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Ob ein Schlossfräulein sich rächen will, Elben um ihre Existenz kämpfen, Kinder die Tabus ihrer Familien aufdecken und Kulturen aufeinander stoßen – Ann-Kristin Vinterberg entführt ihre Leser nach Grönland, Portugal, Irland und an die dänische Westküste. Es sind Geschichten über Liebe und Treue, Verlust und Trauer, Mord und Neuanfänge … Leserstimme Honigkind war mein erstes Buch von Ann-Kristin Vinterberg, da ich sonst nicht in dem Genre zu Hause bin. Aber ich war neugierig, da ich die Autorin bisher als Schreibhebamme kannte und für meinen nächsten Thriller schon einmal die Fühler nach einer Lektorin ausstrecke. Ann-Kristin hat mit diesem tollen Buch nicht nur eine neue Leserin in mir bekommen, sondern vielleicht auch eine neue Autorin.
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Wortzähler: 16865
und andere Kurzgeschichten
von
Ann-Kristin Vinterberg
Ob ein Schlossfräulein sich rächen will, Elben um ihre Existenz kämpfen, Kinder die Tabus ihrer Eltern aufdecken und Kulturen aufeinanderstoßen - Ann- Kristin Vinterberg entführt ihre Leser mit ihren 17 Kurzgeschichten nach Grönland, Portugal, Irland und an die dänische Westküste. Es sind Geschichten über Liebe und Treue, Verlust und Trauer, Mord und Neuanfänge …
Die Autorin
Ann-Kristin ist in Paderborn geboren und aufgewachsen. Nach einem Abstecher nach Südfrankreich, zog sie der Liebe wegen nach Dänemark. Heute lebt die Autorin mit ihrer Familie in Hellerup, nördlich von Kopenhagen. Hauptberuflich arbeitet sie in einem Verlag, Ghostwriterin und Lektorin.
2014 schrieb sie ihren weihnachtlichen Winterroman Schneefrau küsst Schneemann. Danach wollte Ann-Kristin nur noch weiter schreiben.
2015 erschien ihr zweiter Roman der Duft von Broken Leaf, eine romantische Geschichte, die sowohl auf den Azoren und in Kopenhagen angesiedelt ist.
Nach Lied des Lebens (2019) und das Dünenhaus (2019) ist Honigkind (2020) ihr fünftes Buch.
Weiter Informationen unter: www.ann-kristinvinterberg.de
ã 2020 Ann-Kristin Vinterberg
1.Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten.
Ann-Kristin Vinterberg, Kollegievej 2, DK 2920 Charlottenlund
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Dieses Buch ist
Bernadette, Beate und Regina
gewidmet,
die mir im Bett die ersten Geschichten vorgelesen und die Liebe für das Leben und Geschichten in mir geweckt haben …
An den Scheidewegen
des Lebens
stehen keine Wegweiser.
Charles Chaplin
Ann-Kristin Vinterberg
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HONIGKIND
und andere Kurzgeschichten
Inhaltsverzeichnis
Honigkind7
I carry your heart with me11
Nine Million Bicycles14
19
Bernsteinfunkeln19
Bright Eyes23
24
25
Der Engelmacher25
Annas Geheimnis28
31
32
Kissenschlacht32
34
Ein Hauch von Liebe34
37
Eiskalte Leidenschaft37
41
42
Ehrensache42
Lügengeschichten45
48
Enthüllung48
Erwartung52
54
Hitze54
Ein neuer Anfang56
Die Madonna59
62
Honigkind
Noch 1400 Herzschläge bis Mitternacht.
Ich warte, hänge in der gramgebeugten Birke hinter Dragsholm Slot und sehe auf mein Gefängnis. Menschen aus aller Welt kommen hierher, und ich, die weiße Dame, warte auf sie.
Noch 1050 Herzschläge bis Mitternacht.
Meine Geschichte? Die sollst du haben. Verzeih, aber hier in Dänemark duzen wir alle. Außerdem bin ich viel älter als du. Sollte hier jemand gesiezt werden, dann ich. Ich war ein Schlossfräulein, voller Lachen, gehüllt in knisternde Stoffe, und meine Träume schmeckten so süß wie der Honig aus den Bienenstöcken im Garten. Dort arbeitete Rune, der Sohn des Gärtners. Er kümmerte sich um die Bienenkörbe. Fasziniert sah ich zu, wie er den Honig schleuderte, der wie pures Gold in den Eimer floss. Sämig und leuchtend. Rune reichte mir eine Wabe.
„Hier, bitte, gnädiges Fräulein, der Honig ist so süß wie das verheißene Land.“
Ich legte meine Lippen um das Geschenk. Süße explodierte in meinem Mund, ich saugte, genoss die zuckerige Fülle auf meiner Zunge während ich meine Augen nicht von Rune lassen konnte. Die breiten Hände, die so behutsam mit den Bienen umgingen. Seine Muskeln, flechsig wie ein wilder Stier, zeichneten sich durch sein abgewetztes Wams ab, wenn er sich bückte. Die Füße hinterließen Spuren im feuchten Gras.
„Bei den Bienen ist es anders als bei uns Menschen“, sagte er und nahm die nächste Wabe aus dem Bienenstock. Ein wissendes Lächeln umspielte seinen Mund. „Dort bestimmt die Königin. In ihrem Reich haben die Männer nichts zu sagen!“ Er zwinkerte mir zu. „Würde Euch das gefallen?“
Ich lutschte an meiner Wabe. Bestimmen. Das bedeutete Macht. So wie mein Vater über das Leben seiner Frau herrschte. Über mich bestimmte. Das Leben seiner Bauern und Knechte und Dienstmägde lenkte. Ich schloss die Augen halb. Die Sonne zauberte Lichtsprenkel in meine Dunkelheit. Macht schmeckte süß wie dieser Honig. Ganz sicher. Wenn ich bestimmen könnte, würde ich selbst entscheiden, mit wem ich alt werden wollte.
Rune sah mich an. „Schmeckt es Euch, gnädiges Fräulein?“ Wieder blitzte der Schalk in seinen Augen. Glück durchströmte mich, köstlich wie der Honigkuchen, den Ingegerd aus der Küche an den Festtagen backte und in den Rittersaal trug.
„Macht schmeckt süß“, flüsterte ich und leckte mir über die Lippen.
Noch 700 Herzschläge bis Mitternacht.
Oh, ich schwatzhaftes altes Weib. Gleich ist es so weit. Aber du willst noch wissen, was dann passierte?
Ach, das war ein Sommer! Ich dachte, er würde nie vergehen. Mir schien, als hätte ich alle Macht. Macht über Rune, dessen Küsse köstlicher waren als sein Naschwerk. Ich fühlte die Macht einer Bienenkönigin, die nach ihren Gesetzen lebte.
Aber dann quoll mein Bauch. Runes Honigsaft hatte sich eine Wabe in mir gebaut. Unser Honigkind wuchs in meiner Königinnenmilch.
Es war Runes Kind. Nicht das Kind des Edelmannes, dem ich versprochen war. Seine Küsse waren kratzig wie sein schlecht gestutzter Bart. Sein Atmen stank nach ranzigem Fisch, wenn er mir nahe kam. Sobald er mich mit gierigem Blick auskleidete, schwoll seine Schamkapsel an.
Wie sehr täuschte ich mich. Als hätte ich jemals mein Geschick in der Hand gehabt! Wie naiv war ich! Die Süße der Liebe ließ mich jede Vorsicht vergessen.
Rune wurde des Landes verwiesen. Ich ertränkte Kummer und Tränen in salzigen Wein. Als mein Bauch rund wurde wie eine reife Frucht, kamen eines Nachts die Dienstboten. Keiner meiner Befehle konnte sie aufhalten. Sie schoben mich in eine Kammer und als ich keine Ruhe gab, schlugen sie mich. Ich verlor das Bewusstsein. Sie mauerten mich und meine Träume ein.
Als ich aufwachte, umhüllte mich die Nacht wie ein schwarzer Mantel. Kein Mond, keine Sterne. Nur pechschwarze Finsternis. Mein Kind strampelte wütend in meinem Bauch. Dann wurde es ruhiger, bis es ganz still war. Ich warf mich gegen die kalten Steine, schrie. Meine Kehle dörrte aus wie ein Bach in der Sommerhitze. Ich zitterte vor Kälte und Angst. Meine Finger ertasteten die rissigen Steine. Erschöpft legte ich meinen Kopf auf die Knie, umschlang sie, wie um mich festzuhalten. Um mein Kind zu wiegen. Allein mit dem Honigkind, kauerte ich mich auf die Erde.
Noch 490 Herzschläge bis Mitternacht.
Schnell, schnell, ich rede zu viel.
Ruhe? Nein, Ruhe fand ich nicht.
Macht will ich, mehr als je zuvor. Bittersüße Rache. Heute werde ich sie bekommen.
Als ich am Nachmittag in der Birke meine weißen Kleider im Wind baumeln ließ, hatte sich wieder eine Menschentraube an meinem Kerker ergötzt. Der Führer, im Landlordstil und mit einem Stock, erzählte meine Geschichte. Tausendmal habe ich sie gehört, wieder und wieder, mal ausgeschmückt wie das Kleid, das ich zu meinem ersten Ball trug, dann wieder nüchtern wie die zerschlissene Kleidung von Rune. Aber nie erzählt er die ganze Wahrheit. Die kenne nur ich. Und Rune.
Heute war da diese Frau, Kristine, schwanger wie ich. Ihr Babybauch zeichnete sich sachte unter dem Kleid ab. An ihren Armen und Beinen schimmerten Blutergüsse, veilchenviolett, meeresblau und braun wie die Erde auf dem Friedhof. Neben ihr ragte ein Mann auf. Herrisch wie ein allmächtiger König zeigte er auf die Zelle und grinste, schamlos. Sein Flüstern, als er Kristine ins Ohr zischelte, hörte nur ich: „So geht es Flittchen, die bestimmen wollen.“
Ich wollte ihn schlagen, aber meine Hände glitten durch seinen Körper, konnten ihn nicht fassen.
Er schläft in meinem Schloss. Ich kann ihn hören, sein Schnarchen, genauso überheblich wie seine Worte. Alles überdröhnend. Er weiß nicht, was auf ihn wartet. Wer auf ihn wartet. Die Bienenkönigin mit ihrem Stachel. Nie wieder soll eine Frau in diesem Schloss Opfer sein.
Noch 350 Herzschläge bis Mitternacht.
Der Wind zerrt an meinen Gewändern. Sie mögen für andere unsichtbar sein, ich spüre die Berührung an meinem kalten Körper. Wie der frostige Nebel mache ich mich auf den Weg, krieche durch die Ritzen ins Schloss, schwebe in den ersten Stock, wo sich die Gästezimmer befinden und …
Noch 140 Herzschläge bis Mitternacht.
Wie gut, dass ich keinen Körper mehr habe. Ich schlüpfe durch das Schlüsselloch. Da liegt er, das Bettzeug über sich aufgetürmt wie ein Eisberg. Alles zittert unter seinem schnarrenden Atem. Sein Arm hängt schlaff über der Kante.
Die Turmuhr schlägt. Eins. Ich lasse mein Gewand über seine Finger gleiten. Er soll den Hauch des Todes spüren.
Zwei. Den Hals herauf.
Drei. Über sein Gesicht.
Vier. Fünf. Sechs. Sein Atem stockt. Er prustet, atmet weiter.
Sieben. Acht. Neun. Meine Zeit ist gekommen.
Zehn. Elf. Ich beuge mich über ihn und sauge ihm das Leben aus.
Zwölf. Süß und zuckrig schmeckt es. Wie der Honig aus Runes Wabe.
Info
Dragsholm Slot ist eines der ältesten Schlösser Dänemarks. Bis heute gibt es immer wieder Berichte von Begegnungen mit drei Geistern: die graue und die weiße Lady und den Grafen von Bothwell.
Die Bienenkönigin oder die weiße Lady wurde eingemauert.