYLVESTER (immer beim Anzuge beschäftigt): Tut nichts, tut nichts; allein werd ich erscheinen. Ein einzelner tritt frei zu seinen Feinden.
ALDÖBERN: Das Mildeste, das dir begegnen mag, Ist, daß man an des Kerkers Wand dich fesselt.
SYLVESTER: Es ist umsonst. – Ich muß mir Licht verschaffen, Und sollt ichs mir auch aus der Hölle holen.
ALDÖBERN: Ein Fluch ruht auf dein Haupt, es ist nicht einer In Rossitz, dem dein Leben heilig wäre.
SYLVESTER:
Gegend im Gebirge. Im Vordergrunde eine Höhle. Agnes sitzt an der Erde und knüpft Kränze. Ottokar tritt auf, und betrachtet sie mit Wehmut. Dann wendet er sich mit einer schmerzvollen Bewegung, während welcher Agnes ihn wahrnimmt, welche dann zu knüpfen fortfährt, als hätte sie ihn nicht gesehen.
AGNES: 's ist doch ein häßliches Geschäft: belauschen; Und weil ein rein Gemüt es stets verschmäht, So wird nur dieses grade stets belauscht. Drum ist das Schlimmste noch, daß es den Lauscher, Statt ihn zu strafen, lohnt. Denn statt des Bösen, Das er verdiente zu entdecken, findet Er wohl sogar ein still Bemühen noch Für sein Bedürfnis, oder seine Laune. Da ist, zum Beispiel, heimlich jetzt ein Jüngling – Wie heißt er doch? Ich kenn ihn wohl. Sein Antlitz Gleicht einem wilden Morgenungewitter, Sein Aug dem Wetterleuchten auf den Höhn, Sein Haar den Wolken, welche Blitze bergen, Sein Nahen ist ein Wehen aus der Ferne, Sein Reden wie ein Strömen von den Bergen Und sein Umarmen – Aber still! Was wollt Ich schon? ja, dieser Jüngling, wollt ich sagen, Ist heimlich nun herangeschlichen, plötzlich, Unangekündigt, wie die Sommersonne, Will sie ein nächtlich Liebesfest belauschen. Nun wär mirs recht, er hätte was er sucht, Bei mir gefunden, und die Eifersucht, Der Liebe Jugendstachel, hätte, selbst Sich stumpfend, ihn hinaus gejagt ins Feld, Gleich einem jungen Rosse, das zuletzt Doch heimkehrt zu dem Stall, der ihn ernährt. Statt dessen ist kein andrer Nebenbuhler Jetzt grade um mich, als sein Geist. Und der Singt mir sein Lied zur Zither vor, wofür Ich diesen Kranz ihm winde. (Sie sieht sich um.) Fehlt dir was?
OTTOKAR: Jetzt nichts.
AGNES: So setz dich nieder, daß ich sehe, Wie dir der Kranz steht. Ist er hübsch?
OTTOKAR: Recht hübsch.
AGNES: Wahrhaftig? Sieh einmal die Finger an.
OTTOKAR: Sie bluten. –
AGNES: Das bekam ich, als ich aus den Dornen Die Blumen pflückte.
OTTOKAR: Armes Kind.
AGNES: Ein Weib Scheut keine Mühe. Stundenlang hab ich Gesonnen, wie ein jedes einzeln Blümchen Zu stellen, wie das unscheinbarste selbst Zu nutzen sei, damit Gestalt und Farbe Des Ganzen seine Wirkung tue. – Nun, Der Kranz ist ein vollendet Weib. Da, nimm Ihn hin. Sprich: er gefällt mir; so ist er Bezahlt. (Sie sieht sich wieder um.) Was fehlt dir denn?(Sie steht auf; Ottokar faßt ihre Hand.) Du bist so seltsam, So feierlich – bist unbegreiflich mir.
OTTOKAR: Und mir du.
AGNES: Liebst du mich, so sprich sogleich Ein Wort, das mich beruhigt.
OTTOKAR: Erst sprich du: Wie hast dus heute wagen können, heute, Von deinem Vaterhaus dich zu entfernen?
AGNES: Von meinem Vaterhause? Kennst dus denn? Hab ich nicht stets gewünscht, du möchtest es Nicht zu erforschen streben?
OTTOKAR: O verzeih! Nicht meine Schuld ists, daß ichs weiß.
AGNES: Du weißts?
OTTOKAR: Ich weiß es, fürchte nichts! Denn deinem Engel Kannst du dich sichrer nicht vertraun, als mir. Nun sage mir, wie konntest du es wagen, So einsam dies Gebirge zu betreten, Da doch ein mächtger Nachbar all die Deinen In blutger Rachefehd verfolgt?
AGNES: In Fehde? In meines Vaters Sälen liegt der Staub Auf allen Rüstungen, und niemand ist Uns feindlich, als der Marder höchstens, der In unsre Hühnerställe bricht.
OTTOKAR: Wie sagst du? Ihr wärt in Frieden mit den Nachbarn? Wärt In Frieden mit euch selbst?
AGNES: Du hörst es, ja.
OTTOKAR: O Gott! Ich danke dir mein Leben nur Um dieser Kunde! – Mädchen! Mädchen! O Mein Gott, so brauch ich dich ja nicht zu morden!
AGNES: Morden?
OTTOKAR: O komm! (Sie setzen sich.) Nun will ich heiter, offen, wahr, Wie deine Seele mit dir reden. Komm! Es darf kein Schatten mehr dich decken, nicht Der mindeste, ganz klar will ich dich sehen. Dein Innres ists mir schon, die neugebornen Gedanken kann ich wie dein Gott erraten. Dein Zeichen nur, die freundliche Erfindung Mit einer Silbe das Unendliche Zu fassen, nur den Namen sage mir. Dir sag ich meinen gleich; denn nur ein Scherz War es, dir zu verweigern, was du mir. Ich hätte deinen längst erforscht, wenn nicht Sogar dein unverständliches Gebot Mir heilig. Aber nun frag ich dich selbst. Nichts Böses bin ich mir bewußt, ich fühle Du gehst mir über alles Glück der Welt, Und nicht ans Leben bin ich so gebunden, So gern nicht, und so fest nicht, wie an dich. Drum will ich, daß du nichts mehr vor mir birgst, Und fordre ernst dein unumschränkt Vertrauen.
AGNES: Ich kann nicht reden, Ottokar. –
OTTOKAR: Was ängstigt dich? Ich will dir jeden falschen Wahn benehmen.
AGNES: – Du sprachst von Mord.
OTTOKAR: Von Liebe sprach ich nur.
AGNES: Von Liebe, hör ich wohl, sprachst du mit mir, Doch sage mir, mit wem sprachst du vom Morde?
OTTOKAR: Du hörst es ja, es war ein böser Irrtum, Den mir ein selbst getäuschter Freund erweckt.
(Johann zeigt sich im Hintergrunde.)
AGNES: Dort steht ein Mensch, den kenn ich.(Sie steht auf)
OTTOKAR: Kennst du ihn?
AGNES: Leb wohl.
OTTOKAR: Um Gotteswillen, nein, du irrst dich.
AGNES: Ich irre nicht. – Laß mich – Wollt ihr mich morden?
OTTOKAR: Dich morden? – Frei bist du, und willst du gehen, Du kannst es unberührt, wohin du willst.
AGNES: So leb denn wohl.
OTTOKAR: Und kehrst nicht wieder?
AGNES: Niemals, Wenn du nicht gleich mir deinen Namen sagst.
OTTOKAR: Das soll ich jetzt – vor diesem Fremden –
AGNES: So Leb wohl auf ewig.
OTTOKAR: Maria! Willst du nicht besser von Mir denken lernen?
AGNES: Zeigen kann ein jeder Gleich, wer er ist.
OTTOKAR: Ich will es heute noch. Kehr wieder.
AGNES: Soll ich dir traun, wenn du nicht mir?
OTTOKAR: Tu es Auf die Gefahr.
AGNES: Es sei! Und irr ich mich, Nicht eine Träne kosten soll es mich. (Ab.)
OTTOKAR: Johann, komm her, du siehst sie ist es wohl, Es ist kein Zweifel mehr, nicht wahr?
JOHANN: Es mag Wies scheint, dir wohl an keinem Aufschluß mangeln, Den ich dir geben könnte.
OTTOKAR: Wie dus nimmst: Zwei Werte hat ein jeder Mensch: den einen Lernt man nur kennen aus sich selbst, den andern Muß man erfragen.
JOHANN: Hast du nur den Kern, Die Schale gibt sich dann als eine Zugab.
OTTOKAR: Ich sage dir, sie weigert mir, wie dir, Den Namen, und wie dich, so flieht sie mich Schon bei der Ahndung bloß, ich sei aus Rossitz. Du sahst es selbst, gleich einem Geist erscheint Und schwindet sie uns beiden.
JOHANN: Beiden? Ja: Doch mit dem Unterschied, daß dir das eine Talent geworden, ihn zu rufen, mir Das andre bloß, den Geist zu bannen.
OTTOKAR: Johann!
JOHANN: Pah! – Die Schuld liegt an der Spitze meiner Nase Und etwa noch an meinen Ohrenzipfeln. Was sonst an mir kann so voll Greuel sein, Daß es das Blut aus ihren Wangen jagt Und, bis aufs Fliehen, jede Kraft ihr nimmt?
OTTOKAR: Johann, ich kenne dich nicht mehr.
JOHANN: Ich aber dich.
OTTOKAR: Ich will im voraus jede Kränkung dir Vergeben, wenn sie sich nur edel zeigt.
JOHANN: Nicht übern Preis will ich dir zahlen. – Sprich. Wenn einer mir vertraut', er wiss ein Roß, Das ihm bequem sei, und er kaufen wolle, Und ich, ich ginge heimlich hin und kaufts Mir selbst – was meinst du, wäre das wohl edel?
OTTOKAR: Sehr schief wählst du dein Gleichnis.
JOHANN: Sage bitter; Und doch ists Honig gegen mein Gefühl.
OTTOKAR: Dein Irrtum ist dir lieb, weil er mich kränkt.
JOHANN: Kränkt? Ja, das ist mir lieb, und ists ein Irrtum, Just darum will ich zähe fest ihn halten.
OTTOKAR: Nicht viele Freude wird dir das gewähren, Denn still verschmerzen werd ich, was du tust.
JOHANN: Da hast du recht. Nichts würd mich mehr verdrießen, Als wenn dein Herz wie eine Kröte wär, Die ein verwundlos steinern Schild beschützt, Denn weiter keine Lust bleibt mir auf Erden, Als einer Bremse gleich dich zu verfolgen.
OTTOKAR: Du bist weit besser als der Augenblick.
JOHANN: Du Tor! Du Tor! Denkst du mich so zu fassen? Weil ich mich edel nicht erweise, nicht Erweisen will, machst du mir weis, ich seis, Damit die unverdiente Ehre mich Bewegen soll, in ihrem Sinn zu handeln? Vor deine Füße werf ich deine Achtung. –
OTTOKAR: Du willst mich reizen, doch du kannst es nicht; Ich weiß, du selbst, du wirst mich morgen rächen.
JOHANN: Nein, wahrlich, nein, dafür will ich schon sorgen. Denn in die Brust schneid ich mir eine Wunde, Die reiz ich stets mit Nadeln, halte stets Sie offen, daß es mir recht sinnlich bleibe.
Warwand, Zimmer im Schlosse. Sylvester auf einem Stuhle, mit Zeichen der Ohnmacht, die nun vorüber. Um ihn herum Jeronimus, Theistiner, Gertrude und ein Diener.
GERTRUDE: Nun, er erholt sich, Gott sei Dank. –
SYLVESTER: Gertrude –
GERTRUDE: Sylvester, kennst du mich, kennst du mich wieder?
SYLVESTER: Mir ist so wohl, wie bei dem Eintritt in Ein andres Leben.
GERTRUDE: Und an seiner Pforte Stehn deine Engel, wir, die Deinen, liebreich Dich zu empfangen.
SYLVESTER: Sage mir, wie kam Ich denn auf diesen Stuhl? Zuletzt, wenn ich Nicht irre, stand ich – nicht?
GERTRUDE: Du sankest stehend In Ohnmacht.
SYLVESTER: Ohnmacht? Und warum denn das? So sprich doch. – Wie, was ist dir denn? Was ist Euch denn? (Er sieht sich um; lebhaft.. Fehlt Agnes? Ist sie tot?
GERTRUDE: O nein, O nein, sie ist in ihrem Garten.
SYLVESTER: Nun, Wovon seid ihr denn alle so besessen? Gertrude sprich. – Sprich du, Theistiner. – Seid Ihr stumm, Theistin, Jero – – Jeronimus! Ja so – ganz recht – nun weiß ich. –
GERTRUDE: Komm ins Bette, Sylvester, dort will ichs dir schon erzählen.
SYLVESTER: Ins Bett? O pfui! Bin ich denn – sage mir, Bin ich in Ohnmacht wirklich denn gefallen?
GERTRUDE: Du weißt ja, wie du sagst, sogar warum?
SYLVESTER: Wüßt ichs? O pfui! O pfui! Ein Geist ist doch Ein elend Ding.
GERTRUDE: Komm nur ins Bett, Sylvester, Dein Leib bedarf der Ruhe.
SYLVESTER Ja, 's ist wahr, Mein Leib ist doch an allem schuld.
GERTRUDE: So komm.
SYLVESTER: Meinst du, es wäre nötig?
GERTRUDE: Ja, durchaus Mußt du ins Bette.
SYLVESTER: Dein Bemühen Beschämt mich. Gönne mir zwei Augenblicke, So mach ich alles wieder gut, und stelle Von selbst mich her.
GERTRUDE: Zum mindsten nimm die Tropfen Aus dem Tirolerfläschchen, das du selbst Stets als ein heilsam Mittel mir gepriesen.
SYLVESTER: An eigne Kraft glaubt doch kein Weib, und traut Stets einer Salbe mehr zu als der Seele.
GERTRUDE: Es wird dich stärken, glaube mir. –
SYLVESTER: Dazu Brauchts nichts als mein Bewußtsein. (Er steht auf) Was mich freut, Ist, daß der Geist doch mehr ist, als ich glaubte, Denn flieht er gleich auf einen Augenblick, An seinen Urquell geht er nur, zu Gott, Und mit Heroenkraft kehrt er zurück. Theistiner! 's ist wohl viele Zeit nicht zu Verlieren. – Gertrud! Weiß ers?
GERTRUDE: Ja.
SYLVESTER: Du weißts? Nun, sprich, Was meinst du, 's ist doch wohl ein Bubenstück? 's ist wohl kein Zweifel mehr, nicht wahr?
THEISTINER: In Warwand Ist keiner, ders bezweifelt, ist fast keiner, Ders, außer dir, nicht hätt vorhergesehen, Wies enden müsse, sei es früh, seis spät.
SYLVESTER: Vorhergesehen? Nein, das hab ich nicht. Bezweifelt? Nein, das tu ich auch nicht mehr. – Und also ists den Leuten schon bekannt?
THEISTINER: So wohl, daß sie das Haupt sogar besitzen, Das dir die Nachricht her aus Rossitz brachte.
SYLVESTER: Wie meinst du das? Der Herold wär noch hier?
THEISTINER: Gesteinigt, ja.
SYLVESTER: Gesteiniget?
THEISTINER: Das Volk War nicht zu bändigen. Sein Haupt ist zwischen Den Eulen an den Torweg festgenagelt.
SYLVESTER: Unrecht ists, Theistin, mit deinem Haupt hättst du das seine, Das heilige, des Herolds, schützen sollen.
THEISTINER: Mit Unrecht tadelst du mich, Herr, ich war Ein Zeuge nicht der Tat, wie du wohl glaubst. Zu seinem Leichnam kam ich – diesen hier Jeronimus, wars just noch Zeit zu retten.
SYLVESTER: – Ei nun, sie mögens niederschlucken. Das Geschehne muß stets gut sein, wie es kann. Ganz rein, seh ich wohl ein, kanns fast nicht abgehn, Denn wer das Schmutzge anfaßt, den besudelts. Auch, find ich, ist der Geist von dieser Untat Doch etwas wert, und kann zu mehr noch dienen. Wir wollens nützen. Reite schnell ins Land, Die sämtlichen Vasallen biete auf, Sogleich sich in Person bei mir zu stellen, Indessen will ich selbst von Männern, was Hier in der Burg ist, sammeln, Reden brauchts Nicht viel, ich stell mein graues Haupt zur Schau, Und jedes Haar muß einen Helden werben. Das soll den ersten Bubenanfall hemmen, Dann, sind wir stärker, wenden wir das Blatt, In seiner Höhle suchen wir den Wolf, Es kann nicht fehlen, glaube mirs, es geht Für alles ja, was heilig ist und hehr, Für Tugend, Ehre, Weib und Kind und Leben.
THEISTINER: So geh ich, Herr, noch heut vor Abend sind Die sämtlichen Vasallen hier versammelt.
SYLVESTER: 's ist gut. (Theistiner ab.) Franziskus, rufe mir den Burgvogt. – Noch eins. Die beiden Waffenschmiede bringe Gleich mit. (Der Diener ab). (Zu Jeronimus.) Dir ist ein Unglimpf widerfahren, Jeronimus, das tut mir leid. Du weißt ich war Im eigentlichsten Sinn nicht gegenwärtig. Die Leute sind mir gut, du siehsts, es war Ein mißverstandner Eifer bloß der Treue. Drum mußt dus ihnen schon verzeihn. Fürs Künftge Versprech ich, will ich sorgen. Willst du fort Nach Rossitz, kannst dus gleich, ich gebe dir Zehn Reis'ge zur Begleitung mit. Ich kanns Nicht leugnen fast, daß mir der Unfall lieb, Versteh mich, bloß weil er dich hier verweilte, Denn sehr unwürdig hab ich mich gezeigt, – Nein, sage nichts. Ich weiß das. Freilich mag Wohl mancher sinken, weil er stark ist. Denn Die kranke abgestorbne Eiche steht Dem Sturm, doch die gesunde stürzt er nieder, Weil er in ihre Krone greifen kann. – Nicht jeden Schlag ertragen soll der Mensch, Und welchen Gott faßt, denk ich, der darf sinken, – Auch seufzen. Denn der Gleichmut ist die Tugend Nur der Athleten. Wir, wir Menschen fallen Ja nicht für Geld, auch nicht zur Schau. – Doch sollen Wir stets des Anschauns würdig aufstehn. Nun Ich halte dich nicht länger. Geh nach Rossitz Zu deinen Freunden, die du dir gewählt. Denn hier in Warwand, wie du selbst gefunden, Bist du seit heute nicht mehr gern gesehn.
JERONIMUS: – Hast recht, hast recht – bins nicht viel besser wert, Als daß du mir die Türe zeigst. – Bin ich Ein Schuft in meinen Augen doch, um wie Viel mehr in deinen. – Zwar ein Schuft, wie du Es meinst, der bin ich nicht. – Doch kurz und gut, Glaubt was ihr wollt. Ich kann mich nicht entschuldgen, Mir lähmts die Zung, die Worte wollen, wie Verschlagne Kinder, nicht ans Licht. – Ich gehe, Nur so viel sag ich dir, ich gehe nicht Nach Rossitz, hörst du? Und noch eins. Wenn du Mich brauchen kannst, so sags, ich laß mein Leben Für dich, hörst du, mein Leben. (Ab.)
GERTRUDE: Hör, Jerome! – Da geht er hin. – Warum riefst du ihm nicht?
SYLVESTER: Verstehst du was davon, so sag es mir. Mir ists noch immer wie ein Traum.
GERTRUDE: Ei nun, Er war gewonnen von den Rossitzschen. Denn in dem ganzen Gau ist wohl kein Ritter, Den sie, wenns ging, uns auf den Hals nicht hetzten.
SYLVESTER: Allein Jeronimus! – Ja, wärs ein andrer, So wollt ichs glauben, doch Jeronimus! 's ist doch so leicht nicht, in dem Augenblick Das Werk der Jahre, Achtung, zu zerstören.
GERTRUDE: O 's ist ein teuflischer Betrug, der mich, Ja dich mißtrauisch hätte machen können.
SYLVESTER: Mich selbst? Mißtrauisch gegen mich? Nun laß Doch hören.
GERTRUDE: Ruperts jüngster Sohn ist wirklich Von deinen Leuten im Gebirg erschlagen.
SYLVESTER: Von meinen Leuten?
GERTRUDE: O das ist bei weitem Das Schlimmste nicht. Der eine hats sogar Gestanden, du hättst ihn zu Mord gedungen.
SYLVESTER: Gestanden hätt er das?
GERTRUDE: Ja, auf der Folter, Und ist zwei Augenblicke drauf verschieden.
SYLVESTER: Verschieden? – Und gestanden? – Und im Tode, Wär auch das Leben voll Abscheulichkeit, Im Tode ist der Mensch kein Sünder. – Wer Hats denn gehört, daß ers gestanden?
GERTRUDE: Ganz Rossitz. Unter Volkes Augen, auf Dem öffentlichen Markt ward er gefoltert.
SYLVESTER: Und wer hat dir das mitgeteilt?
GERTRUDE: Jerome, Er hat sich bei dem Volke selbst erkundigt.
SYLVESTER: – Nein, das ist kein Betrug, kann keiner sein.
GERTRUDE: Um Gotteswillen, was denn sonst?
SYLVESTER: Bin ich Denn Gott, daß du mich frägst?
GERTRUDE: Ists keiner, so O Himmel! fällt ja der Verdacht auf uns.
SYLVESTER:
Platz vor den Toren von Warwand.
AGNES (tritt in Hast aus.) Zu Hülfe! Zu Hülfe!
JOHANN (ergreift sie): So höre mich doch, Mädchen! Es folgt dir ja kein Feind, ich liebe dich, Ach, lieben! Ich vergöttre dich!
AGNES: Fort, Ungeheuer, bist du nicht aus Rossitz?
JOHANN: Wie kann ich furchtbar sein? Sieh mich doch an, Ich zittre selbst vor Wollust und vor Schmerz Mit meinen Armen dich, mein ganzes Maß Von Glück und Jammer zu umschließen.
AGNES: Was willst du, Rasender, von mir?
JOHANN: Nichts weiter: Mir bist du tot, und einer Leiche gleich, Mit kaltem Schauer drück ich dich ans Herz.
AGNES: Schützt mich, ihr Himmlischen, vor seiner Wut!
JOHANN: Sieh, Mädchen, morgen lieg ich in dem Grabe, Ein Jüngling, ich – nicht wahr das tut dir weh? Nun, einem Sterbenden schlägst du nichts ab, Den Abschiedskuß gib mir. (Er küßt sie.)
AGNES: Errettet mich, Ihr Heiligen!
JOHANN: – Ja, rette du mich, Heilge! Es hat das Leben mich wie eine Schlange, Mit Gliedern, zahnlos, ekelhaft, umwunden. Es schauert mich, es zu berühren. – Da, Nimm diesen Dolch. –
AGNES: Zu Hülfe! Mörder! Hülfe!
JOHANN (streng): Nimm diesen Dolch, sag ich. – Hast du nicht einen Mir schon ins Herz gedrückt?
AGNES: Entsetzlicher!
(Sie sinkt besinnungslos zusammen.)
JOHANN (sanft): Nimm diesen Dolch, Geliebte – Denn mit Wollust, Wie deinem Kusse sich die Lippe reicht, Reich ich die Brust dem Stoß von deiner Hand.
JERONIMUS (tritt mit Reisigen aus dem Tore): Hier war das Angstgeschrei – – Unglücklicher! Welch eine Tat – Sie ist verwundet – Teufel! Mit deinem Leben sollst dus büßen.(Er verwundet Johann; der fällt. Jeronimus faßt Agnes auf) Agnes! Agnes! Ich sehe keine Wunde. – Lebst du, Agnes?
(Sylvester und Gertrude treten aus dem Tore.)
SYLVESTER: Es war Jeronimus' Entsetzensstimme, Nicht Agnes. – – O mein Gott!(Er wendet sich schmerzvoll.)
GERTRUDE: O meine Tochter, Mein einzig Kind, mein letztes. –
JERONIMUS: Schafft nur Hülfe, Ermordet ist sie nicht.
GERTRUDE: Sie rührt sich – horch? Sie atmet – ja sie lebt, sie lebt!
SYLVESTER: Lebt sie? Und unverwundet?
JERONIMUS: Eben wars noch Zeit, Er zückte schon den Dolch auf sie, da hieb Ich den Unwürdgen nieder.
GERTRUDE: Ist er nicht Aus Rossitz?
JERONIMUS: Frage nicht, du machst mich schamrot, – ja.
SYLVESTER: Gib mir die Hand, Jerome, wir verstehn Uns.
JERONIMUS: Wir verstehn uns.
GERTRUDE: Sie erwacht, o seht, Sie schlägt die Augen auf, sie sieht mich an.
AGNES: Bin ich von dem Entsetzlichen erlöst?
GERTRUDE: Hier liegt er tot am Boden, fasse dich.
AGNES: Getötet? Und um mich? Ach, es ist gräßlich. –
GERTRUDE: Jerome hat den Mörder hingestreckt.
AGNES: Er folgte mir weit her aus dem Gebirge, – Mich faßte das Entsetzen gleich, als ich Von weitem nur ihn in das Auge faßte. Ich eilte – doch ihn trieb die Mordsucht schneller Als mich die Angst – und hier ergriff er mich.
SYLVESTER: Und zückt' er gleich den Dolch? Und sprach er nicht? Kannst du dich dessen nicht entsinnen mehr?
AGNES: So kaum – denn vor sein fürchterliches Antlitz Entflohn mir alle Sinne fast. Er sprach, – Gott weiß, mir schiens fast, wie im Wahnsinn – sprach Von Liebe – daß er mich vergöttre – nannte Bald eine Heilge mich, bald eine Leiche. Dann zog er plötzlich jenen Dolch, und bittend, Ich möchte, ich, ihn töten, zückt' er ihn Auf mich. –
SYLVESTER: Lebt er denn noch? Er scheint verwundet bloß, Sein Aug ist offen. (Zu den Leuten.) Tragt ihn in das Schloß, Und ruft den Wundarzt. (Sie tragen ihn fort.) Einer komme wieder Und bring mir Nachricht.
GERTRUDE: Aber, meine Tochter, Wie konntest du so einsam und so weit Dich ins Gebirge wagen?
AGNES: Zürne nicht, Es war mein Lieblingsweg.
GERTRUDE: Und noch so lange Dich zu verweilen!
AGNES: Einen Ritter traf Ich, der mich aufhielt.
GERTRUDE: Einen Ritter? Sieh Wie du in die Gefahr dich wagst! Kanns wohl Ein andrer sein fast, als ein Rossitzscher?
AGNES: – Glaubst du, es sei ein Rossitzscher?
JERONIMUS: Ich weiß, Daß Ottokar oft ins Gebirge geht.
AGNES: Meinst du den –?
JERONIMUS: Ruperts ältsten Sohn: – Kennst du ihn nicht?
AGNES: Ich hab ihn nie gesehen.
JERONIMUS: Ich habe sichre Proben doch, daß er Dich kennt?
AGNES: Mich?
GERTRUDE: Unsre Agnes? Und woher?
JERONIMUS: Wenn ich nicht irre, sah ich einen Schleier, Den du zu tragen pflegst, in seiner Hand.
AGNES (verbirgt ihr Haupt an die Brust ihrer Mutter): Ach, Mutter. –
GERTRUDE: O um Gotteswillen, Agnes, Sei doch auf deiner Hut. – Er kann dich mit Dem Apfel, den er dir vom Baume pflückt, Vergiften.
JERONIMUS: Nun, das möcht ich fast nicht fürchten Vielmehr – Allein wer darf der Schlange traun. Er hat beim Nachtmahl ihr den Tod geschworen.
AGNES: Mir? Den Tod?
JERONIMUS: Ich hab es selbst gehört.
GERTRUDE: Nun sieh, Ich werde wie ein Kind dich hüten müssen. Du darfst nicht aus den Mauern dieser Burg, Darfst nicht von deiner Mutter Seite gehn.
EIN DIENER (tritt auf): Gestrenger Herr, der Mörder ist nicht tot. Der Wundarzt sagt, die Wunde sei nur leicht.
SYLVESTER: Ist er sich sein bewußt?
EIN DIENER: Herr, es wird keiner klug Aus ihm. Denn er spricht ungehobelt Zeug, Wild durcheinander, wie im Wahnwitz fast.
JERONIMUS: Es ist Verstellung offenbar.
SYLVESTER: Kennst du Den Menschen?
JERONIMUS: Weiß nur so viel, daß sein Namen Johann, und er ein unecht Kind des Rupert, – Daß er den Ritterdienst in Rossitz lernte, Und gestern früh das Schwert empfangen hat.
SYLVESTER: Das Schwert empfangen, gestern erst – und heute Wahnsinnig – sagtest du nicht auch, er habe Beim Abendmahl den Racheschwur geleistet?
JERONIMUS: Wie alle Diener Ruperts, so auch er.
SYLVESTER: Jeronimus, mir wird ein böser Zweifel Fast zur Gewißheit, fast. – Ich hätts entschuldigt, Daß sie Verdacht auf mich geworfen, daß Sie Rache mir geschworen, daß sie Fehde Mir angekündigt – ja hätten sie Im Krieg mein Haus verbrannt, mein Weib und Kind Im Krieg erschlagen, noch wollt ichs entschuldgen. Doch daß sie mir den Meuchelmörder senden, – Wenns so ist –
GERTRUDE: Ists denn noch ein Zweifel? Haben Sie uns nicht selbst die Probe schon gegeben?
SYLVESTER: Du meinst an Philipp –?
GERTRUDE: Endlich siehst dus ein! Du hast mirs nie geglaubt, hast die Vermutung, Gewißheit, wollt ich sagen, stets ein Deuteln Der Weiber nur genannt, die, weil sies einmal Aus Zufall treffen, nie zu fehlen wähnen. Nun weißt dus besser. – Nun, ich könnte dir Wohl mehr noch sagen, das dir nicht geahndet. –
SYLVESTER: Mehr noch?
GERTRUDE: Du wirst dich deines Fiebers vor Zwei Jahren noch erinnern. Als du der Genesung nahtest, schickte dir Eustache Ein Fläschchen eingemachten Ananas.
SYLVESTER: Ganz recht, durch eine Reutersfrau aus Rossitz.
GERTRUDE: