Homer als Reiseführer? Wie Heinrich Schliemann Troja entdeckte - Svenja Gerbendorf - E-Book

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Svenja Gerbendorf

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Geschichte Europas - Neueste Geschichte, Europäische Einigung, Note: 2,0, Universität Potsdam (Historisches Institut), Veranstaltung: Die athenische Demokratie, Sprache: Deutsch, Abstract: „Mein fester Glaube an Homer und die Tradition ist nie von der modernen Kritik erschüttert worden, und diesem Glauben verdanke ich die Entdeckung Trojas“ schrieb Heinrich Schliemann einst. Doch woher kam dieser unerschütterliche Glaube an Homer? Waren es wirklich nur die Epen des griechischen Dichters, die Schliemann Troja finden ließen? Wie genau fand er die lang gesuchte Stadt? Und wie kam er dazu, Homer nicht nur als Dichter zu sehen, sondern ihn auch als „Reiseführer“ zu benutzen? All diesen Fragen soll die vorliegende Hausarbeit auf den Grund gehen. Im ersten Teil sollen die „Hauptakteure“ beleuchtet werden, um ein besseres Verständnis für die diese Fragen beantwortenden Ausführungen im zweiten Teil aufzubauen. Dabei sind folgende Schwierigkeiten zu beachten: Dichtung wird von Wahrheit zu trennen sein, da Schliemann seinem Leben gern mit erfundenen Geschichten eine zusätzliche Würze verlieh. Dazu kommen zu einigen Themen höchst unterschiedliche Angaben in der Fachliteratur. Und natürlich müssen, um den Umfang dieser Arbeit nicht zu sprengen, verschiedene überaus wichtige und interessante Fragen vernachlässigt werden. So zum Beispiel die Entstehungsgeschichte der Ilias, Gegenthesen zu Schliemann, die sich ebenfalls auf Homer berufen, wie die von Raoul Schrott, die späteren Ausgrabungen in Troja nach Schliemann und Dörpfeld und deren Ergebnisse etc. Bei meinen Ausführungen des ersten Teils stütze ich mich vor allem auf die Bücher Troia und Homer und Homer von Joachim Latacz, sowie auf die Schliemann-Biografie von Franz Georg Brustgi, während mir für den zweiten Teil vor allem Schliemanns eigene Schriften über Troja und Heinrich Schliemanns Weg nach Troia von Manfred Flügge nützlich scheinen. Letzt genanntes Werk möchte ich besonders hervorheben, da es nach all den Lobgesängen auf Schliemann sehr erfrischend war, eine kritische Lektüre über ihn zu lesen. Außerdem möchte ich mich bei dem angehenden Archäologen Matthias Daniels bedanken, der den entscheidenden Hinweis auf Charles Maclaren lieferte und auch sonst viele Denkanstöße und Hilfestellungen gab.

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Inhaltsverzeichnis

 

1. Einleitung

2. Die „Hauptakteure“

2.1 Heinrich Schliemann

2.2 Homer und die Ilias

2.3 Troja – Geschichte und Lage

3. Die Debatte um die exakte Lage Trojas zur Zeit Schliemanns

3.1 Maclaren – Calvert – Schliemann

3.1.1 Schliemann vergleicht mit Homer

3.2 Die Troja-Ausgrabungen Schliemanns

4. Ausblick

5. Literatur und Quellen

 

1. Einleitung

 

„Mein fester Glaube an Homer und die Tradition ist nie von der modernen Kritik erschüttert worden, und diesem Glauben verdanke ich die Entdeckung Trojas“[1] schrieb Heinrich Schliemann einst. Doch woher kam dieser unerschütterliche Glaube an Homer? Waren es wirklich nur die Epen des griechischen Dichters, die Schliemann Troja finden ließen? Wie genau fand er die lang gesuchte Stadt? Und wie kam er dazu, Homer nicht nur als Dichter zu sehen, sondern ihn auch als „Reiseführer“ zu benutzen? All diesen Fragen soll die vorliegende Hausarbeit auf den Grund gehen.

 

Im ersten Teil sollen die „Hauptakteure“ beleuchtet werden, um ein besseres Verständnis für die diese Fragen beantwortenden Ausführungen im zweiten Teil aufzubauen.

 

Dabei sind folgende Schwierigkeiten zu beachten: Dichtung wird von Wahrheit zu trennen sein, da Schliemann seinem Leben gern mit erfundenen Geschichten eine zusätzliche Würze verlieh. Dazu kommen zu einigen Themen höchst unterschiedliche Angaben in der Fachliteratur. Und natürlich müssen, um den Umfang dieser Arbeit nicht zu sprengen, verschiedene überaus wichtige und interessante Fragen vernachlässigt werden. So zum Beispiel die Entstehungsgeschichte der Ilias, Gegenthesen zu Schliemann, die sich ebenfalls auf Homer berufen, wie die von Raoul Schrott, die späteren Ausgrabungen in Troja nach Schliemann und Dörpfeld und deren Ergebnisse etc.

 

Bei meinen Ausführungen des ersten Teils stütze ich mich vor allem auf die Bücher Troia und Homer und Homer von Joachim Latacz, sowie auf die Schliemann-Biografie von Franz Georg Brustgi, während mir für den zweiten Teil vor allem Schliemanns eigene Schriften über Troja und Heinrich Schliemanns Weg nach Troia von Manfred Flügge nützlich scheinen. Letzt genanntes Werk möchte ich besonders hervorheben, da es nach all den Lobgesängen auf Schliemann sehr erfrischend war, eine kritische Lektüre über ihn zu lesen. Außerdem möchte ich mich bei dem angehenden Archäologen Matthias Daniels bedanken, der den entscheidenden Hinweis auf Charles Maclaren lieferte und auch sonst viele Denkanstöße und Hilfestellungen gab.

 

Als letztes möchte ich kurz darauf hinweisen, dass mir durchaus bewusst ist, dass es im Griechischen keine Entsprechung für das j gibt, weshalb viele der deutschen Entsprechung des Iota folgend Troia schreiben. Ich halte mich hier jedoch an die Empfehlung des Dudens, der eine Schreibung mit j vorsieht.

 

2. Die „Hauptakteure“

 

2.1 Heinrich Schliemann

 

Johann Ludwig Heinrich Julius Schliemann, Rufname Heinrich, wurde am 6. Januar 1822 als Sohn eines protestantischen Pastors in Neubukow im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin geboren. Doch nicht einmal zwei Jahre nach seiner Geburt zog die Familie nach Ankershagen. Hier wuchs Schliemann, bis zum Tod seiner Mutter, im Jahr 1831, auf. Anschließend zog er in die Obhut von Verwandten.

 

Der Schlüssel zu seiner Homerbegeisterung ist nach Schliemanns eigenen Angaben in diesen Kinderjahren zu finden: Sein Vater erzählte ihm Geschichten aus der Ilias und schenkte ihm die illustrierte Weltgeschichte für Kinder, in dem sich auch eine Abbildung des brennenden Troja fand. Schon damals soll der Achtjährige dem Vater versprochen haben „Wenn ich groß bin werde ich Troja suchen und die Burg des Priamos mit allen untergegangenen Schätzen ausgraben!“[2]. 1833 besuchte der junge Heinrich das Gymnasium. Aus Geldnot in der Familie musste er alsbald aber auf die Realschule wechseln. Diese besuchte er bis 1836, bevor er für fünf Jahre Handlungsgehilfe in einem Krämerladen in Fürstenberg wurde. Nach einem Blutsturz konnte er diese körperlich schwere Arbeit jedoch nicht weiter ausführen, weswegen er nach Hamburg ging. Da er dort keine Arbeit fand, wollte er nach Amerika auswandern, sein Schiff erlitt jedoch Schiffbruch und er landete in den Niederlanden. In Amsterdam wurde Schliemann schließlich Angestellter der Firma Schröder und Co., wo er rasch aufstieg. Er lernte in dieser Zeit nach eigener Methode sieben Sprachen und wurde 1846 als Agent seiner Firma nach Russland geschickt. Dort machte er sich schnell selbstständig und wurde innerhalb kürzester Zeit zum reichen Kaufmann. In den folgenden Jahren reiste er viel, lernte weitere elf Sprachen, kümmerte sich um seine Geschäfte und heiratete 1852 die Russin Katharina Petrowna Lyschin. Die Ehe war unglücklich, doch gingen drei Kinder aus ihr hervor. Nach seiner Weltreise schrieb er 1864 sein erstes Buch La Chine et le Japons, au temps présent. Zu diesem Zeitpunkt war Schliemann bereits sehr reich und zog sich aus dem Handel zurück – er wollte studieren. Dies tat er von 1866 bis 1870 in Paris, unterbrochen von mehreren Reisen, auf denen er eine weitere Sprache lernte. Diese Reisen führten den mittlerweile 46jährigen auch nach Griechenland und Troja. 1869 schrieb er sein Buch Ithaka, der Peloponnes und Troja. Für dieses Buch erhielt er ein Doktordiplom von der Universität Rostock. Im selben Jahr ließ er sich von seiner Frau scheiden und heiratete die Griechin Sophia Engastromenos. Auch aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor: Andromache und Agamemnon. Nach weiteren Reisen unternahm er im April 1870 erste – erfolgreiche – Probegrabungen auf Hissarlik.

 

Um sich ohne Dolmetscher um eine Ausgrabungserlaubnis bemühen zu können, lernte das Sprachtalent in dieser Zeit außerdem türkisch. Als die Erlaubnis endlich erteilt war, machte der Laie Schliemann von 1871 bis 1873 Ausgrabungen auf dem Hügel Hissarlik, wo er auf verschiedene Siedlungsschichten stieß und auch einen beträchtlichen Goldschatz fand (der „Schatz des Priamos“, wie Schliemann glaubte). Mit der Vermutung, Troja gefunden zu haben, gab er sich vorerst zufrieden und machte 1874 Probegrabungen in Mykene. Außerdem erschienen in diesem Jahr seine Bücher Trojanische Altertümer und Atlas trojanischer Altertümer. Im Jahr 1876 machte Schliemann weitere Ausgrabungen in Mykene, 1878 erschien sein Buch Mykenae. Von 1878 bis 1879 führte er in Troja eine zweite Ausgrabung unter Beteiligung Rudolf Virchows durch. Die riesigen Mauern Mykenes hatten seine Zweifel geweckt, ob er wirklich Troja gefunden hatte. Im Jahr 1880 lernte Schliemann den deutschen Architekten und Archäologen Wilhelm Dörpfeld kennen. Ab diesem Zeitpunkt arbeitete Schliemann nicht mehr ohne ihn und überließ ihm immer mehr freie Hand bei den Grabungen. Nach seinem Tod vollendete Dörpfeld Schliemanns Werk in Troja. 1880 bis 1881 gruben beide in Orchomenos, bevor es 1882 wieder nach Troja ging. Zuvor schenkte Schliemann jedoch seine Sammlung der trojanischen Altertümer dem deutschen Volk, er wurde Ehrenbürger Berlins und schrieb seine Bücher Ilios und Orchomenos. Im Jahr 1883 wurde der Hobbyarchäologe Ehrendoktor der Universität Oxford, außerdem schmiedete er erste Pläne zu Grabungen auf Kreta. Er war davon überzeugt, dass hier der Schlüssel zur mykenischen Kultur zu finden sei. Im Jahr darauf veröffentlichte Schliemann sein Buch Troja und ein jahrelanger Streit mit Hauptmann a.D. Bötticher entbrannte. Dieser Disput versetzte viele Wissenschaftler in Aufruhr. Bötticher behauptete, Schliemann habe keine Stadt gefunden, schon gar nicht Troja, sondern eine Feuernekropole. Dazu kamen Behauptungen, Schliemann und Dörpfeld hätten Pläne gefälscht usw. Unter solchen Anschuldigungen litt der stolze Heinrich Schliemann sehr, und der Gesundheitszustand des mittlerweile 62jährigen verschlechterte sich. Trotzdem führte er von 1884 bis 1885 Ausgrabungen in Tiryns durch. Anschließend erhielt er von der Königin von England die Große Goldene Königliche Medaille für Kunst und Wissenschaft, bevor er wieder auf Reisen ging. 1886 führte Schliemann die zweite Grabung in Orchomenos durch und erhielt außerdem, zusammen mit seiner Frau, die Große Goldene Medaille des Königlichen Instituts britischer Architekten. Anschließend reiste er mit Dörpfeld nach Kreta, konnte das gewünschte Gelände für die dortigen Grabungen jedoch nicht erwerben. Infolge seiner angeschlagenen Gesundheit reiste er zu Erholungszwecken in den nächsten Jahren viel umher. Da jedoch die Angriffe Böttichers nicht aufhörten, initiierten Schliemann und Dörpfeld 1889 eine Gelehrtenkonferenz auf Hissarlik unter Teilnahme desselben. Bötticher lenkte erst ein, verbreitete aber nach seiner Rückkehr, dass sich seine Theorien nur bestätigt hätten. Infolge dessen gab es im März 1890 eine zweite Gelehrtenkonferenz auf Hissarlik mit der anschließenden vierten Grabung. Er konnte sein Werk auf Hissarlik und Kreta jedoch nicht mehr selbst vollenden, denn er starb am 26. Dezember 1890 in Neapel.[3]

 

2.2 Homer und die Ilias

 

Es gibt wohl kaum einen Dichter, der so umstritten ist wie Homer: Im Laufe der Jahrhunderte differierten die Menschen wegen seines Geburtsortes, der Zeit in der er lebte, der Urheberschaft seiner Werke und letztendlich auch um seine Existenz selbst, da es keine zeitgenössischen Zeugnisse über den ersten Dichter der Griechen gibt. Erste Quellen seiner Existenz waren erst einige Jahrhunderte nach ihm aufgetaucht.

 

Inzwischen gilt es jedoch als ziemlich sicher, dass Homer in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts vor Christus gelebt hat. Als sein Wirkungskreis wird die Gegend des kleinasiatischen Siedlungsgebietes der Griechen, in der die Regionen der Ioner und Aioler ineinander übergingen, angenommen.[4] Es gibt einige Hinweise darauf, dass Homer auf der Insel Chios gelebt haben könnte: So schrieb Semonides von Amorgos, der im 7. Jahrhundert vor Christus lebte: „... eines aber – das Schönste! - hat der Mann aus Chios gesagt: / So wie der Blätter Geschlecht, so ist auch jenes der Menschen“[5], wobei der zweite Teil ein wörtliches Zitat des Verses 146 aus dem sechsten Gesang der Ilias ist. Auch in einem Apollon-Hymnus, dessen Urheberschaft ebenfalls immer wieder Homer nachgesagt wurde, heißt es:

 

„Mädchen, sagt mir, wer von den Sängern, die hier verkehren, / ist euch der liebste Mann und wer entzückt euch am tiefsten? / Sagt dann von uns als Antwort ihr alle schön miteinander: / ist ein blinder Mann, er wohnt im staubigen Chios, / all seinen Liedern gebührt der Hochruhm künftiger Zeiten.“[6]

 

Wie auch in diesem Zitat ersichtlich, wurde immer wieder behauptet, Homer sei blind gewesen, was jedoch wenig wahrscheinlich ist, bedenkt man die ausführlichen Beschreibungen von Natur und Landschaft, die visuelle Lebensnähe in seinen Epen. Und eben diese Epen, vor allem die Ilias, sind es, die uns noch mehr über ihren Dichter verraten, da er – wie jeder Dichter – bewusst oder unbewusst eigene Lebenserfahrungen und sein eigenes Selbstverständnis und Weltbild in sein Werk einfließen ließ: So berichtete auch Homer in seinen beiden Epen an verschiedenen Stellen von Sängern, wie er selbst einer war. Jeder von ihnen ist an einem Königshof angestellt und genießt dort hohes Ansehen. Der Gabe der Sänger wird mit hoher Wertschätzung entgegengetreten und auch die Adligen in den Epen selbst betätigen sich als solche[7]. Es ist also davon auszugehen, dass Homer in adligen Kreisen verkehrte, vielleicht sogar selbst ein Adliger war. Dies ist auch daran erkennbar, mit welcher Selbstverständlichkeit er die durchweg adligen Helden der Ilias darstellt, welche Moralvorstellungen sie haben, ihre Handlungsweisen und die Lebendigkeit der adligen Lebensformen. Dies ist nur möglich, wenn man sich in diesen Kreisen bestens auskennt, also zu ihnen gehört oder zumindest lange Zeit unter ihnen gelebt hat. Einige Wissenschaftler halten es sogar für möglich, dass der Dichter eine Zeit lang am Hof des Fürsten der Troas lebte.

 

Übrigens, der Name Homer, so hat auch Aristoteles ihn schon gedeutet, bedeutet soviel wie „Bürge, Unterpfand“.[8]

 

Was Homers Werke angeht, so sind die Ilias und die Odyssee die wohl berühmtesten. Dass sie nach fast 3000 Jahren noch immer gelesen werden spricht für sich. Einige schreiben ihm auch eine Sammlung von 33 Gedichten, die den beiden Epen stilistisch nahe stehen und Hymnen auf griechische Gottheiten sind (der oben stehende Apollon-Hymnus zählt ebenfalls dazu), zu. Dies ist jedoch überaus umstritten. Auch Homers Urheberschaft an der Odyssee wird vielfach angefochten[9]. Ebenso gibt es Wissenschaftler die bezweifeln, dass die Ilias (ausschließlich) von Homer verfasst wurde, doch besteht hier deutlich mehr Einigkeit als bei den anderen Werken. Und da die Ilias das Epos ist, auf welches Schliemann sich hauptsächlich stützte, soll es hier kurz näher beleuchtet werden: Die Ilias ist ein Epos in 24 Gesängen das insgesamt 15.693 Hexameter-Verse umfasst. Der Name ist abgeleitet von dem griechischen Namen Ilion, der die Stadt Troja bezeichnet. Sie spielt im letzten Jahr des trojanischen Krieges und umfasst einen Handlungszeitraum von 51 Tagen. Es geht um den Zorn des Achilleus, der vom obersten Heeresführer der Griechen gekränkt worden war, da dieser ihm die schöne Sklavin Briseis nahm. Daraufhin weigert Achilleus sich, weiterhin am Kampfgeschehen gegen Troja teilzunehmen, weswegen die Griechen schwere Niederlagen erleiden. In einer Schlacht stirbt der Freund des Achilleus, Patroklos, von der Hand des Hektor. Achilleus will Patroklos rächen und tötet Hektor im Zweikampf. Durch diese Episode zur Besinnung gebracht, nimmt Achilleus wieder am Krieg gegen Troja teil. Das Ende bilden die Totenfeierlichkeiten für Patroklos und Hektor, den Achilleus dessen Vater Priamos aus Mitleid überlassen hatte. Es versteht sich von selbst, dass es in einem so langen Epos zahlreiche Nebenhandlungen gibt. Sie sind derart verzweigt, genau wie die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Figuren, dass sich unweigerlich die Frage stellt, ob sich jemand das alles überhaupt ausgedacht haben kann – oder ob er nur wahre Begebenheiten nacherzählt. Historisch ist davon auszugehen, dass die Handlung im 12. oder 13. Jahrhundert vor Christus spielt, also bedeutend vor der Zeit, in der Homer aller Wahrscheinlichkeit nach lebte. Trotzdem sind seine Epen dem, was man eine primäre Quelle über den Trojanischen Krieg nennen könnte, am nächsten. Alle anderen Erwähnungen sind später und gehen auf Homer zurück. Dass in den Jahrhunderten zwischen den beschriebenen Geschehnissen und der Lebenszeit des Homer nichts darüber geschrieben wurde, geht darauf zurück, dass die Griechen erst wenige Jahrzehnte vor der Niederschrift der Ilias das Alphabet erfunden hatten. Davor erfolgten die Überlieferungen mündlich, was einige Schwachstellen der Ilias erklärt.[10] Aus diesem Grund wird Homer auch der erste Dichter Griechenlands genannt. Die früheste griechische Epik und Lyrik außerhalb Homers die erhalten ist, ist deutlich jünger als Homers Epen und stark von diesen beeinflusst. Teilweise wird sogar aus ihnen zitiert[11]. Dies gilt ebenso für bildende Kunst, die auf Vasen etc. erhalten ist.

 

2.3 Troja – Geschichte und Lage

 

Nach Meinung einiger Forscher kamen griechische Siedler bereits spätestens um die Mitte des 10. vorchristlichen Jahrhunderts in die Troas[12], ziemlich sicher ist, dass der Hügel Hissarlik seit etwa 3000 v. Chr. bis etwa 1000 v. Chr. durchgängig besiedelt war. Da zum Hausbau vor allem luftgetrockenete Lehmziegel verwendet wurden, mussten die Häuser jedoch alle 40 bis 50 Jahre erneuert werden. Dabei wurden die Altbauten einplaniert, sodass die Neubauten immer auf etwas höherem Niveau standen als die davor. So kam es, dass auf den natürlichen Felsgrund des Hügels ein zweiter, künstlicher Hügel von ca. 16m Höhe entstand. Dazu kam eine gelegentliche Verbreiterung des Hügels wenn die Siedlungen erweitert wurden.[13] Nach dem Untergang der vorerst letzten Siedlung blieb der Ort nach Meinung der meisten Forscher mehrere Jahrhunderte unbesiedelt. Es wird davon ausgegangen, dass sich lediglich ein Heiligtum dort befand. Die Griechen nahmen diesen Platz wohl als eine Art nationale Triumph- und Pilgerstätte wahr, denn laut Homer wurde hier ein Sieg der vereinigten europäischen Griechen gegen das asiatische Troja errungen. Erst um 300 v. Chr. überbauten die Griechen das Hügelgebiet wieder, das Plateau wurde wieder einplaniert, die hellenistische Stadt Ilion entstand. Als das Gebiet unter römische Herrschaft fiel, erfolgte eine erneute Überbauung, das römische Ilium entstand. Im 6. Jahrhundert nach Christus verödete der Ort letztendlich doch, die Bauten verfielen und wurden überwachsen.[14] Es ist also nicht verwunderlich, dass Schliemann so viele aus verschiedenen Zeitaltern stammende Schichten fand. Doch was hatte dieser Ort an sich, dass hier über die Jahrtausende immer wieder gesiedelt wurde? Die Erklärung hierfür ist in der Lage zu finden, denn diese war strategisch ungeheuer günstig: Hissarlik liegt am Eingang der kürzesten Verbindung zwischen Europa und Asien, der Meerenge der Dardanellen, die eine uralte Handelsroute darstellt. Die Stadt lag damals zwischen einem und drei Kilometer von der Küste entfernt.[15] Wegen der dortigen Strömungsverhältnisse mussten die Schiffe, die die Dardanellen passieren wollten, oft lange auf die richtigen Winde warten[16]. So waren die Besatzungen dieser Schiffe häufig auf den Handel mit der Stadt angewiesen. Außerdem konnte eine Siedlung mit einer so hervorragenden Lage die strategisch wichtige Meerenge kontrollieren, die gesamte dortige Schifffahrt überwachen und Zölle erheben. Auf derart viele Vorteile verzichtete man ungern, weswegen die Stadt wieder und wieder bebaut wurde.

 

3. Die Debatte um die exakte Lage Trojas zur Zeit Schliemanns

 

Bevor Heinrich Schliemann 1871 mit den Ausgrabungen auf dem Hügel Hissarlik begann, glaubten nur wenige Gelehrte an die reale Existenz Trojas. So sie denn daran glaubten, verorteten sie die Stadt auf einem Hügel nahe des Ortes Bunarbaschi. Anhänger der Hissarlik-Theorie gab es kaum. Im Altertum war die Lage jedoch umgekehrt: Es zweifelte niemand daran, dass das homerische Troja wirklich bestanden habe, doch auch hier löste die Frage seiner Lage Uneinigkeit aus. Man vertrat jedoch hauptsächlich die Meinung, Troja sei bei dem Dorf Ilion, dicht an der Südseite des heutigen Hissarlik, zu finden.[17] Doch seit dem Ende des 18. Jahrhunderts kamen andere Meinungen auf. Die Bunarbaschi-Theorie jener Zeit wurde maßgeblich durch den französischen Archäologen und Gesandschaftssekretär Jean Baptiste Lechavalier (1752-1836) geprägt. Dieser hatte während einer Reise nach Konstantinopel 1785/86 die Ebene von Troja besichtigt und glaubte, das homerische Troja auf einem Höhenzug nahe Bunarbaschi gefunden zu haben.[18] Viele namhafte Forscher und Gelehrte folgten dieser Auffassung, meist ohne die Örtlichkeiten selbst in Augenschein genommen zu haben: Der Kartograph Heinrich Kiepert, die Altertumswissenschaftler Ernst Curtius und Friedrich Gottlieb Welcker und nicht zuletzt der auch als Reiseschriftsteller bekannte preußische General Helmuth von Moltke[19]. Natürlich gab es auch andere Vermutungen, außerhalb dieser beiden Orte. So wollten einige zum Beispiel Alexandreia Troas oder das südöstlich von Hissarlik gelegene Çiblak als das homerische Troja identifizieren. Zu Ortsbesichtigungen, geschweige denn Ausgrabungen, kam es indessen selten bis nie. Eine der wenigen Ausgrabungen ließ der österreichische Konsul Johann Georg von Hahn bei Bunarbaschi durchführen. Hahn sah Lechavalier mit den Ergebnissen seiner Ausgrabungen bestätigt, glaubte jedoch, dass Troja eine hellenistische Stadt gewesen, dass Homerische Troja aber ins Reich der Legenden zu verbannen sei. Für diese Annahme fand er bei seiner Ausgrabung denn auch die Bestätigung, verwies jedoch auch darauf, dass „Trotz eifrigen Suchens […] dort ausser den oben erwähnten Grabhügeln nicht ein einziges Kennzeichen entdeck[t werden konnte], welches auf eine frühere menschliche Niederlassung hinwiese, nicht einmal antike Thonscherben und Ziegeltrümmer, die nie fehlenden und daher unumgänglichen Zeugen einer antiken Niederlassung.“[20] - keine Spur also vom homerischen Troja. Aus heutiger Sicht nicht verwunderlich, lassen sich die Spuren hierfür doch im 10km entfernten Hügel Hissarlik finden. Der erste seiner Zeit, der den Standort der Stadt dort annahm, war der Schotte Charles MacLaren.

 

3.1 Maclaren – Calvert – Schliemann

 

In den eben aufgeführten Auseinandersetzungen um die Lage Trojas war Charles Maclaren (1782-1866) lange Zeit kaum beachtet worden. Der Autodidakt und Journalist aus Edinburgh, Herausgeber der Zeitung The Scotsman und Mitherausgeber der Encyclopaedia Britannica, hatte schon 1822 für ein Troja auf Hissarlik plädiert. Er hatte das Rätsel am Schreibtisch durch Studien der antiken Autoren gelöst. Erst 1847 reiste er in die Troas und 1863 erschien sein Buch The plain of Troy described: And the identity of the Ilium of Homer with the new Ilium of Strabo proved by comparing the poets narrative with the present topography.[21] Der Titel enthält bereits Maclarens These, schon zu Beginn des ersten Kapitels bezeichnet er Homer – sich auf Strabon berufend – als den „father and founder of geography“[22]. Zu dem Ergebnis kommend, dass Troja mit Hissarlik gleichzusetzen sei, stellte er sich damit gegen die vorherrschende Meinung der Gelehrten. Vor allem aber gab diese Schrift den entscheidenden Anstoß für jemanden, der noch regen Anteil an der von-Hahn-Ausgrabung genommen hatte und bis 1863 ebenfalls der Meinung war, Troja sei bei Bunarbaschi zu finden: Der spätere amerikanische Konsul Frank Calvert (1828-1908). Dieser war schon in jungen Jahren in die Troas gezogen und hatte sich vom ersten Tag an mit der Landschaft und Geografie seiner neuen Heimat beschäftigt. Seine Meinung änderte sich schlagartig, als er kurz hintereinander Maclarens Buch las und anschließend miterlebte, wie von Hahn in Bunarbaschi nicht fündig wurde.[23] Nun war auch Calvert der festen Überzeugung, Troja könne nur in Hissarlik liegen. Kurzentschlossen erwarb er einen Teil des Hügels und führte 1865 Probegrabungen durch, die diese Ansicht stützen. Doch fehlte ihm das Geld für Ausgrabungen im großen Stil.[24] Seine Chance sah er, als Heinrich Schliemann am 15. August 1868 nach Çannakale kam: Während dieser die Fundstücke in seinem Haus besichtigte, erläuterte Calvert ihm seine Troja-Theorie. Es folgte ein intensiver Briefwechsel zwischen den beiden. Calvert empfahl Schliemann die einschlägigen Bücher, beantwortete Unmengen von dessen Fragen und beschrieb ihm den Hügel Hissarlik aufs Genaueste. Später stellte Schliemann diese Ereignisse so dar, dass er „bei seiner Reise durch eigene Inspektion die Lage Troias auf dem Hügel Hissarlik in Übereinstimmung mit der Theorie von Calvert erkannt“[25] habe. Sein Drang zur Selbstdarstellung und nach öffentlicher Anerkennung war derart groß, dass er Calverts tatsächlichen Verdienst verschwieg, weswegen es später häufiger zu Differenzen zwischen den beiden kam.

 

3.1.1 Schliemann vergleicht mit Homer

 

Dass Schliemann schon beim ersten Betreten des Hügels bei Bunarbaschi wusste, dass dies nicht Troja sein kann – so beschreibt er es selbst in seinem Buch Ithaka – ist fraglich, zumal Frank Calvert zu berichten wusste: „Er fragte mich nach meiner Ansicht über die wahre Lage von Troia und gab dabei zu, dass er dieser Frage bisher noch nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet habe“[26]. Wahrscheinlich ist jedoch, dass zumindest Zweifel an der Richtigkeit der Bunarbaschi-Theorie aufkamen. Einem Vergleich mit der Ilias hielt dieser Ort einfach nicht stand. Und dass diese einfach nur Dichtung, der Ort und die Ereignisse erfunden sein könnten, kam für den Homer-Verehrer, für den Ilias und Odyssee zur Bibel wurden, nicht in Frage. So schrieb Schliemann: „Nur schien sie [die Ebene von Troja] mir beim ersten Blick zu lang zu sein und Troja viel zu weit vom Meer zu liegen, wenn Bunarbaschi wirklich innerhalb des Bezirks der alten Stadt erbaut ist“[27]. Wenn man eben diese Entfernung zum Meer mit der Ilias vergleicht, findet sich die erste Unstimmigkeit: Bunarbaschi liegt ca. 14km vom Meer entfernt. Für diese Strecke bräuchte man zu Fuß drei bis vier Stunden. Homer schrieb jedoch, dass die Gesandten die Strecke teilweise bis zu sechs Mal täglich zurücklegten und dass die Kämpfe zwischen der Festung und dem Schiffslager der Griechen hin und her wogten. Dafür ist diese Entfernung jedoch viel zu lang. Außerdem konnte Helena – deren Raub durch Paris Anlass des Trojanischen Krieges war – die Anführer der Griechen erkennen, als diese zu einem Angriff aufbrachen und die Griechen konnten das Lautespiel in Troja von ihrem Lager aus hören – ebenfalls unmöglich bei einer solchen Entfernung. Schliemann fuhr mit der Aufzählung der Unstimmigkeiten fort:

 

„Als ich aber den Boden näher betrachtete und nirgends Trümmer von Ziegeln oder Töpferware entdeckte, so gelangte ich zu der Ansicht, daß man sich über die Lage Trojas getäuscht habe, und meine Zweifel mehrten sich, als ich […] die Quellen am Fuße des Hügels, auf dem Bunarbaschi liegt, besuchte“[28]

 

Von der auffälligen Übereinstimmung des Wortlautes mit dem Bericht von Hahns einmal abgesehen, waren die Quellen ein nicht zu verachtendes Indiz, hatte doch Lechavalier diese als diejenigen ausgemacht, die Homer in seinem Epos als eine heiße und eine kalte Quelle beschreibt. Bei näherer Betrachtung zählte Schliemann statt der zwei Quellen jedoch 34, sein Führer behauptete, es seien sogar 40. Das allein machte den Forscher schon stutzig, doch als er die Temperatur maß, fand er heraus, dass alle Quellen dieselbe Temperatur hatten, also keine Rede von einer kalten und einer warmen sein kann. Man muss dazu jedoch sagen, dass Quellen verschwinden und wieder hervorbrechen können, wie Schliemann auch selbst als Begründung für die fehlenden Quellen bei Hissarlik anführt[29]. Die weitaus größere Zahl der Quellen bei Bunarbaschi und das Fehlen jeglichen Temperaturunterschieds sind jedoch trotzdem zumindest merkwürdig. Eine weitere Widersprüchlichkeit ist der dreimalige Lauf um die Stadt, den laut Ilias Hektor, verfolgt von Achilleus, „stürmenden Laufs“[30] begeht. Schliemann versuchte, diesen Lauf in Bunarbaschi nachzuvollziehen, wies aber – wie auch schon von Hahn vor ihm[31], nach, dass das hier eben nicht „stürmenden Laufs“ geschehen sein konnte:

 

„Nach einem einstündigen sehr beschwerlichen Marsche kam ich auf der Südwestseite des Hügels […] an einen jähen Abhang von ungefähr 150 Meter Höhe, den die beiden Helden hinabsteigen mußten, um […] die Runde um die Stadt zu machen. Ich […] stieg den Abgrund hinunter, der anfangs unter einem Winkel von 45 Grad und weiterhin 65 Grad abfällt, so daß ich gezwungen war, auf allen Vieren rückwärts zu kriechen. Ich brauchte fast eine Viertelstunde um hinunterzukommen, und habe dadurch die Überzeugung gewonnen, daß kein sterbliches Wesen, nicht einmal eine Ziege, in eilendem lauf einen Abhang hat hinunterkommen können, der unter einem Winkel von 65 Grad abfällt, und daß Homer, der in seiner Ortsbestimmung so genau ist, gar nicht daran gedacht hat, daß Hektor und Achilleus […] diesen Abhang hinuntergelaufen seien, was absolut unmöglich ist.“[32]

 

Zu all diesen Unstimmigkeiten mit der Ilias kam noch die offensichtlichste: Troja war nur ungefähr 700 Jahre vor den beiden von Homer ebenfalls als zyklopisch beschriebenen Städten untergegangen: Mykene und Tiryns. Von diesen beiden ist jedoch mehr als genug erhalten um zu erkennen, dass sich diese Städte dort befanden. In Bunarbaschi fehlte jede Spur.

 

Schliemann schrieb, er habe trotz all dieser Unstimmigkeiten, sofort Probegrabungen begonnen, um ein für alle Male Klarheit zu haben. Sein Bericht über diese Probegrabungen ähnelt aber, wie schon erwähnt, auffallend dem von Hahns. Manfred Flügge geht sogar so weit zu behaupten „Er hatte den Hügel Bunarbaschi besichtigt, dort möglicherweise Ausgrabungen gemacht, jedoch erinnert alles, was er schildert, so sehr an den Bericht des Konsuls von Hahn, dass auch hier wohl nur eine identifizierende Übernahme geschah.“[33] Tatsächlich fühlte auch ich mich bei Schliemanns wiederholten Angaben über das Fehlen der „kleinsten Spuren von Ziegeln oder Töpferware“[34] und den Umstand, dass die Arbeiter „Fast überall […] bei einer Tiefe von einem halben bis ein Meter in den Felsen [eindrangen]“33 sehr stark an den Bericht von Hahns erinnert, da dieser gerade diese beiden Umstände fast wörtlich genauso schildert[35][35]. Doch soll dies nur nebenbei erwähnt sein. Wichtig ist, dass die hier aufgeführten Angaben Homers, die mit den Gegebenheiten in Bunarbaschi so gar nicht zusammen passen wollten, im Zusammenspiel mit den Ausführungen Calverts Schliemann zu der Überzeugung brachten, Troja könne nur in Hissarlik zu finden sein.

 

3.2 Die Troja-Ausgrabungen Schliemanns

 

Trotzdem die Grabungserlaubnis noch nicht eingetroffen war, begann der von Natur aus ungeduldige Heinrich Schliemann am 9. April 1870 mit seinen Grabungen auf dem Hügel Hissarlik. Er tat dies mit vorerst zehn Arbeitern. Wie Calvert vorgeschlagen hatte, schnitten sie den Hügel von oben her durch mehrere breite und tiefe Gräben an[36] (Schliemann wollte anfangs den kompletten Hügel abtragen bis er auf das homerische Troja stoßen würde – glücklicherweise überredete Calvert ihn zu einer weniger schadenbringenden Methode[37]). Zwar hatte der Hobbyarchäologe schon nach wenigen Stunden Erfolg, sodass er 11 weitere Arbeiter einstellte, doch ließ der Ärger nicht lange auf sich warten: Da er nicht nur auf Calverts Hügelhälfte gegraben hatte, forderten die anderen Eigentümer Entschädigungen. Als sich die ersten größeren Mauerfunde auftaten, wurde Schliemann gezwungen, seine Ausgrabungen vorerst abzubrechen – der deutsch-französische Krieg war ausgebrochen und Schliemann eilte besorgt nach Paris, um sich zu erkundigen, inwieweit seine dortigen Besitztümer – vornehmlich Mietshäuser – Schaden genommen hatten. Dieser illegale Beginn der Ausgrabungen beschleunigte die Erteilung der Grabungserlaubnis wohl nicht unbedingt, doch traf sie am 27. September 1871 endlich ein. Am 11. Oktober wurden die Ausgrabungen mit 80 Arbeitern in Angriff genommen. Durch den Wintereinbruch dauerten diese aber nur bis zum 24. November an. In dieser Zeit war bereits ein 10 Meter tiefer Graben am Nordabhang gezogen, die Trümmer eines Turms, den Schliemann in die Zeit von Neu-Ilion datierte, gefunden, die Grundmauern eines Gebäudes zerstört und Überreste einer steinzeitlichen Siedlung entdeckt worden.[38] Letztere irritierten Schliemann sehr und säten Zweifel bei ihm. Im März 1872 kehrte er mit seiner Frau nach Hissarlik zurück, beschäftigte erst 100, dann 130, manchmal bis zu 150 Arbeiter. Im Wesentlichen aber gingen die Troja-Ausgrabungen so weiter wie sie angefangen hatten: Es wurde um Formalitäten gefeilscht, gegraben, viele Funde gemacht, Mauern ans Tageslicht befördert, die für Schliemann uninteressanten Bauten zerstört, um an die darunterliegenden Schichten zu gelangen, und immer wieder Funde steinzeitlicher Prägung getätigt, die Schliemann an den Rand der Verzweiflung trieben. Erst später begriff er, dass die Schichten sich durch das Einplanieren und Überbauen gerade am Rand des Hügels vermischt hatten. Doch zu dieser Zeit passten diese Funde nicht in das Bild des unerfahrenen Archäologen. Dieser war, einer Annahme Homers folgend, der Meinung, vor dem Troja der Ilias habe es keine Besiedlung auf Hissarlik gegeben, weswegen er das homerische Troja auf dem natürlich gewachsenen Felsgrund des Hügels suchte – alle darüber liegenden Schichten waren ihm im Weg. Er selbst schrieb in seinem Grabungsbericht über das zweite Jahr der Grabungen in Hissarlik: „Da es meine Absicht war, Troja auszugraben, und da ich dasselbe in einer der untern Städte zu finden erwartete, mußte ich manche interessante Ruine in den oberen Schichten zerstören“[39]. Dass Homer, und damit auch er sich geirrt hatten, sah er jedoch schon im zweiten Jahr der Grabungen ein: In der zweiten Schicht oberhalb des Urbodens fand er eine „Mauer, die in sogenannter cyklopischer Art […] gebaut war“[40]. Im Folgejahr fand er in derselben Schicht eine von Asche bedeckte Straße, welche zu einem Tor führte, das nach Schliemanns Auffassung das Skäische Tor war. Im Mai 1873, schon nachdem er angekündigt hatte, die Grabungen in Troja für immer zu beenden, da er seiner Meinung nach die Existenz Trojas an diesem Ort hinlänglich bewiesen hatte, stieß er schließlich auf einen größeren Goldfund, den er für den Schatz des Priamos hielt. Da er diesen für die Wissenschaft bewahren wollte, schaffte er ihn – entgegen der Vereinbarung mit der Türkei – heimlich von der Ausgrabungsstätte fort. Dieses Handeln zog ein langwieriges Gerichtsverfahren mit der Türkei nach sich, welches 1875 mit der Zahlung einer großzügigen Entschädigung seitens Schliemanns endete. Am 17. Juni 1873 endeten die Ausgrabungen auf Hissarlik vorerst. Doch Schliemann war noch immer von Zweifeln geplagt: Das von ihm ausgegrabene Troja war zu klein, konnte dem Vergleich mit Mykene und Tiryns, wo er in den Folgejahren Grabungen tätigte, nicht standhalten. Diese Zweifel hörten nicht auf an ihm zu nagen, und so entschloss er sich 1878 zu einer zweiten Grabung. Trotzdem diese erst im September begann, wurden abermals Schatzfunde getätigt. Im folgenden Jahr wurden die Ausgrabungsarbeiten am 1. März gestartet und Rudolf Virchow, sowie Émile Burnouf beteiligten sich daran. Letzterer betätigte sich als Geologe und zeichnete vor allem die längst überfälligen Pläne und Karten, während Ersterer die botanischen, geologischen und zoologischen Verhältnisse der Ebene von Troja untersuchte, vor allem auch die Beschaffenheit der bei den Ausgrabungen zutage geförderten Schuttmasse[41]. In diesem Jahr legte Schliemann die komplette Stadtmauer, auf die er schon bei seiner ersten Grabung gestoßen war, frei. Bei einem Ausflug mit Virchow regte dieser an, für die nächsten Ausgrabungen einen Fachmann zu suchen und empfahl ihm Wilhelm Dörpfeld. Dörpfeld begleitete dann auch die dritte und vierte Ausgrabung in Troja und führte diese nach dem Tode Schliemanns weiter. Die beiden hatten schon vorher in Orchomenos zusammengearbeitet und Schliemann hoffte, mit Dörpfelds Hilfe nun endlich das Rätsel um Troja zu lösen, welches ihm nach wie vor zu klein erschien. Dörpfeld zeichnete sehr korrekte, maßstabsgetreue Pläne, die auch vor der Fachwelt Bestand haben würden. Außerdem ergaben Dörpfelds Entdeckungen des Jahres 1882, dass Schliemanns Troja nur die Anlage für die herrschende Oberschicht gewesen war und es für die Bevölkerung eine Unterstadt gab. Seine Ausgrabungsarbeiten ergaben ein ganz neues Bild der bisher angenommenen Schichtenfolge. Nach dieser Grabung erklärte Schliemann seine Arbeit auf Hissarlik wiederum für beendet, nahm sie aber durch den eingangs erwähnten andauernden Streit mit Hauptmann a.D. Bötticher im Zuge der zweiten Gelehrtenkonferenz in Troja im Jahr 1890 wieder auf. Hier taten sich Funde auf, die auch Schliemann zu der Einsicht bewegen mussten, dass die zweite Stadt über dem Felsgrund nicht das homerische Troja gewesen war. Da Schliemann an Weihnachten desselben Jahres starb, konnte er nicht mehr miterleben, wie Dörpfeld die sechste Stadt als das homerische Troja ausmachte – endlich von der Größe, sich mit Mykene und Tiryns vergleichen zu können.[42] Heinrich Schliemann hatte das Troja Homers also gefunden und doch nicht gefunden. Allerdings wurde nur durch seine Ausgrabungen die Lage der sagenumwobenen Stadt festgestellt und ihre Existenz bewiesen. Damit war Schliemanns erstes Ziel, Homer als ernstzunehmenden „Reiseführer“ zu etablieren, erreicht.

 

4. Ausblick

 

Dass Schliemann die Entdeckung Trojas nicht allein Homer zu verdanken hat, ist offensichtlich geworden. Trotzdem stützte er sich zu einem guten Teil auf ihn. Dass er dies tat, weil auch andere vor ihm Homer für bare Münze nahmen, vor allem namhafte antike Persönlichkeiten, ist hoffentlich genauso klar geworden wie die Tatsache, dass ihm nicht viel anderes übrig blieb, als den Dichter ernst zu nehmen. Homer war schließlich die einzige Quelle über Troja und seinen großen Krieg, zu Schliemanns Zeit. Wollte er Troja finden, konnte er sich nur darauf stützen.

 

Schliemanns Ziel war es, die Zweifel an der Historizität Homers und seinen Darstellungen zu tilgen. Dies ist ihm nur zum Teil gelungen. Er hat bewiesen, dass Homers Epen nur den Hügel Hissarlik meinen können, hat dort auch tatsächlich mehrere Städte gefunden, von denen eine die Merkmale aufweist, die das homerische Troja haben muss. Doch die Zweifler waren danach noch lange nicht verstummt. 1906 schrieb der Altphilologe Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff „Die Leute werden nie aussterben, welche den Todeslauf Hektors auf der Karte einzeichnen, und auch die, welche den Glauben an Hissarlik bewahren[...]. Darüber ereifert man sich nicht, man nimmt es aber auch nicht ernst.“[43] Eine derart ablehnende Haltung gegenüber der Historizität Trojas ist kein Einzelfall. Auch nach den vielen Grabungen, die nach Schliemann gemacht wurden und bis heute gemacht werden, haben die Kritiker noch immer nicht genügend Beweise. Ein Jüngeres Beispiel das auch in der Tagespresse über mehrere Wochen hohen Anklang gefunden hat, ist die Korfmann-Kolb-Kontroverse, die erst zwölf Jahre zurückliegt. Archibald Henry Sayce sagte dazu: „Es ist kein Wunder, wenn eine so wunderbare Aufdeckung einer Vergangenheit, an welche zu glauben wir aufgehört hatten, viele Kontroversen erweckt […]. Es ist kein Wunder, wenn anfänglich der Entdecker, welcher die festgewurzelten Vorurteile des Geschichtsschreibers so ungestüm bekämpft hatte, einen Sturm von empörter Opposition oder versteckter Angriffe begegnete“[44] Doch egal wie man Schliemann und seinen Trojafund werten will, er hat es in jedem Fall vollbracht, die Stadt aus dem Reich der Legenden auf den Seziertisch der wissenschaftlichen Archäologie zu holen. Dank ihm glauben heutzutage die meisten Menschen an die tatsächliche Existenz des homerischen Troja.

 

5. Literatur und Quellen

 

Bölke, Wilfried (Hrsg.): Vorträge auf dem Kolloquium des Heinrich-Schliemann-Museums Ankershagen: Heinrich Schliemann – Begründer der Wissenschaft vom Spaten? Am 9. und 10. Juni 2001 in Waren (Müritz) an der Europäischen Akademie Mecklenburg-Vorpommern. In: Mitteilungen aus dem Heinrich-Schliemann-Museum Ankershagen. Heft 7. Ankershagen 2001

 

Brustgi, Franz Georg: Heinrich Schliemann. Der Traum von Troja. München 2004

 

Cobet, Justus: Heinrich Schliemann: Archäologe und Abenteurer. München 2007

 

Flügge, Manfred: Heinrisch Schliemanns Weg nach Troia. Die Geschichte eines Mythomanen. München 2001

 

Hahn, Johann Georg von: Die Ausgrabungen auf der homerischen Pergamos. Leipzig 1865

 

Herrmann, Joachim (Hrsg.): Heinrich Schliemann. Grundlagen der Ergebnisse moderner Archäologie 100 Jahre nach Schliemanns Tod. Berlin 1992