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Shane Schofields Elitetruppe wird in das weiße Nichts der Antarktis entsandt: Wissenschaftler haben auf einem Routine-Tauchgang mitten in einer Schicht aus über 100 Millionen Jahre altem Eis ein riesiges Objekt gefunden. Ein Objekt aus Metall. Doch plötzlich verschwinden die Männer spurlos in der eiskalten Tiefe des Ozeans. Ein Wettlauf um Leben und Tod in der weißen Hölle der Antarktis beginnt.
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Seitenzahl: 702
Das Buch
Eine US-Forschungsstation in der Antarktis: Wissenschaftler entdecken tief unten im Eis ein riesiges Objekt aus Metall. Ein spektakulärer Fund, denn die Eisschicht, die das Objekt umgibt, ist über 100 Millionen Jahre alt. Ein Raumschiff? Ein Tauchteam soll das Phänomen genauer untersuchen. Durch einen Tunnel im Eis nähern sich die Männer der rätselhaften Höhle. Alles scheint ruhig, aber plötzlich hören die Kollegen oben in der Station markerschütternde Schreie – und dann entsetzliche Stille.
Ein Elitetrupp der US-Marines soll klären, was in der Tiefe geschehen ist. Der Leiter des Trupps, Shane Schofield, hat eine erstklassige Mannschaft um sich versammelt, knallharte und erfahrene Leute ohne Furcht. Der Auftrag lautet: Den Fund untersuchen und ihn gegenüber allen verteidigen, die ihm zu nahe kommen. Nur allzu bald stößt Schofield auf einen Trupp Franzosen, die sich als Forscher der nahegelegenen französischen Eisstation ausgeben. Schofield glaubt ihnen nicht, und plötzlich droht von allen Seiten Gefahr ...
Der Autor
Matthew Reilly wurde 1974 in Australien geboren und studierte Jura an der Universität von New South Wales. Sein erster Roman Ice Station, in dem auch Captain Shane Schofield zum ersten Mal auftritt, wurde in vielen Ländern ein großartiger Erfolg. Mit Der Tempel und Showdown avancierte Reilly zum Bestsellerautor. Mittlerweile wurden seine Romane in zwanzig Sprachen übersetzt und weltweit über vier Millionen Mal verkauft. Matthew Reilly lebt in Sydney, Australien.
Von Matthew Reilly sind in unserem Hause bereits erschienen:
Ein Scarecrow-Thriller:
Ice Station
Die Offensive
Operation Elite
Hell Island
Ein Jack-West-Thriller:
Das Tartarus-Orakel
Die Macht der sechs Steine
Der fünfte Krieger
Außerdem:
Auf Crashkurs
Showdown
Thriller
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ISBN 978-3-8437-0652-0
Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage September 2013
© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2005
© 2000 für die deutsche Ausgabe by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München/Ullstein Verlag
© 1998 by Matthew Reilly
Published by Arrangement with Macmillan Publishers Ltd./Gen. Books
Dieses Werk entstand durch die Vermittlung von Literary Agency Thomas Schlück GmbH, Garbsen
Titel der australischen Originalausgabe: Ice Station (Pan Macmillan, Sydney)
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Titelabbildung: © FinePic®, München
Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
eBook: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Danksagung
Besonderer Dank gilt Natalie Freer – die unverfälschteste und hingebungsvollste Person, die ich kenne. Weiterhin danke ich Stephen Reilly, meinem Bruder und guten Freund sowie meinem getreulichen Unterstützer, sogar aus tausenden von Kilometern Entfernung. Mein Dank gilt auch meiner Mutter für ihre Kommentare zum Text, meinem Vater für seine jämmerlichen Titelvorschläge sowie allen beiden für ihre Liebe und Unterstützung. Und zu guter Letzt danke ich allen bei Pan (insbesondere meinen Lektorinnen Cate Paterson und Madonna Duffy, zunächst einmal dafür, dass sie mich »entdeckt« haben, und dann für das geduldige Ertragen all meiner verrückten Ideen). Ihr alle, unterschätzt niemals die Kraft eurer Ermutigung!
Einführung
Aus:
Kendrick, Jonathan
Der lebendige Kontinent
(Vorlesung, gehalten am Trinity College,
17.
März 1995)
Stellen Sie sich nach Möglichkeit einen Kontinent vor, der seine Größe in einem Vierteljahr verdoppelt. Einen Kontinent in immer währender Bewegung, eine für das menschliche Auge unmerkliche Bewegung, die jedoch nichtsdestoweniger verheerend in ihren Auswirkungen ist.
Stellen Sie sich vor, Sie würden aus großer Höhe auf diese weite, schneebedeckte Masse blicken. Sie würden die Merkmale der Bewegung erkennen: die aufgepeitschten Wogen der Gletscher, die sich an Bergen teilen und Hänge hinabstürzen wie schäumende, auf einen Film gebannte Wasserfälle.
Das ist die ›Furcht einflößende Trägheit‹, von der Eugene Linden gesprochen hat. Und wenn wir uns wie Linden vorstellen, dass wir dieses Bild im Zeitraffer betrachten, über tausende von Jahren hinweg, dann würden wir diese Bewegung erkennen.
Dreißig Zentimeter Bewegung pro Jahr erscheint uns in Echtzeit nicht viel. Im Zeitraffer jedoch werden Gletscher zu strömenden Flüssen aus Eis, Eis, das sich in frei dahinfließender Anmut und Furcht einflößender, unaufhaltsamer Macht voranbewegt.
Furcht einflößend? höre ich Sie spotten. Dreißig Zentimeter pro Jahr? Was könnte das denn für einen Schaden anrichten?
Beträchtlichen Schaden an Ihren Steuergroschen, würde ich sagen. Haben Sie gewusst, dass die britische Regierung bei vier verschiedenen Gelegenheiten die Station Halley ersetzen musste? Sehen Sie, wie viele andere antarktische Forschungsstationen liegt die Station Halley unterirdisch, begraben im Eis – aber bloße dreißig Zentimeter Bewegung pro Jahr lassen ihre Wände zerbrechen und ihre Decken in beträchtliche Schieflage geraten.
Der springende Punkt ist, dass die Wände der Station Halley unter starkem Druck stehen, unter sehr starkem Druck. Und zwar nur wegen des Eises, das sich vom Pol her nach außen schiebt, unerbittlich zum Meer hin schiebt, es will zum Meer – und es lässt sich von etwas so Unbedeutendem wie einer Forschungsstation nicht daran hindern!
Doch ist Großbritannien vergleichsweise noch ziemlich gut davongekommen, wenn es um eine dramatische Bewegung des Eises geht.
Denken Sie einmal an 1986, als das Filchnerschelfeis einen Eisberg von der Größe Luxemburgs in die Weddelsee gekalbt hat. Dreizehntausend Quadratkilometer Eis haben sich vom Festland gelöst … und die verlassene argentinische Basisstation Belgrano I hat es ebenso mit sich gerissen wie die sowjetische Sommerstation Druschnaja. Offenbar hatten die Sowjets Druschnaja in jenem Sommer nutzen wollen. Im Endeffekt verbrachten sie die nächsten drei Monate zwischen den drei massiven Eisbergen, die sich aus der ursprünglichen Eisbewegung gebildet hatten, auf der Suche nach ihrer verloren gegangen Basis! Und haben sie gefunden. Letzten Endes.
Die Vereinigten Staaten hatten noch weniger Glück gehabt. Alle fünf der »Little America« genannten Forschungsstationen sind in den sechziger Jahren auf Eisbergen ins Meer hinausgetrieben.
Meine Damen und Herren, was sie aus dem Ganzen lernen sollen, ist ziemlich einfach. Was kahl und öde zu sein scheint, muss in Wirklichkeit nicht so sein. Was eine Wüste zu sein scheint, muss in Wirklichkeit keine sein. Was leblos zu sein scheint, muss in Wirklichkeit nicht so sein.
O nein! Denn lassen Sie sich von einem Blick auf die Antarktis nicht ins Bockshorn jagen! Sie sehen keinen eisbedeckten Fels. Sie sehen einen lebendigen, atmenden Kontinent.
Aus:
Goldridge, William
Watergate
(New York, Wylie, 1980)
KAPITEL 6: DAS PENTAGON
… worüber jedoch in der Literatur seltsames Schweigen herrscht, ist das starke Band, das Richard Nixon mit seinen Militärberatern zusammengeschweißt hatte, am bemerkenswertesten mit einem Air Force Colonel namens Otto Niemeyer … [S.80]
… nach den Ereignissen um Watergate weiß jedoch niemand so ganz genau, was aus Niemeyer geworden ist. Er war Nixons Mittelsmann zum Vereinten Generalstab, sein Verbindungsoffizier. Niemeyer, bei Nixons Rücktritt zum Rang eines Colonel aufgestiegen, hatte jedoch etwas gefunden, von dem nur wenige Leute behaupten konnten, sie hätten sich dessen je erfreut: Gehör bei Richard Nixon.
Überraschend hingegen ist, dass nach Nixons Rücktritt im Jahr 1974 in den Statuten über Otto Niemeyer nicht viel zu finden ist. Er blieb unter Ford und Carter im Vereinten Generalstab, ein schweigsamer Spieler, der viel für sich behielt, bis seine Position im Jahr 1979 jäh vakant wurde.
Die Carter-Administration gab niemals eine Erklärung für Niemeyers Hinauswurf ab. Niemeyer war unverheiratet; wie einige andeuteten, homosexuell. Er lebte allein in der Militärakademie von Arlington. Nur wenige Leute gaben offen zu, mit ihm befreundet zu sein. Er war häufig auf Reisen, oftmals mit ›Ziel unbekannt‹, und seine Arbeitskollegen dachten sich nichts bei seiner mehrtägigen Abwesenheit vom Pentagon im Dezember 1979.
Das Problem bestand darin, dass Otto Niemeyer niemals zurückkehrte …
[S.86]
Eisstation
Prolog
Wilkes Land, Antarktis
13.Juni
Es war jetzt drei Stunden her, seitdem sie den Funkkontakt zu den beiden Tauchern verloren hatten.
Der Abstieg war problemlos verlaufen, trotz der Tatsache, dass es so tief hinabging. Price und Davis waren die erfahrendsten Taucher der Station und hatten auf dem ganzen Weg nach unten locker über Funk geplaudert.
Nachdem sie auf halbem Weg zu einem erneuten Druckausgleich angehalten hatten, waren sie weiter auf eintausend Meter abgestiegen, wo sie die Taucherglocke verlassen und ihren Aufstieg in die diagonal verlaufende, schmale, eisbedeckte Höhle begonnen hatten.
Die Wassertemperatur hatte stabil bei 1,9 °Celsius gelegen. Noch vor zwei Jahren war das Tauchen in der Antarktis wegen der Kälte auf extrem kurze – und, wissenschaftlich gesehen, extrem unbefriedigende – Ausflüge von zehn Minuten Dauer beschränkt gewesen. Mit ihren neuen, von der Navy entwickelten thermoelektrischen Anzügen jedoch sollten Taucher in der Antarktis für wenigstens drei Stunden in dem nahezu gefrierenden Wasser des Kontinents eine angenehme Körpertemperatur beibehalten können.
Die beiden Taucher hatten über Funk ein stetiges Gespräch aufrechterhalten, während sie den steilen Unterwasser-Eistunnel aufgestiegen waren; sie hatten die rissige, grobe Struktur des Eises beschrieben und Bemerkungen über dessen satte, fast engelhaft himmelblaue Färbung geäußert.
Und dann war ihr Gespräch jäh verstummt.
Sie hatten die Oberfläche ausgemacht.
Die beiden Taucher blickten von unten zur Wasseroberfläche auf.
Es war dunkel, das Wasser ruhig. Unnatürlich ruhig. Keine Welle durchbrach die glasige, spiegelglatte Ebene. Im hellen Schein ihrer Maglites glitzerten die Eiswände ringsumher wie Kristall. Sie schwammen nach oben.
Auf einmal vernahmen sie ein Geräusch.
Die beiden Taucher hielten inne.
Zunächst war es lediglich ein einzelner, quälender Pfeifton, der durch das klare, eisige Wasser hallte. Der Gesang eines Wals, dachten sie.
Möglicherweise: Killerwale. Vor kurzem war ein Schwarm Killerwale gesichtet worden, der um die Station gestrichen war. Zwei davon – jugendliche Männchen – hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, innerhalb des Tümpels an der Basis der Eisstation Wilkes zum Luftholen aufzutauchen.
Wahrscheinlicher jedoch war es ein Blauwal, der vielleicht fünf oder sechs Kilometer vor der Küste einer Gefährtin zusang. Darin bestand das Problem bei den Gesängen der Wale: Wasser war ein derart guter Leiter, dass man nie wusste, ob der Wal einen Kilometer entfernt war oder zehn.
Solchermaßen beruhigt setzten die beiden Taucher ihren Aufstieg fort.
Genau da erfolgte auf das erste Pfeifen eine Antwort.
Sogleich tönten etwa ein Dutzend ähnlicher Pfeiflaute über die dichte Wasserebene hinweg und überfluteten die beiden Taucher. Lauter als der erste Pfeifton.
Näher.
Die beiden Taucher fuhren herum und spähten, in dem klaren blauen Wasser schwebend, auf der Suche nach der Quelle des Lärms in jede Richtung. Einer von ihnen nahm die Harpune vom Rücken und spannte den Bolzen und jäh verwandelte sich das schrille Pfeifen in schmerzliches Geheul und Gebell.
Und dann ertönte auf einmal ein lautes Wumm! und beide Taucher schnellten gerade rechtzeitig nach oben, so dass sie sahen, wie die glasartige Oberfläche des Wassers in tausende von Wellen zerbrach, als etwas Großes von oben ins Wasser plumpste.
Laut klatschend durchbrach die gewaltige Taucherglocke die Oberfläche.
Benjamin K. Austin schritt, Befehle brüllend, zielstrebig um das Wasser. Über seinem ausladenden, gewölbten Brustkasten spannte sich ein schwarzer, wärmeisolierter Schutzanzug. Austin war Meeresbiologe aus Stanford. Außerdem war er Chef der Eisstation Wilkes.
»Gut so! Anhalten!«, rief Austin dem jungen Techniker zu, der die Winsch vom Deck C aus bediente. »Okay, meine Damen und Herren, keine Zeit zu verlieren. Rein mit Ihnen!«
Eine nach der anderen sammelten sich die sechs Gestalten in den Kälteschutzanzügen um den Tümpel an der Basis der Eisstation Wilkes. Wilkes war fünf Stockwerke tief, eine Forschungsstation an einer entlegenen Küste, eine gewaltige, unterirdische Röhre, die buchstäblich in das Schelfeis geschnitten worden war. Eine Anzahl schmaler Laufplanken und Leitern umgab die Peripherie der vertikalen Röhre, wodurch sich ein breiter, kreisförmiger Schacht in der Mitte der Station ergab. Von jeder der Laufplanken führten Gänge in das Eis hinein; somit lagen dort die fünf Ebenen der Station. Wie so viele andere vor ihnen hatten die Bewohner von Wilkes längst entdeckt, dass man das raue Polarwetter am besten überstand, wenn man darunter lebte.
Austin setzte sich das Atemgerät auf die Schultern, wobei er zum hundertsten Mal die Berechnungen im Kopf anstellte.
Drei Stunden, seitdem die Funkverbindung zu den Tauchern abgebrochen war. Zuvor eine Stunde freies Tauchen den Eistunnel hinauf. Und eine Stunde Abstieg in der Taucherglocke … Innerhalb der Taucherglocke hätten sie Luft »von draußen« geatmet – aus den Vorräten der Taucherglocke an Heliox, einer Helium-Sauerstoff-Mischung –, also zählte das nicht. Erst, nachdem sie die Taucherglocke verlassen und angefangen hatten, die Luft im Tauchgerät zu benutzen, hätte die Uhr zu ticken begonnen.
Machte also vier Stunden.
Die beiden Taucher hätten vier Stunden lang Luft aus den Tauchgeräten geatmet.
Das Problem war, dass ihre Flaschen lediglich für drei Stunden Atemluft enthielten.
Und für Austin hatte das einen kniffligen Balanceakt bedeutet.
Die letzten Worte, die er und die anderen von den beiden Tauchern gehört hatten – ehe ihr Funksignal abrupt statischem Rauschen gewichen war –, war irgendwelches ängstliches Geplapper über merkwürdige Pfeifgeräusche gewesen.
Einerseits hätte das Pfeifen alles Mögliche bedeuten können: Blauwale, Minkwale oder irgendeine Art harmloser Wale. Und der Ausfall des Funks konnte leicht das Resultat von Interferenzen sein, deren Ursache in fast einem halben Kilometer Eis und Wasser liegen mochte. Soweit Austin wußte, hatten die beiden Taucher sogleich kehrtgemacht und sich auf den einstündigen Rückweg zur Taucherglocke begeben. Die Glocke vorzeitig hochzuhieven hätte bedeutet, sie dort unten stranden zu lassen, wo ihnen Zeit und Luft ausgingen.
Waren die Taucher andererseits tatsächlich auf Schwierigkeiten gestoßen – Killerwale, Leopardenrobben –, dann hätte Austin natürlich die Taucherglocke so rasch wie möglich hochziehen lassen und andere zur Hilfe hinabschicken wollen.
Am Ende entschied er, dass jegliche Hilfe, die er schicken konnte – nachdem er die Taucherglocke hochgezogen und wieder hinabgeschickt hätte –, sowieso zu spät gekommen wäre. Wenn Price und Davis überleben sollten, war es am besten, die Taucherglocke unten zu lassen.
Das war drei Stunden her – und so viel Zeit wollte Austin ihnen zugestehen. Und daher hatte er die Taucherglocke jetzt hochgezogen, und ein zweites Team bereitete sich auf den Abstieg vor …
»Hallo!«
Austin drehte sich um. Sarah Hensleigh, eine der Paläontologinnen, trat zu ihm.
Austin mochte Hensleigh. Sie war intelligent, während sie zugleich praktisch veranlagt und zäh war; sie hatte keine Angst, sich die Hände schmutzig zu machen. Es überraschte ihn nicht weiter, dass sie auch Mutter war. Ihre zwölfjährige Tochter Kirsty war seit der vergangenen Woche auf der Station zu Besuch.
»Was ist?«, fragte Austin.
»Die Antenne oben hat was abgekriegt. Das Signal dringt nicht durch«, erwiderte Hensleigh. »Sieht auch so aus, als ob wir einen Flare reinbekämen.«
»O Scheiße …«
»Ich weiß nicht, ob’s was bringt – ich habe Abby drangesetzt, sie soll alle militärischen Frequenzen absuchen, aber ich denke, du solltest dir nicht allzu viel Hoffnung machen.«
»Wie steht’s draußen?«
»Ziemlich übel. An den Klippen haben wir 25-Meter-Brecher und an der Oberfläche einen Wind von hundert Knoten. Wenn es Verletzte gibt, bringen wir sie aus eigener Kraft nicht von hier weg.«
Austin wandte sich um und starrte die Taucherglocke an. »Und Renshaw?«
»Er ist noch immer in seinem Zimmer eingeschlossen.« Hensleigh sah nervös zum Deck B hinüber.
Austin meinte: »Wir können nicht länger warten. Wir müssen runter.«
Hensleigh sah ihn nur an.
»Ben …«, begann sie.
»Denk nicht mal dran, Sarah.« Austin trat von ihr weg zum Wasser. »Ich brauche dich hier oben. Ebenso dein Kind. Du musst einfach dieses Signal absenden. Wir holen die anderen.«
»Erreichen eintausend Meter.« Austins Stimme tönte knisternd aus den Wandlautsprechern. Sarah Hensleigh saß in dem abgedunkelten Funkraum der Eisstation Wilkes. »Roger, Mawson«, erwiderte sie in das Mikrofon vor sich.
»Draußen ist es offenbar völlig ruhig, Kontrolle. Die Luft ist rein. Also gut, meine Damen und Herren, wir stoppen die Winsch. Vorbereiten zum Verlassen der Taucherglocke!«
Einen Kilometer unterhalb des Meeresspiegels kam die Taucherglocke ruckartig zum Stehen.
Drinnen schaltete Austin das Funkgerät ein. »Kontrolle, bitte bestätigen Sie die Zeit. 21.32Uhr.«
Die sieben Taucher, die in dem eng begrenzten, voll gestopften Raum der Douglas Mawson saßen, blickten einander angespannt an.
Hensleighs Stimme kam über den Lautsprecher. »Wiederhole, Mawson. Zeitbestätigung: 21.32 Uhr.«
»Kontrolle, halten Sie fest, dass wir um 21.32Uhr auf eigene Luftzufuhr umschalten.«
»Festgehalten.«
Die sieben Taucher griffen nach ihren schweren Gesichtsmasken, holten sie von ihren Haken herunter und befestigten sie auf Höhe des Schlüsselbeins an den kreisrunden Schnallen ihrer Anzüge.
»Kontrolle, wir verlassen jetzt die Taucherglocke.«
Austin trat vor, blieb einen Augenblick stehen und blickte auf das schwarze Wasser, das gegen den Rand der Taucherglocke schwappte. Dann trat er vom Deck herab und sprang klatschend in die Dunkelheit.
»Taucher. Es ist jetzt 22.00Uhr, Tauchzeit achtundvierzig Minuten. Bericht!« sagte Hensleigh in ihr Mikrofon. Im Funkraum hinter Sarah saß Abby Sinclair, derzeitige Meteorologin der Station. Während der letzten zwei Stunden hatte Abby die Konsole des Satellitenfunks besetzt und erfolglos versucht, eine Frequenz von draußen hereinzubekommen.
Das Funkgerät knisterte. Austins Stimme antwortete: »Kontrolle, wir schwimmen noch immer den Eistunnel hinauf. Soweit nichts Besonderes.«
»Roger, Taucher«, erwiderte Hensleigh. »Haltet uns auf dem Laufenden!«
Abby hinter ihr schaltete erneut ihren Sprechfunk ein. »Rufe alle Frequenzen, hier ist Station vier-null-neun, ich wiederhole, hier ist Station vier-null-neun. Bitten um sofortigen Beistand. Wir haben zwei Verletzte, möglicherweise Tote, und wir benötigen sofortige Hilfe. Bitte bestätigen!« Abby ließ den Knopf los und sagte zu sich: »Irgendwer, irgendjemand.«
Der Eistunnel wurde breiter.
Während Austin und die anderen Taucher langsam emporstiegen, fielen ihnen nach und nach mehrere seltsame Löcher in den Wänden zu beiden Seiten des Unterwassertunnels auf.
Jedes Loch war vollkommen rund, wenigstens drei Meter im Durchmesser. Und sie verliefen schräg nach unten, so dass sie in den Eistunnel hinabstiegen. Einer der Taucher richtete sein Maglite in eines der Löcher und enthüllte dadurch lediglich undurchdringliche, tintenschwarze Düsternis.
Jäh kam Austins Stimme über ihre Funkgeräte. »Okay, Leute, bleibt eng beieinander. Ich sehe, glaube ich, die Oberfläche!«
Im Funkraum beugte Sarah Hensleigh sich auf ihrem Stuhl vor, während sie Austins Stimme über Funk lauschte.
»Die Oberfläche erscheint ruhig. Kein Anzeichen von Price oder Davis.«
Hensleigh und Abby wechselten einen Blick. Hensleigh schaltete ihr Funkgerät ein. »Taucher. Hier ist die Kontrolle. Was ist mit dem von ihnen erwähnten Lärm? Hört ihr irgendwas? Das Lied irgendeines Wals?«
»Bislang nichts, Kontrolle. Bleibt jetzt dran, ich erreiche die Oberfläche.«
Austins Helm durchbrach die glasige Oberfläche.
Eisiges Wasser rann von seinem Gesichtsschutz. Austin hob seine Priceton-Tec-Taucherlampe über die Oberfläche des Wassers. Die frei liegende Halogenlampe warf einen breitgefächerten Schein über das Gebiet um ihn herum und erleuchtete es bis in die entferntesten Ecken.
Langsam erkannte Austin, wo er war. Er schwebte inmitten eines weiten Tümpels, der seinerseits am einen Ende einer gigantischen, unterirdischen Höhle lag.
Langsam drehte sich Austin in einem vollständigen Kreis, betrachtete, eine nach der anderen, die glatten, lotrechten Wände, die die Höhle an allen Seiten begrenzten.
Und dann fiel sein Blick auf die letzte Wand.
Die Kinnlade fiel ihm herab.
»Kontrolle, das werdet ihr nicht glauben«, kam Austins verblüffte Stimme über das Funkgerät.
»Was ist, Ben?«, fragte Hensleigh in ihr Mikrofon.
»Ich sehe auf irgendeine Art von Höhle. Die Wände bestehen aus schierem Eis, vielleicht das Ergebnis irgendwelcher seismischen Aktivitäten. Ausdehnung der Höhle unbekannt, aber es sieht so aus, als ob sie sich mehrere hundert Fuß in das Eis erstreckt.«
»A-ha.«
»Da ist, öh … da ist noch was hier unten, Sarah.«
Hensleigh sah Abby an und runzelte die Stirn. Sie schaltete das Funkgerät ein. »Was denn, Ben?«
»Sarah …« Es folgte eine lange Pause. »Sarah, ich glaube, ich sehe ein Raumschiff.«
Es war halb in der Eismauer dahinter vergraben. Wie gebannt starrte Austin es an. Es war völlig schwarz und hatte eine Flügelspannweite von etwa dreißig Metern. Zwei schlanke Schwanzflossen erhoben sich hoch über das Heck des Schiffs. Beide Flossen waren jedoch völlig in der Eismauer hinter dem Schiff vergraben – zwei schattenhaft verwischte Flecken, gefangen in der klaren, erstarrten Mauer. Es stand auf drei mächtig wirkenden Landestützen und es wirkte prächtig – die aerodynamische Linienführung schlank bis zum Extrem und es verströmte eine Energie, die beinahe zum Greifen war …
Hinter ihm ertönte ein lautes Klatschen und Austin fuhr herum.
Er sah die anderen Taucher, die hinter ihm Wasser tretend zu dem Raumschiff aufstarrten. Dahinter jedoch breiteten sich Wellenringe aus, anscheinend die Hinterlassenschaft eines Körpers, der ins Wasser gefallen war …
»Was war das?«, fragte Austin. »Hanson?«
»Ben, ich weiß nicht, was es war, aber irgendwas ist gerade an mir vorbei …«
Austin sah, wie Hanson ohne Vorwarnung unter das Wasser gezogen wurde.
»Hanson!«
Und dann folgte ein weiterer Aufschrei. Harry Cox.
Austin wandte sich gerade rechtzeitig um, so dass er den glitschigen Rücken eines großen Tieres sah, das sich über die Oberfläche hob, mit entsetzlicher Geschwindigkeit in Cox’ Brustkasten jagte und ihn unter Wasser drückte.
Austin schwamm verzweifelt auf das Ufer zu. Beim Schwimmen tauchte er mit dem Kopf unter die Oberfläche und jäh erfolgte ein Angriff auf sein Gehör in Gestalt einer Kakophonie von Lärm-lautes, schrilles Pfeifen sowie heiseres, verzweifeltes Gebell.
Als sein Kopf sich das nächste Mal über die Oberfläche hob, erhaschte er einen Blick auf die Eiswände um den Wassertümpel. Er sah große Löcher im Eis, gerade über der Oberfläche. Sie glichen aufs Haar denjenigen, die er zuvor unten im Eistunnel gesehen hatte.
Dann sah Austin etwas aus einem der Löcher herauskommen. »Mein Gott!«, keuchte er.
Grässliche Schreie kamen über das Funkgerät.
Im Funkraum der Eisstation starrte Hensleigh in benommenem Schweigen auf die blinkende Konsole vor sich. Abby neben ihr hielt sich die Hand vor den Mund. Entsetzte Rufe tönten aus den Lautsprechern an den Wänden:
»Raymonds!« »Er ist weg!«
»Oh, Scheiße, nein …«
»O Gott, die Wände! Sie kommen aus den verdammten Wänden!«
Und dann jäh Austins Stimme: »Raus aus dem Wasser! Sofort raus aus dem Wasser!«
Ein weiterer Schrei. Dann noch einer.
Sarah Hensleigh packte ihr Mikrofon. »Ben! Ben! Melde dich!«
Austins Stimme kam knisternd über Funk. Er sprach rasch, zwischen kurzen, flachen Atemstößen. »Sarah, Scheiße, ich … ich sehe niemanden mehr. Ich … sie sind alle … sie sind alle weg …« Eine Pause, und dann: »O Gott … Sarah! Ruf Hilfe! Ruf alles, was du krie …« Und dann tönte das Geräusch explodierenden, zersplitternden Glases über das Funkgerät und die Stimme von Benjamin Austin war verstummt.
Abby saß am Funkgerät und kreischte hysterisch ins Mikrofon. »Um Gottes willen, so antworte doch jemand! Hier ist Station 409, ich wiederhole, hier ist Station vier-null-neun. Wir haben gerade einen schweren Verlust in einer Unterwasserhöhle erlitten und bitten um sofortige Unterstützung! Hört mich jemand? So antworte doch jemand, bitte! Unsere Taucher – o Gott –, unsere Taucher haben gesagt, dass sie irgendein Raumschiff in dieser Höhle gesehen haben und jetzt, jetzt haben wir den Kontakt zu ihnen verloren! Als Letztes haben wir von ihnen gehört, dass sie angegriffen worden sind, im Wasser angegriffen worden sind …«
Eisstation Wilkes erhielt keine Antwort auf ihr Notsignal.
Trotz der Tatsache, dass es von wenigstens drei verschiedenen Funkstationen aufgefangen wurde.
Erster Überfall
16.Juni, 6.30
Das Hovercraft jagte über die Eisebene.
Es war weiß gespritzt, was ungewöhnlich war. Die meisten Fahrzeuge für die Antarktis sind leuchtend orangefarben gespritzt, damit sie leichter zu erkennen sind. Und es schoss mit überraschender Dringlichkeit über die weite Schneefläche. In der Antarktis hat es nie jemand eilig.
In dem dahinjagenden weißen Hovercraft spähte Lieutenant Shane Schofield durch die verstärkten Fiberglasfenster hinaus. Etwa hundert Meter steuerbord sah er ein zweites Hovercraft – ebenfalls weiß –, das über die flache, eisige Landschaft fegte.
Mit zweiunddreißig war Schofield jung für das Kommando einer Aufklärungseinheit. Aber er besaß Erfahrung, die sein Alter Lügen strafte. Schofield maß etwa eins fünfundsiebzig, war schlank und muskulös, hatte ein gut aussehendes, zerknittertes Gesicht sowie kurz geschorenes schwarzes Haar. Im Augenblick wurde das schwarze Haar von einem Kevlartarnhelm bedeckt. Ein grauer Rollkragen ragte unter seinen Schulterplatten hervor und bedeckte seinen Hals. In die Falten des Rollkragens war eine leichte Kevlarplatte eingelassen. Schutz vor Heckenschützen.
Gerüchten zufolge hatte Shane Schofield tiefblaue Augen, aber das waren Gerüchte, die niemals bestätigt worden waren. Tatsächlich lief in Parris Island – dem legendären Ausbildungslager des United States Marine Corps – die Geschichte um, dass niemand unterhalb des Rangs eines Generals jemals wirklich Schofields Augen zu Gesicht bekommen hatte. Er hielt sie stets verborgen hinter einer Brille mit reflektierenden, silbernen, verspiegelten Gläsern.
Seine Kennung trug zu dem Geheimnis bei, da es allgemein bekannt war, dass ihm Brigadier-General Norman W McLean persönlich den Spitznamen für Operationen verpasst hatte – ein Spitzname, von dem viele vermuteten, dass er etwas mit den verborgenen Augen des jungen Lieutenants zu tun hatte.
»Whistler One, hört ihr uns?«
Schofield nahm sein Funksprechgerät auf. »Whistler Two, hier ist Whistler One. Was ist los?«
»Sir …«, die tiefe Stimme von Staff Sergeant Buck »Book« Riley wurde jäh von einem statischen Rauschen abgeschnitten. Während der letzten vierundzwanzig Stunden hatten sich die ionosphärischen Bedingungen über dem antarktischen Kontinent rasend schnell verschlechtert. Die volle Gewalt einer Sonneneruption, eines so genannten Flares, hatte eingesetzt, unterbrach das gesamte elektromagnetische Spektrum und beschränkte den Funkkontakt auf UKW-Übertragungen von geringer Reichweite. Der Kontakt zwischen einhundert Metern auseinander liegenden Hovercrafts war schwierig. Der Kontakt mit der Eisstation Wilkes – ihrem Ziel – war unmöglich.
Das Rauschen ebbte ab und Rileys Stimme kam erneut über den Lautsprecher. »Sir, erinnern Sie sich an den Kontakt zu denn beweglichen Objekt vor etwa einer Stunde?«
»M-hm«, erwiderte Schofield.
Während der letzten Stunde hatte Whistler Two Ausstrahlungen von der elektronischen Ausrüstung an Bord eines sich bewegenden Fahrzeugs aufgefangen, das in entgegengesetzte Richtung fuhr, die Küste zurück auf die französische Forschungsstation Dumont d’Urville zu.
»Was ist damit?«
»Sir, ich kann es nicht mehr finden.«
Schofield sah auf das Funkgerät hinab. »Ganz bestimmt?«
»Wir haben keinerlei Anzeigen auf unseren Schirmen. Entweder haben sie dichtgemacht oder sie sind einfach verschwunden.«
Schofield runzelte nachdenklich die Stirn, dann warf er einen Blick zurück auf das voll gestopfte Mannschaftsabteil hinter sich. Dort saßen, zwei auf jeder Seite, vier Marines, alle in ihren Schneeanzügen. Weißgraue Kevlarhelme lagen auf ihrem Schoß. Weißgrauer Körperschutz bedeckte ihre Brust. Weißgraue automatische Gewehre lagen neben ihnen.
Es war zwei Tage her, seitdem das Landungsboot Shreveport der US Navy das Notsignal von der Eisstation Wilkes aufgefangen hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte es im Hafen von Sidney gelegen. Wie das Schicksal es wollte, war eine Woche zuvor beschlossen worden, dass die Shreveport – ein schnelles Einsatzfahrzeug, das zum Transport von Marine Force Aufklärungseinheiten benutzt wurde – für einige dringende Reparaturen in Sidney bleiben sollte, während die übrigen Schiffe ihres Geschwaders nach Pearl Harbor zurückkehrten. Deswegen war innerhalb von einer Stunde, nachdem Abby Sinclairs Notsignal empfangen worden war, die Shreveport – nun wieder bereit zum Einsatz – auf hoher See. Sie trug eine Gruppe Marines Richtung Süden mit Ziel auf das Rossmeer.
Jetzt näherten sich Schofield und seine Einheit der Eisstation Wilkes von der Station McMurdo her, einer weiteren, größeren US-amerikanischen Forschungsstation etwa tausendvierhundert Kilometer von Wilkes entfernt. McMurdo lag am Rand des Rossmeers und war das ganze Jahr über mit einer Besatzung von einhundertvier Menschen bemannt. Trotz des andauernden Stigmas im Zusammenhang mit dem katastrophalen Kernexperiment der US Navy dort im Jahr 1972 blieb sie das US-amerikanische Einfallstor zum Südpol.
Wilkes andererseits war eine so abgelegene Station, wie man sie in der Antarktis nur auftreiben konnte. Achthundert Kilometer entfernt von den nächsten Nachbarn war sie ein kleiner amerikanischer Außenposten, der genau auf der Spitze des Eisschelfs an der Küste lag, nicht weit entfernt von der Zunge des Eisbergs Dalton. Auf der Landseite war sie umgeben von hunderten von Kilometern öder, winddurchtoster, eisiger Ebenen, und zur See hin von türmenden, hundert Meter hohen Klippen, auf die das ganze Jahr über berghohe Wellen von zwanzig Metern Höhe einschlugen.
Eine Annäherung durch die Luft hatte außer Frage gestanden. Es war früher Winter, und ein Blizzard von minus dreißig Grad hatte dem Lager jetzt schon seit drei Wochen zugesetzt. Er sollte noch weitere vier Wochen andauern. Bei einem solchen Wetter erstarrten exponierte Hubschrauberrotoren und Düsentriebwerke mitten in der Luft.
Und bei einer Annäherung vom Meer müssten die Klippen überwunden werden. Die US Navy hatte ein Wort für eine solche Mission: Selbstmord.
Blieb also die Annäherung über Land. Mit Hovercrafts. Die zwölfköpfige Marine-Aufklärungseinheit würde den elfstündigen Abstecher von McMurdo nach Wilkes in zwei Hovercrafts unternehmen, deren Luftschraube gegen Kälte und Schnee geschützt waren.
Schofield dachte erneut über das sich bewegende Signal nach. Auf einer Karte bildeten McMurdo, d’Urville und die Station Wilkes so etwas wie ein gleichschenkliges Dreieck. D’Urville und Wilkes an der Küste wären dann die Basis des Dreiecks.
McMurdo – weiter im Inland, am Rand der gewaltigen, vom Rossmeer geformten Bucht – wäre die Spitze.
Das Signal, das Whistler Two aufgefangen und das entlang der Küste zurück nach Dumont d’Urville geführt hatte, hatte eine stetige Geschwindigkeit von etwa fünfzig Kilometern pro Stunde beibehalten. Bei dieser Geschwindigkeit war es wahrscheinlich ein konventionelles Hovercraft. Vielleicht hatten die Franzosen Leute in d’Urville gehabt, die das Notsignal von Wilkes aufgefangen und Hilfe geschickt hatten und jetzt auf dem Rückweg waren.
Schofield schaltete erneut sein Funkgerät ein. »Book, wann hast du dieses Signal zuletzt empfangen?«
Im Funkgerät knisterte es. »Signal zum letzten Mal vor acht Minuten empfangen. Entfernungsmesser-Kontakt. Identisch mit der zuvor empfangenen elektronischen Signatur. Richtung in Übereinstimmung mit vorherigem Vektor. Es war dasselbe Signal, Sir, und vor acht Minuten war es genau da, wo es hätte sein sollen.«
Bei diesem Wetter – heulende Winde von achtzig Knoten, die den Schnee so rasch vor sich hertrieben, dass er waagrecht flog – war eine reguläre Radarmessung ein hoffnungsloses Unterfangen. Ebenso, wie der Flare in der Ionosphäre die Radioverbindung zum Erliegen brachte, versetzte das Tiefdrucksystem auf dem Boden ihren Radar in heilloses Durcheinander.
Auf eine solche Eventualität war jedes Hovercraft vorbereitet und daher mit auf dem Dach montierten Apparaten ausgerüstet, die man Entfernungsmesser nannte. Befestigt auf einem drehbaren Türmchen schwang jeder Entfernungsmesser in einem langsamen 180-Grad-Winkel hin und zurück, wobei er einen konstanten, fokussierten Hochenergiestrahl aussandte, der als die ›Nadel‹ bekannt war. Anders als beim Radar, dessen Reichweite stets von der Erdkrümmung begrenzt gewesen ist, weil die Strahlung sich gerade ausbreitet, können sich die Nadeln der Erdoberfläche anpassen und sich wenigstens weitere sechzig Kilometer über den Horizont hinaus krümmen. Sobald irgendein »lebendiges« Objekt – jegliches Objekt mit chemischen, tierischen oder elektronischen Eigenschaften – den Weg einer Nadel kreuzt, wird es erfasst. Oder, wie es der Entfernungsmesser-Bedienungsmann der Einheit, Private Jose »Santa« Cruz gern ausdrückte: »Wenn er kocht, atmet oder piept, wird der Entfernungsmesser den Scheißkerl festnageln.«
Schofield schaltete sein Funkgerät ein. »Book, die Stelle, wo das Signal verschwunden ist. Wie weit entfernt ist das?« »Etwa hundertfünfzig Kilometer von hier, Sir«, antwortete Rileys Stimme.
Schofield starrte hinaus auf das Weiß, das sich nahtlos bis zum Horizont hin erstreckte.
Schließlich sagte er: »Also gut. Sieh nach!«
»Verstanden«, erwiderte Riley sogleich. Schofield hatte viel Zeit für Book Riley übrig. Die beiden Männer waren seit mehreren Jahren befreundet. Riley war kräftig und durchtrainiert, hatte das Gesicht eines Boxers – eine flache Nase, die zu oft gebrochen gewesen war, tief in den Höhlen liegende Augen und dichte schwarze Augenbrauen. Er war in der Einheit beliebt – ernsthaft, wenn’s drauf ankam, aber entspannt und lustig, wenn der Druck vorüber war. Er war für Schofield als Staff Sergeant verantwortlich gewesen, als dieser ein junger und grüner Second Lieutenant gewesen war. Dann, als Schofield das Kommando über eine Aufklärungseinheit erhalten hatte, war Book – zu diesem Zeitpunkt ein vierzigjähriger, hoch angesehener Staff Sergeant, der sich innerhalb des Marine Corps Establishments eine Aufgabe hätte aussuchen können – bei ihm geblieben.
»Wir fahren weiter nach Wilkes«, sagte Schofield. »Du findest raus, was mit diesen Signal passiert ist, und dann stößt du an der Station zu uns.«
»Verstanden.«
»Innerhalb der nächsten zwei Stunden. Verspäte dich nicht! Und setze den Entfernungsmesser ans Schwanzende. Wenn jemand dort draußen hinter uns her ist, möchte ich das wissen.«
»Jawohl, Sir.«
»Oh, und Book, noch was«, sagte Schofield.
»Was?«
»Sei nett zu den anderen Kindern, hörst du?«
»Jawohl, Sir.«
»One, Ende«, sagte Schofield.
»Whistler Two, Ende.«
Und mit diesen Worten schwenkte das zweite Hovercraft nach rechts ab und schoss hinaus in den Schneesturm.
Eine Stunde später kam die Küstenlinie in Sicht und durch einen Hochleistungsfeldstecher sah Schofield die Eisstation Wilkes das erste Mal.
Von der Oberfläche aus wirkte sie kaum wie eine ›Station‹ – eher wie ein buntes Gemisch aus hingeduckten, kuppelähnlichen, halb im Schnee begrabenen Strukturen.
In der Mitte des Komplexes stand das Hauptgebäude. Es war wenig mehr als eine gewaltige, runde Kuppel, errichtet auf einer ausgedehnten, quadratischen Basis. An der Oberfläche hatte die gesamte Struktur einen Durchmesser von etwa dreißig Metern, konnte jedoch kaum mehr als drei Meter hoch sein.
Auf der Spitze eines der kleineren, um die Hauptkuppel gescharten Gebäude standen die Überreste einer Funkantenne. Die obere Hälfte der Antenne war nach unten abgeknickt und ein paar feste Kabel waren das Einzige, was sie an der aufrecht stehenden unteren Hälfte festhielt. Überall hingen Eiszapfen herab. Das einzige Licht, ein gedämpfter weißer Schimmer, brannte innerhalb der Hauptkuppel.
Einen halben Kilometer entfernt von der Station befahl Schofield das Hovercraft anzuhalten. Es war kaum stehengeblieben, da glitt die Tür auf und sechs Marines sprangen vom aufgeblähten Luftkissen des Hovercrafts herab und landeten mit gedämpften Plumpsern auf dem hart gebackenen Schnee.
Während sie über den schneebedeckten Grund liefen, vernahmen sie über das Gebrüll des Winds hinweg das Klatschen der Wogen an den Klippen auf der anderen Seite der Station.
»Gentlemen, Sie wissen, was zu tun ist«, war alles, was Schofield beim Laufen in sein Helmmikrofon sagte.
Eingehüllt in die Decke des Blizzards schwärmte die weiß gekleidete Schar fächerförmig aus und lief auf den Komplex der Station zu.
Buck Riley sah das Loch im Eis, ehe er das zerschmetterte Hovercraft darin sah.
Die Spalte wirkte wie eine Narbe in der Landschaft – ein tiefer, halbmondförmiger Schlitz von etwa vierzig Metern Breite.
Einhundert Meter vom Rand des gewaltigen Abgrunds kam Rileys Hovercraft zum Stehen. Die sechs Marines stiegen aus, ließen sich behutsam auf den Boden hinab und gingen vorsichtig über den Schnee zum Rand des Spalts hinüber.
PFC Robert »Rebound« Simmons war ihr Kletterer, also schirrten sie ihn als Ersten an. Als kleiner Mann war Rebound so geschickt wie eine Katze und wog auch in etwa so viel. Er war gleichfalls jung, gerade dreiundzwanzig, und wie die meisten Männer seines Alters war er für Lob empfänglich. Er hatte vor Stolz gestrahlt, als er zufällig mitbekommen hatte, wie sein Lieutenant einmal zu einem anderen Zugkommandanten gesagt hatte, sein Kletterer sei so gut, dass er die Innenseite des Capitols ohne Seil erklimmen könne. Sein Spitzname war eine andere Geschichte, eine gutmütige, spöttische Bezeichnung, die ihm von seiner Einheit in Bezug auf seine weniger beeindruckende Erfolgsquote bei Frauen angehängt worden war.
Sobald das Seil einmal am Geschirr gesichert war, legte sich Simmons auf den Bauch und schlängelte sich durch den Schnee auf den Rand der Narbe zu.
Er erreichte die Kante und spähte über den Rand hinab in die Spalte.
»Oh, Scheiße …«
Zehn Meter hinter ihm sagte Buck Riley in sein Helmmikrofon: »Was ist los, Rebound?«
»Sie sind hier, Sir.« Simmons’ Stimme klang beinahe resigniert. »Konventionelles Fahrzeug. Steht was in Französisch auf der Seite. Darunter überall zerbrochenes dünnes Eis. Sieht aus, als ob sie versucht hätten, eine Schneebrücke zu überqueren, die nicht gehalten hat.«
Er wandte sich Riley zu, das Gesicht grimmig, die Stimme blechern über die Ultrakurzwelle. »Und, Sir, die sind verdammt im Arsch.«
Das Hovercraft lag fünfzig Meter unter der Oberfläche, die abgerundete Nase vom Aufprall nach innen gedrückt, jedes einzelne seiner Fenster entweder zersplittert oder zu verzerrten Spinnennetzen zerbrochen. Eine dünne Schicht Schnee hatte sich bereits an die Aufgabe gemacht das zerschmetterte Fahrzeug aus der Geschichte auszuradieren.
Zwei Passagiere des Hovercrafts waren durch den Aufprall direkt durch die Frontscheibe katapultiert worden. Beide lagen an der vorderen Wand der Spalte, die Hälse zu einem obszönen Winkel nach hinten verdreht, und ihre Körper ruhten in Lachen aus dem eigenen gefrorenen Blut.
Rebound Simmons starrte auf die grässliche Szene.
Im Innern des Hovercrafts befanden sich weitere Körper. Er sah ihre Schatten sowie die sternförmigen Blutspritzer auf den Innenseiten der zerbrochenen Scheiben des Hovercrafts.
»Rebound?«, kam Rileys Stimme über seinen Helmsprechfunk.
»Irgendjemand am Leben dort unten?«
»Sieht nicht so aus, Sir«, erwiderte Rebound.
»Überprüfe mit Infrarot!«, wies ihn Riley an. »Uns bleiben noch zwanzig Minuten, ehe wir wieder losmüssen, und ich möchte nicht gehen und später herausfinden, dass dort unten einige Überlebende gewesen sind.«
Rebound ließ sein Infrarotvisier einschnappen. Es hing von der Stirn seines Helms herab und bedeckte beide Augen wie das Visier eines Piloten.
Jetzt sah er das zerstörte Hovercraft durch eine Tünche aus blauer elektronischer Scheinwelt. Der Effekt der Kälte war rasch eingetreten. Der gesamte Unfallort wurde als eine blau auf schwarze Umrisszeichnung abgebildet. Nicht einmal der Motor glühte gelb, in der Farbe von Objekten mit minimaler Hitzestrahlung.
Wichtiger jedoch war, dass es innerhalb des Abbilds des Fahrzeugs keine orangefarbenen oder gelben Kleckse gab. Alle Körper, die sich noch im Innern des Hovercraft befanden, waren eiskalt. Jeder an Bord war mit allergrößter Sicherheit tot.
Rebound sagte: »Sir, Infrarotanzeige ist nega …«
Der Boden unter ihm gab nach.
Ohne Vorwarnung. Kein vorheriges Knistern von Eis. Kein Gefühl des Nachgebens.
Wie ein Stein fiel Rebound Simmons in die Spalte.
Es geschah so rasch, dass es Buck Riley fast gar nicht mitbekommen hatte. In der einen Sekunde beobachtete er Rebound, wie dieser über den Rand der Spalt spähte. In der nächsten Sekunde war Rebound schlichtweg vom Erdboden verschluckt.
Das schwarze Seil rutschte über die Kante hinter Rebound her und entrollte sich mit rasender Geschwindigkeit, während es über den Rand schoss.
»Festhalten!«, schrie Riley den beiden Marines zu, die das Seil verankerten. Sie hielten das Seil fest, fingen den Zug auf, warteten auf den Ruck.
Das Seil glitt weiterhin über die Kante, bis es sich, Krack!, augenblicklich fest spannte.
Vorsichtig trat Riley nach rechts, weg vom Rand der Spalte, jedoch nahe genug heran, dass er hinabspähen konnte.
Er sah das Wrack des Hovercrafts unten auf dem Grund des Lochs sowie die beiden blutigen, zerschmetterten Leichen, die davor gegen die Wand gedrückt lagen. Und er sah Rebound, der an seinem Seil herabhing, einen halben Meter über der aufgesprungenen Steuerbordtür des Hovercrafts.
»Du bist in Ordnung?«, fragte Riley in sein Heimmikrofon.
»Hab nie ’ne Sekunde an Ihnen gezweifelt, Sir.«
»Bleib einfach so hängen. Wir haben dich in einer Minute hier oben.«
»Natürlich.«
Unten in der Spalte schwang Rebound blöde über dem zerstörten Hovercraft hin und her. Von dort aus, wo er hing, konnte er durch die offene Steuerbordtür des Hovercrafts sehen.
»O Gott …«, keuchte er.
Schofield klopfte laut an die große Holztür.
Die Tür war in die rechteckige Basisstruktur eingelassen, die die Hauptkuppel der Eisstation Wilkes stützte. Sie befand sich am unteren Ende einer schmalen Rampe, die etwa drei Meter hinab ins Eis führte.
Erneut schlug Schofield mit der Faust an die Tür.
Er lag flach auf der Brüstung der Basisstruktur und klopfte somit von oben an die Tür.
Zehn Meter entfernt lag Gunnery Sergeant Scott »Snake« Kaplan bäuchlings, mit weit gespreizten Beinen, oben auf der Rampe. Sein M16E Sturmgewehr war auf die geschlossene Tür gerichtet.
Es ertönte ein jähes Quietschen, und Schofield hielt den Atem an, als ein Lichtsplitter hinaus auf den Schnee unter ihm fiel und die Tür der Station sich langsam zu öffnen begann.
Eine Gestalt trat auf die Schneerampe unter Schofield heraus. Es war ein Mann. Eingehüllt in etwa sieben Schichten Kleidung. Unbewaffnet.
Jäh spannte sich der Mann an, vermutlich beim Anblick von Snake, der im Schnee unmittelbar vor ihm lag und dessen M16 direkt auf den Nasenrücken des Mannes gerichtet war.
»Bleiben Sie genau da stehen!«, sagte Schofield von oben hinter dem Mann. »United States Marines.«
Der Mann blieb wie erstarrt stehen.
»Einheit Zwei ist drin. Gesichert«, flüsterte die Stimme einer Frau über Schofields Ohrhörer.
»Einheit Drei. Drin. Gesichert.«
»In Ordnung. Wir kommen durch den Vordereingang rein.«
Schofield rutschte von seinem Sitz herab, landete unmittelbar neben dem Mann auf der Schneerampe und tastete ihn ab.
Snake schritt die Rampe hinab auf sie zu, das Gewehr hoch erhoben und auf die Tür gerichtet.
Schofield fragte den Mann: »Sie sind Amerikaner? Wie heißen Sie?«
Der Mann ergriff das Wort.
»Non. Je suis Français.«
Und dann, auf Englisch: »Mein Name ist Luc.«
Akademische Beobachter tendieren dazu, die Antarktis als das letzte neutrale Territorium auf Erden anzusehen. In der Antarktis, so heißt es, gibt es keine traditionsbehafteten oder heiligen Orte, um die es zu kämpfen lohnt, keine historischen Grenzen, über die man streiten kann. Was bleibt, ist so etwas wie eine terra communis, ein Land, das der Gemeinschaft gehört.
In der Tat ist der Kontinent kraft des antarktischen Vertrags seit 1961 in etwas aufgeteilt, das so aussieht wie eine gigantische Torte, wobei jedem Unterzeichner des Vertrags ein Stück vom Kuchen zugeteilt wurde. Einige Sektoren überlappen sich, zum Beispiele jene, die unter der Verwaltung Chiles, Argentiniens sowie des Vereinigten Königreichs stehen. Andere decken imposante Landflächen ab – Australien verwaltet einen Sektor des Kuchens, der nahezu ein ganzes Viertel der antarktischen Landmasse abdeckt. Es gibt sogar einen Sektor – derjenige, der das Amundsenmeer und das Byrd-Land mit einschließt –, der niemandem gehört.
Der allgemeine Eindruck ist der einer wahrlich internationalen Landmasse. Ein solcher Eindruck ist jedoch irreführend und vereinfachend.
Verfechter der »politisch neutralen Antarktis« übersehen die fortwährenden Animositäten zwischen Argentinien und Großbritannien über ihre jeweiligen antarktischen Länder; oder die eiserne Weigerung aller Parteien des antarktischen Vertrags, über die UN-Resolution von 1985 abzustimmen, die die antarktische Landmasse dem Wohle der ganzen internationalen Gemeinschaft gewidmet hätte; oder das mysteriöse Bündnis des Schweigens aller Vertragsnationen infolge eines wenig bekannten Greenpeace-Berichts aus dem Jahre 1995, der Frankreich beschuldigte, geheime unterirdische Kernversuche unweit der Küste von Victoria Land durchgeführt zu haben.
Wichtiger jedoch ist, dass solche Verfechter gleichfalls außer Acht lassen, dass ein Land ohne klar definierte Grenzen feindlichen, ausländischen Invasionen kaum etwas entgegensetzen kann.
Forschungsstationen können oftmals über tausend Kilometer weit auseinander liegen. Manchmal entdecken diese Forschungsstationen Dinge von ungeheuerlichem Wert – Uran, Plutonium, Gold. Es ist nicht unmöglich, dass ein ausländischer Staat, der verzweifelt nach Ressourcen sucht, eine Invasionsarmee losschickt, nachdem er von einer solchen Entdekkung erfahren hat, um sich diese Entdeckung anzueignen, ehe die übrige Welt von deren Existenz überhaupt nur Kenntnis erhalten hat.
Einen derartigen Vorfall hat es – zumindest, soweit bekannt geworden – in der Antarktis zuvor noch nie gegeben.
Es gibt immer ein erstes Mal, dachte Schofield, während er von dem Franzosen namens Luc in die Eisstation Wilkes geführt wurde.
Schofield hatte eine Aufzeichnung von Abby Sinclairs Notruf gehört, ihre Erwähnung der Entdeckung eines Raumschiffs, das im Eis unterhalb der Station Wilkes begraben lag. Wenn die Wissenschaftler von Wilkes tatsächlich ein extraterrestrisches Raumschiff entdeckt hatten, wären andere Parteien ganz bestimmt daran interessiert. Ob sie nun den Nerv hätten, ein Einsatzkommando hinzuschicken, das Hand darauf legen sollte, oder nicht, war eine völlig andere Frage.
Auf jeden Fall verursachte es ihm mehr als nur ein wenig Unbehagen, dass er an den Toren einer amerikanischen Forschungsstation von einem Franzosen begrüßt worden war und während er hinter Luc den dunklen Eingangstunnel mit den Eiswänden entlangging, ertappte Schofield sich dabei, dass er seine automatische Pistole ein wenig fester packte.
Die beiden Männer verließen den abgedunkelten Eingangstunnel und betraten einen hell erleuchteten, weiten, offenen Raum. Schofield fand sich auf einem dünnen, metallenen Laufsteg wieder und schaute in einen breiten, röhrenförmigen, leeren Abgrund.
Eisstation Wilkes öffnete sich vor ihm, eine gigantische unterirdische Struktur. Schmale, schwarze Laufstege umgaben die Peripherie des breiten Zentralschachts. An der Basis dieser gewaltigen Röhre sah Schofield einen kreisrunden Wassertümpel und mitten darin saß die Taucherglocke der Station.
»Hier entlang«, meinte Luc und führte Schofield nach rechts. »Sie sind alle im Speisesaal.«
Als Schofield, Luc ihm voraus, den Speisesaal betrat, kam er sich vor wie ein Erwachsener, der den Klassenraum einer Vorschulklasse betritt: ein Fremder, der aufgrund der einfachen Tatsache seiner Größe und seines Verhaltens nicht dazu passte.
Die Gruppe der fünf Überlebenden saß in einem engen Kreis um den Tisch. Die Männer waren unrasiert, die Frauen ungekämmt. Alle wirkten erschöpft. Sie blickten müde auf, als Schofield den Raum betrat.
Im Raum waren zwei weitere Männer, die hinter dem Tisch standen. Anders als die Menschen am Tisch wirkten diese beiden, wie Luc, hellwach, sauber und frisch. Einer von ihnen hielt ein Tablett mit dampfenden Getränken. Er erstarrte mitten im Schritt, sobald er Schofield den Raum betreten sah.
Französische Wissenschaftler aus d’Urville, dachte Schofield. Sind wegen des Notrufs hier.
Wahrscheinlich.
Zunächst sagte niemand ein Wort.
Alle im Raum sahen lediglich Schofield an, nahmen seinen Helm und die Gläser seiner silbernen, verspiegelten Brille in sich auf; die MP5Maschinenpistole, die er über die Schulter geschlungen hatte; die .44er Automatik in seiner Hand.
Snake trat hinter Schofield ein und alle Augen richteten sich auf ihn: genauso gekleidet, genauso bewaffnet. Ein Klon.
»Schon in Ordnung«, sagte Luc sanft zu den anderen. »Es sind Marines. Sie sind zu Ihrer Rettung hier.«
Eine der Frauen stieß einen Seufzer aus. »O Gott«, sagte sie. Dann brach sie in Tränen aus. »Oh. Gott sei Dank!«
Amerikanischer Akzent, bemerkte Schofield. Die Frau schob ihren Stuhl zurück und kam auf ihn zu, und Tränen strömten ihr die Wangen herab. »Ich habe gewusst, dass Sie kommen«, sagte sie. »Ich habe gewusst, dass Sie kommen.«
Sie umklammerte Schofields Schulterplatte und schluchzte in seine Brust hinein. Schofield zeigte keinerlei Gefühlsregung. Er hielt seine Pistole von ihr weg, wie es ihm beigebracht worden war.
»Schon in Ordnung, Ma’am«, war alles, was er sagte, als er sie sanft zu einem Stuhl in der Nähe führte. »Schon in Ordnung. Sie sind jetzt in Sicherheit.«
Sobald sie saß, wandte er sich den anderen zu. »Meine Damen und Herren. Wir sind Aufklärungseinheit Sechzehn des United States Marine Corps. Mein Name ist Lieutenant Shane Schofield und dies ist Sergeant Scott Kaplan. Wir sind wegen Ihres Notrufs hier. Wir haben Anweisung diese Station zu sichern und sicherzustellen, dass Sie alle unversehrt sind.«
Einer der Männer am Tisch stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
»Damit Sie sich keinen Illusionen hingeben«, fuhr Schofield fort, »werde ich Ihnen jetzt mitteilen, dass wir eine Aufklärungseinheit sind. Wir werden Sie nicht herausholen. Wir sind eine Einheit an der Frontlinie. Wir bewegen uns rasch und wir bewegen uns mit leichtem Gepäck. Unsere Aufgabe besteht darin rasch herzukommen und sicherzustellen, dass Sie alle in Ordnung sind. Wenn eine Notfallsituation besteht, werden wir Sie herausholen, wenn nicht, lauten unsere Befehle, diese Station zu sichern und auf die Ankunft eines vollständig ausgerüsteten Bergungsteams zu warten, das Sie herausholt.«
Schofield wandte sich an Luc und die beiden anderen Männer, die hinter dem Tisch standen. »Nun, vermutlich kommen Sie, meine Herren, von d’Urville. Ist das korrekt?«
Der Mann mit dem Tablett in Händen schluckte laut, die Augen weit geöffnet.
»Ja«, erwiderte Luc. »Das ist korrekt. Wir haben die Nachricht über Funk gehört und wir sind so rasch gekommen, wie wir konnten. Um zu helfen.«
Während Luc sprach, kam die Stimme einer Frau knisternd über Schofields Ohrhörer. »Nummer Zwei, Durchsuchung beendet.«
»Nummer Drei. Wir haben drei – nein, eigentlich vier – Kontakte im Bohrungsraum gemacht. Wir sind jetzt auf dem Weg nach oben.«
Schofield nickte Luc zu. »Ihre Namen?«
»Ich bin Professor Luc Champion«, entgegnete Luc. »Dies ist Professor Jean-Pierre Cuvier und der, der das Tablett hält, das ist Dr.Henri Rae.«
Schofield nickte langsam, während er die Namen in sich aufnahm und mit einer Liste verglich, in die er vor zwei Tagen auf der Shreveport Einsicht genommen hatte. Es war eine Liste mit den Namen eines jeden französischen Wissenschaftlers gewesen, der auf d’Urville stationiert war. Champion, Cuvier und Rae hatten darauf gestanden.
An der Tür klopfte es und Schofield wandte sich um.
Sergeant Morgan »Montana« Lee stand auf der Türschwelle zum Speisesaal. Montana Lee war ein stämmiger Mann, untersetzt und mit einem Alter von sechsundvierzig das älteste Mitglied der Einheit. Er hatte eine Boxernase sowie ein grobes, wettergegerbtes Gesicht. Zehn Meter hinter ihm stand sein Partner, Corporal Oliver »Hollywood« Todd. Hollywood Todd war hoch gewachsen, schwarz und schlank und einundzwanzig Jahre alt.
Und zwischen den beiden Marines standen die Früchte ihrer Durchsuchung.
Eine Frau.
Ein Mann.
Ein junges Mädchen.
Und ein Seehund.
»Sie sind vor etwa vier Stunden hier eingetroffen«, sagte Sarah Hensleigh.
Schofield und Hensleigh standen auf Deck A, draußen auf dem Laufsteg, der die übrige Eisstation überblickte.
Wie Hensleigh bereits erklärt hatte, war die Eisstation Wilkes im Wesentlichen eine prächtige, große, lotrechte Röhre, die in das Eisschelf gebohrt worden war. Sie tauchte fünf Stockwerke gerade hinab, bis zum Meeresspiegel.
In regelmäßigen Abständen waren in die Wände der Röhre metallene Laufstege eingelassen, die an der Peripherie der Röhre verliefen. Jeder Laufsteg war über eine steile, schmale Sprossenleiter mit dem Laufsteg darüber verbunden, so dass die gesamte Struktur ein wenig aussah wie eine Feuerleiter.
Von jedem Laufsteg zweigte eine Reihe von Tunnels ab, die in die Eiswände des Zylinders hineingegraben waren und die verschiedenen Ebenen der Station bildeten. Jede Ebene bestand aus vier geraden Tunneln, die vom Zentralschacht abzweigten und auf einen geschwungenen äußeren Tunnel trafen, der in einem breiten Kreis den zentralen Schacht verlief. Die vier geraden Tunnel entsprachen grob den vier Himmelsrichtungen eines Kompasses, also wurden sie schlicht als Nord, Süd, Ost und West bezeichnet.
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