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Als Arthur Hemingsworth vor Jahren dem Königshaus den Rücken kehrte, war er sich sicher, nie wieder dorthin zurückzukehren. Er wollte endlich frei sein, wobei es weder für seine Familie noch für die Boulevardzeitungen ein Geheimnis blieb, wie sehr sein Leben auf die schiefe Bahn geriet. Verschrien als »His royal Badass«, regierte nicht die englische Krone seinen Alltag, sondern Frauen und wilde Partys. Bis zu dem Tag, als Arthur zur Rückkehr nach England gezwungen wird. Zurück zu Luise, der Witwe seines Bruders – der Grund, weshalb er vor diesem Leben geflohen war. Denn wie soll er die Kontrolle behalten, wenn die alte Leidenschaft noch immer alles überschattet. Skandale, Leidenschaft und Intrigen … Mach dich gefasst auf eine wilde Reise hinter die Kulissen der Monarchie. ABGESCHLOSSENER EINZELBAND
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Copyright © Freya Miles 2020
Freya Miles c/o TEXTWERKSTATT
Sabrina Cremer, Körfken 80, 44227 Dortmund
Cover: Shutterstock
Lektorat: Martina König
Korrektorat: Nicole Bauer, Sabrina Grabowski, Textwerkstatt Sabrina Cremer
Umschlaggestaltung: NK Design (Nadine Kapp) Kontakt: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten.
Eine Vervielfältigung oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren gestattet. Sämtliche Handlungen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Orte, Markennamen und Lieder werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Örtliche Begebenheiten wurden teilweise dem Storyverlauf angepasst. Alle Markennamen und Warenzeichen, die in dieser Geschichte verwendet werden, sind Eigentum der jeweiligen Inhaber.
Kapitel 1
Arthur
Kapitel 2
Luise
Kapitel 3
Arthur
Kapitel 4
Luise
Kapitel 5
Arthur
Kapitel 6
Luise
Kapitel 7
Arthur
Kapitel 8
Luise
Kapitel 9
Arthur
Kapitel 10
Luise
Kapitel 11
Arthur
Kapitel 12
Luise
Kapitel 13
Arthur
Kapitel 14
Luise
Kapitel 15
Arthur
Kapitel 16
Luise
Kapitel 17
Arthur
Kapitel 18
Luise
Kapitel 19
Arthur
Kapitel 20
Luise
Kapitel 21
Arthur
Kapitel 22
Luise
Kapitel 23
Arthur
Kapitel 24
Luise
Kapitel 25
Arthur
Kapitel 26
Luise
Kapitel 27
Arthur
Kapitel 28
Luise
Kapitel 29
Arthur
Kapitel 30
Luise
Kapitel 31
Arthur
Kapitel 32
Luise
Kapitel 33
Arthur
Kapitel 34
Luise
Kapitel 35
Arthur
Kapitel 36
Luise
Kapitel 37
Arthur
Kapitel 38
Luise
Suche Heiratsfrau für meinen Daddy
Suche Heiratsmann für meine Tante
Suche Heiratstante für meinen Onkel
Über die Autorin
»Oh scheiße«, flüsterte ich und schloss meine Augen wieder. Die Sonne blendete mich viel zu sehr.
Wo zum Teufel war ich überhaupt?
Ich startete einen neuen Versuch und blickte auf die Betthälfte neben mir. Lange blonde Haare bedeckten das Kissen. Es war also mal wieder eine dieser Nächte gewesen. Nur dass ich mich ums Verrecken weder daran erinnern konnte, wie ich hierhergekommen war, noch wusste ich irgendwelche Details über diese Frau. So etwas Belangloses wie einen Namen zum Beispiel.
Nun ja, es war nicht das erste Mal, dass ich mich in einer solchen Situation wiederfand, und es würde bei meinem Lebensstil garantiert nicht das letzte Mal sein. Dafür lebte ich viel zu ausufernd.
Jede Party war meine Party. Schließlich war ich ein verdammt gern gesehener Gast in der New Yorker High Society.
His royal Highness, oder besser gesagt His royal Badass, wie die Medien mich hierzulande und natürlich auch in meiner Heimat England betitelten. Ein Ruf, mit dem ich zu leben lernte.
Was blieb mir auch anderes übrig? Außerdem, wie hieß es so schön? Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich recht ungeniert. Genau das war es, was ich auslebte. Tag für Tag, oder besser gesagt Nacht für Nacht.
Seit meinem Weggang aus England, meiner Flucht vor dem Königshaus, aber allem voran meiner Flucht vor meinem verdammten Bruder, dem König von England, machte ich grundsätzlich nur noch, was ich wollte, wann ich es wollte und wie ich es wollte. Mich interessierte die Meinung der anderen Leute nicht, mich interessierten ihre Erwartungen nicht.
Nicht mehr.
Jahrelang hatte ich versucht, allen zu gefallen und es jedem recht zu machen, mit dem Ergebnis, dass ich doch immer die zweite Wahl blieb.
Keiner war so populär wie mein Bruder, dabei hätte ich ihm sofort den Titel des Arschlochs verliehen, doch hinter die Palastmauern konnte natürlich niemand blicken.
Und so verließ ich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Land, offiziell um in den Staaten zu arbeiten, doch ich hatte noch keinen Finger gekrümmt. Die Organisationen, die ich hier unterstützen sollte, gaben sich damit zufrieden, wenn ich alle paar Wochen nett in irgendwelche Kameras lächelte oder etwas auf Social Media postete.
Um Geld ging es mir so oder so nicht. Ich würde mich nicht rühmen und behaupten, je sparsam gelebt zu haben, doch auf meinem Konto befand sich so viel Geld, dass ich es niemals ausgeben könnte.
Ein Treuhandfonds hier, ein Treuhandfonds da, und natürlich die Unterstützung der Organisationen.
Ich wohnte in einem noblen Penthouse am Central Park. Mein ganz eigener Palast auf zweihundert Quadratmetern. Gekauft natürlich, nicht gemietet. Mit freundlicher Unterstützung meines Bruders.
Das Arschloch war so froh, mich endlich los zu sein, dass dieses Penthouse zum größten Teil von ihm finanziert worden war.
Ich konnte es ihm nicht verübeln. An seiner Stelle hätte ich wahrscheinlich genauso gehandelt.
Für seinen Ruf.
Für den Ruf des Königshauses, doch vor allem für seine gottverdammte Ehe.
Ich durfte jetzt nicht an Luise denken. Das schien ich gestern Abend nämlich bereits wieder getan zu haben. Sonst wäre die Frau in meinem Bett niemals blond gewesen, sondern schwarzhaarig. Ich schlief nur mit schwarzhaarigen Frauen. Außer in meinen dunklen Phasen.
Natürlich war gestern Abend eine solche über mich hereingebrochen. Ich hätte es wissen müssen. Schließlich war gestern ihr Geburtstag gewesen.
Ein weiterer Geburtstag, zu dem ich ihr nicht gratulieren würde. Wahrscheinlich war es ihr nicht mal aufgefallen. Sie war die verdammte Königin von England und wurde bestimmt genug hofiert. Von all den falschen Menschen mit ihrem dämlichen Grinsen im Gesicht, das niemand ernst meinte.
All diese Dinge hatte ich in meinen Jahren als Sohn des Königs und Dritter der Thronfolge gelernt.
Reginald, mein Bruder, hatte es wahrscheinlich ebenfalls erkannt, es aber nicht wahrhaben wollen. Oder aber die verdammte Krone stand für ihn wirklich über allem. Ich konnte es nicht sagen, ich konnte es auch nicht wissen, denn dazu hätte ich meinen Bruder kennen müssen und das war definitiv nicht der Fall.
Als Kinder hatten wir uns gut verstanden, aber schon als Jugendliche waren unsere Einstellungen weit auseinandergedriftet. Während ich Partys feiern und Mädchen kennenlernen wollte, blieb Reginald gerne innerhalb der Palastmauern und lernte.
Er war der geborene König, man musste ihn nicht mal dazu machen.
Gut für ihn, noch besser für mich, weil ich mit diesem ganzen Scheiß wenigstens in Ruhe gelassen wurde.
Ich hatte keine Ahnung von den Dingen, die er den ganzen Tag machte. Als Dritter der Thronfolge gab es zwar auch für mich öffentliche Auftritte, doch nichts wirklich Herausforderndes.
Ein falsches Lächeln aufsetzen. Hände schütteln. Nicken und weiterlächeln. Zwischendurch vielleicht eine Gedenktafel enthüllen oder so tun, als wäre einem die Arbeit in irgendeiner Organisation wirklich eine besondere Herzensangelegenheit. Die meiste Zeit hatte ich nicht mal gewusst, um was es bei den Veranstaltungen, die ich besuchen musste, eigentlich ging. Die Reden wurden für mich geschrieben, ich musste sie nur so authentisch wie möglich rüberbringen, und darin war ich definitiv nicht schlecht.
Wahrscheinlich wäre ich ein herausragender Schauspieler geworden, doch diese Wahlmöglichkeit hatte sich mir leider niemals geboten.
Einmal Royal, immer Royal. Auch jetzt noch, wo ich mit diesem ganzen Kram nichts mehr am Hut haben wollte. Doch mein Bruder ließ mich nicht aussteigen. Zu wichtig war mein Platz in der Thronfolge.
In dieser Hinsicht hoffte ich wirklich darauf, dass er für immer leben würde.
»Arthur?«, fragte die Frau neben mir und drehte sich verschlafen zu mir um.
Gottverdammte Scheiße, sie hatte wirklich Ähnlichkeit mit Luise, allerdings fehlte ihr dieses gewisse Etwas, dieses Lächeln, diese Art. Und ja, das alles konnte ich schon nach dem ersten Blick in ihre Augen feststellen.
Luise konnte die Menschen in ihren Bann ziehen und sie mit nur einem Blick begeistern. Diese Frau neben mir war allenfalls Durchschnitt.
»Hey, hast du gut geschlafen?«
Ich musste sturzbetrunken und total zugedröhnt gewesen sein, sonst hätte ich mich mit Sicherheit noch an irgendetwas erinnert. Ein Zustand, der dieser Perle doch auch aufgefallen sein müsste. Doch die meisten interessierte es einen Scheiß. Eine Nacht mit einem Royal. Ich hatte schon so manche Mädchenträume erfüllt. Nur keine war mein Aschenputtel geworden. Egal, wie sehr sie auch darauf gehofft hatten.
»In welchem Stadtteil sind wir?«
»Queens.«
»Okay. Dann alles Gute.«
Ich erhob mich aus dem Bett und zog mir meine Sachen an, die auf dem Boden verteilt waren. Ich schien auf jeden Fall noch in der Lage gewesen zu sein, sie auszuziehen. Im Stehen …
Manchmal war ich wirklich beeindruckt von den Fähigkeiten meines Körpers, den ich mit all den Drogen und dem Alkohol eigentlich schon zerstört haben müsste.
»Aber willst du nicht noch frühstücken?«
»Hey, du bist eine der wenigen Frauen, bei der ich über Nacht geblieben bin. Darauf kannst du dir etwas einbilden«, sagte ich und riss die Tür auf, nur um festzustellen, dass es nicht der Ausgang war, sondern es dort lediglich ins Badezimmer ging.
»Aber Arthur …«
»Es war schön mit dir. Pass auf dich auf und alles Gute«, rief ich, bevor ich in einen kleinen Flur gelangte, von wo aus ich die Appartementtür schon sehen konnte. Nichts wie weg hier. Raus aus diesem winzigen Appartement, weg von der Frau, deren Namen ich nicht mal kannte, die mich aber viel zu sehr an die Frau erinnerte, die ich vögeln wollte.
Luise.
Ich rief meinen Fahrer an und beauftragte ihn damit, mein Handy von der Security orten zu lassen. Security, die ich gestern Abend wieder einmal nicht mitgenommen hatte, obwohl es ihre Aufgabe war, mich auf Schritt und Tritt zu begleiten. Oder auch zu überwachen.
Ich war definitiv nicht aus dem Palast oder aus England weggegangen, um diese Art des Lebens hier fortzusetzen.
Wieder in meinem Penthouse angekommen, nahm ich eine lange und ausgiebige Dusche. Ich wusste, dass mein Privatsekretär Cooper Smith bereits im Wohnzimmer auf mich wartete. Er war penetrant, das musste ich ihm lassen. Aber wahrscheinlich übte er genau deshalb diesen Job aus. Um anderen Menschen auf den Sack gehen zu können.
In diesem Fall mir.
Ich hatte ihn schon so oft gefeuert oder ihn zum Teufel geschickt, doch der alte Kerl machte sich nichts daraus. Mein Bruder hatte ihn engagiert und so arbeitete er einfach weiter. Obwohl es lächerlich war, dass ich über so etwas wie einen Privatsekretär verfügte.
Für was? Als Partyplaner?
Die öffentlichen Termine, die ich wahrnahm, könnte ich mir garantiert auch selbst in einen Kalender eintragen.
»Es gibt einige Termine zu besprechen«, begann er sofort, als ich das Wohnzimmer betrat.
»Was liegt denn Wichtiges an, Coop?«, fragte ich lachend.
»Das Richtfest eines charitativen Vereins, inklusive einer Rede.«
»Ist gebongt.«
»Wir müssen besprechen, welche Worte Sie wählen wollen. Es ist das wichtigste Institut des Vereins zur Erforschung von …«
»Coop, es interessiert mich nicht. Nicht mal ansatzweise. Es reicht, wenn ich zwei Minuten vorher erfahre, wo ich bin. Sag dem Redenschreiber, er soll nicht zu dick auftragen, und gut ist.«
»Ihre Einstellung …«
»Ist meine Einstellung«, unterbrach ich ihn. Jedes Mal die gleiche Leier, als ob er damit etwas ändern könnte.
Dieser ganze Schwachsinn interessierte mich einen Scheiß. Ich kam dieser Aufgabe nur nach, damit mein Vater sich nicht im Grabe umdrehte. Er war der Einzige, der mich davon abhielt, all meine Ämter hinzuwerfen und auf alles zu scheißen, was mit dem Titel, der Krone, der Königsfamilie und sonstigem verlogenen Mist zu tun hatte.
Mein Vater war ein guter Kerl gewesen. Er hatte wenigstens versucht, uns einigermaßen menschlich zu erziehen und uns zu verdeutlichen, worauf es im Leben wirklich ankam.
Ich hatte ihm oft und gerne zugehört, während Reginald ganz nach unserer Mutter kam. Sie hatte uns mit harter Stimme, harter Hand und strengen Normen und Werten erzogen.
Eine eigene Meinung war für uns tabu. Es gab Regeln, nach denen wir zu handeln hatten, und das am besten für den Rest unseres Lebens.
Sie war fünf Jahre nach meinem Vater verstorben, doch im Gegensatz zu dem Schmerz, den ich bei ihm empfunden hatte, war ihr Tod eher so etwas wie eine Erleichterung für mich gewesen.
Ich hatte dieser Frau buchstäblich keine Träne nachgeweint, während mein Bruder ihren Tod wahrscheinlich noch immer nicht überwunden hatte.
Ohne dass sie ihm sagte, was er zu tun, zu lassen oder zu denken hatte, war er aufgeschmissen gewesen. Und das hatte auch unsere Mutter vorausgeahnt.
Genau deshalb war Luise ins Spiel gekommen.
Eine Frau mit Klasse, mit Wissen, mit Charme, mit allem, was dazugehörte. Eine Frau, die dazu berufen worden war, meinen Bruder zu heiraten und die neue Königin von England zu werden. Ausgewählt von niemand Geringerem als meiner Mutter selbst.
Luise kam aus gutem Haus, ihr Ruf als intelligente Frau eilte ihr meilenweit voraus. Dafür sprachen auch ihr abgeschlossenes Jurastudium und ihr Bestreben, die Welt zu verändern. Wahrscheinlich hatte sie sich nur aus diesem Grund darauf eingelassen, den Deal mit dem Teufel einzugehen.
So betrachtete ich es zumindest immer.
Es war ein Deal mit dem Teufel. Sie musste sich hinter den Palastmauern einschließen lassen, gute Miene zum bösen Spiel machen und die treusorgende Ehefrau an der Seite meines Bruders mimen. Was auch immer sie dafür bekommen hatte, es war nicht die große Liebe.
Genau genommen war gar keine Liebe zwischen ihnen. Das sah und spürte man, wenn man die beiden auch nur ein bisschen kannte.
Im Gegensatz zu meinem Bruder vertraute Luise mir. Vom ersten Tag an, als wir uns im Palast über den Weg gelaufen waren.
Sie, die Frau, die ins eiskalte Wasser gestoßen worden war und sich kein Bild darüber machte, wie es in diesem Haus wirklich zuging, und ich – der Rebell. Der Typ, der einfach nur wegwollte.
Wie gerne hätte ich sie mitgenommen, doch genau das konnte mein Bruder nicht zulassen. Stattdessen bezahlte er mir ein Penthouse in New York, setzte mich in den nächsten Flieger und schloss mit dem Kapitel Arthur ab.
Schade nur, dass mein Weggang nicht ganz so geheim ablief, wie er es sich vielleicht erhofft hatte, woran ich natürlich nicht ganz unschuldig war.
Meine Geschichten dominierten die Presse. Es verging kaum ein Tag, an dem ich nicht in irgendeiner Boulevardzeitung abgebildet war. Dabei ging es allerdings äußerst selten um wirklich gute Schlagzeilen oder um die charitativen Zwecke, wegen derer ich eigentlich hier war. Die meiste Zeit wurde darüber berichtet, wie sehr ich über die Stränge schlug und wie sehr ich mich wie das letzte Arschloch verhielt.
Es gab sehr aufschlussreiche Fotoreihen, wie ich kokste oder wie ich sturzbesoffen in einer Seitenstraße neben einem Müllcontainer schlief. Das alles war vom Königshaus, also besser gesagt von meinem Bruder, dem König, nie kommentiert worden. Nicht öffentlich, aber auch nicht intern.
Er hatte mich niemals angerufen, mich niemals zurechtgewiesen, mich niemals gebeten, damit aufzuhören. Also machte ich weiter, obwohl es mir so langsam selbst langweilig wurde.
Die Frauen, die sich mir an den Hals warfen, wurden langweilig.
Die Partys wurden langweilig.
Die Regelverstöße wurden langweilig.
Der Sex wurde langweilig.
Es war schlichtweg langweilig, wenn man sich gegen etwas auflehnte, wenn man rebellierte, aber es einfach keine Sau zu interessieren schien. Und genau das war meine Welt geworden.
Ich hatte mir die Freiheit gewünscht. Ich lebte sie aus, nur gab sie mir nicht die Freiheit, die ich mir erträumt hatte.
An manchen Tagen wäre es für mich vielleicht sogar in Ordnung gewesen, in den Palast zurückzukehren, einfach um nicht mehr rebellieren zu müssen, doch dann sah ich wieder Aufnahmen von dem glücklichen Königspaar und schon machte ich weiter.
Wie lange auch immer das noch so gehen sollte. Ich hatte keinen Plan. Ich hatte noch nie einen verdammten Plan gehabt.
Ich lebte in den Tag hinein. Auch mit meinen zweiunddreißig Jahren. Wozu sollte ich auch Pläne machen, hatte ich doch keine Ahnung, wie es vonseiten des Königshauses mit mir weitergehen sollte.
Vielleicht kam mein Bruder auch irgendwann zu dem Schluss, dass ich gestoppt werden musste, doch wahrscheinlich würde er mich eher umbringen lassen, als dass ich noch einmal einen Fuß in den Palast setzte.
Schon allein wegen Luise.
Mein Bruder war zwar weltfremd und ein Arsch, aber er war nicht blind. Er wusste ganz genau, was zwischen mir und seiner Ehefrau vorging, wie wir füreinander empfanden. Diese Leidenschaft zwischen uns beruhte auf Gegenseitigkeit.
Auch wenn er das nicht wahrhaben wollte.
Ich durfte nicht mehr darüber nachdenken.
Ich wollte es auch gar nicht mehr.
Wegen dieser ganzen Sache war ich bereits durch die Hölle gegangen. Ich tat es immer noch.
Auf der Suche nach einer Frau, die all diese Dinge in mir auslöste, die Luise in mir auslöste.
Nach zwei Jahren in New York hatte ich die Hoffnung darauf, sie irgendwann zu finden, aufgegeben. Wenn diese Hoffnung überhaupt je existiert hatte und nicht nur ein Produkt falscher Vorstellungen gewesen war.
»Bei allem Respekt, Sir, aber Sie brauchen doch eine Meinung zu diesem Event.«
»Ich brauche einen Scheiß, so wie immer. Also, Coop, einfach um alles kümmern und gut ist.«
»Ja, Sir.«
Das Beste an Cooper war, dass er auf mich hören musste. Wenn ich ihm befahl, die Klappe zu halten, dann war das Gesetz. Auch wenn er noch etwas Wichtiges mitzuteilen hätte. Doch was sollte das bei mir schon sein?
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Was sollte ich mit diesem Tag anfangen? Ich war viel zu früh wach geworden.
Vielleicht hatte ich auch lange genug geschlafen. Ich wusste nicht mal, wann wir aus dem Club verschwunden waren. Ein totaler Blackout. Ich war gespannt, ob in den Social-Media-Kanälen oder in irgendwelchen Zeitungen Berichte über meine letzte Nacht auftauchen würden. Garantiert hatten die Paparazzi meinen Standort irgendwie herausbekommen und mich in den unvorteilhaftesten Momenten abgelichtet.
Ich konnte mich noch an Zeiten erinnern, in denen mir solche Aktionen wirklich etwas ausgemacht hatten, doch die waren längst Geschichte. Mittlerweile war ich gewohnt, wie es in diesem Land zuging. Sie jagten dich so lange, bis sie dich gefunden hatten, und dann versuchten sie, alles aus ihren Schnappschüssen herauszuholen.
Eigentlich grenzte es an ein Weltwunder, dass ich noch keinem von ihnen eins übergezogen hatte. Diese verdammten Aasgeier schreckten nämlich auch nicht davor zurück, zu provozieren, in der Hoffnung, irgendeine Reaktion oder gar eine Steilvorlage für eine Story zu bekommen.
Auch wenn ich mich nicht gerade als einen selbstbeherrschten Charakter beschreiben würde, war mir noch nie die Hand ausgerutscht. Diese Schlagzeilen gönnte ich ihnen einfach nicht. Sie hatten schon genug von mir breitgetreten und bis aufs Äußerste ausgeschlachtet. Von den ganzen Lügengeschichten, die wahrscheinlich viele Menschen tatsächlich glaubten, ganz zu schweigen.
Ich warf mich auf meine große Couch, wobei man es wohl eher Sofalandschaft nennen sollte, und schaltete meine Konsole an. Heute Abend würde ich garantiert wieder irgendwo die Sau rauslassen können. Das Problem waren nur die Stunden dazwischen.
Ich war nicht müde genug, um zu schlafen, aber auch noch immer nicht nüchtern genug, um irgendwas zu unternehmen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich keine Ahnung hatte, was.
Manchmal fragte ich mich, wie es wohl wäre, wenn ich wirklich einer geregelten Arbeit nachgehen würde, doch ich verwarf den Gedanken immer genauso schnell wieder, wie er mir kam.
Ich war ein fucking Royal und Royals arbeiteten entweder im Dienst der Krone oder gar nicht. Also musste das Lächeln für die Kameras ausreichen.
Gut, dass in naher Zukunft keine großen Events in England anstanden. So musste ich wenigstens nicht zurück nach Hause fliegen.
Beim letzten großen Sozialevent hatte ich entschuldigt gefehlt, weil ausgerechnet an diesem Wochenende eine extrem wichtige Wohltätigkeitsveranstaltung in New York stattgefunden hatte, die ich natürlich besuchen musste. Ich war noch nie so froh über eine solche Veranstaltung gewesen.
An diesem Abend hatte ich mir die Kante gegeben und war mit einer der heißesten New Yorker Society Ladys im Bett gelandet. Wahrscheinlich der einzige One-Night-Stand, den ich wirklich bereute, denn diese Frau musste ich oft wiedersehen. Und genau das vermied ich ja eigentlich immer.
Ich hasste es, Small Talk mit Menschen zu betreiben, die ich nackt kannte. Das turnte mich ab. Doch Susy Adwell hatte die gleichen voluminösen blonden Haare und ebenfalls kristallklare blaue Augen. Genau wie Luise. Luise, die ich an diesem Abend vergessen musste, wäre ich doch normalerweise in London und somit ganz in ihrer Nähe gewesen.
Eine Nähe, nach der ich mich sehnte, die ich nie wieder zulassen dufte und die auch nie wieder zwischen uns stattfinden würde.
Sie hatte meinen Bruder geheiratet, obwohl ihr genauso bewusst war, was ich für sie empfand. Und trotzdem war sie mit diesem Vollidioten vor den Altar getreten und Königin von England geworden.
Ihre Entscheidung hatte dazu geführt, dass Reginald mich gar nicht hätte rauswerfen müssen. Ich wäre auch freiwillig gegangen. Ich konnte nicht mit diesen beiden Menschen unter einem Dach wohnen und mir dieses Schauspiel Tag für Tag ansehen. Dafür war ich nicht der Typ.
Seither versuchte ich alles, um Luise zu vergessen, mit wirklich schrecklich geringem Erfolg. Immer wieder wachte ich neben Frauen auf, die ihr wenigstens ansatzweise ähnlich sahen.
Immer dann, wenn ich wieder einmal die Kontrolle verlor, wenn ich wegen irgendetwas an sie gedacht hatte oder wenn mir klar wurde, wie sehr ich sie begehrte, obwohl ich es nicht durfte.
Ich war nicht immer dieser Kerl gewesen, der ich jetzt war. Ein Rebell, okay. Aber nicht in diesem Ausmaß. Mir war selbst klar, dass ich mich mit meinen Anfang dreißig wie ein rotzfrecher Teenager verhielt, der es seinen Eltern heimzahlen wollte.
Bei mir war es ein Aufstand gegen meinen Bruder. Ein Aufstand gegen das Leben, das für mich vorbestimmt war. Gegen so vieles mehr …
Seit zwei Jahren war vollkommene Funkstille zum britischen Königshaus angesagt, zumindest zu den verbliebenen Familienmitgliedern wie meinem Bruder oder einigen Cousins und Cousinen. Mit mir redete niemand mehr, schließlich brachte ich mit meinem Verhalten Schande über das verstaubte Königshaus. Schande über meinen Bruder, der selbst ja so heilig war.
Gottverdammt, heute lenkte mich nicht mal meine Spielekonsole von der Realität ab. Gut, dass es nie zu früh war für einen Drink. Manchmal musste man den verdammten Alkoholpegel halten, damit der ganze Mist erträglicher wurde.
So wie die Perspektivlosigkeit dieses Lebens, das ich führte. Ich brauchte vibrierende Bässe und zuckende Lichter. Oder etwas anderes, das mich auf Hochtouren brachte und das Adrenalin durch meine Adern jagte.
Ich checkte meine Mails und fand genau das, wonach ich suchte. Ein illegales Autorennen etwas außerhalb von New York auf einem abgesperrten Industriegelände. Nur die teuersten Karren ab einem Wert von einhunderttausend Dollar wurden zugelassen.
Wahrscheinlich hatten spätestens bei dem Preis nicht viele eine Auswahl, mit welchem Wagen sie antreten wollten.
Ich schon.
In der Tiefgarage dieses Komplexes gehörte mir ein abgesperrter Bereich mit fünfzehn Plätzen für meine Luxuskarossen. Wahrscheinlich würde ich mich für den schwarzen Lamborghini entscheiden. Ihm gab ich die größten Chancen, die Konkurrenz plattzumachen.
Und ich gewann immer.
»Ich bin weg«, sagte ich zu einem dieser Kasper, die vor meiner Tür darauf warteten, mich vor irgendetwas beschützen zu können. Ich kannte diese Menschen mittlerweile nicht mal mehr mit Namen. Schließlich durften sie mich maximal zu meinen öffentlichen Auftritten begleiten.
Auch wenn ich wusste, dass es gefährlich war, wie ich handelte, doch das interessierte mich nicht. Ich würde mich schon zu wehren wissen, und wenn nicht, tja, dann hatte ich eben Pech gehabt. Es war schließlich nicht so, als gäbe es für mich viel zu verlieren. Und wenn ich das mit den Einschränkungen verglich, die mir ein Personenschutz einbringen würde, der mir vierundzwanzig Stunden am Arsch klebte …
Nein danke.
Ich brauchte meinen Freiraum. Deshalb war ich schließlich hier.
»Aber, Sir …«
Ich drehte mich zu dem Typen um, den ich hier noch nie gesehen hatte. »Wer hat Ihnen erlaubt, mich anzusprechen?«, fragte ich und zog meine Sonnenbrille von der Nase, um ihm direkt in die Augen zu sehen.
»Ich bin für Ihren Schutz zuständig.«
»Ach ja? Sagt wer?«
»Der König von England, Sir.«
»Falsch. Der König von England interessiert sich dafür einen Scheiß. Sie werden nur aus den großen Staatstöpfen bezahlt. Ich bin Ihr Boss, niemand sonst, und wenn ich Ihnen befehle, die Schnauze zu halten und sich wieder auf den Stuhl vor meinem Penthouse zu setzen, dann tun Sie genau das. Haben wir uns verstanden?«
»Nein, Sir. Ich habe einen Auftrag und den werde ich ausführen.«
Wow, okay. Ich hatte noch nie einen resistenten Bodyguard erlebt. Die meisten nuschelten eine Entschuldigung und nahmen wieder Platz, doch nicht so dieser Typ. Ich musterte ihn von oben bis unten. Die Passform des Anzugs war tadellos, genau wie der Rest seines Erscheinungsbildes. Auch da hatte ich schon andere erlebt.
»Wie heißen Sie?«
»Timothy Bradey.«
»Okay, Timothy Bradey. Was tun Sie hier und was zum Teufel versprechen Sie sich von diesem Job?«
Es war eine Frage, die ich schon längst einmal hatte stellen wollen, doch von den anderen Statisten hatte ich mir nie eine ehrliche Antwort erhofft. Ihm würde ich wenigstens eine Chance geben. Und ich wurde nicht enttäuscht.
»In erster Linie erhoffe ich mir von diesem Job Geld zum Leben, Sir. Auch die Frage danach, was ich hier tue, ist sehr einfach zu beantworten: Ich bin Ihnen zugeteilt worden, weil Ihr Personenschutzteam einen Kerl gesucht hat, der nicht nur der Beste ist, sondern der auch etwas aushalten kann, wenn es um den Umgang mit schwierigen Schutzpersonen geht.«
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Schwierige Schutzpersonen, ja?«
»Das war keine Beleidigung, Sir, sondern lediglich eine Beschreibung meiner Stelle, wie von Ihnen gefordert.«
Er grinste selbst, was ihn mir gleich noch sympathischer machte.
»Okay, Mister Timothy Bradey. Dann mitkommen.«
Ich hatte noch nie freiwillig einen Bodyguard mitgenommen, aber ihn wollte ich testen. Schließlich war ich immer noch auf der Suche nach dem richtigen Mann an meiner Seite, falls ich etwas Brenzliges vorhatte.
So wie heute.
Diese illegalen Rennen waren immer mit viel Geld verbunden und bei mir war es nun mal kein Geheimnis, dass ich über ordentliche finanzielle Mittel verfügte.
Mein scheiß Gesicht kannte leider die ganze Welt.
»Soll ich fahren, Sir?«
»Das würdest du wohl gerne, was?«
»Mit dem gepanzerten Dienstfahrzeug, versteht sich.«
»Timmy, zieh dir deinen verdammten Stock aus dem Arsch und verhalte dich mal normal. Wie alt bist du? Mein Alter?«
»Zweiunddreißig, Sir.«
»Na also, ich sag ja: mein Alter. Also bin ich für dich auch kein Sir, sondern Arthur.«
»Aber …«
»Hör mal, du machst hier einen auf Mister Super-Richtlinienkonform, widersprichst mir aber am laufenden Band mit deiner großen Klappe. Was ist jetzt? Nach den Regeln, die dir aufgezwungen wurden, oder nach meinen Regeln? Noch kannst du es dir aussuchen. Sobald du deinen Arsch auf dem Beifahrersitz des Lamborghinis platziert hast, nicht mehr. Dann heißt es mitgehangen, mitgefangen. Das einzig Gute für dich an der Nummer: Ich werde hinterher dafür sorgen, dass du diesen Job nicht verlierst, wenn mir gefällt, wie die ganze Sache verlaufen ist.«
»Wow, tolle Aussichten.«
»Wenn du den Stock aus deinem Arsch gezogen hast, dann auf jeden Fall, denn dann können wir zwei ein bisschen Spaß haben. Und zwar genau so, wie ich mir Spaß unter Männern vorstelle.«
»Falls es zweideutig klingen soll, ist das gelungen.«
»Sollte es nicht. Ach, warte es einfach ab. Du wirst schon sehen.«
Ich grinste zufrieden, als Tim sich auf den Beifahrersitz des Lamborghinis setzte und das Radio einschaltete.
»Was zum Teufel ist das für eine Musik?«, fragte er und schüttelte den Kopf.
»Trap-Musik. Die einzig wahre Musik. Also muss ich dir auch noch einen guten Musikgeschmack beibringen, oder was? Was ist denn dein Stil? Wenn du jetzt Rock sagst, fliegst du direkt raus.«
»Soll ich selbst aussteigen oder würde es dir Freude machen, mich rauszutreten?«
»Ach, ich werde dich schon auf den richtigen Pfad guter Musik bringen. Wir haben eine Weile Zeit, bis wir angekommen sind.«
»Wo angekommen sind?«
»Das wüsstest du wohl gerne, was? Ich kann dir versprechen, dass es dir nicht gefallen wird.«
»Na ganz wunderbar.«
»Bist du der schissige Typ Bodyguard oder magst du Risiken?«
»Risiken für dich oder für mich?«
»Beides«, sagte ich grinsend, während Tim nur mit den Schultern zuckte.
»Solange wir beide an einem Stück aus der Nummer rauskommen, ist mir das egal. Fakt ist, dass ich meinen Job verliere, wenn dir was passiert, deshalb tu mir den Gefallen und pass ein bisschen auf.«
Scheiße, ich mochte diesen Kerl jetzt schon. Wieso hatte mir noch niemand früher einen solchen Typen vorgesetzt? Normalerweise bekam ich immer nur die superkorrekten Anzugträger.
Ich fuhr den Lamborghini vorsichtig aus der Tiefgarage, bevor ich das Gaspedal durchtrat, wenn auch nur ein kleines Stück, da der dichte New Yorker Verkehr alles andere unmöglich machte.
»Nette Beschleunigung«, stellte Tim neben mir fest, während mir erst jetzt auffiel, dass er sich an der Tür festhielt.
»Kurzer Tipp, die Tür wird dich nicht retten.«
Er sah mich an, folgte dann meinem Blick und ließ den Türgriff wieder los. Es war ihm scheinbar gar nicht aufgefallen, dass er sich dort festgekrallt hatte.
»Also, Tim, Zeit, zu plaudern. Du hast einen englischen Akzent, was mir verrät, dass sie dich von dort hierher geschickt haben. Warum? Und ich möchte jetzt ehrliche Antworten und kein Personalumdisponierungsgesülze. Davon glaube ich dir nämlich kein Wort. Ich weiß, wie es hinter den Kulissen abläuft.«
»Verdammt. Das wäre genau meine Ausrede gewesen. Also gut, ich bin hierher versetzt worden, weil ich es mir mit deinem Bruder verscherzt habe. Aber mal ganz ehrlich, nach New York versetzt zu werden … Ich erzähle dir nichts Neues, wenn ich das nur sehr schwer mit einer Strafe in Verbindung bringen kann, oder?«
»Die Strafe ist nicht New York. Die Strafe bin ich.«
»Ich weiß. Es ist kein Geheimnis, dass niemand für dich arbeiten möchte. Genauso wenig ist es ein Geheimnis, wie dein Leben hier aussieht und dass es für einen Personenschützer eigentlich unmöglich ist, dich vor irgendwas zu beschützen.«
Solange es niemandem gelang, mich vor mir selbst zu schützen, war der ganze andere Rest so oder so hinfällig. Wer war eine größere Gefahr für mich als die Dämonen, die in meinem Inneren schliefen und immer wieder ans Tageslicht krochen?
»Was hast du getan, um meinen Bruder zu ärgern? Das interessiert mich am allermeisten.«
»Oh, ich war einfach ein bisschen zu sehr ich selbst. Ich glaube, er ist es gewohnt, dass ihm alle Leute den Arsch hinterhertragen. Als ich ihm mal aufgezählt habe, was nicht zu meinen Aufgaben gehört, war er außer sich. Tja, und am nächsten Tag bekam ich die Benachrichtigung, dass ich nach New York versetzt würde.«
»Ich hoffe, du musstest für den Scheiß hier keine Familie zurücklassen.«
»Nein, nur eine verflossene Ex, aber ich glaube, für uns beide ist es ziemlich gut, dass ich über den Großen Teich geflogen bin. Sonst wären wir wahrscheinlich nicht so leicht voneinander losgekommen.«
»Ich bin kein Experte in Beziehungen, deshalb erwarte dir bitte keinen Rat«, sagte ich und beschleunigte noch einmal, auch wenn ich sofort wieder abbremsen musste, da der nächste Stau drohte.
Es gefiel mir, dass Tim so offen und noch dazu vollkommen locker mit mir sprach. Zumindest seitdem ich ihm erklärt hatte, dass er den Stock aus dem Arsch nehmen konnte.
Er schien ein cooler Typ zu sein, doch ich vertraute Leuten nicht so schnell. Schon gar nicht, wenn sie auch meinen Bruder kannten. Nicht, dass er hier war, um mich auf den rechten Pfad zurückzubringen oder irgend so ein Scheiß. Ich würde mir im Hintergrund durch meine loyalen Kontakte in London noch einige Informationen über ihn einholen.
Für heute musste er erst einmal eine ganz andere Prüfung überstehen, und dass er dazu wirklich bereit war, bezweifelte ich noch.
Wir quatschten über Belanglosigkeiten, bis wir endlich am Ziel angekommen waren. Ein Rennen am Tag – Neuland. Normalerweise fanden diese Veranstaltungen immer in der Nacht statt. Doch so musste ich mich wenigstens nicht zwischen einer Party und diesem Adrenalinkick entscheiden.
Ich hielt mit dem Wagen vor einem Tor, an dem mehrere Männer standen. Das Passwort des heutigen Tages lautete rotes Eis, was ich dem Herrn nannte. Er blickte auf mein Auto, nickte und öffnete das Tor, sodass wir einfahren konnten.
»Sag mir bitte, dass es nicht das ist, für das ich es halte.«
»Dazu müsste ich deine verdammten Gedanken lesen können«, erwiderte ich und fuhr auf einen freien Platz neben fünf anderen aufgemöbelten und sündhaft teuren Karren.
»Die Sache ist doch niemals legal.«
»Natürlich nicht.«
»Na wunderbar. Und das in meinen ersten Stunden hier. Hättest du mir nicht einen sanfteren Einstieg geben können?«
»Hey, sei froh, dass ich dich überhaupt mitgenommen habe. Was wir hier treiben, ist dabei echt Nebensache. Deine Chefs werden staunen und dich dafür ehren, dass du es geschafft hast, einen ganzen Tag mit mir zu verbringen. Bis jetzt sind alle Anzugträger vor meiner Tür sitzen geblieben.«
»Oh, jetzt fühle ich mich gleich ein bisschen besser.«
Ich warf ihm grinsend einen Seitenblick zu, denn er meinte es definitiv nicht ernst. »Du kannst auch draußen warten. Ich fahre nur eben den Sieg ein, dann sind wir hier wieder verschwunden.«
Für eine Sekunde schien er mit sich zu hadern, doch er blieb zu meiner großen Überraschung sitzen.
»Wenn du mich umbringst, bringe ich dich um«, knurrte er und ließ mich laut auflachen.
»Okay, ist ein Deal. Tote töten besser, oder wie?«
»Ach, halt die Klappe. Ich hasse diesen Job schon jetzt.«
Hatte er gerade wirklich zu mir gesagt, dass ich die Klappe halten sollte? Gottverdammte Scheiße, ich konnte mir gar nicht vorstellen, warum ausgerechnet er es sich mit meinem konservativen superkorrekten Bruder verschissen hatte.
»Du liebst es. Und das ist dir auch schon ein Stück weit klar. Du möchtest es nur nicht wahrhaben. Es ist normal. Es ängstigt einen zu Anfang immer, wenn man diese dunkle Seite entdeckt und feststellt, dass man sie liebt. Aber auch daran gewöhnt man sich.«
»Vielleicht gibt es auch Leute, die ihre dunkle Seite nicht kennenlernen möchten. Ich glaube nämlich, dass ich dazugehöre. Ich bin nicht so der Typ für Illegalität. Mein Dad war ein Cop, meine Mutter hat beim MI6 gearbeitet.«
»Was zum Teufel! Ernsthaft?«
»Ernsthaft. Ich selbst war der Überflieger bei der Ausbildung, habe als Jahrgangsbester abgeschlossen und wurde direkt im Königshaus angestellt. Zuerst sollte ich die Königin beschützen, doch dann wurde ich zum König versetzt.«
»Lass mich raten, vom König persönlich? Wenn du dir etwas darauf eingebildet hast, dass es mit deinen Fähigkeiten zu tun haben könnte, muss ich dich leider enttäuschen. Mein Bruder duldet keine gut aussehenden jungen Kerle in der Nähe seiner Frau. Ich spreche da aus Erfahrung.«
»Die Geschichte erzählt man sich überall im Palast, aber ich habe sie für ein Ammenmärchen gehalten. Du und die Königin? Ich meine, sie ist die Frau deines Bruders.«
»Damals war sie nur seine Verlobte und ich bin ehrlich gesagt davon ausgegangen, dass sie niemals so doof sein wird, mit ihm vor den Traualtar zu treten. Aber gut, ist ein anderes Thema. Wie geht es ihr?«
»Der Königin?«
»Nein, ihrer Kaffeetasse. Natürlich rede ich von der Königin.«
»Ich habe sie nicht oft zu Gesicht bekommen. Wenn, dann erfüllte sie ihre Aufgaben.«
Er konnte mir nicht sagen, ob sie dabei glücklich war, denn er kannte sie nicht so, wie ich es tat. Auf den Fotos und den Filmaufnahmen wirkte sie immer glücklich. Sie war ein Vollprofi und wusste mit den Kameras und den Menschen in der Öffentlichkeit umzugehen. Was wirklich in ihr los war, welcher Schmerz hinter ihrem perfekten Lächeln tobte, wusste kaum jemand.
Ich hatte einmal zu diesen Leuten gehört, doch diese Zeit war längst vorbei. Seitdem sie mit meinem Bruder vor den Traualtar getreten war, hatten wir nicht ein einziges Wort miteinander gewechselt. Schon auf der Hochzeit nicht.
Mein Schmerz war so tief gewesen, dass ich ihn in einer ganzen Menge Alkohol ertränkt hatte, bevor ich die Brautjungfer gevögelt hatte. Eine von Luises sogenannten Freundinnen. Was man so Freundin nennen konnte, wenn sie danebenstand und dabei zusah, wie man den größten Fehler seines Lebens beging.
Ich wusste nicht einmal mehr ihren Namen, doch diese Nacht hatte den Grundstein für meinen Absturz gelegt. Bis dahin war ich bereit gewesen, meine Pflichten in England zu erfüllen. Bis dahin hatte ich mich sogar dafür interessiert. Ich war dem Beispiel meines Vaters gefolgt, wollte sein Erbe aufrechterhalten. Doch in jener Nacht stürzte mein ganzes Kartenhaus zusammen.
Seitdem war nichts mehr, wie es vorher gewesen war. Ich war seitdem nicht mehr wie vorher.
Diese dunkle Seite in mir hatte ich vorher zwar vermutet, aber nicht gekannt. Jetzt lernte ich sie jeden Abend aufs Neue kennen, ohne etwas dagegen tun zu können.
Meine Rebellion war eine Rebellion gegen meinen Bruder, gegen das Königshaus, gegen die Normen und Werte, mit denen ich aufgezogen worden war, gegen die Ausweglosigkeit, gegen die Vorbestimmtheit meines Lebens, aber besonders gegen mich selbst. Und darüber war ich mir vollumfänglich im Klaren. Doch aufhalten konnte oder wollte ich es trotzdem nicht.
Auf die Windschutzscheibe wurde eine Startnummer geklebt. Das Zeichen dafür, dass es gleich losgehen würde.
Ich war bereit.
Die anderen hier konnten mich nicht besiegen. Insbesondere jetzt nicht, wo ich über Luise nachgedacht hatte.
Sie ließ all meine Sicherungen durchbrennen.
»Vielleicht ist es doch besser, wenn du aussteigst«, sagte ich und blickte zu Tim, der mich fragend ansah.
»Ich dachte, ich habe mich dazu schon geäußert.«
Ich würde keine Rücksicht nehmen, doch das konnte ich nicht tun, wenn er neben mir saß. Wer war ich, dass ich über sein Schicksal bestimmte.
»Raus«, sagte ich unmissverständlich. »Das ist keine Bitte, sondern eine Anordnung.«
Er musste tun, was ich sagte.
»Bei allem Respekt …«
»Jetzt komm mir nicht mit dem Scheiß. Raus jetzt, sonst werde ich dich rauswerfen lassen.«
Tims Blick verfinsterte sich, bevor er den Sicherheitsgurt löste und ausstieg.
Für einen kurzen Moment hatte ich mich der Illusion hingegeben, in ihm vielleicht einen Freund zu finden, doch davon war ich meilenweit entfernt. Ich konnte keinen Freund finden, so kaputt wie ich war. Und erst recht keinen Menschen, der für mich arbeitete. Für mich, für meinen Bruder, für die Krone, für die gesamte beschissene Organisation, aus der ich niemals fliehen konnte.
Tim war gerade rechtzeitig ausgestiegen, bevor wir in die Startaufstellung rollen konnten.
Ich ließ den Motor aufheulen und krallte mich an das Lenkrad. Adrenalin schoss durch meine Adern und sorgte dafür, dass ich mich lebendig fühlte. Lebendig und selbstbestimmt. Hier hatte ich die Kontrolle über mein Leben und darüber, was damit geschah.
Verlor ich die Kontrolle bei diesen Geschwindigkeiten, würde es mich zerstören.
Anders als im richtigen Leben, wo ich scheinbar tun und lassen konnte, was ich wollte, ohne wirklich etwas zu spüren.
Ich starrte den Typen an, der die Fahne hochhob, und ließ den Motor noch einmal aufheulen. Sobald er die Flagge nach unten zog, ging es los. Ich würde gewinnen. Sie alle in den Schatten stellen. So wie immer. Denn wenn man nichts zu verlieren hatte, musste man auch keine Rücksicht nehmen.
Das war mein Geheimrezept.
Und dann riss er die Flagge nach unten und ich trat das Gaspedal durch.
Bereits nach der ersten Kurve ging ich in Führung. Genau wie ich es erwartet hatte. Ich war unschlagbar und ich würde unschlagbar bleiben. Auch wenn einer meiner härtesten Konkurrenten wieder einmal mit am Werk war.
Ein Typ, der genauso kaputt zu sein schien wie ich. Doch wir kannten uns nicht. Wir unterhielten uns nicht.
Es reichte mir, dass sie alle wussten, wer ich war.
Genau dieses Arschloch schob sich in der nächsten Kurve wieder vor mich. Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen, bei Geschwindigkeiten, von denen man im Stadtverkehr von New York nur träumen konnte.
Die Organisatoren suchten sich immer wieder spektakuläre Kurse aus, doch das hier war mit Abstand der schnellste. Und das war es, was ich heute gebraucht hatte.
Ich trat das Gaspedal noch weiter durch, obwohl ich die nächste Kurve bereits sehen konnte. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Doch dieses Mal hatte ich mich verschätzt. Oder schlichtweg überschätzt. Statt die Kurve so ideal zu erwischen wie in meinen Vorstellungen, kam ich erbarmungslos von der Strecke ab. Bei Tempo einhundertachtzig kein kleines Problem.
Ich lenkte gegen, bremste und schaffte es tatsächlich, den Wagen zum Stehen zu bringen. Nur Zentimeter entfernt von der massiven Betonwand.
Wow, das war selbst für mich eine knappe Nummer gewesen. Ich lachte auf, während ich spürte, wie mein Herz wild in meiner Brust hämmerte. Scheiße, war das geil gewesen! Was für ein Ritt.
Darüber, dass ich nicht gewonnen hatte und jetzt um sechstausend Dollar, das Startgeld, ärmer war, würde ich mich nicht aufregen. Der verdammte Nervenkitzel war es wert gewesen.
Ich schloss die Augen, genoss den schnellen Rhythmus meines Herzens und fühlte mich einfach nur lebendig. Auch wenn mich dieser Stunt locker das Leben hätte kosten können.
Fuck, es war so ein geiler Ritt gewesen.
»Arthur, alles in Ordnung?«
Ich lachte noch einmal auf, als Tim die Tür aufriss und mich besorgt anblickte.
Scheiße, das war bestimmt nicht das, was er sich von seinem ersten Tag versprochen hatte … oder es war genau das. Schließlich war er nicht nur vorgewarnt gewesen, er hatte ganz genau gewusst, wie ich war.
»Gewonnen habe ich jetzt wohl nicht.«
»Das hätte verdammt ins Auge gehen können.«
»Tja, noch mal Glück gehabt, musst dir keinen neuen Job suchen. Komm, steig ein. Wir fahren. Gewinnen kann ich hier sowieso nichts mehr und meinen Spaß hatte ich.«
»Spaß? Das kann nicht dein verdammter Ernst sein.«
Ich grinste lediglich, als er sich neben mir auf den Beifahrersitz fallen ließ und den Sicherheitsgurt anlegte. »Lust, beim nächsten Mal mitzufahren?«, fragte ich scherzhaft, obwohl ich mir die Antwort nach der Aktion gerade natürlich denken konnte.
»Ganz sicher nicht!«, erwiderte Tim eindeutig. »Kannst du mich nicht einfach entlassen? Ich bin mir nach der Nummer nicht mehr sicher, ob ich noch weitermachen will.«
»Ach was, der Spaß fängt doch gerade erst an.«
»Ja, genau das befürchte ich ja auch!«
Ich trat das Gaspedal durch, als ich mich wieder in den Straßenverkehr einordnete, und genoss die Reste des Adrenalins, die durch meinen Körper gepumpt wurden.
»Lass mich raten, so viel Action hat dir der Job bei meinem Bruder nicht geboten. Die ganze Zeit neben diesem Ekelpaket stehen und nur in die Menge gucken ist nicht so spannend, wie du es dir vorgestellt hast, oder?«
»Ich war Bodyguard des Königs von England. Ich fand die Nummer schon echt super.«
»Macht bestimmt ordentlich Eindruck bei den Ladys, wenn du die Leier abspielst.«
»Keine Ahnung. Noch nicht probiert. Aber im Lebenslauf macht es sich gut. Was kann man sich denn als Bodyguard Besseres vorstellen als so eine wichtige Anstellung? Darüber kommt für mich nur der Personenschutz des Präsidenten der Vereinigten Staaten.«
»Soll ich den Kontakt herstellen? Falls ich vor einer Betonmauer mal nicht so rechtzeitig bremsen kann, wie es heute der Fall war?«
»Findest du das wirklich lustig?«, fragte Tim und ich konnte seinen Blick auf mir spüren.
»Habe ich gelacht? Ich meinte das eigentlich ernst.«
»Wie kannst du so mit deinem Leben spielen? Absolut ernst gemeinte Frage!«
»Was habe ich denn bitte zu verlieren?« Ich zuckte mit den Schultern. »All das Geld? All die Langeweile, weil mein Leben ein nutzloses Stück Scheiße ist? Ich habe keine Frau, keine Kinder, keine wirklichen Freunde, denn ich weiß ganz genau, dass sie nur meinen Ruhm und mein Geld wollen, also warum sollte ich um dieses Leben bangen? Außerdem macht es viel mehr Spaß, etwas zu riskieren und das Blut durch die Adern rauschen zu hören. Man fühlt sich verdammt lebendig, wenn ich dir das als Tipp geben darf.«
»Danke, aber nein danke. Ich fühle mich auch so wahnsinnig lebendig.«
»Du verpasst was, Tim. Außerdem dachte ich immer, dass Bodyguards Draufgänger sein müssen. Schließlich bist du doch im Fall der Fälle auch bereit, dich für mich in den Kugelhagel zu werfen, oder habe ich da was falsch verstanden?«
»Es ist ein kalkuliertes Risiko, das ich bewusst eingehe. Wobei man dabei auch ganz klar sehen muss, wie häufig und wie wahrscheinlich so ein Fall ist. Wenn ich allerdings andauernd mit zweihundert über einen unsicheren Kurs fahre … Du merkst das selbst, oder?«
»Ach ja, das Leben ist doch viel zu schade, um immer nur die sichere Seite zu wählen, nicht wahr?«
»Keine Ahnung. Wenn man immer die sichere Seite wählt, ist es bestimmt länger. Aber ich werde dir jetzt keinerlei Vorträge mehr halten, denn damit stoße ich so oder so auf Granit. Wir haben unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema und das akzeptiere ich. Ich habe meine Pflicht getan und dir gesagt, was ich davon halte. In meinen Augen ist es zu gefährlich, aber im Endeffekt ist es vor allem eins: dein Leben und deine Entscheidung.«
Verdammt, endlich einmal jemand, der genau das akzeptierte, was ich nicht zuletzt mit meinem Verhalten immer ganz deutlich machen wollte.
Ganz egal, ob ich als Royal geboren worden war oder nicht, in gewissen Bereichen hatte auch ich ein Recht darauf, mein Leben so zu führen, wie ich es führen wollte.
Abseits des Protokolls.
Es war schon beschissen genug, dass ich niemals ein wirkliches Privatleben haben würde, ganz egal, in welches Land dieser Erde ich auch floh. Außerdem konnte ich nicht einfach den Beruf ausüben, den ich ausüben wollte. Obwohl, ja, das war Klagen auf ganz hohem Niveau. Schließlich saß ich gerade in einem zweihundertfünfzigtausend Dollar schweren Auto und mein Bankkonto war trotzdem noch prall gefüllt.
Mit einem normalen Job hätte ich das garantiert niemals erreicht.
Tims Einstellung jedenfalls gefiel mir immer mehr. Normalerweise schmiss ich spätestens bei diesem Thema einen Bodyguard raus, der wieder einmal versuchen wollte, mich auf irgendeine Art und Weise zu bekehren.
Wir fuhren zurück zum Penthouse, wo ich mich wieder auf meine Couch warf, allerdings nicht alleine. Ich hatte einen Controller an Tim weitergegeben, der mir im Auto von seiner Gamingleidenschaft berichtet hatte. Das musste ich natürlich direkt ausnutzen, denn einmal nicht alleine vor dieser verdammten Kiste zu sitzen, würde mir guttun.
Wir zockten die verdammte Nacht durch, weshalb ich nicht mal auf den Gedanken kam, auf irgendeine Party zu gehen.
Schlussendlich gab ich mir mit Tim die Kante, der direkt nach Dienstschluss den von mir angebotenen Whiskey akzeptierte.
Und so endete die Nacht damit, dass ich am frühen Morgen sturzbetrunken in mein Bett wankte, während Tim schon vor geraumer Zeit auf der Couch eingepennt war.
Das war ein Bodyguard nach meinen Vorstellungen. Ihm würde mit Sicherheit am nächsten Tag die Kündigung überreicht, doch das würde ich zu verhindern wissen.
Er oder keiner.
Dann verzichtete ich lieber ganz auf Personenschutz, als noch einmal mit einem Menschen Zeit verbringen zu müssen, der überhaupt nicht meinen Vorlieben entsprach.
»Oh Fuck!«, murmelte Tim, als ich am nächsten Tag irgendwann gegen Mittag das Wohnzimmer betrat und ihn mit einem lauten »Dornröschen« weckte.
»Alter, wie fest kann man bitte schlafen? Und wie lange? Du bist bestimmt eine Stunde vor mir eingepennt und jetzt ist es halb zwei.«
»Was? Oh mein Gott!«
»Du brauchst keine Panik zu bekommen. Schließlich arbeitest du ja. Oder hast du mich nicht beschützt?«
»Keine Ahnung. Ich kann mich an nichts erinnern«, erwiderte er und kniff sich mit den Fingerspitzen in den Nasenrücken.
»Aspirin, Kaffee, Eier, Bohnen und Speck?«, fragte ich, was ihn aufblicken ließ.
»Willst du dich jetzt etwa in die Küche stellen und anfangen zu kochen?«, fragte er.
»Herrgott, nein. Wofür bin ich denn bitte der verfickte Kronprinz von England? Ich habe für so etwas Leute. Also, noch irgendwelche Wünsche oder soll ich das so bestellen?«
»Geht das denn überhaupt, dass ich hier mit dir esse?«
»Sie werden dich nach dieser Aktion der letzten Nacht so oder so rauswerfen, aber hey, ich werde es zu verhindern wissen, darauf kannst du Gift nehmen.«
»Ich werde mir nie wieder mit dir die Kante geben.«
»Okay, dann können sie dich meinetwegen doch rauswerfen.«
»Witzig. Sehr witzig.«
Ich grinste und nahm das Telefon zur Hand, auf dem ich nur die 3 drücken musste, um mit den Menschen verbunden zu werden, die für mein leibliches Wohl zuständig waren.
Nachdem ich unsere Bestellung aufgegeben hatte, nahm ich eine Dusche und war pünktlich zum Klopfen an der Tür fertig.
»Mister Bradey, auf ein Wort.«
Natürlich stand Smith persönlich vor der Tür.
»Das Wort können Sie sich sparen, Coop. Mister Bradey hat nur all meine Befehle ausgeführt. Er ist ein sehr loyaler und guter Angestellter und ich fordere ausdrücklich, dass er bleibt«, stellte ich klar, bevor ich ihm die Tür vor der Nase schloss.
»Arthur, ehrlich, ich meine …« Tim versuchte, mich zu unterbrechen.
»Bin ich dein Chef oder dieses steife Abbild eines englischen Aristokraten?«
»Ja, aber, ich meine, er ist schon mein Chef und …«
»Und hat zu tun und zu lassen, was immer ich ihm sage. Ganz genau. Also, hör auf, dir ins Hemd zu machen, und setz dich. Das Frühstück ist da.«
Ich konnte sehen, wie Tim mit sich haderte. Er war definitiv ein lockerer Kerl, aber nicht so locker, wie ich es mir vorstellte. Schließlich war er bestimmt auf diesen Job angewiesen.
»Hör zu, es wird keinen Ärger geben und auch keine Probleme. Wenn dich hier einer rausschmeißt, dann bin ich das. Verstanden?«
»Verstanden.«
Nachdem Coop gegangen war, nahm Tim am großen Esstisch Platz, den ich noch nie mit jemandem geteilt hatte, und begann zu essen.
Es war ein seltsames Gefühl, dass er Luise ebenfalls kannte. Und nicht nur das. Er wusste auch darüber Bescheid, was zwischen uns war.
Nur hatte er sie im Gegensatz zu mir vor Kurzem noch gesehen. Verdammt, wie sehr ich ihn dafür beneidete.
Ebenfalls seltsam fühlte es sich an, in meinen eigenen vier Wänden nicht alleine zu sein. Normalerweise war sonst nie jemand hier. Mit den Frauen ging ich entweder ins Hotel oder zu ihnen nach Hause.
So etwas wie richtige Freunde besaß ich nicht.
Schlaflos wälzte ich mich in meinem Bett umher und zog mir stöhnend die Decke höher, um es mir noch gemütlicher zu machen. Doch auch das würde nicht helfen, das wusste ich ganz genau.
Ich hätte vor dem Schlafengehen nicht erst noch die Klatschspalten der amerikanischen Boulevardpresse durchstöbern sollen. Nach zwei Jahren hätte ich einfach wissen müssen, dass dort mit Sicherheit etwas über Arthur drinstehen würde. Und natürlich wurde ich auch dieses Mal nicht enttäuscht – oder aber wieder einmal verdammt enttäuscht. Je nachdem, wie man es sah. Denn natürlich beherrschte mein Schwager die Klatschspalten. Mit äußerst fragwürdigen Bildern. An seiner Hand eine blonde Frau, die andere an der Whiskeyflasche.
Doch vermutlich hatte das für Arthur keinen Unterschied gemacht, so unendlich fertig, wie er auf den Bildern aussah. Zugedröhnt, besoffen, einfach »His royal Badass«, wie ihn die Medien in Amerika wahrscheinlich ganz zu Recht nannten.
Eine Schande für das britische Königshaus. Eine Schande für diese Familie. Und doch beneidete ich ihn, denn er lebte sein Leben. Wenn auch so, wie man es auf gar keinen Fall tun sollte.
Außerdem bezweifelte ich, dass er glücklich war mit dem, was er dort tat, doch es stand mir nicht zu, dieses Urteil zu fällen. Dafür hatten wir uns viel zu lange nicht gesehen. Und das, wo er einst so eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hatte.
Ein Leben, das ich mit der Heirat hinter mir gelassen hatte.
Ich hatte Arthur mit dieser Hochzeit hinter mir gelassen, auch wenn wir scheinbar beide noch immer an meiner Entscheidung zerbrachen. Zumindest bildete ich mir ein, dass Arthurs Verhalten auch mit mir zu tun hatte.
Mit den Dingen, die zwischen uns waren, die wir allerdings nicht zulassen konnten. Vielleicht hätte er mich glücklich gemacht, doch stattdessen war ich bereit gewesen, meine Pflichten zu erfüllen, so wie ich es der Königin einst versprochen hatte.
Mir war nur nicht klar gewesen, auf was ich mich einließ. Nur nützte es mir im Nachhinein nichts mehr, wenn ich rumheulte.
Ich hatte Ja gesagt. Ja zu Reginald. Ja zu dem Dienst in der Krone. Ja zu einem Leben an seiner Seite. Ja zu allem, was dazugehörte.
Mein Glück war es, dass die englische Presse mir verdammt wohlgesonnen gegenüberstand. Ich war die Königin der Herzen. Everybody’s Darling. Ganz egal, was ich auch machte.
Und auch Reginald war bei dem Volk überaus beliebt, was wahrscheinlich nicht zuletzt daran lag, dass er seine Rolle absolut herausragend spielte. Er war der König, den die Menschen sehen wollten. Er sagte, was ihm von den schlauen Redenschreibern in den Mund gelegt wurde.
Alle sollten ihn mögen. Alle sollten ihm zujubeln. Es war seine Art, sich Bestätigung zu holen. Eine Bestätigung, die er innerhalb der Palastmauern nicht bekam. Von niemandem. Ich wusste, dass die Angestellten hinter seinem Rücken über ihn lästerten, doch ich konnte es ihnen nicht mal verübeln.
Reginald war ein Spinner. His royal Arschgeige, so wie sie ihn hier oft nannten.
Ich als die Frau an seiner Seite konnte das nur bestätigen, auch wenn ich das natürlich niemals tun würde.
Bei öffentlichen Auftritten stand ich neben ihm. Lebte dem Volk das Märchen vor, das es sehen wollte, und erfüllte damit all meine Pflichten.
Hinter den Kulissen redete ich fast kein Wort mit meinem »Ehemann«. Wir sahen uns eigentlich nur, wenn es unbedingt nötig war – bedingt durch die royalen Auftritte weitaus häufiger, als es mir lieb war.
Bis auf den gestellten Kuss auf dem Balkon des Palastes hatte es zwischen uns niemals irgendwelche Zärtlichkeiten gegeben. Wir hielten in der Öffentlichkeit auch nie Händchen, es sei denn, es machte sich für den Anlass besser.
Er wusste nichts über mich, ich wusste nichts über ihn. Doch das würde nicht auf Dauer so bleiben können, darüber war ich mir im Klaren. Das Volk schrie nach kleinen Thronfolgern, in der Presse wurde bereits darüber spekuliert, ob wir keine leiblichen Kinder bekommen konnten.
Alleine der Gedanke, mit ihm schlafen zu müssen, ekelte mich. Der Nachwuchspunkt würde bei unserem nächsten Meeting, das jeden Sonntag stattfand, besprochen werden. Zumindest stand es so auf der Tagesordnung.
Wer konnte schon behaupten, Meetings inklusive Tagesordnungspunkten mit dem eigenen Ehemann zu haben.
Herzlich willkommen in meiner absolut absurden Welt, mit der ich allerdings besser klarkam als gedacht.
Ich wusste, wofür ich das alles hier tat. Meine Eltern hatten sich arbeitstechnisch den Arsch aufgerissen, bis sie beide kurz nacheinander schwer erkrankten und den falschen Leuten vertrauten. Das Geld wurde weniger und weniger. Alles, was blieb, waren unser guter Name und das Ansehen, das wir uns in der Londoner Gesellschaft erarbeitet hatten.
Sie waren immer bemüht gewesen, den äußeren Schein zu wahren, und gerade mein Vater hatte alles getan, um wenigstens mein Studium zu Ende bezahlen zu können, auch wenn das Geld kaum noch zum Leben reichte.
Sie hatten für mich auf alles verzichtet. Inklusive ihrer Absicherung fürs Alter, von der sie jetzt eigentlich zehren müssten. Ich dankte es ihnen auf diese Weise. Trotz ihrer Krankheiten konnten sie weiterhin zu Hause leben, mit Vierundzwanzig-Stunden-Betreuung und der besten medizinischen Versorgung des Landes.
Vielleicht würde Reginald sich ja auf eine künstliche Befruchtung einlassen. Ich würde nicht mit ihm schlafen. Ja, ich hatte mein Leben an ihn verkauft, aber ganz sicher nicht meinen Körper.
Seufzend drehte ich mich noch einmal um. Schlafen! Ich! Musste! Schlafen! Doch immer wieder tauchte Arthurs Gesicht vor meinem geistigen Auge auf. Wie er kaum noch aus seinen glasigen Augen schauen konnte.
Er war schon immer ein Mann der Extreme gewesen, ein Rebell, aber nicht in einem solchen Ausmaß. Im Gegensatz zu seinem Bruder war er der Krone und seinen royalen Pflichten nicht hörig. Er stand vielen Dingen kritischer gegenüber, doch das nützte ihm jetzt auch nichts mehr.
Es war kein Geheimnis, dass Reginald ihn nach New York geschickt hatte, um uns voneinander fernzuhalten. Gleichzeitig wäre Arthur aber wahrscheinlich auch freiwillig von hier weggegangen, nachdem ich vor aller Welt Ja zu Reginald gesagt hatte und mit ihm den Bund fürs Leben eingegangen war.
Denn genau das war es.
Als König und Königin ließ man sich nicht so einfach scheiden.
Das war mir vorher bewusst gewesen. Doch was hätte ich auch tun sollen? Diese Hochzeit, die bis ins kleinste Detail geplant gewesen war, einfach absagen? All die Journalisten, die aus aller Welt angereist waren, all die Menschen, die anderen Royals, meine Familie. Ich konnte diesen Rückzieher nicht machen. Darüber hätte ich mir einfach viel früher im Klaren sein müssen.
Wahrscheinlich genau wie über meine Gefühle für Arthur.
Gefühle, die wir niemals hätten zulassen können und dürfen. Der Bruder des Königs, der Kronprinz von England, und die Verlobte des Königs. Auf die Schlagzeilen inklusive der Welle der Entrüstung wäre ich nicht vorbereitet gewesen.
Dieses Leben fiel mir so oder so schon schwer genug, da kam es mir wirklich leichter vor, Arthur einfach zu heiraten und mit ihm den Rest meines Lebens zu verbringen.
So unglaublich suspekt diese Denkweise wahrscheinlich auch war.
Das alles hier war suspekt.
Ich war damals einen Deal mit dem Teufel eingegangen und mit diesen Konsequenzen musste ich nun für den Rest meines Lebens klarkommen.
Was hatten sie mir nicht alles versprochen.
Neben der Versorgung meiner Eltern war es mein größter Traum gewesen, durch diese Stellung in der Welt etwas verändern zu können. All die Klimaziele, all die Menschenrechte. Doch natürlich war mir nicht bewusst gewesen, dass es innerhalb der Palastmauern andere Menschen gab, die mir meine Meinung diktierten.
Ich durfte und konnte nicht vertreten, woran ich glaubte oder was ich fordern würde, sondern immer nur die Meinung des Königshauses. Schließlich repräsentierte ich dieses.
Für die ehrliche Meinung einer Luise Porter, so wie ich früher einmal hieß, interessierte sich hier niemand.
Sie hatten alles ausgenutzt. Die Tatsache, dass ich aus gutem Hause stammte, wobei niemand zu dem Zeitpunkt etwas davon geahnt hatte, dass meine Eltern bankrott waren und vor dem Nichts standen, mein abgeschlossenes Studium, meine Art, einfach alles!
Für das Volk musste es wie die perfekte große Liebe aussehen. Denn ich schien nach außen kein bisschen auf diese Ehe mit diesem Mann angewiesen zu sein.
Wie der Schein doch trog. Und das in jeglicher Hinsicht.
Mit Arthur war ein Verbündeter an meiner Seite gewesen. Ein Mann, der seinen eigenen Bruder mit einer solchen Kritik betrachtete, dass er mir oft aus der Seele sprach.
Er hatte mich gewarnt. Vor allem. Vor der Ehe. Vor der Monarchie. Vor diesem verdammten Leben hinter den Palastmauern. Doch als ich endlich alle Zusammenhänge vollumfänglich begriffen hatte, war es bereits zu spät gewesen.
Außerdem wäre ein Leben mit Arthur nicht wirklich anders verlaufen, auch wenn ich gerne und oft davon träumte.
Ja, zwischen uns wären wahrscheinlich mehr Gefühle im Spiel gewesen, echte Gefühle, doch das konnte ich auch nur mutmaßen. Dafür hatten wir zu wenig zulassen dürfen. Oder zumindest hatte ich zu wenig zugelassen.
Arthur wäre mit Sicherheit bereit gewesen, alles für mich zu riskieren. Ich wusste es, denn das hatte er mehrfach beteuert. Und wenn Arthur eins mit Sicherheit nicht war, dann ein Mann der leeren Worte.
Die Familie, die Monarchie … das alles wäre gleich geblieben. Genauso wie der Blick der Öffentlichkeit.
Und nun waren wir so geendet. Er auf der anderen Seite des Großen Teiches und ich im goldenen Käfig, aus dem ich nie wieder ausbrechen konnte.
Die Zeitung hatte schon oft von Arthurs Leben in den USA berichtet. Auf eine schonungslos offene Art und Weise. Sie schrieben Dinge und zeigten Bilder, die ich nicht wahrhaben wollte. Es zerbrach mich, zu sehen, wie sehr er sich zerstörte.
Vielleicht hätte ich ihn auffangen und ihm helfen können, doch zwischen uns herrschte seit seinem Weggang absolute Funkstille. Eine Funkstille, an der sich wahrscheinlich niemals etwas ändern würde. Schließlich war er nicht mal zum letzten großen Event hier erschienen.
Stattdessen war er in New York mit einer schwarzhaarigen Schönheit ins Bett gehüpft. Die Medien dort hatte sie wochenlang als das neue Traumpaar der High Society gefeiert, bis man sie mit einem anderen Mann an ihrer Seite gesehen hatte. Und Arthur natürlich weiterhin mit ständig wechselnden Frauen.
Wenn man irgendwann ein Date, oder wie auch immer man das nennen sollte, Revue passieren lassen wollte, musste man nur durch die Klatschzeitungen blättern.
Diese Pressegeier schienen ihm auf Schritt und Tritt zu folgen. Doch wahrscheinlich war er daran selbst schuld. Schließlich lieferte er ihnen immer Knallergeschichten, die man so von einem Royal mit Sicherheit nicht erwartete.
Nicht nur zwischen Reginald und mir, sondern allgemein hinter den Palastmauern wurde dieses Thema komplett totgeschwiegen. Der Name Arthur durfte hier nicht fallen.
Ich wusste, wie sehr Reginald wegen all der Berichte aus den Staaten tobte, auch wenn er nicht darüber sprach. Er als Mensch, der der Monarchie huldigte und dann Schlagzeilen à la »His royal Badass« lesen musste … Ich konnte mir schon vorstellen, dass ihn diese Dinge wirklich trafen.
Ich nahm mein Handy zur Hand und setzte mich in meinem Bett auf. Schlaf würde ich jetzt so oder so nicht finden, dann konnte ich auch noch ein wenig im Internet surfen. Wobei ich natürlich einen großen Bogen um das Thema Arthur Hemingsworth machen würde. Auch wenn es dafür eigentlich schon zu spät war.
Und das seit Jahren.
Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie er mir hier im Palast zum ersten Mal über den Weg gelaufen war. Diese strahlend blauen Augen, die schwarzen Haare, der verwegene Dreitagebart und das schelmische Grinsen auf seinem Gesicht … Wie sollte ich diesen Anblick auch jemals vergessen?
Natürlich war er mir aus der Zeitung bekannt gewesen, doch als Person hatte ich ihn nie einschätzen können.
Bis zum ersten Hallo.