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Zwei Charaktere, die unterschiedlicher nicht sein könnten... Lucas Stanhope ist ein Draufgänger, der nichts anbrennen lässt. Unverbindlicher Sex ist genau sein Ding, von Beziehungen und Verantwortung hält er nicht viel. Das muss sich ändern, meint seine Familie. Der notorische Frauenheld wird dazu verdonnert, ein Wohltätigkeitsprojekt in England zu unterstützen. Widerwillig reist er nach London – wo ihn eine Überraschung erwartet. Die Charity-Lady Danielle ist nicht nur hübsch und jung, sondern auch eigenwillig und sehr sexy. In kürzester Zeit fliegen die Funken zwischen den beiden. Schnell wird jedoch auch deutlich, dass er nur das Eine, sie aber den Mann fürs Leben sucht. Bei einem Schneesturm in den Schweizer Alpen nähern Danielle und Lucas sich an ... Werden die beiden zueinander finden oder sind die Gegensätze zu groß? Der zweite Band der Erfolgsreihe „Shanghai Love Affairs”. Jeder Band ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Prolog
1. London
2. London
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
17. London
Kapitel 18
19. Ragley Manor
Kapitel 20
Kapitel 21
Epilog
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Lektorat: Katrin Engstfeld www.kalliope-lektorat.de
Covergestaltung: Casandra Krammer – www.casandrakrammer.de
Covermotiv: © yurchak – depositphotos.com, Stock_Design – Shutterstock.com, Vectorium, azerbaijan-stockers – freepiks.com
Korrektorat: Sandra Nyklasz
© Copyright 2015 by Karin Lindberg
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Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Erstellt mit Vellum
»Lucas, verdammt! Reiß dich zusammen und leg dein Telefon weg, sonst schmeiße ich es eigenhändig aus dem Fenster!«, donnerte Damian. Seine Halsschlagader pochte, was bei den Zwillingen ein eindeutiger Hinweis darauf war, dass der Vulkan bald ausbrechen würde, wenn man sich nicht in Acht nahm.
Lucas Stanhope saß zusammen mit seinem Zwillingsbruder Damian in seinem Büro, wo die beiden an der Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Quartalsergebnisse arbeiteten. Er blickte nicht auf, als er antwortete: »Reg dich ab, Mann. Wir sind doch so gut wie durch.« Lucas Handy piepte erneut. Seine Bettgefährtin der letzten Nacht konnte anscheinend nicht genug von ihm bekommen. Vielleicht würde er sich gleich heute Abend wieder mit ihr verabreden, aber das konnte warten, daher legte er sein iPhone zur Seite.
»Was wir nicht dir zu verdanken haben, mein Lieber«, schnaubte Damian und schüttelte den Kopf.
Lucas war es leid, von Damian wie ein Halbwüchsiger behandelt zu werden, den man ständig zurechtweisen musste. In aller Seelenruhe goss er deswegen noch einmal Öl ins Feuer. Ob Damian jetzt ausflippte oder nicht, konnte ihm am Ende doch egal sein. Damians Temperament schreckte ihn nicht, schließlich war seines nicht minder aufbrausend. »Ich dachte, jetzt wo du regelmäßig Sex hast, wärst du vielleicht entspannter. Wie ist das eigentlich mit Schwangeren, sind die wirklich rund um die Uhr rollig?« Lucas setzte dabei eine nichtssagende Miene auf und beobachtete Damian. Dieser kniff die Augen zusammen und zischte gefährlich leise: »Ich warne dich, Lucas. Pass auf, was du sagst. Du bist widerlich primitiv.«
»Da ist aber jemand mit dem linken Fuß aufgestanden.« Lucas kaute genüsslich auf dem Kugelschreiber. Damian setzte sich auf. Lucas senkte den Kopf ein wenig. Dieser Blick verhieß nichts Gutes, er nahm den Stift aus dem Mund.
»Wenn du meinst. Ich habe aber noch eine Neuigkeit für dich, die dich interessieren dürfte.« Lucas straffte sich. Wahrscheinlich handelte es sich nicht um eine heiße neue Abteilungsleiterin im Hause.
»Ach, was könnte das sein?«, fragte er schließlich, als ihm Damians Schweigen zu lange dauerte.
Damian grinste diabolisch – ein schlechtes Zeichen. Lucas zog die Brauen zusammen. Sein Bruder war äußerst selten ausgelassen fröhlich, wobei sich das deutlich gebessert hatte, seit er mit Julia zusammen war.
»Ich habe zugesagt, dass du eine Weile bei einer Wohltätigkeitsorganisation aushelfen würdest.«
»Du hast …«, Lucas Mund klappte auf, »… was?«
»Na, da fällt dir dein dämliches Grinsen wohl aus dem Gesicht, Bruderherz.« Damians ebenmäßige, weiße Zähne blitzten auf, während er sich betont gelassen die seidene Krawatte geraderückte.
»O Mann. Einen Moment lang dachte ich, du meinst es ernst. Guter Witz, Damian. Ha, ha«, lachte Lucas erleichtert auf.
»Es ist mein voller Ernst. Du wirst in zwei Wochen nach London fliegen und dort einige Investorentermine wahrnehmen.«
»Du hast ja wohl eine Meise! Kannst du vergessen. Charity bedeutet alte, vertrocknete Ehefrauen, die nichts Besseres zu tun haben, als sich um streunende Hunde zu kümmern. Auf keinen Fall!« Energisch knallte Lucas den Kugelschreiber auf den Schreibtisch und sprang auf.
Damian ließ sich amüsiert in den weichen Ledersessel zurücksinken und schlürfte zufrieden aus der Porzellantasse, die bis dahin unberührt vor ihm gestanden hatte. »Ich fürchte doch, Lucas. Oh, weißt du noch? Kaffee?«
»Was?« Lucas raufte sich aufgebracht die Haare.
»Du willst doch nicht, dass ich Mutter erzähle, was mir letztens in meine Tasse gekippt wurde? Muss ich dir auf die Sprünge helfen? Rohypnol? Und das bei der Vorgeschichte in unserer Familie? Was, wenn du mir damit bleibende psychische Schäden beschert hättest?«
»Du hattest auch schon ohne den Kaffee bleibende psychische Schäden. Außerdem hast du gar nichts davon getrunken. Du bist total irre! Und wenn du glaubst, dass ich mich von dir für irgendeinen Scheiß einspannen lasse, hast du dich geschnitten!«
Damian grinste unverschämt siegessicher. Wie war er überhaupt auf so einen Quatsch gekommen? Charity! In Lucas wuchs das Bedürfnis, seinem Zwillingsbruder die Meinung mit der Faust zu geigen. War das Damians Rache dafür, dass er Julia geholfen hatte, seinen Bruder aus der Reserve zu locken? Der musste bekloppt sein, ihn für eine Weiberveranstaltung einspannen zu wollen.
»Na, was sagst du? Du wirkst noch etwas skeptisch. Es ist ja nicht lange, nur für ein paar Wochen … Andererseits kann ich Charlotte natürlich auch weiter ermutigen, doch für einige Zeit nach Hongkong umzuziehen, um dir persönlich bei der Suche nach einer passenden Ehefrau behilflich zu sein.« Damian schwebte mittlerweile in Lebensgefahr. Lucas Puls war dort, wo er sonst höchstens durch exquisiten Sex hingelangte, und nun pochte seine Halsschlagader heftig. »Du hast sie wohl nicht mehr alle, Damian.« Lucas ballte die Fäuste.
»Das sagtest du bereits. Gut, ich werde dir die Unterlagen zu Every Life Matters zukommen lassen und in zwei Wochen geht’s dann los.« Damian räkelte sich genüsslich, was Lucas nur noch rasender machte.
»Kommt nicht in Frage! Was soll der Bullshit?« Und wenn es die halbe Belegschaft hörte, es war ihm egal.
»Wir sprechen uns noch, Bruderherz. Überleg dir gut, ob du wirklich riskieren möchtest, dass ich Charlotte mit hineinziehe.«
»Hau ab, du Arschloch, raus aus meinem Büro!«
»Nichts lieber als das. Jetzt frage ich mich doch, wer hier die schlechte Laune hat.« Damian stellte die halbvolle Kaffeetasse auf einem kleinen Glastisch ab und stand auf. Er klopfte Lucas lachend auf die Schulter, doch dieser schlug Damians Hand weg. Lucas hörte das Blut in seinen Ohren rauschen und war nah dran, seinem Bruder an die Gurgel zu springen. Damian schien die Anzeichen richtig zu deuten und trat den Rückzug an. Aber nicht ohne eine letzte spöttische Bemerkung: »Na, na, da ist aber jemand … aufgebracht. Bis später dann, Lucas.«
Lucas konnte nichts mehr erwidern, denn Damian war in Windeseile aus seinem Büro verschwunden. Er nahm Damians Tasse und knallte sie mit voller Kraft gegen die Tür. Das Porzellan zerbarst in tausend Stücke und Kaffee spritzte durchs ganze Büro. Den Teufel würde er tun! Auf keinen Fall würde er sich in ein Wohltätigkeitsweichei verwandeln! Wenn er nur daran dachte – alte Frauen mit Falten und Handtaschenhunden! Er schüttelte sich angewidert und stürmte aus dem Büro. Er musste sich irgendwo abreagieren, sonst würde noch mehr zu Bruch gehen.
Damian lief schnurstracks zu Jans Büro und berichtete ihm von Lucas’ Reaktion auf die Wohltätigkeitspläne.
»Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich einen Kaffeebecher an die Tür fliegen hören. Lucas scheint von der Sache noch nicht ganz überzeugt zu sein«, schloss Damian seine Erzählung. Jan lachte in sich hinein. »Es wäre zu schön, wenn der Plan aufgehen würde! Lucas in den Fängen einer Frau, ihrer Gnade ausgeliefert – welch ein Fest!«
Damian war sich sicher, dass das der perfekte Denkzettel für seinen draufgängerischen Bruder werden würde. Er kannte Danielle zwar nicht besonders gut, aber nach allem, was Julia ihm von ihr erzählt hatte, würde sie Lucas Paroli bieten und ihn Vollzeit für ihre Aktionen einspannen. Das würde ihm eine Lehre sein.
»Wir sollten versteckte Kameras organisieren!«, lachte Jan schenkelklopfend.
»Ich würde einiges darum geben, Lucas dabei zuzusehen, wie er versucht, mit Julias Freundin Geld für kranke Kinder aufzutreiben. Und Julia hat durchblicken lassen, dass Danielle, sagen wir mal, anstrengend sein kann.«
»Eine komplizierte Luxusschnitte also?«
»So hat sie es nicht gesagt, aber ich denke, das trifft es. Sie ist Vegetarierin, vehemente Tierschützerin, äußerst modebewusst und sucht nach der einen wahren Liebe. Keine Frau für eine Nacht. Das Ganze gepaart mit einem Hauch Zickigkeit.« Damian lachte sich ins Fäustchen.
»Eine Horrorvorstellung für jeden Steakliebhaber und Schürzenjäger!« Jan legte sich die Hände um den Hals und spielte den Erwürgten.
»Genau.« Damians Daumen zeigten nach oben.
»Perfekt«, erwiderte Jan. »So sieht es aus: Er wird leiden und ich gönne ihm jede einzelne Sekunde«, nickte Jan enthusiastisch. »Nur wie bekomme ich meine Platten wieder?«
»Du nervst mich wirklich damit, mein Freund. Mach es doch so, wie er es mit dir gemacht hat: Wette mit ihm, dass er keine drei Monate durchhält.«
Jans Gesicht leuchtete auf. »Sag, seit wann bist du so durchtriebenen, du Teufel?«
»Die Lorbeeren gebühren nicht nur mir. Eigentlich war die Aktion Julias Idee.«
»Die holde Julia ist einfach unvergleichlich! Man könnte dich ja fast beneiden – nach all den Jahren gleich so ein Volltreffer. Aber ich bin ja nicht so. Und ich mache mich gleich auf die Suche nach Lucas, um ihm eine Wette vorzuschlagen.«
»Ich muss auch los, ich bin mit Julia verabredet«, meinte Damian, als er aufstand.
Sein Freund grinste breit. »So schnell kann es gehen, wieder ein begehrter Junggeselle weg vom Markt.«
Damian zog eine Augenbraue nach oben. »Ich war niemals auf dem Markt. Und dir würde es auch guttun, wenn du endlich wieder anfangen würdest zu leben.« Sein Tonfall klang schärfer als beabsichtigt und er bereute es sofort.
»Mir geht es gut, keine Sorge. Du willst jetzt doch nicht unter die Kuppler gehen, oder? Ist ja echt nicht zu fassen, kaum sind die Leute unter der Haube, meinen sie, alle anderen müssten es ihnen gleichtun. Man kann auch ohne Frau glücklich sein. Wenn jemand das verstehen sollte, dann du. Schließlich hast du bis vor kurzem nach diesem Mantra gelebt.« Jan wirkte verärgert. Damian konnte es sogar ein wenig verstehen, daher antwortete er etwas versöhnlicher, als sie gemeinsam aus Jans Büro traten: »Ja, ja. Irren ist menschlich. Wir sehen uns, alter Freund.« Damit klopfte er Jan auf die Schulter und ging Richtung Aufzug, während Jan Lucas’ Büro ansteuerte. Lucas war sowas von dran!
Nahm diese Sitzung niemals ein Ende?, dachte Danielle und kaute ungeduldig auf ihrer Unterlippe. Die endlosen Vorträge der verschiedenen Abteilungsleiter langweilten sie. Als sie von ihren Papieren aufsah, fing sie den tadelnden Blick ihres Vaters auf. Sie senkte die Augen und hoffte, dass er ihr nach der Besprechung nicht wieder einen Vortrag über die Pflichten und Erwartungen, die an seine Tochter, Erbin von Fane International Trading Ltd., gestellt wurden, halten würde. Davon hatte sie in den siebenundzwanzig Jahren ihres Lebens weiß Gott genug gehabt.
Nach einer Ewigkeit hörte sie die erlösenden Worte von Charles Fane: »Vielen Dank, Ladies und Gentlemen, wir sehen uns dann in vier Wochen in der gleichen Runde wieder. Ich wünsche Ihnen noch eine gute Arbeitswoche.«
Danielle wollte unauffällig aus dem Besprechungszimmer schlüpfen, aber ihr Vater war schneller.
»Danielle, wenn du bitte noch einen Moment wartest, ich habe noch etwas mit dir zu klären.«
O nein! Sie hatte es geahnt. Innerlich wappnete sie sich für die Predigt, die sie gleich hören würde.
»Natürlich, Dad.« Sie lächelte ihn an und hoffte, dass ihr nicht anzusehen war, wie wenig Lust sie auf das hatte, was er von ihr wollte. Die Mitarbeiter verschwanden einer nach dem anderen zügig in Richtung Büros.
»Auf Wiedersehen Anthony, Ihr Report hat mir heute sehr gefallen! Wirklich gute Arbeit.«
»Danke, Sir. Wenn ich nachher noch kurz wegen der Kreditgeschichte etwas mit Ihnen klären dürfte? Lassen Sie mich bitte wissen, wann Sie Zeit haben.« Der untersetzte Finanzchef nickte und schüttelte Charles die Hand übereifrig, bevor er als letzter aus dem Raum abzog. Anthony trug einen dunkelgrauen Nadelstreifenanzug mit knallroter Fliege, dazu eine dicke Hornbrille, die sein volles Gesicht noch runder wirken ließ. Der kreisrunde Haarausfall hatte dem kaum über vierzig Jahre alten Mann eine mächtige Glatze beschert, die meistens speckig glänzte, wenn er aufgeregt war. Wie jetzt. Mit kurzen, trippelnden Schritten war er um die Ecke gebogen und Danielle stand zu ihrem Bedauern alleine mit ihrem Vater im Konferenzraum.
»Was ist los, Dad?«, fragte sie unschuldig und kratzte sich dabei an der Nase. Als ob sie nicht wüsste, was sie sich gleich anhören musste! Aber sie wollte das unangenehme Schweigen unterbrechen, während Charles noch auf seinem Telefon Nachrichten checkte und beantwortete. Danielle beäugte ihn kritisch. Schon vor einer ganzen Weile hatte sie der Verdacht beschlichen, dass er ihre Mutter hinterging, aber sie hatte noch keine handfeste Bestätigung für ihre Vermutung gefunden. Vielleicht tippte er ja gerade eine Nachricht an seine Geliebte. Danielles Herz klopfte schnell. Der Gedanke daran, dass er seine Familie betrügen könnte, brachte sie mehr auf, als sie sich selbst einzugestehen wagte. Vergeblich versuchte sie einen Blick auf sein Display zu erhaschen, dann steckte er das Telefon hastig in die Innentasche seines maßgeschneiderten Tweed-Sakkos.
»Ähm, ja. Entschuldige. Dringende Anfrage aus Asien.« Charles räusperte sich und wirkte mit einem Mal verlegen. Ein guter Lügner war er jedenfalls nicht.
»Ja, natürlich.« Sie hielt ihre Papiere umklammert wie ein Kissen.
»Aber warum ich dich sprechen wollte, Kleines. Hast du Robert schon zurückgerufen? Ich bin mir sicher, er würde sich sehr darüber freuen. Er ist doch so ein netter Junge.«
Daher wehte also der Wind. Anderes Thema, gleicher Nervfaktor. Danielle schwankte zwischen einem Seufzer aus Erleichterung und einem Stöhnen. Robert Goldwyn war der perfekte Schwiegersohn – in den Augen ihrer Eltern. Wohlhabend, erfolgreich und – todlangweilig. Sie hatte wenig Lust auf diese Konversation über einen Mann, der sie nicht im Geringsten interessierte, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen.
»Äh, noch nicht. Aber das wollte ich jetzt gleich machen, Dad.« Die Lüge ging ihr glatt über die Lippen, sonst würde er sie nie in Ruhe lassen.
Ihr Vater lächelte zufrieden und seine grauen Augen strahlten sie warm an. Charles war mit seinen achtundfünfzig Jahren immer noch ein überaus attraktiver Mann, George Clooney nicht unähnlich, was sie ihm natürlich niemals sagen würde. Wer würde schon seinen eigenen Vater öffentlich als »gutaussehend und interessant« bezeichnen? Aber darüber nachzudenken war erlaubt. Unter diesen Voraussetzungen war es allerdings tatsächlich nicht verwunderlich, dass er nach all den Jahren mit ihrer melancholischen Mutter bei einer anderen Frau Trost und etwas mehr suchte, was ihm seine Gattin anscheinend nicht mehr geben konnte oder wollte. Was nicht heißen sollte, dass Danielle damit einverstanden war. Ganz und gar nicht, schließlich hatten ihre Eltern den Bund der Ehe unter der Prämisse »in guten wie in schlechten Zeiten« geschlossen. Aber womöglich waren die schlechten Zeiten zu einem Dauerzustand geworden. Sie hoffte für ihre Mutter Sarah, dass er wenigstens so diskret vorging, dass sie nichts davon mitbekam. Das würde sie sonst sicherlich zutiefst verletzen.
»Das ist erfreulich. Deine Mutter wird überglücklich sein, wenn ich ihr erzähle, dass du mit Robert ausgehst.«
»Bitte, Dad, ich weiß nicht ...« Ihr Vater strahlte sie so hoffnungsvoll an, dass sie es nicht wagte, direkt Nein zu sagen.
Sarahs Zustand war allerdings der Hauptgrund, warum sie überhaupt in Erwägung zog, Robert anzurufen. Sarah kämpfte seit Jahren mit ihren Stimmungsschwankungen und gerade war sie wieder in einem Tief.
»Danielle, du weißt doch, wie sie ist. Sie wünscht sich, dass du glücklich bist, und Robert ist so ein netter Junge.«
Danielle wollte mit den Augen rollen, konnte sich aber gerade noch beherrschen. Bevor sie antwortete, holte sie tief Luft. Nett war leider die kleine Schwester von langweilig. Danielles Traumprinz sah anders aus, sie wollte einen charakterstarken Mann, der nicht nur attraktiv war, sondern ihr den nötigen Halt geben konnte. Sie suchte einen Gegenpol, zu dem sie auch aufschauen konnte und der sich nicht von ihr herumkommandieren ließ. Denn ihr war klar, dass sie die Menschen in ihrem Umfeld häufig manipulierte, um ihren Willen durchzusetzen. Insgeheim wusste sie, dass ihr Zukünftiger ihr die Stirn bieten können musste, damit sie glücklich werden konnte, denn immer zu bekommen, was sie wollte, war elend langweilig.
»Ich bin glücklich. Was sollte ein Mann daran ändern oder verbessern?« Sie hielt es für besser, dass ihr Vater nichts von ihren Gedankengängen erfuhr. Am Ende würde er es noch falsch verstehen und ihr einen störrischen Esel vorstellen, der ihr Leben kontrollieren wollte. So sehr sie sich auch nach Halt und Anlehnung sehnte, so wenig wollte sie in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Und wenn das ein Widerspruch war, dann blieb sie eben allein.
Charles legte ihr eine Hand an ihre Wange.
»Kleines, bitte, Sarah geht es nicht gut … Sie wünscht sich so sehr ein paar Enkelkinder, einen Mann an deiner Seite, der dich in der Firma unterstützen kann.«
»Ich weiß«, seufzte sie nun doch noch. Mehr gab es da nicht hinzuzufügen. Wo sollte sie die eierlegende Wollmilchsau herzaubern, der ihren Ansprüchen an einen potenziellen Ehemann gerecht wurde und ihren Eltern gefiel? Das Universum stellte keine derartigen Sonderanfertigungen zu. Jedenfalls bis jetzt nicht. Aber auf ein Wunder hoffen war schließlich immer noch erlaubt.
»Ich bin mir sicher, ihr beide werdet viel Spaß haben. Robert ist ein überaus intelligenter junger Mann.« Ihr Vater legte ihr eine Hand auf die Schulter und die Wärme seiner Berührung gab ihr das geborgene Gefühl ihrer Kindheit zurück. Einen Moment lang genoss sie es, dann antwortete sie leise: »Ganz sicher. Ich spreche gleich mit ihm.« Sie musste es ihren Eltern zuliebe mit Robert wenigstens versuchen. Ein Abendessen würde sie schon nicht umbringen.
»Danke. Ich weiß, es ist auch nicht leicht für dich. Ich bin ja die nächsten drei Tage in Frankreich, du hältst hier die Stellung, nicht wahr?«
Das warme Gefühl verpuffte und wich einem Grummeln in der Magengegend. Natürlich würde sie die Stellung halten, was so viel hieß, wie ihrer Mutter Tee zu kochen und Gebäck zu bringen, während er sich unter dem Deckmantel einer Geschäftsreise in einem Hotelbett mit seiner Geliebten vergnügen würde – wenn sie richtig lag mit ihrer Vermutung.
»Klar. Ich habe noch einiges auf dem Schreibtisch, Dad. Was gibt es denn in Frankreich so Wichtiges zu tun?«
Sie glaubte einen Moment, Verunsicherung in den Zügen ihres alten Herrn zu erkennen, aber nach einer Sekunde war er so selbstsicher wie immer.
»Ein paar Immobiliengeschäfte und Termine mit Handelspartnern, das Übliche. Todlangweilig. Ich würde viel lieber hierbleiben.« Er zuckte mit den Schultern. Ganz sicher hatte er keinen Geschäftstermin geplant, das Adjektiv »todlangweilig« hatte er noch nie im Zusammenhang mit seiner Arbeit gebraucht. Immerhin, nun war sie schlauer, wenngleich damit noch nichts bewiesen war. Vielleicht ließ sich ja alles erklären. Danielle fühlte sich plötzlich unbehaglich in seiner Gegenwart. Einerseits wollte sie ihren Vater nicht decken, wenn er ihre Mutter hinterging, andererseits hatte sie keine handfesten Belege. Sie wollte weg. Diese Verdächtigungen waren ihr unangenehm. »Klar. Ich bin spät dran, Dad. Gute Reise.«
Danielle küsste ihn auf die Wange und verließ so schnell wie möglich das Besprechungszimmer.
»Hab dich lieb, Kleines«, hörte sie ihn noch sagen, obwohl sie schon fast außer Hörweite war.
»Ich dich auch, Dad. Bis nächste Woche dann!«, rief sie ihm über die Schulter zu.
Danielle knallte die Sitzungspapiere auf ihren übervollen Schreibtisch und ließ sich in den weißen Designerbürostuhl fallen.
»Kein guter Tag heute?« Jill, ihre Sekretärin, brachte Danielle einen grünen Tee und ein vegetarisches Sandwich.
»Ach, Jill. Manche Tage sind wirklich … na ja. Könntest du mir die Nummer von Robert Goldwyn raussuchen? Ich muss kurz telefonieren.«
Jill hob eine Augenbraue und legte den Kopf schief.
»Der Langweiler Robert, den du nie wieder treffen wolltest?«
Danielle seufzte.
»Ja, genau der.«
»Oh. Okay. Was hat zu diesem Meinungsumschwung geführt?«
»Mein Vater.«
»Ach, na dann. Das ist natürlich ein Argument.« Sarkasmus war das, was sie jetzt am wenigsten gebrauchen konnte. Ihre Sekretärin war in den letzten zwei Jahren zu so etwas wie einer Freundin geworden, deswegen nahm sie es ihr nicht übel. Trotzdem hatte sie momentan wenig Lust, die Diskussion über Robert zu vertiefen.
»Bitte, Jill, frag nicht. Gib mir einfach die Nummer, okay?«
»Natürlich, entschuldige. Wie dumm von mir.« Jill schaute ein wenig beleidigt drein.
»Ist schon in Ordnung, du kannst ja nichts dafür. Wenn ich ehrlich bin, habe ich wirklich keine Lust, mich mit Robert zu treffen. Gerade jetzt, wo ich für Every Life Matters so viel vorzubereiten habe. Aber wenn ich will, dass mein Vater mich weiterhin bei meiner Wohltätigkeitsorganisation unterstützt, dann muss ich meinen Eltern zeigen, dass ich mir auch Mühe gebe, eine gute Tochter zu sein.«
Danielle biss lustlos in das Sandwich. Es schmeckte nach Pappe.
»Du bist auch eine gute Tochter, wenn du nicht den perfekten Schwiegersohn mit nach Hause bringst, Danielle. Und warum lässt du das mit der Wohltätigkeit nicht einfach sein? Eine großzügige Spende pro Jahr würde doch vollkommen ausreichen. Und wieso überhaupt in China, das ist doch am anderen Ende der Welt!« Jill rieb sich über die Schläfen.
»Es ist kompliziert. Und du weißt, weshalb ich so viel Wert darauf lege. Ich dachte, wenigstens du würdest mich verstehen.« Sie legte das Sandwich zurück auf den Teller.
»Entschuldige«, erwiderte ihre Sekretärin matt.
»Was ist mit dir los?«
»Ach, diese blöde Migräne quält mich schon wieder.«
»O nein, armes Ding! Dann solltest du zusehen, dass du nach Hause kommst.«
»Meinst du wirklich? Aber es gibt doch so viel zu tun!«
»Du nützt mir doch nichts, wenn du halbkrank bist, Jill. Bitte, ich bestehe darauf.«
»Dann werde ich noch ein paar dringende Sachen fertigmachen und leg mich dann zuhause ins Bett.«
»Unbedingt. Und das an einem Freitag! Du wirst hoffentlich nicht das ganze Wochenende flachliegen.«
Danielles Handy klingelte. Ihre Laune besserte sich schlagartig, als sie erkannte, dass ihre beste Freundin Julia aus Shanghai am anderen Ende der Leitung war.
Jill verabschiedete sich wortlos mit einem Winken und zog die Tür geräuschlos zu.
»Julia! Wie schön! Wie geht’s dir?«, beantwortete Danielle den Anruf.
»Hi Danielle! Es ist so schön, deine Stimme zu hören! Mir geht’s gut, bis auf diese Übelkeit. Stell dir vor, ich habe ständig einen Eimer bei mir, weil ich nie weiß, wann es mir das nächste Mal hochkommt.«
»Igitt. Das klingt ja nicht so besonders ...«
»Angeblich soll es nach den ersten drei Monaten aufhören, also habe ich noch Hoffnung. Bei manchen dauert es aber auch länger. Aber ich bleibe mal positiv.«
»Ich wünsche es dir. Permanente Spuckerei muss fürchterlich sein. Wie macht sich Damian?«
»Er ist einfach perfekt. Ich bin so glücklich! Er müsste jeden Moment nach Hause kommen, wir wollen ausgehen. Ich hoffe, ich blamiere uns nicht und kotze dem Kellner vor die Füße.«
»Ach, richtig. In Shanghai ist ja schon Abend! Ich bin ein wenig eifersüchtig auf ihn, du bist so weit weg. Ich vermisse dich so, Julia! Hier läuft mal wieder nichts, wie ich es will.«
»Was ist los?«
»Ach, ich will dich damit nicht belasten, Sweetheart, nur so viel: Meine Eltern haben den perfekten Schwiegersohn für mich.« Danielle seufzte und schlürfte von ihrem nur noch lauwarmen Tee.
»Schon wieder?« Julias klare Stimme war voller Mitgefühl.
»Ja, ich weiß«, stöhnte Danielle gequält. »Hat dein perfekter Damian nicht zufällig einen ebenso perfekten Bruder, den du mir schicken kannst?«
Stille. Danielle fürchtete, dass Julia am anderen Ende aus der Leitung geflogen war. »Hallo, Julia? Bist du noch dran?«
Sie nahm das Telefon und schaute aufs Display, um sich zu vergewissern, dass das Gespräch nicht unterbrochen worden war.
»Das war doch nur ein Scherz. Du sollst mir ganz sicher nicht auch noch potenzielle Schwiegersöhne anschleppen!«
»Ähm. Bestell deinen Eltern doch einen lieben Gruß von mir, bitte, wenn du sie das nächste Mal triffst.«
»Was ist das denn jetzt für ein merkwürdiger Themawechsel? Bist du noch dran, Julia? Hab’ ich irgendwas Falsches gesagt? Ist auch wirklich alles okay bei dir? Wenn dieser Damian dir Kummer bereitet, verpasse ich ihm einen Tritt in den Hintern!«
»Nein, wirklich nicht«, unterbrach sie Julia lachend. »Ich war einen Moment abgelenkt.«
»Du klingst, als hättest du eine ganze Packung Tic Tacs im Mund, was machst du eigentlich?«
»Erwischt. Tic Tac ist das einzige, was ein wenig gegen die Übelkeit hilft, deswegen ist mein Verbrauch in letzter Zeit leicht gestiegen.«
War das überhaupt möglich? Julia futterte auch ohne schwanger zu sein eigentlich ununterbrochen Tic Tacs quer durchs Sortiment. »Hm. Naja, mir wären längst alle Zähne weggefault. Du bist schon unglaublich.«
Julia lachte. »Du auch, Süße. Wann sehen wir uns wieder? Du fehlst mir.«
»Ich weiß nicht. Hast du dir mittlerweile überlegt, ob du bei Every Life Matters mit einsteigen willst? Dann könnten wir uns auch öfter sehen! Das wäre so toll!«
»Hm. Danielle. Also ich denke … Ja!«
»Was?!«, rief Danielle überrascht ins Telefon. Sie hatte sich auf die hundertste Absage eingestellt. »Ehrlich? Du machst doch Witze!«
»Es ist doch eine gute Idee. Ich habe den Job im Hotel aufgegeben, weil ich das körperlich einfach nicht mehr schaffe, und ich brauche bis zur Geburt etwas zu tun! Ich kann mich doch nicht nur mit Hochzeitsplanungen beschäftigen.«
»Du bist schon eine! Ich könnte mir gut vorstellen, mich ausschließlich um das Planen meiner Hochzeit zu kümmern. Aber du und ich, wir haben da wohl andere Ansichten, hm? Und wieso arbeitest du nicht mehr im Hotel?«
»Diese ständige Kotzerei, und es ist halt doch ein Knochenjob. Und Damian hat mich quasi überredet.«
»Wie – dich? So einfach?«
»Um ehrlich zu sein, war es ein harter Kampf. Aber er kann sehr hartnäckig sein und das Wohl des Babys geht im Moment vor, das sehe ich auch ein. Selbst wenn es sich noch seltsam anfühlt so, hm, abhängig zu sein. Das wollte ich nie.«
»Ich beneide dich. Also von mir aus könnte mich jemand schwängern, ich mache mir ein tolles Leben, kümmere mich um Every Life Matters und mein Mann sorgt für den Rest. Du bist ein Glückspilz, Julia!«
»Ich weiß. Und wenn das Baby alt genug ist, kann ich bei Stanhope Enterprises arbeiten, wenn ich das möchte. Ich denke, mit einem Kind werde ich die unregelmäßigen Arbeitszeiten im Hotelgewerbe nicht mehr mitmachen können.«
»Das musst du doch auch nicht. Damian ist reich.«
»Mir geht es bei meiner Karriere nicht um Geld, Danielle. Das müsstest du doch mittlerweile kapiert haben.« Julia klang beleidigt. Danielle hob kurz die Augen zu Decke, weil sie wusste, dass Julia sie nicht sehen konnte. Geld war und blieb zwischen den Freundinnen ein heikles Thema. Danielle konnte einfach nicht nachvollziehen, warum Julia so vehement darauf bestand, alles alleine machen zu wollen. Aber sie wollte sich nach der guten Nachricht auch nicht mit ihr streiten, daher versuchte sie, angemessen zerknirscht zu klingen, als sie antwortete: »Entschuldige. So habe ich das nicht gemeint.«
»Schon gut.« Julia schniefte.
Weinte sie? Jetzt tat es Danielle wirklich leid, bestürzt zog sie die Schultern hoch. »Ach herrje! Du heulst doch nicht, Sweetheart?«
»Es sind die Hormone. Ich flenne ungefähr zwanzig Mal am Tag. Ich muss nur Werbung anschalten und habe Pipi in den Augen. Nimm es nicht persönlich.«
»Oh!«, entfuhr es Danielle. Sie überlegte, ob sie Julia überhaupt jemals weinen gesehen hatte, außer das eine Mal, als sie sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von dieser komischen Jagdveranstaltung abgeholt hatte. Normalerweise war Heulen ihr Job. Danielle war diejenige von den beiden, die ihre Gefühle meist offen zur Schau trug. Hormone also. Aber sie hatte ja keine Ahnung von Schwangeren und deren Sorgen.
»Es ist schon gut, ich hab mich wieder im Griff. So, was gibt’s zu tun für die Charity?« Julia klang wieder ganz normal, fast fröhlich. Danielle entschied, der Sache nicht weiter nachzugehen. »Ähm. Ja. Also ich werde dir die Unterlagen per Mail schicken und demnächst haben wir ein paar Termine hier in London mit möglichen Investoren. Du kannst doch fliegen? Oder geht das nicht?«
»Kein Problem. Mein Arzt sagt, bis zur vierunddreißigsten Woche darf ich. Danach sollte man eher nicht mehr mit dem Flugzeug reisen.«
»Toll! Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf mehr Zeit mit dir freue. Ich habe die Hoffnung schon beinahe aufgegeben!«
»Ich freue mich auch, dass wir bald wieder mehr Zeit miteinander verbringen. Oh, schon so spät! Süße, ich muss Schluss machen, Damian kommt gleich und ich bin noch nicht fertig. Ich steh hier noch im Bademantel rum. Wenn er mich so erwischt, kommen wir niemals mehr vor die Tür, sondern landen direkt im Bett.«
»Ha! Das klingt ja scheußlich«, kicherte Danielle. »Klar, wir telefonieren. Hab dich lieb.«
»Ich dich auch! Bis bald!«
Danielle lehnte sich zufrieden zurück und trank den mittlerweile kalten Tee in einem Zug aus. Die Aussicht auf Julias Unterstützung stimmte sie fröhlich und gab ihr Auftrieb. Nach diesen tollen Neuigkeiten würde sie auch ein Telefonat mit Robert überleben.
Julia vergewisserte sich, dass die Verbindung getrennt war, und legte das iPhone zur Seite. Danielle einen Partner verpassen – das war überhaupt die beste Idee seit langem! Jetzt musste sie nur noch ein wenig über die Ausführung nachdenken. Sie strich sich über die winzige Wölbung ihres Bauches und grinste, als sie hörte, dass sich die Tür zum Penthaus öffnete.
»Hi Schatz! Wie war dein Tag?«, rief sie ihrem Freund entgegen.
Damian ließ seine dunkelbraune Aktentasche auf den Boden fallen und kam mit langen, dynamischen Schritten auf sie zu. Seine blaugrauen Augen strahlten, als er sie ansah.
»Mein Tag wird gerade jetzt wunderbar!« Dann küsste er sie leidenschaftlich, als hätten sie sich tagelang nicht gesehen. Ihr Körper reagierte wie immer sofort auf seine Nähe. Damian machte mit einem simplen Kuss Wackelpudding aus ihren Beinen.
»Damian, wenn wir loswollen, musst du aufhören«, keuchte sie atemlos.
»Vielleicht bleiben wir zuhause …«, seine Lippen strichen über ihren Hals und raubten ihr beinahe den letzten Funken Verstand.
»Warte doch mal.« Sie versuchte sich aus seinen Armen zu winden.
»Was ist? Alles in Ordnung mit dir? Dem Baby?« Sofort wich er etwas zurück und seine Miene drückte Besorgnis aus.
»Es ist alles gut. Aber ich habe gerade mit Danielle telefoniert und dabei kam mir die beste Idee des Jahres.«
»Was könnte das sein?« Er runzelte die Stirn. »Willst du wieder davon anfangen, dass du doch lieber arbeiten möchtest? Julia, wir hatten diese Diskussion doch hundertmal in den letzten Wochen!«
»Nein, lass mich doch mal ausreden. Das ist ja fürchterlich, Mr. Überbeschützer!«
»Entschuldige!« Damian grinste zerknirscht. »Also, schieß los.«
»Ich weiß jetzt, wie du dich an Lucas rächen kannst.« Sie klang noch immer ein wenig atemlos.
»Aha, daher weht der Wind! Meine süße, kleine Intrigantin. Wenn ich gewusst hätte, was für ein durchtriebenes Frauenzimmer du tatsächlich bist ...« Er strich mit seinen Händen über ihren Rücken. Sie spürte seinen heißen Atem an ihrem Ohr, worauf ihr hormongesteuerter Körper mit einer Gänsehaut reagierte. »Aber jetzt, meine Schöne, will ich nicht über Lucas reden. Eigentlich will ich gar nicht reden. Jedenfalls nicht viel.« Damians Hände liebkosten ihre Rückseite und er drängte sich näher an ihren Körper, sodass sie das eindeutige Zeichen seines Verlangens spüren konnte.
»Ach ja?«, hauchte sie. »Was willst du mit mir tun?«
»Als erstes werde ich dich zur Ekstase bringen, bis du um Gnade flehst, und dann werde ich dich füttern, damit du nicht verhungerst.« Seine blaugrauen Augen waren dunkel vor Verlangen.
Julia nestelte ungeduldig an seinem Hemd; sie konnte es kaum erwarten, dass er sein Versprechen in die Tat umsetzte. Über Lucas würden sie später reden.
Danielle drückte auf »Senden«. Damit erhielt ihre Freundin die versprochenen Informationen zu Every Life Matters. Vermutlich würde Julia tausend Dinge zum Rumkritteln finden, aber daran war sie gewöhnt. Julia war ihr in einigen Punkten tatsächlich überlegen und Feedback daher willkommen. Auf ihrem PC blinkte eine Erinnerung: Lunch mit Robert. Mist. Den hatte sie bis eben erfolgreich verdrängt. Danielle kratzte sich an der Nase und überlegte, wie sie aus der Nummer noch herauskommen konnte. Krankheit vortäuschen ging schlecht, sie erfreute sich bester Gesundheit und niemand würde es ihr abnehmen, denn sie hatte ihrem Vater dummerweise von der Verabredung erzählt. Außerdem wäre es nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Sie holte Lipgloss aus ihrer Designertasche und schminkte sich die Lippen nach. Dabei fiel ihr ein, dass sie dringend noch einen Friseur- und Pediküretermin benötigte. Auf dem Galaabend übermorgen wollte sie offene Schuhe tragen, das war bei dem Zustand ihrer Füße momentan keinesfalls möglich.
»Jill, ich bin spät dran«, rief sie ihr im Vorbeigehen zu. »Kannst du mir einen Termin bei Giorgio und zur Pediküre machen? Absoluter Notfall! Spätestens morgen!«
Jills blaue Augen folgten ihr auf dem Weg nach draußen.
»Klar, mache ich. Sonst noch was?«
»Danke, bist ein Schatz! Ich habe noch Sachen in der Reinigung, die müssten abgeholt werden. Ich hab’ total die Zeit vergessen und weiß gar nicht, wie das wieder passiert ist.«
»Ja, Danielle. Es ist doch wirklich das erste Mal, dass du zu spät kommst, nicht wahr? Hätte dir ja vielleicht etwas früher einfallen können, das wird jetzt echt nicht leicht.«
Jill wirkte leicht genervt, lächelte aber einen Augenblick später. Dadurch konnte man die kleinen Lücken zwischen den beiden Schneidezähnen sehen. Sie war ein hübsches Ding, dachte Danielle, unglaublich, dass sie noch Single war. Aber sie musste dringend was gegen ihre Migräne tun. Die Gute lag wirklich häufig flach in den letzten Monaten und das schlug ihr offenbar aufs Gemüt.
»Bis später!«, rief Danielle und hinter ihr fiel die Glastür ins Schloss.
Shanghai
»Möchtest du noch einen Nachschlag, Lucas?«, fragte Julia lächelnd. Obwohl sie strahlte, lagen dunkle Schatten unter ihren hübschen blauen Augen. Er schüttelte den Kopf und klopfte sich auf den flachen Bauch. »Bitte nicht, ich kann nicht mehr! Es war wirklich ausgesprochen lecker, aber wenn ich noch einen Bissen nehme, platze ich.«
Damian legte das Besteck zur Seite und strich Julia liebevoll über den Rücken. »Vielen Dank, Liebling. Das Essen war wunderbar.«
Julias Gesichtsausdruck veränderte sich blitzartig und sie rannte davon. Damian zuckte mit den Schultern und antwortete auf Lucas‘ stumme Frage: »Hormone. In der einen Minute kann sie eine Tüte Lakritzschnecken essen und in der nächsten ist ihr schlecht und sie übergibt sich.«
Lucas verzog den Mund. »Nach einer Tüte Lakritz müsste ich auch kotzen.«
»Es ist eigentlich egal, was sie isst, Lucas. Darum geht es nicht.«
»Verstehe.« Obwohl er keinen blassen Schimmer hatte, was genau Damian meinte, versuchte er, verständnisvoll zu wirken.
»Ich weiß nicht … Hollywood stellt eine Schwangerschaft immer etwas anders dar, als ich es mit Julia erlebe. Ich hoffe, nach den drei Monaten wird es besser, die hat sie ja bald geschafft. Es geht ihr nicht gut.« Damian presste die Lippen aufeinander und sah plötzlich abwesend aus. Lucas betrachtete ihn nachdenklich. Sein Bruder hatte sich sehr verändert, seit Julia in sein Leben getreten war. Es war offensichtlich, dass Damian endlich glücklich war, und Lucas freute sich darüber. Trotzdem konnte er nicht ganz nachvollziehen, wie so eine Beziehung funktionierte. Die beiden hatten nicht nur einen Gang zugelegt, sie waren direkt im fünften Gang gestartet. Noch bevor sie richtig zusammen gewesen waren, war Julia schwanger geworden, und ihr ganzes Leben veränderte sich nun für beide von Grund auf. Damian schien Gefallen daran zu finden, Lucas hingegen stellten sich die Nackenhaare auf, wenn er daran dachte, dass die beiden die Phase mit hemmungslosem, gedankenlosem Sex übersprangen und direkt zu Schwangerschaftsübelkeit, Windeln und Geschrei übergingen. Dann war es vorbei mit Spitzenunterwäsche und halterlosen Strümpfen, bald würde Julia nur noch überdimensionale Baumwollhöschen tragen und Sex hatten sie alle paar Wochen, samstagabends oder so. Wenn überhaupt.
»Lucas, hörst du mir zu?«
»Äh, was hast du gesagt?«
»Dachte ich mir doch. Naja. Ich habe gesagt, dass ich dich zwar nicht zwingen kann, dich aber dringend darum bitte, dass du dieses Wohltätigkeitsding machst. Du siehst ja, wie es Julia geht, sie kann unmöglich nach London fliegen. Das wäre nicht gut für sie und das Baby.«
Lucas‘ Hand, die auf dem Tisch lag, ballte sich und er presste kurz den Kiefer zusammen. Er warf seinem Bruder einen finsteren Blick zu, dann seufzte er. »Mein Gott, ja. Ich mache es. Aber nicht für dich, sondern für Julia.«
»Danke, das weiß ich zu schätzen.«
»Was weißt du zu schätzen, Damian?« Julia kam um die Ecke und trug eine Schachtel mit Schweizer Nougatpralinen in der Hand.
Sie war barfuß und das weiße Leinenkleid verhüllte ihre sexy Kurven an den richtigen Stellen. Damian hatte schon Glück mit Julia, das musste er seinem Bruder lassen, auch wenn er wirklich kein Interesse an einer festen Freundin hatte. Lucas runzelte die Stirn. »Du kannst schon wieder essen?«
»Das ist ja das merkwürdige, die Übelkeit geht so schnell, wie sie kommt. Verrückt, oder?« Sie schaute von einem Zwilling zum anderen. »Was war das gerade?«
Lucas hatte keine Lust auf ein Gespräch über das Charity-Ding, es reichte vollkommen, sich damit zu befassen, wenn er nach England flog. Und vielleicht kam er ja schneller aus der Nummer wieder raus als geplant. »Ähm. Ja. So, ihr beiden. Danke für die Einladung, aber ich habe heute noch was vor.« Dabei grinste er anzüglich, denn er genoss sein Leben als Single und würde verdammt nochmal für die richtige Verhütung sorgen, damit ihm nicht das Gleiche passierte wie seinem drei Minuten älteren Bruder.
»Oh, du gehst schon? Wie schade. Aber es ist sicher langweilig, mit uns hier abzuhängen.« Julia zwinkerte Lucas zu und schlang die Arme um Damians Hals. Vermutlich war sie gar nicht so traurig, dass er gehen würde. So, wie Damian sie anschaute, hatten die beiden ihre eigenen Pläne, und die würden nicht aus Fernsehen bestehen. Er grinste, drückte ihr einen Kuss auf die Wange und klopfte Damian auf die Schulter.
»Wenn du Nachhilfe brauchst, Bruder, ruf mich an. Ich bin mir sicher, ich kann dir noch was beibringen.«
»Oh, Lucas. Ich denke, das ist nicht nötig.« Julia grinste verschmitzt.
»Ciao, Baby. Dann bis bald.« Lucas verschwand aus dem modern eingerichteten Penthaus und hoffte, dass er Glück hatte und nicht allzu lange auf ein Taxi warten musste. Sein Handy klingelte, das konnte nur bedeuten, dass er bereits vermisst wurde. Lucas grinste, sein Abendprogramm hatte bestimmt schon das Badewasser eingelassen.
London
Das Abendessen mit Robert war noch langweiliger als der Lunch in der Woche zuvor. Danielle fragte sich, wie oft sie ihn noch ertragen konnte, ohne schreiend davonzulaufen oder eine multiple Persönlichkeitsstörung zu entwickeln. Dabei sah er eigentlich nicht mal schlecht aus, wenn man rote Haare und Sommersprossen an einem Mann mochte.
»Danielle, meine Liebe, möchtest du noch ein Dessert? Ich habe gehört, der Schokoladenkuchen soll ganz hervorragend sein.« Er sah nicht so aus, als ob er jemals Schokoladenkuchen zu sich nahm. Wenn auf jemanden die Bezeichnung »Bohnenstange« zutraf, dann auf ihn. Sogar unter einem Jackett konnte Robert seine Hühnerbrust nicht verbergen.
»Lieben Dank, aber ich kann wirklich nichts mehr essen.«
»Ganz wie du möchtest. Darf ich dich noch in eine Bar auf einen Drink entführen? Ich habe gehört, die Blue Sky Bar im Montague Hotel soll ganz nett sein.« Das würde sie keinesfalls überleben. Sie war so schon so weit, sich zu überlegen, ob ein Kloster nicht doch die bessere Alternative zu ihrem fortwährenden Männerproblem wäre.
»Robert, das würde ich schrecklich gerne, aber ich fürchte, es kündigt sich eine schlimme Migräne an. In diesem Zustand ist es das Beste, ich gehe schnell nach Hause und lege mich gleich hin, dann kann ich vielleicht noch das Schlimmste verhindern.«
Das war sogar nur halb gelogen. Roberts Ansichten verursachten ihr Kopfschmerzen. Er vertrat allen Ernstes die antiquierte Vorstellung, dass Frauen in einer Führungsetage nichts zu suchen hatten und grundsätzlich weniger Köpfchen besaßen als Männer. Wenn er schon mit einer Konzernerbin ausging, sollte er wenigstens so viel Hirn haben, dieses Thema ihr gegenüber zu vermeiden. Wie konnten ihre Eltern diesen Volltrottel nur gut finden?
»Wie du meinst. Dann werde ich mein Bestes geben und dich schnellstens nach Hause bringen. Entschuldige mich, ich bin gleich wieder zurück.«
Robert stand auf, um die Rechnung zu begleichen, und aus der Entfernung konnte Danielle sehen, dass er nach den Mänteln verlangte. Gott sei Dank. Den Abend hatte sie bald überstanden. Sie musste sich dringend überlegen, wie sie ihn aus ihrem Leben streichen konnte, ohne dass ihre Eltern zu enttäuscht von ihr waren. Dabei konnte ihr gewiss eine bestimmte Person helfen. Danielle freute sich, dass Julia in Kürze in London sein würde, sie brauchte ihre Freundin ganz dringend. Sie würde wissen, wie sie Robert elegant ohne innerfamiliäre Zerwürfnisse loswerden konnte. Dabei dachte Danielle hauptsächlich an ihre Mutter; ihr Zustand war momentan wirklich beängstigend melancholisch. Sie schüttelte sich und schob den Gedanken beiseite. Für heute hatte sie genug Unerfreuliches hinter sich gebracht. Nach dem kurzen Abschied von Robert – denn er hatte natürlich darauf bestanden, sie persönlich nach Hause zu bringen – seufzte sie leise auf. Wenigstens war sie ihn jetzt los.
In ihrer Wohnung angekommen, wählte Danielle schnell die Nummer ihrer Freundin Suzie, um mit ihr den Abend durchzukauen. Leider erreichte sie nur ihre Mailbox. Danielle hinterließ eine kurze Nachricht, dass sie sich über einen Rückruf freuen würde, sie sollten sich unbedingt bald mal wieder treffen. Sie versuchte es noch bei zwei weiteren Freundinnen, aber natürlich waren alle auf der Piste und reagierten auch nicht auf WhatsApp-Nachrichten. Danach ging es ihr besser, auch wenn sie an einem Freitagabend lieber etwas anderes unternommen hätte, als alleine in ihrer Wohnung zu sitzen.
Eine heiße Dusche war das Beste, was es nach einem Langstreckenflug gab. In diesem Moment fast besser als Sex, dachte Lucas, während das Wasser über seinen athletischen Körper lief. Aber eben nur fast.
Er hatte sich am Ende seinem Schicksal gefügt und würde ein paar Termine für Julia wahrnehmen, bis sie wieder fit war. Wenn er sie richtig einschätzte, würde sie sicher nicht untätig bis zur Geburt des Babys in Damians Penthouse vereinsamen.