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Eifersucht? Liebeskummer? Rache! Natürlich ist sie eifersüchtig. Sie hat ja auch allen Grund. Glaubt sie. Sie übergießt seine teuren Anzüge mit Rotwein – und haut ab. Setzt sich in ihr Auto und beschließt, endlich das zu tun, womit sie sonst immer nur gedroht hat. 48 Stunden und 950 unvergessliche Kilometer im Leben der Amelie Puppe Sturm. «Ildikó von Kürthys schärfste Waffe ist die Selbstironie. Und damit ist sie unschlagbar!» Wolfgang Joop «Der neue Roman der Bestsellerautorin ist Balsam für Frauenseelen. Gewürzt mit viel Witz und einer großen Portion Wahrheit.» Freundin «Mit ihren Romanen trifft Ildikó von Kürthy den Nerv von Hunderttausenden von Frauen.» Der Tagesspiegel «Frauen, freut euch! Männer, lest dieses Buch!» Hamburger Abendblatt
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Seitenzahl: 291
Ildikó von Kürthy
Roman
Eifersucht? Liebeskummer? Rache!Natürlich ist sie eifersüchtig. Sie hat ja auch allen Grund. Glaubt sie. Sie übergießt seine teuren Anzüge mit Rotwein – und haut ab. Setzt sich in ihr Auto und beschließt, endlich das zu tun, womit sie sonst immer nur gedroht hat. 48 Stunden und 950 unvergessliche Kilometer im Leben der Amelie Puppe Sturm.«Ildikó von Kürthys schärfste Waffe ist die Selbstironie. Und damit ist sie unschlagbar!» Wolfgang Joop«Der neue Roman der Bestsellerautorin ist Balsam für Frauenseelen. Gewürzt mit viel Witz und einer großen Portion Wahrheit.» Freundin«Mit ihren Romanen trifft Ildikó von Kürthy den Nerv von Hunderttausenden von Frauen.» Der Tagesspiegel«Frauen, freut euch! Männer, lest dieses Buch!» Hamburger Abendblatt
Ildikó von Kürthy ist freie Journalistin und lebt in Hamburg. Ihre Besteller wurden mehr als fünf Millionen Mal gekauft und in 20 Sprachen übersetzt. Ihr Roman «Mondscheintarif» wurde fürs Kino verfilmt, «Freizeichen» und «Blaue Wunder» folgen.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2010
Copyright © 2002 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Covergestaltung any.way, Wiebke Buckow, Susanne Hinselmann
Coverabbildung Abbildung: Tony Garcia/Getty Images
ISBN 978-3-644-20111-8
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Für Susanne – mein liebes Bisschen, für David (Scheff) und für meinen Frisör («Schätzchen, du siehst verheerend aus!»)
Ich habe einen schlechten Charakter und eine gute Figur. Und wie jeden Morgen, kurz bevor ich die Augen öffne, danke ich dem Schicksal dafür, dass ich so bin, wie ich bin. Und wie jeden Morgen freue ich mich über meine diversen Vorzüge.
Ich kann gut einparken, und noch besser kann ich «Nein» sagen. Erst gestern habe ich ein lästiges, übergewichtiges Frauenzimmer niedergeschlagen, das sich an der Käsetheke zwischen mich und meinen Gouda light drängelte. Ich meine, sie war wirklich nicht an der Reihe. Und ich, ich bin wirklich nicht zu übersehen.
Zurzeit bin ich dabei, mich von meinem Liebhaber zu trennen. Er langweilt mich mit seinem ewigen Gefasel von Hollywood, wo er gerade seinen ersten Kinofilm dreht. Ich mag es nicht, wenn Männer ständig über sich reden. Wann soll ich denn dann über mich reden?
Nein, ich habe nie zu den Primeln gehört, die glauben, man wird bewundert, wenn man bloß genug bewundert. Mit großen Augen hochgucken. «Aah!», und «Oooh!», rufen, als würde man gerade Zeuge des Olympiade-Eröffnungs-Feuerwerks. Pah. Ich bin nur ein Meter sechzig groß, aber ich schaue schon lange zu keinem mehr hoch. Jeder ist so groß, wie er sich fühlt. Und man fühlt sich größer, wenn man runterguckt. Männer lieben dich, wenn du sie erniedrigst. Frag mich nicht, warum. Es ist so.
Mein Liebhaber zum Beispiel – ich möchte seinen Namen nicht nennen, denn er ist sehr bekannt, sehr reich und natürlich sehr verheiratet – hat die Dreharbeiten mit Winona Ryder unterbrochen, als ich ihm vergangene Woche am Telefon andeutete, dass er mir nichts Schlimmeres antun könne, als sich von seiner Frau zu trennen. Und was hab ich davon? Winona tobt vor Wut am Set. Mein Liebhaber droht mir mit Scheidung – von seiner Frau. Und ich bin guter Dinge, weil mir der zauberhafte Chopard-Ring hervorragend steht. Ich habe nie eingesehen, warum ich nach einer Affäre nicht reicher sein sollte als vorher – und zwar nicht nur reicher an Erfahrung. Daher bevorzuge ich Trennungen kurz nach Weihnachten oder Geburtstagen.
Ich selbst mache grundsätzlich keine Geschenke. Früher hatte ich Freundinnen, die bastelten ihren Männern Adventskalender. Vierundzwanzig kleine Säckchen mit vierundzwanzig kleinen Sächelchen drin. Uuuh, das macht klein! Heute habe ich keine Freundinnen mehr.
Ich schenke nicht, ich koche nicht, und ich entschuldige mich nie. Frauen haben Angst vor mir. Weil ich ihre Männer haben könnte, wenn ich bloß wollte. Dabei könnten die alle beruhigt in ihre Puschen schlüpfen, «Wetten dass …?» gucken und viele Zwiebelringe essen. Ich will keinen von deren Männern.
Ich habe einen schlechten Charakter und eine gute Figur … Es ist kurz nach halb sechs … Es ist Samstagmorgen … Es war nur ein Traum … Nur ein Traum …
Manchmal, wenn ich aufwache, so wie jetzt, dann fühle ich mich gestärkt durch einen Traum. Ich kann mich nicht genau erinnern, aber es bleibt das Gefühl eines guten Gefühls. Wie soll ich sagen? Ich mache die Augen auf und weiß genau, wer ich bin. Aber ich weiß auch genau, wer ich sein könnte.
Ich habe einen guten Charakter und eine schlechte Figur. Aber ich schwöre bei allem, was mir heilig ist – bei meiner Shiseido-Gesichtsbürste, bei meiner Oma Amelie Tschuppik und bei meiner Whitney-Houston-Doppel-CD – ich werde mich ändern. Ja, ich werde mich ändern. Mit einem guten Charakter muss man sich heutzutage genauso wenig abfinden wie mit übergewichtigen Oberschenkeln. Alles eine Frage der Disziplin.
Draußen wird es langsam hell. Ich liebe es, im Sommer zusammen mit dem Tag aufzuwachen. Das ist die Zeit, in der Träume am besten gedeihen. Ein paar frühe Vögel beginnen sich verhalten zu unterhalten, die Kommode vor dem Bett nimmt langsam Formen an, die Bettwäsche wird allmählich wieder farbig. Rosa und hellgrau, Blumen an den Rändern.
In den wenigen Minuten zwischen Nacht und Tag habe ich manchmal das Gefühl, ich könnte mich neu entscheiden. Könnte geräuschlos aufstehen, könnte geräuschlos mein Leben verlassen und geräuschlos ein anderes betreten.
Es gibt nur zwei Gelegenheiten, bei denen ich mich ähnlich schwerelos fühle, versucht, etwas völlig Neues zu beginnen. Wenn Audrey Hepburn in «Frühstück bei Tiffany» auf der Fensterbank sitzt und «Moon River» singt:
There’s such a lot of world to see,
dann bekommt die Sehnsucht ein Gesicht. In New York mit einer Gitarre auf einer Fensterbank schlank sein, sich nicht um die Beschwerden des Nachbarn scheren: «Miss Golightly!» Eine Katze und den falschen Mann lieben und singen können. Ja, das.
Oder: Mit dem Auto fahren. Auf einer schnurgeraden Straße. Allein. Wie Thelma und Louise. Bloß ohne Louise.
Ich bin eine sehr gute Autofahrerin. Das unterscheidet mich von den meisten anderen Frauen. Sonst unterscheidet mich leider nichts von den meisten anderen Frauen. Ich entschuldige mich oft, wobei ich nicht sicher bin, ob ich überhaupt schuld habe. Ich hadere häufig mit meiner Frisur, mit meinen brüchigen Fingernägeln und mit meinem Körperfettanteil. Ich hole zehn Fremdmeinungen ein, bevor ich meine eigene Meinung beschließe, und ich halte jeden Tag für einen guten Tag, an dem ich dreihundert Gramm weniger wiege als am Abend zuvor.
Aber, Schwestern, die ihr mit fünfzehn Kilometern pro Stunde auf jede Kreuzung zukriecht, die ihr das Lenkrad umkrampft wie ein erschossener Cowboy seinen Colt und auf der Landstraße dreißig Minuten hinter einem Trecker herfahrt aus Angst zu überholen: ICH KANN GUT AUTO FAHREN. Und nicht nur das: Ich kann sogar gut einparken.
Auto fahren ist Freiheit. Ich kann jederzeit abbiegen. Wenn ich einen Wegweiser sehe, auf dem «Quakenbrück» steht, dann kann ich beschließen, dass ich in «Quakenbrück» mein Glück finden werde. Dann blinke ich, nehme die Ausfahrt und beginne ein neues Leben. So einfach ist das. In meinen Träumen.
Es ist Samstagmorgen. Es ist kurz nach halb sechs. Ich heiße Amelie «Puppe» Sturm, ich werde morgen zweiunddreißig Jahre alt und nicht mehr ganz die Alte sein – und das ist auch das Einzige, was ich im Moment mit Sicherheit über mich sagen kann.
Denn ich werde mein Leben ändern, bevor diese verdammte Kommode Formen annimmt und meine Bettwäsche wieder Farben hat. Nichts wird sein, wie es war. Ich werde mein Leben entrümpeln und meine Gewohnheiten ablegen. Werde leichten Herzens von allem Abschied nehmen – abgesehen natürlich von meinem Friseur Burgi, meiner liebsten Freundin Ibo, meinem Hund Marple und meinem Sixtuwohl-Fußspray. Eine Frau in meinem Alter muss wissen, was sie auf ihre Reise ins neue Leben mitnimmt und was sie zurücklässt. Eines jedenfalls brauche ich ganz bestimmt nicht mehr …
Ich drehe mich um:
Philipp von Bülow sieht immer so aus, als rechne er damit, gleich fotografiert zu werden. Sogar wenn er schläft, könnte man meinen, er würde nur so tun, als ob er schläft, um möglichst überzeugend und gut auszusehen.
Ich bin sicher, sollte Philipp jemals Gast im «Big Brother»-Container sein, er würde sich lieber drei Monate lang am Einschlafen hindern, als sich einmal von der Nation beim Schnarchen zuhören zu lassen.
Philipp riecht immer gut. Er rülpst grundsätzlich nicht und er stößt auch nie auf – keine Ahnung, wo er das Zeug lässt. Kein Pickel verirrt sich je in sein Gesicht, und sein dunkelblondes Haar ist an den Schläfen von jenem silbrigen Grau durchwirkt, welches schon Richard Gere zu einem ernst zu nehmenden Mann machte und auf Cindy Crawford einen intensiven, wenn auch nicht lang anhaltenden Eindruck machte.
Dankbar bin ich für die wenigen Momente, in denen Philipp von Bülow so aussieht, als sei er ein ganz normaler Mensch.
Jetzt zum Beispiel: leichtes, asthmatisches Röcheln. Jedes Ausatmen erinnert geruchsmäßig an die letzte Nacht, erzählt von etlichen Cohiba-Zigarillos, noch mehr Wodka-Tonics und einem Absacker-Grappa. Philipps Mund steht halb offen und ein Mundwinkel zeigt schräg nach unten. Wie eine Tür, die schief in den Angeln hängt. Philipp von Bülow sieht in solchen Momenten aus, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. Das sind die Momente, in denen ich ihn am allermeisten liebe.
Das Unperfekte rührt mich. Die blasse Haut. Die verklebten Haare. Ich schaue ihn an und weiß, dass er sich schämen würde, wenn er sich und mich jetzt so sehen könnte. Selten bin ich ihm näher, als wenn er so schläft wie jetzt. Als würde ich endlich sein wahres Gesicht sehen. Ich will ihm sanft die Augenbrauen mit den Fingerspitzen nachzeichnen und seine schmalen Lippen umküssen.
Mir ist übrigens aufgefallen, dass die guten, interessanten, schwierigen Männer, die den Frauen niveauvoll wehtun können, immer schmale Lippen haben. Typen mit vollem Mund sehen doch immer leicht so aus, als würden sie mit beliebigen Geliebten ohne mittlere Reife gerne uneheliche Kinder zeugen.
Philipp schmatzt leise im Schlaf und drückt sich mein Kuschelkissen an die Brust. Es ist ein eigentümliches Phänomen: Da ich leicht friere und sehr anlehnungsbedürftig bin, schlafe ich jede Nacht auf meinem Lammfell ein, mit meinem prall gefüllten Kuschelkissen im Arm. Es geht nicht anders. Selbst übers Wochenende verreise ich stets mit einem sehr großen Koffer, da ich ohne diese Schlafutensilien niemals das Haus verlassen würde.
Doch jeden Morgen, den ich in den vergangenen Jahren neben Philipp von Bülow erwacht bin, liegt er auf meinem Lammfell und hält mein Kuschelkissen so innig umschlungen wie Mel Gibson seinen nach vielen Tagen aus den Fängen des bösen Entführers befreiten Sohn in «Kopfgeld». Keine Ahnung, was nachts in unserem Bett passiert.
Wir sind seit zweieinhalb Jahren ein Paar. Ein Hamburg-Berlin-Paar. Ein Paar der verlängerten Wochenenden. Ein Paar, das jeden Tag dreimal telefoniert und sich die Gute-Nacht-Küsse fernmündlich verabreicht. Wir haben alles doppelt: Zahnbürste, Haarbürste, Nagelschere, Pinzette, Nachtcreme, Tagescreme. In jeder Stadt eine. Bloß mein Kuschelkissen und mein Lammfell schleppe ich ständig hin und her. In jedem Leben muss es Dinge geben, die es nur einmal geben kann. Frage mich, wie Phillip während der Woche schläft, wenn er nachts nicht jemandem etwas wegnehmen kann.
Er schmatzt schon wieder im Schlaf.
Ach, mein Bülowbärchen.
Diesen phantasievollen Kosenamen hatte ich zunächst nur gewählt, um Philipp zu ärgern. Das ist anfangs auch gelungen, weil der Adelige ja nicht gerne seinen Namen zur allgemeinen Belustigung freigibt. Aber wie das so ist. Wenn man sich nur lange genug über etwas ärgert, gewöhnt man sich am Ende daran. Meine Scheibenwischer, um diese Theorie mal zu veranschaulichen, gaben drei Monate lang ein lautes metallisches Klacken von sich, wenn sie ihren Dienst verrichteten. Und da, wo ich lebe, in Hamburg, haben Scheibenwischer viel zu tun. Klacker klock … Klacker klock … Bin fast wahnsinnig geworden.
Keiner fand die Ursache. Und dann eines Tages, ohne Grund, ohne Reparatur, funktionierten sie wieder geräuschlos. Und was geschah? Ich konnte diese bedrückende Stille kaum ertragen.
Übrigens, auch das eine eindrucksvolle Bestätigung meiner These, vermisse ich bis heute auch die beiden Zeuginnen Jehovas, die ein Jahr lang jeden Dienstagabend vor meiner Tür standen und mir was vom Paradies erzählen wollten, und dass da gar nicht mehr so viele Plätze drin frei seien. Habe sie immer weggeschickt, jeden Dienstag gegen 19 Uhr 30. Seit sechs Wochen sind sie nicht mehr gekommen, und ich überlege, ob ich in der Jehova-Kundenzeitschrift «Der Wachturm» eine Suchanzeige aufgeben soll. Ja, ich bin sicher, ebenso würde mein Philipp seinen ungeliebten Kosenamen vermissen. Aber das ist vermutlich ziemlich naiv gedacht.
Meine schlechteste Eigenschaft ist: Naivität. Ich meine, ich arbeite daran, aber solche festgetretenen Charakterzüge sind verdammt schwer loszuwerden. Ich geh mir ja selbst damit auf die Nerven, aber ich bin wirklich sehr leicht zu beeindrucken. Rechne immer damit, dass man mir die Wahrheit sagt. Glaube bis heute an die Treue – nicht an meine allerdings, aber das ist ja auch was anderes. Zähle nie das Wechselgeld nach und glaube jedem, der sagt, dass er in seinem Leben noch keine faszinierendere Frau als mich kennen gelernt hat.
Diese Kombination fataler Charakterzüge hat sich im Laufe meines Lebens manches Mal als ungünstig erwiesen. Vier Monate meines Lebens habe ich zum Beispiel mit einem Oberlippenbartträger verplempert, der mich, damals süße siebzehn, auf der Straße ansprach, ob er mich als Model casten dürfe.
«Du wirst das sicher ständig gefragt», sagte er. Und ich glotzte ihn blauäugig an und sagte «Hmpf.» Weil mich das noch überhaupt nie jemand gefragt hatte. Ich strich mir mit einer irrsinnig modelhaften Geste mein Haar aus der Stirn und nölte gelangweilt: «Ach, ich weiß nicht …»
Was soll ich sagen? Am selben Abend habe ich mit dem Oberlippi geschlafen und tags darauf meinen super-super-netten ersten Freund verlassen. Damals war er nur eine Klasse über mir, aber heute ist er Kinderarzt in München. Siggi, wenn du das liest: Verzeih mir!
Model bin ich nicht geworden. Der Schuft, der mir mein Urvertrauen raubte, war Autoverkäufer, trank Wasser aus Dosen, trug Polyester-Unterhosen und sagte so Sachen wie: «Wenn ich meine Hose aufmache, dann denkst du, die Feuerwehr hätte einen Schlauch liegen lassen.»
Ich schäme mich, dass ich so lange gebraucht habe, diesen Schmutzfink zu durchschauen. Übrigens: er hat mich nach vier Monaten verlassen. Angeblich wegen eines Models.
Naivität und die mangelnde Fähigkeit zu Brutalität haben mich weitere zweieinhalb Jahre gekostet. Das war die Zeit mit Honka. Er hieß eigentlich Rüdiger, aber weil er so wahnsinnig lieb, wohlerzogen und harmlos war, hatten sie ihn schon in der Schule nach dem berühmten Massenmörder getauft.
«Mein Spitzname ist das Schlimmste an mir», hatte sich Honka mir vorgestellt. Hätte ich geahnt, dass das ernst gemeint war, hätte ich mich erst gar nicht auf ihn eingelassen. Aber unsere Begegnung war mir schicksalhaft erschienen: Sein Hund hatte mich angesprungen und vom Fahrrad geworfen, ich hatte mir den Fuß verstaucht, Honka hatte mich ins Krankenhaus gefahren – und war dort ohnmächtig geworden. Ich wollte unbedingt wissen, wie die Geschichte weitergehen würde. Ich war Mitte zwanzig und wusste noch nicht, dass man Männer meiden muss, denen noch nicht mal ihr eigener Hund gehorcht.
Honka war das, was man pflegeleicht nennt. Er zog sich zurück, wenn ich meine Ruhe haben wollte – selbst wenn ich meine Ruhe gar nicht haben wollte, sondern bloß mal gerne von ihm gestört worden wäre. Er tröstete mich, als meine beste Freundin für ein Studienjahr nach Australien ging. Er brachte mich nach Hause, wenn ich auf Partys sturzbetrunken anfing, den Gastgeber zu bepöbeln. Er ertrug es mit stoischer Ruhe, dass ich Cannabis-Pflanzen auf dem Balkon unserer WG züchtete und unseren Nachbarn, einen Polizeihauptwachtmeister, bat, sie zu gießen, während wir im Urlaub waren. Er hielt den Schirm über mich, wenn es regnete. Wenn ich in der Sonne lag, stellte er sich den Wecker, um mich alle fünfundvierzig Minuten umzudrehen und einzucremen. Er machte mir Obstsalat, damit ich genug Vitamine bekam. Wenn ich ihn anschrie, verließ er schweigend den Raum und kam nach einer halben Stunde wieder, um zu fragen, ob ich mich abgeregt hätte und wir jetzt gemeinsam «Tatort» kucken könnten. Er lackierte mir die Fußnägel, massierte mir die Kopfhaut, und, hätten wir geheiratet, er wäre bestimmt bereit gewesen, einen Doppelnamen zu tragen: Rüdiger Meier-Sturm. Bäh!
Ich meine, nichts gegen Männer, die ihren angebeteten Frauen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Aber es ist ein schmaler Grat zwischen Mann und Memme. Zwischen Kavalier und Beckenrandschwimmer. Wer will schon einen, der sich alles gefallen lässt? Ich hatte mal einen, nach dem warf ich im Streit eine Flasche Pellegrino. Im Restaurant. Ich verfehlte ihn nur knapp. Er lächelte, ging und war für drei Tage verschwunden. Drei Tage! Als er zurückkam, küsste er mich und sagte: «Schätzchen, ich liebe es, wenn du wütend wirst.»
Das, liebe Freunde, ist männlich. Das macht Eindruck.
Nichts ist schlimmer an einem Mann, als wenn er Frauen versteht. Doch, vielleicht eines: Wenn ein Mann in der Lage ist, seine Gefühle zu zeigen und über sie zu sprechen. Das ist enorm verunsichernd und raubt jeder Beziehung die Basis.
Es ist zwar wahr: Ich kenne keine Frau, die ihren Mann nicht wenigstens zweimal in der Woche anpflaumt, er sei emotional verkümmert und sie wünsche sich nichts sehnlicher, als dass er ihr mitteile, was in ihm vorgehe. Aber wahr ist auch: Es gibt nichts Entwürdigenderes, als wenn Männer mitteilen, was in ihnen vorgeht.
Wer will das wissen, wenn es deinen Liebsten vor unterdrücktem Schluchzen schüttelt, während er sich das Finale von «Dornenvögel» ansieht? Oder wenn er abends unvermittelt den Fernseher ausknipst und sagt: «Ich will jetzt mal ganz offen mit dir über meine inneren Verunsicherungen sprechen.»
Seien wir ehrlich: Emotionen sind Frauensache. Da kennen wir uns besser aus. Das ist unser Revier. Da machen wir einfach die bessere Performance: hysterische Anfälle, mit zerbrechlichen Gegenständen werfen, Heul- und Lachkrämpfe, aus Beziehungsratgebern zitieren und in der Badewanne weinend Randy Crawford hören – irgendein Grund findet sich immer.
Das einzige Gefühl, das Männer offen zeigen dürfen, ist ihre Liebe zu uns. Und den blanken Hass, wenn eine weibliche Schnecke im Fiat Punto direkt vor ihnen sicherheitshalber schon mal bei Grün bremst. Weil auf Grün folgt ja bekanntlich manchmal ganz, ganz plötzlich Gelb – und die siebenundsechzig Fahrstunden sollen ja nicht umsonst gewesen sein.
Aber zurück zu Honka. Dieser Mann war so unangreifbar, so perfekt, so irrsinnig langweilig, so gar nicht schwierig, so waaaahnsinnig lieb, dass ich es zweieinhalb Jahre nicht übers Herz gebracht habe, mich von ihm zu trennen.
Zweieinhalb Jahre habe ich mich nicht getraut, ihm zu sagen, dass ich ihn nicht liebe, weil ich fürchtete, er könne das persönlich nehmen. Für eine Trennung fiel mir einfach kein triftiger Grund ein.
Ich hielt aus und betrog ihn ab und zu mit irgendwelchen gepiercten DJs und leicht verführbaren Volleyballern, um meinen Kindern und Kindeskindern später mal wenigstens ein bisschen was von einer wilden Jugend erzählen zu können.
Es kam, wie es kommen musste. Honka verließ mich. Er war beim Joggen mit einer stämmigen Apothekenhelferin zusammengeprallt, hatte sich dabei die Schulter ausgekugelt, und von da an hatte dieses Berserker-Weib alles in die Hand genommen. Ist ja auch total einleuchtend: Weichei braucht Hartei. Frauenversteher braucht Hausmeisterin. Eine männliche Memme braucht einen weiblichen Chef.
Dennoch, es traf mich aus heiterem Himmel, als Honka eines Abends, kurz vor den «Tagesthemen», meine Hand nahm und um ein Gespräch bat.
«Ach du liebes bisschen», dachte ich zunächst gelangweilt, «was hat er denn jetzt schon wieder?» Kurz befürchtete ich einen Heiratsantrag. Oder wollte er mit mir besprechen, was wir meinen Eltern zu Weihnachten schenken? Ich ging jedenfalls innerlich in Abwehrhaltung und hörte im Grunde schon nicht mehr richtig zu, als er zu sprechen begann.
«Püppchen», säuselte Honka, und ich gähnte nach Innen. «Püppchen, ich habe mich in eine andere Frau verliebt und möchte mich von dir trennen.»
Ich muss ihn etwa zwei Minuten lang völlig verständnislos angestarrt haben.
«Nun ja, mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen», sagte er schließlich, um was zu sagen. «Möchtest du, dass ich gleich gehe?»
Ich glotzte ihn immer noch an, so als ob … na ja, so wie man halt glotzt, wenn man von einem Mann verlassen wird, den man noch nicht mal liebt. Das ist besonders beschämend. Ich meine, man ist es ja gewohnt, von Männern verlassen zu werden, von denen man nicht verlassen werden möchte. Das ist dann ein großer, dramatischer, würdevoller Schmerz. Darüber gibt es Romane und Ratgeberbücher. Das hat jeder mal erlebt. Da wird man ordentlich bemitleidet, und keiner macht einem Vorwürfe, wenn man vor schierem Kummer innerhalb von drei Wochen vier Kilo zunimmt.
Aber man ist doch nicht zweieinhalb Jahre aus Mitleid und, zugegeben, auch Feigheit mit einem Mann zusammen, um dann von dem verlassen zu werden. Da hätte man sich die ganze Zeit des Aushaltens ja sparen können!
«Siehst du», sagte meine Freundin Ibo später, «du hättest ihn eben schon viel früher verlassen sollen.»
«Natürlich hätte ich ihn längst verlassen, wenn ich gewusst hätte, dass er mich verlassen würde!»
Ach, die Diskussion war eine fruchtlose.
Jedenfalls wusste ich auf Honkas Abschiedserklärung nichts zu erwidern. Er wiederholte seine Frage:
«Püppchen, möchtest du, dass ich gleich gehe? Ich würde nämlich ganz gern noch die ‹Tagesthemen› gucken.»
Ich sah auf die Uhr, zuckte mit den Schultern und sagte: «Ich habe mich zweieinhalb Jahre mit dir gelangweilt, da kommt es auf die halbe Stunde auch nicht mehr an.»
Ja, ich weiß, das war billig und total niveaulos. Ich bin auch nicht stolz darauf. Aber ich war eben so unheimlich gekränkt, dass ich mir diese Niedertracht nicht verkneifen konnte.
Honka, wie immer, nahm es mir gar nicht übel. Jedenfalls hat er sich die «Tagesthemen» noch angeschaut, bevor er aus meinem Leben verschwand, um bei dem der Apothekenhelferin mitzumachen.
Honkas Frau leitet heute einen Betrieb, in dem Verschlusskappen für Medikamentenröhrchen hergestellt werden. Honka selbst ist, soweit ich weiß, zum dritten Mal in Mutterschutz.
Welcher Idiot hat eigentlich behauptet, man würde aus Erfahrung klug? Zwar war ich nach Honka fest entschlossen, mir Männer niemals wieder deshalb auszusuchen, weil sie zu meinen schlechtesten Eigenschaften passen – aber es ist mir nicht wirklich gelungen. Leider habe ich mich nie in die Männer verliebt, die ich für menschlich wertvoll hielt. Das sind alles meine besten Freunde geworden: Tom, der enorm sexy aussieht, mir seine Gewichtsprobleme anvertraut und keiner Frau über den Weg traut, die es ernst mit ihm meint.
Und Jo, der Poet, der so klug ist und zart. Der eine habilitierte Miss World bräuchte, eine, die lüstern wird, wenn sie einen Themenabend auf Arte schaut.
Und Frank, der zum dritten Mal und wieder sehr glücklich verheiratet ist. Der Glückliche.
Ich selbst bin eher unglücklich. Nein, unglücklich ist wohl das falsche Wort. Aber irgendwas stimmt immer nicht. Ich hänge aber auch irgendwie an meinen Problemen. Sie sind meine treuen Begleiter, sorgen für Kurzweil und Gesprächsstoff.
Ich zitiere ja nicht besonders häufig Klassiker deutscher Wortkunst – dafür kenne ich immerhin vieles von Gegenwartskünstlern wie Ally McBeal, Seinfeld und Xavier Naidoo auswendig –, aber an dieser Stelle sei der gute Goethe erwähnt, der einst schrieb:
«Nichts ist schwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen.»
Der Mann war klug. Ich hätte es selbst nicht besser ausdrücken können.
Wenn ich mich abends auf einer Party unwiderstehlich fand, habe ich garantiert am nächsten Morgen einen Pickel auf dem Kinn. Und zwar einen von denen, die wehtun, ohne dass man sie anfasst.
Wenn ich nach einem spitzenmäßigen One-Night-Stand modern und wortlos das Appartement verlassen will, dann wurde garantiert mein Auto abgeschleppt. Ich muss also zurück und kleinlaut bitten, beim zuständigen Polizeirevier anrufen zu dürfen.
Wenn ich früh ins Bett gehe, überhöre ich morgens den Wecker.
Wenn ich abends keinen Alkohol trinke, habe ich tags darauf Kopfschmerzen und geschwollene Lider.
Wenn ich mich verliebe, dann in den Falschen.
Wenn ich verlassen werde, dann vom Richtigen.
Wenn ich abnehme, dann ist es nur Wasser.
Und wenn ich ein CD-Überspielgerät geschenkt bekomme, dann freue ich mich sehr darüber, weiß aber genau, dass ich das Ding niemals werde bedienen können.
Es ist immer was los bei mir. Ich will es nicht anders. Sobald ich ein Problem gelöst habe, schaffe ich mir ein neues an.
Es gab allerdings einen Moment, da musste ich annehmen, ich hätte auf einen Schlag keine einzige noch so klitzekleine Schwierigkeit mehr.
Als ich Philipp von Bülow kennen lernte, dachte ich, dass sich der Himmel aufgetan und das liebe Jesulein persönlich befohlen hätte: «Jetzt, Freunde, jetzt ist die Kleine da hinten mal an der Reihe!»
Will reflexartig gerührt zu meinem schmatzenden Lebensgefährten rübergreifen, ihm «Guten Morgen, Bülowbärchen» ins Ohr flüstern und dann, etwas lauter: «Ich bin schon wach. Schläfst du etwa noch, mein Liebster?» Denn ich bin nicht gerne alleine wach. War ich noch nie. Ich kann es auch nicht gut leiden, wenn der Mensch, der neben mir liegt, als Erster einschläft. Fühle mich dann vernachlässigt, einsam und außerdem im Nachteil, weil ich ja auch lieber schlafen möchte, als mich darüber zu ärgern, dass ich als Einzige noch wach bin. Ich habe also einige Methoden ausgearbeitet, jemanden so zu wecken, dass er denkt, er sei von selbst aufgewacht. Oder ich erfinde Gründe, die ein frühzeitiges Wecken dringend erforderlich machen: «Ich hatte einen Albtraum.» «Du hattest einen Albtraum.» «Du hast ganz schlimm geschnarcht.» Oder: «Ich glaube, es ist jemand in der Küche.»
Ich bin mir noch nicht sicher, welche Strategie ich heute Morgen anwenden werde, robbe ein wenig näher heran an meinen Süßen, strecke meine Hand liebevoll aus … als mir gerade noch rechtzeitig einfällt, dass ich Philipp von Bülow ja gar nicht mehr liebe. Und zwar seit gestern Abend.
Ich mag da ja etwas empfindlich sein, aber gestern hat er den Bogen wirklich überspannt und zu viel Zeit mit dieser Pissnelke verbracht, dieser Schweinenase, dieser spindeldürren Übelkrähe. Nein, ich habe nichts gegen die Frau persönlich, wirklich nicht. Sie ist seine Klientin, er handelt ihre Verträge aus, und er kann ja nichts dafür, dass sie so dünn und so naturblond ist – und vor drei Jahren mal eine Affäre mit ihm hatte.
«Nichts Ernstes. Das war rein sexuell», versuchte Philipp zu scherzen, nachdem er mir unvorsichtigerweise von dieser Liaison berichtet hatte.
Bente Johannson ist, ich erwähnte es schon, hauptberuflich unterernährt. Sie kommt aus Schweden, was ihr bedauerlicherweise diesen niedlichen, nordischen Au-pair-Mädchen-Akzent beschert. Sie ist etwa eins achtzig groß und hat selbstverständlich als Model in Paris, Mailand und New York gearbeitet. Seither benutzt sie gerne auch mal Amerikanismen, bei denen sie ihren ohnehin schon unnatürlich großen Mund aufreißt, als wolle sie gerade einen Doppelwhopper mit einem Happs verschlingen.
«Hi Phil, my Darling», sagt die schwedische Schlampe immer zu Philipp und zeigt dabei ihr Zäpfchen. Mich hingegen begrüßt sie meist gar nicht – was ich sehr begrüße.
Bente hat Philipp bedauerlicherweise nicht nur zu ihrem Anwalt erkoren, sondern auch zum Berater in allen Lebenslagen. Sie informiert ihn über ihre Krisen und ruft ihn fünfmal am Tag in der Kanzlei an, wenn sie sich am Set vom Regisseur, von einem Beleuchter oder einfach nur generell schlecht behandelt fühlt.
Seit einem Jahr arbeitet Bente leider erfolgreich als Moderatorin der RTL2-Reality-Show «Der Eisprung deines Lebens». Da werden fünfzehn Kandidatinnen «auf einem einsamen Ei-Land» – so die irre originelle Werbung – ausgesetzt, auf dem es bloß ein paar Hütten, viel halbtrockenen Sekt und vier Kerle gibt. Wer nach zwölf Wochen, sprich zwei Zyklen, schwanger ist, kommt ins Finale.
Die Ultraschallbilder gibt’s wöchentlich zum Runterladen im Internet, und nach den Geburten wird per DNA-Test bestimmt, wer von den Männern die meisten Kinder gezeugt hat. Der bekommt die Siegerprämie von 250000 Mark. Die Mütter dürfen alle ihr Leben lang umsonst bei Esso tanken, und jedes der Gewinner-Kinder bekommt zur Einschulung einen Garantievertrag für einen Moderatoren-Job bei RTL2.
Behinderte Kinder, so eine Klausel in den Verträgen, dürfen später in mindestens vier Werbespots der «Aktion Mensch» mitspielen.
Philipp hat mir erzählt, dass Bente diese Show nur sehr widerwillig moderiere und ihr eigentlich etwas in Richtung «Spiegel-TV» oder «Aspekte» vorschwebe.
Dass ich nicht lache. Har! Har! Har!
Wahrscheinlich hat sie deshalb, um ihrer Sehnsucht nach seriösen Inhalten Ausdruck zu verleihen, jüngst das Angebot angenommen, sich für den «Playboy» auszuziehen.
Wenn man mich fragt, ich halte große Brüste ja für absolut überbewertet.
Einmal, Philipp und ich waren noch kein halbes Jahr zusammen, gingen wir mit Bente, ihrem damaligen Begleiter und ihrer besten Freundin essen. Natürlich im Borchardt, wo der Bundeskanzler auch gerne speist und wo Bente Johannson immer einen Tisch bekommt, auch wenn sie nicht reserviert hat, und wo Normalsterbliche keinen Tisch bekommen, auch wenn sie reserviert haben.
Ich selbst habe einmal mit Ibo in der langen Schlange der Namenlosen, der gedemütigten Nobodys gestanden und eine Stunde auf unseren reservierten Tisch gewartet – den dann die Frau bekam, die gerade erst gekommen war. Ich glaube, es war Hannelore Elsner oder die nordrhein-westfälische Landwirtschaftsministerin.
Bente bestellte eine Suppe und dann einen kleinen Salat. Ihre Freundin, eine schwarze Gazelle, aß nur einen kleinen Salat und kicherte, wenn Philipp einen Witz machte – auch dann, wenn er bloß versuchte, einen Witz zu machen. Ich glaube, sie nahm einfach nur jeden noch so winzigen Anlass wahr, um zu zeigen, wie gut ihre perlweißen Zähne in ihrem Erdal-schwarzen Gesicht zur Geltung kamen.
Bentes Begleiter sagte den ganzen Abend gar nichts, sah dafür aber blendend aus. Wie Pierce Brosnan. Wahrscheinlich wollte er den guten Eindruck, den er mit seinem Äußeren erweckte, nicht durch Wortbeiträge zunichte machen. Insofern also ein kluger Mann.
Eigentlich hörten alle Philipp zu. Nun ja, alle außer mir. Denn ich kenne die Geschichten über Thomas Gottschalk mittlerweile auswendig. Oder die Story, wie ein Mann die «Bild»-Zeitung verklagte, weil sie über den tragischen Tod seiner Frau unter der Schlagzeile berichtet hatte: «Margot (42) wurde nur 41 Jahre alt.»
Brüllendes Gelächter.
Ich widmete mich verschwiegen dem mittelmäßigen Schnitzel. Früher habe ich immer artig gelacht über Witze, die ich schon kannte, oder über solche, die ich schlecht fand oder nicht verstanden hatte. Versuche seit geraumer Zeit, mir das abzugewöhnen.
Als ich mir als Einzige eine Nachspeise bestellte, schien mich Bente zum ersten Mal zu bemerken: «Du, Pippi», sagte sie und nippte an ihrem stillen Wasser, «ich finde das ganz toll, wenn jemand einfach das isst, worauf er Lust hat, ohne auf die Figur zu achten. How should I say? Das ist so genussorientiert.»
Ich implodierte und dachte: «Bente Johannson, du widerliches Skelett! Ich kann abnehmen, wenn ich will, aber an deinem dämlichen Gesicht kannst du nichts mehr ändern! Ich bin klug, ich bin lustig. Ich habe den Mann, den du wolltest, und ich habe fest vor, meine Bauchmuskeln zu trainieren!»
Ich sagte: «Ähhh? Ach ja? Danke. Mein Name ist übrigens Puppe.»
Sie sagte: «Oh, how sweet!» Und ich sah, wie sie Philipp zuzwinkerte.
Das war der Beginn einer lebenslangen Feindschaft – zumindest von meiner Seite aus. Wir sind uns noch drei-, viermal begegnet. Zunächst beschloss ich, sie nicht mehr zu grüßen. Was aber nicht weiter auffiel, weil ich sie ohnehin nie gegrüßt hatte. Leider gab Bente mir auch keine Gelegenheit, sie schlecht zu behandeln, da sie mich völlig ignorierte.
Ich litt sehr. Auch darunter, dass Philipp kein Verständnis für meine Seelenqual zeigte: «Das hast du doch gar nicht nötig. Bente ist meine Klientin und eine gute Bekannte, weiter nichts. Und sie ist einfach eifersüchtig auf dich.»
«Warum das denn?»
«Weil du so natürlich bist.»
Ich weiß, dass er das als Kompliment meinte. Aber trotzdem fühlte ich mich in Bentes Anwesenheit wie ein Aborigine im Jil-Sander-Flagship-Store, wie unoperiert neben Ramona Drews, wie unbekleidet neben Giselle Bündchen, wie ungebildet neben Hans Magnus Enzensberger und so weiter.
Es fällt mir bis heute schwer, mich in der Gesellschaft der Reichen und Schönen zurechtzufinden – zumal die meisten reicher und schöner sind als ich.
Gestern Abend jedenfalls, Philipp und ich wollten noch einen Absacker in der Paris Bar nehmen, ist mir der Kragen geplatzt. Kaum hatten wir die Eingangstür passiert, ertönte ein schriller Schrei: «Phil! Honey! Endlich!»
Bente Johannson sprang vom Stuhl, riss mein Bülobärchen an sich und zerrte ihn in die Nähe der Toiletten.
Ich stammelte noch was wie: «Ach, Bente, angezogen hätte ich dich fast nicht erkannt», aber sie war schon außer Hörweite. Ich stand bedröppelt vor dem Tresen und versuchte so zu tun, als könnte ich mich nicht entscheiden, zu welchem meiner zahlreichen Bekannten ich mich setzen sollte.
Ich war heilfroh, dass ich Sylvia an einem der Tische entdeckte. Sylvia ist die beste Schauspielerin Deutschlands und die anstrengendste Person, die ich kenne. Und die einzige Frau auf der Welt, die es gewagt hat, sich von ihrem Mann zu trennen, obwohl sie über vierzig und er unter vierzig ist. Ich habe sie sehr gern. Besonders, weil sie mich so gern hat.
In ihrem Metier sind Frauen nämlich in der Regel nicht nett zueinander. Entweder sie schnappen sich gegenseitig die Rollen oder die Männer weg. Und da ich keine Rollen habe, muss ich wohl ganz besonders auf meinen Mann aufpassen.
Philipp kümmerte sich vierunddreißig Minuten lang nicht um mich. Davon halte ich nichts. Da bin ich typisch weiblich. Wenn ich anwesend bin, dann will ich auch wahrgenommen werden. Und zwar möglichst ausschließlich. Wenn nicht, dann gibt es Probleme.
Mit Sylvia sprach ich über die Vorteile jüngerer Männer.
Philipp ist acht Jahre älter als ich. In zwei Monaten feiert er seinen Vierzigsten. So, wie ich gestimmt war, pries ich die Vorzüge eines jungen Liebhabers so schwärmerisch, dass selbst Sylvia, die sich zurzeit die Zeit mit einem Zweiundzwanzigjährigen vertreibt, skeptisch wurde.
Während unseres Gesprächs äugte ich fortwährend Richtung Toilette: Bente redete mit großen Gesten aufgeregt auf Philipp ein. Den Kopf warf sie dabei immer wieder zurück wie die Damen in den Werbespots für Haarfestiger.
Ich versuchte, mich auf Sylvia zu konzentrieren, die mir von einem Film berichtete, in dem sie mal wieder die betrogene Ehefrau spielen sollte.
«Weißt du was, Puppe, die Produzenten wollen einfach nicht wahrhaben, das eine Frau jenseits der vierzig noch gerne fickt.»
Ich zuckte ein wenig zusammen, weil Sylvia, wie es ihre Art ist, sehr laut gesprochen hatte.
«Ist das denn so?», fragte ich hoffnungsvoll.
Ich bin zwar erst Anfang dreißig, aber vor die Wahl gestellt, zwischen Sex und einem neuen Film mit Hugh Grant, also ganz ehrlich, da müsste ich schon einen Moment überlegen …
«Natürlich ist das so!», trompetete Sylvia. «Mit fünfunddreißig hatte ich meinen ersten vaginalen Orgasmus. Und seither wird es immer besser!»
Ein junger Typ mit künstlerisch wertvollem Ziegenbärtchen schaute interessiert herüber und fragte, was wir trinken wollten.
Sylvia ging gegen ein Uhr. Mit dem Ziegenbärtchen am Arm. Sie küsste mich auf den Mund und sagte zum Abschied: «Hör mal, Kleine, das ist ja nicht mit anzusehen. Geh gefälligst nach Hause oder hau deinem Philipp eine in die Fresse.»