Höllenglöcken - Micha-El Goehre - E-Book

Höllenglöcken E-Book

Micha-El Goehre

5,0

Beschreibung

Neues von den "Jungsmusik"-Helden: Die Coming-of-Age-Saga um eine Clique sympathisch verpeilter Heavy-Metal-Fans geht in die nächste Runde. Mit Macht fallen Leben und Tod ein ins provinzielle Metal-Idyll. Torben hat mal wieder Stress: Statt seiner Freundin Lucy eine gemeinsame Wohnung vorzuschlagen, macht er ihr aus Versehen einen Heiratsantrag. Aber ein echter Metaller macht keine Rückzieher. Doch wie plant man eigentlich ein Fest, auf dem die gutbürgerliche Verwandtschaft auf eine Horde Langhaariger trifft? Ist kirchlich heiraten true? Und wohin fährt man in die Flitterwochen? Auf ein Festival? Der Rest der Truppe schlägt sich mit eigenen Problemen herum: Matze und Katharina haben Ärger wegen Doro, die zwar nicht die Doro ist, aber trotzdem wirklich Doro heißt, Lara wird eine echte Starfotografin, und der sympathisch-tumbe Sven plant den nächsten großen Coup der Truppe: einen eigenen Zombiefilm! Doch unerwartet schlägt das fiese Monster Schicksal härter zu als der Drummer von Cannibal Corpse, und die Clique muss sich der Erkenntnis stellen, dass Höllenglocken nicht nur bei AC/DC erklingen ...

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Micha-El Goehre

HÖLLENGLÖCKEN

MICHA-EL GOEHRE

ist Jahrgang 1975 und kommt aus Ostwestfalen. Er liest vor (auf Lesebühnen, bei Poetry Slams), legt auf (Heavy Metal), schreibt und moderiert. Diverse Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien sowie Kolumnist des Rockmagazins Legacy.

Mit »Jungsmusik«, dem ersten Band seiner Trilogie um eine Clique Heavy-Metal-Fans, landete er einen bei Publikum und Musikpresse viel beachteten Hit.

1. Auflage November 2013

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2013www.satyr-verlag.de

Coverillustration: Markus Freise (www.markus-freise.de)

Gestaltungskonzept der »Jungsmusik«-Trilogie: Endai HüdlAutorenfoto Backcover: Sebastian Toenissen

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

E-Book-Ausgabe

ISBN: 978-3-944035-22-2

Micha-El Goehre

HÖLLENGLÖCKEN

['hœlənglọcken]

Roman

Dio.Pete.Jon.Jeff.Danke.

R.I.P.

WAS BISHER GESCHAH

Es rummst laut. Sehr laut. Und auf einmal ist da ein Universum.

Knappe 14 Milliarden Jahre später entwickelt sich der homo sapiens und Les Paul seine E-Gitarre, Lemmy Kilmister wird geboren, und Jim Marshall baut seinen ersten Verstärker. 1970 erscheint das Debütalbum von Black Sabbath. Bon Scott kotzt sich tot, die Hosen sind mindestens drei Nummern zu eng, Großbritannien hat die neue Welle, es folgen Speed, Thrash, Black und Death und der Tourbusfahrer von Metallica versaut es richtig amtlich, Mötley Crüe verursachen ein Ozonloch, Grunge killt angeblich alles und danach sich selbst, eine Metalzeitschrift erklärt sich selbst zum New-Rock-Hammer und The Prodigy ernsthaft zum neuen heißen Metalscheiß, Wacken beweist, dass man auch eine Kirmes hart beschallen kann. Slayer sind offiziell nicht böse, Hammerfall starten die Retropowermetalwelle, und MTV vergisst, wofür das M stand. Rob Halford findet Metal und seine Band scheiße, dann aber doch nicht, KISS gehen zum gefühlt elften Mal auf ihre wirklich letzte Tour, ebenso die grau melierten Hannoveraner Sonnenbrillenträger. Ein paar Mittelstandskiddies mit zu viel Taschengeld verstehen Hardcore gründlich falsch. Ein Torben macht sich zum Horst und startet seine Kolumne Jungsmusik, ein Konzert in der Kneipe Loch geht mehr schlecht als recht über die Bühne. Svens Bulldogge Lemmy spürt ein Nazivereinsheim auf, und es macht Bumm. Matze und Katharina bekommen ein Kind, aber nur aus Versehen. Torben benimmt sich komplett daneben, darf aber trotzdem mit aufs Rock’n-Festival. Es gibt Kloppe, und er kommt mit Lucy zusammen. Dio stirbt, beim With Full Force schlägt der Blitz ein. Okkult und Retro sind das neue Neu, und der Metalhipster besucht keine »Konzerte« mehr, sondern »Rituale«, und Lemmy kackt einen Haufen, von dem Sven behauptet, er würde exakt so aussehen wie das Profil von James Hetfield.

Und hier steigen wir wieder ein ...

PROLOG

Ich hab sie gefragt, und sie hat »Ja« gesagt.

Heute Morgen, am Frühstückstisch, da ist es über mich gekommen, hat mich gepackt und überrollt wie eine Welle. Dieses Gefühl, dass es der passende Zeitpunkt wäre, dass es jetzt weitergehen muss mit uns, auf einen nächsten Level. Lucy war in der Dusche, und vor mir, auf einem Stuhl, stand ihre Tasche, in der sie Klamotten zum Waschen mit nach Hause nehmen wollte, ihre Mädchenlektüren der letzten Wochen und ein paar CDs, die sie sich ausleihen wollte, um sie auf ihren Laptop zu ziehen. Und plötzlich empfand ich diese Tasche als etwas böses Blödes, als Sinnbild dafür, dass etwas falsch läuft oder fehlt.

Wenn ich nicht bei ihr penne, schläft sie bei mir, und ich kann mich nicht entsinnen, wann wir das letzte Mal eine Nacht ohne einander verbracht haben.

Und ich mag das.

Mich selbst hat diese Erkenntnis am meisten erstaunt. Ich mache zwar gerne Party und bin mit Leuten unterwegs, aber im Großen und Ganzen hatte ich mich für einen Typen gehalten, der gerne seine Ruhe und Abstand hat, die Tür hinter sich schließen kann, in aller Ruhe ein bisschen meditiert, onaniert und dazu Iron Maiden hört.

Und nun das.

Wenn ich Lucy mal einen Tag lang nicht zu sehen kriege, bekomme ich nichts auf die Kette, fühle mich unvollständig und wie etwas sehr Unappetitliches, Flüssiges und Schleimiges, das der Straßenkehrer in der Gosse vergessen hat. Es war mir tatsächlich gelungen, mich selber zu verblüffen. Ich lag auf dem Bett und dachte darüber nach, als das Rauschen der Dusche im Nebenzimmer verstummte und Lucy kurz darauf ins Zimmer gestürmt kam, nur mit einem Badetuch bedeckt, das für ihren Körper erfreulicherweise eindeutig zu klein war. Sie sagte »Brrr, scheiße kalt«, zitterte, warf das Tuch zu mir aufs Bett und begann, sich hastig anzuziehen. Ich betrachtete sie und konnte dabei nicht verhindern, leicht lüstern und schwer verknallt zu grinsen.

Sie stopfte ihren Kopf durch den Kragen ihres Pullis, sah mich an und guckte irritiert. »Was ist? Was grinst du so?«, fragte sie in der Tonart, die sie immer anschlägt, wenn sie den Verdacht hat, dass ich etwas angestellt habe. Und ich dachte in diesem Moment nur, dass ich das immer möchte, dass sie aus der Dusche kommt, »Brrr, scheiße kalt« sagt und ich ihr zusehen kann, wie sie sich anzieht. Oder dass ich ihr beim Aufwärmen behilflich sein kann.

Also hab ich sie zu mir aufs Bettgezogen, in den Arm genommen und hab sie gefragt.

Ich hab sie gefragt.

Und sie hat Ja gesagt.

Sie hat Ja gesagt.

So ein Mist.

1.

THE ZOMBIES ARE COMING ...

Sven sieht mich an, lacht mich aus und schüttelt den Kopf. »Du bist echt so ein Pfosten, ich fass es nicht.«

Ich zucke mit der Schulter. Ich sitze bei ihm auf dem Sofa. Lemmy liegt zu meinen Füßen, hat seinen Bulldoggenkopf auf selbige gelegt und sabbert mir in die Schuhe. Ich gebe meiner eigenen Einschätzung nach ein Bildnis blühenden Elends ab.

Sven fährt fort: »Und du Hoschi konntest sie nicht einfach erst mal fragen, ob ihr zusammenzieht?«

Schulterzucken.

»Du musstest ihr gleich einen verdammten Heiratsantrag machen?« Er benutzt einen Tonfall, in dem man auch Hitler hätte fragen können, warum er denn gleich Polen angreifen musste, das wäre doch ein bisschen übertrieben gewesen, man hätte doch auch erst mal probehalber Luxemburg überfallen oder Menschärgere-dich-nicht spielen können.

»Tja«, sage ich nur. Was Schlaueres fällt mir grad nicht ein.

»Und sie hat wirklich Ja gesagt?«

Ich nicke. »Genau genommen hat sie gesagt: ›Ja, klar, wieso nicht?‹ Aber im Kern ist es dasselbe, oder?«

Sven nickt. »Stimmt. Alter, was hast du dir dabei gedacht?«

»Ich weiß auch nicht. Und eigentlich wollte ich sie wirklich nur fragen, ob wir uns nicht mal eine gemeinsame Wohnung suchen wollen, vielleicht nächstes Jahr. Aber irgendwie ist es mir dann ... entglitten.«

»Ja ja. Entglitten.«, schnaubt Sven. »›Mir ist da was entglitten‹, sprach der Bombenentschärfer und machte Bumm! Mann, du hast dich selbst in Ketten gelegt. Am besten kriegt ihr nächste Woche gleich noch ein Kind, und dann bin ich mit Lemmy ganz alleine.«

»Erzähl keinen Blödsinn. Vielleicht finden wir ja was mit einem Extrazimmer unterm Dach, wo ihr zwei wohnen und alt werden könnt.«

»Ich hab schlechte Nachrichten für dich: Du bist nicht witzig.«

»Aber mal im Ernst: Bis jetzt hatten wir es doch noch immer raus, trotz Freundinnen genug Zeit miteinander abzuhängen.«

Er zuckt ratlos mit den Schultern. »Ja, schon, aber das ist ja eine ganz andere Liga. Bisher war es immer absehbar, dass es auch mal wieder vorbei ist und wir beide dann wieder wie vorher auf Tour gehen, nur die Jungs halt. Aber du willst heiraten, das ist so ... endgültig.«

»Jetzt mach mal kein Drama. Ist ja nicht so, als würde ich wegsterben.«

»Das macht vielleicht keinen großen Unterschied. Zumindest warst du vor nicht allzu langer Zeit genau dieser Meinung. Mann, wir hatten einen Pakt!«

Ich grinse in mich hinein. Er hat recht, wir haben mal den Pakt geschlossen, immer Freunde und vor allem cool zu bleiben und niemals zu heiraten, was uns damals als das ziemlich Uncoolste erschien, das wir uns denken konnten. Aber da waren wir noch jung und dumm. Jetzt sind wir älter und zwar immer noch dumm, aber uns gehen allmählich die Entschuldigungen für Blödsinn aus.

»Wir hatten auch mal den Pakt, niemals Kinder zu kriegen«, sage ich.

Sven reißt die Augen auf. »Jetzt sag nicht, dass Lucy auch noch schwanger ist?«

»Ich meinte eher dich.« Ich zeige auf Lemmy. »Und dein knautschiges Kind.«

»Blödmann.«

Ich muss lachen. Ich werde das vermissen, mit Sven zusammenzusitzen und dabei nur völlig sinnentleerten Blödsinn zu quatschen, denke ich. Und dann denke ich, dass es Blödsinn ist, so was zu denken. Ich heirate ja nur, das heißt ja noch lange nicht, dass ich nicht mehr mit Sven rumhängen kann, und »PUFF!« habe ich rechts einen Teufel auf der Schulter sitzen, der sagt: »Doch. Genau das heißt es!« Er grinst mich an, und ich finde, er hat verblüffende Ähnlichkeit mit dem KISS-Sänger Gene Simmons. Es macht Doppel-»PUFF!«, und linkerhand säuselt ein Engel, dass die Ehe etwas Gutes für uns Männer und es durchaus nicht das Schlechteste sei, mal zur Ruhe zu kommen und mit der Frau des Lebens auf dem Sofa zu sitzen und Gameshows zu gucken. Der, ich sag mal, »Engel« nuschelt tierisch, sieht im Großen und Ganzen aus wie Ozzy Osbourne, und hinter ihm steht eine Miniaturausgabe von Sharon Osbourne mit einem Nudelholz in der Hand.

Ich schüttele die Wesen von meinen Schultern. Ich kann Sven gut verstehen. Es ist im letzten Jahr tatsächlich schwieriger geworden, mit der ganzen Crew was zu unternehmen, das wird vermutlich durch die Hochzeit von Lucy und mir nicht einfacher. Matze und Katharina mühen sich zwar redlich, nicht allzu sehr in die Gewohnheiten üblicher Eltern zu verfallen, aber im vergangenen Sommer haben wir sie auf Partys kaum zu Gesicht gekriegt, beide zusammen schon gar nicht, weil dann doch wieder kein Babysitter zu finden war. Das einzige Festival, das sie mitmachen wollten, war das Rock’n vor zwei Monaten, und das mussten sie knicken, weil der Kleine sich eine Mittelohrentzündung* eingefangen hatte. Sogar Lara hat sich rar gemacht, seit ihr Job als Fotografin richtig brummt und sie immer häufiger Aufträge weiter weg bekommt.

Wenn jetzt auch noch Lucy und ich eine amtlich beglaubigte Kleinstgemeinschaft eingehen, wird es endgültig richtig schwierig, unsere Truppe in der alten Form zusammenzuhalten. Zumindest bilde ich mir das ein. Eine Ehe ist schließlich was anderes als einfach nur »zusammen sein«. »Verliebt, verlobt, verheiratet« bezeichnet gesellschaftliche Aggregatzustände. Je tiefer man drinsteckt, desto weiter entfernt man sich vom alten Partyleben.

Böse Visionen laufen vor meinem Auge ab: Pärchenabend um vier Uhr nachmittags mit Katharina und Matze auf dem einen Sofa, Lucy und mir auf dem anderen, unsere Kinder spielen mit Sven auf dem Teppichboden Doktor Bibber. Sven ist der Patient, und die Kleinen setzen ihn ab und zu unter Strom. Wir schlürfen milden, selbstverständlich fair gehandelten Kaffee aus der Bioabteilung des REWE und essen Dinkelvollwertkuchen. Nebenher läuft ein Fernseher und hält uns über den Vorentscheid des Eurovision Song Contest auf dem Laufenden, und wir diskutieren erhitzt, wer denn der heißeste Kandidat für den deutschen Startplatz ist. Mit einem milden Lächeln erinnern wir uns an die Zeiten, als wir noch Heavy Metal gehört und in so schäbigen Spelunken wie dem Loch herumgehangen haben. Kaum zu glauben, wie lange das schon her ist. Verrückte Zeiten waren das, und Lucy erzählt von einer neuen Bodega in der Innenstadt, da müssten wir »un-be-dingt« mal gemeinsam essen gehen. Währenddessen liegt Lemmy angeleint im Garten, vor ihm ein halb leer gefressener Napf Cesar-Futter. Die leicht rheumatische Bulldogge wird von einer Horde Eichhörnchen mit Nüssen beworfen. Es klingelt an der Tür, und kurz darauf kommt Lara hereingestürmt, ein Headset am einen Ohr, ein iPhone am anderen, während sie gleichzeitig hektisch auf ihr Touchpad eintippt. Sie begrüßt uns mit Küsschen, streichelt kurz den Kindern und Sven über den Kopf, gratuliert Katharina und Lucy zu ihren aktuellen Schwangerschaften und erzählt, wie sehr sie doch im Stress ist, sie musste ihre Assistentin feuern, weil die drei statt zwei Stück Zucker in ihren Espresso getan hat. »Ich meine, drei Stück Zucker, will die mich umbringen?«, fragt Lara, und wir haben alle vollstes Verständnis, und sie sagt: »Tschüssi, ich muss auch schon wieder los, ein Shooting für Lagerfeld in L.A.« Und dann rauscht sie wieder raus. Katharina räumt das Geschirr weg und kommt mit einem Spielekarton wieder zurück und jetzt ist Zeit für unsere monatliche Runde Activity ...

»Fffff ...« Ich ziehe scharf Luft zwischen meinen Zähnen ein. Nein, so weit darf es nicht kommen.

Sven sieht mich an und lächelt wissend: »Böse Vision?«

Ich nicke.

»Wundert mich, ehrlich gesagt, nicht. Das sind einschneidende Neuigkeiten, mein Lieber. Das wird dir die nächsten Tage mächtig im Hirn rumspuken. Ach, was sage ich ›Tage‹? Wochen. Monate. Jahre. Ewigkeiten! Bis zur Scheidung.«

»Bleib mal auf dem Teppich.« Das meine ich wörtlich, denn zur Unterstreichung der Dramatik seiner Worte ist Sven auf einen Sessel gestiegen.

Er klettert wieder runter und setzt sich. »Und wem habt ihr schon davon erzählt?«, fragt er.

Ich winke ab. »Noch keinem. Wir wollen das machen, wenn die Truppe einigermaßen vollständig versammelt ist, im Loch oder Ruby, mal gucken.«

Sven schürzt die Lippen. »Mach es doch beim Dreh nächste Woche.«

Ich starre ihn einen Moment verständnislos an.

»Du hast es ja wohl nicht vergessen? Den Zombieblockbuster des Jahres?!«

Ich wedle abwehrend mit den Händen. »Nee, is schon klar, ich hab’s auf dem Schirm.«

Das ist gelogen, natürlich hab ich es vergessen.

Wir waren vor ein paar Wochen bei einer Party auf Attilas Hof und haben mit besoffenem Kopf über Zombiefilme gequatscht, und so ein Schwachmat war auf die grandiose Idee gekommen, wir könnten alle zusammen selber mal einen Slasher mit Unto-ten drehen.

Der Schwachmat war ich.

Bevor ich mich versah, waren die Planungen im Gange, vor allem Sven war mit Feuereifer dabei und baldowerte ein Wochenende aus, an dem uns möglichst viele Zombies zur Verfügung stehen würden. Er selbst wollte die Hauptrolle übernehmen (»So eine Art Rambo, aber wie ihn Daniel Craig spielen würde.«), Lucy mimt eine Art Ellen Ripley, nur sollte sie statt Aliens eben Zombies vermöbeln (»Nur damit das klar ist: Keine Szenen in Unterwäsche oder Dessous, das könnt ihr euch abschminken!«), Matze und Katharina wollten das verzweifelte Pärchen spielen (»Unverheiratet, mehr so platonisch.«), Lara würde uns Kameras organisieren und alles fotografisch dokumentieren, und ich sollte als der Kreative in unserem Haufen das Drehbuch verfassen.

Sven sieht mich kritisch mit zusammengezogenen Augenbrauen an: »Das Skript ist doch fertig, oder?«

»Öhm ...« Genau genommen existiert noch keine einzige Zeile. Geschweige denn auch nur die geringste Idee. »Nicht ganz. Ist aber in Arbeit. Bis zum Dreh bin ich fertig.«

»Cool«, sagt Sven und klatscht glücklich in die Hände. »Ich wusste, dass auf dich Verlass ist.«

Damit weiß er mehr als ich.

Ich komme gerade nach Hause, als mir Lara auf der Treppe entgegenkommt. Fast hätte sie mich umgerannt, und ebenso fast hätte ich sie nicht erkannt. Sie hat ihren Klamottenstil in letzter Zeit stark verändert und wechselt ihre Frisur inzwischen öfter als mancher Kerl die Unterbuxe. Zudem trägt sie aktuell ständig eine dieser angeblich so angesagten riesigen Sonnenbrillen, die in mir stets den Eindruck erwecken, mich mit einem zu groß geratenen Insekt zu unterhalten. Frauen mit Brille sind schön, Frauen mit Sonnenbrille hingegen wirken immer muffelig. Ihr neuer Stil ist natürlich den immer besseren Modelabels geschuldet, für die sie fotografiert und von denen sie monatlich Klamotten im geschätzten Gegenwert eines Mittelklassewagens geschenkt bekommt. Ich arbeite eindeutig in der falschen Branche. Bis jetzt habe ich in meiner Eigenschaft als Webdesigner nur völligen Ramsch von meinen Kunden geschenkt bekommen. So viel kann man gar nicht anzünden, wie Feuerzeuge mit ebenjener Werbung, die ich selbst entworfen habe, zu Hause bei mir rumfliegen. Und wie viele Zollstöcke brauche ich eigentlich? Und was haben sich die Vögel von der Onlinedrogerie gedacht, als sie mir einen Jahresvorrat Tampons geschickt haben? Ein einziges Mal hat sich eine Konditoreikette mal ein paar Gedanken gemacht und mir für die doch recht aufwendige Neugestaltung ihrer Webseite einen Präsentkorb zukommen lassen. Alles darin war aus Marzipan. Ich hasse Marzipan.

Außer ihrer Angebergarderobe hat Lara noch eine große Fototasche dabei und ein Stativ, das sie mir fast in die Visage rammt, als sie erschrocken vor mir abbremst.

»Hua, Torben!«, begrüßt sie mich.

»Arrh, Lara!«, grüße ich zurück.

Komisch, wenn ich mich erschrecke, klinge ich immer wie ein Cartoonpirat. Ich huste kurz, dann frage ich: »Wohin geht’s?«

Sie hebt ihre Fototasche an: »Arbeiten. Ein Shooting in London, danach noch ein Job in Hamburg.«

»Wow. Na dann mal viel Spaß. London ist cool. Und Hamburg noch cooler.«

Ich bin selbst von mir beeindruckt, wie weltmännisch das klingt. Dabei war ich bisher noch nie in London und in Hamburg nur zweimal und beide Male zu betrunken, als dass ich konkrete Eindrücke von der Hansestadt bekommen hätte. Ich fürchte, Lara weiß das, aber sie lässt es sich nicht anmerken.

Sie winkt ab. Es sieht ein bisschen wie eine Grace-Kelly-Geste aus, zumindest, wenn Grace Kelly 1,55 Meter klein und bepackt wie ein anatolisches Maultier gewesen wäre.

»Ach, ich krieg eh wieder nur den Set, den Flughafen und ein Hotelzimmer zu sehen. Totale Hektik. Es klingt immer so toll, wo ich hindüse, aber ich erleb weniger als eine Bürotante. Manchmal denk ich, dass ich den falschen Job hab.«

Ich muss leise lachen. »Ja, aber im Prinzip ist es egal, was einer macht, den Satz lässt so ziemlich jeder vom Stapel. Arbeit nervt nun mal oft.«

Lara nickt: »Ja, aber weißt du, wann ich das letzte Mal ein anständiges Konzert gesehen hab? Wenn ich mit diesen Modeleuten unterwegs bin, läuft immer nur völlige Kackmusik. Ich will mal wieder ordentlich headbangen.«

»Kann ich verstehen. Manchmal muss man halt Opfer bringen.«

»Ja, scheiße, hast schon recht. Also: Auf, auf und davon.« Sie quetscht sich an mir vorbei, und ich setze gerade an, die Treppe weiter nach oben zu gehen, da dreht sich Lara noch mal um: »Ach, fast hätte ich es vergessen ...«

Ich bleibe stehen und drehe mich wieder zu ihr um. »Was denn?«

Lara druckst etwas rum: »... Ich wollte es eigentlich schon früher sagen ... Ich ziehe nächsten Monat aus. Ich hab mir ’ne Wohnung in Köln besorgt, dann brauch ich nicht immer so lange zum Flughafen. Und meine Agentur hat ihr Büro da, das ist auch ganz praktisch.«

»Oh«, sage ich und versuche, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

»Jetzt guck nicht so enttäuscht«, sagt Lara. »Ist ja nicht so, dass ich aus der Welt wäre.«

Doch, so ist es, denke ich, als ich meine Wohnungstür hinter mir zuziehe. Ich hab das schon oft erlebt. Die Leute gehen fürs Studium weg oder weil sie einen Job angeboten bekommen haben, und man verspricht sich gegenseitig hoch und heilig monatliche Besuche, stündliche Telefonate, und dann kann man froh sein, wenn man sich drei Monate später noch an die E-Mail-Adresse erinnert, um einen knappen und ziemlich förmlichen Geburtstagsgruß zu senden. Vielleicht trifft man sich noch mal auf einem Konzert oder einem Festival, und alles, was man sich dann noch zu sagen hat, ist: »Ach, du auch hier? Prost. Ja, ciao dann, ich muss mal wieder rüber zu meinen Leuten. Ich ruf dich die Tage mal an.«

Wieder einmal verändert sich etwas elementar in meinem Leben, und ich finde so was nicht gut. Es reicht schon, dass Judas Priest keine vernünftigen Alben mehr machen, muss dann auch noch mein kleiner Freundeskreis kollabieren? Und warum machen Lucy und ich dabei auch noch mit?

Ich lasse mich aufs Sofa fallen, schalte den Fernseher an, schalte ihn auf lautlos. Während auf dem Bildschirm das stumme und morbid-monströse Puppenspiel einer debilen Talkshow gegeben wird, angele ich mir mein Telefon und wähle Lucys Nummer.

»Herr und Gebieter, was kann ich für dich tun?«, meldet sich mein Mädchen.

»Herr und Gebieter? Schön wär’s«, nöle ich, und Lucy lacht dreckig. »Sag mal, wusstest du, dass Lara nach Köln ziehen will?«

»Ja, wegen ihrer Arbeit. Und?«

»Wieso erfahre ich das eigentlich wieder mal als Letzter?«

Sie schnaubt. »Na, weil du immer darauf bestehst, dass du nix von Klatsch und Flurfunk hältst. Dann darfst du dich auch nicht beschweren, wenn ich dir nichts erzähle.«

»Ja, aber ich bin Laras Halbmitbewohner.« Wir teilen uns keine Wohnung, aber Hausflur und Klo.

»Genau deswegen dachte ich mir, dass sie es dir schon noch früh genug erzählen wird.«

»Fuck ›früh genug‹. Du weißt, dass ich Veränderungen hasse wie die Pest.«

»Oh Mann, du klingst manchmal wie eine totale Memme.«

»Ey ...«

»Na, wenn du Veränderungen so sehr hasst, werden dir die neuesten News über Matze ganz bestimmt auch nicht schmecken.«

Ich bin echt nicht auf dem Laufenden. »Hä? Was für News?«

»Er hat eine neue Freundin. Mehr sage ich dazu nicht, da musst du ihn schon selber fragen, du willst ja keinen Klatsch hören«, flötet meine Liebste fröhlich. »Ich muss jetzt los, noch was einkaufen. Kommst du heute Abend zu mir?«

»Ja, klar, aber ...«

»Dann bis später. Tschüss, schöner Mann!«

Sie legt auf. Verfluchte Axt.

Ich stelle das Telefon beiseite und mache den Fernseher aus. Dann ziehe ich meine Jacke an und mache mich auf den Weg zu Matze.

Neue Freundin? Was ist da nur wieder los?

Matze und Katharina haben sich ihr Zweck-WG-Nest in einem typischen Siebzigerjahre-Wohnblock eingerichtet. Sechs Parteien auf drei Stockwerken, zweckmäßigste Architektur. Ebenso zweckmäßig der Garten, dessen Rasenmonotonie manch einen Fußballplatz wie eine Feng-Shui-gerechte Wildwiese aussehen lässt.

Früher waren diese Blocks eher was für finanzschwache Jungfamilien, Rentner auf der Suche nach einer übersichtlichen letzten Station oder britische oder amerikanische Soldaten. Inzwischen haben sich diese Blocksiedlungen zu ultraspießigen Hochburgen für den Mittelständler mit Eigentumsambitionen entwickelt. Um so mehr wundert es mich, dass die beiden noch nicht achtkantig rausgeflogen sind, denn Matze macht, was Lautstärke betrifft, keine Gefangenen. Ich bin noch vier, fünf Häuser entfernt, da höre ich schon, dass er seinen Sodom-Tag hat. Mit Orkanstärke ballert »Agent Orange« durch die ansonsten totenstille Straße.

Natürlich muss ich bei dem Krawall ein Dutzend mal klingeln, bevor Matze mir endlich aufmacht. Die Haare stehen ihm wuschelig vom Kopf ab, und an seinen Händen trägt er gelbe Haushaltshandschuhe.

»...!«, sagt er.

»...!«, antworte ich.

Er sieht mich dumm an, dann hebt er einen Finger zur »Moment mal!«-Geste, winkt mich rein und verschwindet in seinem Zimmer, während ich mich in die Wohnküche setze und mir einen Kaffee aus der bereitstehenden Maschine ziehe. Schlagartig endet der Kriegslärm.

Matze kommt in die Küche und streift sich die Gummihandschuhe ab.

»Neuer Fetisch von dir?«, frage ich.

»Nee«, sagt er. »Bin mit Putzen dran.«

»Aha«, sage ich und lasse ein ganzes Arsenal sarkastischer Bemerkungen unausgesprochen mitschwingen.

»Nix ›Aha‹. Was muss, das muss. Würde deiner Bude auch mal guttun.«

»Schon gut.«

Er setzt sich mir gegenüber. »Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?«

»Na ja, ich hab gehört, du hättest spannende Neuigkeiten, die du mir verschwiegen hast. Arsch.«

Er runzelt die Stirn, dann zieht er die Augenbrauen hoch, und sein Gesicht kriegt diesen »Aha«-Ausdruck. »Ach, du meinst Doro.«

»Hä?« Ich schüttle den Kopf. »Nein, mir ist egal, ob du Doro getroffen und dir deinen Pimmel hast signieren lassen. Ich meine deine neue Freundin.«

»Ja, sag ich doch, du Pfosten. Doro!«

Jetzt bin ich vollends verwirrt. »Wie jetzt? Du bist mit Doro Pesch zusammen? Die ist doch viel zu alt!«

Matze finstert mich an: »Also erstens ist Doro Pesch* für ihr Alter noch recht knackig und geht noch gut als MILF durch: Metalqueen I like to duweißtschon. Außerdem, und das, mein begriffsstutziger Freund, wird dich überraschen, gibt es tatsächlich auch noch andere Mädels, die Doro heißen.«

»Aha«, sage ich und ärgere mich im selben Moment, in dem die Silbe meinen Mund verlässt, weil es wirklich so klingt, als hätte er mir die Hammererkenntnis des laufenden Jahres präsentiert. Manchmal ... oft ... na gut, sehr oft bin ich echt schwer von Begriff. Eigentlich immer.

»Aha«, sage ich noch mal, nur damit Matze auch wirklich mitkriegt, wie blöd ich bin. »Aber Moment mal, wassolldaseigentlichheißen, Doro hier, Doro da. Wieso hast du denn bitte schön überhaupt ’ne neue Freundin?«

Er zuckt mit den Schultern. »Wieso denn nicht?«

Ich wedle mit der Hand, um eine wohnungsumfassende Geste zu simulieren. »Na, weil, du und Katharina ...« Weiter weiß ich nicht, also sag ich nur noch »Ehhh«. Man merkt echt, dass ich der Intellektuelle in der Crew bin.

Matze seufzt theatralisch. »Alter, wie oft müssen wir dir das noch sagen: Wir sind kein Paar. Wir sind wegen Ronnie zusammengezogen.«

Ronnie. Ich muss wieder mal wegen des Namens lachen. Matze macht das, nicht zu Unrecht, wieder mal etwas sauer.

»Alter«, droht er. »Sag es nicht.«

Aber ich kann nicht anders.

»Morschn!«, sächsel ich mehr schlecht als recht. »Isch bin dä Rönnie aus Leipzsch.«

Matze springt auf: »Ich hab dir schon zig Mal gesagt, dass Ronnie kein Ossi-Name ist. Es ist ein Tribut an IHN«, sagt er und zeigt auf das Plakat des Göttlichen, das an der Wohnzimmertür hängt.

»Ja, schon gut«, sage ich. »All hail Dio.«

Mit Matze ist nicht zu spaßen bei dem Thema, vor allem seitdem der kleine große Mann des Metals nicht mehr unter uns Lebenden weilt.* Aber er hat schon recht, es ist ein absoluter Jammer, dass Dio tot ist, und zeigt auch nur wieder, dass es so was wie Gerechtigkeit nicht gibt auf dieser Welt. Sonst soll mir mal einer erklären, warum viele Arschgeigen so alt werden und jemand so Großartiges viel zu früh aus dem Leben gerupft wird.

Ich seufze deprimiert.

»Also, mach dir mal keine Sorgen um Katharina«, kommt Matze aufs Thema zurück, nachdem er sich wieder gesetzt hat, »die kommt bestens damit klar.«

»Woher willst du das wissen?«

»Na, weil sie es mir gesagt hat.«

Ich lache verächtlich. »Ja, nee, ist klar. Als ob ein Mann jemals von einer Frau eine klare Ansage bekommen hätte. Sie haben schon immer in einem Code mit uns kommuniziert, den wir nie knacken werden, selbst dann nicht, wenn wir nur noch Geschichten sind, in Büchern geschrieben von Kaninchen.«

»Hör auf, ›Das letzte Einhorn‹ zu zitieren, du Pussy.«

Ich lache. »Nee, aber im Ernst, selbst wenn sie sagt, dass es für sie in Ordnung ist, heißt das noch lange nicht, dass sie es auch wirklich so meint.« Moment mal, gebe ich hier gerade Beziehungsratschläge? Ich, der Kommunikationslegastheniker, der ewig gebraucht hat, um seine aktuelle Freundin anzubaggern? Der sie aus Versehen gefragt hat, ob sie ihn heiraten möchte?

»Ich meine, es ist doch schon sehr strange, wenn du hier mit deiner Neuen ankommst und ihr rumvögelt, während nebenan die Mutter deines Kindes und Ex pennt. Und das Kind selbst ...«

»Sie ist nicht meine Ex!«, erbost sich Matze. »Wir haben ein Kind zusammen, deswegen ist man doch nicht gleich verheiratet.«

»Ihr habt aber manchmal so gewirkt.«

Er schlürft entnervt an seinem Kaffee, dann sagt er: »Ja, kann schon sein. Ich werd mich auch zurückhalten, bin ja nicht blöd. Aber es war ja schon länger klar, dass ich oder Katharina irgendwann hier ausziehen.«

»Ach was!«

»Klar, auf Dauer kann so ein Vernunftding nicht funktionieren. War nur eine Frage der Zeit, bis einer von uns jemanden kennenlernt.«

»Tja, das stimmt allerdings.«

Er streckt sich und lässt den Blick durch das Wohnzimmer schweifen. »Leider bin ich jetzt wohl der Arsch und muss die Anker lichten. Die Bude wird mir fehlen, ich kann hier voll aufdrehen, ohne dass sich einer beschwert. Katharina und Ronnie mal ausgenommen.«

»Tja, schlechtes Timing.«

Er winkt ab. »Solange wir das hinkriegen, dass der Kurze mit beiden Elternteilen aufwächst, ist alles in Butter. Meine Eltern waren auch getrennt, und mein Stiefdaddy hat mich mit aufgezogen. Hat mir ja auch nicht geschadet, oder?«

Ich verkneife mir eine blöde Antwort und schüttle nur den Kopf.

»Whatever, wie der Grieche sagt«, spricht Matze und steht auf. »Ich habe eine Kiste Helles, die mir Attila aus Franken mitgebracht hat, und die komplette Neuedition von Freitag, der 13. Bock auf Bier und Gedärme?«

»Blöde Frage«, sage ich.

Wir schaffen zwei Filme, dann mache ich mich auf den Weg. Während ich mit leichter Schlagseite nach Hause gehe, ist es schon dunkel. Ich erinnere mich wieder daran, dass ich wohl bald heiraten werde. Ich atme tief die kalte Abendluft ein und entlasse sie schnaufend als kleine instabile Wolken wieder in die Nacht.

Wow.

Ich und Heiraten. Und ich gebe anderen schon Beziehungstipps, sogar ziemlich vernünftige.

Ich werde wohl langsam doch erwachsen, denke ich nicht ohne Stolz, während ich »DAS IST SPARTA!« grölend eine Straßenlaterne austrete.

Mögliche Titel für Zombiefilm:

Die Hölle ist voll

Run, Pussy, Run!

The Return of the Return of the Living Dead

Zombie Nights

Kaffee, Hirn & Menschenfleisch

The Zombielympic Games

Night of the Running Dead

Im Hinterkopf behalten:

– Gute Kameras sind vorhanden!

– Kein Budget!!

– Keine richtigen Schauspieler!!

– Keine Pyros

– Kunstblut und Blumenkohl sind billig, also: viel Blut und Gehirn einbauen

– Sven unbedingt fragen, wie er mich zu dem Schwachsinn überreden konnte!!!!

– weniger Ausrufezeichen verwenden!!!!

* Nicht zu verwechseln mit der unter Headbangern weit verbreiteten Metalohrentzündung. Die fängt man sich in der Regel während eines Festivals ein, nicht schon vorher.

* Doro Pesch, Baujahr 1964, ist die selbst ernannte Metalqueen und wird Gerüchten zufolge im Alten Testament als Urmutter aller Wasserstoffblondinen beschrieben. Mit Warlock hat sie deutsche Metalgeschichte geschrieben, als Solokünstlerin betreibt sie Forschung in Sachen Schlagermusik-Heavy-Metal-Fusionierung. Jeder zweite Songtext handelt bei ihr davon, wie geil ihre Fans sind. Sie ist also quasi wie Manowar, nur andersrum.

* Ronnie James Dio (1942-2010) war Sänger unter anderem bei Rainbow, Black Sabbath und seiner eigenen Band Dio. »Dio« heißt übersetzt »Gott«, und damit ist schon alles über ihn gesagt, was gesagt werden muss.

2.

MAMA WILL SINGEN

Nach einem langen Tag vorm Laptop, an dem man die freudlose Website einer lokalen Zeitarbeitsfirma ebenso freudlos überarbeitet hat, gibt es nichts Schöneres, als die Stufen zum Loch hinunterzusteigen und sich darauf zu freuen, dass man endlich das Wochenende einläuten kann.

Vor allem, wenn man freudig begrüßt wird. Ich trete gerade durch den schweren Vorhang am Eingang, da werde ich schon fast von Lucy umgeschmissen, die sich mir an den Hals wirft und sofort ihre Zunge in selbigen schiebt.

»Hey, mal langsam«, will ich sagen, aber mit zwei Lecklappen im Mund klingt es nur wie der schwache Protest eines verstopften Abflusses.

»Ist ja ekelhaft«, kommentiert ein neidischer Kleinwüchsiger grinsend, der sich an uns vorbei zum Ausgang quetscht.

Nachdem Lucy sich in meinem Rachenraum ausgetobt hat, setzen wir uns zu den anderen. Lemmy, der es sich mal wieder unter dem Tisch bequem gemacht hat, legt zur Begrüßung seinen riesigen Kopf auf meinen Oberschenkel und lässt sich von mir die Stirn kraulen. Keine zwei Minuten später ist mein Hosenbein durchgesabbert, als hätte ich mir einen benutzten Aufnehmer auf den Schoß gelegt.

Katharina hat sich ein iPhone zugelegt, mit dem sie jetzt permanent ihre Mutter belästigt, wenn die den Kleinen bei sich hat.

Matze fehlt noch, und im Großen und Ganzen sieht Sven ziemlich gelangweilt aus.

»Kommt Lara heute?«, fragt er mich, und ich schüttele den Kopf.

»Die feine Frau Fotografin ist mal wieder auf Tour.«

»Hmpf«, macht er und fängt an, seinen Bierdeckel auseinanderzuzupfen. Er ist in letzter Zeit etwas angefressen, weil ich viel Zeit mit Lucy verbringe. Man kann noch so krampfhaft versuchen, Zeit für Freunde zu erübrigen, aber unbewusst rutschen Lucy und ich immer wieder in Pärchenschemata ab und hängen lieber zu Hause vor dem Fernseher rum, als mit den anderen auf die Piste zu gehen. Ich schiebe das auf den erlahmten Jagdtrieb. Irgendwie sind Partys, Konzerte und so weiter ja doch nur Rituale, um einen Partner oder eine Partnerin zu finden. Hat man sein Ziel erreicht, verfällt man in eine Höhlenkatatonie, die einen als sozialen Typ disqualifiziert.

Sven schnaubt laut und etwas dramatisch, dann trommelt er auf dem Tisch rum. »Hat wer Lust, Karten zu spielen?«

Alle nicken, jedoch ohne großen Enthusiasmus. Ohne den Blick von ihrem überteuerten Handy zu nehmen, auf dem sie gerade eine SMS schreibt, sagt Katharina: »Aber nix mit tausend Regeln, oder wo man um Geld spielt. Lieber Mau Mau.«

»Na gut, dann halt Mau Mau.« Sven klingt wie der Ober eines Zwei-Sterne-Restaurants, bei dem gerade ein Gast eine Pommes Rot-Weiß und eine Cola bestellt hat. Er geht zum Tresen und lässt sich von Chef 08/15* ein Kartenspiel geben.

Wir zocken eine Weile, und Katharina kann sich endlich von ihrem Schlaufon losreißen. Nicht nur, dass sie ständig die Überwachungsmutter gibt, sie hat sich auch die Unsitte des SMSTourette angewöhnt und kann es sich nicht verkneifen, permanent Kurznachrichten in die Welt zu rülpsen. Früher hieß es »Whazzup?«, jetzt nur noch »What’s app?«. Traurig.

Nach der vierten Runde fragt Sven, ob man nicht vielleicht doch um Geld spielen könnte, wenigstens 50 Cent pro Spiel, und Katharina buchstabiert ihm das Wort N.E.I.N.

Wir sind so ins Spiel vertieft, dass wir gar nicht bemerken, dass Matze im Loch angekommen ist.

»Hi Leute. Das ist Doro«, sagt er und schubst mit einem sanften Stoß eine ziemlich große, nicht unattraktive, in schwarzer Lederhose und schlichtem Satyricon-T-Shirt gekleidete Frau mit ebenso dunklen wie arschlangen Haaren an unseren Tisch. »Doro, das sind meine Leute. Sven, Katharina, Lucy und Torben. Und das hässliche Kind unter dem Tisch ist Lemmy.«

»Hi«, sagt Doro fröhlich und ignoriert unsere finsteren Blicke. Katharina widmet sich wieder ihrem Handy und drischt mit ihrem Finger darauf ein, als hätte sie kein virtuelles Buchstabenfeld, sondern die Tastatur einer alten Adler-Schreibmaschine vor sich.

»Ich bin Doro«, sagt Doro. Anscheinend hält sie uns für sehr begriffsstutzig. »Ich heiße übrigens wirklich so, das hat nichts mit der Sängerin zu tun. Na ja, eigentlich heiße ich Dorothea, aber so nennt mich kein Schwein, das würde ja klingen, als würde ich wie meine eigene Oma heißen. Ist da noch frei?«, fragt sie und deutet natürlich auf den Platz neben Katharina. Entweder hat sie das Feingefühl einer führerlosen Planierraupe oder Matze hat ihr noch nichts über seine häuslichen Verhältnisse erzählt. Ohne hochzuschauen, nickt Katharina und brummelt ein »Ja, ja«, das keine Zweifel offen lässt, dass es Synonym für »Leck mich am Arsch« ist. Doro scheint die Eiseskälte gar nicht zu registrieren und setzt sich hin. Matze holt sich einen Stuhl und pflanzt sich neben sie.

Sven packt demonstrativ die Karten wieder zusammen. »Matze. Wir müssen reden. Draußen«, kommandiert er im besten Lehrertonfall. Matze sieht ihn verwirrt an, dann mich. Ich nicke in der Manier bedrohlich nickender Westernschurken. Er zuckt mit den Schultern, sagt »Okay« und steht auf. Auch Sven erhebt sich. »Kommst du mit?«, fragt er mich, und ich schließe mich den beiden an, Lemmy trottet uns hinterher.

Auf der Straße vorm Loch deutet Sven auf die Bordsteinkante. »Setzen«, befiehlt er Matze. Der weiß anscheinend nicht so richtig, was er mit der Situation anfangen soll. Ohne Protest setzt er sich auf den arschkalten Bordstein. Wir bauen uns vor ihm auf, als wären wir ein aus einem Tarantino-Film entsprungenes Standgericht.

»Also?«, fragt Sven.

»Was ›also‹?«, fragt Matze zurück.

Sven nickt in Richtung des Kneipeneinganges. »Was soll der Quatsch mit dieser Doro-Trulla?«

Matze zuckt mit den Schultern. »Na ja, wir haben uns in der Rose kennengelernt. Vorletzte Woche. Sie ist ...«

»Quassel keine Lovestory. Ich will nicht wissen, wie ihr euch kennengelernt habt. Wieso machst du so’n Scheiß?«

»Wieso ›Scheiß‹? Ich kann ja wohl ausgehen, mit wem ich will. Was geht euch das an?«

»Als Freunde von Katharina geht uns das sehr wohl was an. Was meinst du, wie sie sich dabei fühlt, wenn du plötzlich ’ne andere Perle anschleppst?«

»Erstens geht euch das, wie gesagt, ’nen Scheißdreck an. Zweitens hab ich ihr sofort Bescheid gesagt, dass ich was Neues am Laufen habe, und drittens waren oder sind wir nicht zusammen, verdammte Axt!«

Sven schnaubt. »Und ich dachte, ihr heiratet noch ...«

»Wir werden nicht ... Ach, vergiss es.«

»... stattdessen macht Torben Lucy einen Antrag, und du reißt dir was Neues auf. So was finde ich für’n Arsch. Ich mag keine

Überraschungen. Ich hab als Kind schon Ü-Eier verachtet. Und Doro kann ich auch nicht leiden. Nur damit das klar ist.«

»Und warum? Du kennst sie doch gar nicht.«

»Einfach so. Aus Prinzip.« Inzwischen hat Svens Tonfall vom zornigen Studienrat zum bockigen Kind gewechselt.

Matze zieht die Augenbrauen hoch. Mit dem Ausdruck eines geduldigen Kindergärtners im Blick schaut er uns an. »Gebt ihr wenigstens eine Chance. Ich glaube, sie passt super zu unserer Gang.«

»Meinetwegen«, sage ich.

»Nö!«, sagt Sven.

»Ach, komm schon«, seufzt Matze. »Du bist albern. Ich glaube, ihr habt einiges gemeinsam.«

»Ach ja, und was? Hat sie auch ’nen Schwengel? Zutrauen würde ich es der.«

»Blödmann.« Er schnippst mit den Fingern und zeigt auf Sven. »Sie hat zum Beispiel auch einen Hund.«

Und Sven: »Aha. Und was für einen?«

Und Matze: »Einen Pudel!«

»Einen was?«

»Einen Pudel!«, sagt Matze und grinst.

Und Sven grinst nicht und sagt: »Neinneinnein.«

Und Matze sagt: »Dochdochdoch!«

Und Sven: »Falsch, falsch, falsch!«

»Nee, doch, wirklich, sie hat echt einen Pudel.«

Und Sven: »Ja, das mag ja durchaus sein, aber du hast davon gesprochen, dass sie einen Hund hat, und du fängst hier mit einem Pudel an. Ein Pudel ist kein Hund.«

»Es ist ein ziemlich großer Pudel. Ein Riesenpudel.«

»Meinetwegen kann es auch ein Elefantenpudel sein, das ist scheißegal. Ein Pudel ist per se kein Hund. Ein Pudel ist nicht mal Biologie. Ein Pudel ist ein Missgriff der Natur mit rasiertem Arsch!«

Und Matze dann: »Das kannste jetzt aber so nicht sagen!«

Und Sven sagt: »Mach ich aber doch! Pudel sind das Böse, aber nicht das coole Böse, sondern das blöde Böse, sie verkörpern alles Schlechte auf Erden, Pudel sind schlimmer als Hitler, die Farbe Rosa und Kinder zusammen. Pudel sind Hitler als Kind in rosa Klamotten, das mir zudem noch das ganze Bier weggesoffen hat!«

08/15 kommt mit seinem Rollstuhl angerollt und fragt, ob bei uns alles roger wäre, und Sven sagt »Nix Roger, die Neue von Matze hält sich ’nen Pudel«, und 08/15 guckt erst mich an, dann Sven, dann Matze, dann wieder Sven und fragt: »Echt jetzt?«

Und Matze: »Ja, ist doch wirklich kein Grund, so einen Aufstand zu machen!«

Und 08/15: »Machst du Witze? Pudel sind wie Hitlerkinder in rosa Klamotten, die einem das Bier wegsaufen! Nur mit rasiertem Arsch!«

Und Sven sagt: »Siehste, siehste?!«

Und Matze so: »Ihr seid total bescheuert.«

»Schweig stille, dein Weib hat ’nen Pudel! Das ist ein Altfrauenvieh. Das ist ein Anhängsel für olle Schnatzen, die einen auf feine Dame machen und keinen Geschmack haben. Pudel sind keine Hunde. Das ist ein Hund«, sagt Sven und zeigt auf Lemmy: Die Bulldogge ist einige Meter weiter damit beschäftigt, einen Hydranten sexuell zu belästigen.

Matze zuckt mit den Schultern. »Wie du meinst. Aber versprecht mir wenigstens, dass ihr Doro eine Chance gebt. Um Katharina kümmere ich mich schon, wir regeln das wie Erwachsene.«

Ich nicke, weil ich keinen Bock mehr habe, in der kalten Frühlingsluft rumzustehen, während drinnen mein Bier warm wird. »Hoffen wir nur, dass deine Ladys sich in der Zwischenzeit nicht gegenseitig zerfleischt haben.«

»Na gut«, sagt auch Sven und reicht Matze die Hand, um ihn in die Senkrechte zu ziehen. »Ich will nur nicht, dass einer Freundin von mir wehgetan wird.«

»Du redest von der Mutter meines Sohnes«, antwortet Matze. »Ich will auch nicht, dass jemand ihr weh tut. Aber das Leben geht halt weiter.«

Wir gehen zurück in die Kneipe und befürchten, mitten in einen Catfight der blutrünstigen Art zu schlittern. Stattdessen lachen sich Lucy, Katharina und Doro gerade gemeinsam schlapp, Katharina hat währenddessen sogar die Hand freundschaftlich auf Doros Schulter gelegt.

»Was ist denn jetzt kaputt?«, fragt Matze konsterniert. Und auch ich überlege, wie lange wir draußen waren. Zwei Jahre?

Die Mädels entdecken uns und lachen noch lauter. Lucy zeigt auf Matze: »Da ist ja unser kleiner Romeo wieder«, sagt sie und löst erneutes Hühnergackern aus.

Matze runzelt die Stirn. »Was hast du erzählt?«, fragt er Doro.

Die grinst schelmisch. »Och, nix.«

»Gar nix«, bekräftigt Lucy.

»Nichts, was ich nicht schon wüsste«, sagt Katharina, stützt ihr Gesicht auf der Faust auf und grinst hämisch.

Ich setze mich zu Lucy. Ich frage erst gar nicht, worüber die Mädels sich so amüsieren. Untereinander kennen die Doppel-XChromosomen weder Scham, Privatsphäre noch Verschwiegenheit. Sobald sich allerdings ein Penisträger zur Gruppe gesellt, sind sie schwerer zu knacken als ein KGB-Offizier, der unter einer Sprachstörung leidet.

Stattdessen wundere ich mich über die Spontanverschwesterung von Katharina, Lucy und Doro. Vielleicht sollten wir Matzes Neuer eine Chance geben. Zumal sie ziemlich groß ist und ich kein ernsthaftes Interesse habe, sie sauer auf mich zu machen.

Sie trinkt die letzten zwei Drittel ihres halben Liters auf Ex und sagt: »Die nächste Runde geht auf mich.«

Und mit diesen Zauberworten besänftigt sie sogar Svens Pudelvorbehalte. Doro ist bei uns aufgenommen. Zumindest auf Probe.

Wir spielen Mau Mau. Das ist zwar etwas albern, passt aber ganz gut, weil die Mädels sowieso lieber labern, als sich auf das Spiel zu konzentrieren. Da wären komplexere Nebenbeschäftigungen eh unangebracht. Zumal ich so langsam schon einen im Kahn habe, und da ist Mau Mau super. Seit einigen Runden scheint Sven es auf mich abgesehen zu haben, er würgt mir reihenweise Siebenen und Achten rein. Nachdem er drei mit einer vierten Sieben für mich verlängert, schmeiße ich angepisst mein Blatt auf den Tisch. »Ich hab kein’ Bock mehr auf das Kackspiel.«

Sven kichert.

»Lach nicht so blöd«, schnauze ich ihn an. »Was soll die Scheiße, mir andauernd einen reinzureichen? So macht das keinen Spaß.«

Er packt die Karten zusammen. »Na ja«, sagt er. »Wenn dir diese nicht gefallen, kann ich dich ja vielleicht mit ein paar anderen Karten locken.«

»Hä?«

Er lehnt sich zurück. »So wie ich das sehe, schulde ich dir noch ein Geburtstagsgeschenk, ist das korrekt?«

»Genau genommen sogar zwei. Den Whisky vom letzten Jahr hast du ganz alleine leer gesoffen. Und das Argument, dass du ihn ja in meiner Wohnung gelassen hast, weil du ihn zwei Stunden später neben mein Klo gekotzt hast, zählt nicht.«

»Aber ...«

»Nein. Zählt nicht.«

»Na gut, ich schulde dir also zwei Geburtstagsgeschenke. Meinetwegen. Der gute Wille als solcher zählt anscheinend nicht mehr. Na denn ...« Er holt etwas aus seiner Hosentasche. »Happy nachträglichen Birthday, Alter.«

»Und was ist das?«

Er wedelt mit zwei Stück Papier, die verdächtig nach Computerausdruck aussehen. »Zwei Tickets für die Maiden-Show in Dortmund.«

Mir klappt wortwörtlich die Kinnlade runter. »Bittewas?«

Er grinst triumphierend. »Ich hab die schon ewig, aber ich wollte dich noch ein bisschen zappeln und rumjaulen lassen, dass die Show schon nach einem Tag ausverkauft war und du wieder zu lahmarschig warst, blablabla.«

Er legt die Karten mit einem süffisanten Lächeln auf den Tisch, als hätte er ein Full House und im Pott wären eine Million Euro. Fassungslos sehe ich die lieblosen Standardtickets an. Die magischen Worte »Iron Maiden« sehen auf dem Thermopapier und in der langweiligen Schrift fehl am Platz aus, aber das ist egal. Mit zitternden Händen nehme ich sie hoch, ganz vorsichtig, als hätte man die Karten auf Porzellan gedruckt.

»Alter ...«, sage ich. Mir fällt grad nichts Besseres ein.

»Ganz vorne natürlich«, schiebt Sven nach.

Ich schaue ihn an. »Willst du mich heiraten?«, frage ich.

Lucy beugt sich zu mir herüber. »Du benutzt diese Frage in letzter Zeit ganz schön inflationär, oder?«, haucht sie, und Sven lacht so laut los, dass sich die halbe Gästeschaft des Lochs nach ihm umdreht.

»Öhm ...«, sage ich.

Sie wuschelt mir durchs Haar. »Ich zieh dich nur auf, Blödmann. Bin doch nur neidisch.«

»Ja«, sagt Sven. »Ich hätte gerne Karten für uns alle besorgt, aber die zwei zu ergattern, war schon Kampf und Krampf.«

Lucy winkt ab. »Ist schon klar. Macht euch mal einen schönen Jungsabend.«

»Oh ja, das werden wir!«, sagt Sven. Wir stoßen an.

Maiden, wir kommen!

Mama, ich komme. Nach Hause. Ich summe Ozzy Osbournes Heuler vor mich hin, um mich zu motivieren, während ich durch den Bahnhof schleiche.

Eigentlich hätte ich es für völlig ausreichend gehalten, meine Eltern telefonisch über die Hochzeit zu informieren, aber dann hat mir Lucy den Blick gegeben und mich zusammengestaucht. Das wäre ja wohl das Letzte, es wären immerhin meine Eltern und bla bla bla.

Also muss ich mal wieder mit der zuckeligen Regionalbahn in die Provinz fahren. Na super.

Natürlich habe ich sämtliche Zeitvertreiber wie Lektüre, Gameboy und MP3–Player auf dem Wohnzimmertisch vergessen. Und im Bahnhofskiosk gab es natürlich nur die Rock hard und Legacy, die ich schon durch hab. Das kann ja lustig werden.

Ich schlurfe zum Ticketautomaten, der meinen Zwanzigeuroschein bereits im fünften Anlauf annimmt. Ich starre wie ein hypnotisiertes Karnickel auf den Ausgabeschacht, der zu blinken anfängt und mit leisem Rattern meinen Fahrschein antrailert, als ich neben mir eine Präsenz spüre und rieche.

Ich sehe zur Seite. Ein Penner gafft mich an. »Hast du vielleicht ein bisschen Kleingeld?«, fragt er.

Mich nervt es, ständig angeschnorrt zu werden, nur weil meine Klamotten eine gewisse Nähe zum Straßenvolk ausstrahlen. Ich kann auch kein Geld scheißen. Einerseits möchte ich die Typen immer anmeckern, dass sie sich doch lieber die Anzugträger vornehmen sollen, andererseits ist mir natürlich klar, dass Leute, die was zu verschenken hätten, das nur haben, weil sie sich das Verschenken schenken. Trotzdem nimmt es in letzter Zeit überhand mit dem Gebettel. Da können die in den Nachrichten noch so oft von wachsender Konjunktur und sinkenden Arbeitslosenzahlen schwadronieren, die Straße erzählt mir andere Storys.

Ich sehe den Penner nicht an. »Sorry«, antworte ich. »Hab kein Kleingeld.«

In diesem Moment fängt der Automat an mein Wechselgeld auszuspucken.

Klack, klack, klack.

Ich bekomme 11,40 Euro zurück, und mir schwant Böses, als der Apparat nur mit Eineurostücken anfängt.

Klack, klack, klack.

Nach drei Euro kommen schon Fünfzigcentmünzen. Der Penner steht immer noch neben mir.

Klack, klack, klack.

Der Schacht füllt sich mit Münzen, inzwischen ist der Wert auf zwanzig Cent gesunken. Ich schiele rüber zum Berber, der ausdruckslos auf den Schacht starrt, der gerade Las Vegas für Arme nachspielt.

Klack, klack, klick.