Ihr schönstes Geschenk - Eva Berger - E-Book

Ihr schönstes Geschenk E-Book

Eva Berger

2,0

Beschreibung

82 Seiten dramatische Handlungsverläufe, große Emotionen und der Wunsch nach Liebe und familiärer Geborgenheit bestimmen die Geschichten der ERIKA-Reihe - authentisch präsentiert, unverfälscht und ungekürzt! Dagmar Helmer ließ das Buch langsam in den Schoß sinken und sah verträumt in die Ferne. Von ihrem Fensterplatz hatte sie einen wundervollen Blick in den parkartigen Garten, der das traute Einfamilienhaus umgab. Ein glücklicher Schimmer glitt über ihre feinen Züge, als ein etwa fünfjähriger Bub den Gartenweg heruntergelaufen kam. »Ich komme vom Spielen zurück«, klang eine klare, frische Kinderstimme, und unbekümmert lachten Werners Blauaugen die Mutter an. Sie kannte ihren wilden, aber lieben Buben. Er wollte ihr wohl zu verstehen geben, daß man nach beendetem Spiel ganz tüchtig Hunger habe. »Komm schon, Werner!« Noch immer lag das glückliche Leuchten um ihren Mund, als sie die kleine blitzsaubere Küche betrat. Hier war ihr ureigenstes Reich, ihr Wirkungskreis. Nein, Frau Dagmar hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst am Küchenherd zu stehen und für ihre Lieben das Essen zu bereiten. Sooft sie auch von dem Gatten deswegen teils gutmütig verspottet, teils auch etwas ärgerlich verwiesen wurde, so war sie davon nicht abzubringen. So sehr sie den Gatten liebte, so gut sie sich mit ihm verstand, gab es doch Dinge, in denen sie nicht übereinstimmten. Ob es wohl an der verschiedenartigen Erziehung lag, die sie genossen hatten? Bernd Helmer war der einzige Sohn seiner Eltern gewesen. Man hielt es daher für selbstverständlich, daß er verwöhnt wurde und ihm kein Wunsch versagt blieb. Frau Dagmar dagegen hatte es wahrlich nicht leicht gehabt! Wohl hatte sie bei reichen Verwandten eine einigermaßen gu­te Erziehung genossen, aber man hatte sie fühlen lassen, daß man sie und ihren Bruder nicht gern aufgenommen hatte. Und nun? Frau Dagmar fuhr

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Erika Roman – 3–

Ihr schönstes Geschenk

Eva Berger

Dagmar Helmer ließ das Buch langsam in den Schoß sinken und sah verträumt in die Ferne. Von ihrem Fensterplatz hatte sie einen wundervollen Blick in den parkartigen Garten, der das traute Einfamilienhaus umgab.

Ein glücklicher Schimmer glitt über ihre feinen Züge, als ein etwa fünfjähriger Bub den Gartenweg heruntergelaufen kam.

»Ich komme vom Spielen zurück«, klang eine klare, frische Kinderstimme, und unbekümmert lachten Werners Blauaugen die Mutter an.

Sie kannte ihren wilden, aber lieben Buben. Er wollte ihr wohl zu verstehen geben, daß man nach beendetem Spiel ganz tüchtig Hunger habe. »Komm schon, Werner!«

Noch immer lag das glückliche Leuchten um ihren Mund, als sie die kleine blitzsaubere Küche betrat. Hier war ihr ureigenstes Reich, ihr Wirkungskreis.

Nein, Frau Dagmar hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst am Küchenherd zu stehen und für ihre Lieben das Essen zu bereiten. Sooft sie auch von dem Gatten deswegen teils gutmütig verspottet, teils auch etwas ärgerlich verwiesen wurde, so war sie davon nicht abzubringen.

So sehr sie den Gatten liebte, so gut sie sich mit ihm verstand, gab es doch Dinge, in denen sie nicht übereinstimmten.

Ob es wohl an der verschiedenartigen Erziehung lag, die sie genossen hatten?

Bernd Helmer war der einzige Sohn seiner Eltern gewesen. Man hielt es daher für selbstverständlich, daß er verwöhnt wurde und ihm kein Wunsch versagt blieb.

Frau Dagmar dagegen hatte es wahrlich nicht leicht gehabt! Wohl hatte sie bei reichen Verwandten eine einigermaßen gu­te Erziehung genossen, aber man hatte sie fühlen lassen, daß man sie und ihren Bruder nicht gern aufgenommen hatte.

Und nun?

Frau Dagmar fuhr mit der Rechten über den blonden Schopf des Buben. Sie war in der Geborgenheit des kleinen Heims, in der Liebe für Gatten und Kind unendlich glücklich.

Bald saß Werner im Speisezimmer und ließ sich das Honigbrötchen gut schmecken.

»Schmeckt’s?« fragte sie ihn freundlich.

Das Kind nickte eifrig.

»Ganz prima! Karlchen muß auch gerade etwas essen«, meinte er dann wichtig. »Kinder müssen doch immer essen, damit sie groß und stark werden. So groß wie der Papi, nicht?«

»Natürlich!«

»Haben alle Kinder eine Mami und einen Papi? Grete hat neulich nämlich gesagt, daß es manche gibt, die gar nichts haben. Wer soll denn kochen und Geld verdienen?« stellte er sich selbst die Frage.

Über Frau Dagmars Gesicht glitt ein weher Schein. Bei einem Autounglück waren ihre Eltern ums Leben gekommen, als sie kaum sieben und der Bruder zwei Jahre zählte. Doch sollte sie ihren Buben mit solch trüben Bildern der Vergangenheit belasten?

»Grete hat doch geschwindelt, nicht wahr?« fragte der Bub nun.

»Grete hat nicht geschwindelt, Werner. Habt ihr heute wieder Indianer gespielt?« fragte sie im gleichen Atemzug, um das Kind auf andere Gedanken zu bringen.

»Klar! Ich war der Häuptling, fein war das!«

Frau Dagmar sah, daß Werner das Thema der Elternlosigkeit vergessen hatte und atmete unwillkürlich auf.

*

Wie immer kam Bernd Helmer erst recht spät nach Hause. Er war einer der tüchtigsten Rechtsanwälte in der Stadt und besaß einen sehr guten Ruf. Zwar galt er als Anwalt, der wirklich nur Fälle übernahm, von deren Klarheit er selbst überzeugt war, doch man konnte dann auch fest damit rechnen, daß er für seinen Klienten stets einen Sieg erfocht.

Bernd Helmers Gesicht war abgespannt: Frau Dagmar sah, daß der Gatte wieder sehr viel gearbeitet haben mußte. Anscheinend war er auch jetzt noch mit seinen Gedanken bei der Arbeit.

»Guten Abend, Schatz!« Er berührte flüchtig ihre Stirn und strich über das wundervolle, schwarzglänzende Haar.

Frau Dagmar wußte, daß sie warten mußte, bald würde Bernd die Arbeit vergessen und ganz bei ihr sein.

Doch heute schien es ihm nicht zu gelingen, sich von den ihn beschäftigenden Problemen zu lösen. Er sprach kaum, starrte gedankenverloren auf seinen Teller, führte die Gabel zum Mund, ohne überhaupt ein Stückchen Speise aufgenommen zu haben.

Endlich unterbrach Frau Dagmar die Stille. Sie fragte sonst nie nach beruflichen Dingen, weil sie wußte, daß er es nicht gern hatte. Doch vielleicht beschäftigte ihn heute ein Problem, mit dem er selbst nicht fertig werden konnte? Vielleicht hatte Bernd eine Aussprache nötig, zu deren Ingangbringung der letzte Anstoß fehlte.

»Hast du Sorgen?«

Er sah überrascht auf, warf einen prüfenden Blick auf seine Gattin und nickte dann endlich.

»Ja. Eigentlich sehe ich es aber nicht gern, wenn ich dich mit meinen beruflichen Sorgen belaste, doch diesmal weiß ich wirklich nicht, was ich machen soll.« Unbewußt schüttelte er den Kopf.

»Zu mir kam heute ein Mann, dessen Sache ich verfechten soll. Mein Gott, er ist anscheinend ein ehrlicher Kerl, ein wirklich sauberer Mensch. Durch einen dummen Zufall ist er in eine recht ungemütliche Situation gekommen. Er hat gefehlt, schwer gefehlt! Moralisch muß ich ihn freisprechen, aber…«

Frau Dagmar war den Worten des Gatten mit Interesse gefolgt. Als er schwieg, senkte sie den Blick. Sie wußte, welche innerlichen Konflikte ihr Mann durchzumachen hatte! Auf der einen Seite stand das Gesetz, auf der anderen konnte er die Augen nicht vor der moralischen Gerechtigkeit verschließen.

Aber sie wußte, wie dieser Kampf in seinem Inneren entschieden werden würde. Nein, Bernd würde nie gegen die Paragraphen verstoßen können…

»Aber wenn du doch auch meinst, daß…«

Frau Dagmar konnte den Satz nicht beenden, denn Bernd sah auf. »Dagmar, Kleines, versteh doch! Wie soll das weitergehen, wenn man sich zu sehr von ­seinem Gefühl leiten läßt! Der Mann ist schuldig. Er hat die Tat begangen!«

»Und seine Angehörigen? Hat er am Ende Frau und Kinder?«

»Ja, er hat Frau und Kinder! Aber das kann man doch schließlich nicht berücksichtigen, wenn es darum geht, den Schuldigen zu bestrafen! Wo ­kämen wir da hin?«

»Und wenn du einmal eine Ausnahme machen würdest, Bernd?«

Frau Dagmar legte liebevoll ihre Hand auf des Gatten Schulter. Aber im gleichen Augenblick fühlte sie, daß jedes Wort vergeblich war.

»Ausnahme? Nein, ich kann nicht! Ich Würde nie wieder froh werden. Lassen wir das Thema. Komm, Liebes!« Er zwang sich zu einem frischen, burschikosen Ton, umfaßte Frau Dagmar und führte sie zu einem Sessel.

»So, nun laß uns das Berufliche vergessen, Liebste. Was macht der Bub? War er artig?«

Frau Dagmar bemühte sich, seinen Rat zu befolgen. Sie wollte wirklich die unglückliche Frau und die Kinder vergessen, die um den Vater und Gatten weinen würden, wenn er seine Strafe verbüßen müßte.

Schließlich gelang es ihr, doch abends im Bett kamen die Gedanken wieder. Eine plötzliche Furcht preßte ihr die Kehle zusammen.

*

Frau Dagmar nickte dem alten Briefträger freundlich zu, als er ihr einen Brief überreichte. Ein flüchtiges Rot huschte über ihr Gesicht, als sie die Schrift des Bruders erkannte.

Dieter Wremen lebte viele Kilometer von ihr entfernt. Sie hatte schon in ihrer frühesten Jugend den um fünf Jahre jüngeren Bruder bemuttern müssen, eben darum sah Dieter in ihr vielleicht mehr eine Mutter als eine Schwester und schüttelte ihr noch jetzt, da er längst erwachsen war und auf eigenen Füßen stand, sein Herz aus.

Seit einiger Zeit schien er den ersten Liebeskummer zu haben, seine Briefe waren ein wenig bedrückt. Ihnen fehlte die frische, heitere Art, in denen er sie sonst zu schreiben pflegte. Er erwähnte die Tochter seines Chefs, glitt dann sofort wieder ab, um irgendwelche kleinen Episoden aus dem Beruf zu berichten.

Ja, Dagmar war froh, daß Dieter auch ohne elterliche Hilfe ein tüchtiger Mensch geworden war. Er bekleidete in einer großen Exportfirma eine Vertrauensstellung und würde wohl bald die Prokura verliehen bekommen.

Dagmar ging eilig den breiten Kiesweg zu dem Häuschen entlang. Erst als sie in ihrem Zimmer war, öffnete sie den Brief.

»Liebes Dieterle«, flüsterte Dagmar, als sie die Anrede des Briefes las.

Aber dann wechselte sie die Farbe, als sie einige Zeilen gelesen hatte. Mein Gott, was hatte Dieter nur vor?

»Ja, du hast recht, ich liebe die Tochter meines Chefs, ich liebe sie von ganzem Herzen und wäre der glücklichste Mensch unter der Sonne, wenn ich um sie werben dürfte. Unsere Eltern sind zu früh von uns gegangen, Dagmar. Das spürt man nicht nur im Kindesalter, sondern auch später noch. Unser Vermögen wäre gewiß nicht durch unsere Erziehung verbraucht gewesen, Vater hätte es vermehrt und vergrößert, ich wäre nicht solch ein bettelarmer Tropf, der die Hand nicht nach den Sternen ausstrecken darf. Aber ich weiß einen Weg, wie ich zu Geld komme! Ich werde vielleicht bald um Inges Hand anhalten können, ich werde ihr meine Liebe gestehen dürfen und bin davon überzeugt, daß ich nicht vergebens bitten werde.«

Woher wollte er plötzlich Geld bekommen?

Dagmar nahm sich vor, so bald wie möglich zu antworten, den Bruder vor unbesonnenen Schritten zu warnen, ihm zu schreiben, daß, wenn Inge ihn liebte, er gewiß auch ohne Geld ihre Hand erringen würde.

Schon wollte Dagmar den Brief fortschließen, damit Bernd ihn später lesen sollte, da fiel ihr ein, daß sie vielleicht gerade diese Zeilen vor ihm verbergen sollte. Es kam ihr die dumpfe Ahnung, Bernd könne in seiner Meinung, sein jüngerer Schwager sei ein etwas leichtsinniger Mensch, noch bestärkt werden.

Vielleicht war es so etwas wie Eifersucht, was Bernd zu dem Urteil führte! Ja, er war eifersüchtig auf Dieter! Glaubte er etwa jetzt noch, daß Dieter, den sie früher umsorgt hatte, ihr mehr bedeutete als er selbst?

Bernd Helmer stand schon einige Minuten im Türrahmen und sah auf sein Weib. Die ganze Liebe, die er für Dagmar fühlte, lag in dem Blick, mit dem er die schlanke Gestalt umfing.

»Kleiner Träumer«, flüsterte er.

Dagmar aber schreckte leicht zusammen, als sie ihn jetzt sah. Der Brief…! Sie wollte ihn doch vernichten!

»Was hast du? Etwa schlechte Nachrichten von Dieter?« fragte er und nahm ihr schon den Brief aus der Hand.

Dagmar sah nicht zu ihm hoch, während er den Brief las. Sie verkrampfte die Hände ineinander und wartete auf einen Kommentar.

»Hoffentlich macht Dieter keine Dummheiten, er gehört schließlich zu unserer Familie«, rang er sich endlich ab, während er mit finsterer Miene auf den Brief sah, den er noch immer in der Hand hielt.

Dagmar zwang ihre Stimme zur Festigkeit.

»Ach, Unsinn, Bernd. Dieter ist mein Bruder und ein durch und durch ehrlicher Mensch!«

»Liebe Dagmar, ich will natürlich nichts gegen Dieter sagen!« Oh, wie sie dieser Amts­ton verletzte! Er sprach zwar selten so mit ihr, doch wenn er es tat, hätte Dagmar sich am liebsten vor ihm versteckt, hätte sich die Ohren zugehalten, um ihn nicht hören zu müssen. »Du kennst das Leben und die Menschen nicht so wie ich. Um eine Frau hat schon manch ein Mann etwas getan, was er später sehr bereute.«

»Dieter nicht!« ereiferte sich Dagmar fast heftig.

Bernds Antwort war nur ein kleines ironisches Lächeln. Anscheinend wollte er keinen Streit vom Zaun brechen.

Dagmar mußte sich selbst eingestehen, daß sie über Dieter vielleicht nicht ganz objektiv urteilte. Aber sie vertrug es nicht, wenn Bernd abfällig über ihn sprach, andererseits hätte sie natürlich auch nicht den umgekehrten Fall geduldet.

»Komm, gib mir einen Kuß! Natürlich wird Dieter nichts Unbesonnenes tun.« Und mit einem leuchtenden Blick auf Dagmar fügte er hinzu: »Er ist doch dein Bruder!«

Dagmar wollte den Bann von sich abschütteln, der sich so jäh auf sie gelegt hatte. »Du bist ja ganz unerwartet gekommen«, klang ihre Stimme noch ein wenig belegt.

»Freust du dich nicht, deinen Brummbären ein wenig um dich zu haben?«

»Bernd, was stellst du nur für überflüssige Fragen!« kam es schlicht zurück.

Vor dem klaren Blick seiner Gattin mußte Bernd fast beschämt seinen Blick senken. Sie hatte ja nur zu recht! Las er nicht täglich in ihren Augen Freude, wenn sie ihn begrüßte? Drückte nicht jede zärtliche Geste Dagmars aus, wie sie ihn liebte?

Nein, er hatte wahrlich nie bereut, die arme Sekretärin Dagmar Wremen geheiratet zu haben! Wie glücklich war er mit ihr geworden, wie unendlich glücklich! Sie hatte zwar keine irdischen Güter mit in die Ehe gebracht, aber sie schenkte ihm täglich ihre Liebe und Güte!

Nur ungern erinnerte sich Bernd an jene Zeit, als er entschlossen war, das Mädchen Dagmar zu heiraten. Er hatte innerhalb seiner Familie Kämpfe zu bestehen gehabt, von denen Dagmar nie etwas geahnt hatte!

Im Laufe der Jahre war das Verhältnis zwischen Dagmar und den Schwiegereltern zwar ein wenig herzlicher geworden. Auch Bernds Onkel, Kommerzienrat Helmer, war Dagmar vertrauter geworden. Doch vergessen konnten die alten Herrschaften nicht, daß ausgerechnet Bernd, der kluge, gutaussehende Bernd, einst so gewählt hatte.

Werner hatte den Wagen des Vaters entdeckt und kam mit einem wahren Indianergeheul angestürmt. »Papi, bleibst du heute den ganzen Tag bei uns?«

Bernd fing den Buben mit beiden Armen auf und wirbelte ihn umher. Werner stieß helle Jauchzer aus, Frau Dagmar lächelte stolz über das Treiben ihrer Lieben. Sie freute sich immer wieder über das fast kameradschaftliche Verhältnis zwischen Vater und Sohn.

»Bleibst du? Gehen wir zum Schwimmen?« fragte Werner nochmals eifrig, als er wieder auf der Erde stand.

»Leider nicht, es ist doch heute nicht Sonntag.«

»Aber heute ist doch so schönes Wetter, und das Wasser ist ganz warm! Weißt du, Papa, ich kann auch schon ein bißchen schwimmen. Du hast es noch nicht gesehen, aber Mutti weiß es«, setzte er eifrig und stolz hinzu.

Bernd schwankte, als er in das bittende Kindergesicht sah. So hart er im Berufsleben auch oft sein mußte, so schwach war er Dagmar und dem Knaben gegenüber.

»Na ja! ich will mal sehen, was sich machen läßt«, gab er fast unwillig zur Antwort. Anscheinend war er über seine Nachgiebigkeit und Schwäche ein wenig ärgerlich.

Doch das störte Werner herzlich wenig. Stürmisch umhalste er Vater und Mutter. »Wir fahren zum Baden!« jauchzte das Kind durchs ganze Haus.

*

Man hatte wunderschöne Stunden verlebt. Das Kind sprach noch am anderen Tag von dem Boot, in dem man gefahren war, von der großen Portion Eis mit Sahne, die es hatte verzehren dürfen, und von dem Vater, der seine Schwimmkünste gebührend bewundert hatte.

»Willst du nicht mit Karlchen spielen?« fragte Dagmar endlich, weil er sie von ihrer Arbeit abhielt.

Werner stob davon.

Frau Dagmar war gerade dabei, Eischnee für den Nachtisch zu schlagen, als es laut und anhaltend klingelte.

Verwundert schüttelte Frau Dagmar den Kopf. Wer konnte das sein?

Frau Dagmar zögerte einen Augenblick, bevor sie endgültig den Schneeschläger aus der Hand legte, sich die Schürze abband und vor dem Spiegel in der Diele schnell die Haare glatt strich.

Dann…

Frau Dagmar prallte zurück, als sie den Mann vor sich stehen sah! Er hatte den breitkrempigen Hut tief ins Gesicht gezogen, sein Anzug war staubig. Das Oberhemd war total beschmutzt, die seidene Krawatte unordentlich gebunden und saß schief.

»Dieter!«

Dagmars Stimme klang furchtsam und schmerzerfüllt. Sie wußte im gleichen Augenblick, daß etwas Furchtbares passiert sein mußte.

Sie brauchte Dieter nicht mehr zum Eintritt aufzufordern. Er ging hastig an ihr vorbei und ließ sich sofort in einen Sessel fallen.

»Schließe die Tür ab, laß niemanden herein!« keuchte er ängstlich.

»Aber Dieter! Mein Gott, was ist denn geschehen? Werde doch erst mal ein bißchen ruhiger«, beschwor Dagmar den Bruder.

»Ruhig, ruhig!« höhnte Dieter. »Du mußt mir helfen, Dagmar! Bitte, ich habe nur noch dich auf der Welt! Hilf mir oder…«

Die Stimme brach ab. Dieter verkrampfte beide Hände im Schoß und sah abwesend auf das Teppichmuster.

»Zieh dich aus, Dieter, leg dich schlafen. Ich werde dir schnell noch ein kräftiges Frühstück bringen. Du bist krank.«

Dagmar wollte ihm vertraulich die Hand auf den Arm legen, zuckte aber Zusammen, als sich Dieter zurückbog.

»Rühre mich nicht an, Schwester, rühre mich nicht an!«

Völlig verstört sah Dagmar jetzt auf den Bruder. Sie war nicht mehr Herr der Situation. Was hatte Dieter getan? Was verbarg er ihr noch? Was würde sie in den nächsten Minuten erfahren?

»Dieter, ich bin doch deine Schwester!« Sie mußte den verzweifelten Menschen zum Sprechen bringen, sie mußte doch endlich erfahren, was geschehen war! Diese lähmende Furcht vor dem Ungewissen war schrecklich.

»Ja, du… Du warst immer gut zu mir, zu deinem kleinen Dieter!«

Raschelte es da vor dem Fenster? Dieter sprang auf, tödliche Furcht stand in seinem Blick, als er hinausblickte.

»Sie kommen, sie holen mich!« keuchte er.

Dagmar hörte ihr Herz klopfen, sie war unfähig, sich zu rühren und starrte wie Dieter auf das Fenster.

Doch nach Sekunden wich der Bann von ihr. Sie ahnte jetzt, daß Dieter anscheinend verfolgt wurde. Sie mußte jetzt stark sein und ihm Mut machen.

»Hier sucht dich niemand«, sprach sie wie zu einem Kranken.

»Überall sucht man mich, überall!«

»So, jetzt berichtest du mal der Reihe nach was geschehen ist.« Obwohl die Angst vor dem Kommenden ihr fast die Luft raubte, setzte sie sich ruhig Dieter gegenüber.

»Ich bin unschuldig! Glaube mir, daß ich unschuldig bin!« Seine Hand tastete mit zitternden Fingern über die Sessellehne.

»Ich liebe Inge, sie liebt mich! Ich wollte um sie anhalten«, brach es stoßweise aus ihm heraus.

»Keine Torheit ist so groß, daß man sie nicht aus der Welt schaffen könnte«, hörte sie sich sagen.

»Torheit? Dagmar, vor dir sitzt ein Verbrecher!«

Dagmar lehnte ihren Kopf an die Polster des Sessels und mußte nun für Sekunden die Augen schließen. Ihr Gesicht war aschfahl geworden.

»Siehst du, ich wußte es…« Müde stand Dieter auf.

»Bleib sitzen und erzähle! Du kannst dir vielleicht vorstellen, daß es mich ein wenig außer Fassung bringt, wenn du mir solch eine Ungeheuerlichkeit ins Gesicht schleuderst. Doch wenn wir überhaupt weiterkommen wollen, mußt du dich ein wenig zusammennehmen und endlich zusammenhängend berichten.«

Und dann begann Dieter. Er sprach in monotonem Tonfall, der Dagmar ins Herz schnitt und ihr die freudlose Jugend, die Dieter erlebt hatte, vor Augen führte. Sie hatte Mitleid mit dem Bruder. Nein, sie konnte ihn nicht verachten. Es war doch ihr Dieter – ihr Bruder.

»Ich vertraute ihm, wie man einem Menschen vertraut, in dem man einen Freund sieht! Ich glaubte ihm, daß ich so zu Geld kommen würde, und ahnte nicht im geringsten, daß jedes seiner Worte eine Lüge war«, sagte Dieter schwer und stützte den Kopf in die Hände.

»Wir waren doch Kollegen, Freunde! Nie hätte ich geahnt, daß auch er Inge liebte, daß sein Trachten dahin ging, mich unschädlich zu machen, mich zu entfernen!«

»Armer Dieter«, sagte Dagmar leise und innig.

»Wahrscheinlich hatte Vatter immer geahnt, daß ich mehr Aussicht haben würde, Inge zu erringen. Deshalb sein ganz teuflischer Plan, nur deshalb! Wir alle waren einer Einladung des Chefs gefolgt. Ernst Herken hatte Geburtstag. An diesem Tag versammelte er immer seine treuesten und engsten Mitarbeiter um sich.

Inge und ich tanzten. Ich merkte, daß dem Mädchen das Herz genauso klopfte wie mir. Und nun wähnte ich mich der glücklichste Mensch unter der Sonne, mußte meine ganze Kraft und Selbstbeherrschung aufbieten, um sie nicht beim Tanz enger an mich zu ziehen und sie zu küssen.

Später… Nein, das kann ich dir nicht erzählen, Dagmar. Offenbar muß Georg Vatter etwas gemerkt haben, obwohl ich mit keiner Silbe über die wunderschönen Minuten im Park gesprochen hatte. Vielleicht glaubte er, es wäre jetzt die allerhöchste Zeit, loszuschlagen! Oh, Dagmar, du kennst die Menschen nicht. Sie können Engel wie du sein – oder Bestien wie dieser Vatter.

Am anderen Morgen bin ich trotz des Festes früher als erforderlich ins Geschäft gegangen. Vielleicht trieb mich das Glücksgefühl schon so frühzeitig aus dem Bett. Vatter arbeitet in einem Nebenzimmer, nur durch eine Glaswand von mir getrennt.

Er zuckte zusammen, als er mich sah. Und nun bemerkte ich gleich ein verzerrtes, haßerfülltes Lächeln auf seinen Zügen, das mir für Sekunden Furcht einjagte.

Gerade wollte ich auf ihn zugehen und ihm freudig die Hand schütteln, als mein Fuß stockte.

Er hatte das Hauptkassenbuch, mein Kassabuch, vor sich, das nur ich sonst unter Gewahrsam hatte, zu dem ich allein nur den Schlüssel besaß! Und er trug fein säuberlich – unter Nachahmung meiner Handschrift – Zahlen ein!

Ich weiß jetzt nicht mehr, was in dem Augenblick in mir vorging, ich weiß es wirklich nicht mehr. Ich sah rote und schwarze Schleier vor meinen Augen wallen, ich hob die Hand, ballte sie zur Faust und hieb auf ihn ein. Ich war wie rasend, wie besessen.

Er lag schon auf dem Boden, als er mir höhnisch erklärte, welch ein dummer Junge ich sei. Ich sollte jetzt nur beweisen, daß nicht ich die Eintragungen gemacht und das Geld für mich verbraucht habe! Ob ich mir wirklich einbilde, Inge heirate einen Betrüger. Da war es aus, ich wußte nicht mehr, was ich tat, ich nahm einen Stuhl…«

Dieter preßte die Hände vor das Gesicht, ein wildes Schluchzen schüttelte ihn.