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Das I Ging ist ein altes chinesisches Orakel, das bei Beantwortung von ungelösten Fragen hilft.
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Seitenzahl: 335
Copyright
I Ging
Das Orakelbuch
Das Weisheitsbuch
Zur Übersetzung
1. KIEN
2. KUN
3. DSCHUN
4. MONG
5. SÜ
6. SUNG
7. SCHI
8. BI
9. SIAU TSCHU
10. LÜ
11. TAI
12. PI
13. TUNG JEN
14. DA YU
15. KIEN
16. YÜ
17. SUI
18. GU
19. LIN
20. GUAN
21. SCHI HO
22. BI
23. BO
24. FU
25. WU WANG
26 DA TSCHU
27. I
28. DA GO
29. KAN
30. LI
31. HIEN
32. HONG
33. DUN
34. DA DSCHUANG
35. DSIN
36. MING
37. GIA JEN
38. KUI
39. GIEN
40. HIE
41. SUN
42 I.
43. GUAI
44. GOU
45. TSUI
46. SCHONG
47. KUN
48. DSING
49. GO
50. DING
51. DSCHEN
52. GEN
53. DSIEN
54. GUI ME
55. FONG
56. LÜ
57. SUN
58. DUI
59. HUAN
60. DSIE
61. DSCHUNG FU
62. SIAU GO
63. GI DSI
64. WE DSI
jetzt erhältlich
Copyright © 2016 / FV Éditions
ISBN 979-10-299-0182-9
Alle Rechte Vorbehalten
— Unbekannter chinesischer Autor —
Übersetzt von Richard Wilhelm
Das Buch der Wandlungen war zunächst eine Sammlung von Zeichen für Orakelzwecke. Orakel wurden im Altertum allenthalben gebraucht, und die ursprünglichsten unter ihnen beschränkten sich auf die Antworten Ja und Nein. So liegt auch bei dem Buch der Wandlungen diese Orakelentscheidung zugrunde. Das »Ja« wurde durch einen einfachen ganzen Strich angedeutet –, das »Nein« durch einen gebrochenen Strich . Schon sehr früh scheint jedoch das Bedürfnis zu einer größeren Differenzierung vorhanden gewesen zu sein, und aus den einfachen Strichen ergaben sich Kombinationen durch Verdoppelung , denen dann noch ein drittes Strichelement hinzugefügt wurde, wodurch die sogenannten acht Zeichen entstanden. Diese acht Zeichen wurden als Bilder dessen, was im Himmel und auf Erden vorging, aufgefaßt. Dabei herrschte die Anschauung eines dauernden Übergangs des einen in das andere, ebenso wie in der Welt ein dauernder Übergang der Erscheinungen ineinander stattfindet. Hier haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind Zeichen wechselnder Übergangszustände, Bilder, die sich dauernd verwandeln. Worauf das Augenmerk gerichtet war, waren nicht die Dinge in ihrem Sein – wie das im Westen hauptsächlich der Fall war –, sondern die Bewegungen der Dinge in ihrem Wechsel. So sind die acht Zeichen nicht Abbildungen der Dinge, sondern Abbildungen ihrer Bewegungstendenzen. Diese acht Bilder haben dann auch einen mannigfaltigen Ausdruck gefunden. Sie stellten gewisse Vorgänge in der Natur dar, die ihrem Wesen entsprachen. Sie stellten ferner eine Familie von Vater, Mutter, drei Söhnen, drei Töchtern dar, nicht in mythologischem Sinn, wie etwa der griechische Olymp von Göttern bevölkert ist, sondern ebenfalls in jenem sozusagen abstrakten Sinn, daß nicht Dinge, sondern Funktionen dargestellt werden.
Gehen wir diese acht Symbole, wie sie dem Buch der Wandlungen zugrunde liegen, durch, so bekommen wir folgende Anordnung:
Wir haben somit in den Söhnen das bewegende Element in seinen verschiedenen Stadien: Anfang der Bewegung, Gefahr in der Bewegung, Ruhe und Vollendung der Bewegung. In den Töchtern haben wir das Element der Hingebung in seinen verschiedenen Stadien: Sanftes Eindringen, Klarheit und Anpassung, heitere Ruhe.
Um nun eine noch größere Mannigfaltigkeit zu gewinnen, wurden diese acht Bilder sehr früh schon kombiniert, wodurch man die Zahl von 64 Zeichen bekam. Diese 64 Zeichen bestehen nun je aus sechs positiven oder negativen Strichen. Diese Striche sind wandelbar gedacht. Sooft ein Strich sich wandelt, geht der durch ein Zeichen dargestellte Zustand in einen andern über. So haben wir z.B. das doppelte Zeichen Kun, das Empfangende, die Erde . Es stellt die Art der Erde dar, das kraftvoll Hingebende, im Lauf des Jahres den Spätherbst, da alle Lebenskräfte ruhen. Wandelt sich nun der unterste Strich, so bekommen wir das Zeichen Fu, die Wiederkehr. Es stellt den Donner dar, die Bewegung, die sich zur Sonnwendzeit in der Erde wieder regt, die Wiederkehr des Lichten.
Wie aus diesem Beispiel hervorgeht, müssen sich nicht alle Striche wandeln. Es hängt ganz davon ab, welchen Charakter der Strich hat. Ein Strich, der die positive Natur in der Steigerung enthält, schlägt um in sein Gegenteil, das Negative; dagegen bleibt ein positiver Strich von geringerer Stärke unverändert, und entsprechend ist es mit den negativen Strichen.
Darüber nun, welche Striche so stark mit positiver oder negativer Kraft geladen zu denken sind, daß sie sich bewegen, geben im zweiten Buch Kapitel IX des ersten Abschnitts der großen Abhandlung sowie der Sonderabschnitt über das Wahrsagen genaueren Aufschluß. Hier sei nur so viel gesagt, daß die sich bewegenden positiven Striche mit Neun, die sich bewegenden negativen Striche mit Sechs bezeichnet werden, während die Striche, die ruhen und also nur als Aufbaumaterial des Zeichens ohne innere Sonderbedeutung dienen, durch eine Sieben bzw. Acht repräsentiert werden. Wenn es also im Text heißt: »Anfangs eine Neun bedeutet«, so heißt das: Wenn der positive Strich auf dem Anfangsplatz durch eine Neun repräsentiert wird, so bedeutet er folgendes: ... – Wird er dagegen durch eine Sieben repräsentiert, so kommt er für das Orakel nicht in Betracht. Ebenso ist es mit den Sechsen und Achten. In unserem vorigen Beispiel haben wir das Zeichen Kun, das Empfangende, das sich folgendermaßen zusammensetzt:
8 oben
8 auf fünftem Platz
8 auf viertem Platz
8 auf drittem Platz
8 auf zweitem Platz
Anfangs 6
Es bleiben also die fünf oberen Striche außer Betracht, und nur die Sechs zu Anfang hat eine selbständige Bedeutung. Durch ihre Umgestaltung geht der Zustand Kun, das Empfangende, in den Zustand Fu, die Wiederkehr, über.
Auf diese Weise also haben wir eine Reihe von symbolhaft ausgedrückten Zuständen, die durch die Bewegung ihrer Linien ineinander übergehen können (nicht müssen; denn wenn ein Zeichen sich nur aus Siebenen und Achten zusammensetzt, so bewegt es sich nicht, und nur sein Zustand als ganzer kommt in Betracht).
Zu dem Gesetz der Wandlung und den Bildern der Wandelzustände, wie sie durch die 64 Zeichen gegeben waren, kommt nun noch ein weiteres. Jede Situation verlangte eine besondere Handlungsweise, um sich ihr anpassen zu können. In jeder Situation war eine Handlungsweise richtig, eine andere falsch. Offenbar brachte die richtige Handlungsweise Glück, die falsche Unglück. Welche Handlungsweise ist nun in jedem Fall die richtige? Diese Frage war das Entscheidende. Sie ist es, die dazu geführt hat, aus dem I Ging mehr zu machen als ein gewöhnliches Wahrsagebuch. Wenn eine Kartenlegerin ihrer Kundin sagt, daß sie in acht Tagen einen Geldbrief aus Amerika bekommen werde, so kann diese nichts tun als warten, bis dieser Brief kommt – oder nicht. Es ist Schicksal, das verkündet wird, das unabhängig ist vom Tun und Lassen des Menschen. Darum bleibt alle Wahrsagung ohne moralische Bedeutung. Indem sich in China zum ersten Male jemand fand, der sich mit den Zukunft verkündenden Zeichen nicht zufrieden gab, sondern fragte: Was soll ich tun? geschah es, daß aus dem Wahrsagebuch ein Weisheitsbuch werden mußte. Dem König Wen, der ums Jahr 1000 v. Chr. lebte, und seinem Sohn, dem Herzog von Dschou, war diese Wendung vorbehalten. Sie versahen die bisher stummen Zeichen und Linien, aus denen jeweils von Fall zu Fall die Zukunft divinatorisch erraten werden mußte, mit klaren Ratschlägen für richtiges Handeln. Dadurch wurde der Mensch zum Mitgestalter des Schicksals; denn seine Handlungen griffen als entscheidende Faktoren ins Weltgeschehen ein, um so entscheidender, je früher man durch das Buch der Wandlungen die Keime des Geschehens erkennen konnte; denn auf die Keime kam es an. Solange die Dinge noch im Entstehen sind, können sie geleitet werden. Haben sie sich erst in ihren Folgen ausgewachsen, so werden sie zu übermächtigen Wesen, denen der Mensch machtlos gegenübersteht. So wurde denn das Buch der Wandlungen zu einem Wahrsagebuche ganz besonderer Art. Seine Zeichen und Linien bildeten in ihren Bewegungen und Wandlungen geheimnisvoll die Bewegungen und Wandlungen des Makrokosmos nach. Durch den Gebrauch der Schafgarbenstengel konnte man den Punkt erhalten, von dem eine Übersicht über die Verhältnisse möglich war. Hatte man die Übersicht, so gaben die Worte Auskunft über das, was man zu tun hatte, um der Zeit zu entsprechen.
Für unser modernes Empfinden ist hierbei nur die Methode, durch Abteilen von Schafgarbenstengeln die Situation zu erfahren, befremdlich. Dieser Vorgang wurde aber als ein geheimnisvoller betrachtet in der Weise, daß eben durch dieses Abteilen dem Unbewußten im Menschen die Möglichkeit verliehen wurde, sich zu betätigen. Nicht jedermann hat in gleicher Weise die Fähigkeit, das Orakel zu fragen. Es bedarf dazu eines klaren und ruhigen Gemüts, das empfänglich ist für die kosmischen Einwirkungen, die in den unscheinbaren Orakelstengeln verborgen sind, die als Produkte der Pflanzenwelt mit dem Urleben in besonderen Beziehungen standen. Sie entstammten heiligen Pflanzen.
Was jedoch weit wichtiger geworden ist, ist der andere Gebrauch des Buchs der Wandlungen als Weisheitsbuch. Laotse sah dieses Buch und wurde dadurch angeregt zu einigen seiner tiefsten Aphorismen. Ja seine ganze Gedankenwelt ist von den Lehren des Buchs durchdrungen. Kungtse sah das Buch der Wandlungen und gab sich dem Nachdenken darüber hin. Er schrieb wohl einige Erklärungen dazu auf und überlieferte andere in mündlicher Lehre seinen Schülern. Dieses von Kungtse herausgegebene und kommentierte Buch der Wandlungen ist es, das auf unsere Zeit gekommen ist.
Fragen wir nach den Grundanschauungen, die einheitlich das Buch durchdringen, so können wir uns auf ganz wenige, aber große Gedanken beschränken.
Der Grundgedanke des Ganzen ist der Gedanke der Wandlung. In den Gesprächen wird einmal erzählt, wie der Meister Kung an einem Fluß stand und sprach: »So fließt alles dahin wie dieser Fluß, ohne Aufhalten, Tag und Nacht.« Damit ist der Gedanke der Wandlung ausgesprochen. Der Blick richtet sich für den, der die Wandlung erkannt hat, nicht mehr auf die vorüberfließenden Einzeldinge, sondern auf das unwandelbare ewige Gesetz, das in allem Wandel wirkt. Dieses Gesetz ist der SINN des Laotse, der Lauf, das Eine in allem Vielen. Um sich zu verwirklichen, bedarf es einer Entscheidung, einer Setzung. Diese Grundsetzung ist der große Uranfang alles dessen, was ist: Tai Gi, eigentlich: der Firstbalken. Die spätere Philosophie hat sich mit diesem Uranfang viel beschäftigt. Man hat den Wu Gi, den Ururanfang, als Kreis gezeichnet, und Tai Gi war dann der in Licht und Dunkel, Yin und Yang, geteilte Kreis, der auch in Indien und Europa eine Rolle spielte: . Aber die Spekulationen gnostisch-dualistischer Art sind dem Urgedanken des I Ging fremd. Diese Setzung ist für ihn einfach der Firstbalken, die Linie. Mit dieser Linie, die an sich eins ist, kommt eine Zweiheit in die Welt. Zugleich mit ihr ist oben und unten, rechts und links, vorn und hinten – kurz die Welt der Gegensätze gesetzt.
Diese Gegensätze sind bekannt geworden unter dem Namen Yin und Yang und haben namentlich in den Wendezeiten der Tsin- und Handynastie in den Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung, als es eine ganze Schule der Yin-Yang-Lehre gab, viel Aufsehen erregt. Damals wurde das Buch der Wandlungen vielfach als Zauberbuch verwendet, und tausend Dinge wurden in das Buch hineingeheimnißt, von denen es ursprünglich nichts weiß. Natürlich hat diese Lehre vom Yin und Yang, vom Weiblichen und Männlichen als Urprinzipien, auch in der fremden Wissenschaft über China Aufsehen erregt. Man vermutete hier nach bewährten Mustern phallische Ursymbole und was damit zusammenhängt. Zur großen Enttäuschung solcher Entdecker muß gesagt werden, daß in dem Ursinn der Worte Yin und Yang nichts liegt, was darauf hinweist. Yin ist in seiner Urbedeutung das Wolkige, Trübe; Yang bedeutet eigentlich: in der Sonne wehende Banner, also etwas Beleuchtetes, Helles. Übertragen wurden die beiden Begriffe auf die erleuchtete und die dunkle (d.h. südliche und nördliche) Seite eines Berges oder Flusses (wo aber die Südseite im Blick auf den Fluß dunkel, d.h. Yin, und die das Licht reflektierende Nordseite hell, d.h. Yang, ist). Von hier aus wurden die Ausdrücke dann auf das Buch der Wandlungen übertragen auf die beiden wechselnden Grundzustände des offenbaren Seins. Es verdient übrigens bemerkt zu werden, daß sie im eigentlichen Text des Buchs in diesem Sinn gar nicht vorkommen, ebensowenig in den ältesten Kommentaren, sondern erst in der großen Abhandlung, die ja in manchen ihrer Teile schon unter taoistischem Einfluß steht. Im Kommentar zur Entscheidung ist statt dessen von Festem und Weichem die Rede.
Wie es sich aber auch im übrigen damit verhalten mag, soviel steht fest, daß aus dem Wandel und Übergang dieser Kräfte das Dasein sich aufbaut, wobei denn der Wandel teils ein dauernder Umschlag von einem ins andere ist, teils ein kreisförmig geschlossener Ablauf von in sich zusammenhängenden Ereigniskomplexen wie Tag und Nacht, Sommer und Winter. Dieser Wandel aber ist nicht sinnlos, sonst könnte es kein Wissen davon geben, sondern eben dem durchgehenden Gesetz, dem SINN (Tao), unterworfen.
Der zweite Grundgedanke des Buchs der Wandlungen ist seine Ideenlehre. Die acht Zeichen stellen Bilder vor – nicht sowohl von Gegenständen als von Wandlungszuständen. Damit verbindet sich die Auffassung, die sich in Laotses Lehren ebenso wie in denen Kungtses ausspricht, daß alles, was in der Sichtbarkeit geschieht, die Auswirkung eines »Bildes«, einer Idee im Unsichtbaren ist. Insofern ist alles irdische Geschehen nur gleichsam eine Nachbildung eines übersinnlichen Geschehens, die auch, was den zeitlichen Verlauf anlangt, später als jenes übersinnliche Geschehen sich ereignet. Diese Ideen sind den Heiligen und Weisen, die in Kontakt stehen mit jenen höheren Sphären, durch unmittelbare Intuition zugänglich. Dadurch sind diese Heiligen in den Stand gesetzt, in das Weltgeschehen bestimmend einzugreifen, und der Mensch bildet so mit dem Himmel, der übersinnlichen Welt der Ideen, und der Erde, der körperlichen Welt der Sichtbarkeit, eine Dreiheit der Urmächte. In doppeltem Sinn findet nun diese Ideenlehre ihre Anwendung. Das Buch der Wandlungen zeigt die Bilder des Geschehens und mit ihnen das Werden der Zustände in statu nascendi. Indem man nun durch seine Hilfe die Keime erkennt, lernt man die Zukunft voraussehen, ebenso wie man die Vergangenheit verstehen lernt. So dienen die Bilder, die den Zeichen zugrunde liegen, eben dazu, Vorbilder zu sein für das zeitgemäße Handeln in den durch sie angedeuteten Situationen. Aber nicht nur die Anpassung an den Naturverlauf wird auf diese Weise ermöglicht, sondern es wird in der großen Abhandlung auch der sehr interessante Versuch gemacht, die Schaffung aller Kultureinrichtungen der Menschheit auf solche Ideen und Bilder zurückzuführen. Ganz einerlei, wie man sich zu der Durchführung im einzelnen stellt, dem Grundgedanken nach ist hier eine Wahrheit getroffen.
Außer den Bildern kommen als dritter Hauptbestandteil noch die Urteile in Betracht. Hierdurch bekommen die Bilder gleichsam Worte. Die Urteile deuten an, ob eine Handlung Heil oder Unheil, Reue oder Beschämung mit sich bringt. Damit setzen sie den Menschen in die Lage, sich frei zu entscheiden, eine gegebene Richtung, die sich aus der Zeitsituation an sich ergeben würde, eventuell zu verlassen, wenn sie unheilvoll ist, und auf diese Weise sich vom Zwang der Ereignisse unabhängig zu machen. Indem das Buch der Wandlungen durch seine Urteile und seine Erklärungen, die sich seit Kungtse daran angeschlossen haben, dem Leser den reifsten Schatz chinesischer Lebensweisheit darbietet, gibt es eine umfassende Übersicht über die Gestaltungen des Lebens und setzt ihn in den Stand, an der Hand dieser Übersicht sein Leben organisch und souverän zu gestalten, so daß es in Einklang kommt mit dem letzten SINN, der allem, was ist, zugrunde liegt.
Als nach der chinesischen Revolution (von 1911) Tsingtau der Aufenthaltsort einer Reihe der bedeutendsten chinesischen Gelehrten der alten Schule wurde, lernte ich unter ihnen Lau Nai Süan kennen, der mir zum ersten Mal die Geheimnisse des Buches der Wandlungen erschloß. Gemeinsam gingen wir an die Arbeit. Er erklärte den Text auf chinesisch, und ich machte mir Notizen. Dann übersetzte ich den Text für mich ins Deutsche. Darauf übersetzte ich ohne Buch meinen deutschen Text ins Chinesische zurück, und Lau Nai Süan verglich, ob ich in allen Punkten das Richtige getroffen. Dann wurde der deutsche Text noch stilistisch gefeilt und in seinen Einzelheiten besprochen. Ich habe ihn dann noch drei- bis viermal umgearbeitet und die wichtigsten Erklärungen beigefügt. So wuchs die Übersetzung heran. Sie ist – in zehnjähriger Arbeit – nach folgenden Grundsätzen vollendet worden, deren Kenntnisse die Lektüre wesentlich erleichtern dürfte:
Die Übersetzung des Textes ist so kurz und konzis wie möglich gegeben, um den archaischen Eindruck, den er auch im Chinesischen macht, zur Geltung kommen zu lassen.
Um das Eindringen in das Werk auch dem Nichtfachmann möglichst zu erleichtern, wurde zunächst im ersten Buch der Text der 64 Zeichen mit sachlicher Erklärung gegeben. Man lese zunächst diesen Teil durch auf die Gedanken hin, die darin gegeben sind, ohne sich stören zu lassen durch die Formen- und Bilderwelt. Man verfolge z.B. das Schöpferische in seinem stufenweisen Fortschritt, wie er mit Meisterhand gezeichnet ist in dem ersten Zeichen, und nehme zunächst ruhig die Drachen mit in Kauf, wie sie nun einmal dastehen. Auf diese Weise bekommt man eine Vorstellung davon, was chinesische Lebensweisheit über die verschiedenen Lebenslagen zu sagen hat.
Richard Wilhelm (1923)
oben Kien, das Schöpferische, der Himmel
unten Kien, das Schöpferisch, der Himmel
Das Zeichen besteht aus sechs ungeteilten Strichen. Die ungeteilten Striche entsprechen der lichten, starken, geistigen, tätigen Urkraft. Das Zeichen ist ganz einheitlich stark in seiner Natur. Da ihm keinerlei Schwäche anhaftet, ist es seiner Eigenschaft nach die Kraft. Sein Bild ist der Himmel. Die Kraft wird dargestellt als nicht gebunden an bestimmte räumliche Verhältnisse. Darum wird sie aufgefaßt als Bewegung. Als Grundlage dieser Bewegung kommt die Zeit in Betracht. So ist denn auch die Macht der Zeit und die Macht des Beharrens in der Zeit, die Dauer, in dem Zeichen begriffen.
Bei der Erklärung des Zeichens ist durchgehend eine doppelte Deutung zu berücksichtigen: die makrokosmische und die Wirkung in der Menschenwelt. Auf das Weltgeschehen angewandt ist in dem Zeichen das starke schöpferische Wirken der Gottheit ausgedrückt. Auf die Menschenwelt angewandt bezeichnet es das schöpferische Wirken des Heiligen und Weisen, des Herrschers und Führers der Menschen, der ihr höheres Wesen durch seine Kraft weckt und entwickelt .
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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