Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
"Was verbindest du mit dem Herbst?" Diese Frage haben sich die Mitglieder unserer Community gestellt und ihre Antworten in stimmungsvollen Kurzgeschichten und Illustrationen umgesetzt. Da ist für jeden etwas dabei: Von der niedlichen Kindergeschichte bis hin zu Grusel, sowohl in Fantasywelten als auch in der Realität - dabei wird es romantisch und tragisch, witzig und spannend. Die Kurzgeschichtensammlung bietet Lesestoff für alle Altersklassen und Genrevorlieben. Entsprechende Kennzeichnungen zu jedem Titel ermöglichen bereits vor dem Lesen, das Genre und das empfohlene Lesealter der 30 Geschichten einzuordnen. Geschichten, so bunt wie das Herbstlaub!
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 277
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Mitwirkende Autor:innen
Alexandra Franze
Anastrelle
Ann Ja
Bianca Tost
Caitriona Collins
Frank Bünnig
HallowGazer
Ina Lindauer
Isotopic
Jaclyn Kästl
Jessicy Bartel
J. M. Martini
Judith Wolfertstetter
Kisa Ness
Mitsuki Kibouno
Sakura Kuromi
Sharwyn
Shino Tenshi
Soerbuddha
Sophie Schuster
Stefan Emmerichs
Suki
Tonja Wolf
Verena Binder
Yamato Ôkami
Yui Spallek
Lektoriert durch
Sophie Schuster
Yamato Ôkami
Tonja Wolf
Coverdesign durch
HallowGazer
Buchsatz durch
BinDer Buchsatz,
www.binder-buchsatz.de
VORWORT
W&S E.V.
CN
FSK
FSK 0
Vergänglichkeit © Yui Spallek
Binas liebste Jahreszeit © Suki
Der großartige Ritter Edelwin und der Kürbisgolem © Suki.
Kater im Herbstlaub © Sophie Schuster
FSK 6
Von Knistervögeln und Flügeldrachen © Tonja Wolf
Von Flügeldrachen und Knistervögeln © Tonja Wolf
Ein ganz besonderer Herbstspaziergang © Sakura Kuromi
Herbstzauber © Jessica Bartel
FSK 12
Herbstgeständnisse © Mitsuki Kibouno
Lost Places © Caitriona Collins
Annies Halloween © Sophie Schuster
Der goldene Schein des Herbstes © Anastrelle
Warten auf den Sommer © Judith Wolfertstetter
Findest du mich schön? © Yamato Ôkami
Das Fest der Bindung © Verena Binder
Lämmerich, Kämmerich, Pummelich © Kisa Ness
Schmatzender Matsch © Sharwyn
Silberfaden: Das Erbe der Kahruder © Isotopic
Zeit © Ann Ja
Das Päckchen, das den Weg verändert © Alexandra Franze
Altes Blut © Stefan Emmerichs
Wenn die Blätter fallen © Bianca Tost
Wenn die Masken fallen © Ina Lindauer
Reinigende Verderbnis Teil 1 © Frank Bünning
Reinigende Verderbnis Teil 2 © Frank Bünning
FSK 16
Drei Finger © Sharwyn
Geliebte des Herbsts © Shino Tenshi
Verschlingende Dunkelheit © Shino Tenshi
In deinem Tagebuch © Jaclyn Kästl
Der Herbstwald © Yui Spallek
STECKBRIEFE
Herbst.
Die bunten Blätter segeln zu Boden und rascheln unter den Füßen. Das Licht der Nachmittagssonne fällt durch das Blätterdach. Reife Früchte leuchten in saftigen Farben an den Bäumen. Traumhaftes Wetter für Fantasy-Lektüre nach dem Spaziergang!
Trüber grauer Himmel über der Stadt. Darf es vielleicht ein bisschen Romantik oder Humor sein, um Farbe in deinen Tag zu bringen?
Nebel und Regen sind vom heimischen Sofa aus betrachtet einfach viel gemütlicher. Die ideale Stimmung, um zuhause zu bleiben und dort Spannung und Grusel zu genießen!
Was bedeutet der Herbst für dich?
Hol dir deine liebste Kuscheldecke, Knabbereien und ein Heißgetränk deiner Wahl. Mach es dir bequem und lass dich mit 30 herbstlichen Geschichten in fremde Welten entführen!
Geschichten von glücklichen Autor:innen
Der Word and Shield e.V. ist ein deutschlandweites Autor:innennetzwerk mit Ursprung in München. Unsere Autor:innen bewegen sich oft abseits des Mainstreams, viele von ihnen sind neurodivers oder queer. Jeder ist willkommen! Nur der Hass muss draußen bleiben.
Auch Lektor:innen, Grafiker:innen, und Illustrator:innen können sich bei uns untereinander und mit Autor:innen vernetzen. Unsere Community ist eine Plattform für den Austausch von, mit und über Geschichten.
Auch die Förderung von Schreibanfängern ist uns ein Anliegen. Deshalb halten wir regelmäßig Schreibworkshops, sowohl online als auch vor Ort im Rahmen diverser Jugendkultur-Veranstaltungen. Für Mitglieder unserer Community organisieren wir ein eigenes jährliches Treffen zum gemeinsamen Schreiben. Eines unserer Herzensprojekte sind außerdem Kurzgeschichtensammlungen wie diese hier.
Discord
Über Content Notes
Bitte beachtet, dass die Texte in unsererer Anthologie von unterschiedlichen Autor:innen aus unterschiedlichen Genres kommen. Manche sind zuckersüß, andere ernst oder sogar »heftig«. Damit wir euch nicht mit potentiellen Triggern in unangenehme Lesemomente bringen oder ihr nicht schlicht in unerwartete Szenen geratet, die ihr mit einem kleinen Hinweis übersprungen hättet, kennzeichnen wir unsere Geschichten mit einer Contentampel wie folgt:
Erwähnung
Das Thema wird im Erzähltext oder nebenbei erwähnt.
Thematisierung
Das Thema wird konkret thematisiert und besprochen.
Darstellung
Das Thema wird beschrieben und dargestellt.
Altersempfehlungen
In der Buchbranche sind Altersempfehlungen nicht üblich. Dennoch möchten wir unsere Geschichten nach gewissen Richtlinien einordnen, die angeben, wie stark bedrohliche Momente, Gewalt, Schimpfworte und sexuelle Färbungen in den Geschichten vertreten sind.
!!! verstörend/verzerrte Romantisierung/Verharmlosung
Es war einmal ein Blatt, das an einem großen und mächtigen Ahornbaum geboren wurde. Es war noch gar nicht solange her, dass es sich aufgerollt und gestreckt hatte, da spürte es, wie seine saftige grüne Farbe einem warmen Gelb wich. Und ehe es sich versah, wurde daraus orange.
Dieser Farbwechsel störte das Ahornblatt jedoch nicht. Ganz im Gegenteil. Es liebte diese Veränderung und fragte sich jeden Tag und jede Stunde aufs Neue, ob es wohl auch noch irgendwann in so einem tollen Rot leuchten würde, wie es manche in seiner Blattfamilie bereits taten. Und tatsächlich: einige Zeit später mischten sich Rottöne in sein Orange. Hätte das Ahornblatt rote Bäckchen bekommen können, so hätten diese vor Freude sicher genauso geleuchtet. Zufrieden genoss es die Verbindung zu seinem Ast und sonnte sich in der Herbstsonne. Wenn es regnete, sog es das frische Wasser durch seinen Stiel und seine Oberfläche auf, um sich zu erfrischen.
Vermutlich hätte das Ahornblatt so weitergelebt, wenn es nicht eines schönen Tages so heftig geweht hätte, dass es sich nur mit größter Anstrengung an seinem Ast festhalten konnte. Der Wind beutelte es hin und her und die Kräfte des mittlerweile fast ganz roten Ahornblattes schwanden. Wenn das so weiterging, würde es sich nicht mehr lange halten können. Als der Wind nicht nachließ, passierte es schließlich. Der Sturm zupfte das Ahornblatt und weitere seiner Nachbarn ab. Dem Ahornblatt wurde ganz schwindelig, als es hin und her geschleudert,gedreht und weit weggetragen wurde.
Als der Wind endlich nachließ und es sanft zu Boden segelte, war das Ahornblatt erst einmal erleichtert und gönnte sich eine Pause, indem es einfach nur dalag. Es suchte keine Windböe und machte sich keine Gedanken mehr. Das konnten ein paar Stunden oder mehrere Tage gewesen sein, als es plötzlich Stimmen vernahm.
»Mama, schau! Ganz viele bunte Blätter.«
»Ja, die sind wirklich schön. Sollen wir Papa einen Blattstrauß mitbringen?«
»Jaa!« Und ehe sich das Ahornblatt versah, wurde es hochgehoben. Das ging zwar nicht so geschwind wie der Sturmwind, aber da es länger gelegen hatte, verlor es kurz erneut die Orientierung, bevor es weitere Blätter verschiedenster Art in seinem Rücken spürte.
Das Ahornblatt verstand zwar nicht so genau, was gerade mit ihm passierte, aber auf einmal gab es sich Mühe, ganz besonders schön zu leuchten und seine orangerote Farbe zum Vorschein zu bringen. Dadurch bekam es kaum mit, wohin es getragen wurde. Es kam erst wieder zu sich, als es beinahe aus einem merkwürdigen Ding gefallen wäre, in das es gesteckt wurde.
»Mama, die Vase ist zu klein.«
»Warte, wir nehmen eine andere.«
Als das Ahornblatt schließlich wieder ruhte – zwei andere Blätter immer noch in seinem Rücken – wurde es etwas müde. Es beschloss, sich seiner Müdigkeit hinzugeben. Obwohl ihm gerade die frische Luft, das Sonnenlicht und seine Wasserversorgung fehlten. Vermutlich war es deswegen so schnell erschöpft.
»Das hier ist ganz besonders schön.« Das Ahornblatt erwachte ruckartig, als es das Gefühl hatte, wieder zu schweben und gab sich erneut Mühe zu strahlen, um sich von seiner besten Seite zu zeigen.
»Das ist ein Aorblatt.«
»Du meinst, ein Ahornblatt, Liebes. Ja, das stimmt.«
»A … hon … blatt.«
Die Erwähnung seines Namens erfreute das Blatt sehr und es streckte sich noch etwas mehr.
»Wie wäre es, wenn wir ihm einen eigenen Platz geben? Oder du könntest es in dein Album kleben und ich zeige dir, wie man Ahornblatt schreibt?«
»Au ja!«
Das Ahornblatt verstand nicht, was danach mit ihm geschah, doch es spürte kurz darauf ein Ziehen am Rücken und ein Reißen, als eine seiner Spitzen einriss, bevor es an etwas haften blieb. Rühren konnte es sich nun nicht mehr. Aber irgendwie war das gar nicht so schlimm. Etwas strich sanft ein paar Mal über es drüber und das ließ es die Schmerzen schnell vergessen.
Als es schließlich dunkel um das Ahornblatt herum wurde, begann es sich zu entspannen und schlief erschöpft ein.
Erneut wusste es nicht, wann es aufwachte und wann es plötzlich wieder dunkel wurde. Das passierte oft ganz schnell und ohne Vorwarnung. Doch immer, wenn es seinen Namen hörte, oder etwas sanft über es hinweg strich, da bemühte es sich, noch schöner zu leuchten als zuvor.
Doch von Mal zu Mal wurde es anstrengender und das Ahornblatt sah immer seltener Licht. Meist nur ganz kurz, bevor es einmal herumgewirbelt wurde und auf der Nase landete. Dazu fühlte es sich auch nicht mehr so kräftig wie zuvor und es spürte, wie auch seine Farbe immer mehr schwand. Seine Ränder wurden braun und schmerzten manchmal, bevor ein Teil seiner Blatthaut abfiel.
Traurig war das Ahornblatt deswegen nicht. Es wurde nur immer müder und müder und schwelgte oft in Erinnerungen an sein Aufblühen, seine Reise mit dem Sturm und die Stimmen, die es bewundert hatten.
Da es nicht mehr fallen konnte, sondern seine Überreste immer noch an etwas festhingen, machte sich das Ahornblatt schließlich keine Mühe mehr, sich zu strecken und zu präsentieren. Es wollte irgendwann einfach nur noch schlafen und von einem neuen ersten Sonnenaufgang träumen. Und so geschah es, dass das Ahornblatt schließlich einschlief und nicht mehr erwachte.
»Papa, warum hat das Ahonblatt seine Farbe verloren?«
»Weil nichts ewig Bestand hat, mein Kind. So, wie das Blatt seine Farbe wechselt und schließlich verliert, so vergehen auch alle anderen Dinge auf dieser Welt.«
»Was heißt vergehen?«
»Das lernst du noch früh genug, mein Schatz. Erinnere dich nur immer an das leuchtend schöne Rot des Ahornblattes, das du erleben durftest, und du wirst lernen, was es heißt, zu leben.«
Aufgeregt schaut Bina dabei zu, wie Emma, die Bibliothekarin, das Kalenderblatt umschlägt. Jetzt zeigt es das Datum von morgen an: den 1. Oktober. Die junge Frau lächelt ein bisschen, dann packt sie ihre Sachen zusammen und geht nach Hause.
Sobald sich die Tür zur Bibliothek schließt, springt die kleine Biboldin hinter den Fantasy-Büchern hervor, rückt ihren Hut voller Sterne zurecht und macht sich über die Kisten mit Deko her, die Emma auf dem Tisch hat stehen lassen.
»Ich liebe den Herbst! Bunte Blätter, Kastanien und gaaaanz viel heiße Schokolade. Und natürlich Halloween«, schwärmt sie und zieht ein großes altes Buch aus einem Karton.
»Was ist das hier?« Sie dreht sich zu ihren Freunden um und sieht, wie Elvis Muhsashi,
dem Samurai in der kuhgefleckten Yukata, auf den Tisch hilft. Elvis ist ein grüner Bibold mit einem Entenschnabel und einer Elvis-Frisur. Das Kind, das ihn erschaffen hat, liebte den Musiker Elvis Presley und Comics, vor allem die mit Donald Duck und Micky Maus. Deswegen trägt Elvis auch eine Latzhose. Also, behauptet er jedenfalls.
Muhsashis Ursprung ist ein Buch, das ein Samurai namens Musashi Miyamoto geschrieben hat. Das Kind, das dieses Buch gelesen hat, hat sich Musashi immer als Kuh vorgestellt, weil es den Namen als Muh-sashi gelesen hat. Muhsashi trägt daher einen Yukata mit Kuhflecken und ist mit Hörnern und einem Schwanz ausgestattet.
Die beiden schauen jetzt zu Bina und sehen das Buch, welches Bina in der Hand hält.
»Ach, stimmt ja, du bist ja noch gar nicht so lange bei uns. Da sind gepresste Blätter drin«, erklärt Elvis und hilft Bina, das Buch zu öffnen. Staunend holt sie ein großes, rot-gelbes Ahornblatt zwischen den Seiten hervor und schaut es fasziniert an.
»Gibt es in deinen Büchern viele Herbstgeschichten?«, fragt Muhsashi nachdenklich und zieht eine Kerze aus dem Karton, die wie ein Kürbis aussieht. Bibolde wie Bina, Elvis und Muhsashi werden aus der Liebe zu Büchern geboren und leben daher, so wie diese drei, meist in Bibliotheken.
»Natürlich! Immerhin bin ich ja auch eine Hexe! Hexen und Halloween gehören ja praktisch zusammen!«, erklärt Bina entrüstet und deutet auf ihren Hexenhut und den Umhang, um ihn daran zu erinnern.
»Tut mir leid, Musashi-sama bezieht sich in seinen Werken nicht auf Hexen und Halloween«, entschuldigt Muhsashi sich sofort, legt die Hände zusammen und verbeugt sich wie ein kleiner Samurai, aus deren Geschichten er entstanden ist. Dann streicht er seinen Yukata glatt und greift erneut in den Karton. Dieses Mal findet er eine ordentlich aufgerollte Girlande aus Fledermäusen.
»Die hängt die alte Bibliothekarin Sue immer hinter der Theke auf«, erklärt Opa König, der sich jetzt ebenfalls auf der Theke eingefunden hat.
»Sie lässt mich gerne helfen, weil sie dann mehr Zeit für die Bücher hat. Vielleicht können wir ihr diesmal alles abnehmen? Immerhin kann Bina ja Sachen schweben lassen«, schlägt Opa König mit einem sanften Lächeln vor.
Bina, Muhsashi und Elvis sind begeistert! Sue schließt morgen die Bibliothek auf, also können sie schalten und walten, wie sie wollen! Sues Opa hat Opa König geschaffen, weil er ihr immer Märchen vorgelesen hat, daher weiß Sue von der Existenz der Bibolde.
Schnell packen die flinken Wesen auch noch die restlichen Kartons aus. Süßigkeiten, noch mehr Kürbiskerzen und sogar eine Hexe auf einem Besen! Bina ist absolut hin und weg! Sie bekommt die Aufgabe, die Spinnennetze überall zu verteilen. Die kleine Hexe ist ziemlich nervös. Sie hebt die Hände, fixiert die Spinnweben mit ihrem Blick und ruft dann laut ihre Zauberformel.
»Leviosa Hex!« Die Spinnweben beginnen rot zu schimmern und bewegen sich tatsächlich in die Luft. Vorsichtig dirigiert die kleine Hexe sie in die Ecken der Bibliothek und auch an ein paar Bücherregale, aber bei allen klappt es leider nicht. Bina schimpft ein bisschen, dann ruft sie Merlin. Merlin ist ihr Begleiter, ein ziemlich runder weißer Kater, mit grau-braun gestreiften Flecken. Er maunzt leise, als sie sich auf seinen Rücken setzt und auf ihm die Regale hochspringt. Oder zumindest versuchen sie es, denn Merlin schätzt die Entfernung falsch ein und knallt mit dem Bauch gegen die Kante des Regals. Nur mit viel Mühe und unter Einsatz seiner Krallen kann er sich auf das Regal ziehen und verhindert damit, dass sie abstürzen. Klagend miaut er Bina an, die ihn entschuldigend zwischen den Klappohren krault. Dann zupft sie das Spinnennetz zurecht und lässt sich von ihrem Freund auch noch zu den anderen bringen, die nicht so gut kleben bleiben wollten. Diesmal stellt er sich viel besser an, und als die beiden zu den anderen zurückkehren, sind Muhsashi und Elvis gerade damit beschäftigt, eine Schüssel mit kleinen schwarzen Schoko-Katzen zu füllen. Opa König schwebt in seinem Sessel in einer Ecke und befestigt eine Spinne an einem besonders großen Netz.
Sobald die Schüssel voll ist, zieht Muhsashi sein Katana, sein japanisches Langschwert, mit dem er Samurai-gerecht die Deckel von den Zierkürbissen schneidet, die Sue am Vormittag vorbei gebracht hat.
Bina hat noch nicht richtig verstanden, warum Muhsashi zwei Schwerter als seine Begleiter ausgewählt hat. Er hätte schließlich auch eine Katze haben können! Oder einen fliegenden Thron wie Opa König oder eine Ente oder eine fliegende Kanonenkugel. Er behauptet, dass das irgendwas mit der Ehre eines Samurais zu tun hat oder so. Aber was auch immer die Gründe dafür sind: Im Moment sind die Schwerter ziemlich praktisch! Die Cuttermesser dürfen die Bibolde nämlich nicht benutzen. Die sind viel zu gefährlich.
Elvis hat sich einen Löffel aus der Kaffeeküche geholt und beginnt jetzt, die Kürbisse auszulöffeln, während Muhsashi zufrieden muhend Gesichter darauf malt. Bina will ihm eigentlich gerne dabei helfen, aber Opa König ruft sie zu sich.
»Was gibts denn, Opa?«, fragte sie ihn gespannt und zappelt vor Aufregung.
»Wir müssen noch die Bücher für die Herbstausstellung aussuchen. Du bist eine Expertin in Sachen Herbst und Halloween, möchtest du das vielleicht übernehmen?« Bina strahlt übers ganze Gesicht und flitzt los. Wie alle Bibolde weiß sie natürlich ganz genau, wo Bücher stehen, die zu ihrem Thema gehören. In Windeseile fegt sie durch alle Abteilungen und schon bald stapeln sich die Bücher auf dem Ausstellungstisch. Bastelbücher für Kürbislaternen, Anleitungen zu Kastanientieren, die ersten Bücher mit Strickanleitungen für Mützen und Schals, eine Anthologie und natürlich Berge an Kinderbüchern für alle Altersklassen finden sich ein. Es gibt sogar ein paar Krimis, die zur Halloweenzeit spielen und zwei Liebesromane. Natürlich dürfen auch Koch- und Backbücher nicht fehlen und sobald Bina alle Harry-Potter-Bände herbei geschleppt hat, ist sie endlich zufrieden.
Elvis ist inzwischen fertig mit dem Auslöffeln der Zierkürbisse und betrachtet mit kritischem Blick die Bücher. Dabei klappert er ein bisschen mit seinem Schnabel.
»Nak nak nak, da sind aber gar keine Horrorspiele dabei«, stellt der grünhäutige Enterich fest.
»Dabei haben wir sooo viele Horrorspiele!«
Bina schüttelt entsetzt den Kopf.
»Halloween ist doch nicht nur Horror! Und überhaupt: Die bösen Spiele stehen ganz oben im Regal, damit niemand dran kommt, der noch zu jung dafür ist. Und so soll es auch bleiben!«, erklärt die kleine Hexe bestimmt.
»Emma hat die Pilze vergessen!«, ertönt von der Theke eine erschrockene Stimme. Es ist Muhsashi, der eigentlich gerade dabei ist, die Kürbisse zu schnitzen.
»Ich wusste es, hier fehlt etwas!« Bina schaut sich um und muss ihm recht geben. Momentan sieht es hier zwar schon ganz schön nach Halloween aus, aber das ist erst in ein paar Wochen.
»Die Pilzkiste muss noch im Büro sein«, überlegt Elvis laut und Bina schaut verwirrt zwischen den beiden hin und her.
»Es gibt wirklich eine ganze Kiste mit Pilzen?«
»Und mit Eicheln und Kastanien und Tannenzapfen und Igeln«, erklärt Elvis.»Komisch, dass das Buch mit den Blättern in der anderen Kiste war.«
»Letztes Jahr hat die Praktikantin die Herbstdeko weggeräumt«, erinnert Muhsashi ihn. Er hat von allen Bibolden, die in dieser kleinen Bibliothek leben, das beste Gedächtnis.
»Ich will auch endlich mal einen Praktikanten sehen«, beschwert sich Bina.
»Wir bekommen mal wieder einen. Jetzt holen wir erstmal die Pilzkiste«, lenkt Opa König die Aufmerksamkeit seiner drei kleinen Mitkobolde zurück zum eigentlichen Thema.
Die vier machen sich auf den Weg zum Büro, das gleichzeitig Lagerplatz für allen möglichen Kram ist, den Sue und Emma so brauchen. Bina war noch nicht so oft hier, deswegen ist sie immer wieder fasziniert von dem kleinen Raum. Neben zwei Tischen mit Computern, einer winzigen Küchenecke und einer Menge Kisten gibt es auch hier natürlich viele Bücher. Manche davon waren Geschenke der Leser, oft sind es Ersatzexemplare für beliebte Bücher. Emma bewahrt sie auf, damit kaputte Lieblingsbücher schnell ersetzt werden können. Aber auch alle neuen Bücher und Spiele landen erst einmal hier, weil es eine Weile dauert, bis sie in die Regale draußen wandern können. Normalerweise ist das Büro sehr aufgeräumt, doch im Moment stehen ziemlich viele Kartons auf Emmas Schreibtisch. Wahrscheinlich hat sie sie zur Seite geräumt, um an die Kisten mit der Herbstdeko zu kommen.
»Ich habe sie gefunden!«, ruft Elvis laut. Er, Muhsashi und Opa König sind schon vorgelaufen, um nach der Pilzkiste zu suchen. Sie waren schon viel öfter hier als Bina.
»Kein Wunder, dass Emma die Pilzkiste übersehen hat. Sie steht ja mitten zwischen Weihnachten!« Muhsashi klingt verärgert, aber das ist ja auch kein Wunder - der Samurai legt sehr viel Wert auf Ordnung. Ein kurzes, peitschendes Geräusch ertönt und Bina zuckt erschrocken zusammen. Sie schaut sich um und stellt schnell fest, dass es Muhsashis Kuhschwanz war, der das Geräusch verursacht hat. Beruhigend tätschelt Opa König ihn zwischen seinen Hörnern.
»Dafür sind wir ja da, wir haben sie gefunden«, sagt er sanft. Muhsashi streicht die Kuhflecken auf seinem Yukata glatt, atmet tief durch, legt die Hände zusammen und verbeugt sich.
»Danke, Opa. Ich habe mich wieder beruhigt«, versichert er. Dann machen die vier sich daran, die Kiste in die Bibliothek zu bringen.
Während Muhsashi sich hinsetzt, um auch die restlichen Kürbisse fertig zu schnitzen, dekorieren Bina, Elvis und Opa König die Bibliothek fertig. Bina schnappt sich ein paar Pilze und stellt diese zu einer Gruppe auf den Tisch mit den Büchern. Sie legt auch eine Hand voll Kastanien und Eicheln dazu. Sue wird die Bücher morgen aufbauen und Bina will, dass sie die braunen Baumfrüchte einfach dazwischen verteilt. Dann setzt sie einen Igel auf die Theke und legt ihm einen Tannenzapfen zwischen die Stacheln. Die gepressten Blätter haben sie vorn an der Theke aufgehängt, aber Elvis findet noch bunt bemalte Blätter aus Papier, die Emma mit den Kindern letztes Jahr gebastelt hat. Die kleinen Kobolde beschließen, sie an langen Bindfäden von der Decke hängen zu lassen.
Zufrieden klettert Bina auf das Regal mit den Fantasy-Romanen und lässt ihren Blick über die Bibliothek schweifen. Überall fallen Blätter von der Decke, es gibt bei den Ausstellungsregalen kleine Ecken mit bunten Servietten, auf denen die Kleinen Pilze, Tannenzapfen und Kürbisse platziert haben. Die Kürbisse haben sie mit elektrischen Teelichtern bestückt. In den Ecken der obersten Regale lauern Plastikspinnen in ihren Netzen und manchmal hängen sie auch einfach an einem Faden von einem Brett und schaukeln im Hauch der Bewegung. Sie haben neben der Papiergirlande hinter der Theke auch noch andere Fledermäuse aufgehängt, besonders gerne an den Schildern, die überall Hinweise geben. Sogar einen Strauß mit getrockneten Hagebuttenzweigen und Lampionblumen haben sie in einer großen Vase neben der Theke aufgebaut.
Insgesamt sieht die Bibliothek wunderbar herbstlich aus, mit genau der richtigen Menge an Halloween. Ein paar der gruseligeren Dekorationen haben sie wieder in eine der Kisten gepackt, die werden erst in der Woche vor Halloween aufgebaut. Auch die Hexe mit dem Besen ist zu Binas großem Bedauern dabei. Bina schaut zur Uhr über der Tür und bekommt große Augen.
»Hey, jetzt ist endlich der erste Oktober!«, ruft sie glücklich und dreht sich zu ihren Freunden um. Aber Muhsashi und Elvis haben sich schon auf dem falschen weichen Moos zusammengerollt, das sie um die Vase ausgebreitet haben. Als Bina genauer hinschaut, sieht sie, dass die beiden längst eingeschlafen sind. Auch Opa König hat sich in seinem Sessel hingelegt und schnarcht leise vor sich hin, die Krone auf seinem Schoß liegend.
Bina gähnt und nimmt ihre Brille ab, um sich die Augen zu reiben, dann geht sie zu ihren Freunden und kuschelt sich dazu. So munter, wie die drei den ganzen Abend rumgetobt sind, so müde hat es sie auch gemacht. Zufrieden mit sich selbst und ihren Freunden schließt Bina die Augen und schläft schnell ein. Sie träumt von der schönsten Jahreszeit von allen: dem Herbst!
Sei gegrüßt! Schön, dass du hierher gefunden hast. Ich bin Berti, der Knappe des großartigen Ritters Edelwin. Du hast sicher schon mal von ihm gehört, denn er ist der größte Held aller Zeiten! Die Geschichte, die ich dir heute mitgebracht habe, handelt davon, wie der großartige Ritter Edelwin einmal einen Kürbisgolem bezwungen hat. Naja, nicht irgendeinen Kürbisgolem, sondern den von Emily. Aber ich greife zu weit vor, also fangen wir am Anfang der Geschichte an.
Die Geschichte beginnt damit, dass Emily uns zu einem Fest eingeladen hat. Sie ist die Tochter eines Schwarzmagiers, der das Dorf terrorisiert hat und hatte uns damals um Hilfe gebeten, ihren Vater aufzuhalten. Wir waren gerade auf der Durchreise und wenn jemand Hilfe braucht, müssen wir natürlich helfen. Seitdem versucht Emily, sich in das Dorf zu integrieren. Die Dorfbewohner sind ihr gegenüber noch ein bisschen kritisch, weil sie so viel Chaos verursacht. Aber ich meine, sie ist die Tochter eines Schwarzmagiers, was erwarten die Leute?
Jedenfalls hat Emily versprochen, ein Erntedankfest für das Dorf auszurichten, uns dafür eingeladen und um Hilfe gebeten. Denn was wäre das tollste Fest der Welt ohne den tollsten Ritter aller Zeiten? Genau: langweilig.
Unsere Freundin war mit ihren Vorbereitungen noch nicht besonders weit gekommen, als wir das Dorf erreichten. Es war aber auch noch ein ganzer Tag Zeit. Als erstes bat sie uns, Kürbisse zu besorgen, denn Erntedank ohne Kürbisse geht ja wohl gar nicht!
Also haben der großartige Ritter Edelwin und ich uns aufgeteilt und versucht, jemanden zu finden, der Kürbisse verkauft oder verschenkt. Bei mir lief das nicht so besonders gut. Anscheinend hatte Emily versucht, etwas gegen die Trockenheit auf den oberen Feldern zu unternehmen und dabei versehentlich ein Schneegestöber herbeigerufen. Die Kürbisse haben das nicht besonders gut aufgenommen und sind erfroren. Erfrorene Kürbisse sind ziemlich matschig, deswegen ist es nicht so schlimm, dauernd damit beworfen zu werden. Trotzdem war ich ziemlich enttäuscht, als ich ohne Kürbisse zurückkam. Aber natürlich hätte ich mir keine Sorgen machen müssen, denn der großartige Ritter Edelwin hatte selbstverständlich Erfolg! Er hatte tatsächlich einen Kürbis mitgebracht! Ja gut, es war nur einer und der war auch nur so groß wie ein Kopf, aber immerhin! Nur leider hätte der niemals für so viel Kürbissuppe gereicht. Emily bedankte sich trotzdem bei uns und schickte mich dann baden.
Als ich auf dem Rückweg vom Fluss war, hörte ich ein paar laute Geräusche und Pegasus, der Schimmel meines Meisters, wieherte ganz aufgeregt. Also rannte ich natürlich sofort los. Eigentlich hatte ich schon so eine Ahnung, was passiert sein könnte. Bei Emily gilt nämlich immer: Stell dir das Verrückteste vor, was passieren kann und das passiert dann auch. Ich war also darauf vorbereitet, dass wir gegen einen Kürbisgolem kämpfen mussten, weil Emily ganz sicher versuchen würde, genug Kürbis für alle herbeizuzaubern.
Und das war ein Kürbisgolem, sag’ ich dir! Er war riesengroß mit einem geschnitzten Gesicht und Ranken als Beinen und einer Axt im Kopf! Ich hatte mich also erstmal versteckt und nach dem großartigen Ritter Edelwin gesucht. Dabei musste ich aber auch sehr gut aufpassen, weil überall Innereien vom Kürbis herum lagen und der Golem noch mehr davon ausgespuckt hatte. Gefunden hatte ich schließlich Pegasus, der gemütlich an einem Haufen Kürbisinnereien fraß.
Stell dir also meine Überraschung vor, als ich den Schimmel frage, ob es ihm gut ginge, und stattdessen der Kürbishaufen antwortete:
»Mein treuer Berti, wie schön, deine Stimme zu hören! Würde es dir etwas ausmachen, mich zu befreien? Die Kürbispampe ist ziemlich fest.«
»Großartiger Ritter Edelwin! Natürlich, ich hole sofort meinen Spaten!« Denn dass ich den brauchen würde, stand außer Frage.
Sobald ich also meinen Herrn und Helden befreit hatte, versteckten wir uns hinter Pegasus.
»Was machen wir denn jetzt? Und wo ist eigentlich Emily?«, fragte ich den Ritter, während ich Kürbis von seiner Rüstung wischte. Die Flecken aus dem Umhang zu kriegen hat ewig gedauert, sag’ ich dir! Stundenlang habe ich geschrubbt und… Oh, ich schweife schon wieder ab, tut mir leid!
»Emily legt gerade einen Bannzauber um das Feld, damit die Dorfbewohner nicht herkommen können. Das ist sehr heldenhaft von ihr!«, erklärte der großartige Ritter Edelwin und hatte dabei natürlich vollkommen Recht. Mit Bannkreisen kennt Emily sich auch wunderbar aus und da geht nichts schief, weil die zum Tagesgeschäft von Schwarzmagiern gehören.
Nur leider löste das unser Problem nicht. Ich habe also versucht, mich zwischen dem ganzen Kürbis näher an das Monster heranzuschleichen, weil ich versuchen wollte, eine Schwachstelle zu finden. Bei einem Versuch blieb es dann nur leider auch, weil der Golem mich gleich bemerkte und ich nur ausweichen konnte, weil ich mich hinter einem Strohballen versteckte. Außer ein paar von den Dingern gab es auf dem abgeernteten Weizenfeld nämlich nichts. Aber der großartige Ritter Edelwin wäre nicht der großartige Ritter Edelwin gewesen, wenn er die Situation nicht gleich erkannt und genutzt hätte! Mit seinem Großschwert und einem heldenhaften Schrei stürmte er auf den Kürbisgolem zu, wich mit einer gekonnten Rolle einem Schwall Kürbispampe aus und… verwandelte sich in einen Haufen weiße Mäuse!
Also, das mit den Mäusen hatte er nicht geplant, das ist nur passiert, weil Emily versucht hat, ihm zu helfen. Sie wollte ihm einen Schutzschild verpassen, glaube ich.
Aber es hat trotzdem funktioniert, weil der Kürbisgolem unheimlich erschrocken ist. Die Horde Mäuse hat sich nicht davon stören lassen, dass sie gerade eben noch der tollste Held der Welt war und hat direkt angegriffen. Da mein Herr eine gründliche Ausbildung im Rittertum bekommen hatte, griffen die Mäuse sogar in Formation an! Das war ein tolles Schauspiel. Die Mäuse waren so klein und flink, dass der Golem sie nicht erwischen konnte und für jede, die er doch erwischt hatte, kamen gleich fünf nach.
Weil der Golem so gut abgelenkt war, hatte ich einen guten Blick auf den Kampf, denn um mich scherte er sich plötzlich gar nicht mehr. Auch nicht um Emily, die sofort begann, sich endlos zu entschuldigen und laut überlegte, wie sie die weiße Mäuseschar wieder in unseren Helden verwandeln konnte.
Weißt du, eigentlich war es sogar gut, dass es so viele Mäuse gab, weil die Hälfte davon den Golem ablenken konnte, während der Rest anfing, seine Ranken wegzuknabbern. Irgendwann konnte das Kürbismonster nicht mehr stehen, weil die großartigen weißen Mäuse genug Ranken aufgefuttert hatten, und fiel einfach um. Seine Augen haben noch eine Weile gruselig geflackert, aber dann gab es ein lautes Puff und das Gesicht war weg.
Da lag nur noch ein gigantischer Kürbis. Und überall verteilt Ranken und Kürbispampe. Die Mäuse haben dann alle ihre rechte Pfote in die Luft gestreckt und laut gerufen:
»Die Gerechtigkeit hat gesiegt! Nimm das, schurkenhafter Schabernack!«
Also, zumindest glaube ich, dass sie das gerufen haben, ich kann nämlich keine Maussprache. Aber ich kenne den großartigen Ritter Edelwin inzwischen nun einmal sehr gut und das ist exakt, was er in so einem Moment gesagt hätte.
Emily hat es dann mit ein paar Anläufen tatsächlich geschafft, meinen Herrn wieder in den gutaussehenden Mann zu verwandeln, der er eigentlich ist. Sie hat sich den Kürbis angeschaut und war dann auch ganz ganz sicher, dass er essbar ist. Da ich hier gerade vor dir sitze, hatte sie offensichtlich Recht damit. Mit der fleißigen Hilfe von Pegasus haben wir dann die ganze Kürbispampe weggeräumt und die Ranken neben dem Lagerfeuer aufgestapelt, damit wir sie später verbrennen konnten. Emily hat einen riesigen Topf Kürbissuppe gekocht, der nur ein kleines bisschen angebrannt ist.
Dann hat sie die Barriere wieder geöffnet und wow, das war ein Anblick! Die Kinder des Dorfes kamen mit körbeweise Blumen, Pilzen, bunten Blättern und einfach allem, was sie in der Natur so finden konnten. Die Erwachsenen haben Tische und Zelte gebracht, die sie aufgebaut haben. Manche von ihnen haben sogar Stangen in den Boden gehauen, damit sie Girlanden aufhängen konnten. Alle haben mitgeholfen, das Feld rund um die Feuerstelle schön zu schmücken. Normalerweise feiert man das Erntedankfest ja in Kirchen oder als Umzug, aber Emily hat es nicht so mit Kirchen und einen ganzen Umzug hätte sie auch mit unserer Hilfe nicht organisiert bekommen.
Warum die Dorfbewohner uns auf einmal geholfen haben, obwohl sie den großartigen Ritter Edelwin und mich ein paar Stunden vorher noch mit faulem Essen beworfen haben? Naja, sie haben gesehen, wie wir gegen den Golem gekämpft haben und haben verstanden, dass Emily wirklich versucht hatte, ihnen zu helfen.
Eigentlich sollte das Erntedankfest erst einen Tag später stattfinden, aber weil wir gerade bei Sonnenuntergang fertig waren mit Schmücken, sind wir gleich da geblieben und haben gefeiert. Das war ein Fest, sage ich dir! So ein tolles Fest hat Emilys Dorf noch nie erlebt. Alle waren da und hatten gute Laune, es gab viel Musik, wir haben getanzt und bis spät in die Nacht gefeiert. Dafür hatten wir aber auch reichlich Gründe: Erntedank, die neueste Heldentat des Helden aller Helden und vor allem, dass Emily endlich von den Dorfbewohnern akzeptiert wurde. Ich habe sie noch nie im Leben so glücklich gesehen!
Es ist Herbst geworden. Das sieht der kleine Kater Rawr ganz deutlich, als er aus dem Wohnzimmerfenster schaut. Schon seit einigen Tagen konnte er durch die Fenster beobachten, wie sich der Wald rund um das Holzhäuschen verändert hat. In den Bäumen des Waldes erkennt der Kater die verschiedenen hellen und dunklen Brauntöne seines eigenen Fells wieder. Am schönsten jedoch findet er die bunten Blätter, die so rot leuchten wie die Haare der Hexe, oder so orange und gelb wie ihre Flammen. Fasziniert drückt er seine Nase gegen die kalte Fensterscheibe, bis diese beschlägt.
Rawr kann einfach nicht mehr warten. Als Anya ins Wohnzimmer kommt, springt er von der Fensterbank und landet zu ihren Füßen. Er schmiegt sich an ihre Beine. Als sie sich zu ihm beugt und ihm den Kopf krault, führt er sie an die Haustür. Dort setzt er sich hin und maunzt eindringlich. »Nach draußen möchtest du? Na sag das doch gleich!«, sagt die Hexe schmunzelnd. Sie öffnet die Tür und Rawr schlüpft sofort hinaus.
Die Luft ist kühl und das Gras noch feucht an diesem Morgen. Dicht über der Wiese und zwischen den Bäumen hängt der Nebel. Der kleine Kater sieht sich um und entdeckt dabei auch gleich sein erstes Ziel: Einen Haufen bunter Blätter neben dem Haus, direkt an der Wand. Etwas raschelt darin! Neugierig stellt er die Ohren auf und tapst mit leisen Pfoten näher heran. Erneute Geräusche. Rawr macht einen Satz auf den Laubhaufen zu und gräbt sich hinein. Es raschelt wieder.