Hochzeitsnacht mit einem Milliardär - Caitlin Crews - E-Book
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Hochzeitsnacht mit einem Milliardär E-Book

CAITLIN CREWS

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Beschreibung

Ungeahnte Erregung erfasst Susannah, als ihr Noch-Ehemann Leonidas Betancur sie verlangend in die Arme zieht und stürmisch küsst. Dabei hat sie sich doch nur auf den weiten Weg zu ihm in die Rocky Mountains gemacht, um endlich die Scheidung zu fordern. Aber plötzlich ist der einst so kühle, abweisende Milliardär, der gleich am Tag ihrer arrangierten Heirat wieder aus ihrem Leben verschwand, wie verwandelt. Ehe sie sich versieht, lässt sie sich zu einer leidenschaftlichen Liebesnacht verführen - mit gänzlich unerwarteten Folgen …

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Seitenzahl: 209

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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2018 by Caitlin Crews Originaltitel: „A Baby to Bind His Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2342 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Rita Koppers

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733710248

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Sie nennen ihn den Count“, erklärte ihr der Mann schroff, während er sie immer tiefer in die Wildnis führte. Er trug mehr Flanell und Karostoff, als Susannah Betancur je an einem Menschen gesehen hatte. „Nie einen Namen, immer nur ‚der Count‘. Doch sie behandeln ihn wie einen Gott.“

„Ein richtiger Gott oder ein angeblicher Gott?“, fragte Susannah, als würde das einen Unterschied machen. Sicherlich nicht, falls der Count der Mann war, den sie suchte.

Ihr Führer warf ihr einen kurzen Blick zu. „Bin mir nicht sicher, ob das auf diesem abgelegenen Hügel eine Rolle spielt, Ma’am.“

Für Susannah war der Hügel, den sie hinaufstapften, eher ein richtiger Berg, wobei alles in den amerikanischen Rocky Mountains ein paar Nummern größer erschien. Sie hatte den Eindruck, dass der Wilde Westen aus einer endlosen Ansammlung von riesigen Bergen bestand, geschmückt mit immergrünen Pflanzen und kuriosen Namen.

„Wie drollig“, murmelte Susannah leise, während sie sich Mühe gab, den Weg nicht wieder hinunterzurollen, den sie hochgegangen waren. Oder sich dem Höhenrausch hinzugeben, der sie ein wenig schwindlig machte.

Dass sie außer Atem war, musste nicht erwähnt werden.

Ihr Freund in Flanell hatte sie so weit wie möglich in die abgeschiedene Wildnis von Idaho gefahren. Die Straße, die sie genommen hatten, war eher ein ausgefahrener, schlammiger Pfad, der sich stetig tiefer in die dichten Wälder schlängelte, obwohl die Steigung darauf hindeutete, dass sie gleichzeitig immer höher fuhren. Susannah hatte den Eindruck, dass die Fahrt, die sie gehörig durchgeschüttelt hatte, ewig dauerte, als er schließlich anhielt. Ihr Fahrer hatte dann angedeutet, dass sie den Rest des Weges zu dem Lager, wie er es bezeichnet hatte, zu Fuß gehen müssten. Auch wenn Susannah, die Tausende Meilen von Rom hierhergeflogen war, wenig Lust dazu verspürte, war sie ihm gefolgt.

Aber sie war keine begeisterte Wanderin. Vielmehr war sie die Witwe Betancur, ob es ihr nun gefiel oder nicht. Und ihr blieb nichts anderes übrig, als die Sache durchzuziehen.

Nun konzentrierte sie sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ihr war durchaus bewusst, dass ihre Kleidung nicht unbedingt für ein Abenteuer in der freien Natur geeignet war. Wobei ihr nicht klar gewesen war, dass sie sich tatsächlich in die Wildnis begeben würde. Im Gegensatz zu den Menschen, die sie gesehen hatte, seit der Privatjet der Betancurs auf einem Flugplatz mitten im Nirgendwo gelandet war, trug Susannah von Kopf bis Fuß Schwarz, damit jeder erkennen konnte, dass sie sich immer noch in Trauer befand. Schwarz war ihre übliche Kleidung. An diesem Tag trug sie einen Kaschmirmantel über einem Winterkleid aus Merinowolle. Dazu warme Stiefel. Denn sie hatte damit gerechnet, dass es kalt sein würde, aber nicht mit diesem Gewaltmarsch.

„Wollen Sie sich wirklich nicht umziehen?“, hatte ihr Führer sie gefragt, als sie in seiner baufälligen kleinen Hütte standen, die sich auf einem überwucherten Feld befand, auf dem Autoteile herumlagen. Ein Umstand, der ihr Security-Team nervös machte. Vermutlich war das sein Büro. „Etwas, das weniger …“

„Weniger was?“, fragte Susannah und hob eine Braue, als sie an den rücksichtslosen Ehemann dachte, den sie verloren hatte.

„Es gibt dort keine richtige Straße“, erklärte ihr Führer und starrte sie an, als würde er davon ausgehen, dass sie bei dieser Neuigkeit einknicken würde. Als könnte man die Rocky Mountains, mochten sie auch noch so herausfordernd sein, mit den Intrigen in ihrem komplizierten Leben vergleichen. Oder dem multinationalen Betancur-Unternehmen, das sie in den letzten Jahren geleitet hatte. Denn sie hatte sich nicht von ihrer eigenen Familie, der ihres verstorbenen Mannes und dem Vorstand übervorteilen lassen wollen. „Das Gebiet ist vom Versorgungsnetz abgeschnitten. Eine raue Gegend. Vielleicht sollten Sie Ihre Kleidung den Umständen anpassen.“

Susannah hatte höflich abgelehnt. Seit der Beerdigung trug sie in der Öffentlichkeit nur Schwarz, weil sie den zweifelhaften Ruf hatte, die sehr junge Witwe eines der reichsten Männer der Welt zu sein. Sie wollte damit den Eindruck vermitteln, dass sie für immer trauern würde, ganz egal, was ihre arglistigen Eltern oder die angeheiratete Verwandtschaft ausheckten.

Sie hatte vor, noch für lange Zeit die Witwe Betancur zu bleiben. Sie wollte keinen neuen Ehemann, der die Kontrolle übernahm, auch wenn sie von allen Seiten noch so sehr bedrängt wurde, wieder zu heiraten.

Es war ihre Entscheidung, für immer Schwarz zu tragen, denn die Witwenschaft gestattete ihr, frei zu sein.

Es sei denn, Leonidas Cristiano Betancur war bei dem Flugzeugabsturz vor vier Jahren gar nicht gestorben. Und genau um das herauszufinden, hatte Susannah die weite Reise auf sich genommen.

Leonidas war zu einer abgelegenen Ranch in dieser Wildnis unterwegs gewesen, um sich für eines seiner Lieblingsprojekte mit potenziellen Investoren zu treffen. Doch sein kleines Flugzeug war in den nahezu undurchdringlichen Wäldern abgestürzt. Man hatte zwar keine Leichen gefunden, doch die Behörden waren überzeugt, dass er die Explosion nicht hatte überleben können.

Susannah hingegen war sich nicht so sicher. Vielmehr kamen ihr zunehmend Zweifel, dass das, was ihrem Mann in ihrer Hochzeitsnacht zugestoßen war, kein Zufall sein konnte. Was dazu geführt hatte, dass sie all die Jahre Privatermittler hatte aufmarschieren lassen und über Fotos von dunklen, grimmig aussehenden Männern gebrütet hatte, von denen jedoch keiner Leonidas gewesen war. Ihren hinterhältigen Eltern und der intriganten Betancur-Familie hatte sie vorgespielt, so verzweifelt über Leonidas’ Tod zu sein, dass sie nicht einmal über eine neue Heirat nachdenken konnte.

Tatsächlich jedoch war sie keineswegs verzweifelt. Sie hatte den älteren Sohn der Betancurs, die alte Freunde ihrer Eltern waren, kaum gekannt. Ihre Eltern hatten sie zwar darauf vorbereitet, so jung zu heiraten. Doch wie jedes Mädchen in ihrem Alter hatte sie sich Träumereien hingegeben. Aber Leonidas hatte sie tief verletzt, als er ihr bei ihrer Hochzeit den Kopf getätschelt hatte, als sei sie ein Welpe. Dann war er während des Empfangs verschwunden, weil seine Geschäfte ihm wichtiger waren.

„Reiß dich zusammen, Susannah“, hatte ihre Mutter an diesem Abend kühl erklärt, während Susannah verlassen in ihrem weißen Kleid dastand und versuchte, nicht zu weinen. „Märchenfantasien sind etwas für kleine Mädchen. Du bist nun die Frau des Erben des Betancur-Vermögens. Du solltest dich jetzt entscheiden, was für ein Mensch du sein möchtest. Eine verwöhnte Prinzessin, die man in einem der Anwesen der Betancurs wegsperrt, oder eine Persönlichkeit, mit der man rechnen muss.“

Noch vor dem nächsten Morgen wurde bekannt, dass Leonidas verschwunden war. Susannah hatte sich dazu entschieden, mehr zu sein als die Trophäe eines reichen Mannes. Und in den vergangenen vier Jahren, in denen sie von einer naiven Neunzehnjährigen zu einer einflussreichen Frau geworden war, hatte sie bewiesen, dass man immer mit ihr rechnen musste.

Das hatte sie hierhergeführt, auf den Berg eines amerikanischen Staates, über den Susannah kaum etwas wusste. Sie hatte sich zu dem Lager hochgeschleppt, wo ein Mann, auf den Leonidas’ Beschreibung passte, Gerüchten zufolge eine Sekte anführte.

„Es ist nicht direkt eine Weltuntergangssekte“, hatte der Privatermittler ihr in dem großen Penthouse in Rom erklärt. Es gehörte ebenfalls ihrem Mann und lag der europäischen Hauptverwaltung des Betancur-Unternehmens am nächsten, in dem sie sich gern persönlich zeigte.

„Ist das von Bedeutung?“, fragte sie und bemühte sich, distanziert und ungerührt zu klingen, während sie die Fotos in der Hand hielt. Es waren Schnappschüsse von einem Mann in fließendem Weiß. Auch wenn seine Haare länger waren, als Leonidas sie getragen hatte, lag doch die gleiche Unbarmherzigkeit in seinem finsteren Blick. Und er wirkte genauso schlank, groß, athletisch und gefährlich, mit Narben, die von einem Flugzeugabsturz herrühren konnten.

Leonidas Betancur höchstpersönlich, das hätte sie schwören können.

Auch wenn sie tief erschüttert war, versuchte sie, den Privatermittler höflich anzulächeln.

„Nur dann, wenn Sie sich tatsächlich entscheiden, dorthin zu gehen, signora. Weil man Sie wohl kaum festhalten oder töten würde“, erklärte er.

„Wenigstens etwas Erfreuliches“, entgegnete Susannah mit kühlem Lächeln.

In ihr sah es jedoch ganz anders aus. Denn ihr Ehemann lebte.

Sollte Leonidas sich in der Wildnis tatsächlich wieder erholt und eine Gefolgschaft um sich versammelt haben, dann hatte er für die schwierige Aufgabe eines Sektenführers die bestmögliche Ausbildung genossen, wie Susannah fand. Nämlich in dem Haifischbecken des Betancur-Unternehmens, ein weitläufiges Familienunternehmen. Es hatte ihn und all seine Verwandten so reich gemacht, dass sie glaubten, Flugzeuge von ungehorsamen, unkontrollierbaren Erben vom Himmel holen zu können, wenn es ihnen gerade passte.

In den vergangenen Jahren hatte Susannah viel gelernt. Vor allem, dass die Betancurs meistens einen Weg fanden, das zu bekommen, was sie wollten. Wie zum Beispiel, Leonidas bei einem Deal außer Gefecht zu setzen, der dem Unternehmen viel Geld einbringen würde, den Leonidas aber für zwielichtig hielt.

Als Witwe Betancur stand sie über alldem. Doch es gab etwas, das noch besser war, als Leonidas Betancurs Witwe zu sein. Und das war, ihn von den Toten wiederzuerwecken.

Dann konnte er sein verdammtes Unternehmen selbst leiten. Und Susannah könnte wieder das Leben führen, von dem sie als Neunzehnjährige noch nicht gewusst hatte, dass es ihr gefallen würde. Sie wäre glücklich geschieden, frei und ungebunden, wenn sie ihren vierundzwanzigjährigen Geburtstag feierte. Frei von allen Betancurs und wesentlich besser in der Lage, sich gegen ihre Eltern zu behaupten.

Um den halben Erdball zu fliegen und sich in die Wildnis von Idaho zu begeben war ein kleiner Preis, den sie für ihre Freiheit zahlen musste.

„Was für eine Art Anführer ist der Count?“, fragte Susannah jetzt und konzentrierte sich auf das unwegsame Gelände, während sie ihrem Führer folgte. „Ist er gütig? Oder eher schrecklich?“

„Das kann ich nicht sagen“, antwortete der Mann. „Für mich scheint eine Sekte wie die andere zu sein.“

Als wären sie nichts Besonderes in diesen Gegenden. Vielleicht war es auch so.

Und jetzt war es ohnehin egal, weil sie das Lager bereits erreicht hatten.

Eben noch war nichts als Wald um sie herum gewesen. Jetzt ragten am Ende einer kleinen Lichtung hohe Tore mit abweisendem Stacheldraht vor ihnen auf. Schilder waren daran befestigt, die jeden Eindringling aufforderten, sich von dem Gelände fernzuhalten, und dass man bei Zuwiderhandlungen mit unangenehmen Folgen rechnen musste. Über den Schildern befanden sich Videokameras, die das Areal überwachten.

„Weiter gehe ich nicht“, sagte ihr Führer, als sie die letzten Bäume erreicht hatten.

Susannah wusste nicht einmal seinen Namen. Sie wünschte, er würde sie begleiten, nachdem er sie schon bis hierher gebracht hatte. Aber das gehörte nicht zu ihrer Abmachung. „Ich verstehe.“

„Ich warte unten beim Truck, falls Sie den Hügel wieder hinuntermüssen“, fuhr der Mann fort. „Ich würde Sie ja hineinbringen …“

„Ich weiß, dass Sie es nicht können“, sagte Susannah, der das schon unten in der maroden Hütte erklärt worden war. „Den Rest muss ich allein schaffen.“

Genau das hatte ihrem Security-Team Kopfschmerzen bereitet. Trotzdem hatten alle zugestimmt. Denn Susannah konnte auf keinen Fall mit einem kompletten Sicherheitsteam im Schlepptau in einem abgelegenen Lager auftauchen, in dem sich ihr Mann wahrscheinlich vor der Welt versteckte. Mit anderen Worten, sie konnte dort nicht mit ihrer eigenen kleinen Armee aufmarschieren. Selbst ein paar zähe Einheimische wären zu viel, hatte der Führer ihr gesagt. Denn Leute, die sich in fast unerreichbaren Lagern in den Rocky Mountains versteckten, legten normalerweise auch keinen Wert auf Besuch. Besonders dann nicht, wenn diese Besucher bewaffnet waren.

Doch eine junge Frau, die sich selbst als Witwe bezeichnete und mit ihrer Kleidung auf diesem Berg so fehl am Platz wirkte, war etwas ganz anderes.

Weil sie nicht bedrohlich aussah, wie sie hoffte.

Susannah wollte nicht zu sehr über das nachdenken, was sie vorhatte. Denn sie hatte zu viele Thriller gelesen, als sie ihre Jugend auf Wunsch ihrer Eltern in einem Schweizer Internat verbringen musste, und jeder einzelne spulte sich an diesem Nachmittag in ihrem Kopf ab.

Nicht sehr hilfreich, mahnte sie sich. Sie wollte nicht an die Risiken denken. Ihr einziger Wunsch war es, herauszufinden, was mit Leonidas passiert war.

Es war traurig genug, dass sie wohl die Einzige war, die das interessierte.

Sie redete sich ein, dass es nur einen Grund für sie gab, warum es ihr nicht gleichgültig war. Weil sie dann frei wäre, würde sie ihn finden.

Susannah ging auf die Tore zu, und bei jedem Schritt, den sie machte, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Sie wusste, dass die Videokameras auf sie gerichtet waren, doch dass sie überwacht wurde, war nicht das Schlimmste, was ihr Sorgen machte. Eher Scharfschützen. Denn sie bezweifelte, dass jemand sich eine so ausgedehnte Festung in den Wäldern bauen würde, ohne sie verteidigen zu wollen.

„Sofort stehen bleiben!“

Sie wusste nicht genau, woher die Stimme kam, doch Susannah blieb trotzdem, wo sie war. Sie hob die Hände hoch, wenn auch nicht ganz über den Kopf. Denn es hatte keinen Sinn, sich völlig unterwürfig zu zeigen.

„Ich bin gekommen, weil ich den Count treffen möchte“, sagte sie in den stillen, kühlen Wald.

Nichts geschah.

Einen Moment glaubte Susannah, dass überhaupt nichts passieren würde. Doch dann ging langsam eine Tür neben einem der großen Tore auf.

Susannah hielt die Luft an. Würde sie nach all der Zeit Leonidas gegenüberstehen?

Ein Mann trat durch die Tür, doch es war nicht Leonidas. Dieser Mann war viel kleiner als der Ehemann, den sie verloren hatte. Über seiner Schulter hing eine bedrohliche halbautomatische Waffe, und sein rundes Gesicht zeigte einen ausgesprochen unfreundlichen Ausdruck.

„Sie sollten von unserem Berg verschwinden“, sagte er und schwang das Gewehr, um seine Forderung zu unterstreichen.

Doch er runzelte die Stirn, während er mit ihr sprach. Wegen ihrer Kleidung, wie Susannah einen Moment später bewusst wurde. Denn sie war ganz sicher nicht für einen Überfall auf ein Lager angezogen. Nicht einmal für einen Marsch durch die Wälder.

„Ich habe nicht unbedingt den Wunsch, mich auf diesem Berg aufzuhalten“, entgegnete sie kurzangebunden. „Ich möchte nur den Count sprechen.“

„Nur der Count entscheidet, wen er sehen will“, erklärte der Mann aufgebracht. Als könnte er nicht fassen, dass Susannah die Frechheit besaß zu glauben, Zugang zu einem solch bedeutenden Wesen zu haben.

Vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein. Was wusste sie denn schon über die Mitglieder einer Sekte?

Sie neigte den Kopf. „Er wird mich sehen wollen.“

„Der Count ist ein sehr beschäftigter Mann“, wehrte er ab. „Er hat keine Zeit für fremde Frauen, die aus dem Nichts auftauchen, als würden sie darum betteln, erschossen zu werden.“

Dort, wo ich herkomme, gilt so etwas als eine unverblümte Drohung, überlegte Susannah, während ihr Herz hämmerte. Sie rief sich in Erinnerung, dass die Menschen, die in dieser riesigen und gefährlichen Wildnis lebten, ein anderes Verhältnis zu ihren Waffen hatten. Und im Übrigen auch in Bezug auf Drohungen.

Der Mann, der vor ihr stand, hatte ihr vermutlich nur die nüchternen Tatsachen dargelegt.

„Ich bin nicht darauf aus, erschossen zu werden“, erklärte sie ihm so ruhig wie möglich. „Aber ich bin sicher, dass der Count mich sehen will.“ Wobei sie sich überhaupt nicht sicher war. Dass Leonidas sich an diesem Ort versteckte und sich einen so lächerlichen Titel zugelegt hatte, ließ die Vermutung zu, dass er nicht gefunden werden wollte. Niemals. Doch das würde sie einem seiner verrückten Anhänger nicht auf die Nase binden. Stattdessen warf sie dem Wachtposten ein kühles Lächeln zu. „Warum bringen Sie mich nicht zu ihm, damit er es mir selbst sagen kann?“

„Lady, ich wiederhole es nicht noch einmal. Sie sollten umkehren, von diesem Berg verschwinden und nie wieder zurückkommen.“

„Das werde ich nicht“, entgegnete Susannah in dem entschlossenen Ton, den sie sich über die Jahre zugelegt hatte. Als würde sie erwarten, dass man ihren Befehlen nur deshalb gehorchte, weil sie diese aussprach. Als wäre sie Leonidas höchstpersönlich und nicht die junge Witwe, die nie Verantwortung über irgendetwas hatte übernehmen sollen, vor allem nicht über sein gesamtes Vermögen. Doch Susannah hatte genau das getan, was ihre Mutter ihr gesagt hatte. Sie hatte Leonidas’ Namen angenommen und damit gleichzeitig seine Autorität. „Ich muss den Count sehen.“

„Hören Sie, Lady …“

„Oder Sie können mich erschießen“, schlug Susannah kühl vor. „Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten.“

Der Mann sah sie an, als wüsste er nicht, was er tun sollte. Susannah konnte es ihm nicht verdenken, denn sie wirkte nicht so, als würde sie zurückschrecken. Vielmehr stand sie ruhig und gelassen da und blickte den fremden Mann an, als würde sie jeden Tag fordern, bei einer Sekte eingelassen zu werden.

Sie starrte ihn so lange an, bis klar war, dass er sich unbehaglich fühlte und nicht sie.

„Wer, zum Teufel, sind Sie?“, wollte er schließlich wissen.

„Ich bin froh, dass Sie fragen“, antwortete Susannah, und diesmal wirkte ihr Lächeln eher wie eine Waffe. Sie hatte vier Jahre Zeit gehabt, zu lernen, wie man sie einsetzte. „Ich bin die Frau des Counts.“

2. KAPITEL

Ich habe keine Frau, dachte der Count.

Zumindest konnte er sich an keine erinnern – wobei genau dies das Problem war. Es nagte immer stärker an ihm, dass es so vieles gab, das seinem Gedächtnis entfallen war. Und all das, was er nicht mehr wusste, war vor den vergangenen vier Jahren passiert.

Seine Anhänger erzählten Geschichten davon, wie sie diesen Ort gefunden hatten, wie sie hierhergekommen waren und bewiesen hatten, dass sie es wert waren, eingelassen zu werden. Sie erzählten von dem, was sie zurückgelassen hatten. Menschen, Heimat, Dinge. Träume und Erwartungen.

Doch der Count kannte nur dieses Lager.

Seine erste Erinnerung war, wie er in den weitläufigen Räumen aufwachte, in denen er immer noch wohnte. Er war schwer verletzt gewesen, und es hatte lange gedauert, bis er sich wieder einigermaßen erholt hatte. Erst hatte er nur sitzen können, danach stehen. Und dann hatte er langsam und unter Schmerzen wieder gehen gelernt. Auch wenn er schließlich allein hatte gehen können, fühlte es sich nicht so an, als hätte sein Körper zu seiner alten Form zurückgefunden.

Wobei der Count nicht sagen konnte, was seine alte Form war.

Es hatte ihn fast achtzehn Monate gekostet, bis er sich wieder einigermaßen normal gefühlt hatte.

Und weitere achtzehn Monate, bis ihm klar wurde, dass er eigentlich gar nicht wusste, was normal war. Auch wenn er sich seinen Leuten gegenüber so verhielt, als sei er sich dessen gewiss, denn es machte sie nervös, wenn er es nicht tat.

Doch er konnte sich immer noch an nichts erinnern. Es gab nur das Hier und Jetzt.

Seine Leute versicherten ihm, dass es Bestimmung und Teil eines wunderbaren Plans war. Sie hatten sich versammelt, hatten gebetet, und dann war ihnen ein Anführer in dem Wald erschienen, in dem sie lebten.

Der Count war mit alldem einverstanden, denn es gab keinen Grund, es nicht zu sein.

Er empfand sich tatsächlich als Anführer. Schon seit dem Moment, als er zum ersten Mal die Augen aufgeschlagen hatte. Als er einen Befehl erteilte und die Menschen gesprungen waren, um ihn auszuführen, hatte sich das für ihn nicht neu angefühlt, sondern sehr vertraut. Gut und richtig.

Er offenbarte nur selten jemandem, wie sehr er die Dinge mochte, die sich vertraut anfühlten.

Natürlich wurde ihm hier jeder Wunsch erfüllt. Seine Leute versammelten sich, um ihn reden zu hören. Sie machten sich Sorgen um seine Gesundheit. Sie gaben ihm zu essen, kleideten ihn an und folgten ihm. Was konnte ein Mann mehr wollen?

Und trotzdem befand sich eine Frau auf diesem Anwesen und behauptete, mit ihm, dem Count, verheiratet zu sein. Er hatte das Gefühl, dass etwas in ihm aufbrach, von dem er bisher nichts geahnt hatte.

„Sie ist ziemlich hartnäckig“, sagte Robert, sein engster Berater. Um dann mit offensichtlicher Missbilligung hinzuzufügen: „Sie behauptet, schon seit einiger Zeit nach dir zu suchen.“

„Und trotzdem habe ich keine Frau“, entgegnete der Count. „Hast du mir das nicht von Anfang an gesagt?“

Robert war der einzige Anhänger, der jetzt bei ihm war und mit ihm die fragliche Frau auf den Monitoren vor ihnen beobachtete. Der Count wartete auf ein Gefühl der Vertrautheit oder dass er sie wiedererkannte. Doch da war nichts, wie bei allem in seinem Leben. Er hatte keine Erinnerung an sie.

Manchmal erzählte er seinen Leuten, dass er dankbar war, ein unbeschriebenes Blatt zu sein.

Doch es gab auch andere Zeiten, so wie jetzt, wenn die Dinge, die er nicht fühlte und von denen er nichts wusste, plötzlich auf ihn einstürmten.

„Natürlich hast du keine Frau“, sagte Robert und klang fast empört. „Das ist nicht dein Weg. Er gilt nur geringeren Männern.“

Dies war ein Ort der Reinheit. Es war eines der wenigen Dinge, die dem Count immer klar gewesen waren. Und es kam ihm gelegen, dass er nie in Versuchung geführt worden war, von diesem Weg abzuweichen. Die Männer und Frauen hier hatten sich dem gleichen Gebot der Reinheit verschrieben – nur die Verheirateten waren davon befreit. Verstießen sie dagegen, mussten sie gehen.

Während all der Zeit hatte der Count nichts als diese Reinheit verspürt, wenn er eine Frau betrachtet hatte.

Bis jetzt.

Er brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, was mit ihm passierte, und es hätte ihn vermutlich mit Entsetzen erfüllen sollen. Aber so war es nicht. Lust erfasste ihn, wie ein alter Freund. Warum ihn dieses Gefühl nicht abschreckte, wusste er nicht. Er sagte sich, dass es gut sei, in Versuchung zu geraten, denn es würde ihn noch mächtiger machen, wenn er ihr widerstand.

Die Frau, die die Bildschirme ausfüllte, sah ungeduldig aus. Das war das Erste, was sie von der Handvoll an weiblichen Wesen unterschied, die hier lebte. Mehr noch, sie sah … zerbrechlich aus. Nicht wettergegerbt und zäh wie seine Leute. Und nicht auf jede Eventualität vorbereitet. Vielmehr wirkte sie weich.

Der Count hatte keine Ahnung, warum er sie berühren wollte, um herauszufinden, ob sie tatsächlich so feminin war, wie sie aussah.

Die Kleidung, die sie trug, ergab für ihn hier oben auf dem Berg keinen Sinn. Er erinnerte sich natürlich nicht daran, ob er den Berg je verlassen hatte, doch er wusste, dass es dort draußen eine andere Welt gab. Das hatte man ihm erzählt. Und all das Schwarze, Glatte und Raffinierte, das ihre zarte Figur einhüllte, weckte Assoziationen an Städte in ihm.

Vorher war er nie auf die Idee gekommen, über Städte nachzudenken. Doch jetzt schossen sie ihm wie ein Reisebericht durch den Kopf. New York.London.Shanghai.New Delhi.Berlin.Kairo.Auckland.

Als wäre er in jeder dieser Metropolen schon einmal gewesen.

Er schob diesen sonderbaren Gedanken beiseite und betrachtete die Frau. Sie hatten sie ins Lager geführt und in einen abgeschotteten Raum gebracht, den noch nie jemand als Zelle bezeichnet hatte. Obwohl es eine war. Sie war mit nichts als einem alten Sofa ausgestattet, einer Toilette, versteckt hinter einem Wandschirm in der Ecke, und Kameras an den Wänden. Sollte sie sich genauso unbehaglich fühlen wie die letzten drei Gesetzeshüter bei ihrem Besuch hier, so zeigte sie es nicht. Wie selbstverständlich saß sie auf dem Sofa. Ihre Miene wirkte ruhig, ihre Augen waren klar. Er fand, dass sie beinahe heiter aussah, was ihm nur noch bewusster machte, wie unfassbar schön sie war.

Nicht, dass er viele Vergleichsmöglichkeiten hatte. Doch irgendwie wusste der Count, dass er sie immer noch überwältigend finden würde, selbst wenn man alle Frauen in der Welt dort draußen, an die er sich nicht erinnern konnte, in einer Reihe aufstellen würde.

Ihre Beine waren lang und wohlgeformt. Sie hatte sie übereinandergeschlagen und schien nicht einmal zu bemerken, dass ihre kniehohen Stiefel von Schlamm bespritzt waren. Sie trug nur einen ziemlich großen Ring an der linken Hand, der das Licht reflektierte, wenn sie sich bewegte. Dann legte sie die Hände im Schoß zusammen, als wüsste sie es und wollte versuchen, die Aufmerksamkeit von diesem Funkeln abzulenken. Ihr Mund nahm ihn auf eine Weise gefangen, die er nicht richtig verstehen konnte. Verlangen erfasste ihn, doch der Count wusste nicht, ob ihm das gefiel. Stattdessen konzentrierte er sich auf ihre bemerkenswert glänzenden blonden Haare, die sie im Nacken zu etwas Kompliziertem zusammengebunden hatte.

Ein Chignon, dachte er.

Ein Wort, das der Count nicht kannte. Doch es war der richtige Begriff, um zu beschreiben, wie sie ihre Haare zusammengesteckt hatte. Das Wort war ihm auf eine Weise bewusst wie all die Dinge, von denen er eigentlich nichts wissen konnte.

„Bring sie zu mir“, sagte er, bevor er es sich noch anders überlegen würde.

Als ihm trotzdem Zweifel kamen, sagte er jedoch nichts.