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Weniger Selbstoptimierung, mehr Gelassenheit
Was sollen und wollen Frauen heutzutage nicht alles sein? Freundin, Mutter, Gattin, Businessfrau, Geliebte, Sportskanone, Kulturinteressierte, Schönheit, Hausfrau, Multitasking-Queen, Taxi, Coach und Krankenschwester … Und möglichst alles in Perfektion. Doch wer überall 100 Prozent geben will, braucht mindestens 48 Stunden pro Tag, acht Arme und Nerven dicker als Wasserrohre – und wird dennoch scheitern, so viel steht fest. Warum also überhaupt an diesem unrealistischen Ideal festhalten? Wer fünfe gerade sein lässt und gerne mal alle viere ungerade von sich streckt, hat mehr vom Leben. Ein Plädoyer gegen den Mythos der Perfektion.
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Seitenzahl: 312
LUCINDE HUTZENLAUB wurde in Stuttgart geboren, wo sie nach mehreren Auslandsaufenthalten wieder lebt. Sie ist verheiratet, hat drei Töchter und einen Sohn. Lucinde arbeitet als Kolumnistin und Autorin und findet, Perfektion wird völlig überbewertet.
www.lucinde-hutzenlaub.de, Instagram: @lucindeschreibt, Facebook: @hutzenlaublucinde
HEIKE ABIDI lebt zusammen mit ihrer Familie in der Pfalz bei Kaiserslautern. Sie arbeitet als Werbetexterin und Autorin von Unterhaltungsromanen, unterhaltenden Sachbüchern sowie Jugend- und Kinderbüchern. Sie findet, dass Gelassenheit glücklicher macht als der Versuch, sich ständig selbst zu optimieren.
www.abidibooks.de, Instagram: @heikeabidi, Facebook: @AbidiBooks
Außerdem von Lucinde Hutzenlaub und Heike Abidi lieferbar:
Ich dachte, älter werden dauert länger. Ein Überlebenstraining für alle ab 50
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Ich dachte, wir schenken uns nichts. Ein Überlebenstraining für Weihnachtselfen und Festtagsmuffel
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Lucinde Hutzenlaub
Heike Abidi
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in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Katharina Rottenbacher
Umschlaggestaltung: bürosüd, München
Umschlagabbildung: www.buerosued.de
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-28227-1V001
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Vorwort Heike: Achtung, dies ist kein Selbstoptimierungsratgeber!
Vorwort Lucinde: »Mut zur Lücke« – mein Leben als multipotenzielle Dilettantin
Teil 1:
Körper, Geist und jede Menge Bauchgefühl
Einmal Superfood bitte, aber vegan, laktosefrei und hypoallergen! (Lucinde)
Wer schläft, sündigt nicht! (Heike)
Ein bisschen dick ist nicht so slim – Sport für Normale (Lucinde)
Auf Schritt und Tritt … Fitnessarmband, nein danke! (Heike)
Nobody is perfect – das Quiz
Teil 2:
Du liebst Menschen — keine Projekte
Mein Kind, der künftige Nobelpreisträger (Heike)
Mein Mann, der Prinz in schimmernder Rüstung (Lucinde)
Du kannst es nicht allen recht machen (Heike)
MEHR MEHR MEHR: Grenzenloses »Was kann ich noch für dich tun« – auf der Suche nach dem entspannten Nein (Lucinde)
Der Sechsstufenplan für Neu-Neinsager
Teil 3:
Organisation ist nur das halbe Leben!
Alles in Ordnung! Oder: Frau Kondo? Wer ist eigentlich Frau Kondo? (Lucinde)
Das bisschen Haushalt … muss auch nicht perfekt sein (Heike)
Wer was macht, warum nicht, wann und wie viel – Kommunikation im hutzenlaubschen Haushalt (Lucinde)
Zeit für schöne Dinge statt Zeitmanagement (Heike)
Test: Welcher Ordnungstyp sind Sie?
Teil 4:
Entspann dich doch mal!
Indien in Stuttgart: Den inneren Guru finden (Lucinde)
Bei Meditation bin ich raus! (Heike)
Weiter, schneller, gewagter: Freizeitaktivitäten und Urlaube (Lucinde)
Warum Achtsamkeit so furchtbar nervt (Heike)
Das ultimative Relax-Horoskop
Teil 5:
Wie siehst du denn aus?
Aber Schneewittchen ist die Schönste im ganzen Land (Heike)
Bin ich schön? (Lucinde)
»Du hast da was« – die Sache mit der Monosprosse (Heike)
Instagram, Facebook & Co.: SCHAU! MICH! AN! Schöne heile Scheinwelt (Lucinde)
Quiz: Was heißt hier Schönheitsideal?
Teil 6:
Dein Leben hat kein Preisschild
Erfolg – was ist das eigentlich? (Heike)
Werte – was uns antreibt (Lucinde)
Glück – der natürliche Feind des Mimimi (Heike)
Mein Haus, mein Auto, meine Markenklamotten: Erfolg und Reichtum (Lucinde)
Erfolgstypen – Versuch einer Systematik
Teil 7:
Das kannst du aber gut!
Entspannt in Fremdsprachen radebrechen (Heike)
Improvisation ist Trumpf! (Lucinde)
Das Silbermedaillengewinner-Syndrom (Heike)
Schwächen zu Stärken machen (Lucinde)
Bullshit-Bingo »Glaubenssätze«
Nachwort Heike: Zu Risiken und Nebenwirkungen …
Nachwort Lucinde: Ein Hoch auf das Leben
Danke
Um das gleich mal festzuhalten: Falls Sie sich Tipps rund um das Modethema Selbstoptimierung erhofft haben, sind Sie hier komplett auf dem Holzweg.
Sorry.
Nicht dass ich mich im wahrsten Sinne des Wortes für »unverbesserlich« halten oder denken würde, ich könnte nichts mehr dazulernen. Das Gegenteil ist der Fall: Ich finde lebenslanges Lernen ganz großartig. Wir alle entwickeln uns kontinuierlich weiter, und das ist wunderbar so!
Für nicht ganz so wunderbar dagegen halte ich den Trend, um jeden Preis immer besser, effektiver und organisierter werden zu wollen. Denn davon wird man bestimmt nicht zufrieden und glücklich, im Gegenteil. Manchmal macht er sogar überheblich und gnadenlos – sich selbst und anderen gegenüber.
Hinter dem Wunsch, sich selbst zu optimieren, steckt ja oft das Ziel, besser sein zu wollen als andere.
Als wer eigentlich? Besser als Freunde, Nachbarn, Kollegen (m/w/d – wir meinen natürlich immer alle)? Besser als jede:r im Umkreis von hundert Kilometern? Als die gesamte Menschheit? Ist es nicht furchtbar einsam dort oben an der Spitze?
Keine Sorge, kaum jemand erreicht diese Sphären, in denen es keinen mehr gibt, den man überholen könnte. Hält man nicht gerade einen Weltrekord, findet sich immer jemand, der einen übertrumpft. Oder der mehr Geld, Muskeln, Ahnung, Follower hat. Dessen Kinder folgsamer, zielstrebiger und erfolgreicher sind. Und der in allem, was Sie können, besser ist.
Aber trösten Sie sich: Vermutlich hat der ein oder andere Weltrekordhalter eine furchtbar chaotische Wohnung, so manche Influencerin mehr Komplexe als Instagram-Follower und überhaupt jeder sein Päckchen zu tragen. Nobody is perfect, oder? Warum sich also stressen bei dem Versuch, es doch zu sein?
Falls Sie es aber trotzdem versuchen, fallen Sie bloß nicht auf das Märchen von »Nur zehn Minuten am Tag« rein!
Sie kennen sie alle, diese verlockenden Ratgeber, die behaupten, mit einem minimalen Aufwand von täglich nur zehn Minuten könnten Sie erfolgreicher, glücklicher, schlanker, klüger, achtsamer, konzentrierter, überzeugender, beweglicher, schmerzfreier, attraktiver, reicher werden – ja, ein ganz neuer Mensch.
Aber was wäre das für ein Leben? Wenn man wirklich zehn Minuten am Tag all das machen würde, was so empfohlen wird – von Meditieren über Bauch-weg-Training und Gesichtsmassage bis Aufräumen –, wäre der Tag vorbei.
Er finge damit an, dass Sie zehn Minuten früher aufstehen müssten, um zuerst Ihre Träume zu dokumentieren und dann den Morgengruß zu turnen, und würde damit enden, dass Sie fix und alle ins Bett fallen – vor lauter Zehn-Minuten-Übungen wären Sie fast zu müde, um Ihr Glückstagebuch zu führen oder noch schnell Ihr Vokabeltraining zu absolvieren (»In nur zehn Minuten am Tag Mandarin lernen«).
Nicht zu vergessen die Mittagspausenmeditation, das Klavierüben, die Atemübungen zwischendurch, den Powernap, die Denksportaufgaben, Bauch-Beine-Po, Lachyoga, Seilspringen, Erfolgsjournal, Fußreflexzonenmassage, Entspannung und, und, und.
Und haben Sie auch Ihre 10 000 Schritte geschafft? Genug Obst und Gemüse verzehrt? Wenigstens einen Smoothie getrunken?
Puh … Ohne professionelles Zeitmanagement wäre das nicht zu schaffen. Klingt furchtbar stressig, oder? Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Leben in durchgetakteten Selbstoptimierungs-Zeiteinheiten sehr erstrebenswert wäre.
Statt Selbstoptimierung empfehle ich lieber eine große Portion Gelassenheit und vor allem ganz viel Humor. Wer über sich selbst lachen kann, hat einfach mehr vom Leben. Klingt das nicht perfekt in Ihren Ohren?
Heikes Steckbrief
5 Dinge, in denen ich alles andere alsperfekt bin
(und das ist bloß die Spitze des Eisbergs!)
1. Kochen und backen
In der Pubertät hatte ich mal eine Backphase, aber das ist längst vorbei. Seit ich meinen Mann kenne, habe ich sämtliche Ambitionen in dieser Hinsicht aufgegeben. Er ist Profi – das kann ich eh nicht toppen. Sehr entspannend!
2. Kopfrechnen
Ja, ich weiß, so was kann man üben – aber bei Zahlen habe ich eine Wahrnehmungsstörung. Sie gehen zum einen Ohr rein und zum anderen raus. Es hat Jahre gedauert, bis ich mir meine eigene Telefonnummer merken konnte.
3. Ballspiele
Ich sehe zwar gern Fußball (und liebe es, während der Bundesligakonferenz zu schreiben), aber da bleibt es beim Passivsport vom Sofa aus. In echt sind Bälle und ich wie Feuer und Wasser. Einmal habe ich mir beim Versuch, einen zu fangen, den Arm gebrochen.
4. Warten
Sorry, aber ich bin furchtbar ungeduldig! Wenn mich jemand ausbremst oder warten lässt, fuchst mich das gewaltig. Anders ist es, wenn ich die Wartezeit eingeplant habe, zum Beispiel beim Arzt. Da bin ich fast enttäuscht, wenn es schneller geht als gedacht (je nachdem, wie spannend das Buch ist, das ich dabeihabe).
5. Selfies machen
Sogar mein Sohn kommentierte neulich einen meiner kläglichen Versuche mit den Worten: »In diesem Leben lernst du das nicht mehr.« Ich nehme mich immer aus dem ungünstigen Winkel in schlechtem Licht auf und meine Nase ist auf den Selfies viel kartoffeliger als im Spiegel. Ehrlich!
Ja, ich gebe es zu: Bis vor gar nicht allzu langer Zeit war ich eine äußerst kritische Perfektionistin. Das war mir lange überhaupt nicht bewusst. Ich hielt mich für entspannt, locker und absolut souverän. Das war ich auch – bei anderen. Nur nicht, wenn es um mich selbst ging. Ich hatte ein Bild von mir, das einer Idealvorstellung entsprach, die ich aus all den guten Eigenschaften, Fähigkeiten und optischen Vorzügen meiner Mitmenschen gebastelt hatte. Sie existierte natürlich nur in meiner Vorstellung, aber sie erinnerte mich eben auch immer daran, dass da noch ein bisschen mehr ging, wenn ich mich nur ausreichend bemühte. Ich konnte sicherlich noch freundlicher sein, wenn ich nur wirklich wollte. Beliebter. Cooler. Erfolgreicher. Schöner. Klüger. Sportlicher. Schlicht: besser. Diese Idealvorstellung trieb mich an – und manchmal auch beinahe in den Wahnsinn.
Ich war keine gute Schülerin. Mein Motto war »Mut zur Lücke« – und diese Lücke war so groß wie alle naturwissenschaftlichen Fächer zusammen. Ich hatte keine Ahnung von Physik, Mathe, Chemie oder Bio, dafür retteten mich Fächer, in denen es Interpretationsspielraum gab. Kunst, Deutsch, Ethik, Literatur, Philosophie und Sozialkunde. Ich konnte bis auf Aufsätze schreiben nichts richtig, und sogar die waren den Lehrern immer viel zu lang für eine wirklich gute Note. Dafür konnte ich vieles ein bisschen. Bei der Berufsberatung warf meine Mentorin dementsprechend entnervt das Handtuch und sagte, mir bliebe nichts anderes übrig, als das zu werden, was ich schon sei: eine multipotenzielle Dilettantin.
So schlecht fand ich das gar nicht. Einerseits. Denn alles ein bisschen zu können und sich nicht festlegen zu müssen, macht einen schließlich flexibel. Andererseits fiel mir überhaupt kein Beruf ein, auf den diese Beschreibung passte, und außerdem war ich neidisch auf die, die genau wussten, dass sie die Firma ihrer Eltern übernehmen, Polizistin werden oder Physik studieren wollten, weil sie das Talent dazu in sich spürten oder weil sie einfach sicher waren, dass es das Richtige für sie war. Ich hatte diese Überzeugung einfach nicht – weder von meinen Talenten noch davon, wohin mein Weg mich führen könnte. Für ein Psychologie- oder Medizinstudium (das Einzige, was mich wirklich interessiert hätte) fehlten mir nicht nur die Noten, sondern auch das Selbstbewusstsein.
Ich hatte also absolut keine Ahnung, wer ich war, was ich wirklich konnte, noch was ich wollte. Das war kein schöner Zustand. Nur eines wusste ich sicher: dass da draußen Großes auf mich wartete. Ich musste nur herausfinden, was genau. Als mir das klar wurde, erwachte plötzlich ein gewisser Ehrgeiz in mir, und ich wollte es wissen: Was würde mich erfüllen, glücklich machen und dazu führen, meine Talente scheinen zu lassen, sodass auch andere davon profitieren konnten?
Hm. Das Problem lag auf der Hand, denn ich hatte ja keine. Wenn ich mich mit anderen verglich, stand ich in meinen Augen immer schlechter da. Vieles halb gut zu können war plötzlich ein Fluch – und ich hätte es sofort eingetauscht in eine Sache, in der ich richtig glänzen konnte.
Um es abzukürzen: Viele Umwege, mehrere Auslandsaufenthalte, zwei Studiengänge, eine Naturheilpraxis, vier Kinder und beinahe dreißig Jahre später weiß ich es: Ich bin immer noch dieselbe. Bin immer noch keine Ärztin, Mathematikerin, Lehrerin oder Polizistin. Dafür bin ich eine ewig Suchende. Tatsächlich ist es genau das, was mich ausmacht. Mein Talent, wenn man so will. Es kommt eben nur auf den Blickwinkel an. Ich gebe mich nicht so schnell zufrieden, nehme Dinge, Situationen, das Leben nicht einfach hin, wenn ich das Gefühl habe, dass noch was geht. Das kann anstrengend sein, aber auch ungeahnte Möglichkeiten bieten. Ich will mich immer weiterentwickeln, nie aufhören, neu anzufangen, weiter lernen und immer die beste Version meiner selbst sein. Das mag für die Berufsberater aussichtslos sein, für mich ist es perfekt. Denn kombiniert mit den viel zu langen Aufsätzen von früher ist genau das daraus geworden, was mich glücklich macht und mein Licht scheinen lässt: Ich schreibe Kolumnen und Bücher. Solche wie dieses hier. Nein, es ist zwar ganz sicher kein Selbstoptimierungsratgeber, aber vielleicht eine Bestandsaufnahme, ein Selbsterkenntnis-Freude-und-Gelassenheits-Buch. Eine Liebeserklärung an unser nicht perfektes und trotzdem und deshalb genau richtiges Selbst. Eines, das uns zeigen soll, wie großartig wir sind, trotz oder gerade wegen unserer vermeintlichen Fehler. Das uns zum Lachen bringt. Das uns anregt, keinem selbst gebastelten Idealbild, das wir doch nie erreichen können, hinterherzurennen, sondern anzuhalten, uns umzusehen und uns über uns und unser Leben zu freuen.
Unsere einzige Aufgabe besteht darin, die beste Version unserer selbst zu sein. Und das sind wir längst, also kein Druck. Der Blickwinkel ist das Entscheidende.
Ach ja, übrigens: multipotenzielle Dilettantin steht auch auf meiner Visitenkarte.
Lucindes Steckbrief
5 Dinge, in denen ich alles andere als perfekt bin
(und das ist auch gut so)
1. Mathematik jenseits vom Dreisatz
Fragen Sie meinen Sohn. Er geht in die achte Klasse, aber ich war auch schon in der siebten keine Hilfe mehr. Bei Fächern, in denen es keinen Interpretationsspielraum gibt und man nicht verhandeln kann, war ich schon in der Schule raus.
Ich bin eben die mit den Buchstaben. Aber kommen Sie mir jetzt bloß nicht mit Textaufgaben. Das sind doch auch nur verkleidete Zahlen.
2. Wegschauen
Ja, ich bin eine liebevolle Mutter und Ehefrau und eine aufmerksame Tochter. Finde ich. Meine Familie findet, ich könnte mich öfter mal raushalten. Aber tja, darin bin ich leider wirklich sehr, sehr schlecht. Und außerdem würden die sich ganz schön umgucken, wenn ich das wirklich mal machen würde. Aber vielleicht versuche ich es trotzdem mal, wenn sie nicht aufhören, sich zu beschweren.
3. Singen
Ich kann nicht singen. Wirklich nicht. Es ist sehr traurig, denn in meinem Kopf weiß ich sehr genau, wie das alles klingen müsste, und außerdem bin ich äußerst textsicher. Aber ach, das hilft leider auch nicht weiter. Es hindert mich natürlich trotzdem nicht daran, es zu tun. Ich achte eben nur darauf, dass das Publikum nicht allzu groß ist. Und die Fenster geschlossen sind.
4. Fleisch braten
Sagen Sie jetzt nicht, das sei doch ganz einfach, man müsse nur … Es ist nicht so, dass ich das nicht schon tausend Mal gehört hätte. Das ändert nichts an der Tatsache, dass es mir nicht gelingt. Nie. Das Fleisch möchte von mir nicht gebraten werden. Ist okay. Ich lasse braten. Das macht die Männer in meinem Haus aus unerfindlichen Gründen sowieso sehr glücklich – eine absolute Win-win-Situation. Es sei denn, man ist Vegetarierin.
5. STEUER!
Schon das Wort verursacht bei mir Stressakne. Die Buchhaltung und Steuererklärung macht mich jedes Jahr aufs Neue fertig. Ich habe regelrecht Angst vor dem Finanzamt und verstehe einfach nicht, warum es verschiedene Prozentsätze gibt – und wofür. Ich finde, es gibt kaum einen krasseren Beruf als Steuerberater und nehme mir immer vor, alles im darauffolgenden Jahr besser und vor allem anders zu machen und dann … suche ich am Ende doch wieder irgendwelche Unterlagen und Belege.
Teil 1:
KÖRPER, GEIST UND JEDE MENGE BAUCHGEFÜHL
Wieheißtessoschön?EingesunderGeiststecktineinemgesundenKörper –oder,wiederLateinerzusagenpflegt:»Menssanaincorporesano.«AnscheinendhatdasderrömischeDichterJuvenalschonim1. JahrhundertnachChristusgewusst.Undnatürlichrechtgehabt.DasswiraufunsereGesundheitachtensollten,habenwirtausendmalgehört,gelesen,wissenwir.AusreichendBewegung,Schlaf,VitamineundFlüssigkeit:ja.Alkohol,Kaffee,Nächtedurchfeiern,Rauchen,Fleisch,FettundSüßes:liebernicht.Esistjanichtso,alshätteunsdasnochnieeinergesagt.Undmeistenshalten wir uns ja auch daran, so gut es eben zu uns passt.
Natürlich kann man jedes Ernährungskonzept und jedes Sportprogramm personalisieren, perfektionieren und den ganzen Tag nichts anderes tun, als nach Nahrungsmitteln zu fahnden, die so kompliziert sind, dass es sie nur in Spezialgeschäften gibt. Man kann auch in Restaurants bei einem Glas Wasser sitzen, während alle anderen es sich gut gehen lassen. Nichts gegen das Glas Wasser. Zusätzlich. Wie beinahe überall ist es eben das Maß, das über die Gesundheit entscheidet. Da halten wir uns lieber an den guten alten Paracelsus (1493–1541 n. Chr.), denn der war sogar Arzt! »Dosis facit venenum!«, hat er nämlich gesagt, und wir sind überzeugt: »Die Dosis macht das Gift.« Na bitte. Geht doch!
Neulich traf ich mich mit meiner Freundin Nicky in der Stadt. Ich hatte ein paar Dinge zu erledigen, sie auch, und außerdem gab es da dieses hippe neue Café in der Fußgängerzone, wo man am Tresen bestellt und dann sein Getränk mit an den Platz nehmen kann. Besonders gelobt wurden die vielen verschiedenen Kaffeesorten, die Burger (vegetarische und vegane), die Superfood-Smoothies und die Kuchen.
Das Café war optisch und kulinarisch genau nach meinem Geschmack. Auf den niedrigen Fensterbänken der großen Fenster lagen Kissen, auf denen man es sich gemütlich machen konnte. In der Vitrine gab es verschiedene Kuchen, die alle richtig lecker aussahen, und Nicky und ich überlegten gerade, ob wir uns zu unserem Schmandkuchen mit Mandarinen (Nicky) und Karottenmuffin mit Vanille-Icing (ich) noch ein Gläschen Prosecco gönnen sollten. Klar, es war ein stinknormaler Mittwochnachmittag, aber die Sonne schien, und außerdem sahen wir uns so selten, das konnte man schon mal feiern.
Ich esse sehr gern Gemüse. Aber ich esse auch Fleisch, wenn ich Lust darauf habe und weiß, wo es herkommt. Alles, was strengen Regeln folgt (vor allem, wenn es um Genuss geht), lehne ich ab. Ich bin wohl das, was Ernährungswissenschaftler Flexitarier nennen. Ich esse einfach gern. Wenn mir danach ist, auch mal einen Veggieburger mit Speck. Mehr Flexi geht wohl kaum.
Die von Hand gemalte Speisekarte im Café bot eine riesige Auswahl an vegetarischen oder veganen Speisen. Bei den Burgern standen Buns und Patties, Cremes und Dips aus Dingen zur Auswahl, von denen ich noch nie gehört hatte. Der Happy Burger beispielsweise bestand aus Kidneybohnen-Patty auf Dinkelbun mit Alfalfa-Sprossen, Weißkraut, Rote-Bete-Chutney und Wasabi-Pesto. Abgefahren, oder?
Vor uns waren zwei junge Mütter mit Kinderwagen und ein junger Umhängetaschentyp im Anzug und mit vor der Tür geparktem E-Roller dran. Mutter eins bestellte einen Cappuccino. Mein Blick wanderte sehnsüchtig zum Karottenmuffin. Nur noch Sekunden, dann war er mein. Wie saftig er aussah! Wie das Icing glänzte! Auch Nicky leckte sich die Lippen. Gleich. Gleich würden wir ein Tablett mit unseren Köstlichkeiten in den Händen halten, nach draußen eilen und das Leben feiern.
»Ich hätte gerne eine Chai-Tee-Latte«, bestellte da Mutter Nummer zwei. »Gibt’s die auch mit anderer Milch?«
»Klar, wir haben Mandel, Hafer, Soja und …«, begann der junge Mann hinter dem Tresen aufzuzählen.
»Was? Ihr habt kein Kokos? Warum das denn?«, unterbrach sie ihn fassungslos, während ihre Freundin ihr bedeutete, dass sie draußen warten würde.
Ich lehnte mich ein wenig nach vorn, um die Wartezeit zu überbrücken, und schielte dem Umhängetaschentyp über die Schulter. Der Kirschstreusel sah auch verdammt lecker aus. Dafür hatte der Mann vor mir allerdings keinen Blick, denn er sah demonstrativ auf die Uhr und trippelte unruhig hin und her. Er war offensichtlich schwer in Eile und nicht gewillt, den Erklärungen des Kellners beizuwohnen, denn er versuchte, den Bestellvorgang mit ein wenig Zungenschnalzen zu beschleunigen. Was der Kellner allerdings geflissentlich ignorierte. Die junge Mutter bekam es sowieso nicht mit. Sie war nach wie vor geschockt darüber, dass es keine Kokosmilch gab und einigermaßen befangen bei der Auswahl einer Alternative. Dass es keine Kokosmilch gab, weil die Cafébetreiber versuchten, so wenig wie möglich aus der Ferne zu importieren, sie nicht so viel getrunken wurde und der Schaum keine gute Crema gab, hatte er ihr zwar geduldig erklärt – aber nur mich damit beeindruckt. Sie fand es einfach nur doof.
Er lächelte entschuldigend und zuckte mit den Schultern. »Magst du vielleicht mal Mandel probieren, das schmeckt auch sehr gu…«
»Ach, und Soja bietet ihr aber an?«, unterbrach sie ihn erneut, während sie sich bückte, um ihrem Kind den Schnuller aus Naturkautschuk zurückzugeben, den es auf den Boden geworfen hatte. Ihre Stimme klang ein wenig gepresst von da unten. »Kommt das vielleicht nicht aus … keine Ahnung … Asien?«
Der Umhängetaschentyp schnaubte, dabei konnte er hier echt mal was über ökologische und ökonomische Caféwirtschaft lernen. Allgemeinwissen, das man in Feierabendgesprächen an der Bar doch wirklich brauchen kann.
»Nein, unsere Sojamilch kommt aus Rheinhessen«, antwortete der Kellner liebenswürdig und ein bisschen stolz, während er abwartend die Arme vor der hübschen blau-weiß gestreiften Schürze kreuzte.
»Na gut, dann … nehm ich eben Mandel«, sagte sie genervt. Dabei war nicht ersichtlich, ob sie sich über ihr Kind aufregte, das schon wieder den Schnuller auf den Boden geworfen hatte, oder darüber, dass die Sojamilch nicht aus Asien kam. Junge Mütter haben es auch nicht leicht. »Geht auch grüner Tee anstatt schwarzem?«
»Kein Problem.« Nachvollziehbarerweise hatte sich der Kellner noch nicht bewegt, man wusste schließlich nicht, was ihr noch so alles einfiel, bis sie sich endlich für die passende Getränkezutat entschieden hatte. Aber er lächelte immer noch, wofür er meinen tiefsten Respekt hatte.
»Und Agavendicksaft statt Zucker?«
»Selbstverständlich. Hier ist alles möglich.«
»Ja, alles außer Kokos«, gab sie zurück und zückte ihr Portemonnaie. Jetzt gab er seiner Kollegin an der Espressomaschine ein Zeichen, dass sie loslegen konnte.
»Ach ja, und noch was«, sagte er, während er ihr das Wechselgeld hinlegte. »Es heißt Chai Latte.«
»Hab ich doch gesagt!«, erwiderte sie irritiert.
»Nein, du hast eine Chai-Tee-Latte bestellt. Chai heißt Tee. Also, streng genommen hast du einen Tee-Tee-Latte bestellt, was nur Sinn macht, wenn du zwei möchtest.« Er grinste. »Möchtest du?«
»Nein danke, einer reicht.«
Sie fand ihn nicht lustig. Wir aber schon. Heimlich kicherten wir ein bisschen und zwinkerten dem Kellner zu, damit er auch wusste, dass er in uns Verbündete gefunden hatte, die seine Witze verstanden und gleich sehr unkompliziert bestellen würden. Gleich nach dem Umhängetaschentyp. Ich tippte auf eine Limo in der Flasche und einen Burger to go. Irgendetwas, das man in einer schicken Papiertüte mit großem Logo tragen konnte, die bewies, dass man im angesagtesten Café der Stadt seinen Lunch eingekauft hatte und somit selbst auch ganz schön angesagt war.
Aufatmend legte er los: »Machst du mir einen Happy Burger und ’ne Ingwerlimo zum Mitnehmen?«, fragte er prompt. Bingo! Er war wirklich fix. Beinahe hätte ich Nicky abgeklatscht. Karottenmuffin, ich komme!
»Gern!«, antwortete der Kellner.
In zehn, neun, acht …
»Was habt ihr denn für Patties da?«
Oh weh.
»Was hättest du denn gern?« Freundliches Kellnergesicht.
»Hmm … also …« Der Umhängetaschentyp begann, die Karte an der Wand zu studieren, als hätte er nicht gerade eine halbe Stunde dafür Zeit gehabt, die er aber lieber damit verbracht hatte, sich über die komplizierte Bestellung der Kinderwagenfrau aufzuregen.
»Erbsen- oder Linsenprotein fänd’ ich gut, kenn ich aber. Soja soll ich nicht, wegen der Hormone. Und Kidney, ich weiß auch nicht. Schmeckt das denn?«
»Also, ich mag es, sonst würden wir es nicht verkaufen. Aber Geschmäcker sind ja verschieden. Wenn du was Neues probieren willst, dann nimm doch Grünkern?«
»Oh, nee du, Grünkern ist mir too much«, sagte er. »Dann Kidney. Auf einem glutenfreien Bun, mit Shiso-Kresse und Aquafaba, veganem Käse und Speck, Tomaten, Weißkraut und Gurke.«
Wow. Ich glaube, ergänzend zu der Speisekarte wäre ein Wörterbuch für uns Normalsterbliche nicht schlecht. Ich hatte keine Ahnung, was er da bestellt hatte. Der Kellner aber glücklicherweise schon.
»Gern! Du weißt aber schon, dass die glutenfreien Buns Eiweiß enthalten? Ich sag’s nur. Ist aber pflanzlich. Und sie können Soja und Spuren von Nüssen enthalten. Falls du Allergiker bist.«
»Oh nein!«, rief der Umhängetaschentyp panisch aus. »Wie gut, dass du das sagst! Weißt du, welche Nüsse? Mandeln würden ja noch gehen und Cashews auch, aber gegen Erdnüsse bin ich total allergisch. Da krieg ich sofort einen anaphylaktischen Schock!« Wir sahen sogar von hinten, wie er blass wurde.
Nicky schaute mich an. Ich schaute Nicky an. Die Schlange hinter uns ging mittlerweile bis auf die Straße. Ich wäre ja unter normalen Umständen gegangen, weil ich solche Menschen nur schwer aushalten kann, aber das hier war besser als jede Stand-up-Comedy, ich wollte unbedingt wissen, wie das lebensbedrohliche Burger-Bun-Drama ausging, außerdem hatte ich mich in den Karottenmuffin verliebt und konnte ohne ihn dieses Café nicht verlassen.
Der Kellner war so ruhig, als hätte er gerade zwei Stunden meditiert. Im Gegensatz zu mir. Ich fing langsam an zu schwitzen.
»Vorschlag: Ich mache dir den Bratling und einen gemischten Salat ohne Dressing. Dahinten stehen Essig und Öl, oder auch Zitrone, falls du das lieber magst. Das kannst du dann gern selbst anrühren. Wenn du willst, ein paar Maiscracker dazu? Da ist garantiert nichts außer Mais drin.«
»Maiscracker wären toll, aber …« Er zog die Schultern hoch und legte den Kopf schräg.
WAS? DU BIST AUCH GEGEN MAISCRACKER ALLERGISCH? GEGEN ZITRONE? SALAT?
Ich spürte, wie meine Halsschlagader zu pulsieren begann und meine Reizschwelle langsam erreicht war. Ich neigte mich zu Nicky hinüber, um sie zu bitten, mich gegebenenfalls festzuhalten, falls sie das Gefühl hatte, ich würde den Umhängemensch gleich in einen amtlichen Faustkampf verwickeln. Es sei denn natürlich, er war auch dagegen allergisch.
Da fuhr er fort: »Ich bin mit dem Roller da. Da ist Salat echt schwierig.«
Halt mich, Nicky! Schnell!
»Ich pack ihn dir ein.«
»Ja, aber … und das Plastik?«
»Unsere Verpackungen sind aus Biokunststoff und kompostierbar.«
»Ach nee du, lass mal. Dann nehme ich einfach nur einen grünen Smoothie aus Gurke, Spinat, Apfel, Kurkumapulver, Weizengraskeimen, Flohsamen und Grünkohl. Auf jeden Fall auch mit Löwenzahn und ein bisschen Agavendicksaft.« Erleichtert schaute er sich um und grinste entschuldigend. »Das bekommt mir besser als Kokosblütensirup. Und Chicorée hatte ich gestern, das war mir zu bitter.«
Nee, schon klar.
Der Kellner nickte ihm freundlich zu, als hätte der Typ nicht gerade zweitausend Jahre gebraucht, um etwas zu bestellen, was sich in meinen Ohren schlicht anhörte wie der pürierte Salat, den er ja dann doch nicht wollte und sich sicher ebenfalls in einem Becher aus irgendeiner Plastikvariante befand. Ich schluckte trocken. Als er zahlte, glücklich seinen Smoothie entgegennahm, fröhlich lächelnd und völlig bar jeglichen schlechten Gewissens davonging, weil ich mittlerweile ein Magengeschwür gezüchtet hatte, hätte ich ihm gern einen allergisch-veganen Fuß gestellt. Seine eigenen Füße steckten übrigens, bei genauem Hinsehen, in teuren Sneakers – aus Leder.
Nicky und ich orderten unseren Kuchen, jeweils einen Espresso und eine ganze Flasche Prosecco. Wir fanden, die hatten wir uns verdient und sehr nötig. Beim Prosecco allerdings musste der Kellner passen, denn Alkohol fügte sich nicht ins Gesamtkonzept. Sehr schade. Eigentlich hätte ich dann gern alternativ etwas anderes bestellt, denn das, was der Kellner garantiert vor seiner Schicht genommen hatte, passte meiner Meinung nach super ins Gesamtkonzept, stand aber vermutlich aus bestimmten Gründen auch nicht auf der Karte.
Also: Klar sollte man gesund essen, auf die Herkunft und Verträglichkeit achten. Individuell abgestimmt zu kochen macht Sinn, immer am neuesten Trend entlang manchmal auch. Aber so sehr auf die Gesundheit zu achten, dass das Wesentliche abhandenkommt, ist doch ein großer Verlust – und sicher auch nicht gesund! Essen ist ja nicht nur Nahrungsaufnahme zwecks Energieversorgung. Essen ist Genuss, sinnliches Vergnügen, Geselligkeit und pure Freude. Es nährt unseren Körper, aber auch unsere Seele, wenn man so will. Alles in Maßen natürlich, denn das ist es, worauf es ankommt. Nicht umsonst sagen manche, dass Essen die Erotik des Alters ist. Kein Grund zu lachen! Durch die Ritzen des Witzes pfeift der Wind der Wahrheit, sagt mein Mann – und er muss es wissen. Immerhin ist er schon 54!
Was nützt es also, sich zu kasteien und ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn wir ein Glas Wein trinken, Schokolade essen, im Restaurant nicht nach der Herkunft von jedem Salatblatt fragen? Warum sollten wir jedem Trend folgen oder in Ernährungsapps schauen, um vermeintlich sicher sein zu können, was gut für uns ist? Wann ist uns eigentlich das Gespür und das Verantwortungsbewusstsein für unsere Ernährung verloren gegangen? Nicht umsonst sprechen wir von Bauchgefühl – und zwar nicht nur, wenn es ums Essen geht.
Und noch etwas: Ich liebe Kurkumatee, Alfalfa-Sprossen, Chiasamen und noch einige Zutaten mehr, die sich auf jeder Superfoodliste finden. Aber auch bei den vermeintlich guten Dingen gilt nicht nur das Maß, sondern auch die Herkunft. Leinsamen, Heidel- oder auch schwarze Johannisbeeren, Hirse und Walnüsse haben ebenso positive Eigenschaften wie Moringa, Açai- oder Gojibeeren, die im Übrigen auch Schwermetalle oder Pestizide enthalten können. Unser heimisches Superfood klingt vielleicht nicht ganz so superspannend, aber es reist auch nicht um die halbe Welt, bis es bei uns landet. Sogar Avocados gibt es in Europa. Großartig, oder? Bei denen kann man sich sogar mit anderen zusammentun und einen europäischen Avocado-Farmer finanziell unterstützen – der dann im Gegenzug ab und zu ein Kistchen schickt. Nach dem Motto: Adopt an Avocado-Tree. Weitere Infos dazu beispielsweise hier: www.crowdfarming.com/de
Ich persönlich möchte so etwas Wunderbares wie Kochen oder Essen niemals zu etwas machen, das vor allem kompliziert ist, und ich habe einen ausgeprägten Hang zum ausufernden Kochbuch-Shopping. Besonders gern mag ich dabei die mit den simplen Rezepten. Ich schwelge in den tollen Bildern und Zutatenlisten und schaue sie mir gern abends im Bett an. Es gibt für mich fast nichts Beruhigenderes als ein perfekt in Szene gesetztes Gemüse-Rezept von Ottolenghi. Und ich achte darauf, was und wie ich esse. Dabei haben sich für mich zwei Methoden besonders bewährt. Sie sind einfach, nachvollziehbar und das beste: Sie würden mich niemals daran hindern, mit Nicky ins Café zu gehen. Vielleicht allerdings nächstes Mal in ein anderes.
Lucindes Ernährungstipps
Tipp1:Intervallfastenoderauch16/8,5/2oder intermittierendes Fasten genannt
Bei 16/8 isst man während 8 Stunden und macht 16 Stunden Pause. Bei 5/2 isst man an fünf Tagen und fastet dann zwei Tage lang. Letzteres ist nichts für mich. Sobald ich damit anfange, denke ich nur noch ans Essen. Aber um 18 Uhr die letzte Mahlzeit und dann Frühstück um 10 Uhr? Geht doch eigentlich, oder?
Und wie funktioniert das jetzt genau? Also: Beim intermittierenden Fasten darf ganz normal gegessen werden. Entscheidend ist, dass zwischen der letzten Mahlzeit am Abend und der ersten am Morgen ausreichend Zeit vergeht, damit die Zellreinigung stattfinden kann. Denn wenn die Zellen »sauber« sind, wird das Immunsystem gestärkt, es kann sich darauf konzentrieren, Entzündungen zu hemmen und sogar Depressionen vorbeugen – und dafür sorgen, dass der Körper allgemein langsamer altert. Das heißt aber natürlich nicht, dass man in den Stunden, in denen man isst, jeden Mist essen darf. Drei Mahlzeiten, viel trinken. Und darauf achten, was man da isst. Da kommt mein zweiter Favorit ins Spiel:
Tipp 2: Das sogenannte Clean Eating
Nein, »Clean Eating« bedeutet nicht, dass man sein Essen besonders gründlich waschen sollte. Sondern es geht darum, darauf zu achten, dass so wenig Zusatzstoffe wie möglich in den Nahrungsmitteln enthalten sind – also beispielsweise diese ganzen Inhaltsstoffe mit dem großen E. Das E steht übrigens für Europa. Und die Nummern dahinter für allerlei Antioxidantien, Farbstoffe, Emulgatoren, Geschmacksverstärker, Verdickungsmittel, Konservierungs- und Zuckeraustauschstoffe. Allesamt stehen unter Verdacht, Allergien, aber auch Krebs und Alzheimer begünstigen zu können. Wollen wir alles nicht.
Aber selbst, wenn Sie immer weniger »E«s auf der Verpackung finden, so heißt das nicht, dass keine drin sind. Das, was bis vor einer Weile nämlich noch E330 hieß, heißt jetzt wieder Zitronensäure. Klingt harmloser.
Natürlich macht es Sinn, darauf zu achten, dass die Nahrungsmittel, die wir einkaufen, so naturbelassen wie möglich sind. Aber alles ganz entspannt. Sich schon beim Einkaufen unter Druck zu setzen, ist ganz sicher auch nicht gesund.
Es gibt sehr viele Internetseiten und schöne Bücher über Clean Eating. Ich habe mir schon vor Jahren eines gekauft, das ich großartig finde. Es heißt
Eat. Nourish. Glow., ist von Amelia Freer und bei Thorsons erschienen. Leider gibt’s das nur auf Englisch.
Neulich bescherte mir das öffentlich-rechtliche Werbefernsehen einen gepflegten Lachanfall. Angepriesen wurde ein Einschlafspray! Ja, tatsächlich, ein Spray, das man sich in den Mund sprüht, um dann besser schlafen zu können. Wer denkt sich denn so was aus? Dass in der Werbung körperliche Gebrechen thematisiert werden, ist ja ein alter Hut – von wegen »Oma hat früher immer so gepupst«. Und tüchtige Hausfrauen, die echtes oder angebliches Superfood (»So wertvoll wie ein kleines Steak«) rühmen, gab es schon in meiner Kindheit, als ich mit meinen Brüdern Werberaten spielte. Wer zuerst wusste, von wem der jeweilige Spot war (»Fruchtzwerge!«), hatte gewonnen. Aber Einschlafspray? Ernsthaft?
Gleich anschließend kam der penetranteste aller TV-Spots (»IchhabmirneneueMatratzegekauft« – »neeeneeeneee«), und mir wurde bewusst, dass Schlafen wohl mehr ist als ein normales Grundbedürfnis – es ist ein Riesenmarkt!
Früher hat man, wenn man nicht einschlafen konnte, einfach Schäfchen gezählt oder ein Bier getrunken, was beides irgendwie funktioniert: Während man beim Schafezählen wohl vor Langeweile eindöst, löst der im Bier enthaltene Hopfen den Stress, der die natürliche Müdigkeit überdeckt hat, sodass der matte Körper zu seinem Recht kommt. (Weshalb das Ganze übrigens auch mit alkoholfreiem Bier und Hopfentee funktioniert.)
Heutzutage gibt man sich mit derart simplen Tricks nicht mehr zufrieden – stattdessen steht ein breites Angebot an Schlafprodukten zur Auswahl. Von Lavendel-Duftkissen, Kräutertees und Nahrungsergänzungspillen über Ohrstöpsel und Schlafbrillen (gegen störende Sinneswahrnehmungen) bis hin zu Seitenschläferkissen, Therapiedecken oder Magnet-Matratzenauflagen. Nicht zu vergessen die Apps mit einschläfernden Geräuschen wie Meeresrauschen, Landregen oder Vogelgezwitscher im Wald. Und wussten Sie, dass es sogar einen Streamingdienst namens Napflix gibt? Dort laufen ausschließlich Filme, die so langweilig sind, dass einem automatisch die Augen zufallen.
Wenn also dermaßen viele Firmen an der Schlaflosigkeit der Menschen verdienen, scheint dieses Problem weiter verbreitet zu sein, als ich dachte. Ich selbst kann da nicht mitreden, denn ich schlafe gut ein und habe auch schon so manches Gewitter verpennt. Von wegen, Frauen haben einen leichteren Schlaf als Männer – für mich gilt das definitiv nicht.
Doch ich scheine da wohl nicht repräsentativ für die Bevölkerung zu sein, jedenfalls nicht, wenn man sich den DAK-Gesundheitsreport 2017 anschaut. Darin heißt es, dass 80 Prozent der Erwerbstätigen schlecht ein- oder durchschlafen, also rund 34 Millionen Menschen. Zehn Prozent leiden unter besonders schweren Schlafstörungen. Insgesamt hat sich das Phänomen seit 2010 etwa verdoppelt, genauso wie der Schlafmittelkonsum.
Schlafen – überflüssig oder überlebenswichtig?
Bevor wir uns weiter um die Ursachen für die allgemeine Schlaflosigkeit kümmern, möchte ich erst einmal eine Grundsatzfrage klären: Warum schläft der Mensch überhaupt? Ich meine, wir verpassen ein Drittel unseres Lebens, ist das nicht pure Zeitvergeudung?
Okay, wir gehen nachts in einen Energiesparmodus, um tagsüber aktiv sein zu können. Aber könnte man nicht einfach mehr essen und immer wach bleiben?
Nein, könnte man nicht. Schlaf ist tatsächlich lebenswichtig, denn in dieser Zeit speichert, verarbeitet und sortiert das Gehirn den Input des Tages. Unser Oberstübchen wird sozusagen aufgeräumt und die Stoffwechselabfälle werden entsorgt. Und das muss sein, denn sonst würde dort oben pures Chaos herrschen!
Kein Wunder, dass wir uns nach einer schlaflosen Nacht mies fühlen und auch so aussehen. Wir frieren, bekommen Heißhunger, sind schlecht gelaunt und reizbar, unkonzentriert und grau im Gesicht. (Wer zwei Tage am Stück wach bleibt, ist anschließend ungefähr so verkehrstüchtig, als hätte er zwei Flaschen Rotwein getrunken.) Wenn der Schlafmangel häufiger vorkommt oder gar chronisch wird, treten weitere Nebenwirkungen auf, so wie Übergewicht, Herz-Kreislauf-Probleme oder höhere Infektanfälligkeit, weil Immunabwehr und Wundheilung leiden. Und nicht zuletzt steigt auch das Risiko für Depressionen und Angststörungen.
Mit anderen Worten: Wenn immer mehr Menschen nicht gut schlafen können, dann leiden auch immer mehr Menschen unter solchen Folgeproblemen.
Schuld an dieser Negativentwicklung sind übrigens nicht selten die Arbeitsbedingungen, besonders Leistungsdruck, Überstunden, Nachtschichten und die ständige Erreichbarkeit nach Feierabend.
Kein Wunder, dass ich nicht betroffen bin – als Soloselbstständige bestimme ich meine Arbeitsbedingungen ja selbst, und wenn ich mal Nachtschichten einlege, erlaube ich mir morgens ein paar Stündchen länger zu schlafen.
Doch natürlich kenne auch ich die beschriebenen Schlafmangel-Symptome, und das nicht nur von durchfeierten Nächten.
Einmal hatte ich einen geschäftlichen Termin in Hamburg, und statt eine Übernachtung einzuplanen, beschloss ich, mit dem Nachtzug hin- und zurückzufahren. Auf diese Weise, so glaubte ich, sparte ich das Geld für das Hotel, hatte aber nach meinem Termin dennoch einen ganzen Tag zur freien Verfügung, um die Stadt zu besichtigen.
Was war ich doch naiv! Der ICE war rappelvoll, laut, überheizt, an Schlaf war auf der Hinfahrt nicht zu denken. Ich kam also völlig übernächtigt in Hamburg an, doch die Aufregung vor dem wichtigen Gespräch hielt mich fit. Kaum hatte ich das allerdings hinter mich gebracht, schlug die Müdigkeit erbarmungslos zu.
Ich genehmigte mir gleich mal zwei doppelte Espresso, dann schleppte ich mich zu den Landungsbrücken, über den Fischmarkt und – wenn mich mein vernebeltes Gedächtnis nicht täuscht – über eine Treppe hinauf zur Reeperbahn. Zu dem Zeitpunkt wünschte ich mir nichts sehnlicher als ein Bett! Umso verblüffter war ich, als ich in die berühmt-berüchtigte Rotlichtmeile einbog und am Straßenrand fast über ein ausrangiertes Messingbett mit der wohl schmuddeligsten Matratze der Welt stolperte. Ja, ich war hundemüde, aber sooo müde dann doch nicht …
Alles in allem fand ich die Reeperbahn ganz schön enttäuschend. Bei Tageslicht war sie trostlos und schäbig. Ich ließ sie rasch hinter mir und steuerte ein Café an. Einen doppelten Espresso später war ich noch schläfriger als zuvor, und als ich an einem kleinen Park vorbeikam, sehnte ich mich danach, mich einfach ins Gras zu legen und wegzudösen. Ein restlicher Funke Verstand in meinem Hinterkopf war allerdings noch wach genug, mich davon abzuhalten. Am Ende wäre ich womöglich noch ausgeraubt worden!