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"Hol ich mir!" - so heißt ein häufig aus dem Munde von Jugendlichen zu vernehmender Satz. Gemeint ist dann zumeist das "megageilste" Handy, die supercoole Jacke oder ein anderes "Must-Have" ... Bemerkenswert dabei ist, dass in dieser Formulierung von "kaufen" gar nicht die Rede ist: Warum eigentlich nicht? Ist Geld ein Tabu-Thema unter jungen Leuten? Hat man es einfach, ohne darüber sprechen zu müssen? Ist man sich vielleicht über den Wert des Geldes nicht im Klaren? Sieht man die Arbeit gar nicht, die es gekostet hat, die "Kohle" zu erwerben? Welche Bedeutung hat das Geldhaben und Geldausgeben für Jugendliche? Was für einen Stellenwert besitzen Konsumartikel innerhalb von Jugendkulturen? Inwieweit kann man sich in sie einkaufen? Angesagte Markenkleidung zu tragen, sich cool zu stylen, über neueste Informationstechnik zu verfügen - wieweit verschafft das Zugehörigkeit und Anerkennung? Ersaufen die jungen Leute von heute im Konsumrausch? Riskieren sie leichtfertig, in Verschuldungsspiralen zu geraten? Kommt vielleicht sogar das dabei zu kurz, was wirklich wichtig ist im Leben? Zählt mehr Haben als Sein? Oder leben junge Menschen längst auch Alternativen und stehen hinter Fragen wie diesen nur die üblichen Besorgnisse älterer Menschen und das Lamento von missgünstigen Pädagog_innen? In diesem Buch kommen zu diesen Fragen echte Expert_innen zu Wort: junge Leute selbst.
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Veröffentlichungsjahr: 2015
Geld, Konsum & Geltung
Projektgruppe Wa(h)re Identität
Originalausgabe 1. Auflage Januar 2016
© 2015 Archiv der Jugendkulturen Verlag KG, Berlin; [email protected]
Alle Rechte vorbehalten
Vertrieb für den Buchhandel: Bugrim (www.bugrim.de)
Auslieferung Schweiz: Kaktus (www.kaktus.net)
E-Books, Privatkunden und Mailorder: shop.jugendkulturen.de
Hrsg.: Kurt Möller
Lektorat: Gabriele Vogel
Illustration und Layout: Jouak (jouak.com)
ISBN
978-3-945398-16-6 print
978-3-945398-17-3 pdf
978-3-945398-18-0 epub
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Die AutorInnen:
Dieses Buch entstand im Zusammenhang mit einem von Prof. Dr. Kurt Möller geleiteten zweisemestrigen Lehrforschungsprojekt an der Fakultät für Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege der Hochschule Esslingen.
Die AutorInnen sind: Juliane Bauer, Judith Beck, Manuel Begenat, Daniela Clausnizer, Karolina Czirnia, Svenja Dengler, Judith Dreher, Julian Haugg, Claudia Keifenheim, Matthias Mauz, Jasmin Mayer, Joachim Meirose, Kurt Möller, Anja Plümer, Johannes Sachse, Nadja Sailer, Sarah Schröder, Johannes Sorg und Isabelle Träger.
Wohl wahr! Aber nur ein schwacher Trost, wenn man sich mal wieder was besonders Teures geleistet oder aus anderen Gründen Ebbe in der Kasse hat. Sein augenzwinkernd-ironischer Unterton lässt sich nicht überhören, so unmissverständlich er auch auf den realen Kreislauf des Geldes hinweist. Ob wir wollen oder nicht: Wir sind Teil dieses Kreislaufs: Ohne Moos nix los! Ein radikaler Ausstieg aus der Geldwirtschaft gelingt niemandem von uns. Auch nicht, wenn wir uns um jeden Preis dem Umstand entziehen wollen, dass sich in unserer Welt anscheinend alles um die Kohle dreht. Um haben oder nicht haben. Um kaufen oder verkaufen. Um genießen können oder verzichten müssen. Um Macht oder Ohnmacht. Denn wie heißt es so unschön: Wer zahlt, bestimmt die Musik!
Schließlich sind wir Menschen Stoffwechselwesen. Von Luft und Liebe allein können wir nicht leben. Wir müssen essen, trinken, wohnen, uns kleiden … Nicht zufällig versteht uns die Volkswirtschaft als „Verbraucher“. Unsere Welt – zumal die westliche – mutiert zu einer globalen Einkaufszone. So asketisch man/frau sich auch geben mag: Am Konsumieren geht kein Weg vorbei! Und am Geldausgeben folglich auch nicht.
Oder vielleicht doch? Lassen sich nicht wenigstens die breit asphaltierten Konsum-Autobahnen vermeiden? Finden sich nicht doch andere Pfade des Konsums – versteckt und abseits des Mainstream?
Oder suchen wir sie gar nicht wirklich? Schweineberge, Milchseen, Tomatenschwemmen – sicherlich: Wir leben in einer Überflussgesellschaft. Wer weiß das nicht? Ozonloch, Atomendlagerung, Müllexporte in Entwicklungsländer – zugegeben: Die Wegwerfgesellschaft hat ihren Preis. Aber seien wir doch mal ehrlich: Solange andere diesen Preis bezahlen – Menschen in der so genannten „Dritten Welt“ und künftige Generationen – was schert‘s uns dann alltagspraktisch?
Hinzu kommt: Was Neues zu haben, ist doch einfach schön, oder? Ein bisschen Luxus – wer will das nicht? Sind wir nicht alle ein bisschen It-Girl – selbst die Kerle unter uns?
Consumo, ergo sum: Ich konsumiere, also bin ich. Mag sein, dass wir diese Lebensphilosophie für überzogen halten. Aber kaufen wir nicht mit jedem Produkt auch ein Stück unseres Selbstverständnisses? Mehr noch: Bauen wir nicht auch einen großen Teil unserer Außenwirkung über Konsum- und Besitzgüter auf? Wie wirbt eine große Jeans-Marke für ihre Produkte? „Tu was für dein Image! Zeig Dich mit mir!“ „Was ich zahlen, das heißt, was das Geld kaufen kann, das bin ich, der Besitzer des Geldes selbst. So groß die Kraft des Geldes, so groß ist meine Kraft.“ (vgl. Marx/Engels Werke 40, 546) – diese aus dem 19ten Jahrhundert stammende Kritik von Karl Marx an den Identitätsfallen des Kapitalismus scheint manch einem aktueller denn je.
Wie viel „wahre Identität“ bietet eigentlich die „Ware Identität“? Welche Bedeutung hat sie gerade für junge Leute als Hauptzielgruppe von Werbung und Marketing? Und wie lässt sich Identität wahren – mitten im Einkaufs- und Konsumdschungel selbst, aber auch an seinen Rändern und durch die Anlage von Landschaften, die Gegenentwürfe bilden?
Genau dies sind die Kernfragen der studentischen Arbeitsgruppe der Hochschule Esslingen, die dieses Buch gemacht hat. Es ist das Produkt ihrer einjährigen Recherchen unter jungen Leuten ganz unterschiedlicher Szenen, Verständnisse und Lebensweisen: „Normalos“, Ordensleute, „Knackies“, Urban Gardener, ausdrücklich Konsumkritische, Label-Prostituierte und Freaks jeglicher Couleur.
Sie wollen wissen, was sie denken?
Sie wollen sie verstehen?
Sie wollen ihre Haltungen
etwas einordnen können?
Na dann: Lesen hilft!
Esslingen, im Januar 2015
Projektgruppe Wa(h)re Identität
Geld und Konsum sind Sachverhalte, mit denen wir tagtäglich zu tun haben – und dennoch wissen wir über die Bedeutung, die ihnen für die Menschen zukommt, wissenschaftlich eher wenig.
Nun gut: Die Wirtschaftswissenschaften erheben Preisentwicklung und Verkaufszahlen, berechnen Kapitalinvestitionen und Produktionskosten, prüfen den ökonomischen Nutzen von Werbestrategien, errechnen Gewinne wie Verluste und Vieles mehr. Sie vermessen die Sphären von Produktion, Kauf, Verkauf und Besitz. Aber sie beschränken sich zumeist auf das, was sie für objektive Fakten halten. Was Geld und Konsum mit Selbstbildern, Fremdwahrnehmungen, Gesellschaftsverständnissen, Gemeinschaftsbildungen etc. der Konsument_innen zu tun haben, interessiert sie selten. Und wenn einmal doch, dann zumeist unter Gesichtspunkten von Kosten-Nutzen-Verhältnissen.
Letzteres gilt auch für den Großteil der Werbe- und Kommunikationspsychologie, die im Spektrum der wirtschaftsnahen Disziplinen noch am ehesten die subjektiven Relevanzsetzungen von Konsum und seiner Finanzierungen in den Blick nimmt (vgl. dazu das Interview mit Damaris in diesem Band). Im Fokus stehen freilich dann zumeist die konsumstarken Jahrgänge bzw. junge Leute, die man erst noch als Konsument_innen von bestimmten Produkten gewinnen will.
Angesichts dessen, dass zum einen Geld und Konsum Alltagsdinge sind und dass zum anderen gerade die junge Generation wie keine zweite konsumgesellschaftlich umworben wird, verwundert es nicht wenig, dass Pädagogik und Soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen diese Themen bislang stark, ja sträflich unterbelichten. Konsumpädagogik bzw. Konsumerziehung existieren zwar als Begriffe, konkrete Ansätze, Konzepte und Maßnahmen sind allerdings rar und kommen anscheinen nur schwer und etwas holprig in Gang (vgl. dazu aber Lange/Muck 1997; Stange/Gnielczyk 2000; Tully/Krug 2011; Nemnich/Fischer 2011 sowie das Interview zum spielzeugfreien Kindergarten und den knappen Infokasten in diesem Band). Dabei gäbe es eigentlich jede Menge Veranlassung, sich mit dem Thema zu beschäftigen: die von manchen beklagte angebliche Zentrierung auf das Materielle bei der jungen Generation, die zunehmende Kommerzialisierung der Freizeit und die Rede von Konsum als Sinnsurrogat oder gar Ersatzreligion (vgl. die Interviews mit Ordensleuten in diesem Band), die registrierten Abgrenzungen unter Gruppierungen von Jugendlichen selbst entlang des Besitzes bestimmter Konsumgüter und der Nutzung bestimmter Marken (vgl. z. B. das Interview mit Paul und Marie in diesem Band), die Klagen über die Brüchigkeit einer Konsumidentität (vgl. z. B. die Interviews mit Gesche, Wiesel und Axel in diesem Band), die mit Konsumwünschen in Verbindung gebrachte Beschaffungs-Kriminalität (vgl. z. B. das Interview mit den zwei „Elstern“ in diesem Band), Suchtgefahren (vgl. die Interviews mit Anthony und Smoky) und Prostitution (vgl. die Interviews mit Iwan, Sarah und Viktoria), die deutliche Zunahme der Verschuldungsproblematik bei den Jüngeren (vgl. z. B. die Interviews mit Ann-Christine, Michael und Anonymus in diesem Band), die Befürchtung, die ökologischen und sozialen Kosten der „Ex-und-hopp-Gesellschaft“ nicht mehr tragen zu können (vgl. z. B. das Interview mit Katharina in diesem Band) und andere Problemlagen mehr (vgl. insgesamt auch Lange/Choi 2004).
Auch wenn weniger problemzentriert auf das Themenfeld geschaut wird, erstaunt die weitverbreitete fachpraktische und fachwissenschaftliche Ignoranz der mit dem Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen befassten Disziplinen und Professionen. Kaum beschäftigt wird sich mit Fragen wie: Inwiefern bieten die vielfältigen Konsummöglichkeiten unserer Tage Minderjährigen gut nutzbare Ressourcen? Inwieweit werden durch sie in weiten Teilen der (jugendlichen) Bevölkerung Bedarfe gestillt, deren Befriedigung früher allenfalls bestimmten Gruppen und Schichten offenstand (vgl. die Interviews mit dem 84-jährigen Fritz Plümer und der 85-jährigen Gerda Renzenbrink)? Inwiefern stiften gemeinsame konsumatorische Akte Gemeinschaft (vgl. das Interview mit dem Computerspieler Martin in diesem Band)? Welche (Identitäts-)Gewinne sehen Kinder und Jugendliche eigentlich in bestimmten Konsumweisen und Konsumgütern (vgl. z. B. das Interview mit Giuseppe)? Welche Kompetenzen erwerben sie über die Entwicklung von Konsumfähigkeit und durch den Umgang mit Geld? In welcher Weise und mit welchen Grenzen organisieren Jugendliche Zugehörigkeit, Partizipation und Anerkennung über Konsum und Besitz (vgl. z. B. Paul und Marie sowie das Gruppengespräch mit den Achtklässlern im Rahmen des Projekts „Dialog macht Schule“ in diesem Band)? Inwieweit kann die Globalisierung der Markenwelt und der Konsumproduktion zu einem im Generationenvergleich neuartigen Bewusstsein weltumspannender Abhängigkeiten, Zusammenhänge und Integrationschancen beitragen? Welche neuen, eher konsumfernen bzw. konsumbewussteren Lebensweisen propagieren und praktizieren junge Leute (vgl. z. B. die Interviews mit Moe, Angelina, Wiesel und Gizmo in diesem Band)?
Jede Menge Fragen, die jede Menge Antworten herausfordern. Eine Quersicht auf die durchgeführten Recherchen, Beobachtungen und Interviews kann sie nicht in umfassender Weise liefern, vermag aber immerhin die im Folgenden dargelegten Überlegungen und Erkenntnisse zu Tage zu fördern.
Dabei ist vorab zu bedenken: Egal um welche Phänomene es sich handelt: Betrachtet man sie isoliert von ihrer Umwelt, dann lässt sich kein adäquates Verständnis für sie entwickeln. Daher werden die Phänomene Geld und Konsum hier zunächst in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt, der sich aus der damit eingenommenen Perspektive ihrer generellen sozialen Bedeutung zu vergewissern sucht.
In einem zweiten Schritt werden sie dann in den Zusammenhang individueller Entwicklung gestellt, und es wird die Frage aufgeworfen, welchen Stellenwert sie für das persönliche Streben des Subjekts nach Lebensgestaltung besitzen.
Geld und Konsum – der gesellschaftliche Kontext der Kohäsion: Zugehörigkeit, Partizipation, Anerkennung, Identifikation
Aus gesellschaftlicher Perspektive lassen sich Geld und Konsum als Medien begreifen, die soziale Kohäsion sicherstellen sollen.
„Essen und trinken hält Leib und Seele zusammen“ sagt der Volksmund. Essen und trinken hält aber wohl auch die Gesellschaft zusammen. Freilich: Nicht nur essen und trinken, auch andere konsumbezogene Aktivitäten wie sich kleiden, wohnen, Medien nutzen, reisen etc. haben diese Funktion. Eine gewisses Ausmaß an Bedürfnisbefriedigung, ja eine gewisse Saturiertheit der Bevölkerung und ihr Wohlstand schaffen augenscheinlich Systemvertrauen: Warum sollte ich aufbegehren, solange meine Bedürfnisse gestillt werden?
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