Horror Western 05: Leben und Sterben in Virginia - Ralph G. Kretschmann - E-Book

Horror Western 05: Leben und Sterben in Virginia E-Book

Ralph G. Kretschmann

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Beschreibung

Der Goldrausch in Montana ist vorbei. Die Leute verlassen Virginia City, als der Geist eines Revolverhelden mordend durch die nächtlichen Straßen zieht. Hardin, der Träger des magischen Colts, stellt sich ihm. Doch die sonst tödliche Waffe versagt.

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Horror Western

In dieser Reihe bisher erschienen

3801 Ralf Kor Blutmesse in Deer Creek

3802 Earl Warren Manitous Fluch

3803 Ralph G. Kretschmann Im Sattel saß der Tod

3804 Ralph G. Kretschmann Der Fluch des Mexikaners

3805 Ralph G. Kretschmann Leben und Sterben in Virginia

3806 U. H. Wilken Die Nacht der Bestien

Ralph G. Kretschmann

Leben und Sterben in Virginia

Ein Horror-Western

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerInnenillustration: Ralph G. KretschmannVignette: iStock.com/IMOGISatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-285-1Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Ein Weg ist kein Ziel

Manche Männer träumten; und wenn sie erwachten, erinnerten sie sich an diese Träume, in bunten Bildern und aller Deutlichkeit. Hardin gehörte nicht zu diesen Leuten. Er erinnerte sich kaum an seine Träume und wenn, dann verschwommen, wie in einen geistigen Nebel gehüllt. Seit ein paar Wochen aber hatte er einen, der sich wiederholte, in immer gleicher Art und Weise.

Hardin wusste, dass der Traum ihm etwas sagen sollte, aber er verstand die Botschaft nicht. Seit er von einem Geist einen magischen Revolver erhalten hatte, der selbst Tote töten konnte, hatte er schon die seltsamsten Dinge erlebt; und er konnte einen normalen Traum von einem unterscheiden, der nicht normal war.

Es war immer gleich ...

Er ritt auf seinem Braunen durch eine bewaldete Landschaft mit sanften Hügeln und blühenden Blumen. Schmetterlinge tanzten im Dunst über den Wiesen und eine wärmende Sonne schien von einem blauen Firmament, über das vereinzelte Schäfchenwolken dahin­trieben.

Aber da war eine Stelle, die war umrandet von verdorrtem Gras. In der Mitte der Stelle war der Boden schwarz, als habe dort ein Brand getobt. Und aus der Schwärze erhob sich etwas. Etwas, das Hardin nicht erkennen konnte, in seinem Traum. Und jedes Mal erwachte er schweißgebadet.

Ein Zustand, der Hardin missfiel.

Die Landschaft, die er in seinen Träumen sah, kam ihm bekannt vor. Er war sicher, schon einmal dort gewesen zu sein, aber er konnte zum Henker nicht sagen, wo dieses dort lag.

Wyoming? Virginia? Montana? Von Texas aus, wo er die ersten Male den Traum gehabt hatte, war das alles nordöstlich. Er hatte kein anderes Ziel, keine Aufgabe. Weshalb also nicht nach Norden reiten? Warum nicht nach Osten? Überall war es besser als in dem von Gott verlassenen Kaff im Nirgendwo von Texas, in dem es nichts gab, als den Saloon und die Kirche.

Hardins Partner, ein hochgewachsener Schwarzer aus Kanada mit dem Namen Horace Jackson, hatte einen Job als Landvermesser für die Eisenbahn angenommen und würde erst gegen Ende des Herbstes wieder zu ihm stoßen. Also hatte Hardin jede Freiheit, die sich ein Mann wünschen konnte. Er hatte ein paar Hundert Dollar vom letzten Job in der Tasche, ein Pferd, einen Sattel und alles, was ein Mann im Westen benötigte.

Weshalb dann nicht einfach losreiten und sehen, was sich finden ließ?

Sein Brauner schien es zu genießen, endlich wieder über die weiten Ebenen galoppieren zu dürfen. Hardin überließ dem Pferd die Entscheidung, wohin der Weg führte. Er selbst hielt nur ganz grob die Richtung. Nordost.

Texas war kein Land der Bäume. Je weiter Hardin ritt, desto grüner, satter und waldiger wurde die Landschaft. Dies war das Land der Crow. Jeder Weiße war gut ­beraten, sich vorzusehen. Einige Stämme waren den Bleichgesichtern nicht eben wohlgesonnen und ein einzelner, einsamer Reiter vermochte eine Verlockung für einen Krieger abgeben, der sich leichte Beute versprach. Diese Gegend war nur dünn besiedelt und kein Hahn würde nach einem Weißen krähen, der in den Weiten des Westens verloren ging.

Straßen gab es kaum, und wenn es sie gab, waren sie selten mehr als ausgetretene Trampelpfade. Man ritt der Sonne nach oder folgte einer Karte und der zitternden Nadel eines Kompasses, um sich zurechtzufinden.

Der Treck, der sich vor Hardin hinstreckte, nachdem der Braune ihn über einen sanften Hügel getragen hatte, erstaunte ihn. Vor ihm zogen Hunderte von Wagen, Wägelchen, Gespannen und Reitern nach Süden, manche gezogen von Pferden und Eseln, andere von dem Menschen, denen gehörte, was auf den Wagen gestapelt war. Es sah aus wie eine ganze Stadt auf Rädern. Einige der größeren Fuhrwerke waren so hoch mit Möbeln und Gepäck beladen, dass Hardin sich fragte, weshalb die Fahrzeuge nicht umstürzten. Aber was nicht war, konnte noch werden, und als hätte er es beschrien, kippte in einer ausgefahrenen Kurve ein Fuhrwerk um und blieb auf der Seite liegen. Das ziehende Pferd wurde mit umgerissen und der folgende Wagen konnte dem verunfallten Fuhrwerk nicht mehr ausweichen. Das Chaos war perfekt. Tiere wieherten, Menschen schrien.

Hardin lenkte den Braunen auf die Unfallstelle zu.

„Kann man helfen?“

Die Leute, die damit beschäftigt waren, ihr Hab und Gut von dem umgestürzten Wagen zu laden und das Zugpferd aus dem Geschirr zu befreien, betrachteten den hochgewachsenen Fremden argwöhnisch. Ein fast kahlköpfiger Mann mit Weste und gestärktem Hemd, der nicht den Eindruck machte, als habe er viel harte Arbeit geleistet, richtete sich auf und wandte sich Hardin zu.

„Unser Fuhrwerk ist umgestürzt“, erklärte er überflüssigerweise, als sei das nicht augenscheinlich.

„Sehe ich“, sagte Hardin amüsiert. Er löste sein Lasso vom Sattel und warf dem Mann das Ende zu, in das er die übliche Schlinge geknüpft hatte, die Cowboys zum Einfangen junger Rinder nutzten.

„Wirf das über die Ladefläche und bind’s oben am hinteren Rad fest“, wies er den Mann an. „Dann haben wir das Ding gleich wieder auf die Räder gestellt!“

Der Mann mit der Weste tat, was Hardin ihn geheißen hatte, und band das Lasso um die oberste Speiche des Wagenrades. Hardin ließ den Braunen anziehen, bis das Lasso straff gespannt war. Er wandte sein Ende um den Sattelknauf und gab seinem Pferd den Befehl, den er ihm beigebracht hatte. Ein leichter Klaps auf die Schulter, und der Braune bewegte sich langsam vorwärts. Stück für Stück richtete sich das Fuhrwerk auf und kippte dann auf seine Räder.

„Danke, Fremder!“, sagte der Mann mit der Weste und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Im Namen der ganzen Familie Wilson! Ohne deine Hilfe hätten wir Stunden gebraucht.“

„Mein Name ist Hardin“, stellte Hardin sich vor. „Und ... gern geschehen. Sicher hätte dir auch einer der anderen geholfen, nehme ich an, Mister Wilson.“

„Die da?“

Der Mann mit der Weste warf einen Blick auf die vorbeirollende Kolonne von Fahrzeugen und Reitern.

„Wohl kaum. Denen sind wir völlig egal! Die haben genug mit sich selbst zu tun!“

„Was ist hier eigentlich los? Warum diese Völkerwanderung?“, wollte Hardin wissen.

„Die kommen alle aus Virginia City, genau wie wir. Die meisten kenne ich nicht.“

Der Mann mit der Weste trat näher zu Hardin heran.

„Die Minen sind erschöpft. Haben dichtgemacht, und das hat der Wirtschaft das Genick gebrochen, wenn ich’s mal so formulieren darf. Niemand bekommt mehr Lohn, keiner hat mehr Geld. Was soll man machen? Von irgendwas muss man ja leben! Meine Familie und ich, wir gehen nach Westen. Da kann ein Mann noch etwas machen, wie man hört.“

„Kann man, aber einfach wird’s nicht“, meinte Hardin. „Der Westen ist voller Gefahren ... wenn man sich nicht auskennt.“

„Wir werden’s schon schaffen!“, erklärte der Mann mit der Weste im Brustton der Überzeugung.

„Ich wünsche dir und deiner Familie viel Glück, Mister Wilson! Pass auf dich auf!“

Hardin tippte an die Hutkrempe und gab dem Braunen die Sporen. Er hatte ein Ziel, wenn auch nur ein vorläufiges. Virginia City.

Der Ritt führte ihn am Treck entlang, der sich in die entgegengesetzte Richtung bewegte. Fort von Virginia City. Der Duft der Ponderosa-Kiefern, die in einem lichten Wald den Weg säumten, lag schwer in der fast windstillen Luft. Störend waren nur das Rattern der eisenbeschlagenen Räder der Planwagen und das Geschrei der Menschen.

Je weiter er sich der Stadt näherte, desto lichter wurden die Bäume und eröffneten den Blick auf die sanften Hügel Montanas.

Pinkertons Dienste

Horace Jackson hatte ein klein wenig ein schlechtes Gewissen, dass er seinen Partner angelogen hatte, was sein Vorhaben anging. Er hatte Hardin erzählt, man habe ihm einen Job als Landvermesser angeboten, aber das, was er zu tun vorhatte, war so weit von der Vermessung von Land entfernt, wie der Atlantik es vom Pazifik war.

Er hatte, noch bevor er losgeritten war, ein Telegramm nach Chicago geschickt. Das Kabel war an die Pinkerton-Agentur gerichtet, die wohl bekanntesten Privatdetektive der Welt. Sie hatten den Ruf, hinter jedes Geheimnis zu kommen. Horace Jackson hatte beschlossen, diesen Ruf auf die Probe zu stellen.

Das Telegramm war das teuerste, das er je aufgegeben hatte, denn es war ein langer Text, den der Mann im Telegraphenbureau übermitteln musste. Jackson hatte genaue Anweisungen für die Männer von Pinkerton. Er hatte gewartet, bis er die Antwort erhalten hatte, bevor er aufgebrochen war. Sie war kurz und bündig.

„Nehmen Auftrag an. Treffen unsere Mitarbeiter Mr. Smith und Mr. Jones in San Diego, Golden ­Nugget Saloon.“ Es folgte das Datum, an dem sich Jackson dort einfinden sollte. Er hatte reichlich Zeit. Zeit, die die Leute von Pinkerton nutzen konnten, seinen Auftrag auszuführen. Jackson war ein Mann der Wissenschaft. Er war Geologe, hatte eine akademische Ausbildung, auch wenn die ihm im Westen noch wenig genutzt hatte. Er hatte seine Probleme mit dem Glauben, genau wie Hardin, sein Partner, aber aus ganz anderen Gründen.

Er hatte immer rational gedacht. Ein Fels ist ein Fels, eine Wolke eine Wolke. Und ein Toter war tot. So hatte er gedacht. Aber ein Toter war mitnichten nur ein Toter. Was er in den letzten Monaten erlebt hatte, widersprach allem, was er gedacht, geglaubt und vertreten hatte. Es gab eine Welt hinter der, in der er lebte. Es gab Dinge zwischen Himmel und Erde, die den Naturwissenschaften entgegenstanden. Das konnte und wollte er so nicht einfach hinnehmen.

Der einzige Anhaltspunkt, den er hatte, Hardin einmal ausgenommen, war dieser ominöse Doc Elliot, den er selbst nie zu Gesicht bekommen hatte. Er hatte das Grab des Docs gesehen und damit war klar, dass es diesen Menschen einmal gegeben hatte. Aber das war auch schon alles. Hardin hatte ihm vom Doc erzählt. Jackson hatte es nicht für bare Münze genommen. Aber irgendwie war irgendwas an diesem Elliot, das danach schrie, genauer erforscht zu werden. Das war wenigstens Jacksons Intention und Grund genug, sein Geld für die Dienste der Pinkertons auszugeben und seinen schwarzen Hintern nach San Diego zu bewegen.

Er wollte mehr über diesen Doc Elliot erfahren. Neugier war immer schon ein starker Antrieb für Jackson. Elliot hatte gelebt und er musste Spuren hinterlassen haben. Die Pinkertons würden herausfinden, welche Spuren der Doc hinterlassen hatte. Elliot war tot, aber er schien aus dem Sarg heraus noch Einfluss auf die Lebenden nehmen zu können. Er hatte Hardin dazu gebracht, sich mit der Geisterwelt anzulegen.

Die Geisterwelt. Das Jenseits ...

Jackson wusste, was er gesehen hatte. Tote, die herumliefen, Geisterpferde und Voodoogespenster. Er erinnerte sich genau an seine Erlebnisse, und doch weigerte sich ein Teil in ihm, das einfach zu akzeptieren. Noch vor wenigen Monaten hätte Jackson seinen schwarzen Hintern darauf verwettet, dass der Tod das Ende des Daseins war. Jetzt hätte er nicht einmal einen Cent darauf gesetzt, dass der Tod das Ende war.

Und wie es Jacksons Art war, hatte er beschlossen, dass er hinter die Vorhänge schauen wollte. Dieser Vorhang hieß Elliot.

Der Weg nach San Diego gab ihm Raum, darüber nachzudenken, was er erlebt hatte. Ein Mann brauchte auch einmal Zeit für sich selbst.

Ein Saloon mit Namen Gypsy Arcade

Virginia City war bis vor gar nicht langer Zeit die Hauptstadt Montanas, hatte den Status aber verloren. Jetzt waren, laut Mr. Wilson, auch die Minen ausgebeutet, die es erst möglich gemacht hatten, hier eine Stadt zu errichten. Eine Stadt, die nicht nur die im Westen üblichen Bretterbuden mit vorgesetzter Fassade vorweisen konnte, sondern auch massive Ziegelbauten. Alles in allem wirkte Virginia City wie eine wohlhabende Gemeinde, wären da nicht die vielen Schilder an Häusern und Geschäften, die etwas anderes aussagten.

Geschlossen, stand da, wegen Geschäftsaufgabe. ­Ausverkauf stand auf einem anderen,

Zu vermieten auf einem weiteren.

Hardin ritt die Hauptstraße hinunter, vorbei an Saloons, die noch geöffnet hatten. Der Schmied hatte auch noch Arbeit, obwohl der Blick in seinen offenen Stall viele leere Pferdeboxen zeigte. Auch ein Schuster und der Hardware Store hatten noch nicht die Pforten dichtgemacht.

An einem flachen Backsteinbau prangte ein Schild mit der Aufschrift Boarding House, daneben eines, das aussagte, dass es Zimmer zu mieten gäbe. Für Unterkunft schien also gesorgt zu sein.

Hardin stellte den Braunen beim Schmied unter, der sich über die unerwarteten Dollars zu freuen schien, da Hardin gleich für eine ganze Woche zahlte. Sein weniges Gepäck bestand aus der Deckenrolle, den Satteltaschen und seinem Gewehr. Mehr brauchte ein Mann nicht im Westen. In der Stadt war das eine ganz andere Sache.

Was im Osten genauso galt wie im Westen, war die Tatsache, dass der Barbershop der beste Ort war, wenn man die neuesten Neuigkeiten erfahren wollte. Dass man sich dort auch rasieren lassen konnte, war eine erfreuliche Dreingabe. Seit er in Texas aufgebrochen war, hatte Hardin sich nicht mehr rasiert, und langsam wurde es Zeit, etwas gegen den Wildwuchs in seinem Gesicht zu unternehmen.

Der Barbier saß gelangweilt in dem Stuhl, in dem eigentlich seine Kunden sitzen sollten, auf die er offenbar bisher vergebens gewartet hatte. Hardin betrat den Laden, die Satteltaschen über der Schulter, die Sharps in der freien Hand.

„Wie geht’s denn so?“, fragte er freundlich und ließ die Satteltaschen von der Schulter gleiten. „Kann sich ein Reisender hier den Bart schaben lassen?“

„Natürlich, Sir! Bei mir bekommst du die beste Rasur des ganzen Countys! Wenn du ablegen möchtest ...?“, ereiferte sich der Barbier, griff einen Kleiderbügel von den an der Wand befestigten Garderobenhaken und machte Anstalten, Hardin aus dem langen Staubmantel zu helfen, den dieser über der Jacke trug.

So viel Service hatte Hardin schon seit Längerem nicht mehr erlebt. Er entledigte sich auch seiner Jacke und setzte sich in den großen, ledernen Barbiersessel. Das Leder knirschte und die beiden Revolver an seiner ­linken Hüfte drückten ihn in die Seite. Er rückte die Waffen zurecht und lehnte sich zurück.

„Willst du die Pistolen nicht lieber an der Wand aufhängen?“, fragte der Barbier geflissentlich, was Hardin mit einem bösen Blick ahndete.

„Nope! Die Dinger bleiben, wo sie sind.“

„Du bist ein vorsichtiger Mann, Mister, oder?“, mutmaßte der Bartscherer und warf ein Tuch über Hardins Brust, das ihn vor dem Rasierschaum schützen sollte.

„Mein Name ist Hardin“, stellte dieser sich zum zweiten Mal an diesem Tage vor. „Und, ja, ich bin ein Mann, der gelernt hat, vorsichtig zu sein.“

„Wie soll’s denn sein, Mister Hardin? Bart stutzen? Rasieren? Mit oder ohne Koteletten? Die sind im Osten grade sehr in Mode, hört man“, fragte der Barbier und beugte sich leicht vor, um seinem Kunden in die Augen zu schauen.

„Wir sind nicht im Osten. Glatt“, ordnete Hardin an.

„Sehr wohl, Sir, Mister Hardin! Der Bart ist schon recht lang. Ich schneide mit der Schere vor und vollende dann mit dem Messer das Werk!“

„Du bist der Fachmann, Mister ...“, sagte Hardin und betonte das letzte Wort so, dass es wie eine Frage wirkte.

„Rupert, Mister Hardin, Sir, aber ohne Mister, bitte.“

Der Barbier entfachte einen kleinen Kohleofen, auf dem eine Schüssel mit Wasser stand. Das diente dazu, später Handtücher zu erhitzen, die dem Probanden der Rasur aufs Gesicht gelegt wurden, um die Barthaare für die Rasur vorzubereiten.

Hardin beobachtete den Tanz des Meisters um die Tiegel und Schüsseln amüsiert im Spiegel. Der Mann nahm seinen Beruf ernst.

„Was bringt einen Mann nach Virginia City, einen, der zwei Revolver trägt?“

Rupert, der Barbier, begann sein Werk und setzte die Schere an.

„Nichts Besonderes. Bin unterwegs auf die Leute gestoßen, die von hier abhauen, und bin neugierig geworden.“

„Ja, sie flüchten!“, seufzte Rupert und schnitt weiter. „Die Ratten verlassen das sinkende Schiff.“

„So schlimm?“

Eine unverfängliche Frage, die den Barbier veranlasste, einen ganzen Zeitungsartikel von sich zu geben. Er lamentierte ausgiebig darüber, dass Virginia City nicht mehr Hauptstadt war, und was das für eine unglaublich dumme Entscheidung gewesen war, beschwerte sich über das Missmanagement der Minengesellschaften und darüber, dass die Lagerstellen erschöpft waren und die Bergmänner kein Geld mehr verdienten, das sie in der Stadt ausgeben konnten.

„Die Bergleute, die waren die Ersten, die gegangen sind. Natürlich! Sie sind dorthin, wo ein Mann mit einem Pickel und einem Spaten seine Familie noch ernähren konnte. Oder zu den neuen Goldfeldern, aber das halte ich für eine riskante Idee. Ist gefährlich, diese Goldsuche, nach allem, was man so hört. Wildnis, Indianer, Desperados! Nichts, womit ein Bergmann gelernt hat, umzugehen, Mister, das sage ich dir! Also, nicht dass die Jungs nichts auf dem Kasten hätten! Sind ein paar zähe Knochen darunter, aber es ist ein Unterschied, ob du in einer Grube malochst und jede Kneipenschlägerei gewinnst oder einer Horde Bewaffneter gegenüberstehst, die dir ans Leder wollen. Ich denke, du weißt, was ich meine, Mister Hardin.“

„Ist ’n gewaltiger Unterschied!“, nuschelte Hardin, dem gerade die heißen Handtücher aufgelegt wurden. „Hab beides schon erlebt.“

„Die Bergarbeiter, die waren das Blut dieser Stadt, und die Bergwerke waren das Herz. Ohne die ist die Stadt nicht mehr, was sie war. Wenn du ein Haus kaufen willst, Mister, dann ist das jetzt ein guter Zeitpunkt. Billiger kommst du nirgends an Grund und Boden!“

Das Klingeln der Türglocke unterbrach die Konversation.

Rupert und Hardin sahen zugleich zum Eingang hinüber, wo ein rundlicher Mann in einem schwarzen Anzug den Barbershop betrat.

„Marshal Dickkins! Setz dich, ich bin gleich bei dir!“, flötete der Barbier, erfreut über einen weiteren zahlenden Kunden.

„Mach langsam, Rupert, ich hab alle Zeit der Welt!“, antwortete Dickkins und zwängte seinen fülligen Leib in einen der Stühle, die für Wartende bereitstanden.

„Hast ja noch zu tun. Neu in der Stadt, Fremder?“

„Hast du gut erkannt, Marshal. Und bevor du fragst: Nein, ich bin nicht geschäftlich in Virginia City. Und auch nicht wegen was anderem. Hab auf meinem Weg diesen Treck gekreuzt, der aus der Stadt rollt, brauchte ’ne Rasur und dachte, ich seh mir das mal an. Das war’s dann auch schon.“

„Und woher kommst du, Mister?“, hakte der Marshal nach.

„Aus dem Schoß meiner Mutter! Marshal, das geht dich, mit Verlaub, einen Scheißdreck an!“, sagte Hardin im Plauderton, während Rupert ihn einschäumte. „Mein Name ist Hardin, ich hab im Bürgerkrieg für den Norden gekämpft und gehe meiner Wege. Es gibt keinen Steckbrief mit meinem Namen drauf und keinen Grund, mir dämliche Fragen zu stellen. Wenn du ’n Problem hast, immer geradeheraus damit!“

Einen Augenblick lang herrschte eine solche Stille, dass man hören konnte, wie Rupert das Rasiermesser über den Lederriemen zog, um es möglichst scharf zu machen.

„Kein Problem. Bin nur vorsichtig. Ist ’ne Berufskrankheit, denke ich“, wiegelte der Marshal ab. „Eigentlich habe ich hier sowieso nichts mehr zu sagen.“

„Wieso das, Marshal?“, wollte Rupert wissen und wischte den Schaum an seinem Handtuch ab.

„Heute Morgen kam ein Telegramm. Scheiß Erfindung, wenn du mich fragst, diese Telegramme. Machen das Leben nicht leichter, sondern beschleunigen nur die Probleme! Aber was soll’s! Befehl ist Befehl! Man hat mich nach Helena beordert. Passt mir gar nicht, aber was soll ich machen?“

„Und was ist mit uns? Was ist mit Virginia City?“, fragte Rupert entgeistert und zog das Messer über ­Hardins Kehle. Er konnte hören, wie die Stoppeln gekappt wurden.

„Was soll sein? Wählt einen Sheriff! Obwohl ich bezweifle, dass in ein paar Wochen noch genug Leute in der Stadt sind, um eine Wahl abhalten zu können!“

Marshal Dickkins spie in den Spucknapf und verfehlte ihn nur um ein paar Inches.

„Sorry, Rupert. Meine Augen sind auch nicht mehr, was sie mal waren.“

Der Gesetzesvertreter fingerte einen Kneifer aus der Westentasche und setzte ihn sich auf die Nase.

„In die Ferne kann ich noch ganz gut gucken, aber in der Nähe klemmt’s ein wenig.“

„Das Problem hat mein Partner auch!“, stellte Hardin fest und setzte sich auf.

Ein prüfender Griff ans Kinn sagte ihm, dass Rupert gute Arbeit geleistet hatte. Das Kinn war glatt wie ein Kinder-Popo.

Der Barbier griff nach einem Flakon, aber Hardin winkte ab.

„Danke, kein Duftwasser! Ist perfekt so!“

Dickkins erhob sich und der Stuhl knarrte entspannt, des Gewichts enthoben, das auf ihm gelastet hatte.

„Zwei Revolver? Du bist doch kein Gunslinger, mein Sohn?“, entfuhr es ihm.

Hardin blieb abrupt stehen. Mit einem schnellen Schritt war er nahe bei dem Gesetzeshüter.

„Ich bin verdammt noch mal kein Revolverheld. Aber ich habe meine Gründe, Mister, weshalb ich die beiden Revolver trage, und die gehen dich absolut nichts an. Du würdest es ohnehin nicht verstehen.“

Hardins Stimme war heiser und so leise, dass nur der Marshal ihn verstehen konnte.