Hundert Jahre Blindheit - Roman Rozina - E-Book

Hundert Jahre Blindheit E-Book

Roman Rozina

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Beschreibung

Die große slowenische Familiensaga »Hundert Jahre Blindheit« erzählt vom Aufstieg und Niedergang einer Familie. Die massiven gesellschaftlichen Umbrüche, die den Vorabend der Moderne prägen, machen auch vor dem blinden Matija und dessen Umfeld nicht halt. Ein monumentaler Familienroman aus Slowenien, der das europäische Erbe des 20. Jahrhunderts aufleben lässt. Als am 24. Mai 1900 ein Kind in der Familie Knap geboren wird, ahnt noch niemand, dass der kleine Matija sein Leben lang blind bleiben wird. Und doch, so stellt es sich später heraus, ist er der Einzige, der den Herausforderungen, die der Familie bevorstehen, wirklich ins Auge blickt. Das Unwetter, das bei Matijas Geburt in Podgorje getobt hat, scheint ein böses Omen zu sein. Der Grundbesitz der Familie wird fast vollständig zerstört und die Knaps sind bald gezwungen, sich in der neu entstandenen Bergbausiedlung als Arbeiter zu verdingen. Während die Industrialisierung den sozialistischen Arbeiterkampf immer stärker befördert und die Emanzipationsbewegung Familienstrukturen über den Haufen wirft, rufen die Kriege des 20. Jahhrunderts die Soldaten wie böse Geister auf den Plan. Roman Rozina hat einen meisterhaft erzählten Roman geschrieben über ein Jahrhundert, dem wir heute noch oft mit Blindheit gegenüber stehen. »Der Roman Hundert Jahre Blindheit zeugt von der außerordentlichen Erzählkraft des Autors. Die Saga der Familie Knap mit ihren zahlreichen historischen Bezügen entwickelt sich zu einem monumentalen Fresko der slowenischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts.« - Julija Uršič, Bukla

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Seitenzahl: 851

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Cover for EPUB

Roman Rozina

Hundert Jahre Blindheit

Roman

Aus dem Slowenischen von Alexandra Natalie Zaleznik unter Mitarbeit von Tamara Kerschbaumer und Peter Scherber

Klett-Cotta

Impressum

Diese Übersetzung wurde von der Slowenischen Buchagentur gefördert.

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Sto Let Slepote«

© 2021 by Mladinska knjiga Založba, Ljubljana

Für die deutsche Ausgabe

© 2023 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Anzinger und Rasp Kommunikation GmbH, München unter Verwendung einer Abbildung von © Aurora Borealis, Nelly van Nieuwenhuijzen, Painting, Acrylic on Canvas

Gesetzt von C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen

Gedruckt und gebunden von Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg

ISBN 978-3-608-98728-7

E-Book ISBN 978-3-608-12199-5

Inhalt

I. Teil

24. MAI 1900

ABSCHIED

DIE KNAPS AUS PODGORJE

IM TAL

DER, DER DEN AKROBATEN VOM SEIL SCHLUG

DIE WAISENKINDER

II. Teil

LUKA, DER VAGABUND

DAS UNSICHTBARE WUNDER

VOJTEH

DAS GLASWERK

28. JUNI 1914

VALENTINA

III. Teil

DAS LIED VOM KRIEG

DER ZUG OHNE FAHRPLAN

RÜCKBESINNUNGEN

DIE DENKMÄLER

DAS NAMENSFEST

DAS ATTENTAT

DER FLIEHENDE GOTT

JOSIPINA

GEHEIMNISSE

SCHÄTZE

DAS RADIO

DER MARSCH DER FRAUEN

DIE VIERZIGER JAHRE

LUDVIK UND ALOJZIJ

IV. Teil

DER GEFUNDENE

SCHLANGESTEHEN

DIE KONZERTINA

DER SCHWEINEKRIEG

DIE SÄNGERTOURNEE

DER STREIK

DIE ZIGEUNERIN

ROZINA

DIE FRAU MIT DEM DUFT NACH SEIFE

LEOS SOHN

ABGÄNGE

APOLLO

FERIEN

DER SCHORNSTEIN

KONZERTE

DAS FRESKO

DAVOR

VASJA UND ANDRÉS

24. MAI 2000

I. Teil

24. MAI 1900

Bleischwere Wolken ballten sich über Podgorje, doch jedes Mal, wenn sie zu einer düsteren Masse verklumpten, zu schwer selbst für ein fest gewebtes Tuch, kam ein heftiger Wind auf und wehte sie wieder fort. Seit zwei Tagen schon spielte der Himmel den Menschen diese Posse, die Hängepartie zerrte so an ihren Nerven, dass einige sogar ihre Angst vor Wolkenbrüchen vergaßen und laut riefen, diese bedrohliche Gräue soll endlich weiterziehen oder abregnen, man kann schließlich nicht den ganzen Tag in den Himmel starren.

Verglichen mit den Nachbardörfern, hatte sich in Podgorje in den letzten Jahren vieles verändert. Während anderswo schlimme Dürre herrschte und man inständig um Regen flehte – der Ackerboden war knochentrocken, Windstöße hoben Staubwolken von den Feldern, und aufgrund der drückenden Luft krümmten sich die alten Männer mit Rheuma vor Schmerz –, fürchtete man an den verwundeten Hängen von Podgorje jeden Niederschlag. Noch der kleinste Regenschauer schuf tiefe Risse und ließ Erdrutsche drohen, und niemand wusste, ob sein Haus der kommenden Verschiebung standhalten oder ob sie es gänzlich plattmachen würde, es war unmöglich abzuschätzen, was die habgierigen Spalten wohl als Nächstes verschluckten.

Als sich die Nacht übers Dorf legte, spielte der Himmel noch immer mit ihnen. Aufgrund der dichten Wolkendecke brach sie früher an und war dunkler als sonst. Als sie sich in ihre Betten legten, schlich sich in die unheilverkündende Stille das verspielte Rascheln junger Bäume, das unter der Wucht des Sturms bald umschlug in einen wilden Tanz und ein schauerliches Stöhnen alter Stämme und Äste. Eine weitere Nacht, in der die Augen blind in die Dunkelheit starren und die Ohren nach den Geräuschen gieren werden, aus denen die Angst erdrückende Vorstellungen formt: Wird der Sturmwind die drohende Sintflut über ihnen vertreiben, oder schwemmt es sie endgültig hinfort?

Ignacij Knap blickte zur Decke empor und versuchte vergebens zu entschlüsseln, was die Nacht rief. Zum bestimmt hundertsten Mal beschloss er, dass er den zehrenden Nervenkrieg leid war. In den vier Jahren, seit ihm sein Vater das Landgut überschrieben hatte, war er um vierzig Jahre gealtert, das fortwährende Lauschen und machtlose Warten hatte ihn völlig ausgelaugt. Er wurde Besitzer des größten Bauernhofs, doch damit nicht sein eigener Herr, er war die Geisel eines Ackers, der mörderisch wegbrach. Unter seinen Füßen war alles ausgehöhlt, die Eingeweide seines Grundes waren wie von Motten zerfressen, nie wusste er, wie tief die Erde unter seinem nächsten Schritt einbrechen würde. Genug, das ist doch kein Leben, befand er, seine Schwester Zofija, die schon seit Jahren auf ihn einredet, dass er den Hof verlassen und ins Tal ziehen soll, hatte recht.

Schon morgen wird er zur Bergwerksverwaltung gehen, gleich in der Früh macht er sich auf. Sie werden ihn mit offenen Armen empfangen, Arbeit und Wohnung anbieten. Alle vierzehn Tage bekommt er seinen Lohn, er wird wieder ruhig schlafen können. An die Schwerstarbeit in der Grube wird er sich gewöhnen, Anstrengungen sind ihm vertraut, auch auf diesem verfluchten Stück Land schuftet er von früh bis spät. Er wird die Klage zurückziehen, die sein Vater angestrengt hat – sie ist aussichtslos, schon fast zehn Jahre zieht sich der Prozess hin und frisst nur Geld –, er wird ihnen das Grundstück verkaufen, das schon jetzt mehr ihnen gehört als ihm. Sie rauben es ihm von unten, sie wühlen tief im Erdinnern und höhlen den Boden unter seinen Füßen aus. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die wenigen Häuser einstürzen, die in diesem verlorenen Schützengraben geduckt ausharren. Ganz Podgorje rutscht zu Tal, der Teufel wird sich alles holen. Morgen bereitet er dieser Qual ein Ende.

Seine nächtlichen Überlegungen führten ihn immer zum selben Entschluss, am Tag jedoch verflog sein trotziger Wille. Der übliche Zweifel meldete sich, es tat ihm leid um das Land, so widerborstig es war. Auch die Grube verlor am Morgen all ihren überhöhten Reiz, er ärgerte sich über Zofijas Besuche, weil sie ihm Lügen auftischte und übertrieb, wenn sie Wohlstand und Glück des Bergmanns beschrieb, sodass ihm Terezija noch den ganzen Tag mit vorwurfsvollen Blicken zu verstehen gab, wie gleichgültig sie und die Kinder ihm waren und es ihm einzig um diese wertlosen Felder ging. Wenn sie sich wenigstens laut beklagen würde, sodass er sie anbrüllen und ohrfeigen könnte, aber sie machte ihm immer nur Vorwürfe, ohne ein einziges Wort zu sagen.

Da macht er sich schon wieder etwas vor, dachte er, es gibt genau einen Grund, warum er an diesem wackeligen Hügel klebt, ein einziges Hindernis hat ihn immer davon abgehalten, dass er das alles nicht schon letztes Jahr oder vor zwei Jahren aufgegeben hat. An allem kommt er vorbei, nur nicht an seinem Vater und dem Versprechen, das er ihm gab. Obwohl sein Vater inzwischen schwer von Begriff ist, alles Mögliche vergisst und nicht einmal mehr weiß, wie die Nachbarn heißen, wird er sich bis zu seinem letzten Atemzug daran erinnern, was sein Sohn ihm geschworen hat. Beim Leben seiner Erstgeborenen, der damals noch nicht einjährigen Frančiška, hat er gelobt, den Hof niemals an das Bergwerk zu verkaufen. Dieses Hindernis vermag er nicht zu überwinden, diesen Eid kann er einfach nicht brechen. Es stimmt, fast alle anderen verkaufen, das Bergwerk hat schon mehr als die Hälfte des Dorfes in seinem Besitz, doch das ändert nichts, Ignacij ist zu sehr an das seinem Vater gegebene Versprechen gebunden. Ihm hatte er gesagt, dass er auf dem Bauernhof nur bleiben wird, wenn sein Vater ihm diesen überschreibt, und er, Jakob, hatte ihn schwören lassen, dass er dem Bergwerk dafür keinen Fußbreit Land verkauft. Dann hatten sie einander die Hände gereicht.

Er ist in eine Falle getappt, aus der es kein Entrinnen gibt, seine zahllosen Beschlüsse, diese unglückliche Geschichte zu beenden, sind nur hohles Geschwätz. Mit jedem Tag klarer sagte ihm sein gesunder Menschenverstand, dass sein Ausharren auf dem Hof ohne Perspektive war, und doch forderte sein männlicher Stolz, sich an sein einmal gegebenes Wort zu halten. Er fand keinen Ausweg aus der Zwickmühle, dabei ist das Leben zu einer sinnlosen Tortur, einem qualvollen Warten auf den sicheren Untergang geworden, in den er nun noch Frau und Kinder mit hineinziehen wird. Der Winter hat den linken Teil des großen, vor Jahren noch stabilen Hauses zerstört und unbewohnbar gemacht, weshalb alle in einer stickigen Kammer aufeinanderhockten. Die Risse hat er notdürftig saniert und die Decke abgestützt, die jedoch schon morgen erneut einstürzen kann. Man müsste sie von Grund auf reparieren, aber er hat nicht mehr den dazu nötigen Willen aufgebracht, es war ja doch nur eine Frage der Zeit, wann das Haus einstürzt und sie fortgehen müssen. Das halbe Dorf steht bereits leer, viele Häuser sind schon eingestürzt, alle anderen sind verfallen oder haben Risse.

Er blickte zu Terezija, die stumm neben ihm lag, wie um bei ihr die Antwort zu finden. Aber die Dunkelheit war so undurchdringlich, dass sich selbst ihr großer, runder Bauch nirgendwo abzeichnete. Es machte ihn wütend, dass sie so ruhig schlafen konnte, während er sich mit der Suche nach einem Ausweg aus dem Teufelslabyrinth quälte, in dem sie feststeckten.

Ignacij hat sich schon oft geirrt, und so auch diesmal. Terezija, die nur eine Handbreit von seinem Körper entfernt war, lauschte schlaflos dem Atem Frančiškas und der Zwillinge, die aneinandergedrängt im Bettkasten lagen, sie drückte die zarte Angelina an ihre Brust und strich mit der anderen Hand sanft über ihren Bauch, in dem sich ein übermütiges Wesen reckte und streckte. Es wurde zunehmend mühsam mit diesem üppigen, ungelenken Körper, wenigstens war es bis zur Niederkunft nur noch eine Frage von Tagen.

Schon ihr fünftes Kind, fünf Schreihälse in nicht mehr als fünf Jahren. Frančiška ist fünf, Alojzij und Ludvik sind drei, Angela ist gut ein Jahr alt, und schon ist ein neues Kind unterwegs. Wie schnell sie kommen, viel zu schnell, wenn das so weitergeht, wird sie denken müssen, dass sie das ständige Gebären noch umbringt. Sie hatte einen starken, straffen Körper, nun ist sie ausgelaugt und krank, manchmal kann sie den Urin nicht halten, die Kinder haben ihr die Brüste leer getrunken. Jetzt sind sie wieder groß und prall, schwer sind sie und tun weh, bald aber werden sie wieder wie leere, schlaffe Säcke an ihr herabhängen. Ständig muss sie sie füttern, die kleinen Biester, sie fressen sie auf, werden sie noch komplett verschlingen.

Sie zog sich krampfartig zusammen, weil Ignacij sich rührte. Sie spürte seine wachsende Ungeduld, sie wusste, er wartet nicht mehr lange, bald nach der Geburt wird er wieder auf ihr liegen und sie aufs Neue schwängern. Die männliche Begierde sieht nicht, dass sie wund ist dort unten, dass sie blutet, dass es aus ihr fließt. Sie könnte ihn bitten, den Samen nicht in sie reinzuspritzen, aber er wird nicht auf sie hören, sie würde ihn nur erzürnen, er hat Anspruch darauf. Es ist nicht nur ein animalischer Trieb, wahrscheinlich wünscht er sich zehn Abbilder seiner selbst, eine kleine Armenprozession. Er ist blind wie diese Nacht, er hat noch nicht gemerkt, dass alles zum Teufel geht, vieles von dem, was man in die Furche sät oder pflanzt, sinkt in die Tiefe hinab, bevor sich erste Triebe bilden. Nicht wie bei ihr: Alles, was er in sie legt, keimt auf. Früher war auch die Erde fruchtbar, und der Bauernhof war reich, jetzt pocht die Armut an die Tür, sie hämmert dagegen, ein überfülltes Haus kann auf diesem Land nicht mehr überleben.

Sie muss Štefanija noch einmal fragen, wie sie verhüten soll, sie braucht etwas Stärkeres. Nach den Zwillingen hat sie ihr empfohlen, sich mit beiden Händen fest auf den Bauch zu drücken und die Scheide jedes Mal gründlich mit Apfelessig auszuwaschen. Bald darauf kam Angela zur Welt, in Gedanken hat sie über die Alte gespottet, nun künden die Wehen von etwas, das ihr auf andere Weise sauer werden wird. Sie hat sich nur verkühlt dort unten, als sie im Winter in den Schweinestall ging, um sich mit eiskaltem Essig zu waschen.

Das Kind in ihr bewegte sich so wild, dass ihr fast die Hand vom Bauch gerutscht wäre, und riss sie aus den Gedanken. Wieder lauschte sie den Atemzügen jedes Einzelnen: Alle schliefen ruhig, ihr Leben war frei von Sorgen, sie kannten noch keine Angst. Sie waren wie Jungbäume, die sich im Sturm spielerisch bis zum Boden beugen, doch kaum, dass der Wind abflaut, wieder aufrichten. Sie darf nicht so genau hinhören, dachte sie, sonst bringt sie ein Kind mit Eselsohren zur Welt. Im Stillen begann sie zu beten, dass der Regen noch nicht niederging, dass die Schmerzen nachlassen, dass das Kind kleine Ohren hat, dass ihres Mannes Begierde erlahmt und sein Samen unfruchtbar wird.

Gegen Morgen donnerte es ohrenbetäubend laut, ein Blitz erhellte die Kammer, er schlug in nächster Nähe ein. Das Bett erbebte knarrend, sodass Ignaciij aus ihm hochfuhr, er schwankte Richtung Tür und zog sich im Gehen die Hose an. Schnell war er zurück, und während er aufgeregt brüllte, dass alle sofort unter die Heuharfe müssen, schlüpfte er in seine Jacke. Er packte die Zwillinge, wie zwei Reisigbündel klemmte er sie sich unter die Arme, mit dem Bein stieß er ungeduldig die benommene Frančiška zur Tür hinaus. Terezija rollte im Bett schwerfällig auf seine Seite, drückte Angela an die Brust und hüllte beide Kinder in eine ausgeleierte Strickweste. Von der Tür kam sein heftiges Drängen, sie soll schneller machen, das Wasser steigt auf der anderen Seite, das Haus bricht zusammen, und alles wird im Boden versinken.

Bis zur Heuharfe waren es keine fünfzig Schritte, und doch waren sie triefnass, als sie sich bis dorthin geschleppt hatten. Die Zwillinge umklammerten ihre Beine, Frančiška weinte laut, als sie auf das Haus starrten, das von unsichtbaren Kräften zerrissen wurde wie etwas Morsches. Die linke Seite des Hauses, die bis vor Kurzem ihre Bleibe gewesen war, brach ab und stürzte ein, dort rann nun ein Strom aus Schlamm, die rechte Hälfte, aus der sie geflohen waren, hockte wie verwundet auf einem unsichtbaren Stück Fels. Wäre das Haus nicht am einen Ende aufgerissen und das Dach nicht eingesackt, man würde es für eines der schlichten Häuschen halten, wie sie im Dorf verbreitet sind.

Ignacij trug einen Heuhaufen zusammen, die Kinder und Terezija, noch immer Angela an ihre Brust gedrückt, krochen darin unter. Aus dem Stall brachte er eine schwere alte Pferdedecke. So gut es ging, deckte er Kinder und Frau mit ihr zu. Er entfernte sich ein paar Schritte und blickte zu der Haushälfte, die aufrecht am Rand der tosenden Schlammlawine harrte. Während er Kinder, Frau und die eigene Haut zu retten versuchte, vergaß er seine Müdigkeit und Entschlossenheit, dass er genug hat von dieser rutschenden Erde, mehr noch, in Gedanken suchte er bereits nach einer Lösung, wie er das Loch schließen kann, das im Haus klaffte, und das Dach erneuern. Der Teil, der standhielt, überlegte er, steht offenbar auf festem Grund, ebenso der Kuh- und der Schweinestall und die Heuharfe.

Obwohl Alojzij bis zum Hals im Heu steckte, klapperte er laut mit den Zähnen. Terezija rieb ihm die Schultern, doch er bibberte weiter. Ludvik versuchte ihn nachzuahmen, aber bei seinem ungeschickten Versuch, dem schnellen Takt aufeinanderschlagender Zähne zu folgen, überkam ihn ein Lachen, mit dem er rasch alle anderen ansteckte. Nur weiter so, zerhack es, zerbeiße dieses matschige Nass, dankte ihm Terezija, weil er die Beklemmung vertrieb. Ignacij sah sie erst verwundert an, bald aber schüttelte auch ihn das unerklärliche Lachen. Er setzte sich zu seiner Frau, ihre nassen Kleider klebten aneinander. Terezija überkam ein wunderliches Gefühl. Von seiner Hand und seinem Oberschenkel, die sie berührten, ging eine gewaltige Hitze aus, sie brannten regelrecht. Nie hatte es irgendeine Art von Zärtlichkeit zwischen ihnen gegeben, selbst wenn er auf ihr lag, empfing sie ergeben das Gewicht seines Körpers und wartete, dass er sich keuchend in ihre Höhle ergoss, sich erschöpft von ihr wälzte und bald darauf losschnarchte.

Mit dem Schlottern von Alojzijs Kiefern klang das Lachen ab, die Zwillinge sanken in Schlaf, und auch Frančiška öffnete ihre Lider immer seltener und mühsamer, während Terezija ihr über die nassen Locken strich. Sie spürte die Blicke ihres Mannes auf sich, das durchnässte Nachthemd betonte ihre üppigen Kurven noch stärker, sie fühlte sich völlig nackt. In eben diesem Moment dachte Ignacij, dass sie anders aussieht als sonst, schöner, es schien, dass ihre müden Gesichtszüge angenehm weich geworden sind, dass ihr Körper zur Mädchenblüte zurückgekehrt ist. Um sich das Gesicht zu trocknen und besser sehen zu können, strich er unwillkürlich, doch sinnlos mit seinem nassen Ärmel über seine Wangen. Ihm ging durch den Sinn, dass die Wehen wahrscheinlich bereits eingesetzt hatten, deshalb beugte er sich zu ihr und fragte, ob alles in Ordnung ist.

Sie überlegte kurz, wann er sie das letzte Mal gefragt hatte, wie es ihr geht, und ob er sie das überhaupt jemals gefragt hatte. Kaum merklich lächelte sie und langte mit der freien Hand nach seinem Bein, mit der anderen drückte sie weiter Angela an ihre Brust. Diese Geste sollte eine stille Antwort sein, ein kleines Dankeschön für seine Fürsorge, doch ihre blindlings nach ihm greifende Hand landete etwas unterhalb der Gürtellinie, ertastete sein erregtes Glied und glitt von ganz allein in die Hose. Das hatte sie noch nie getan, nie zuvor hatte sie es mit den Fingern berührt. Sie sah nach den Kindern, nur ihre schlummernden Köpfe ragten aus dem Heu, dann begann ihre Hand, sich gleichmäßig zu heben und zu senken.

Irgendwo tief unter ihnen bebte und knallte es schrecklich, am Hügel nur wenige hundert Meter entfernt, auf dem einsam eine kleine Kirche stand, tat sich ein langer, schräger Riss auf, der sich bis oben hinzog und immer breiter klaffte, wie von einem unsichtbaren Dämon mit einem riesigen Keil gespalten. Das abgelöste Erdreich rutschte ab, und bald stand die Kirche am Rand eines Abgrunds. Wie benommen starrten sie auf die Szenerie, wie die Abbruchkante unterhalb der Kirche wuchs, wie der schmale Rand dazwischen weiter abbrach.

Der Anblick ergriff sie mit solcher Gewalt, dass sie Ignacij völlig vergaß. Er sah sie an, während sie ihre Hand aus seiner Hose zog und sich bekreuzigte, einmal und dann noch einmal. Ungeduldig schnappte er ihre Rechte und steckte sie wieder hinein.

Der Glockenturm erzitterte am Rand des Abgrunds, unterhalb klaffte ein neuer Riss und weitete sich zu einem Graben. Er verlor den Halt und brach läutend von dem Kirchenschiff ab, das auf festem Untergrund stand. Das Mauerwerk des Turms schwankte unter dem ächzenden Fall, befreite sich aus dem Zementgriff des Kirchenschiffes, die Schwerkraft neigte ihn talwärts, als sich das irdene Kissen unter ihm vom Hügel löste. Der Ruck richtete ihn leicht wieder auf, eine Weile versuchte er sogar noch, wie ein Seiltänzer sein Gleichgewicht auf der rutschenden Erde zu halten.

Ignacijs Körper geriet in eine süße Wallung, aus seiner Kehle drangen Röchellaute, die mit dem Ächzen der zerreißenden Erde verschmolzen. Er unterdrückte das brennende Gefühl in den Beinen und verharrte in der unbequemen Hocke, um ja nicht die Welle zu stören, die seinen Leib erfasst hatte, ihn frösteln ließ und Gänsehaut verursachte. Er wiegte sich in den Knien, um die Bewegung ihrer Hand zu unterstützen, denn es war nicht mehr auszuhalten, er drehte durch vor lauter Glückseligkeit.

Der Kirchturm, der sich kurz aufgerichtet hatte, begann sich auf die andere Seite zu senken und stürzte dann ein, die steinernen Eingeweide donnerten von dem zunehmend formlosen Bau. Aus Ignacij quoll eine warme Nässe hervor, Terezijas Hand hielt inne, er spürte Kinderaugen auf sich gerichtet. Er wollte sie nicht sehen, starrte auf den Schlammteppich, der die Überreste des Kirchturms bedeckte, und tadelte sich dafür, dass er im Augenblick der Lust die Schreie des tödlich verwundeten Turms übertönt und die Kinder aufgeweckt hat.

Auch diesmal irrte Ignacij. Die Kinder schliefen, das Poltern hatte nur Frančiška geweckt, die ihrem Vater keinerlei Aufmerksamkeit schenkte. Terezija erklärte ihr, dass nichts Schlimmes passiert ist, die Kirche macht nur mal kurz einen Spaziergang, und die neugierige Kleine fragte, ob sich die fehlende Hälfte ihres Hauses dem Spaziergang angeschlossen hat. Terezija streckte ihre Hände nach dem Mädchen aus, ihr gefiel die kindliche Frage, sie wollte sie streicheln oder den Halm aus ihren nassen Locken entfernen, aber ein Schmerz ließ sie in ihrer Bewegung innehalten. Nach wenigen, schnellen Atemzügen drehte sie sich zu ihrem Mann, der noch immer in unwichtige Fragen versponnen war. Es geht los, flüsterte sie ihm zu, er soll rasch Štefanija holen.

Štefanija, Ignacijs Oma mütterlicherseits, lebte in einem entlegenen Weiler, bis dorthin war man eine gute Stunde unterwegs. Sie war sehr alt und galt allgemein als verrückt, trotzdem holte man sie noch immer, wenn Menschen oder Tiere krank wurden, wenn man einen Zauber lösen oder böse Mächte austreiben musste.

Der Weg durch Podgorje führte Ignacij an drei Bauernhöfen vorbei. Zwei waren diesmal vom Erdbruch verschont geblieben, der dritte war in sich kollabiert. Trotz des Sturzregens standen alle Nachbarn draußen und blickten wie gebannt in Richtung Hügel, wo nun auch noch das Kirchenschiff einzustürzen begann, als wäre es ohne Glockenturm verloren, als hätte sein Dasein keinen Sinn mehr. Sogar die betagten Nachbarn, die ihr Dach über dem Kopf verloren hatten, kümmerten sich nicht um ihren Verlust, ihre Aufmerksamkeit galt ganz der Kirche, die im schmutzigen Matsch versank. Die Alte murmelte ständig dasselbe Kurzgebet und bekreuzigte sich pausenlos, der Alte stierte ungläubig zum Hügel. Das bedeutet nichts Gutes, sagte er zu Ignacij, der seinen Schritt nur verlangsamte, um dem Alten zu antworten, dass er es sehr eilig hat, er muss Štefanija holen, Terezija liegt in den Wehen.

Štefanija lebte in einer alten Hütte, die auch ohne die Hilfe der unterirdischen Verschiebungen langsam zerfiel. Als hätte sie seinen Besuch bereits erwartet, saß sie auf der Bank bei der Eingangstür, wo sie der schmale Dachvorsprung nur schlecht vor dem Regen schützte. Und als könne sie seine Gedanken lesen, man sieht schon von Weitem, dass es hier an einem Mann im Haus fehlt, keifte sie nach seiner Begrüßung, dass die Hütte gut genug für sie ist und nach ihr hier ohnehin niemand mehr leben wird.

Ignacij setzte sich zu ihr, erkundigte sich nach ihrer Gesundheit und betrachtete den verwilderten Garten, in dem ein paar Hühner scharrten. In der Speisekammer findet sich immer etwas an, brüstete sie sich, sie hat noch nie betteln müssen, die Leute erweisen sich dankbar, weil sie ihnen hilft, sie mögen sie gut leiden und bringen ihr mancherlei. Damit gab sie sich das Stichwort, um auf die Abneigung zu sprechen zu kommen, die seit einem Vierteljahrhundert zwischen ihr und seinem Vater Jakob bestand und alles umfasste, was die Knaps betraf.

Er wusste, dass er sich zahlreiche Vorwürfe anhören musste, bevor sie aufbrachen, deshalb reizte er sie gleich selbst dazu, mit ihrer Litanei loszulegen: Sie soll sich gefälligst sputen, verlangte er, seine Frau steht kurz vor der Niederkunft. Sie winkte ab, sie wird nirgendwo hingehen, wo sie noch weniger erwünscht ist als ein elender Bettler oder streunender Hund. Lass doch ab vom alten Groll, sagte er zu ihr, es geht schließlich nicht um Vater, Terezija braucht Hilfe. Sie knurrte zurück, dass es den Knaps sowieso egal ist, wenn eine Frau bei der Geburt stirbt, auch ihre Neža haben sie getötet. Sie hätte sie gerettet, sie und die Zwillinge, weil sie mächtige Zauber kennt, man hat aber lieber einen Arzt gerufen, der erst die Kinder getötet hat und dann auch noch Neža. Es war wohl so vorherbestimmt, versuchte Ignacij zu beschwichtigen, aber Štefanija brauste erneut auf, er kann gern die Hebamme aus dem Dorf holen und den Bergwerksarzt gleich dazu, damit der wieder jemanden hinmetzeln kann, warum er überhaupt zu ihr gekommen ist, wenn alles nur Schicksal ist.

Sie hielten kurz inne, und er hoffte, dass das Schlimmste überstanden war, dass sich ihre Wut gelegt hat, als sie ihn anfuhr, dass er sich von seinem Vater kein bisschen unterscheidet. Sanft erwiderte er, dass er bei Mutters Tod kaum fünf Jahre alt war, er begriff noch nichts, er konnte nichts tun. Auch später hast du nichts getan, fuhr sie gallig fort, man sucht sie nur auf, wenn man sie braucht, ansonsten existiert sie nicht. Sie hat Terezija noch bei jeder Geburt geholfen, jedes Mal hat sie ihre Hilfe angeboten, und gedankt hat man es ihr mit Spott und Hass, sogar mit dem Finger wurde ihr gedroht.

Wieder verstummten sie. Er betrachtete die Hühner, die im Garten scharrten, er sagt nichts mehr, beschloss er, er wird ihr keinen Anlass für neue Wutausbrüche mehr geben. Selbst wenn du mein Haus und den Garten betrachtest, spricht die Verachtung aus dir, griff sie ihn erneut an. Erwartest du etwa, dass ich mit fünfundsiebzig Jahren auf dem Buckel noch selbst den Garten umgrabe und auf das beschädigte Dach steige, zankte sie mit ihm. Sie reagierte höhnisch auf sein Versprechen, dass er kommt und ihr das Dach repariert, sie weiß nur zu gut, dass sie ihn kein bisschen kümmert, es wäre ihm egal, wenn sie im Haus absäuft, Hauptsache, er sitzt in seiner warmen, trockenen Stube. Damit rührte Štefanija an eine frische Wunde, sie erinnerte ihn an sein zerstörtes Haus. Als ich losging, stand nur noch die Hälfte vom Haus, antwortete er spitz, er hatte ihre Vorwürfe satt, und die steht mittlerweile vielleicht auch nicht mehr, vielleicht hat der Erdrutsch sie mitgerissen, so wie die Kirche.

Voller Neugierde sprang die Alte mit einem Ruck auf. Sie schimpfte mit ihm, dass er seine Frau in den Wehen allein gelassen hat, dass er untätig hier herumsitzt und dummes Zeug schwafelt, obwohl sie ihr dringend bei der Geburt helfen müssen.

Terezija hielt die Schweineküche für den geeignetsten Ort zur Niederkunft. Das ramponierte Haus war nicht sicher, an der Heuharfe pilgerten Gaffer aus dem Tal in Scharen vorbei, meist Frauen mit kleinen Kindern und alte Männer. Die Nachbarin half ihr zur Schweineküche, die sie zuvor dick mit Heu ausgelegt hatte, sie machte Feuer unter dem Kessel. Das Kind hat sicher ein Schwänzlein, neckte sie Terezija, darum soll sie beten, dass es vorne sitzt. Die Schwangere konnte über den Scherz nicht lachen, ein starker Schmerz stach ihr genau in diesem Moment ins Kreuz.

Die Schwägerin Zofija, die etwas später eintraf, war zunächst beleidigt, dass niemand nach ihr geschickt hatte, fand jedoch niemanden mit einem offenen Ohr für ihre Vorwürfe, sie hätte die Geburt versäumt, wäre sie nicht vor Neugierde, was das Unwetter wohl in Podgorje angerichtet hat, vor die Tür gegangen. Sie trat ins Haus, etwas in Sorge, dass die gnadenlose Natur ihr begonnenes Werk jeden Moment vollendet. Nach den ersten vorsichtigen Schritten verflog ihr Unbehagen, nur der bereits angeschlagene Teil des Hauses, den sie schon länger nicht mehr benutzten, war eingestürzt, auf der anderen Seite, die das Unwetter überstanden hatte, war alles unverändert, bis auf den einen oder anderen neuen Riss, der sich wie ein Spinnenfaden auf der Mauer abzeichnete. Sie holte ein warmes Winterhemd aus dem Schrank und ein abgenutztes Bettlaken, das sie für Windeln und Bänder zurechtriss. Sie beeilte sich, denn zwischen dem Grunzen der Schweine hörte sie die Schreie der Wöchnerin. Um nichts in der Welt wollte sie die Geburt des Kindes verpassen. Sie hatte sich mit dem Schicksal abgefunden, keine eigenen zu haben – dreimal war sie schwanger geworden, aber jedes Mal war der Fötus abgestorben –, deshalb vergötterte sie alle anderen.

An der Tür stieß sie fast mit Štefanija zusammen. Zu ihr war die Alte weniger gehässig als den anderen Knaps gegenüber, vielleicht tat sie ihr wegen der unerfüllten Mutterschaft leid, vielleicht mochte sie sie aber auch, weil sie sich ihrem Vater widersetzt, gegen seinen Willen einen Bergmann geheiratet hatte und ins Tal gezogen war. Zofija brachte sie zum Schweinestall, wo Štefanija sofort das Kommando übernahm. Die Geburt nahte schon ihrem Ende, das Kind drängte unaufhaltsam nach draußen, es schien wie die immer zahlreicher vorbeieilenden Schaulustigen die eingestürzte Kirche sehen zu wollen, ein klares Zeichen, dass Gott in Podgorje den Kampf mit dem Teufel endgültig verloren hatte, seine Festung übergab und sich schmachvoll zurückzog.

Der Junge, der erst einen Monat später bei der Taufe den Namen Matija erhalten wird, war recht bläulich und stellenweise mit einer wachsartigen weißen Schicht bedeckt. Štefanija überließ das weinende Baby den Frauen, schabte mit gekrümmtem Zeigefinger lediglich etwas Fruchtschmiere von seinem Leib. Unter unverständlichem Gemurmel kritzelte sie damit Terezija etwas auf Gesicht, Bauch und Schenkel. Während sich Zofija dem Baby widmete, folgten Terezija und ihre Nachbarin mit stummem Respekt dieser Beschwörung, die sich so lange dahinzog, bis eine Welle letzter Krämpfe die Nachgeburt anschwemmte. Štefanija zog sie kennerhaft auseinander, begutachtete sie und warf sie dann dem Schwein zum Fraß vor, das sich gierig darauf stürzte.

Sie nahm Zofija das in ein Winterhemd gewickelte Kind ab und schickte sie mit der Nachbarin hinaus. Lange und gründlich betrachtete sie es und schüttelte dabei den Kopf, weshalb sich Terezija besorgt auf die Seite wälzte und zu ihnen beugte. Sofort fielen ihr die ungewöhnlich langen Ohrläppchen auf, die wie die Kehllappen eines Hahns herabhingen. Štefanija winkte ab, das ist unwichtig, die Augen des Kindes gefielen ihr nicht, sie waren ungewöhnlich hell, blaugrau. Etwas Fremdes spricht aus ihnen, sagte sie, etwas, das einem durch und durch geht. Sie befahl Terezija, beide Augen dreimal abzulecken und jedes Mal den Speichel auszuspucken, sie selbst sprach währenddessen feierlich einen geheimnisvollen Zauberspruch.

Noch immer kopfschüttelnd ging sie zur Tür, aber Terezija rief sie zurück. Verstohlen flüsterte sie ihr zu, dass sie keine Kinder mehr haben will, sie kann nicht andauernd gebären. Sie braucht etwas Stärkeres als Essig, der hilft nicht. Die Alte neigte sich hinab zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr, dass Apfelessig immer hilft, nur gegen Teufelssamen ist er machtlos. Sie soll fliehen, vielleicht ist es noch nicht zu spät, Hass strömte aus dem Mund der Alten, andernfalls kommt sie um wie ihre Neža.

Schon von Weitem erkannte Ignacij in der Prozession der Neugierigen seinen Vater und dessen torkelnden Gang. Am Haus der Knaps blieben die Schaulustigen nur kurz stehen – einige staunten, wie glatt das Haus durchtrennt war, fast genau in der Mitte, andere stellten belanglose Fragen –, alle zog es zum Hügel, wo jahrhundertelang eine kleine Kirche gestanden hatte und es jetzt nichts mehr gab.

Jakob kam zu seinem Hof gewankt, lauthals verfluchte er das Bergwerk, Gott, die Jungfrau Maria und alle Heiligen, das Leben und das Schicksal, nichts blieb verschont, was immer ihm einfiel, kam schon über seine Lippen. Breitbeinig stellte er sich zu Ignacij und starrte fassungslos auf das halb eingestürzte Haus. Noch derbere Flüche quollen aus seinem Mund, am Ende seines gotteslästerlichen Sermons verlangte er nach einem Gläschen Schnaps. Ignacij verfolgte sein trunkenes Schwanken und überhörte ihn ruhig, er gab ihm zur Antwort, dass er einen Enkel bekommen hat, Terezija hat soeben einen Sohn geboren. Jakob ignorierte die Nachricht, und den Blick aufs Haus gerichtet, verstummten beide.

Zofija, die von Kindern umringt Hühnersuppe kochte, trat mit einer Flasche Schnaps und einem Gläschen über die Schwelle. Sie schenkte ihrem Vater ein, der das Gläschen in einem Zug leerte, und danach noch ihrem Bruder, der es genauso rasch runterkippte. Jakob langte nach dem leeren Gläschen, doch Zofija war schneller, ihr habt genug. Als sie in der Tür verschwunden war, sagte Jakob weiter mit Blick auf das Haus zu Ignacij, dass er es gleich reparieren muss, in diesem Zustand ist es nicht bewohnbar. Er lässt sich von niemand was sagen, wies ihn Ignacij streng zurecht, und er wird nichts reparieren, er hat diese Bruchbude schon zu oft geflickt, es reicht, in diesem Haus kann man nicht mehr leben, was bis jetzt noch nicht zerfallen ist, stürzt morgen ein. Auf den Feldern wachsen gefräßige Löcher, alle Mühe ist umsonst, sprudelte es nur so aus ihm heraus, und jedes Wort bekräftigte seinen nächtlichen Entschluss, mit diesem undankbaren Besitz für immer abzuschließen. Die Klugen haben schon längst verkauft, nur den Dummen stürzt das Dach über dem Kopf ein, sagte er, der Anblick des halb zerstörten Hauses verlieh ihm die Kraft, seinen Gedanken zu Ende zu führen: Auch er wird verkaufen, er geht ins Tal, er kann nicht mehr.

Jakob sah ihn verwundert an, suchte langsam nach den richtigen Worten und erinnerte ihn dann ungewöhnlich ruhig an sein Versprechen. Damals war es anders, erwiderte Ignacij und sah weg, der Vater soll sich doch nur mal umschauen, dann wird ihm sofort klar, dass man hier nirgends mehr wohnen kann. Er kann nicht von ihm verlangen, wie ein Stück Vieh im Stall zu schlafen, er muss begreifen, dass alles anders ist als damals, sein Versprechen hat keine Geltung mehr.

Erneut schwiegen sie. Ignacij fühlte sich leichter, er hatte ausgesprochen, worüber er schon seit Jahren nachdachte, ein gewaltiger Stein fiel ihm vom Herzen, auch der Vater, war er überzeugt, begriff nun, dass es keinen anderen Weg gibt. Ignacij irrte sich auch diesmal. Über die Jahre und durch den Alkohol hatte Jakobs Verstand nachgelassen, deshalb brach es nun mit einiger Verzögerung aus ihm heraus, er explodierte regelrecht, dass sein eigener Sohn ihn betrügt, dass er ihm den Bauernhof mit einer List gestohlen und sich mit den Banditen vom Bergwerk verbündet hat, er will sich denen andienen, die ihr gutes Land verdorben und ein stabiles Haus zerstört haben. Ihm gingen die Worte aus, deshalb packte er seinen Sohn an den Kragenspitzen seiner Jacke, er hat es bei seinen Kindern geschworen, schnaubte er und spuckte ihm ins Gesicht.

Ignacij schubste seinen Vater grob von sich, sodass der zu Boden stürzte. Warum er nicht endlich seine Augen öffnet, brüllte er, die Häuser stürzen ein, der Teufelsschlund frisst die Erde, sieht er denn nicht, dass jeder das Dorf meidet, so gut er kann. Jakob rappelte sich langsam auf, mit blutunterlaufenen Augen erwiderte er, dass er einen Meineid geschworen hat, dass noch seine Kinder für diese Todsünde bezahlen werden, die nicht gesühnt werden kann, er hat eine Schlange an seiner Brust genährt, tobte er.

Wie zwei bissige Hunde kläfften sie einander an. Drei junge Burschen blieben stehen und amüsierten sich laut über das Spektakel. Ignacij fuhr sie an, sie sollen gefälligst verschwinden, worauf sich der kleinste von ihnen kampflustig vor ihm aufbaute und in seine Hosentasche griff, in der ein Springmesser steckte. Er hatte es noch nicht herausgezogen, da packten ihn schon seine Kameraden, jeder von einer Seite, und zogen den wild um sich Schlagenden fort.

Während sich Jakob den Dreck von den Ärmeln wischte, sagte er unversöhnlich, dass sich das Kuckucksei und die Vipernbrut zu ihresgleichen ins Tal gesellen soll, er will ihn nie wieder sehen. Er hatte seinem Sohn längst den Rücken zugekehrt und wankte den Weg zurück, auf dem er gekommen war, als noch immer Flüche aus seinem Mund sprudelten. In Ignacij kochte es, machtlos ballte er die Fäuste, er hätte schreien und um sich treten können, doch gab es nichts und niemanden in der Nähe, an dem er seine Wut auslassen konnte.

Am Nachmittag hörte es auf zu regnen, die Wolken zogen langsam ab, und es wurde heller. Zofija legte Štefanija einen halben Laib Brot in den Korb, ein Stück Trockenfleisch und eine Flasche Schnaps, aber die Alte hatte es plötzlich nicht mehr eilig. Gerade war sie aus der Schweineküche gekommen, wo sie Terezija noch einmal den Bauch abgetastet hatte, danach drang sie in Ignacij, er soll sein Versprechen nicht vergessen, das Dach ihrer Hütte zu reparieren, und nun empfahl sie der ungläubigen Zofija eine Rezeptur für einen Kräutertrank, mit dessen Hilfe sie ganz sicher schwanger wird.

Mit dem Regen schienen auch die Bitterkeit und der Zorn gewichen, die das Haus erfüllt hatten, da begann es unerwartet wieder dunkel zu werden, ein ungewöhnliches, bleiernes Totengrau legte sich über das Dorf und raubte ihm die kaum aufkeimenden Farben. Alle richteten ihren Blick zur Sonne, die sich wie eine milchblasse Kugel machtlos hinter dem Wolkenschleier abzeichnete. An ihrem Rand hing ein Schatten, der sie anfraß, langsam erlosch die Sonne vor ihren Augen.

Štefanija stellte den Korb ab, packte Rechen und Mistgabel, die an der Wand lehnten, bildete ein Kreuz aus ihnen und streckte es mit Mühe gen Himmel. Worte begannen aus ihr zu sprudeln, sie verstummte auch nicht, als ihre Arme die Anstrengung nicht mehr aushielten und das Gerät zu Boden fiel, da begann Frančiška laut zu weinen, und die Zwillinge stimmten wie auf Befehl mit ein. Štefanija war blind für die Menschen um sich herum, mit vollem Körpereinsatz bekämpfte sie einen unsichtbaren Gegner, schleuderte Wortkaskaden nach ihm, und nur selten konnte man etwas verstehen: Christus, zerreiße, Teufel, schwarz, Tod, böser Geist. Die Nachbarn, angelockt von dem ungewöhnlichen Licht oder von Štefanijas Gekreisch, bekreuzigten sich, Ignacijs Blick eilte verwirrt hin und her, die Finsternis fraß sich immer tiefer in die blasse Kugel hinein. Zofija packte die Alte und versuchte, sie zu beruhigen, es ist nur eine Sonnenfinsternis, die Zeitungen haben sie schon den ganzen Monat angekündigt, wegen allem, was los war, haben sie das ganz vergessen. Es ist nur ein Schatten, den die Sonne schnell wieder abschütteln wird, sprach sie Štefanija ins Ohr, aber die Alte hörte nichts, sie streckte ihre Arme zum Himmel empor und zeichnete mit ihrer Rechten pausenlos Kreuze in die Luft, von ihrem bebenden Körper gingen weiter sinnlose Worte aus. Die Finsternis erreichte ihren Höhepunkt, die kalte Sonne wurde zu einer blassen Mondsichel herabgewürdigt, Štefanija ging die Kraft aus, wie ein leerer Sack sank sie zu Boden. Zofija bot ihr einen Schluck aus der Flasche Schnaps an, die sie der Alten zum Dank geschenkt hatte.

Eine Weile war nur aufgeregtes Vogelzwitschern zu hören, doch schon bald hatte sich Štefanija erholt, weshalb sie mit ihrem wirren Geplapper fortfuhr, dass der Teufel ihnen selbst das Licht stehlen will. Er hat schon die Kirche niedergerissen, und jetzt wird er noch die Sonne vom Himmel schlagen. Zofija wies sie lachend zurecht, dass es keinen diebischen Satan gibt, die Gesichter aller anderen waren gezeichnet von Angst. Štefanija rappelte sich langsam auf, wie betrunken ging sie zwischen den Versammelten umher und versuchte, ihnen klarzumachen, dass sie von einer ewigen Dunkelheit eingehüllt werden, ein großes Unglück kommt auf sie zu, das Böse wird sich ringsum ausbreiten, ein Stock hat die Schlangengrube aufgestört, und nun wird allerlei Getier die Welt heimsuchen. Das Dorf ist voll Sünde, Gott hat es aufgegeben, alles geht zum Teufel, weder Podgorje noch die Knaps werden jemals wieder auf die Beine kommen.

Spinn nicht rum, bremste sie Zofija, die Alte aber prallte wie ein Nachtfalter gegen alle. Sie ist blind gewesen, jammerte Štefanija, sie hat seine Augen gesehen, sie hätte wissen müssen, dass sich der Teufel in ihm eingenistet hat. Besser, er wäre tot zur Welt gekommen. Als man diesen Teufelssamen hätte erwürgen müssen, sind sie zu schwach dazu gewesen, schnaubte sie, jetzt ist es zu spät, er ist hier, mit dem Einsturz der Kirche und dem Erlöschen der Sonne ist er gekommen. Zofija umschlang sie von hinten fest mit beiden Armen und schrie laut, sie soll aufhören zu schwatzen, Štefanija aber setzte sich zur Wehr und fuhr derweil ohne Ende fort, dass der Kleine kein Mensch ist, er hat zwei kalte Monde anstelle der Augen, Hörner und Schwanz werden noch sprießen, er ist zusammen mit der Katastrophe gekommen und wird Unglück säen, kaum ist er geschlüpft, zittert schon alles vor ihm. Zofija presste sie mit aller Kraft, beide verloren den Halt. Der Körper der Alten bebte in ihrer Umklammerung, ihr Blick war glasig, Schaum drang aus ihrem Mund.

In der Dunkelheit und Stille des Saustalls drückte Terezija den winzigen Körper an ihre Brust, der bald auf den Namen Matija getauft werden sollte, wobei sie sich über seine hellen Augen nicht genug wundern konnte. Unter dem Kessel brannte Feuer, ihnen war warm.

Am nächsten Tag wird Ignacij gleich frühmorgens zur Bergwerksverwaltung aufbrechen. Der Bergwerksdirektor wird ihn empfangen, ein älterer, galanter Herr, offensichtlich ein Ausländer, der die hiesige Sprache noch nicht vollkommen beherrscht, obwohl er schon lange im Tal lebt.

Durch die hohe Decke wirkt sein Büro gewaltig wie eine Kirche, die schweren Möbel und die mit dunklem Holz verkleideten Wände machen den Raum düster. Der Direktor wird ihnen aus einer birnenförmig geschliffenen Flasche Schnaps einschenken, sie werden auf bequemen lederbezogenen Stühlen Platz nehmen. Er wird Ignacij höflich nach den Vorkommnissen in Podgorje fragen, obwohl ihm die Lage bis ins kleinste Detail bekannt ist, danach wird er ihn zu einer großen Karte führen, die an einer der Wände hängt. Er wird mit dem Finger über die Linien fahren und ihm erklären, welche die Hauptsohle darstellt, wo sich die anderen Grubenbereiche befinden, wo die Kohle noch nicht abgebaut ist. Ignacij wird vergebens versuchen, auf der komplizierten Zeichnung etwas zu erkennen oder zu verstehen, während ihm der Direktor in seiner lustigen Ausdrucksweise erklären wird, dass sie auch unter Tage großen Problemen gegenüberstehen, die Lager sind zwar reich, aber das Gelände ist ziemlich schwierig und der Abbau ganz unberechenbar. Der Boden bricht auf, die felsigen Gipfel über Podgorje lasten mit ihrem Gewicht darauf und schieben den gesamten Hang zu Tal. Ignacij wird unschlüssig einwenden, dass die Erdrutsche und Erdfälle erst mit dem Bergbau begonnen haben, wonach der Direktor ein breites Lächeln aufsetzen und erläutern wird, dass die Erdrutsche und so manches mehr schon seit Urzeiten stattfinden, dass hier früher sogar Meer war und tropische Pflanzen wuchsen, sonst hätte man schließlich nichts zu graben.

Sobald sie sich wieder setzen, wird ihm Ignacij direkt sagen, dass er gekommen ist, um sein Land zu verkaufen. Der Direktor wird nicken, das Angebot wird ihn nicht überraschen, mehr noch, er wird zugeben, dass er schon lange mit ihm gerechnet hat. Ignacijs Entscheidung wird ihm besonnen erscheinen, da die Erosionsprozesse heftig zunehmen, dort zu wohnen ist nicht mehr sicher, und die Erde kann nicht garantieren, dass sie die mühsame Feldarbeit belohnen wird. Er wird scherzhaft hinzufügen, dass sie das Land nicht kaufen, um selbst Landwirtschaft darauf zu betreiben, sie wollen nur einiges auf der Oberfläche herrichten – mit Sicherheit wird es dort keine Felder mehr geben, die sind nämlich ein regelrechter Schlund, was unter der Erde große Unannehmlichkeiten verursacht –, damit die Arbeit in den Schächten sicherer wird und es weniger Störungen gibt. Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, wird er lächelnd erläutern, es ist Zeit, die Früchte unter der Erde zu ernten.

Bei diesem Sprachbild werden sie einen Moment schweigen, worauf Ignacij erzählen wird, dass tags zuvor die Hälfte seines Hauses eingestürzt ist, weshalb er auf Arbeits- und Wohnungssuche ist. Das Bergwerk braucht kräftige Leute, die Arbeit gewohnt sind, wird der Direktor höflich nicken, was die Arbeit betrifft, sehe er keine Schwierigkeiten, und ob eine freie Wohnung zur Verfügung steht, wird man ebenfalls prüfen. Ignacij wird forsch sein, er möchte eine Wohnung in der neuen Kolonie, wo schon seine Schwester Zofija lebt. Der Direktor wird entspannt lächeln, dass dort die besten Wohnungen sind, in denen bewährte Hauer leben, den Neulingen stehen schlechtere Wohnungen zu, sobald sie sich jedoch als würdig erweisen und sich eine Gelegenheit bietet, dürfen sie in die besseren ziehen. Ignacij wird beharren, dass er ein Arbeitsmensch ist und auf einer Wohnung in der neuen Kolonie besteht. Dem Direktor wird seine Entschlossenheit gefallen, deshalb wird er sich beim Verwalter erkundigen, wie die Chancen stehen. Er wird aufstehen und Ignacij zum Zeichen ihrer Abmachung und dass ihr Gespräch hiermit beendet ist, die Hand schütteln.

Ignacij wird sich bereits zur Tür drehen, aber noch bevor er den ersten Schritt getan hat, wird er sich erneut zum Direktor wenden. Am Tag zuvor ist ihm ein Sohn geboren worden, sein fünftes Kind, wird er sagen. Die Alte, die bei der Geburt mitgeholfen hat, sagt, dass er verdammt ist, des Teufels. Der Direktor wird mitfühlend nicken, als Ignacij hinzufügt, dass er wirklich schwach ist. Daraufhin wird er dem Direktor einen ungewöhnlichen Handel vorschlagen: Das Bergwerk soll ihm nur die Hälfte vom Kaufpreis auszahlen, die andere Hälfte soll die Vergütung für freie Unterkunft in der Wohnung sein, solange dieses Kind lebt. Sollte das Kind in wenigen Monaten oder Jahren sterben, kommt das Bergwerk so fast gratis zu Land, wenn es jedoch hundert Jahre alt wird, werden sie beide das ohnehin nicht mehr erleben. Der Direktor wird diesmal noch entspannter lachen, erneut wird er seinem Besucher schmeicheln, dass er ihm gefällt, weil er ein Vorbild für Weitsicht ist.

Ignacij wird im nahen Wirtshaus gleich am Schanktisch ein paar Gläser Wein leeren und sich gut gelaunt auf den Weg nach Podgorje machen. Wie gut, dass ihm Zofija geraten hat, wie er auftreten und sprechen soll, wird ihm durch den Kopf gehen, doch hat sie wohl nicht im Traum daran gedacht, dass er so gut dabei abschneiden wird. Er wird leichten Schrittes dahinschreiten, unzählige Lasten, die ihn alt gemacht haben, sind ihm vom Herzen gefallen, nicht einmal er selbst wird wissen, wie ihm ein Jauchzer entfahren wird, klar und laut, zu hören wahrscheinlich noch in Podgorje.

Er wird nach Hause eilen, um die freudige Nachricht zu überbringen, dass die Tage der Ungewissheit und des Wartens vorbei sind. Er hat alles geregelt, es kommen andere, ruhigere Zeiten. Von der Anhöhe wird sich ihm ein Blick auf Podgorje bieten, unter dem klaren Himmel wird sein Dorf in der Sonne baden, das seine Risse, die sich wie Falten eines Greises über die gesamte Fläche verteilen, nicht mehr verbergen kann. Nur der östliche Teil des Hangs scheint stabil zu sein; er endet in einer Kerbe, die sein Haus gespalten hat. Er wird ihr mit dem Blick folgen, wie sie sich bergauf schlängelt und dann einen leichten Bogen um ein Birkenpaar macht, das knappe hundert Meter oberhalb des Hauses wächst.

An genau diesem Fleckchen Erde sind die Zwillinge beerdigt worden, seine totgeborenen Brüder. Der Pfarrer wollte sie nicht auf dem Friedhof begraben, gemeinsam mit ihrer Mutter, weil sie nicht getauft waren. Štefanija trug das wenige, was von ihren kleinen Körpern übriggeblieben war, hinter das Haus und begrub sie dort, vielleicht pflanzte sie auch die Birken, oder es war der Wind, der sie ausgesät hat. Obwohl die Bäume inmitten von Ackerland wuchsen, hat man sie nicht gefällt, sie waren die einzige Erinnerung an seine Brüder, die starben, noch bevor sie einen Namen bekommen konnten. Wann immer er an den Birken vorbeischritt, bekreuzigte er sich andächtig.

Die Beine werden ihn von selbst dorthin tragen, während er sich in Gedanken mit den Fragen beschäftigt, die man ihm zu Hause nach seiner Rückkehr stellen wird. Er wird sich ein Bild von seinem Empfang ausmalen. Er wird ihnen nicht sofort erzählen, was er erledigt hat, mit einem langen Schweigen wird er ihre Ungeduld reizen. Er wird über Szenen lächeln, die sich bald zutragen sollten, als er an der weiter entfernten Birke, halb bedeckt von Ästen und Blättern, einen hängenden Körper bemerken wird.

ABSCHIED

Jakobs Gesicht war etwas geschwollen und ein bisschen dunkler als gewöhnlich. Der Tod hatte ihn schöner gemacht, der dumpfe Teint verdeckte die geplatzten Äderchen und Säuferstriemen, die Schwellung glättete die scharfen Falten ein wenig. Greifvögel, Mäuse und kleineres Ungeziefer haben sich noch nicht über sein Gesicht hergemacht, Ignacij hat seine Leiche vor ihnen gefunden. Als er ihn vom Ast nahm, fühlte er nichts, nur die kalte Umarmung des Toten empfand er als unangenehm. Er warf ihn sich über die Schulter und trug ihn zu den Trümmern seines Hauses; dabei überlegte er, ob er es überhaupt noch so nennen durfte, da der Kaufvertrag bereits vereinbart war, jedoch nicht unterschrieben.

Wie einen Sack Kartoffeln setzte er die Leiche ab und lehnte sie an die Hausecke, atmete durch und ging in die Küche, wo sich Zofija quasselnd zwischen Herd und Kindern bewegte. Noch bevor er sie begrüßte, wollte sie wissen, was er beim Bergwerk hatte ausrichten können. Es war ihm recht, Vaters Selbstmord für einen Moment verdrängen zu können, da ihm erst jetzt, wo er ihn bekanntzugeben hatte, seine Schwere und Tragik bewusst wurde. Auch deshalb erzählte er ungewöhnlich wortreich, was er mit dem Bergwerksdirektor vereinbart hatte. Er kam ins Schwadronieren, wiederholte Dialoge und versuchte, die Sprache des Direktors nachzuahmen, sodass Zofija einige Male freudig auflachte, er stand sogar auf, um auf der gedachten Karte etwas zu zeigen. Er steckte so tief im Geschehen vom Morgen, dass ihn der Hinweis seiner Schwester, dass sich nun auch Vater wohl oder übel damit abfinden muss, völlig umhaute, er wurde bleich, verstummte und sackte zusammen. Zofija sah ihn verwundert an, ihr Blick verlangte eine Erklärung, er aber konnte sie nicht aussprechen, deshalb strich er sich mit der Hand über die Kehle und streckte dann den Arm weit nach oben. Die unbeholfene Pantomime war unmissverständlich: Zofija ermahnte die Kinder, sich nicht aus der Küche zu bewegen, und zog Ignacij bestürzt nach draußen.

Beim Anblick der krummen Leiche entfuhr ihr ein Schrei, schluchzend kniete sie sich zum Vater, öffnete seine Augenlider und versuchte sich, an seine Brust gelehnt, davon zu überzeugen, ob sein Herz wie durch ein Wunder nicht doch noch schlug. Vorwurfsvoll blickte sie zu ihrem Bruder, Fragen sprudelten ihr aus dem Mund, warum er ihn zum Haus gebracht hat, ob er die Gendarmen benachrichtigt oder nach dem Pfarrer geschickt hat. Verwirrt ließ er ihren Wortschwall über sich ergehen, bis sie ihm sagte, dass er nicht blöd rumstehen, sondern wenigstens die Nachbarn holen soll.

Die Nachbarin übernahm die Kinder, womit ihnen der Anblick des toten Opas erspart blieb, Zofijas Mann begab sich ins Tal, um die Gendarmen zu holen. Während sie auf sie warteten, blieben Ignacij und Zofija bei der Leiche sitzen, mit der sie nichts anzufangen wussten. Schon zu seinen Lebzeiten hatten sie sich längst nichts mehr zu sagen, alle hegten einen Groll aufeinander, sie trafen sich nur selten, und selbst dann hatten sie nichts Besseres im Sinn, als einander anzufeinden. Nach langem Schweigen sagte sie zu ihrem Bruder, er soll Terezija nichts sagen, vor lauter Aufregung könnte ihr die Milch versiegen. Sie ging zum Schweinestall, durch den Türspalt betrachtete sie kurz Terezija, die im Schlaf Matija umklammert hielt, und kehrte zur stummen Gesellschaft zurück.

Erst das Knarren der Kutsche und der müde Schritt des Pferdegespanns verjagten die Stille. Ein junger, beleibter Arzt befasste sich nicht allzu sehr mit Jakob. Für die Gendarmen, die seine kurze Untersuchung aufmerksam verfolgten, fügte er hinzu, dass die Leiche schon mindestens einen halben Tag leblos ist, vielleicht sogar den ganzen Tag. Als er aufstand, beschied er kurz, dass es sich um einen gewöhnlichen Selbstmord handelt, ohne jegliche Anzeichen äußerer Gewalteinwirkung. Alles, was sie für den Verstorbenen noch tun können, ist, ein Gläschen auf seinen Seelenfrieden zu trinken, er blickte zu Zofija, dann hinunter ins Tal, drehte sich noch einmal den Männern in Uniform zu, bei den Lebenden braucht man sie eher als bei diesem Unglücksraben.

Der ältere Gendarm schlug die ihm angebotene Nebenrolle aus und begann, Ignacij zu verhören. Möglich, dass er damit dem Kommando des Arztes die Stirn bieten oder seinen jüngeren Kollegen beeindrucken wollte, vielleicht aber wollte er, gelangweilt von den immer gleichen trostlosen Orten und blutigen Schlägereien unter Betrunkenen, die Leiche nicht so einfach aus der Hand geben. Ignacij antwortete furchtsam, ganz anders als einige Stunden zuvor während seiner Verhandlung mit dem Bergwerksdirektor oder seiner Wiedergabe dieses Gesprächs für Zofija, der Vernehmer aber fragte ihm unerbittlich Löcher in den Bauch, er wollte wissen, wann er ihn gefunden hat, ob er allein war, wann er ihn das letzte Mal lebend gesehen hat, wo er gestern und heute war und was er da gemacht hat, wie ihr Verhältnis zueinander war. Die letzte Frage beunruhigte Ignacij, in seinem Kopf verband sich der Selbstmord seines Vaters ganz klar mit dem Versprechen, das er ihm vor Jahren gegeben hatte, ihm fiel ihr Streit ein und das Handgemenge tags zuvor. Noch immer empfand er keine Reue, doch ein Bewusstsein von Schuld begann, an ihm zu nagen, die eben hergestellte Kausalität verwirrte seine Gedanken. Wahrscheinlich hätte der Gendarm ihm sämtliche Zweifel entlockt, sein schlechtes Gewissen zum Sprechen gebracht, doch ihn rettete der Arzt, der die Strenge des Gendarmen völlig unnötig, sogar abstoßend fand. Es wundert ihn, sagte er, dass nicht das halbe Dorf in den Bäumen hängt, wo ihnen doch der Boden unter den Füßen weggezogen wird und die Unterwelt ihnen ihr gesamtes Hab und Gut und die Früchte ihrer Arbeit raubt. Gewiss, der Gendarm sagte darauf nichts, doch er stellte sein peinliches Verhör ein und bat Ignacij recht höflich, ihn und seinen Kollegen an den Ort zu führen, wo er den Verstorbenen gefunden hat.

Der ältere Gendarm ging die kurze Strecke schweigend, der jüngere folgte ihnen gehorsam, Ignacij wiederum wurde von Schuldgefühlen gequält: Er hatte keine Wahl, er wäre ja gern auf dem Bauernhof geblieben, aber die Dinge haben sich eben so gewendet, er musste verkaufen.

Säufer hängen sich häufig auf, belehrte der ältere Gendarm seinen jüngeren Kollegen, als sie bei dem Birkenpaar standen, trotzdem muss der Fall sorgfältig untersucht werden, alle Umstände gehören aufgeklärt. Obwohl hier alles klar ist, setzte er nach kurzer Pause hinzu, als sein Blick über den zerwühlten Hang und das zusammengestürzte Haus wanderte, keinerlei Aussicht, so etwas erträgt man nicht mal betrunken.

Zofija und der Arzt saßen auf einer Bank beim Schweinestall, der Arzt spielte gedankenverloren mit dem leeren Gläschen, während sie ständig nach der Dreiergruppe Ausschau hielt. Ihr grauste vor Ärzten, zu oft hatte sie davon gehört, wie der vorige Arzt die Zwillingsbrüder im Leib ihrer Mutter verstümmelt hatte, sie konnte sich diese Tat nur allzu bildlich vorstellen. Da ertönte Terezijas sanfter Ruf. Sie wollte ihn ignorieren, aber der Arzt hörte auf, das Gläschen in seinen Händen zu drehen, hob den Kopf und sah sie fragend an. Wortlos ging sie zur Schweineküche. Sie hatte sich noch nicht zu Terezija hinabgebeugt, da hörte sie schon einen Ausruf der Verwunderung hinter sich, dass sie schon im Frühling eine Weihnachtskrippe haben. Zofija erklärte hastig, dass es beiden, Mutter und Kind, gut geht, dass sie dieses Notlager eingerichtet haben, weil das Haus jeden Moment zusammenfallen kann, und dass sie in wenigen Tagen ins Tal umsiedeln. Der Arzt hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, er nahm Terezija das Kind ab und wiegte es in seinen Armen, redete mit ihm und bewegte die Finger vor seinem Gesicht. Als es laut aufschrie, gab er es Terezija rasch zurück und sah sie dabei mitfühlend an. Was für ein hübscher Junge, sagte er, welch großes Pech, dass er blind ist.

Niemand aus Podgorje oder den Nachbardörfern erinnerte sich, dass je zuvor auf dem Friedhof jemand, der sich selbst gerichtet hatte, nach kirchlichem Ritus bestattet worden war. Jakob Knap, der für die Kirche und ein christliches Leben nicht viel übrighatte, wurde dies zuteil.

Der Pfarrer wies Zofija, die ihn aufsuchte, um das Begräbnis zu besprechen, ohne Umschweife schon an der Tür zurück, überflüssig, darüber zu diskutieren. Sein herrisches Vorgehen reizte sie bis aufs Blut, sie wiederholte die Worte, mit denen der Arzt einige Stunden zuvor den Gendarmen entwaffnet hatte: Jemanden, dessen Lebensgrundlage auf derart heftige Weise wegbricht, kann man nicht für eine Tat verantwortlich machen, die er aus Hoffnungslosigkeit beging. Selbst unter noch so tragischen Umständen gibt es keine Entschuldigung für die Sünde an der Heiligkeit des Lebens, erhob nun auch der Pfarrer seine Stimme. Zofija fuhr ruhiger fort, dass sie lediglich darum bittet, ihren Vater beerdigen zu dürfen, der sich sein Leben lang mutig jeder Herausforderung gestellt hatte; der Mann, der Hand an sich legte, war ein anderer Mensch. Wir sind für alle unsere Taten verantwortlich, Amen, erwiderte der Pfarrer entschlossen, um den sturen Gast loszuwerden. Wird einer vom gesunden Menschenverstand verlassen, sind seine Handlungen mit anderer Elle zu messen, die ewige Verdammnis der Hölle kann ihn dafür nicht treffen. Hat nicht Jesus gelehrt, dass den geistig Armen das Himmelreich zusteht, ließ Zofija nicht nach.

Am liebsten hätte er sie geschlagen, nur mit großer Mühe beherrschte er seine Wut, als ihn Zofija auf der Schwelle des Pfarrhauses laut über seine Berufung belehrte, es war ihr sogar gelungen, seine anfängliche Entschlossenheit zu erschüttern. Mit gespielter Geduld gab er zu verstehen, dass der Fall ihres Vaters wirklich verwickelter ist, er wirft auch einige Zweifel auf, deshalb wird er alles noch einmal durchdenken und ihr seine endgültige Antwort am nächsten Morgen mitteilen.

Am Abend ging er in den Nachbarort, um mit einem älteren Pfarrer zu sprechen, bei dem die Jüngeren Rat suchten, wenn sie in einem Konflikt steckten. Gut eine Stunde lang wogen sie ab zwischen dem Skandal, den die laute Kampfhenne wahrscheinlich lostreten und den die gottlosen Arbeiter noch lustvoll anheizen würden, und dem Problem, dass dieser Präzedenzfall die Verwandten aller früheren Selbstmörder an seine Kirchentür führen würde. Der alte Pfarrer erwies sich als umsichtig, überlegt und vor allem als überaus pragmatisch. Er war der Meinung, dass die zu vermutende Unzurechnungsfähigkeit des Verstorbenen zur Zeit des Selbstmordes eine Bestattung auf dem Friedhof und sogar das kirchliche Begräbnisritual durchaus rechtfertigt, womit der Pfarrer den drohenden Krawall und die abzusehende Schmähung der Kirche vermeiden würde. Auf jeden Fall sollte er klar zu trennen versuchen zwischen jenen, die gottesfürchtig ihre Leiden ertragen, und denjenigen, die sich dem Gottesgesetz zuwider das Recht zum letzten Ausweg herausnehmen.

Der Pfarrer grübelte noch bis tief in die Nacht darüber, wie er seine Missbilligung dem Selbstmörder und noch mehr seiner erpresserischen Verwandten gegenüber offen zum Ausdruck bringen soll. Statt in Begleitung zweier oder dreier Ministranten erschien er mit nur einem einzigen Messdiener. Er begann die Beisetzung mit den Worten, dass die letzte Handlung des Verstorbenen schweren Tadel verdient, die Gnade des kirchlichen Begräbnisses darf er nur genießen, weil ihm die Verzweiflung den Verstand benebelt hat. Das war alles, was er über Jakob Knap sagte. Um das Ritual abzukürzen, ließ er sogar das eine oder andere Gebet aus. Doch er war sich bitter bewusst, dass all das längst nicht genügte, damit die Menschen seine Warnung überhaupt wahrnahmen, geschweige denn, dass sie jemandem Angst einflößten. Am Sonntag wird er ihnen in der Predigt nahebringen, dass nur ein gottesfürchtiges Leben mit einem würdevollen kirchlichen Begräbnis gekrönt werden kann.

Sein einziger Trost war die Hoffnung, dass die Menschen die Bestattung des unbeliebten Selbstmörders schnell vergessen, aber das Schicksal trieb ein hässliches Spiel. Die Leichenträger, vier ältere Männer aus Podgorje, legten zwei dicke Seile unter den Sarg und begannen, diesen langsam in die Tiefe hinabzulassen. Das erste Paar war schneller, der Sarg neigte sich stark nach vorn, deshalb rief ihnen der Alte aus dem zweiten Paar zu, sie sollen innehalten. Er stieg auf den frischen Aushub, um besser zu sehen, wie stark er das Seil lockern musste, wobei er auf dem nassen Lehmboden ausrutschte. Der Sarg stürzte krachend in die Grube und zog den Pechvogel mit sich. Für einen kurzen Moment erregte der Anblick großes Entsetzen unter den ringsum Versammelten, als jedoch wütendes Fluchen aus dem Grab zu hören war, konnte sich so mancher das Lachen nicht verkneifen. Ignacij wendete sich seinem Onkel zu und flüsterte, es ist, als würde sich Jakob selbst aus dem Grab melden, denn so war er die letzten Jahre gewesen, er hatte nur noch geschrien und geflucht.

Beim Leichenschmaus kamen zwanzig Nachbarn und Verwandte zusammen. Der Pfarrer schlug ihre Einladung aus, Štefanija erschien nicht zur Beerdigung. Zofijas Ehemann Albert erwies sich als zupackend, über die gesamte Breite der Heuharfe stellte er Tische und Bänke auf. Dafür verwendete er starke Bretter, gestützt auf die Latten, die zum Heutrocknen dienten, womit ein einfacher langer Tisch entstand mit ebenso langen Bänken zu beiden Seiten. Im eingestürzten Haus ließen sich keine Gäste mehr empfangen.

Jakobs älteste Schwester betete das Vaterunser dreimal laut, die anderen stimmten murmelnd mit ein. Die Stille, die entstand, als man sich zum Verstorbenen an etwas Gutes erinnern sollte, wurde nur durch das Schlürfen und Schmatzen gestört. Das Gespräch dümpelte dahin wie an einer Tafel voller Fremder, die einander misstrauten, nur die Leichenträger neckten ihren schmutzigen Kameraden einige Male, dass er es nicht so eilig haben soll, ins Jenseits zu kommen. Die Nachbarin fragte Jakobs Geschwister, die schon mehrere Jahre nicht mehr in Podgorje gewesen waren, wie es ihnen so ging, aber alle antworteten nur mit einem knappen Gut, nichts Besonderes.

Die betretene Stimmung lösten erst die Kinder, die Zofija zum Tisch kommen ließ, als die Gäste fertiggegessen hatten. Die Frauen bewunderten laut die hübsche Frančiška, sie rückten ihr die gelbe Haarschleife zurecht und nahmen sie auf den Schoß, die Männer alberten herum und fragten die Zwillinge ständig, wer von ihnen nun Alojzij und wer Ludvik ist. Als die Kinder den Spieß umdrehten und ihnen dieselbe Fragen zurück stellten, schlug das um in ein fröhliches Spiel. Die Nachbarin lachte, dass sie irgendwo noch zwei Würmchen versteckt halten, der Nachbar neckte Ignacij, dass er auch noch die Saumagd holen soll, um ihnen Gesellschaft zu leisten. Die Bewohner aus Podkraj schmunzelten dabei vergnügt, die Verwandten von anderswo blickten verdutzt drein.

Während Zofija die Schwägerin holte, kam am Tisch ein Gespräch über das letzte Unwetter und den Verfall der Siedlung in Gang, man zählte auf, wer ins Tal gegangen war und wer noch ausharrte, man überschlug die Höhe des Schadens, den ein jeder erlitten hatte, fragte sich, ob bis zum Jahresende überhaupt noch jemand durchhalten wird. Der verdreckte Leichenträger zimmerte einen simplen Totenvers auf Podkraj, dessen Ende naht.