Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation - Sascha Bechmann - kostenlos E-Book

Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation E-Book

Sascha Bechmann

0,0
0,00 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Vorstellungen, Ängste und Erwartungen auf Seiten der Patienten spielen in der Erforschung der Arzt-Patient-Kommunikation eine bislang kaum beachtete Rolle. In der vorliegenden Untersuchung wird das sog. ICE-Modell (ideas, concerns and expectations) auf der Folie kommunikationstheoretischer, linguistischer und gesundheitswissenschaftlicher Überlegungen näher beleuchtet. Ziel ist es, dieses in Deutschland unbekannte Kommunikationsmodell vorzustellen und einzuordnen, die wesentlichen kommunikativ-interaktionalen Vorzüge anhand von Studienergebnissen herauszuarbeiten und das Modell einzubinden in ein kommunikatives Gesamtkonzept.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sascha Bechmann

Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation

Untersuchungen zu einem patientenorientierten Kommunikationsmodell

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

 

 

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

Print-ISBN 978-3-8233-8394-9

ePub-ISBN 978-3-8233-0223-0

Inhalt

Vorwort – oder: Warum dieses Buch?1 Einleitung – das Jahrhundert des Patienten1.1 Rahmenbedingungen – Paradigmenwechsel in der Arzt-Patient-Kommunikation1.2 Das ICE-Modell – Definition, Evidenz und Rahmenbedingungen1.2.1 Ideas1.2.2 Concerns1.2.3 Expectations2 Arzt-Patient-Kommunikation – Grundbegriffe, Definitionen und Dimensionen2.1 Kommunikation – eine (kurze) Begriffsbestimmung2.1.1 Was ist ein Gespräch?2.1.2 Charakteristik und Typologie ärztlicher Gespräche2.2 Gesprächsinteraktive Besonderheiten in der Arzt-Patient-Kommunikation2.2.1 Institutionelle Rahmenbedingungen2.2.2 Asymmetrien und Informationsinteressen2.3 Ärztliche Gesprächsführung in der universitären Lehre2.4 Berufs- und gesundheitspolitische Bewertung von Arzt-Patient-Kommunikation2.4.1 Stellenwert der Arzt-Patient-Kommunikation aus berufspolitischer Sicht2.4.2 Gesundheitspolitische Rahmenbedingungen2.5 Gesundheitsökonomische Bewertung von Arzt-Patient-Kommunikation3 Das ICE-Modell in der Arzt-Patient-Kommunikation3.1 Das ICE-Modell in der Forschung – ein systematischer Überblick3.2 Funktionale Einbindung des ICE-Modells in Arzt-Patient-Gespräche3.3 Kognitionswissenschaftliche Einordnung des ICE-Modells3.3.1 Subjektive Theorien in der Krankheitsbewältigung3.3.2 ICE-Elemente und das Common-Sense Model of Illness-Representation3.3.3 ICE und Framing – ein kognitionslinguistischer Zugang zum Modell4 Anwendung des ICE-Modells – Modellierung eines patientenzentrierten Kommunikationsmodells5 SchlussbetrachtungLiteraturverzeichnis

Vorwort – oder: Warum dieses Buch?

Das ärztliche Gespräch gerät nicht erst mit dem gesellschaftspolitischen Ruf nach Stärkung der Patientenautonomie und den sich verändernden Rollenvorstellungen im Zeitalter der Digitalisierung in den Fokus. Vielmehr erlebt dieses Thema gegenwärtig eine Art Renaissance. Antike Zeugnisse belegen, dass die Vorstellung von Heilung seit jeher eng verwoben ist mit einer Gesprächsführung, die den Patienten und dessen Bedürfnisse in den Mittelpunkt rückt. Erst der medizinisch-technische Fortschritt im 19. und 20. Jahrhundert bewirkte eine Abkehr von diesen traditionellen Vorstellungen und versetzte den Patienten in eine passive Rolle. Damit scheint es heute vorbei zu sein. Patientenverbände, Politiker und auch viele Mediziner fordern einen Paradigmenwechsel, infolge dessen das Gespräch zur zentralen Schaltstelle für jegliches ärztliches Handeln – und damit zugleich zur Gelingensbedingung – wird.

Doch wie genau soll dieser Paradigmenwechsel aussehen? Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft in Zeiten des Internets und der damit verbundenen informellen Selbstbestimmung, des Fitness- und Gesundheits-Booms, der gesundheitlichen Aufklärung im Kindergarten und dem Trend nach gesunder Ernährung? Welche Rollen spielen Ärzte in einer Zukunft, in der Patienten die Verantwortung für ihre Gesundheit zunehmend selbst in die Hand nehmen sollen und wollen? Eine Zukunft, in der Behandlungen ausgehandelt werden? Wie funktioniert ein System, in dem Patienten als gleichberechtigte Partner im Behandlungsprozess gehört werden wollen? Ein System, in dem Patienten als Experten für ihre eigene Gesundheit auftreten? Vor welchen Herausforderungen stehen Ärzte in einer Gesellschaft, in der Patienten neben ihrer Krankenkassenkarte immer häufiger auch Wissen, Vorstellungen und Erwartungshaltungen mitbringen?

Klar ist, mit den traditionellen Rollenmodellen des 19. Jahrhunderts ist eine solche Zukunft nicht zu bewältigen. Ärzte als Experten, Patienten als Laien – dieses Modell ist kaum tragfähig für eine Zukunft, in der Patienten eine zentrale Rolle einnehmen werden. Patienten wollen und sollen gehört werden. Der Rahmen, in dem dies geschehen kann, ist das Gespräch. Daher ist es nicht verwunderlich, dass dem Gespräch zwischen Patienten und Ärzten in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen in den letzten Jahrzehnten eine immer breiter werdende Aufmerksamkeit zu Teil wird. Mediziner, Soziologen, Psychologen, Linguisten (und neuerdings sogar Juristen und sehr vereinzelt Ökonomen) beschäftigen sich mit der Frage, wie das Gespräch zwischen Ärzten und Patienten im Idealfall ausgestaltet sein sollte.

So sehr das Interesse der Disziplinen am Gespräch verständlich (und aus Patientensicht erfreulich) ist, so sehr erstaunt jedoch die nahezu durchweg gleiche, einseitige Perspektivierung. Diese Feststellung betrifft (nicht nur, aber) vor allem die Linguistik. Studien, die hier seit den 1980er Jahren sehr zahlreich vorliegen, rücken nahezu immer den Arzt und dessen kommunikative Strategien ins Licht der Betrachtung. Als Forschungsfeld ist die Arzt-Patient-Kommunikation etabliert, nicht etwa die Patient-Arzt-Kommunikation. Auch dieses Buch, das sich über die Beschreibung des ICE-Konzepts dem Themenfeld ausdrücklich patientenorientiert zuwendet, schließt sich mit seiner Titelgebung dieser Tradition an. Der Grund dafür ist trivial: Der Terminus Arzt-Patienten-Kommunikation ist in dieser Konstruktion so geläufig, dass Suchmaschinen solche Publikationen, die diesen Titel tragen, treffsicherer finden als Bücher oder Aufsätze, die mit Patient-Arzt-Kommunikation betitelt sind.1

Jedoch lässt sich anhand dieser vermeintlich beiläufigen und beliebigen Betitelung der zahlreichen Monografien und Aufsätze weit mehr ablesen als ein bloßes Label – nämlich eine Haltung. Beide lexikalischen Konstruktionen, sowohl der Terminus Arzt-Patient-Kommunikation als auch die Wortverbindung Patient-Arzt-Kommunikation, evozieren die Vorstellung von Unidirektionalität in der Interaktion (Arzt-zu-Patient bzw. Patient-zu-Arzt), sie sind daher beide eher unglücklich. Wie viel passender wäre es, künftig von einer Arzt-und-Patient-Kommunikation zu sprechen? Gerade unter den sich verändernden Vorzeichen wäre sprachliche Genauigkeit wünschenswert. Vielleicht würde dies dazu führen, den Patienten auch in der Forschung stärker zu gewichten. Einen ersten, möglichst großen Schritt in diese Richtung möchte ich mit der vorliegenden Veröffentlichung gehen.

Wenn man sich die gegenwärtige kommunikative Praxis ansieht, ist die Vorstellung von einer unidirektionalen Kommunikation, die vom Arzt ausgeht, nicht ganz falsch. Noch immer sind Gespräche zwischen Ärzten und Patienten eher an somatischen Fakten als an subjektiven Theorien orientiert. Sie zeigen sich oftmals in ihrem Kern als stark disease-orientierte Gespräche. Auch mit Blick auf die Forschung zu diesem Thema stellt man fest, dass es sich kommunikativ um eine Einbahnstraße zu handeln scheint. Forscher blicken mit den ihnen jeweils eigenen Interessen und Methoden beispielsweise auf das Frageverhalten von Ärzten, typologisieren Fragehandlungen, analysieren Redeanteile und Sprecherwechsel, entwickeln Phasenmodelle oder skizzieren funktionale Ritualisierungen – fast immer ausgehend von den kommunikativen Bedürfnissen des Arztes.

Diese terminologische Einschränkung der Handlungsrichtung (Arzt → Patient) und die mit ihr verbundene Perspektivierung sind möglicherweise zwei der Gründe, warum die Patientenperspektive deutlich weniger gut erforscht ist als die Arztperspektive. Wenig ist bekannt darüber, wie Patienten Gespräche eröffnen oder beenden, wie ihr Frageverhalten strukturiert ist oder durch welche Strategien es ihnen gelingt, die ihnen wichtigen Gesprächsinhalte zu platzieren. Und eine Frage ist bislang – zumindest in der deutschsprachigen Literatur zu Patient-Arzt-Gesprächen – noch kaum beantwortet: Welche Inhalte sind das überhaupt, die zusammen genommen die Patientenperspektive ausformen?

Dieser Befund lässt sich auch auf die Schulung kommunikativer Kompetenzen im Medizinstudium übertragen: Im Kern geht es auch hier meist darum, was Ärzte wann, wie und in welcher Reihenfolge mit welchen Techniken tun sollen, wenn sie kommunizieren. Dass Ärzte im Gespräch (vor allem in der Phase der Informationsakquise) aktiv zuhören sollen, ist mittlerweile selbst denjenigen bekannt, die gar nicht so genau wissen, was sich hinter dem Aktiven Zuhören nach Carl Rogers überhaupt verbirgt. Zuhören scheint in der Kommunikation mit Patienten der Universalschlüssel zum Erfolg zu sein. Wenn ich Ärztinnen und Ärzte danach frage, worauf es im Gespräch am meisten ankommt, gehört Zuhören zu den häufigsten Antworten. Und tatsächlich: Zuhören ist wichtig. Aber: Auf was genau sollen Ärzte denn hören, wenn sie zuhören? Geht es nicht eigentlich um das richtige Hinhören?

Hier stellt sich zugleich die Frage nach der „richtigen“ Perspektive. Das Zauberwort lautet: Perspektivwechsel. Das Postulat der Ganzheitlichkeit in der medizinischen Diagnose und Behandlung erfordert, dass Ärzte neben ihrer eigenen auch die Patientenperspektive einnehmen. Doch das klingt einfacher als es ist. Die sogenannte biomedizinische Perspektive bereitet Ärzten in der Praxis keine Schwierigkeiten. Die richtigen Fragen zu stellen und genau Zuzuhören, wie Patienten welche Symptome schildern, lernen Ärzte schon früh im Studium. Aber welche Inhalte verbergen sich eigentlich hinter der (weitgehend unerforschten) Patientenperspektive? Worauf müssen Ärzte hören, wenn sie diese Perspektive berücksichtigen wollen? Und warum müssen sie diese Perspektive überhaupt berücksichtigen? Welchen Einfluss haben patientenseitige Vorstellungen, Ängste oder Erwartungen auf den Behandlungsprozess? Solche Fragen sind wenig bis gar nicht systematisch erforscht. Dabei sind Antworten darauf dringend notwendig. Denn: Wenn Ärzte nicht wissen, was sie hören sollen, dann ist es auch nicht sinnvoll ihnen zu vorzuschreiben, dass sie zuhören müssen.

Diesem Thema widmet sich dieses Buch auf der Folie unterschiedlicher Überlegungen und methodischer Zugriffe, die den Patienten und dessen subjektive Theorien in den Blick nehmen. Neben der Vorstellung und Besprechung des in Deutschland noch weitgehend unbekannten ICE-Modells auf der Grundlage allgemeiner und spezieller Überlegungen zum ärztlichen Gespräch haben auch weitere Gedanken und Analysen zur patientenseitigen Beteiligung im Kommunikationsprozess Eingang gefunden. Ich selbst verstehe die damit vorliegenden Untersuchungen als einen kaleidoskopischen Blick auf eine Dimension ärztlicher Gespräche ohne jeden Anspruch an Vollständigkeit oder an methodische Stringenz, wie sie für linguistische Studien ansonsten geboten ist. Durch die Fokussierung auf einen Gegenstandsbereich, der in vielfältiger Weise benachbarte und (auf den ersten Blick weiter entfernte) Disziplinen berührt, tritt die eigene Disziplin (im doppelten Wortsinn) hinter das allgemeine Erkenntnisinteresse zurück. Mein Ziel ist es, dass Leserinnen und Leser möglichst vieler Fachrichtungen dieses Buch mit Gewinn lesen können. Dazu war es nötig, an Stellen zu simplifizieren und zu kürzen, an denen unter methodischen und fachwissenschaftlichen Gesichtspunkten in einer linguistischen Arbeit nicht vereinfacht oder verkürzt werden darf. Dass ich es dennoch getan habe, öffnet den Gegenstand für einen größeren Interessentenkreis. Gerade Themen, die von praktischem Nutzen und hohem Wert weit außerhalb der eigenen wissenschaftlichen Disziplin sein können, dürfen m.E. nicht durch die fachwissenschaftliche Brille in einer Weise verzerrt werden, dass Erkenntnisse für Fachfremde an Kontur und damit an Zweckdienlichkeit verlieren.

Entstanden ist diese Überblicksarbeit im Kontext mehrerer Seminare zur Medizinischen Kommunikation an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in den Jahren 2015 bis 2019. Auch Ergebnisse studentischer Arbeiten sind in dieses Manuskript eingeflossen. Teile der hier vorliegenden kondensierten Zusammenstellung gesundheits-, kommunikationswissenschaftlicher und linguistischer Betrachtungen hat der Verfasser im Jahr 2018 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Postgraduierten-Masterthesis im Studiengang Gesundheitsmanagement eingereicht.

Dieses Buch richtet sich aufgrund seiner Vielschichtigkeit an Studierende und Lehrende aller Fachbereiche, die mit dem Themenfeld Kommunikation im medizinischen Kontext befasst sind sowie an Ärztinnen und Ärzte, die hierüber ein tieferes Verständnis für patientenseitige Vorstellungen, Ängste und Erwartungen gewinnen möchten. Die Leserinnen und Leser möchte ich darum bitten, durchaus kritisch mit den hier skizzierten Überlegungen ins Gericht zu gehen und den Diskurs auf diese Weise zu befeuern. Im Idealfall regt dieses Buch zu weiterer Forschung an, die sich von der bisherigen Fokussierung auf die Arztperspektive löst. Nur auf diese Weise kann es gelingen, das Themenfeld Arzt-und-Patient-Kommunikation auch künftig auf ein breites wissenschaftliches Fundament zu stellen.

Der Beitrag, den ich mit diesem Buch zur besseren Sichtbarkeit der Patientenperspektive leisten möchte, mag gültig sein. Die Beurteilung seiner Gültigkeit in der medizinischen Praxis steht mir als Fachfremdem nicht zu. Jedenfalls aber ist er nicht endgültig. Das Themengebiet Arzt-Patient-Kommunikation ist noch nicht hinreichend kartographiert. Ich hoffe aber, dass dieser Beitrag besonders dort Beachtung findet, wo er unmittelbar eine Wirkung entfalten kann: bei – im wörtlichen Sinne – gesprächsbereiten Medizinerinnen und Medizinern ebenso wie bei Kolleginnen und Kollegen aus der Zunft der Linguisten, die ihren Blick für Interdisziplinäres weiten mögen. In beide Richtungen wende ich mich vor allem an die Jungen: Den eigenen, ganz persönlichen Horizont genauso zu öffnen wie den fachwissenschaftlichen Rahmen, gehört zu den Pflichten all derer, die direkt oder indirekt an der Versorgung von Menschen teilhaben. Wenn es die Linguistik im Schulterschluss mit der Medizin schaffen kann, die menschlichen Bedürfnisse den medizinischen Möglichkeiten gewissermaßen auf Augenhöhe gegenüberzustellen, gewinnen die Fachwissenschaften weiter an Bedeutung – als unverzichtbare Steuerungsinstanzen innerhalb einer auf Autonomie und Diskurs basierenden Gesellschaft.

Selbstverständlich sind neben der Autorin oder dem Autor immer auch zahlreiche andere Menschen am Werden und Gelingen eines Buches beteiligt. Auch dieses Buch wäre Idee geblieben, wenn nicht andere seinen Wert und Nutzen erkannt und mich nach Kräften unterstützt hätte. Ihnen möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen.

Als Linguist mit starker Hinwendung zu anwendungsbezogenen, interdisziplinären Fragestellungen und Forschungsinteressen bin ich dankbar dafür, dass ich an der Heinrich-Heine-Universität den nötigen Raum und den organisatorischen Rahmen finde, Projekte wie dieses Buch umsetzten zu können. Ich danke Herrn Univ.-Prof. i.R. Dr. Dietrich Busse und seinem Nachfolger Herrn Univ.-Prof. Dr. Alexander Ziem (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) für die Freiheit, das Forschungsfeld Medizinische Kommunikation am Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft in Düsseldorf selbstständig bestellen zu können. Dass die Düsseldorfer Germanistische Sprachwissenschaft mittlerweile das Thema Medizinische Kommunikation als Forschungsschwerpunkt etabliert und über die Stadtgrenzen hinaus bekannt gemacht hat, ist insbesondere ihrer Offenheit und ihrem Interesse für dieses spannende und zukunftsfähige Forschungsgebiet zu verdanken.

Herrn Univ.-Prof. Dr. Oliver Schöffski (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) danke ich für die Anregung zu diesem Thema im Rahmen meines eigenen Postgraduierten-Masterstudiums. Frau Dr. Anke Peters (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) gilt mein Dank für das gewissenhafte Lektorat und meiner (leider ehemaligen) Mitarbeiterin Frau Julia Riedel danke ich für sorgfältige Recherchen, die ich selbst zeitlich nicht hätte leisten können. Den Herausgebern der Reihe Kommunizieren im Beruf. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven, Frau Prof. Dr. Kirsten Schindler, Herrn Prof. Dr. Christian Efing und Herrn Prof. Dr. Thorsten Roelcke, danke ich für die Aufnahme dieses Buches in ihre Schriftenreihe. Zugleich gilt mein Dank Herrn Bub vom Narr-Verlag für die professionelle Unterstützung – nicht nur bei diesem Projekt, sondern auch in der Vergangenheit. Dem Narr-Verlag bin ich als Autor eng verbunden.

Fachliche, ideelle und organisatorische Unterstützung allein reicht noch nicht aus, um aus einer Idee ein fertiges Buch werden zu lassen. Ohne die äußerst großzügige finanzielle Unterstützung durch die Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post hätte dieses Buch nicht entstehen können. Daher möchte ich mich insbesondere bei Frau Dr. Esther Betz, der Ehrensenatorin der Heinrich-Heine-Universität, bedanken, die als Fürsprecherin sprachwissenschaftlicher Projekte im Speziellen und geisteswissenschaftlicher Forschung im Allgemeinen bereits eines meiner früheren Buchprojekte zur Medizinischen Kommunikation interessiert begleitet und unterstützt hat.

Danken möchte ich nicht zuletzt auch den Studierenden in meinen Bachelor- und Masterforschungsseminaren, deren Fragen, Diskussionen und frische Gedanken den Prozess des Schreibens äußerst positiv beeinflusst haben. Besonders freue ich mich darauf, auf der Grundlage dieses Buches auch in Zukunft intensiv mit Euch und Ihnen diskutieren zu können.

 

 

Düsseldorf, im Frühjahr 2020Sascha Bechmann

1Einleitung – das Jahrhundert des Patienten

Jetzt brauchen wir eine dritte Revolution des Gesundheitswesens. […] Sie sollte das 21. Jahrhundert in ein Jahrhundert des Patienten verwandeln […]. Staatsbürger haben das Recht, die grundlegenden Tatsachen zu kennen, und […] Entscheidungen über ihre Gesundheit auf der Grundlage der besten verfügbaren Evidenz zu treffen. […] Das Jahrhundert des Patienten wird mehr Möglichkeiten umfassen, den Patienten aus einem Problem in eine Problemlösung zu verwandeln.1

Wenn Gigerenzer und Gray das 21. Jahrhundert wie selbstverständlich zum „Jahrhundert des Patienten“ erklären, stellen sich zwei Fragen. Erstens: Warum rückt der Patient neuerdings ins Zentrum der Betrachtung und verdrängt oder ergänzt zumindest die bislang geltende Vorstellung von der dominierenden Rolle des Arztes in nahezu allen, also auch in kommunikativen Aspekten? Und zweitens: Mit welchen Argumenten wird eine solche Verschiebung von historisch gewachsenen und sozial gelernten Rollen begründet? Mit anderen Worten: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen der Aufwertung der Patientenrolle im Konzept der Krankheitsbewältigung zu Grunde? Wodurch ist die Forderung nach einer Auflösung der bisherigen Rollenasymmetrie zwischen Patient und Arzt begründet? Und auf welche Weise kann dies überhaupt gelingen?

Neben diese speziellen Fragen drängt sich eine allgemeinere: Welchen Einfluss hat die von Gigerenzer und Gray skizzierte Entwicklung auf das Gesundheits- bzw. Krankheitsverhalten, auf die Arztrolle und auf das Selbstverständnis von Patienten sowie auf die Arzt-Patient-Interaktion generell?

All das sind Fragen und Aspekte mit denen sich gegenwärtige nicht nur sozioanthropologische, sondern auch linguistische und natürlich medizinische Untersuchungen auseinandersetzen, wie ein Blick in die Forschungsliteratur zeigt. Den Ansatzpunkt für diese Auseinandersetzungen bildet die (kommunikative) Praxis. In den Fokus rückt hier das wohl wichtigste Element der Arzt-Patient-Interaktion: das Gespräch. Dass insbesondere die Linguistik mit ihren eigenen Untersuchungsmethoden und ihren fachspezifischen Zugriffsmöglichkeiten auf den Gegenstand „Gespräch“ im Konzert der Disziplinen eine Schlüsselrolle einnimmt, ist aus der Forschungspraxis heraus evident. Diese Rolle wird auch in der Zukunft in dem Maße weiter verfestigt, in dem das Bewusstsein für die Notwendigkeiten der Veränderung im kommunikativen Handeln von Ärztinnen und Ärzten2 zunimmt. Wenn die kommunikative Praxis künftig den Dialog über den funktionalen Akt der Informationsakquise stellt, werden Studien, die das Gespräch als zentrales Element kommunikativen Handelns weiter systematisch in den Blick nehmen, notwendig werden.3 Nicht zuletzt wird damit für die Zukunft ein Umdenken in den medizinisch-soziologischen Disziplinen notwendig, die den Schulterschluss mit den sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Fächern suchen müssen. Auch die Linguistik ist gefordert, sich ein Stück weit für Probleme mit konkreten Handlungs- und Anwendungsbezügen zu öffnen, was diesem Fach aufgrund seiner unklaren Position zwischen den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften erfahrungsgemäß nicht leicht fällt. Einen Vorstoß in diese Richtung wagt die vorliegende Untersuchung, die sich bewusst nicht (oder nicht nur) als linguistische Studie versteht, sondern stattdessen versucht, interdisziplinäre Bezüge herzustellen, um das Phänomen möglichst ganzheitlich betrachten zu können.

1.1Rahmenbedingungen – Paradigmenwechsel in der Arzt-Patient-Kommunikation

Mit der aktuellen Forderung nach einer aktiveren Patientenbeteiligung im Zusammenspiel zahlreicher Akteure bei der medizinischen Entscheidungsfindung werden hohe Ansprüche an die kommunikative Kompetenz von Ärztinnen und Ärzten erkennbar. Analysen ärztlichen Gesprächshandelns sind entsprechend darauf ausgerichtet, Defizite sichtbar und Kompetenzziele valide darstellbar zu machen. Ein wichtiges Ziel gesprächsanalytischer Untersuchungen zur Arzt-Patient-Kommunikation und ihrer Aufarbeitung durch Praktiker ist seit einigen Jahren bereits die Identifizierung spezifischer Kommunikationsmuster für z. T. divergierende oder sich ergänzende Beziehungsmodelle (Paternalismus, Dienstleistung, Kooperation). Aus den Befunden lassen sich sowohl Unterschiede zwischen der Förderung und Verhinderung von kommunikativen Aushandlungsprozessen erkennen als auch Lösungen entwickeln, mit denen Konzepte partnerschaftlicher Aushandlung praxisnah ausgestaltet werden können. Auch wenn im Prinzip der Anspruch besteht, durch valide Studienergebnisse kommunikative Kompetenzen nachvollziehbar und damit lehr- und sogar prüfbar zu machen, ist zunächst von einer Asymmetrie zwischen professionellem Wissen und Laienwissen auszugehen, die nicht leicht überwunden werden kann. Jedoch helfen die Ergebnisse aus der Forschung zur Arzt-Patient-Kommunikation dabei, diese Asymmetrie im Sinne einer gemeinsamen, qualifizierten Verantwortungsübernahme bei der Entscheidungsfindung zu überbrücken und damit bei aller Verschiedenheit (in den kommunikativen Voraussetzungen, Interessen und Zielen) so etwas wie partielle Gleichheit herzustellen.

Dazu ist es zwingend erforderlich, die in der Forschungstradition etablierte einseitige Betrachtung zugunsten einer, auch den Patienten und dessen Kommunikationsziele und -voraussetzungen berücksichtigenden, ganzheitlichen Auseinandersetzung um die Patientenperspektive zu erweitern. Auch wenn sich in der Realität das Beziehungsgefüge in der Interaktion zwischen Arzt und Patient auf äußerst vielfältige Weise und in der ganzen Breite weit über die Kommunikation im engeren Sinne hinaus entfaltet, lässt sich der unmittelbarste und methodisch erprobteste Zugriff auf das Phänomen „Arzt-Patient-Interaktion“ über das Gespräch als basales Element im gesamten Kommunikations- und Interaktionsprozess herstellen.

Im Gespräch kumulieren nicht nur medizinische, sondern auch über biomedizinische Faktoren hinausreichende Einflüsse, die ein gegenseitiges Verständnis und Verstehen erleichtern oder erschweren können. Nur auf Basis der Kenntnis und der Berücksichtigung solcher Einflüsse, die sich als sprachliche und außersprachliche Wissensbestände, Emotionen und individualstrategische Ziele beschreiben lassen, so die Annahme hinter der hier vorliegenden Untersuchung, ist eine effektive medizinische Behandlung im Sinne der Ganzheitlichkeit und darüber hinaus ihr nachhaltiger Erfolg möglich. Der Paradigmenwechsel, der mit dieser Betrachtungsweise verbunden ist, ist folgenreich: Standen und stehen traditionell und bisweilen gegenwärtig arztseitige Interessen und Vorstellungen im Zentrum kommunikativer Strategien und Bemühungen, so findet eine Abkehr von dieser arztzentrierten und auf Objektivierbarkeit hin ausgerichteten Kommunikationspraxis statt, indem patientenseitige Vorstellungen (ideas), Ängste (concerns) und Erwartungen (expectations) in den Prozess als zentrale (und zugleich gesprächsstrukturierende) Elemente integriert werden.1 Dieser Wechsel von der auf somatische Fakten begründeten und auf Krankheit ausgerichteten unidirektionalen Arzt-Patient-Kommunikation hin zu einer, die Gesamtheit des Patienten würdigenden, wechselseitigen Interaktion zwischen Arzt und Patient im Sinne eines (auch gesprächsinteraktional) partnerschaftlichen Austauschs, ist nachgerade als Ent-Ritualisierung in der ärztlichen Beziehungsgestaltung zu bezeichnen. Diese Veränderung, die nur durch einen Perspektivwechsel auf Seiten der professionell agierenden Akteure im Interaktionsprozess gelingen kann, entspricht zum einen den Forderungen der Patienten nach einer stärkeren Teilhabe an Ihrer Gesundheit (und zugleich dem gesellschaftlichen Trend nach stärkerer Individualisierung). Zum anderen ist sie – wie zahlreiche Studien, die den Grundstein für die nachfolgenden Überlegungen legen, zeigen – zwingen notwendig zur Sicherung wechselseitigen Verständnisses.

Verständnis ist der passende Schlüssel zum Erfolg im therapeutischen Gesamtprozess. Nur derjenige Patient ist wirklich in der Lage, sich aktiv in diesen Prozess einbringen zu können, der über die notwendigen handlungsleitenden Informationen verfügt.

Dabei steht außer Frage, dass es ein institutionell und situativ bedingtes Wissens- und Kompetenzgefälle zwischen Ärzten auf der einen und Patienten auf der anderen Seite gibt. Ziel gelingender Kommunikation ist beileibe nicht, dieses Gefälle umzukehren oder auszugleichen. Vielmehr muss es darum gehen, Patienten in der Zukunft mit dem nötigen Wissen auszustatten, welches sie dazu befähigt, die Anweisungen der Ärzte nachvollziehen zu können. Verständnis ist die Voraussetzung für Verhalten. Die Transparenz ärztlicher Entscheidungen versetzt Patienten in die Lage, ein Gefühl eigener Kompetenz im Gesamtprozess entwickeln zu können. Es geht nicht darum, den ärztlichen Wissensvorsprung zu verkleinern oder den Patienten durch eine Flut an Informationen an den Wissenshorizont der Ärzte anzugleichen. Nicht die Aufwertung der tatsächlichen (medizinischen) Kompetenz der Patienten führt zum Ziel, sondern der Prozess der Vermittlung eines Kompetenzgefühls. Nur dann, wenn Patienten das (subjektive) Gefühl entwickeln, im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv im Behandlungsprozess integriert zu sein, werden sie diese aktive Rolle mit gewünschten Handlungsweisen ausfüllen. In der bisherigen Betrachtung von Partizipations- und Beteiligungsstrukturen in der Arzt-Patient-Interaktion spielt weniger der Aspekt der gewünschten Verhaltensweisen auf der Grundlage eines starken Kompetenzgefühls eine Rolle, als vielmehr patientisches Fehlverhalten und die Gründe dafür. So sind paternalistische Beziehungsmodelle, die in den letzten Jahrzehnten handlungsleitend waren und zugleich die etablierten Kommunikationstechniken bestimmt haben (z.B. klassische Frage-Antwort-Sequenzen mit starker arztseitiger Themensetzung), darauf ausgerichtet, mangelnde Therapieeinsichten, die quasi per se den Patienten aufgrund ihrer Laienrolle unterstellt wurden, durch eine straffe Führung in die gewünschte Therapietreue umzuwandeln. Eine solche Bevormundung des Patienten, die wohlmeinend oder fürsorglich gemeint sein kann, führt jedoch – wie wir heute wissen – nicht dazu, dass Patienten sich ihren Fähigkeiten und ihren Bedürfnissen entsprechend in den Prozess einbringen. Wir müssen ganz im Gegenteil davon ausgehen, dass das, was man früher als Therapietreue (engl. Compliance) bezeichnet hat und was heute unter dem Label Adhärenz2 verstanden wird, eher erreicht werden kann, wenn man den Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen misslungener Kommunikation und patientenseitigem Fehlverhalten betrachtet und dabei Kommunikation als dem Verhalten nicht nur temporal, sondern auch konditional vorgeschaltet erkennt. Auf diesen wichtigen Zusammenhang, der bislang kaum ausreichend diskutiert worden ist, weisen auch Koerfer und Albus hin:

So sehr das Ausmaß der Nicht-Adhärenz und ihre Folgelasten inzwischen gut untersucht sind, so wenig sind die Ursachen dieses ,Fehlverhaltens‘ bisher ausreichend geklärt. Dabei ist dieses Fehlverhalten nicht einseitig der bloßen „Unvernunft“ von Patienten zuzuschreiben, die es sicher auch geben mag, sondern vielmehr der Art der Beziehung zwischen Arzt und Patient selbst anzulasten, in der offenbar die Kommunikation vor, während oder nach einer medizinischen Entscheidung ,fehlerhaft’, ,missverständlich‘ oder ,dysfunktional’ verlaufen oder auch nur einfach ,zu kurz‘ gekommen ist.3

Die beiden Autoren setzen einen wertvollen Impuls für weitere Forschung zur Nicht-Adhärenz: Anstatt sich mit den Folgen von sogenannter Non-Adhärenz nach der ärztlichen Konsultation zu beschäftigen, ist es notwendig, sich den Gelingensbedingungen zuzuwenden, die im ärztlichen Gespräch ihre Wirkung entfalten.4 Störungen und Defizite in der dem Handeln der Patienten stets vorgeschalteten Kommunikation mit Ärzten führen in der Folge zu Defiziten im Handeln der Patienten. Insofern ist Kommunikation (und dabei das kommunikative Meta-Ziel Verständnis) als Forschungsgegenstand der Erforschung von (Non-)Adhärenz vorgelagert. So ist es wenig sinnvoll und nicht hinreichernd, sich mit den gravierenden individuellen Gesundheitsfolgen (Mortalitätsrisiken und Morbidität) oder den ebenfalls enormen ökonomischen Folgen von fehlender Adhärenz zu beschäftigen. Vielmehr muss die Erforschung der grundlegenden und ursächlichen Kommunikation in den Vordergrund rücken. Die zentrale Fragestellung eines solchen Forschungsbemühens muss lauten: Wie kann es gelingen, durch kommunikative Handlungen auf Seiten der Ärzte die gewünschten Handlungsweisen auf Seiten der Patienten zu bewirken und zugleich die patientenseitigen Perspektiven in diesen Kommunikationsprozess so zu integrieren, dass der Erfolg der beiderseitigen Bemühungen nachhaltig gesichert ist? Wie kann kommunikativ das notwendige Kompetenzgefühl vermittelt werden? Und was ist dazu notwendig, wechselseitig Verständnis herzustellen und zu sichern?

Dabei ist Verständnis deutlich mehr als Verstehen. Missverständnisse in der Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten sind folgenreich für den gesamten Prozess medizinischer Intervention. Längst ist bekannt, dass Verstehen (im Sinne reiner Sprachverarbeitung als kognitive Leistung) außersprachlich eine enorme Wirkung entfaltet. Verstehen dient nicht allein der (sprachlichen) Verständigung, Verstehen ist als Eckpfeiler des Verständnisses handlungsauslösend und verhaltensändernd. Zudem ist Verstehen als Basis des Verständnisses auch sozial bedeutsam, denn Verständnis ist die Voraussetzung für das in der medizinischen Interaktion zwingend notwendige Vertrauen. Gerade in einem Prozess, der in entscheidender Weise von der Mitwirkung des Patienten abhängt, ist wechselseitiges Vertrauen wichtig: Vertrauen des Patienten in die Fähigkeiten des Arztes sowie umgekehrt das Vertrauen des Arztes in den Willen des Patienten, die professionellen Empfehlungen in konkrete Handlungsweisen zu überführen. Nur dann, wenn Patienten den Ratschlägen ihrer Behandler folgen, wird der Behandlungsprozess erfolgreich verlaufen. Gegen- und wechselseitiges Vertrauen ist aufgrund der Diskrepanz zwischen Laien- und Expertenwissen einerseits und des Umstandes, dass Schnittstellen zwischen diesen beiden Wissenssphären vorhanden sind, andererseits nicht nur wichtig, sondern kann als geradezu konstituierend für den medizinischen Gesamtprozess betrachtet werden.

Auf welche Weise im Kommunikationsprozess wechselseitig Verstehen und Verständnis gewährleistet werden können, wann und auf welche Weise die Patientenperspektive Eingang in das Gespräch finden soll, und was geschieht, wenn dies ausbleibt, das ist ein wichtiges Forschungsfeld der angewandten Linguistik und der Kommunikationswissenschaft und entsprechend auch Gegenstand dieser Untersuchung.

Ziel ist es, anhand des ICE-Modells (als Akronym für ideas, concerns & expectations) die Bedeutung des Gesprächs insgesamt aus einem neuen und bislang kaum gewählten Blickwinkel hervorzuheben und die Kommunikationsschwierigkeiten und -gefahren zwischen Arzt und Patient im Spannungsfeld von subjektiven und wissenschaftlichen Konzepten von Gesundheit und Krankheit aufzuzeigen.5

Dass es sich beim (auch und vor allem gesundheitspolitisch) postulierten „Jahrhundert des Patienten“ insgesamt um ein soziales Phänomen handelt, das sich in besonderer Weise in einer sich (zumindest in den sogenannten Informationsgesellschaften) verändernden kommunikativen Praxis zeigt, wird evident, wenn man einen Blick auf neuere Konzepte und sich daraus ergebende Strategien der Patient-Arzt-Kommunikation wirft. Der Forderung nach einer stärkeren Einbeziehung patientenseitiger Vorstellungen und Kompetenzen in alle Prozesse der gesundheitlichen Versorgung (nicht allein die Behandlung, sondern beispielsweise auch die Prophylaxe) entspricht eine, mit diesen Forderungen korrelierende, Veränderung in den kommunikativen Prozessen. Die (kommunikative) Berücksichtigung patientenseitiger Vorstellungen (ideas), Ängste (concerns) und Erwartungen (expectations) entspricht eben dieser Forderung nach Patientenautonomie in besonderer Weise.

Diese Erkenntnis, die alles andere als neu ist, gewinnt in Deutschland erst sehr langsam an praktischer Relevanz. Das liegt vor allem daran, dass Ärztinnen und Ärzte ihre Kommunikation an (gelernten) Techniken ausrichten, die eher gesprächssystematisch ausgerichtet sind und damit als im Kern (rein) prozessorientiert zu beschreiben sind. Daraus ergeben sich kommunikative Schwierigkeiten, denn in der ärztlichen Gesprächsführung gibt es im Idealfall keine Trennung zwischen Prozess und Inhalt, sondern eine Prozess-Inhalt-Korrelation. Es ist also kaum zielführend und wenig erfolgversprechend, durch Frage-Antwort-Abfolgen oder durch strukturelle Techniken, wie beispielsweise die WWSZ-Technik6, die Kommunikation zwischen Arzt und Patient allein gestalten zu wollen. Ohne die Betrachtung und ohne die kommunikative Einbeziehung der zentralen Gesprächsinhalte, die sich arzt- und patientenseitig aus unterschiedlichen Bedürfnissen und Wissensbeständen speisen, kann Kommunikation kaum gelingen.

Das Wissen über die arztseitigen Bedürfnisse und Wissensbestände ist hinreichend untersucht und soll nicht im Zentrum der nachfolgenden Überlegungen stehen. Dass Ärzte vorrangig somatische Fakten benötigen, ist evident. Welche Bedürfnisse auf Seiten der Patienten bestehen und auf welche Weise diese Bedürfnisse mit Wissensbeständen verwoben sind, dazu ist in der deutschsprachigen Literatur zur Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten wenig zu finden. Die Forschung zur Patient-Arzt-Kommunikation lenkt seit den frühen 1980er Jahren den Fokus stark auf das kommunikative Verhalten von Ärztinnen und Ärzten. Diese eher einseitige Betrachtung, die sich auch terminologisch darin spiegelt, dass vorwiegend von einer Arzt-Patient-Kommunikation gesprochen wird, vernachlässigt die in zahlreichen Studien als bedeutsam erkannte Patientenperspektive. Indem man sich vorwiegend mit dem ärztlichen Frageverhalten beschäftigt (gesprächslinguistische Untersuchungen lenken häufig genau darauf den Blick), geraten die kommunikativen Bedürfnisse von Patienten ebenso aus dem Blickfeld, wie die kommunikativen Strategien, mit denen Patienten ihre Bedürfnisse kenntlich machen und versuchen, ihnen Raum im Gespräch zu verschaffen.

Dies ist umso erstaunlicher, als dass im angelsächsischen Raum bereits seit den 1960er Jahren Studien zu den patientenseitigen Bedürfnissen vorliegen. Während in Deutschland erst seit 2012 durch die Änderung der ärztlichen Approbationsordnung ein Bewusstsein für die Bedeutung kommunikativer Kompetenzen erkennbar wird, das sich in mehr oder weniger elaborierten curricularen Vorgaben ausdrückt, konnte bereits 1985 von Leventhal et al. gezeigt werden, dass die kommunikative Berücksichtigung patientenseitiger Vorstellungen, Ängste und Erwartungen ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg ist. Die Überführung des ICE-Modells in konkrete Handlungsempfehlungen für eine patientenorientierte Kommunikation ist in Deutschland noch nicht gelungen. Bislang lassen sich auch noch keine Versuche erkennen. Im Wesentlichen dürfte dies an der Unkenntnis dieses Modells liegen. Untersuchungen zu diesem Modell sind nachgerade als ein Desiderat zu betrachten. Insbesondere kann das Modell dadurch an Akzeptanz gewinnen, dass es aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird. Im Zentrum der hier vorliegenden Untersuchungen stehen (neben einer kommunikationstheoretischen Hinführung) auch gesprächs- und kognitionslinguistische Dimensionen, die das Modell greifbar machen sollen. Dass eine linguistische Betrachtung fachfremder Kommunikationsmodelle überhaupt sinnvoll (und gewissermaßen erlaubt) ist, ergibt sich aus dem spezifischen Gegenstandsbereich: Die Wirkung von Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten entfaltet sich zwar im Kontext medizinischer Entscheidungen und sie ist im Kern medizinisch (wie jedes andere ärztliche Handeln auch), sie entfaltet sich aber eben ausschließlich im Gespräch. Daher steht es Linguisten nicht nur zu, sondern es gehört auch ihrem Selbstverständnis nach zu ihren Kernkompetenzen, die im Gespräch kumulierenden kommunikativen Rollen, Konzepte und Wirkungen nicht nur zu beschreiben (= Deskription), sondern auch unter normativen Gesichtspunkten zu betrachten. Ausgehend von allgemeinen Überlegungen zum Gespräch im medizinisch-institutionellen Rahmen soll im Folgenden ein Kommunikationsmodell auf breiter Forschungsbasis und im Kontext v.a. kognitionslinguistischer Erkenntnisse zu subjektiven Krankheitstheorien skizziert werden, das in der praktischen Anwendung seine Stärken zeigen kann.

In der vorliegenden Untersuchung wird das ICE-Modell auf der Folie kommunikationstheoretischer Überlegungen näher beleuchtet. Ziel ist es, dieses in Deutschland recht unbekannte Modell vorzustellen und einzuordnen, die wesentlichen kommunikativ-interaktionalen Vorzüge anhand von Studienergebnissen herauszuarbeiten und das Modell einzubinden in ein kommunikatives Gesamtkonzept.