Herz verletzt - Martina Plagwitz Schmitz - E-Book

Herz verletzt E-Book

Martina Plagwitz Schmitz

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Beschreibung

Wenn das Schicksal Sie vor eine unmögliche Wahl stellt, welchen Weg würden Sie wählen? Luisas Leben gerät aus den Fugen, als ihr langjähriger Partner Marco sie verlässt, weil er sich eine Familie wünscht. Um ihren Schmerz zu vergessen, flüchtet Luisa in das familieneigene Ferienhaus in Andora. Dort begegnet sie Lorenzo, einem charismatischen Mann, mit dem sie eine tiefe Verbindung spürt. Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer: Lorenzos Ex-Frau ist schwanger und will ihn zurück, andernfalls droht sie mit einer Abtreibung. Zwischen schwierigen Entscheidungen und neuen Herausforderungen muss Luisa sich ihren inneren Dämonen stellen und um ihr Glück kämpfen. Eine emotionale Geschichte über die Kraft der Resilienz, die Bedeutung von Vergebung und die überwältigende Macht der Liebe.

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Index

 

 

Das Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Wie es zu diesem Buch kam

Danksagung

© Cover - und Umschlaggestaltung: Ria Raven - https://www.riaraven.de/

© Lektorat: Ilka Sommer - https://www.autorin-ilka-sommer.de/

© Korrektorat: Dorothe Perdun – [email protected]

Titel | Herz verletzt

Autor | Martina Plagwitz

ISBN | 978-39-89231-00-9

© 2024 - Alle Rechte sind dem Autor vorbehalten

Für meine wunderbare Familie,

die immer zu mir steht.

Das Buch

„In wenigen Wochen habe ich zwei Männer, meinen Job und meine Wohnung verloren.“

Für Luisa bricht eine Welt zusammen, als ihr Lebensgefährte sie verlässt. Wider Willen muss sie sich ihrem Leid stellen, dass sie seit Jahren in ihrem Herzen verschlossen hat.

Emma überredet Luisa mit ihr gemeinsam in das Familiensommerhaus an der ligurischen Küste zu fahren. Sie weiß, dass nur das Meer Luisas Wunden heilen kann.

Doch statt der ersehnten Ruhe treten der noch verheiratete Lorenzo und der treue Federico in ihr Leben. Und wieder steht Luisas Leben Kopf.

Eigentlich will Luisa nur noch in ihre Arbeit flüchten ...

Mit ihrem Debütroman Herz verletzt

Die Autorin

Martina Plagwitz wurde 1961 in Brilon geboren, ist jedoch in Hattingen und Bochum aufgewachsen.

Kontakte

Kapitel 1

„Glück muss man haben“, murmelte Luisa und parkte ihr Auto direkt vor den Arkaden ihres Wohnhauses. Mit einem Schwung öffnete sie die Autotür, als ihr Smartphone klingelte. Hektisch stieg sie aus und wühlte in ihrer großen Handtasche. Endlich hatte sie es gefunden. Mit einem kurzen Blick auf das Display antwortete sie.

„Ciao Emma! Was gibt es?“

„Ciao Schwesterherz! Du hörst dich so abgehetzt an. Stör ich?“

Luisa schloss die Autotür und schlenderte hinüber zu den Arkaden. „Nein, du störst nie. Ich bin zwar etwas in Eile, aber für dich habe ich immer Zeit. Ich habe gerade geparkt und will noch schnell etwas zum Abendessen einkaufen. Heute kommt doch Marco aus Sizilien zurück und ich will etwas Leckeres für uns kochen.“

„Stimmt. Hatte ich ganz vergessen. Als Journalist ist er ständig unterwegs. Stört dich das gar nicht?“

„Ach, ich habe mich daran gewöhnt. Ich bin schon zufrieden, wenn er nicht ins Ausland muss. Das kam zum Glück bisher nur einmal vor.“

„Dann macht euch mal einen schönen Abend. Habt ihr euch wieder vertragen?“

„Es war ja kein richtiger Streit. Es gab nur ein paar Meinungsverschiedenheiten. Du weißt ja, immer dasselbe Thema. Emma, ich muss leider Schluss machen. Ich bin jetzt vor Giovannis Geschäft. Wolltest du mir noch etwas Wichtiges sagen, weil du angerufen hast?“

„Nein, nein. Ich wollte nur mal wieder ein wenig mit dir quatschen. Alles gut. Wir hören uns in den nächsten Tagen. Ciao, ciao.“

Luisa warf ihr Smartphone zurück in die Tasche und trat in den kleinen Obst- und Gemüseladen.

„Ciao Giovanni! Ich bräuchte noch etwas zum Abendessen. Was kannst du mir zu Hähnchenschnitzeln empfehlen?“

„Ciao bella! Ich habe heute frische Artischocken reinbekommen. Ganz zart, aus Ligurien.“

„Ja, ich weiß. Die mit den Stacheln.“ Luisa grinste. „Dann gib mir doch bitte drei davon und eine Zitrone. Daraus will ich einen leckeren Salat machen. So junge

Artischocken sind zu schade zum Kochen.“

„Richtig. Und hier sind die Brötchen, die du heute Morgen bestellt hast. Das macht fünf Euro zwanzig.“ Giovanni packte alles in eine Papiertüte und reichte sie Luisa.

Sie legte das Geld auf die Theke.

„Grazie Giovanni. Die Brötchen hätte ich jetzt glatt vergessen. Ciao, bis morgen.“ Luisa verließ den Laden und trat gleich nebenan zur Haustür hinein. Sie freute sich auf ein entspanntes Abendessen mit Marco. Ob er schon zu Hause war? Die drei Etagen bis zu ihrer Wohnung lief Luisa zu Fuß. Etwas außer Atem schloss sie die Wohnungstür auf. Ihre Cocker-Hündin sprang freudig an ihr hoch. „Ciao Nelly! Du hast mir gefehlt.“ Zärtlich strich sie ihr über das schwarze Fell.

Am Garderobenhaken hing Marcos Jacke.

„Amore mio! Du bist schon zu Hause, wie schön.“ Freudig ging Luisa in die Küche.

Marco saß am Esstisch, den Kopf in beide

Hände gestützt. Er sah jetzt zu ihr auf.

„Ciao! Du kommst spät.“

Luisa stellte die Papiertüte auf die Arbeitsplatte und wandte sich ihrem Lebensgefährten zu, um ihn zu umarmen.

„Ich hatte heute einen neuen Patienten. Die erste Untersuchung dauert meistens etwas länger. Du weißt, es ist mir wichtig, die mir anvertrauten Patienten gut zu pflegen.“ Marco erwiderte ihre Umarmung nicht und sah sie weiterhin an.

„Ist was? Du bist so eigenartig.“ Aus unerklärlichen Gründen schlug Luisas Herz schneller.

„Setz dich bitte. Wir müssen reden.“ Mit zitternden Knien zog sie einen Stuhl zu sich heran und setzte sich. Marcos Stimme klang fremd und unpersönlich.

„Der Fernsehsender Rai hat mir ein Jobangebot gemacht. Sie wollen mich für ein Jahr als Auslandskorrespondenten nach Paris schicken.“

„Wow! Eine große Ehre.“ Luisa lachte erleichtert auf. „Und ich dachte schon, es ist etwas passiert.“

„Ich habe zugesagt.“

„Du hast was?“

„Ich habe zugesagt.“

„Marco, wie kannst du solch eine Entscheidung allein treffen! Meine Arbeit hier gefällt mir. Du weißt, wie sehr ich für diesen Job gekämpft habe.“

„Diese Entscheidung betrifft nur mich. Du hast damit nichts zu tun.“

In Luisa breitete sich eine große Hitze aus, als hätte sie Alkohol getrunken. „Was willst du mir damit sagen?“

„Ich will damit sagen, dass ich dieses Jahr in Paris als Trennungsjahr nutzen möchte. Seit Jahren sind wir kein richtiges Paar mehr. Wir haben einander in den letzten Jahren verloren. Ich kann und will nicht mehr weitermachen wie bisher.“ Marco erhob sich von seinem Stuhl und lief durch die Küche, hin und her. „Ich ersticke hier in diesen Räumen mit dir. Seit damals dringe ich nicht mehr zu dir durch, wenn es um dieses eine Thema geht. Immer wieder blockst du ab, seit sechs Jahren! Du weißt, dass ich eine Familie möchte. Bevor ich nach Sizilien geflogen bin, habe ich es dir noch einmal gesagt. Aber du, du antwortest mir gar nicht mehr.“

Still hatte Luisa ihm zugehört, ihn ausreden lassen, obwohl es ihr schwerfiel. Jetzt konnte sie nicht mehr an sich halten, stand mit zittrigen Beinen auf und stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte.

„Wie kannst du es wagen, mir so etwas an den Kopf zu werfen! Du kennst den Grund dafür sehr gut.“ Ihre Stimme wurde immer leiser und die Beine wollten ihr nicht mehr gehorchen. Schnell setzte sie sich wieder.

„Luisa, natürlich kenne ich den Grund.

Aber das Leben geht weiter. Noch sind wir jung genug, ein neues Lebenskapitel aufzuschlagen.“ Marco setzte sich erneut ihr gegenüber. „Ich möchte dieses Trennungsjahr, damit wir beide spüren können, ob wir uns noch fehlen, ob wir uns noch lieben, eine Familie miteinander gründen wollen. Wir haben beide schon die vierzig überschritten. In ein paar Jahren wird man uns kein Kind mehr zur Adoption geben.“

„Ich will keine Adoption!“ Luisa fuchtelte wild mit den Händen herum. „Das weißt du ganz genau! Wenn es nur darum geht, dann brauche ich dieses Trennungsjahr ganz sicher nicht. Wir sind eh nicht verheiratet. Du kannst gleich jetzt gehen und deine Familie gründen. Verliere nur keine Zeit. Flieg nach Paris und mach dir dort ein schönes Leben. Ich komme auch sehr gut ohne dich klar.“

„Bist du sicher, dass du das willst? Dass wir uns trennen? Nach zwölf Jahren? Ich dachte wirklich, wir würden uns noch etwas bedeuten. Ich gehe jetzt packen und werde die drei Nächte bis zur Abreise in einem Hotel verbringen.“ Marco erhob sich, verschwand im Schlafzimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

Luisas Herz schlug so heftig, als wollte es aus ihr herausspringen. Was war das denn? So hatten sie sich noch nie gestritten. Wollte er sie jetzt verlassen? Oder wollte sie, dass er ging? Für immer?

- Nein! Hastig sprang sie auf und rannte zum Schlafzimmer. „Marco, was tust du da? Du kannst doch nicht einfach so gehen!“ Tränen standen ihr in den Augen.

Marco verschloss soeben den zweiten Koffer, stellte beide auf dem Boden ab und sah Luisa an. „Wenn du mir sagst, dass wir gemeinsam ein Kind adoptieren, werde ich nicht nach Paris gehen. Solltest du es dir noch überlegen wollen, gebe ich dir Zeit, bis ich wieder aus Paris zurück bin.“

„Ich kann nicht“, flüsterte Luisa.

„Dann tut es mir leid, so gibt es leider keine Zukunft mehr für uns.“ Marcos Stimme klang traurig. „Ich werde meine restlichen Sachen abholen, wenn ich im nächsten Jahr aus Paris zurück bin. Bis dahin überweise ich weiterhin die Miete.“

Nelly drückte sich winselnd an Luisas Beine. Marco bückte sich und umarmte sie voller Liebe.

„Ciao, kleine Nelly, pass gut auf deine mamma auf.“

Luisa ließ sich wortlos von ihm umarmen. Sie sog den Duft seines Aftershaves tief ein, zum letzten Mal. Sie hatte es ihm zum Geburtstag geschenkt.

Ohne ein weiteres Wort nahm Marco seine

Koffer und verließ die Wohnung.

Luisa schreckte aus tiefstem Schlaf auf. Ihr Smartphone klingelte. Ob Marco sie anrief? Ohne auf das Display zu schauen, meldete sie sich mit leiser Stimme.

„Hallo, Liebes! Ich kann dich nicht sehen. Ist bei dir der Strom ausgefallen?“ Mit halb geschlossenen Augen betätigte Luisa den Lichtschalter. „Oh, hallo Sonja! Ich muss wohl vorhin eingeschlafen sein. Wie spät ist es denn?“

„Es ist neun Uhr abends. Hast du geweint? Deine Augen sind geschwollen.“

„Marco hat mich verlassen. Er geht für ein Jahr nach Paris. Aber er kommt nicht mehr zu mir zurück.“ Laut schluchzte Luisa auf. „Ich weiß nicht, wie ich ohne ihn leben soll.“

„Oh mein Gott! Wieso das denn? Hat er eine andere?“

„Nein, ich glaube nicht. Aber ich kann jetzt nicht darüber reden. Entschuldige. Ich muss Schluss machen.“ Luisa stellte ihr Smartphone aus und weinte haltlos. Er hatte sie einfach allein gelassen. Warum wollte Marco nicht auf ein Kind verzichten?

Sie konnte es doch auch. Zu oft hatten sie in den letzten Jahren schon darüber diskutiert. Nicht sie. Er. Sie hatte immer nur nein gesagt. Aber er konnte oder wollte es nie verstehen. Jetzt hatte er sich entschieden, für ein Kind und damit gegen sie. Es gab kein Zurück mehr. Erneut brach Luisa in Tränen aus. Eine kalte Nase lag auf ihrem Handrücken.

„Nelly, meine Kleine! Scusa“, entschuldigte sie sich bei ihrem Hund. „Vor lauter Weinen habe ich dich ganz vergessen. Es ist schon so spät. Jetzt gehen wir runter, damit du dein Geschäft erledigen kannst. Morgen machen wir dann wieder eine größere Runde.“ Sie leinte Nelly an und lief mit ihr nach draußen in den kleinen Park um die Ecke. Luisa fröstelte. In ihrem Kummer hatte sie vergessen, eine Jacke anzuziehen. Vergebens suchte sie in ihrer Hosentasche nach einem Taschentuch. Vom vielen Weinen war ihre Nase verstopft. Ihr Kopf schmerzte. Sie sehnte sich nach ihrem Bett, um sich unter ihrer Decke zu vergraben. Nelly sah Luisa erwartungsvoll an.

„Das ging aber flott. Heute kein großes Geschäft? Dann komm schnell wieder nach Hause.“

Zu Hause füllte Luisa Nellys Fressnapf und die Hündin stürzte sich gierig auf ihr Futter.

„Du bist ja richtig ausgehungert, mein Liebling.“ Zärtlich strich sie über das weiche Fell. Mit schleppenden Schritten ging sie ins Bad und richtete sich für die Nacht her. Im Schlafzimmer öffnete sie einen Spalt das Fenster. Tief atmete sie die frische Luft ein. Endlich konnte sie sich unter ihrer Bettdecke verkriechen. Kurz darauf sprang Nelly zu ihr aufs Bett und kuschelte sich eng an sie. Das regelmäßige Klopfen des kleinen Herzens auf ihrer Brust versetzte Luisa in einen erschöpften Schlaf.

Kapitel 2

Am nächsten Morgen erwachte Luisa mit brummendem Kopf vor dem Klingeln des Weckers. Stöhnend rieb sie sich über die Stirn und sah das Kissen neben sich. Dort lag leise schnarchend Nelly und nicht Marco. So gern hätte sie sich wieder unter ihrer Decke verkrochen. Aber das Pflichtbewusstsein ihren Patienten und ihren Kolleginnen gegenüber siegte. Der kalte Strahl der Dusche weckte ihre Lebensgeister und das Brummen in ihrem Kopf verflüchtigte sich. Ihr Spiegelbild sagte etwas anderes. Selbst Mascara und Rouge änderten nichts daran. Egal. Ihren morgendlichen Tee ließ sie lieber weg. Schon beim Gedanken daran drehte sich ihr der Magen um.

„Nelly! Komm, wir gehen Gassi!“ Die Hündin preschte bellend aus dem Schlafzimmer bis zur Haustür.

„Ganz ruhig, mein Herz. Es wird nur ein kurzer Spaziergang. Die Arbeit wartet auf mich.“

„Ciao Luisa! Du siehst wie ausgekotzt aus. Geht es dir nicht gut?“ Ihre Vorgesetzte kam zur Tür herein.

„Ciao Cristina, alles gut. Hab nur schlecht geschlafen.“ Jetzt bloß nicht über Marco reden. Ihr Privatleben ging hier niemanden etwas an.

„Ja, das kommt schon mal vor. Hier ist dein Plan für heute. Die Patientenliste ist lang. Elisa hat sich krankgemeldet. Ich habe ihre Patienten auf uns alle verteilt.“

Luisa überflog die Liste. Sie kontrollierte, was sie in ihrem Dienstwagen auffüllen musste. Aus dem Lagerraum nahm sie sich die erforderlichen Utensilien, wie Katheter, Spritzen und dergleichen. Sie ordnete alles im Kofferraum in die dafür vorgesehenen Fächer ein und machte sich auf den Weg zum ersten Patienten. Sie schaffte es, in den Arbeitsmodus überzugehen. Ein Fehler durch Ablenkung wäre fatal. Nicht auszudenken.

Es war fast Mittag, als sie bei ihrem Lieblingspatienten ankam. Auf ihr Klingeln öffnete seine Frau.

„Luisa! Wie schön, Sie zu sehen. Mein Mann wird sich freuen. Sie sind sein Lichtblick, wenn Sie kommen.“

Mit einem freundlichen Lächeln trat Luisa ins Haus.

„Buongiorno, signora Bonetti! Sie sehen heute wieder wunderbar aus, richtig jugendlich. Wie machen Sie das nur? Ihre eleganten Kleider und immer perfekt geschminkt.“

Die ältere Frau errötete geschmeichelt.

„Grazie, Luisa. Sie machen mich verlegen. Ich habe die siebzig schon längst überschritten. Für meinen Mann möchte ich jedoch immer schön und gepflegt aussehen. Wie Sie wissen, hat sich sein Leben nach den Schlaganfällen komplett verändert. Viel Abwechslung kann ich ihm nicht mehr bieten. Aber wenn er mich sieht, dann leuchten seine Augen noch immer. Das ist für mich das schönste Geschenk.“

„Das machen Sie richtig, signora Bonetti. Und ich bewundere Sie für Ihren Optimismus. Dadurch vermitteln Sie Ihrem Mann so viel Positives. Wie geht es ihm heute?“

„Ach, es ist immer gleich. Ich weiß ja, dass sein Zustand sich nicht mehr bessert. Leider.“ Signora Bonetti zog ein Taschentuch aus ihrer eleganten Strickjacke und tupfte sich vorsichtig über die Augen. „Wenn ich nur daran denke, wie lebensfroh er früher war. Ständig waren wir auf Reisen. Wir haben so viel von der Welt gesehen. Und nun sind wir seit zwei Jahren in diesem Haus eingesperrt. Aber ich kümmere mich gern um meinen Mann. Schon vor Jahren haben wir uns versprochen, immer füreinander da zu sein. Ein Pflegeheim käme für uns nie in Frage. Und danach richte ich mich. Kommen Sie, er wartet schon auf Sie.“

Luisa folgte ihr ins Wohnzimmer, wo signor Bonetti in einem modernen Pflegebett lag.

„Buongiorno, signor Bonetti! Wie geht es Ihnen heute?“

„Buongiorno, bene”, nuschelte er fast unverständlich. Dabei hob er leicht die rechte, nicht gelähmte Hand.

Nach der langen Zeit, in der Luisa schon zu ihm kam, hatte sie sich an seine Art, sich auszudrücken, gewöhnt. Sie schaute in seine dunklen, leuchtenden Augen.

„Ihnen geht es immer gut. Das ist doch wunderbar. Heute müssen wir den Katheter wechseln. Ein Monat ist schon wieder rum. Es wird ein bisschen wehtun, aber ich werde vorsichtig sein.“ Luisa legte alles Nötige zurecht und ging ans Werk. Als der Katheter gelegt war, schüttelte Signora Bonetti die Bettdecke auf und streichelte ihrem Mann über die Wange.

„Du warst wieder so tapfer, tesoro mio. Wir können froh sein, dass Luisa regelmäßig zu uns kommt.“

Er antwortete nur mit einem schiefen Lächeln.

„Luisa, Sie sind für diesen Beruf geboren. Sie strahlen so viel Liebe und Hingabe aus. Warum machen Sie sich nicht selbstständig? Sie könnten viel mehr Geld verdienen.“

Luisa strich sich verlegen eine Strähne aus der Stirn. „Sie sind zu freundlich. Vielen Dank für das Kompliment. Tatsächlich habe ich schon öfter daran gedacht. Ich hätte mehr Zeit für meine Patienten und könnte mich viel intensiver um sie kümmern. Als Angestellte habe ich immer einen straffen Plan. Aber bisher habe ich noch nicht den Mut dazu gefunden. Es ist eben ein großer Schritt.“

Signora Bonetti legte mütterlich eine Hand auf Luisas Arm. „Ich bin sicher, dass Sie es schaffen werden. Sie müssen nur an sich glauben.“

„Ich danke Ihnen. Vielleicht mache ich es ja wirklich eines Tages, wer weiß.“ Luisa packte ihre Utensilien zusammen und verabschiedete sich mit einem Lächeln von den Eheleuten. „Wir sehen uns dann am Montag wieder. Sollte übers Wochenende irgendetwas sein, können Sie mich jederzeit telefonisch erreichen. Aber das wissen Sie ja.“

Signora Bonetti begleitete sie zur Tür und winkte ihr hinterher.

Zu Hause fiel Luisa kraftlos in ihren Ohrensessel. Zum Glück hatte sie das Wochenende vor sich. Sie kontrollierte die Nachrichten auf ihrem Smartphone. Ob Marco versucht hatte, sie zu erreichen? Hoffnungsvoll und mit klopfendem Herzen schaute sie auf das Display. Aber außer einem Anruf von Sonja und einer Nachricht von Emma war nichts dabei.

Tränen tropften auf ihre Hand. Sollte sie sich bei Marco melden? Nein! Es gab für sie beide keinen gemeinsamen Weg. Sie hatte ihre Meinung nicht geändert. Würde sie in der Lage sein, ohne ihn zu leben? Sie hatte sich in all den Jahren so sehr an das Zusammenleben mit ihm gewöhnt, dass sie jeden Gegenstand in der Wohnung mit ihm verband.

„Nelly! Wo bist du denn?“ Schluchzend lief Luisa ins Schlafzimmer. Die Hündin streckte sich wohlig auf ihrem Kissen.

„Hast du so fest geschlafen, dass du mich gar nicht gehört hast?“ Luisa legte sich neben sie auf den Boden und ließ sich das Gesicht abschlecken. „Gut, dass ich dich habe. Was hältst du von einem längeren Spaziergang? Ja, da wedelst du freudig mit dem Schwanz. Dein ganzer Po wackelt.“ Wenigstens Nelly brachte sie zum Lachen, wenn auch unter Tränen.

„Du bist mein Seelentröster. Ohne dich wäre ich richtig allein.“ Energisch wischte sich Luisa mit dem Handrücken die Augen trocken und folgte Nelly, die schon ungeduldig vor der Tür wartete.

Frische Frühlingsluft strich über ihr Gesicht. Wie malerisch war die Natur, wenn sie zu neuem Leben erwachte. Luisa setzte sich auf eine Parkbank und sah Nelly zu, wie sie auf der Wiese hin und her rannte.

„Hier bist du! Ich dachte mir schon, dass ich dich im Park finden würde. Kannst du mir mal sagen, warum du nicht ans Telefon gehst? Ich komme um vor Sorge!“ Emma ließ sich neben Luisa auf die Bank fallen.

„Was erschreckst du mich denn so? Und wieso kommst du um vor Sorge? Was ist denn passiert?“ Luisa schaute ihre Schwester unwillig an.

„Echt jetzt? Du fragst mich, was passiert ist? Das frage ich dich! Sonja hat mich gestern Abend aus Deutschland angerufen. Sie war sehr besorgt. Seitdem versuche ich, dich zu erreichen.“

„Ich habe gearbeitet. Hey, kontrolliert ihr mich jetzt alle?“ Emma drückte Luisas Hand.

„Mensch Schwesterherz! Vor mir brauchst du nicht so zu tun, als wäre nichts passiert. Wir sind nicht nur Schwestern, sondern auch beste Freundinnen. Wir haben uns immer alles anvertraut. Hat Marco dich wirklich verlassen?“

Luisa entzog Emma die Hand. „Wir haben uns getrennt“, flüsterte sie.

„Ach Schätzchen, komm mal her.“ Sie nahm Luisa tröstend in den Arm. „Weißt du was? Ich fahre schnell nach Hause, hole mir ein paar Sachen und bleibe übers Wochenende bei dir. Dann kannst du mir ganz in Ruhe alles erzählen. Mamma wird mich bestimmt morgen im Friseurladen vertreten. Seit sie in Rente ist, kommt sie um vor Langeweile.“ Erschrocken hob Luisa den Kopf. „Bitte sag mamma und papà nichts. Das werde ich später selbst tun. Im Moment kann ich das noch nicht.“

„Natürlich sage ich nichts. Sei ganz beruhigt. Wir beide werden an diesem Wochenende über alles reden und eine Lösung finden.“

Luisa erhob sich. Ihre Stimme zitterte.

„Es gibt keine Lösung. Mein Leben hat keinen Sinn mehr ohne Marco. Ich pack das nicht.“

„Beruhige dich, Luisa. Das ist der erste Schmerz. Es ist normal, dass du dich so fühlst. Geh jetzt mit Nelly nach Hause und ich bin in spätestens einer Stunde bei dir.“ Emma drückte ihre Schwester noch einmal und lief dann schnellen Schrittes auf den Ausgang des Parks zu.

Luisa sah ihr stumm hinterher. Vom ständigen Weinen schmerzte ihr Kopf, als wollte er auseinanderplatzen. Sie hielt ihn mit beiden Händen fest, um ihn zu schützen.

Ein paar Spaziergänger schauten sie besorgt an. „Können wir Ihnen helfen? Geht es Ihnen nicht gut?“

„Nein, nein, alles gut. Nur ein wenig Kopfschmerzen. Vielen Dank.“

Sie nickten ihr zu und spazierten weiter. Nelly war inzwischen schon an Luisas Seite und wartete darauf, angeleint zu werden. Gemeinsam traten sie den Weg nach Hause an.

Nach exakt einer Stunde traf Emma mit einer kleinen Reisetasche ein. Luisa wäre lieber allein geblieben. Aber jetzt freute sie sich doch, dass sie das Wochenende mit ihrer Schwester verbringen würde. Die Kopfschmerzen hatten zum Glück nachgelassen.

„Mamma vertritt mich morgen. Ich habe ihr einfach gesagt, eine Freundin hätte mich übers Wochenende eingeladen. Siehst du, ich habe noch nicht einmal gelogen.“ Emma lachte schelmisch.

„Stimmt. Und ich bin froh, dass du da bist.“ Luisa nahm ihr die Reisetasche ab und brachte sie ins Schlafzimmer.

„Du schläfst doch hier bei mir? Ich habe extra noch schnell die Betten bezogen.“

„Natürlich, was dachtest du denn? Wann hast du eigentlich zum letzten Mal etwas gegessen?“

„Ich weiß nicht. Ist wohl schon etwas länger her. Aber ich habe auch gar keinen Hunger.“ Abwehrend hob Luisa die Hände.

„Dachte ich mir. Aber ich werde uns trotzdem etwas kochen. Die Artischocken hier auf der Arbeitsplatte schmeiße ich mal weg. Die sehen schon älter aus.“ Emma rümpfte die Nase.

„Ja, die hatte ich für Marco zum Abendessen gekauft. Die trockenen Brötchen kann Nelly knabbern.“

„Ich kümmere mich um alles. Du nimmst jetzt erst einmal ein heißes Bad und entspannst dich. In der Zwischenzeit bereite ich uns eine leckere carbonara zu.“

„Grazie. Wenn ich dich nicht hätte.“

Das warme Bad entspannte Luisa.

Mit geschlossenen Augen lauschte sie den klappernden Geräuschen aus der Küche. Ein einladender Duft nach angebratenem Speck drang zu ihr. In ihrem Magen rumorte es.

Es war Zeit, aus der Wanne zu steigen. Sie griff nach dem Badetuch und hüllte sich darin ein. In den Spiegel schaute sie lieber nicht. Wie sollte man nach der Heulerei schon aussehen? Sie streifte ihren alten Jogginganzug über und betrat die Küche.

„Da bist du ja! Genau richtig. Das Essen ist fertig.“ Emma schüttete die Spaghetti ab und füllte sie in die Pfanne zu dem in Olivenöl angebratenem Speck. Darüber goss sie die schon vorbereitete Eiermasse und verrührte alles sorgsam. Emma warf einen kurzen Blick auf Luisa. „Du siehst schon viel besser aus. Das Bad hat dir gutgetan. Ich habe eine Flasche Nebbiolo aufgemacht.“ Emma reichte ihr ein Glas von ihrem Lieblingswein.

„Grazie.“ Luisa setzte sich an den liebevoll gedeckten Tisch und nahm einen Schluck. Sie genoss den vollen und fruchtigen Geschmack des piemontesischen Rotweins in ihrem Mund, ehe sie ihn hinunterschluckte. „Weißt du noch? Den Nebbiolo haben wir zusammen in Barolo gekauft. Ich liebe diese Gegend so sehr mit ihren unendlichen Weinbergen.“

„Natürlich erinnere ich mich! Unser Familienausflug in die Langhe, die faszinierendste Landschaft Piemonts. Marco und mein Ex Luca waren auch dabei. Oh, scusa!“, entschuldigte Emma sich.

„Schon gut.“

Emma stellte die schwere Pfanne auf den Tisch und füllte die Teller. „Spaghetti carbonara helfen immer. Bei Müdigkeit, Traurigkeit und Einsamkeit.“ Sie setzte sich und nahm ihr Glas. „Salute, Schwesterherz! Auf uns, die Unzertrennlichen!“

„Salute! Hmm, das schmeckt so gut! Complimenti!“

„Grazie! Ich freu mich, dass du endlich Appetit hast.“

Nach dem Essen schob Luisa ihren Teller zurück. Ein wohliges und warmes Gefühl machte sich in ihrem Bauch breit. Für einen Moment hatte sie ihr Elend vergessen.

„Willst du mir erzählen, was passiert ist?“

Der Stein in ihrem Magen, der seit einigen Tagen ihr ständiger Begleiter war, wurde schwerer. Sie massierte vorsichtig ihren Bauch. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Marco hat mich vor die Wahl gestellt, entweder ein Kind adoptieren oder Trennung.“ Luisa versagte die Stimme, weil sie schon wieder mit den aufsteigenden Tränen kämpfte.

„Ich verstehe nicht, warum du kein Kind adoptieren möchtest. Du hast dir doch immer eine Familie gewünscht.“

„Ich will das nicht und basta!“ Luisa sprang mit einem Ruck von ihrem Stuhl auf und räumte mit scheppernden Geräuschen den Tisch ab.

„Wenn du so mit Marco gesprochen hast, kann ich verstehen, dass er gegangen ist.“

„Ich will nicht, dass du dich da einmischst, sonst kannst du gleich wieder gehen!“

„Lass! Ich räum schon die Spülmaschine ein. Sonst haben wir hier gleich Scherben.“ Emma erhob sich, um Luisa zu helfen.

„Scusa, es ist mir so rausgerutscht. Ich will mich auch gar nicht einmischen. Aber es muss doch eine Lösung für euch geben. Ihr seid nun schon so lange zusammen.“

Luisa strich sich resigniert eine Strähne aus der Stirn. „Die gibt es nicht, Emma. Marco will eine Familie, ich will keine. Basta, finito! Damit muss ich jetzt leben, wenn ich auch noch nicht weiß, wie.“

„Mit der Zeit wird es besser. Bestimmt. Ich helfe dir dabei. Und mamma und papà sind auch noch da. Du bist nicht allein.“

„Bitte lass uns nicht mehr darüber reden“, sagte Luisa gequält.

„Natürlich, wie du möchtest. Weißt du was? Wir gehen jetzt mit Nelly raus und dann schauen wir uns einen Actionfilm auf Netflix an. So kommst du wenigstens auf andere Gedanken.“

Kapitel 3

„Komm, Nelly, wir gehen zu mamma und papà zum Abendessen. Bestimmt gibt es dort auch etwas Leckeres für dich.“ Die Hündin kam schwanzwedelnd angelaufen und sah sie mit ihren treuen braunen Augen abwartend an. Luisa knuddelte sie kurz und leinte sie an. Ein paar Schritte an der frischen Luft würden ihnen beiden guttun. Sie schlenderte mit Nelly die Arkaden hindurch. Ein Geschäft folgte dem anderen. Wenn es regnete, brauchte man nicht einmal einen Schirm. Wie oft war sie hier mit Marco shoppen gewesen. Es schien Ewigkeiten her zu sein. In den vergangenen Jahren hatte er keine Lust mehr dazu gehabt. Sie sollte nicht an Marco denken. Am letzten Wochenende hatte Emma es geschafft, sie von ihrem Dilemma abzulenken. Sie hatten über ihre gemeinsamen Kindheitserlebnisse gesprochen, Filme angeschaut und gegessen. Über Marco hatten sie nicht mehr gesprochen. Wozu auch? Es war eh alles vorbei. Sie hatte ihn verloren, wie ihr Kind.

Luisa schreckte aus ihren Gedanken auf, weil Nelly mit einem Ruck an der Leine zog, direkt auf Emma zu, die soeben aus ihrem Auto gestiegen war.

„Da seid ihr ja! Ciao Nelly, mein Schatz!“ Die Hündin sprang freudig an Emma hoch und diese machte einen Satz zur Seite.

„Komm bitte nicht an meine helle Hose.“ Emma lachte herzlich und begrüßte ihre Schwester mit zwei Wangenküsschen. „Wie es dir geht, muss ich dich wohl nicht fragen. Es steht dir alles im Gesicht geschrieben, wie auf meinem Smartphone Display.“

„Wie soll ich es nur mamma und papà sagen? Sie lieben Marco und werden mir die Schuld geben.“

Emma hakte sich bei ihrer Schwester ein. Gemeinsam schritten sie zur Haustür. „Das werden sie nicht tun. Sie haben sich immer aus allem herausgehalten.“

„Ich weiß. Aber mir ist trotzdem etwas mulmig.“ Luisa drückte auf den Klingelknopf und die Tür öffnete sich augenblicklich mit einem lauten Summen.

„Mamma hat wohl schon oben an der Tür gestanden.“

Arm in Arm stiegen sie die Treppen des Hausflurs hinauf. Strahlend kam ihre Mutter ihnen entgegen. Nelly drängelte sich vor.

„Nelly! Natürlich bekommst du deine Streicheleinheiten. Lass mich doch erst einmal meine Töchter begrüßen.“ Regina breitete beide Arme aus und Luisa kuschelte sich an sie. „Roberto, die Mädchen sind da! Jetzt kommt erst einmal rein, Kinder.“

Roberto begrüßte sie mit einer Umarmung. „Nun aber schnell an den Tisch gesetzt! Ich komme um vor Hunger.“

Kurz darauf stocherte Luisa lustlos in ihrem Essen herum. Ihr war übel bei dem Gedanken, dass sie es jetzt ihren Eltern sagen musste. „Marco und ich sind nicht mehr zusammen“, stieß sie hervor.

„Wie, nicht mehr zusammen?“ Ihre Mutter ließ die Gabel auf den Teller fallen, dass es schepperte.

„Wir haben uns getrennt.“ Luisa starrte ins Leere.

„Marco hat sich getrennt“, verbesserte Emma ihre Schwester.

„Wieso das denn? Hat er eine andere?“

„Ach mamma, muss es denn bei einer Trennung immer wegen einer anderen sein?“ Emma rollte mit den Augen.

Luisa hob abwehrend die Hände. „Ich möchte jetzt nicht über den Grund sprechen.“

„Wenn er gegangen ist, dann hat er dich nicht verdient.“ Ihr Vater streichelte unbeholfen Luisas Arm.

„Ich weiß nicht, wie ich ohne ihn leben soll!“ Luisa ließ ihr Besteck auf den Tisch fallen und schluchzte haltlos in ihre Serviette.

Regina stand auf und zog ihre Tochter an sich. „Wir mischen uns nicht in eure Probleme ein. Das haben wir noch nie getan. Aber wir sind immer für dich da. Du bist nicht allein. Wir sind eine Familie, du, Emma, papà und ich.“

„Grazie, mamma.“ Luisa lehnte sich an ihre Mutter und atmete ihren vertrauten Duft ein.

„Wenn du möchtest, kannst du in deinem Zimmer schlafen. Allein in der großen Wohnung, das ist nicht gut.“

„Ich habe doch Nelly.“

Roberto nahm Luisas Hände in seine. „Nelly allein reicht nicht. Du musst raus, raus aus der Wohnung, raus aus Cuneo. Wie wäre es mit unserem Ferienhaus?“

„Papà, ich muss arbeiten. Wie soll das gehen? Und außerdem, allein fahre ich nirgendwohin.“

„Ich komme mit!“, rief Emma begeistert. „Wir waren schon ewig nicht mehr dort. Das Meer wird dir guttun.“

„Die Idee finde ich gar nicht schlecht“, meinte Regina. „Du nimmst Urlaub. Das ist ein Notfall. Emma, du begleitest deine Schwester. Um den Laden kümmere ich mich.“

Luisa sah ihre Mutter dankbar an. „Grazie, mamma, ich überlege es mir. Das Meer ... Das wäre schön.“ Wie lange war sie nicht mehr dort gewesen? Ewigkeiten. Die ligurische Küste... Sehnsucht erfüllte ihr Herz.

Luisa stand auf der Mole und atmete die salzige Meeresluft ein. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Der frische Wind spielte mit ihren Haaren, die sich aus ihrem bunten Tuch gelöst hatten. Sie konnte sich nicht satt daran sehen, wie die Wellen in regelmäßigen Abständen gegen die Felsen schlugen. Dieses immer wiederkehrende Bild beruhigte sie.

Schon drei Wochen waren seit ihrer Ankunft in Andora vergangen. Es war die richtige Entscheidung gewesen, ihren gesamten Urlaub und die Überstunden vom letzten Jahr zu nehmen und hierher zu kommen.

Warum waren Marco und sie in den letzten Jahren nicht mehr ans Meer gefahren? Keine Zeit? Keine Lust? Wann hatten sie zuletzt etwas miteinander unternommen? Er hatte recht. Sie hatten einander verloren. Seit damals, nach und nach. Ein Gefühl der Traurigkeit überkam sie.

„Das Meer macht süchtig.“

Unwillig schaute Luisa neben sich. Ein Mann sah auf die Wellen, wie sie.

„Scusi, ich wollte Sie nicht stören.“

„Schon gut.“ Luisa wandte sich erneut dem Meer zu. „Sie haben recht. Auch ich kann vom Meer nie genug bekommen.“

„Es stimmt einen traurig, glücklich, es tröstet, je nachdem. Heute stimmt es mich traurig. Und was macht es gerade mit Ihnen?“

Luisa lächelte. Die Stimme des Mannes war angenehm, warm, wie Geborgenheit. „Es tröstet mich.“ Sah er sie an? Sie wandte ihm ihr Gesicht zu und schaute in zwei leuchtende, meerblaue Augen.

„Das ist schön. Vielleicht sollte ich das Meer noch ein wenig länger anschauen, bis es auch mich tröstet.“

Er sah sie noch immer an. Schnell schaute sie wieder auf die Wellen. Ihr kroch die Hitze vom Kopf bis unter die Achseln. Sie öffnete ihre Jacke. „Das sollten Sie unbedingt. Ich muss jetzt gehen. Es ist spät.“

„Schade, ich hätte gern noch ein bisschen mit Ihnen geredet. Sind sie morgen wieder hier?“

„Vielleicht.“

„Ich freue mich. Bis morgen.“

„Ich geh dann mal.“ Luisa nickte ihm zu und eilte die Mole entlang in Richtung Promenade.

„Warten Sie! Um die gleiche Uhrzeit?“ Sie drehte sich nicht um, hob nur die Hand. An der Promenade blieb sie außer Atem stehen. Mit einem Lächeln machte sie sich auf den Weg zum Ferienhaus.

„Echt? Du hast dich verabredet?“ Erstaunt sah Emma ihre Schwester an.

„Was? Nein! Das war keine Verabredung. Er kommt sowieso nicht.“

„Sicher kommt der. Erzähl doch mal, wie sieht er aus?“ Emma schaute Luisa gespannt an.

„Du bist viel zu neugierig. Er sieht gut aus.“ Sie zeichnete verlegen das Muster der Tischdecke nach. „Groß, rötlich, blonde kurz geschnittene Haare, Dreitagebart, meerblaue Augen, sportlich gekleidet.“

„Du hast dich in ihn verguckt! Du glühst!“ Luisa befühlte mit einer Hand ihre heißen Wangen. „Blödsinn! Mir ist nur warm. Mach mal das Fenster auf.“

„Wenn du meinst.“ Grinsend öffnete Emma es einen Spalt breit. „Aber mal ehrlich: So ein kleines Abenteuer würde dir jetzt guttun.“

„Bist du verrückt geworden? Ich brauche kein Abenteuer! Das mit Marco und mir ist noch zu frisch. Das muss ich erst einmal verarbeiten.“

„Liebes, das eine schließt das andere nicht aus. Du brauchst ein bisschen Spaß. Es ist so schön, deine Augen mal wieder leuchten zu sehen. Du musst ja nicht gleich mit ihm ins Bett gehen.“

Luisa zog es vor, nichts darauf zu antworten. Sie erhob sich und räumte den Tisch ab. „Die pasta mit deinem selbstgemachten pesto war köstlich. Frisches Basilikum gehört einfach zu Ligurien. Ich liebe diesen intensiven Duft.“

„Ich auch. Aber wenn du frischen Fisch essen willst, iss den mal schön im Restaurant.“ Ihre Schwester rümpfte die Nase.

„Das werde ich auch tun.“ Luisa grinste.

„Kommst du noch mit raus auf einen Spaziergang?“ Emma nahm die Hundeleine vom Haken.

Luisa schüttelte den Kopf. „Nein, geh du nur. Ich setze mich noch ein bisschen auf die Terrasse.“

„Gut, bis später. Ich nehme Nelly mit.“ Wie auf Kommando kam die Hündin angesprungen und setzte sich mit wedelndem Schwanz vor Emmas Füße. „Ja, braver Hund.“ Sie streichelte ihr zärtlich über den Kopf, legte ihr die Leine an und schnappte sich ihre Jacke. Nelly sprang sofort auf und zog sie ungeduldig zur Tür.

Mit einem Glas Wein bewaffnet trat Luisa auf die Terrasse. Von hier oben genoss sie die herrliche Aussicht aufs Meer und den Hafen von Andora. In der aufkommenden Dunkelheit tanzten die kleinen Lichter der Fischerboote auf dem Wasser. Luisa schlang fröstelnd die Arme um ihren Körper. Der Wind war im April noch immer frisch.

Ihr fehlten die Großeltern, die früher in diesem Haus gelebt hatten. Kindheitserinnerungen kamen ihr in den Sinn. Jeden Sommer hatten Emma und sie hier verlebt. Schon damals nannten sie sie nonna und nonno und nicht Oma und Opa, wie die Großeltern in Hamburg. Überhaupt sprachen sie in Italien ausschließlich italienisch und in Deutschland deutsch. Sie und Emma hatten nie Probleme, von einer Sprache zur anderen zu wechseln.

Nonno ging jeden Morgen mit ihnen die

Treppen hinunter bis zum Strand. An der dortigen Bar frühstückten sie eine brioche und aufgeschäumte Milch. Es war ein Ritual. Danach durften Emma und sie am Strand toben, Burgen bauen und im Wasser planschen. Dort hatte nonno ihnen beiden das Schwimmen beigebracht. Zum Mittagessen stiegen sie die vielen Treppen bis zum Ferienhaus wieder hinauf, wo nonna sie mit einer köstlichen pasta empfing. Wenn Luisa nur an ihr ragù dachte, konnte sie es förmlich riechen und auf ihrer Zunge schmecken. Nonna hatte es schon am Vorabend und den gesamten Vormittag über köcheln lassen. Nach dem Essen hielten Luisa und Emma Mittagsschlaf. Am späten Nachmittag gingen sie mit nonna wieder hinunter an den Strand.

Luisa lächelte bei diesen Erinnerungen. Marco hatte ihre Großeltern noch kennengelernt. Da waren sie schon sehr alt gewesen. Marco. Er war überall mit dabei, bis vor sechs Jahren ... Wieso fiel ihr das erst heute auf? Er hatte immer seine Arbeit vorgeschoben, wenn sie zu Familienfeiern eingeladen worden waren. In den Urlaub waren sie ebenfalls nicht mehr gemeinsam gefahren. Erst hatte sie nicht gewollt, später Marco.

Er hatte sie, seit er gegangen war, nicht mehr angerufen und keine Nachricht geschickt. Er war längst in Paris. Ob sie ihm fehlte? Oder hatte er sie schon aus seinem Leben gestrichen? Kälte stieg in ihr auf, nicht nur vom Wind.