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Nach Oskars Herzinfarkt kann Lieselotte den Hof allein nicht mehr bewirtschaften. Schweren Herzens beschließt sie, den Hof zu verkaufen. Kathrin sieht ihre Chance gekommen, ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Gemeinsam mit Sylvie übernimmt sie den Hof und baut ihn zu einem Reiterhof um.
Doch eines Tages geschieht ein furchtbares Unglück. Sylvie, ihre Frau Annelie und die gemeinsame Tochter Clara werden in einen Unfall verwickelt und danach ist nichts mehr wie zuvor.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
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25. Kapitel
26. Kapitel
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30. Kapitel
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41. Kapitel
42. Kapitel
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Impressum
Ein Aufschrei ging durch die Gäste, Hektik brach aus und Entsetzen. Annelie schlug erschrocken die Hand vor den Mund. Dann hielt sie sich die Augen zu und flüchtete panisch in den Garten.
Kathrin war in die Knie gesunken und stellte fest, dass Oskar nicht mehr bei Bewusstsein war.
„ Scheiße!“, fluchte sie. „Ruft einen Krankenwagen, schnell!“, rief sie in die Menge.
Alicia zögerte keine Sekunde. Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche und wählte den Notruf.
Kathrin war verzweifelt. Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Ihr letzter Erste Hilfe Kurs lag ewig zurück. Sie konnte sich kaum noch daran erinnern. Sie senkte ihren Kopf auf Oskars Brust, um herauszufinden, ob er atmete und sein Herz schlug. Sie hörte beides nicht, was aber vielleicht auch wegen der Geräuschkulisse aus der Nachbarschaft ein schwieriges Unterfangen war.
Lieselotte kniete schwerfällig neben ihr nieder.
„ Ich fürchte, es ist das Herz“, sagte sie und wusste offenbar auch nicht, was zu tun war. Sie betrachtete Oskar lediglich sorgenvoll und hoffte wohl, dass der Rettungswagen schnell kam.
Im schwachen Licht der Terrassenbeleuchtung konnte Kathrin die Sorge in Lieselottes Gesicht erkennen. Sie wirkte zwar nach außen hin ruhig, aber innerlich war sie mindestens so aufgeregt wie Kathrin.
„ Es musste ja so kommen“, sagte Lieselotte traurig. „Er hat nicht auf die Warnzeichen seines Körpers gehört.“
„ Was soll ich bloß machen? Ich kann ihn doch nicht hier liegen lassen.“ Kathrin wirkte verzweifelt. Sie tastete nach Oskars Puls. „Ich fühle keinen Puls.“
„ Lass mich mal!“, sagte Lieselotte. Sie versuchte mit ihren Fingern den Puls zu fühlen. „Da ist wirklich nichts.“
„ Wir müssen ihn beatmen.“ Kathrin versuchte, sich an ihren letzten Erste Hilfe Kurs zu erinnern. Leider war ihre Erinnerung daran nur noch verschwommen. Sie kam sich so hilflos und vor allem nutzlos vor. Sie durchforstete ihr Gedächtnis. Was war nochmal zu tun bei einer Herzdruckmassage? Im Fernsehen sah das immer so einfach aus, aber sie selbst hatte keine Ahnung. Doch wenn sie es nicht wenigstens versuchte, hatte Oskar vielleicht keine Chance. Der Gedanke machte ihr Angst. Als sie gerade beginnen wollte, tauchte auf einmal Nikki neben ihr auf. Schweigend startete sie Wiederbelebungsmaßnahmen. Kathrin war tief beeindruckt mit welcher Selbstverständlichkeit und Ruhe Nikki bei Oskar eine Herzdruckmassage durchführte und ihn zwischendurch immer wieder beatmete. Unermüdlich machte Nikki weiter. Niemals hätte sie erwartet, dass ausgerechnet Nikki so viel Einsatz zeigte, aber sie war eben eine Freundin, auf die in jeder Lebenslage Verlass war. Kathrin hockte bloß daneben und sah zu. Sie betete für Oskar, er möge es schaffen, zu überleben. Wahrscheinlich hofften sie das alle und versuchten mit guten Gedanken das fast unmögliche zu schaffen.
Als in der Ferne die Töne eines Martinshorns erklangen, die rasch näher kamen und lauter wurden, atmete Kathrin erleichtert auf. Nun wurde alles gut. Kathrin rannte um das Haus herum zur Straße, um den Rettungskräften den Weg zu weisen. Sie hoffte, es möge noch nicht zu spät sein, denn bisher war es Nikki nicht gelungen Oskar aus der Bewusstlosigkeit wieder zurück zu holen. Das zeigte nur allzu deutlich, wie ernst die Lage war. Vielleicht war es auch vergeblich und Nikki kämpfte ganz umsonst um Oskars Leben, weil er schon längst nicht mehr unter ihnen war. Ihr Herz raste aufgeregt und ihre Kehle fühlte sich wie ausgetrocknet an, obwohl sie vorhin erst etwas getrunken hatte. Aufregung und Panik raubten ihr den Atem.
Als der Krankenwagen in die Einfahrt einbog, wurde sie von den Scheinwerfern geblendet. Sie winkte den Rettungskräften zu und hoffte, dass sie sie im Scheinwerferlicht sehen konnten.
Der Wagen bremste ab. Der Fahrer stieg als erster aus.
„ Sind wir hier richtig bei Stoll, ein Mann ist bewusstlos, Verdacht auf Herzinfarkt?“
„ Ja, genau“, sagte Kathrin. „Am besten gehen Sie hier gleich ums Haus herum.“
Der Beifahrer hatte in der Zwischenzeit eine schwere Tasche aus dem Rettungswagen geholt und nun rannten alle drei los.
Als sie die Terrasse erreichten, lag Oskar immer noch bewusstlos am Boden. Kathrin malte sich gedanklich die schlimmsten Dinge aus, ihr war übel vor Angst und sie fürchtete, jeden Moment ebenfalls zusammen zu brechen. Alicia schien zu spüren wie schlecht es ihr ging, denn sie umarmte Kathrin ganz fest.
„ Es wird alles wieder gut“, flüsterte Alicia Kathrin zu.
Kathrin fiel es sehr schwer daran zu glauben. Die Sanitäter versuchten alles, was ihnen möglich war, um den Patienten zu retten. Kathrin konnte kaum hinsehen und sie fürchtete den Augenblick, in dem die Sanitäter ihnen mitteilten, dass es vergeblich gewesen war. Auch alle anderen standen unter Schock. Es herrschte eine gespenstische Stille auf der Terrasse. In der Nachbarschaft explodierten hin und wieder immer noch vereinzelte Feuerwerkskörper. Kathrin durchzuckte es jedes Mal vor Schreck und sie hätte am liebsten jeden einzelnen von ihnen dazu aufgefordert doch bitte Rücksicht zu nehmen. Allerdings konnte außer ihnen ja niemand wissen, welches Drama sich gerade hier vor ihren Augen abspielte. Für alle anderen drehte sich die Welt weiter, während ihre gerade zum Stillstand gekommen war, beziehungsweise sich nur noch im Schneckentempo weiter drehte. Jede Sekunde fühlte sich wie eine Ewigkeit an, während die Rettungskräfte um Oskars Leben kämpften.
Alle Anwesenden sandten Gebete gen Himmel, hofften auf ein Wunder und schließlich wurde das Unmögliche wahr. Die Sanitäter schafften es Oskar ins Leben zurück zu holen. Er kam wieder zu sich. Die Sanitäter redeten beruhigend auf ihn ein und führten danach einige Untersuchungen durch. Dabei waren alle Augen auf Oskar gerichtet. Sie hatten dem Tod zwar im letzten Moment ein Schnippchen geschlagen, aber auf der sicheren Seite waren sie noch nicht. Irgendwann stand einer der Sanitäter auf und wandte sich an Kathrin. „Wir nehmen ihn jetzt erstmal mit.“
„ Wird er es schaffen?“, fragte Kathrin.
„ Wir hoffen das Beste. Momentan gehen wir von einem Herzinfarkt aus. Im Krankenhaus werden weitere Untersuchungen gemacht.“ Er wandte sich von Kathrin ab und machte sich auf den Weg zum Rettungswagen, während sein Kollege sich weiter um Oskar kümmerte.
Alicia und Kathrin fühlten sich wie in einem Alptraum. Vor wenigen Minuten hatten sie noch glücklich gefeiert und nun lag Oskar da am Boden, zwar wieder bei Bewusstsein, aber noch immer schwang der Tod seine Sense über sein Haupt.
Kurz darauf wurde er für den Transport im Rettungswagen vorbereitet.
„ Darf ich mitfahren?“, wandte sich Lieselotte an einen der Sanitäter.
„ Das geht leider nicht, aber Sie dürfen gerne nachkommen.“
Lieselotte drückte zum Abschied Oskars Hand. Dann mussten sie alle mitansehen wie er zum Rettungswagen gefahren wurde.
„ Ich fahre dich“, sagte Nikki zu Lieselotte.
„ Du hast getrunken“, erinnerte Kathrin sie.
„ Ja, aber nicht viel. Ich kann noch fahren“, versicherte Nikki.
„ Das ist zu riskant“, mischte sich Alicia ein.
„ Na toll, und was machen wir jetzt?“, fragte Nikki. „Wir haben alle getrunken. Wie soll Lieselotte ins Krankenhaus kommen, wenn niemand von uns fahren kann?“
„ Mit dem Taxi“, schlug Sylvie vor. „Die fahren rund um die Uhr, sogar heute.“
„ Aussichtslos“, meinte Annelie. „Versucht mal an Silvester ein Taxi zu bekommen.“
„ Ich fahre selbst“, unterbrach Lieselotte. „Ich habe nichts getrunken.“
„ Schaffst du das denn?“, fragte Annelie. „Ich meine, wegen des Schocks und…“
„ Ich habe schon ganz andere Herausforderungen in meinem Leben gemeistert“, versicherte Lieselotte ihr.
„ Soll ich dich begleiten?“, fragte Kathrin.
„ Nicht nötig. Bleibt ihr mal alle schön hier.“
„ Dann begleiten wir dich aber wenigstens bis zu deinem Hof“, sagte Sylvie und sah dabei Kathrin an.
„ Ja, wir bringen dich hin“, bestätigte Kathrin Sylvies Worte.
„ Also gut, wenn ihr möchtet.“
Die drei machten sich auf den Weg. Ein paar flüchtige Freunde von Alicia und Nikki, die noch spontan vorbei gekommen waren, kamen, um sich zu verabschieden. Die Party war abrupt zu Ende gegangen. Alicia war beinahe froh, dass sie gingen, denn sie wollte jetzt am liebsten allein sein oder zumindest nur noch mit ihren engsten Freunden zusammen sein. Am Ende waren nur noch Annelie, Nikki und Mareike da.
„ Sollen wir rein gehen?“, schlug Annelie vor. „Es wird so langsam ungemütlich.“
„ Ich glaube, es fängt auch an zu regnen“, sagte Mareike. „Ich habe vorhin einen Tropfen abbekommen.“
Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Sie räumten draußen schnell auf, sammelten die Gläser auf einem Tablett und beseitigten den Müll. Dann zogen sie sich ins Haus zurück. Alicia befreite Zodiak aus der Küche, wo sie ihn wegen des Trubels untergebracht hatte. Die Katzen ließen sie vorsichtshalber noch im Schlafzimmer, damit sie nicht nach draußen entwischen konnten. Sie versammelten sich auf dem Sofa, aber sie sprachen nicht miteinander. Die Stimmung war bedrückt, gedanklich waren sie alle bei Oskar.
„ Ich hatte eigentlich gehofft, dass das nächste Jahr besser wird“, brach Alicia das Schweigen, „aber gerade sieht es ganz und gar nicht danach aus.“
„ Es fängt sogar richtig mies an“, sagte Mareike.
„ Das heißt ja nicht, dass es auch so weiter geht“, meinte Nikki.
„ Wie kommt es eigentlich, dass du dich so gut mit Erste Hilfe auskennst?“, wandte Alicia sich an Nikki.
„ Reiner Zufall. Wir mussten vor ein paar Wochen auf der Arbeit alle einen Erste Hilfe Kurs machen. Vorschrift und so. Das war einer der scheußlichsten Tage seit langem für mich, aber heute waren meine gewonnenen Kenntnisse recht nützlich.“
„ Wenn Oskar es schafft, hat er das auch zu einem guten Teil dir zu verdanken“, sagte Annelie. „Du bist nicht weggelaufen, so wie ich. Ich war feige.“
Alicia rückte näher an Annelie heran und legte ihren Arm um sie. „Du bist nicht feige. Du bist einfach bloß sensibler als andere.“
„ Genau“, stimmte Mareike zu. „Ich hätte mir auch am liebsten die Augen zu gehalten.“
„ Aber du hast es nicht gemacht“, erwiderte Annelie.
„ Wahrscheinlich habe ich es deshalb nicht gemacht, weil Nikki Oskar geholfen hat. Das hat mich so sehr fasziniert, dass ich meine Angst beinahe vergessen habe.“
„ Mach dir keine Vorwürfe“, richtete nun auch Nikki das Wort an Annelie. „Du hast dir nichts vorzuwerfen. In solchen Situationen gerät man leicht in Panik und dann ist der erste Instinkt zu fliehen.“
Ihr Gespräch wurde unterbrochen, weil Kathrin und Sylvie zurückkehrten. Sie gesellten sich zu den anderen ins Wohnzimmer.
„ Lieselotte ist jetzt auf dem Weg ins Krankenhaus“, berichtete Kathrin.
„ Hoffentlich können die Ärzte Oskar retten“, sagte Annelie.
„ Ganz bestimmt.“ Sylvie versuchte zuversichtlich zu klingen, aber es änderte nichts an ihrer Angst um Oskar. Sie hatten alle Angst und es war zermürbend nichts anderes tun zu können, als abzuwarten.
„ Lieselotte hat versprochen sich zu melden, wenn es was Neues gibt“, sagte Kathrin.
„ Die Arme. Jetzt sitzt sie da ganz allein und bangt um Oskars Leben.“
Annelie wischte sich eine Träne von der Wange. Obwohl sie Oskar noch nicht lange kannte, ging ihr der heutige Zwischenfall sehr an die Nieren.
„ Auf dem Weg zu ihrem Hof habe ich noch zig Mal angeboten sie ins Krankenhaus zu begleiten“, sagte Kathrin. „Aber sie wollte es nicht.“
„ Sie will niemandem zur Last fallen“, sagte Alicia.
„ Wir schauen auf jeden Fall morgen nach ihr.“
„ Das machen wir“, stimmte Alicia Kathrin zu.
Das Babyfon meldete sich und Annelie sprang sofort auf. „Ich schaue schnell nach Clara.“
„ Ich komme mit“, sagte Sylvie. „Wir bleiben dann auch gleich oben, wenn es für euch okay ist.“
„ Klar, es ist weit nach Mitternacht“, sagte Kathrin. „Gute Nacht, ihr zwei.“
„ Gute Nacht“, wünschten Annelie und Sylvie beinahe synchron.
„ Wir machen uns auch mal auf den Weg“, sagte Nikki, als Sylvie und Annelie das Zimmer verlassen hatten.
„ Ihr könnt auch hier schlafen“, bot Kathrin an. „Wir haben noch ein zweites Gästebett gekauft.“
„ Das ist lieb. Wir kommen bestimmt mal darauf zurück.“
„ Na gut, wie ihr wollt.“
Kathrin und Alicia begleiteten die beiden zur Tür.
„ Kommt gut nach Hause“, sagte Alicia.
„ Wir fahren vorsichtig“, versprach Mareike.
Sie umarmten sich zum Abschied.
„ Gebt uns Bescheid, wenn es was neues wegen Oskar gibt“, sagte Nikki.
„ Machen wir.“
Als die Tür hinter den Freundinnen zugefallen war, fühlten sich Alicia und Kathrin einerseits erleichtert, weil der lange Abend damit sein Ende gefunden hatte, aber die plötzliche Stille wirkte auch bedrückend. Nun waren sie allein mit ihren Sorgen und Gedanken, die einzig und allein um Oskar kreisten.
„ Hoffentlich ist alles gut im Krankenhaus“, sprach Alicia ihre Besorgnis aus.
„ Bestimmt. Er ist da auf jeden Fall in guten Händen. Die werden ihn schon wieder hin kriegen.“
„ Und wenn nicht? Was wird dann aus Lieselotte und dem Hof?“
„ Daran möchte ich jetzt ehrlich gesagt nicht denken. Wir müssen positiv bleiben und uns gedanklich darauf konzentrieren, dass es Oskar bald wieder gut geht.“ Kathrin schlang ihre Arme um Alicia und zog sie ganz eng an sich. „Gemeinsam schaffen wir es. Gedanklich schicken wir Oskar ganz viel Kraft.“
„ Das mache ich schon die ganze Zeit.“
„ Gut so. Du wirst sehen. Es wird alles gut.“
Sie saßen lange im Wohnzimmer auf dem Sofa, während die Zeiger der Uhr immer weiter tickten und allmählich dem Morgengrauen entgegen schlichen.
Alicia und Kathrin fühlten sich wie gerädert, als sie am nächsten Morgen aufwachten. Irgendwann mussten sie auf dem Sofa eingeschlafen sein, weil die Müdigkeit gesiegt hatte.
Stöhnend setzten sie sich auf dem Sofa auf, rieben sich verschlafen die Augen und dehnten erstmal ihre völlig verspannten Muskeln. Kaffeeduft stieg ihnen in die Nase und verriet ihnen, dass schon jemand wach war. Müde schlurften sie in die Küche hinüber.
„ Guten Morgen, ihr zwei“, begrüßte Sylvie sie.
„ Morgen“, murmelten Alicia und Kathrin.
„ So wie ihr ausseht, braucht ihr erstmal Kaffee.“ Sie füllte zwei Tassen mit dem schwarzen Gebräu und reichte sie Alicia und Kathrin.
„ Danke.“
„ Ich hoffe, es ist okay, dass ich eure Küche in Beschlag genommen habe.“
„ Na klar“, versicherte Kathrin ihr. „Fühl dich wie zu Hause.“
In dem Moment kam Annelie in die Küche. Sie hatte Clara auf dem Arm. „Guten Morgen“, grüßte sie in die Runde.
„ Guten Morgen, mein Schatz“, sagte Sylvie und gab ihrer Liebsten einen Kuss. Clara bekam ebenfalls ein Küsschen.
„ Warum hast du mich nicht geweckt?“, fragte Annelie Sylvie.
„ Ich dachte, du freust dich, wenn du mal ausschlafen kannst.“
„ Schon, aber ich hätte dir doch beim Frühstück machen helfen können.“ Sie sah auf den liebevoll gedeckten Frühstückstisch, der wirklich keine Wünsche offen ließ.
„ Heute verwöhne ich euch mal alle.“
„ Habt ihr schon was von Oskar gehört?“, fragte Annelie.
„ Wir sind gerade erst wach geworden, vor ein paar Minuten“, erklärte Alicia.
„ Bis jetzt hat hier kein Telefon geklingelt“, berichtete Kathrin. „Das hätte ich gehört. Ich bin nämlich schon eine Weile wach. So und nun steht nicht länger herum. Das Rührei wird sonst kalt.“
„ Sollen wir nicht erst zu den Pferden…?“
„ Ist längst erledigt“, unterbrach Sylvie Kathrins Einwand. „Und bevor ihr fragt, Hund und Katzen sind auch gefüttert.“
„ Wann bist du denn aufgestanden?“, wollte Kathrin wissen.
„ Ich sagte doch, ich bin schon eine Weile wach.“
Annelie setzte sich mit Clara an den Tisch.
„ Sollten wir nicht erstmal nach Lieselotte schauen“, sagte Alicia.
„ Ich war vor einer halben Stunde drüben“, erzählte Sylvie. „Sie scheint noch im Krankenhaus zu sein. Der Hof wirkte verlassen und ich konnte auch kein Auto entdecken.“
„ Dann schauen wir später nochmal“, meinte Kathrin und ließ sich endlich auch am Frühstückstisch nieder.
Obwohl die Sorge um Oskar immer noch an ihnen nagte, aßen sie alle mit gutem Appetit. Es half Oskar schließlich nicht, wenn sie hungerten und womöglich brauchten sie Kraft für die kommende Zeit, denn sie konnten nicht vorhersehen, was noch auf sie zukam.
Nach dem Frühstück räumten sie auf. Die Party hatte ihre Spuren hinterlassen, überall standen Gläser und Flaschen, Girlanden waren auf dem Boden verteilt und der Boden klebte von verschütteten Getränken. Während Alicia und Annelie den Abwasch erledigten, schrubbten Kathrin und Sylvie den Fußboden und passten gleichzeitig auf Clara auf, die jeden Tag abenteuerlustiger wurde und sich immer öfter allein aufmachte, um ihre Umgebung zu entdecken.
Es war bereits nach Mittag, als sie endlich mit allem fertig waren.
„ Ich gehe nochmal rüber zu Lieselotte“, sagte Kathrin. „Kommt ihr mit?“
„ Sylvie, Clara und ich bleiben besser hier. Vielleicht ist es Lieselotte zu viel, wenn wir alle bei ihr aufkreuzen, aber Alicia kommt bestimmt mit.“ Annelie warf Alicia einen fragenden Blick zu.
„ Ja, ich begleite dich. Ist es denn okay, wenn wir euch hier allein lassen?“, wandte sie sich an Annelie und Sylvie.
„ Logisch“, antwortete Sylvie. „Ihr erzählt uns später alles. Wir können in der Zwischenzeit einen Spaziergang mit Zodiak machen.“
„ Das wäre super“, freute sich Alicia. „Darüber freut er sich bestimmt.“
„ Ihr könnt auch Teddy mitnehmen“, schlug Kathrin vor.
„ Gute Idee.“ Sylvie gefiel Kathrins Vorschlag.
Alicia und Kathrin verließen das Haus und machten sich auf den Weg zu Lieselotte.
„ Hoffentlich ist alles okay mit Oskar“, sagte Kathrin.
„ Es geht ihm bestimmt besser. Wenn es ihm ernsthaft schlechter ginge, hätte Lieselotte sich sicher gemeldet.“
„ Ich hätte sie doch ins Krankenhaus begleiten müssen. Ich fühle mich so mies, weil ich sie allein habe fahren lassen.“
„ Das musst du nicht. Sie wollte nicht, dass du mitkommst. Es war ihre Entscheidung und das musstest du akzeptieren.“
„ Vielleicht wollte sie uns bloß keine Umstände machen.“
„ Ich glaube, das Leben hat Lieselotte einfach stark gemacht. Sie hat ihren Sohn verloren. Das ist das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann, aber es hat sie stark gemacht. So stark, dass sie vorgibt niemanden zu brauchen.“
„ Wir sollten trotzdem versuchen für sie da zu sein, auch wenn sie uns das nicht leicht macht.“
„ Ja, das sollten wir.“
Als sie den Hof erreichten, konnten sie sofort damit beginnen. Lieselotte war gerade auf dem Weg zum Hühnerstall, mit der einen Hand trug sie einen Eimer Wasser und mit der anderen Hand einen Eimer Futter. Sie sah aus wie immer, etwas erschöpft vielleicht, aber sie machte nicht den Eindruck, dass sie gerade ihren Mann verloren hatte. Daraus schlossen Kathrin und Alicia, dass Oskar zwar noch nicht wieder auf den Beinen war, aber er zumindest noch lebte.
„ Hallo Lieselotte!“, rief Kathrin von weitem und winkte, als Lieselotte sich ihnen zuwendete.
„ Das ist aber schön, dass ihr kommt“, sagte sie. Sie versuchte sich an einem Lächeln, aber so richtig wollte es ihr nicht gelingen.
„ Wie geht es Oskar?“, fragte Kathrin, als sie den Hühnerstall erreicht hatten.
Lieselotte stellte die Eimer ab und machte sich am Riegel des Hühnerstalls zu schaffen. „Es geht ihm nicht so gut. Er ist zwar außer Lebensgefahr, aber er hatte einen schweren Herzinfarkt, musste operiert werden, seine Genesung wird lange dauern.“
„ Das tut mir so leid“, sagte Kathrin.
„ Mir auch“, sagte Alicia.
„ Das ist lieb von euch beiden. Es musste ja so kommen. Er hat nicht auf seinen Körper gehört und einfach weiter gemacht, der alte Sturkopf.“
Lieselotte öffnete die Stalltür, nahm die beiden Eimer und versuchte in den Stall zu gelangen. Dabei scheuchte sie die Hühner vom Eingang weg, damit sie nicht entwischten.
Alicia und Kathrin stellten sich in Position, um notfalls gleich zugreifen zu können, wenn es einem Huhn gelang abzuhauen. In dem Moment wurde Alicia klar, wie beschwerlich die Arbeit auf dem Hof oft war und nun war Lieselotte mit allem allein. Lieselotte griff in den Eimer und streute die Körner auf den Boden. Die Hühner machten sich sofort gierig darüber her. Sie flatterten wild durcheinander, sodass die eine oder andere Feder durch die Luft schwebte, stupsten sich gegenseitig weg, um an die dicksten Körner zu kommen und pickten sogar hin und wieder nacheinander. Als das Futter verteilt war, füllte Lieselotte noch die Trinkschalen auf und kam zurück zur Stalltür. Sie wirkte traurig und erschöpft. Alicia hätte sie am liebsten in den Arm genommen, um sie zu trösten, aber sie wollte Lieselotte nicht zu nahe treten. Vielleicht war ihr so viel Nähe unangenehm und sie wollte keine Grenze überschreiten.
„ Ich bin froh, dass ihr gekommen seid. Ich hätte euch später noch angerufen oder wäre vorbei gekommen, um euch auf den neuesten Stand zu bringen, aber ich wollte euch erstmal ausschlafen lassen. Ihr hattet sicher eine lange Nacht.“
„ Wir haben uns Sorgen um Oskar gemacht. Da war an schlafen nicht zu denken, zumindest nicht sehr viel.“
„ Ich bin auch vorhin erst nach Hause gekommen und bin dann gleich in den Hühnerstall gegangen“, erzählte Lieselotte.
„ Du warst die ganze Nacht im Krankenhaus?“ Kathrin konnte es kaum glauben.
„ Dann hast du ja gar keinen Schlaf bekommen“, sagte Alicia.
„ Doch, ein wenig schon. Mir wurde freundlicherweise in der Klinik ein Bett zur Verfügung gestellt, damit ich bei Oskar sein konnte und ich habe tatsächlich ein wenig geschlafen.“
„ Da hattest du ja Glück“, stellte Kathrin fest.
Lieselotte nickte. „Wollt ihr mit rein kommen? Ich habe vorhin frischen Kaffee aufgebrüht.
„ Gerne“, sagte Alicia.
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Wohnhaus. Als sie das gemütliche Bauernhaus betraten, kam ihnen der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee entgegen. Lieselotte führte die beiden in die Küche. „Setzt euch schon mal! Der Kaffee kommt sofort.“
„ Nur keine Eile“, sagte Alicia. „Wir haben Zeit.“
„ Ich habe leider keinen Kuchen für euch, aber Kekse kann ich euch anbieten.“
„ Kekse sind immer gut.“
Lieselotte und Alicia sahen sich wissend an. Kathrin war einfach ein Leckermäulchen durch und durch und konnte bei süßen Dingen nicht lange widerstehen.
Lieselotte öffnete mehrere Schränke und servierte den beiden schließlich eine große Schüssel mit Keksen.
„ Danke, du bist die Beste“, sagte Kathrin und nahm sich sofort einen.
Lieselotte freute sich über Kathrins liebe Worte und ihre Begeisterung für die Kekse, aber zeigen konnte sie es ihr nicht richtig. Die Trauer und die Sorge um Oskar waren stärker als alle anderen Empfindungen. So sehr sie auch versuchte sich über ihren unerwarteten Besuch zu freuen. Sie verteilte den Kaffee und setzte sich anschließend zu ihren Gästen an den Tisch.
„ Du hast vorhin gesagt, Oskar muss noch lange in der Klinik bleiben“, begann Alicia. „Wann darf er denn wieder nach Hause?“
Lieselotte, die gerade an ihrer Kaffeetasse genippt hatte, schluckte den Kaffee hinunter und stellte die Tasse wieder auf dem Tisch ab.
„ Das wird noch etwas dauern. Er wurde vergangene Nacht noch operiert. Wahrscheinlich muss er noch eine Woche im Krankenhaus bleiben und danach geht er für drei Wochen in eine Reha Klinik.“
Damit hatten Alicia und Kathrin nicht gerechnet.
„ Das ist eine lange Zeit“, sagte Kathrin. „Es steht nicht so gut um ihn, oder?“
Lieselotte legte ihre Hände um die Tasse, um sich daran zu wärmen. Eigentlich war es gemütlich warm in der Küche, aber es gab Momente im Leben, da wurde der Körper von einer schrecklichen Kälte ergriffen, auch wenn es um einen herum warm war.
„ Er ist dem Tod in letzter Sekunde von der Schippe gesprungen“, sagte Lieselotte.
Kathrin legte behutsam ihre Hand auf Lieselottes Arm. „Oskar ist ein Kämpfer. Er wird es schaffen.“
„ Was soll ich nur ohne ihn machen?“ Die ganze Zeit hatte Lieselotte sich scheinbar zusammen gerissen, doch nun war ihr die Verzweiflung deutlich anzusehen, sogar ein paar Tränen kullerten über ihre Wange.
Alicia und Kathrin wussten, wie sehr Lieselotte an Oskar hing, auch wenn sie öfter mal kleinere Meinungsverschiedenheiten hatten und sich kabbelten, aber Oskar war für sie ihr Fels in der Brandung.
„ Wir sind immer für dich da“, versprach Alicia ihr.
„ Das ist lieb von euch. Ich werde euch sehr vermissen, wenn wir nicht mehr hier sind.“
Kathrin und Alicia sahen sich erschrocken an.
„ Was meinst du damit?“ Kathrin fand als erste ihre Sprache wieder.
„ Wir werden unseren Hof aufgeben müssen. Oskar kann die schwere Arbeit nicht mehr machen und ich allein schaffe es auch nicht.“
„ Wir können euch helfen“, sagte Kathrin. „Ich kann Traktor fahren.“
„ Wann wollt ihr das denn noch machen? Ihr habt doch schon genug an der Backe.“
„ Wir finden schon eine Lösung“, versprach Kathrin. Sie konnte sich nicht vorstellen Lieselotte und Oskar nicht mehr als Nachbarn zu haben. Die beiden waren für sie wie eine Familie und womöglich verloren nicht nur Lieselotte und Oskar ihr zu Hause, sondern auch sie, Alicia und die Tiere, weil der neue Besitzer das Haus anderweitig vermietete.“
„ Ihr müsst euch keine Sorgen machen“, sagte Lieselotte. „Ich werde mit dem neuen Besitzer eine Regelung treffen, damit ihr in eurem Zuhause bleiben könnt.“
„ Das ist lieb, aber mir wäre es lieber, du und Oskar würdet bleiben. Ich habe euch sehr ins Herz geschlossen.“
„ Ich möchte auch nicht weg, aber ihr kennt Oskar. Sobald er wieder hier ist, wird er gleich wieder weiter machen, weil er es muss. Er wird sich nicht schonen und beim nächsten Herzinfarkt hat er vielleicht nicht so viel Glück.“
Schweren Herzens musste Kathrin Lieselotte Recht geben.
„ Was sagt denn Oskar dazu?“, fragte Kathrin. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm dieser Schritt leicht fällt.“
„ Er weiß es noch nicht. Ich habe mir das alles letzte Nacht allein überlegt, während ich um Oskars Leben gebangt habe. Natürlich wird er mir nicht vor Freude um den Hals fallen, wenn ich ihm die Nachricht überbringe, aber eines Tages wird er mir vielleicht mal dankbar sein.“
„ Das wird ihn hart treffen“, sagte Alicia. Sie wusste nur zu gut, wie sehr Oskar an dem Hof hing.
„ Ich weiß“, bestätigte Lieselotte Alicias Aussage, „aber wenn er stirbt, wird es mich hart treffen.“
Kathrin nahm sich noch einen Keks und knusperte vor sich hin.
„ Eigentlich schade“, sagte sie zwischen zwei Bissen. „Der Hof wäre perfekt als Reiterhof geeignet.“
„ Du und Sylvie mit eurem eigenen Reiterhof“, fügte Alicia hinzu.
„ Das wäre ein Traum“, schwärmte Kathrin.
„ Ich könnte dir einen Freundschaftspreis machen“, meinte Lieselotte.
„ Nicht mal mit einem ultra Freundschaftspreis könnte ich mir den Hof jemals leisten“, seufzte Kathrin.
„ Auch nicht mit Sylvie zusammen?“, fragte Lieselotte.
„ Ausgeschlossen. Bei den beiden ist das Geld sowieso schon immer knapp und wenn Sylvie jetzt auch noch mit so einer Schnapsidee daher kommt, macht Annelie sie einen Kopf kleiner.“
„ Schade.“ Lieselotte klang enttäuscht. „Vielleicht hätten Oskar und ich dann auf dem Hof bleiben können. Er ist schließlich groß genug für uns alle.“
„ Das ist leider nur ein schöner Traum“, entgegnete Kathrin. „Manche Träume bleiben eben Träume.“
„ Hm, mir wird der Abschied auch schwer fallen“, gestand Lieselotte. „Besonders meine Hühner werden mir sehr fehlen und die Freiheit natürlich. Zukünftig in einer kleinen Wohnung zu leben, möchte ich mir eigentlich gar nicht vorstellen.“
„ Und wenn ihr jemanden einstellt für die schweren Arbeiten“, schlug Kathrin vor.
„ So viel bringt uns der Hof leider nicht ein.“
„ Dieses verdammte Geld, man hat nichts als Ärger damit!“, schimpfte Kathrin und nahm sich noch einen weiteren Keks, um sich zu beruhigen.
Eine Weile saßen sie schweigend beisammen und hingen ihren Gedanken nach.
„ Das Leben geht schon ungewöhnliche Wege“, sagte Lieselotte nachdenklich.
„ Das stimmt“, bestätigte Alicia.
„ Dürfen wir Oskar eigentlich besuchen?“, fragte Kathrin.
„ Ich weiß es nicht. Im Moment ist er noch auf der Intensivstation, aber ich wollte später nochmal ins Krankenhaus fahren. Ich frage mal nach und sage euch dann Bescheid.“
„ Wenn nicht, warten wir eben, bis es ihm besser geht“, sagte Alicia. „Du kannst ihm ja liebe Grüße von uns ausrichten.“
„ Das mache ich.“
„ Können wir dir bei irgendwas helfen?“, fragte Alicia. Sie wollte sich gerne nützlich machen, nicht nur da sitzen und Kekse futtern.
„ Das ist lieb von euch, aber das müsst ihr nicht. Ich packe später bloß ein paar Sachen für Oskar zusammen und der Rest kann erstmal liegen bleiben.“
„ Du kannst dich jederzeit bei uns melden, wenn du was brauchst“, sagte Kathrin.
„ Ich danke euch.“
„ Wir müssen jetzt auch mal wieder rüber“, sagte Alicia. „Sylvie und Annelie sind mit der Kleinen bei uns.“
„ Dann ab mit euch und macht euch keine Sorgen, ich komme hier schon klar.“
„ Magst du mit rüber kommen?“, fragte Kathrin.
„ Nein, lasst mich hier. Ein anderes Mal gerne, aber ich bin heute keine gute Gesellschaft.“
„ Du bist immer eine gute Gesellschaft“, sagte Alicia. Sie stand auf. „Melde dich, ja. Wir sind immer für dich da.“
Kathrin stand zeitgleich mit Lieselotte auf. Lieselotte umarmte die beiden fest.
„ Macht es gut ihr zwei und grüßt die anderen.“
„ Machen wir.“
Sie ließen Lieselotte nur ungern allein, weil es ihr nicht gut ging, aber Sylvie und Annelie wollten sie genauso wenig vernachlässigen, obwohl sie dafür sicher Verständnis gehabt hätten.
„ Ich fühle mich schlecht, weil wir sie allein lassen“, sagte Kathrin.
„ Ich auch, aber leider können wir uns nicht teilen.“
Kathrin nahm Alicias Hand. „Ich bin froh, dass wir uns haben. Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen.“
„ Das geht mir genauso.“
Sie blieben einen Moment stehen und küssten sich.
Ein paar Minuten später kamen sie wieder zu Hause an und wurden bereits ungeduldig von Sylvie und Annelie erwartet, die es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht hatten.
„ Wie geht es Oskar?“, platzte es auch gleich aus Sylvie heraus.
„ Er liegt auf der Intensivstation, aber er hat überlebt.“
„ Klingt aber nicht gut“, meinte Annelie.
Alicia und Kathrin setzten sich zu ihren Freundinnen.
„ Er muss noch eine Weile in der Klinik bleiben und danach zur Reha. Lieselotte möchte den Hof verkaufen.“
„ Wow, das sind ja Neuigkeiten“, sagte Sylvie.
„ Warum will sie den Hof verkaufen?“, fragte Annelie. „Wenn es Oskar nach der Reha wieder gut geht, kann er den Hof doch weiter führen. Er muss es zwar langsamer angehen lassen, aber von heute auf morgen gar nichts mehr zu machen, scheint mir auch nicht der richtige Weg zu sein.“
„ Du kennst doch Oskar. Er gönnt sich keine Ruhe. Sobald er wieder auf den Beinen ist, wird er weiter machen wie zuvor.“
„ Trotzdem finde ich es nicht gut, dass sie das einfach so entscheidet“, sagte Sylvie.
„ Sie wird bestimmt noch mit ihm reden“, meinte Alicia, „aber er muss sich erstmal ein wenig erholen, sonst bekommt er womöglich gleich den nächsten Herzinfarkt. Außerdem lässt sich so ein Hof ja auch nicht so einfach verkaufen. Die Interessenten werden bestimmt nicht Schlange stehen.“
„ Geld müsste man haben“, sagte Sylvie. Ihre Worte brachten ihr einen vorwurfsvollen Blick von Annelie ein.
„ Irgendetwas sagt mir, dass es gut ist, dass du kein Geld hast“, sagte Annelie zu Sylvie.
„ Wer möchte nicht auf einem Bauernhof leben?“, erwiderte Sylvie.
„ Bauernhof oder Reiterhof?“, fragte Annelie.
„ Ist doch jetzt völlig egal“, mischte Kathrin sich ein, um einen möglichen Streit zu verhindern. „Wir werden niemals genügend Geld haben.“
„ Da haben wir ja nochmal Glück gehabt“, wandte sich Annelie an Alicia.
„ Ähm… ehrlich gesagt, ich hätte nichts dagegen. Wenn es Kathrin glücklich macht, unterstütze ich sie.“
Kathrin warf Alicia einen verliebten Blick zu.
„ Siehst du“, sagte Sylvie.
„ Ich unterstütze dich auch“, verteidigte sich Annelie, „aber ein eigener Reiterhof ist schon eine ziemlich große Sache.“
„ Ich weiß und es ist sinnlos darüber zu reden, denn ich werde es mir sowieso niemals leisten können, egal wie viel ich arbeite und spare.“
„ Dasselbe hat Kathrin vorhin auch gesagt“, erzählte Alicia.
„ Wie war euer Spaziergang mit Zodiak und Teddy?“, fragte Kathrin, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.
„ Etwas chaotisch, aber gut“, sagte Annelie.
„ War Zodiak brav?“, fragte Alicia.
„ Er war etwas ungestüm“, berichtete Sylvie. „Das neue Medikament scheint besser zu sein. Er ist wieder ganz der Alte.“
„ Hast du mal auf die Uhr geschaut?“, wandte Annelie sich plötzlich an Sylvie. „Es ist schon fast 15 Uhr.“
„ Au weia, wir müssen los. Meine Eltern haben uns zu Kaffee und Kuchen eingeladen“, fügte sie für Alicia und Kathrin erklärend hinzu.
„ Dann solltet ihr euch mal auf den Weg machen, bevor es Ärger gibt.“
„ Ärger gibt es sicher nicht“, sagte Sylvie, „aber auf den Weg machen müssen wir uns.“
Während Sylvie die Sachen zusammen packte, ging Annelie nach oben, um die schlafende Clara zu holen.
Wenig später verabschiedeten sie sich voneinander.
„ Wenn es etwas Neues wegen Oskar gibt, ruft ihr uns sofort an, ja?“, bat Sylvie.
„ Machen wir“, versprach Kathrin.
„ Alles klar. Wir sehen uns.“
„ Bis dann.“
Nach der Verabschiedung an der Haustür kehrten Kathrin und Alicia ins Wohnzimmer zurück und ließen sich erschöpft aufs Sofa fallen. Der Stress und die kurze Nacht zehrten an ihnen.
„ Oh man, das Jahr ist noch keinen Tag alt und wir sind schon wieder mittendrin im Chaos“, sagte Alicia.
„ Ist eben immer was los bei uns.“ Kathrin kuschelte sich an Alicia. Sie musste sie wieder mit Zodiak teilen, der sich von der anderen Seite an sie schmiegte.
„ Arme Lieselotte“, sagte Alicia. „Stell dir vor, wir müssten hier weg ziehen.“
„ Hm, das wäre schade, weil ich mich hier echt wohl fühle, aber mit dir an meiner Seite kann ich mir überall auf der Welt einen neuen Wohlfühlort schaffen. Dich und unsere Tiere, mehr brauche ich nicht.“
„ Du bist süß.“
„ Hast du Annelies Blick gesehen, als Sylvie anfing von ihrem eigenen Reiterhof zu träumen?“, fragte Kathrin.
„ Ja, ich dachte, sie springt ihr jeden Moment an die Gurgel.“
„ Annelie kann echt anstrengend sein mit ihren Launen. Ich bin wirklich froh, dass ich so eine tolerante Freundin habe, die auch hinter mir steht, wenn ich wieder mit einer verrückten Idee um die Ecke komme.“
„ Ich weiß, wie glücklich es dich machen würde, deinen eigenen Reiterhof zu haben und es tut mir so leid, dass du dir deinen Traum nicht erfüllen kannst.“
„ Vielleicht klappt es im nächsten Leben. In diesem jedenfalls nicht mehr.“
„ Sag niemals nie. Du weißt nie, was das Leben dir noch so bringt. Es kann auf einmal ganz schnell gehen und von einer Sekunde zur anderen ändert sich alles. Oskar ist gerade das beste Beispiel.“
„ Ja, leider.“
Sie schwiegen eine Weile, dann sprach Kathrin weiter. „Mal angenommen, ich hätte das Geld. Würdest du wirklich mit mir auf unserem Hof leben wollen?“
„ Was ist das für eine Frage? Natürlich würde ich das wollen. Ich werde mich wahrscheinlich niemals so sehr für Pferde begeistern können wie du, aber ich würde dich, so gut ich kann, unterstützen.“
„ Das bedeutet mir sehr viel. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass mein Traum in Erfüllung geht, aber zu wissen, dass du voll und ganz hinter mir stehst, macht mich sehr glücklich.“
Sie verbrachten einen gemütlichen Nachmittag auf dem Sofa und schliefen irgendwann sogar nochmal ein. Sie hatten einiges an Schlaf nachzuholen.
Am nächsten Morgen herrschte trübe Stimmung bei Alicia und Kathrin. Die Feiertage waren endgültig vorbei und es ging zurück in den Arbeitsalltag.
„ Das wird ein schlimmer Tag“, sagte Alicia beim Frühstück. „Heute wird alles umgetauscht und Gutscheine werden eingelöst. Das sind immer die schlimmsten Tage im Jahr.“ Sie nippte an ihrem Kaffee und biss anschließend in ihr Käsebrot.
„ Ich hätte auch nichts dagegen, noch ein paar Tage länger frei zu haben, besonders bei dem Wetter da draußen.“
Frau Holle war auch im neuen Jahr wieder fleißig und ließ unzählige Schneeflocken vom Himmel rieseln. Auf dem Weg zum Stall wäre Kathrin an diesem Morgen beinahe ausgerutscht und auf die Nase gefallen. Sie dachte mit Schrecken an ihre heutige Tour. Das würde ein schönes Gerutsche und Geschlitter werden und am Ende kam sie durchgefroren nach Hause.
„ Es hilft aber alles nichts“, sagte Kathrin. „Das Geld flattert leider nicht von selbst aufs Konto, sondern will hart verdient werden.“
„ Wie wahr.“
Unbemerkt hatte sich Lucky heran geschlichen und hüpfte mit einem Satz auf den Tisch. Er verfehlte nur ganz knapp die Butter, landete aber dafür mit einer Pfote auf Kathrins Marmelade Brötchen.
„ Lucky, was machst du denn?“, schimpfte Kathrin halbherzig mit ihm, der gerade versuchte eine Scheibe Salami zu klauen. Sie nahm ihn hoch und setzte ihn zurück auf den Fußboden.
Er lief einige Schritte und schien dann zu merken, dass seine Pfote von der Marmelade klebte. Er setzte sich hin und begann seine Pfote abzuschlecken. Kathrin besah sich unterdessen ihr Brötchen, auf dem ein deutlicher Pfotenabdruck zu sehen war.
„ Ich stelle mir lieber nicht vor, wo seine Pfote heute schon überall war“, sagte sie.
„ Hm, vermutlich in dem einen oder anderen Mauseloch“, meinte Alicia lachend.
„ Na lecker.“
„ Mach dir einfach ein neues Brötchen“, schlug Alicia vor.
„ Nö.“ Sie biss in ihr Brötchen. „Dreck reinigt den Magen und härtet ab.“
Schmunzelnd widmete sich auch Alicia wieder ihrem Frühstück. Die Tiere waren einfach immer wieder für eine Überraschung gut, kein Tag glich dem anderen.
„ So, jetzt muss ich aber allmählich los“, sagte Kathrin, als sie aufgegessen hatte. Sie stand auf, räumte ihren Teller ab und trank den letzten Rest ihres Kaffees.
„ Bis heute Abend, mein Schatz.“ Kathrin ließ ihren Worten einen liebevollen Kuss folgen.
„ Pass auf dich auf.“
„ Du auch auf dich.“
Zodiak, der es sich unter dem Küchentisch gemütlich gemacht hatte, begleitete Kathrin in den Flur.
„ Du kannst nicht mitkommen“, hörte Alicia Kathrin sagen.
Kurz darauf verließ sie das Haus. Alicia, die noch etwas mehr Zeit hatte, nahm ihr Handy und loggte sich bei Facebook ein. Sie wollte sich einen kleinen Überblick verschaffen, was in den letzten Stunden so passiert war. Viel Neues gab es jedoch nicht. Gelangweilt legte sie das Telefon wieder weg und räumte die Küche auf. Danach wurde es auch für sie Zeit sich auf den Weg zu machen.
Nachdem Kathrin erfolgreich durch ihren Arbeitstag geschlittert war, kehrte sie mit nassen Füßen nach Hause zurück. Sie stellte die Schuhe an die Heizung, damit sie trocknen konnten, warf die nassen Socken in den Wäschekorb und wusch sich ihre eisigen Füße mit warmem Wasser ab.
Danach ging es ihr gleich besser. Das einzige, was jetzt noch fehlte, war eine kleine Stärkung. Sie ging in die Küche und machte sich ein Brot. Die kleine Stärkung sorgte dafür, dass ihr Tatendrang zurückkehrte. Sie schnappte sich Zodiak und machte sich auf den Weg zu Lieselotte. Sie wollte bei ihr nach dem Rechten sehen. In dieser schweren Zeit sollte sie nicht so allein sein. Dafür hatte man ja schließlich Freunde.
Zodiak freute sich über die kleine Wanderung. Kathrin hatte die Schleppleine genommen, damit er ein wenig auf dem Feld herumtollen konnte.
Sie machten kurz an der Koppel Halt. Flocke und Teddy kamen sofort zum Zaun getrottet und ließen sich bereitwillig streicheln. Blitz stand in einigen Metern Entfernung stocksteif da und beobachtete die Szene. Er wirkte wie ein Türsteher und Kathrin musste ein wenig über ihn lachen. Er besaß schon ein ordentliches Selbstbewusstsein.
Nach ein paar Minuten verlor Zodiak die Geduld. Er wollte los und drängte Kathrin zum Weitergehen.
„ Wenn ich zurück bin, kümmere ich mich um euch. Versprochen!“ Sie streichelte ein letztes Mal über Flockes Nüstern und kraulte Teddy kurz am Kinn, dann ging sie weiter. Zodiak hatte einen riesen Spaß. Er tobte auf dem verschneiten Feld herum und buddelte im Schnee, um an die darunter liegenden Mäuselöcher zu kommen. Der Schnee flog in alle Richtungen und als sie bei Lieselotte ankamen, war er nass und dreckig.
„ Na super. Schau mal, wie du aussiehst. So lässt Lieselotte dich bestimmt nicht ins Haus.“
Lieselottes Auto stand vor dem Haus. Das bedeutete, sie war da. Entweder hatte Lieselotte sie kommen sehen oder sie kam zufällig gerade aus dem Haus, als Kathrin klingeln wollte.
„ Ich wollte gerade zu dir“, begrüßte Lieselotte sie.
„ Dann war das wohl Gedankenübertragung.“
„ Offensichtlich ja.“
„ Komm rein! Ich muss mit dir reden.“
Kathrin deutete auf Zodiak. „Ich habe unterwegs ein Wildschwein gefunden“, scherzte sie.
Lieselotte schmunzelte. „Da hatte wohl jemand seinen Spaß im Schnee, aber das ist kein Problem. Ich hole ein Handtuch.“
Kathrin musste keine zwei Minuten warten, da kam Lieselotte zurück und reichte ihr ein Handtuch. Sie selbst hatte auch eins und gemeinsam befreiten sie Zodiak von Nässe und Schmutz.
„ Da hat er sich ja ganz schön eingesaut“, meinte Lieselotte.
„ Er hat Mäuse gejagt“, berichtete Kathrin und auf euren Feldern gibt es meistens genug davon. Zum Glück hat er heute keine erwischt.“
„ Er will wohl den Katzen Konkurrenz machen.“
„ Ja, wenn das so weiter geht, gibt es hier bei uns bald keine Mäuse mehr.“
„ Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte Lieselotte. „Mäuse vermehren sich schneller, als man sie loswerden kann.“
„ Sollte es doch mal keine mehr geben, muss Alicia eben welche aus der Tierhandlung mitbringen.“
„ Ich glaube, in Freiheit hätten sie es fast besser, als bei so manchen Menschen.“
„ Na ja, aber diese gezüchteten Labormäuse überleben in der Wildnis keine drei Tage.“
„ Auch wieder wahr.“
„ So, jetzt müsste es gehen“, stellte Lieselotte fest, als sie mit Zodiak fertig waren.
„ Ich kann die Handtücher zum Waschen mit nach Hause nehmen“, sagte Kathrin.
Lieselotte winkte ab. „Nicht nötig. Jetzt komm aber mal rein in die gute Stube.“
Kathrin musterte Lieselotte verstohlen. Sie wirkte heute nicht mehr ganz so niedergeschlagen, beinahe schon ein wenig hoffnungsvoll. Was war passiert? Kathrin folgte ihr in die Küche.
„ Möchtest du einen Kaffee oder Kakao?“, fragte Lieselotte.
„ Mach dir nicht noch mehr Umstände. Zodiak und ich haben dir schon genug Arbeit gemacht.“
„ Das ist schon okay. Also gut, ich mache uns beiden einen Kakao“, entschied Lieselotte. „Wir haben nämlich etwas sehr Wichtiges zu besprechen.“
„ Das klingt ja spannend. Wie geht es Oskar?“
„ Den Umständen entsprechend. Er ist immer noch auf der Intensivstation, kommt aber sehr wahrscheinlich morgen auf die Normalstation.“
„ Ein Schritt nach dem anderen“, sagte Kathrin.
„ Ja, das ist gar nicht so leicht für ihn. Du kennst ihn ja. Er ist es jetzt schon leid, der alte Sturkopf.“ Lieselotte füllte Milch in einen Topf und gab Kakaopulver und Zucker dazu. Danach brachte sie die Mischung unter ständigem Rühren zum Kochen und verteilte das süße Getränk anschließend auf zwei Tassen. Zodiak hatte sich unter dem Tisch verkrochen und erholte sich von seinem wilden Spiel.
„ Danke“, sagte Kathrin, als Lieselotte die Tasse vor ihr abstellte.
Lieselotte nahm noch eine Tüte mit Keksen aus dem Schrank und setzte sich dann mit an den Tisch.
„ Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen“, begann Lieselotte. „Mir ist unser gestriges Gespräch nicht mehr aus dem Kopf gegangen und ich glaube, ich habe die ideale Lösung für uns alle gefunden.“
„ Das hört sich gut an, aber du sprichst in Rätseln. Was meinst du genau?“
„ Du hast von deinem Traum erzählt.“
„ Mein eigener Reiterhof.“
„ Richtig. Ich denke, es gibt eine Möglichkeit deinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.“
Kathrin wusste im ersten Moment nicht, was sie erwidern sollte. Lieselotte musste den Verstand verloren haben. Woher sollte sie das Geld nehmen, um sich ihren Traum zu erfüllen?
„ Du sagst ja gar nichts.“ Lieselotte riss sie aus ihren Gedanken.
„ Wie kommst du darauf, ich könnte mir meinen Traum jemals erfüllen? Ich bin leider über Nacht nicht reicher geworden.“
„ Über Nacht nicht, aber du könntest es werden, auf einen Schlag. Na ja, nicht reich, aber ein ordentliches Startkapital ist in jedem Fall drin.“
„ Ich weiß immer noch nicht worauf du hinaus willst. Soll ich etwa einen Kredit bei der Bank aufnehmen? Ich glaube, da habe ich nicht die geringste Chance.“
„ Keine Sorge. Das brauchst du nicht. Das Geld ist nämlich längst da.“
Kathrin verstand gar nichts mehr. Wovon redete Lieselotte bloß? Bevor sie nachfragen konnte, sprach Lieselotte weiter.
„ Ich habe heute mit Oskar darüber geredet. Ich musste die Gelegenheit nutzen, während es ihm schlecht geht, sonst hätte er vielleicht nicht eingewilligt. Es ist so: Oskar und ich haben viele Jahre lang Geld für unseren Sohn zurückgelegt, damit er ein gutes Leben hat, er studieren und den Führerschein machen kann. Wie du weißt, ist er vor einigen Jahren tödlich verunglückt und er hatte bis dahin das Geld kaum angerührt. Oskar und ich haben das Geld bis heute ebenfalls nicht angerührt. Wir konnten es einfach nicht. Es hätte sich angefühlt, als beklauten wir unseren eigenen Sohn, was natürlich völliger Unsinn ist. Doch nun ist der Moment gekommen. Es gibt jemanden, der das Geld gut gebrauchen kann und Oskar und ich sind uns absolut sicher.“
Zuerst verstand Kathrin immer noch nicht, worauf Lieselotte hinaus wollte, doch dann dämmerte es ihr. „Du meinst…, ich soll das Geld bekommen?“, fragte sie fassungslos.
„ Ja. Genau das meine ich. Du kannst dir damit deinen Traum erfüllen und einen Reiterhof aufbauen. Es gibt nur eine Bedingung. Oskar und ich möchten lebenslanges Wohnrecht auf dem Hof.“
„ Das ist… Wow…, das ist wirklich großzügig von euch, aber ich kann es nicht annehmen.“
„ Warum nicht?“
„ Ihr könnt mir nicht einfach so Geld schenken. Außerdem weiß ich gar nicht, ob mein Traum eine Zukunft hat. Was ist, wenn ich innerhalb kürzester Zeit alles in den Sand setze? Dann habt ihr nichts mehr.“
„ Das glaube ich nicht. Du bist ehrgeizig und erreichst deine Ziele.“
„ Aber hast du nicht gesagt, du willst den Hof verkaufen, damit Oskar nach seiner Genesung nicht gleich wieder auf seinen Traktor klettert und so weiter macht wie zuvor.“
„ Stimmt, das habe ich gesagt, aber du hast gesagt, du kannst auch Traktor fahren. Wenn du Oskar zuvor kommst, kann er nicht mehr viel machen.“
Kathrin nahm sich gleich mehrere Kekse aus der Tüte und begann zu essen. Lieselottes Angebot musste sie erstmal verdauen.
„ Von wie viel Geld sprechen wir eigentlich?“, fragte Kathrin.
„ Knapp 20.000 Euro.“
Kathrin verschluckte sich beinahe an ihrem Keks und bekam keine Luft, sodass sie nicht antworten konnte. Sie konnte es nicht glauben. Wer verschenkte freiwillig so viel Geld?
„ Und was sagst du nun dazu?“, hakte Lieselotte nach.
„ Ich bin ehrlich gesagt gerade sprachlos“, gestand Kathrin. „Das ist unfassbar.“
„ Ich kann dich verstehen. Du kannst ja mal in Ruhe darüber nachdenken und wahrscheinlich musst du, bevor du eine Entscheidung triffst, auch erstmal mit Sylvie reden. Ihr wolltet es doch zusammen machen.“
„ Das sollte ich wirklich machen. Annelie wird ausflippen, wenn sie davon erfährt.“
„ Vor Freude oder Ärger?“
„ Vor Freude ganz bestimmt nicht. Sie war anfangs ja auch dagegen, dass Sylvie Flocke kauft, wenn Sylvie jetzt mit der Reiterhof Sache um die Ecke kommt, lässt Annelie sich scheiden.“
„ Meinst du wirklich?“ Lieselotte sah erschrocken drein.
„ Na ja, ganz so schlimm wird es hoffentlich nicht, aber Freudensprünge wird Annelie nicht machen.“
„ Dann solltest du vielleicht zuerst mit Sylvie allein reden“, schlug Lieselotte vor.
„ Als erstes rede ich später mit Alicia darüber. Sie muss ja auch einverstanden sein, wobei ich mir bei ihr die wenigsten Sorgen mache.“
„ Richtig. In einer Beziehung muss man an einem Strang ziehen, sonst funktioniert es nicht.“
Kathrin nahm sich noch einen weiteren Keks. „Die sind echt gut“, murmelte sie.
„ Ja, sind nicht schlecht, aber leider nicht selbst gebacken.“
„ Das macht nichts. Sie sind eine gute Alternative“, versicherte Kathrin Lieselotte.
Lieselotte lächelte und ihr Lächeln wischte einen großen Teil ihrer Sorgen fort. Sie spürte in diesem Moment, dass alles wieder gut wurde. Vielleicht nicht genauso wie zuvor, aber sie stand am Beginn eines neuen Lebensabschnitts und obwohl so etwas oft Angst machen konnte, fühlte sie sich ganz ruhig. Sie sah wieder Hoffnung am Horizont und das fühlte sich gut an.
„ Kommst du mit raus die Hühner füttern?“, fragte Lieselotte. „Sie warten schon ungeduldig auf ihr Futter.
„ Ja, ich kann dir helfen, wenn du magst.“
„ Da sage ich nicht Nein. Im Moment ist alles sehr beschwerlich.“
Sie machten sich auf den Weg nach draußen. Kathrin ließ Zodiak in der Küche zurück, damit er nicht auf die Idee kam, die Hühner zu jagen.
„ Zum Glück habt ihr nicht noch mehr Tiere“, sagte Kathrin, als sie einen Eimer mit Wasser füllte. „Allein wäre das sonst gar nicht zu schaffen.“
„ Du glaubst nicht, wie oft ich das in den letzten Tagen gedacht habe.“
Kathrin schleppte den Wassereimer zum Hühnerstall, während Lieselotte für das Futter zuständig war. Sie arbeiteten Hand in Hand inmitten der wuselnden Hühnerschar und sahen dann den Tieren beim Picken zu. Draußen war es schon wieder stockfinster, sodass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte.
„ Hast du eigentlich keine Angst hier so ganz allein?“, fragte Kathrin. „Wenn du magst, kannst du auch zu Alicia und mir rüber kommen.“
„ Das ist lieb, aber mir macht so schnell nichts Angst. Ich kann mich verteidigen, wenn es drauf ankommt.“
„ Trotzdem, wenn mal nachts was ist, ruf uns bitte an. Wir kommen dann rüber.“
„ Mach ich. Gut zu wissen, dass ich mich auf euch verlassen kann. Es war eine gute Entscheidung das Haus an dich zu vermieten.“
„ Ich habe es bis jetzt auch keinen Tag bereut.“ Kathrin sah auf ihre Armbanduhr. „Oh, schon so spät. Ich mache mich mal langsam auf den Weg. Alicia kommt gleich von der Arbeit.“
„ Dann solltest du sie nicht warten lassen, aber vergiss Zodiak nicht.“
„ Stimmt, da war ja noch was, aber er hätte dich heute Nacht auf jeden Fall beschützt.“
„ Das kann ich mir vorstellen, aber ich glaube nicht, dass Alicia freiwillig auf ihn verzichtet.“
„ Ungern, aber bei dir weiß sie ihn in guten Händen.“
Sie schlenderten gemeinsam zum Haus zurück. Lieselotte hatte eine Taschenlampe aus ihrer Schürzentasche hervor gezaubert und leuchtete ihnen den Weg.
„ Ganz schön dunkel hier“, sagte Kathrin.
„ Ach, ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie oft ich Oskar gebeten habe, den Elektriker kommen zu lassen, damit wir eine anständige Beleuchtung ans Haus bekommen, aber ich werde mich wohl selbst darum kümmern müssen, wenn das noch was werden soll.“
„ Bei uns drüben im Stall ist es auch ziemlich finster.“
„ Das geht so eigentlich nicht“, meinte Lieselotte. „Ich glaube, ich muss mich echt darum kümmern und einen Elektriker beauftragen.“
„ Wenn Sylvie und ich den Hof übernehmen, werden wir uns darum kümmern“, versprach Kathrin. Der Gedanke gefiel ihr von Minute zu Minute besser. Sie konnte es fast nicht glauben, dass sie ihrem großen Traum zum Greifen nah war.
Zodiak begrüßte Kathrin stürmisch.
„ Er hat bestimmt gedacht, du hast ihn vergessen“, sagte Lieselotte.
„ Ja, wahrscheinlich. Umso mehr freut er sich jetzt über meine Rückkehr. Wir gehen jetzt nach Hause“, sagte sie zu Zodiak und leinte ihn an.
„ Passt auf euch auf ihr zwei.“
„ Du auch auf dich und melde dich, wenn was ist.“
„ Ja, mache ich.“
Kathrin verabschiedete sich liebevoll von Lieselotte und verließ dann das gemütliche Bauernhaus.
Der Rückweg über den Feldweg war ziemlich düster. Leider sorgte eine dichte Wolkendecke am Himmel dafür, dass der Mond ihr nicht den Weg erhellen konnte. Also orientierte sie sich an Zodiak, der sie sicher nach Hause brachte. Alicia war noch nicht da, deshalb ging sie erstmal in den Stall, die Pferde mussten gefüttert werden, doch vorher sah sie nach ihrem stacheligen Wintergast. Der Igel hatte sich ins Stroh eingekuschelt und Kathrin fand ihn erst nach einer kurzen Suche. Sie störte ihn nicht lange, sondern stellte ihm bloß eine Schale Katzenfutter hin, falls er in der Nacht Hunger bekam. Danach waren die Pferde dran, die schon ungeduldig auf ihr Futter und ein paar Streicheleinheiten warteten. Sie war so vertieft in die Versorgung der Pferde, dass sie nicht mitbekam wie Zodiak aus dem Stall rannte. Erst als er draußen bellte, wurde sie aufmerksam. Kathrin ließ alles stehen und liegen, um draußen nach dem Rechten zu sehen. Erfreut stellte sie fest, dass Alicia nach Hause gekommen war. Zodiak hatte offenbar das Autogeräusch erkannt. Er begrüßte sein Frauchen freudig. Kurz darauf kam auch Kathrin bei Alicia an.
„ Hallo, mein Schatz.“ Sie umarmte Alicia.
„ Hallo Liebling. Das ist ja eine Begrüßung heute Abend.“
„ Wir haben dich sehr vermisst.“
„ Ich habe euch auch vermisst. Warst du gerade im Stall?“
„ Ja, sie sind alle satt und haben es warm.“
„ Warm hätte ich es auch gerne und satt bin ich leider nicht.“
„ Das lässt sich organisieren.“
„ Ich hab da schon was organisiert“, erwiderte Alicia. Sie öffnete den Kofferraum und nahm zwei Pizzakartons sowie eine weiße Tüte heraus.
„ Warst du bei Pedro?“
„ Ja. Ich hatte so Lust auf Pizza und es gibt Salat dazu.“
„ Das ist genau das richtige heute Abend. Ich habe eine unglaublich tolle Nachricht bekommen, die unser ganzes Leben verändern könnte.“
„ Das klingt ja spannend. Dann sollten wir jetzt schleunigst in unser kuscheliges Häuschen einkehren, damit du mir alles in Ruhe erzählen kannst.“
Zodiak sprang aufgeregt um die beiden herum, während sie zum Haus liefen.
„ Was gibt es schöneres, als nach einem langen Arbeitstag zu Hause von seinen Liebsten begrüßt zu werden?“ Alicia strahlte Kathrin an und als sie an der Haustür kurz stehen bleiben mussten, damit Kathrin den Schlüssel ins Schloss stecken konnte, nutzte Alicia den Augenblick, um Kathrin zu küssen.
„ Ich liebe dich so sehr“, sagte Alicia.
„ Ich liebe dich noch viel mehr.“
Glücklich betraten sie ihr Zuhause. Zodiak begann sofort den Boden zu inspizieren, denn es bestand die Möglichkeit, dass seine vierbeinigen Fellfreunde wieder Präsente von draußen mit hinein gebracht hatten. Doch heute hatte Zodiak kein Glück, deshalb folgte er Kathrin und Alicia in die Küche. Vielleicht gab es da etwas zu ergattern.
„ Na, das war wohl nichts mit einer leckeren Maus zum Abendbrot, was?“, sprach Alicia mit ihm. Sie nahm eine Dose Hundefutter aus dem Schrank und öffnete sie. Danach setzte sie sich zu Kathrin an den Tisch.
„ Wenn wir Glück haben, lässt Zodiak uns fünf Minuten Ruhe“, scherzte Alicia.
Kathrin sah zu Zodiak, der laut schmatzend sein Futter hinunter schlang. „Ich denke, uns bleiben nicht mal drei Minuten. Wir sollten uns beeilen.“ Sie klappte ihren Pizzakarton auf. „Hm, meine Lieblingspizza. Du bist ein Engel.“
„ Für dich nur das Beste“, entgegnete Alicia. Sie nahm zwei Boxen mit Salat aus der Tüte und eine kleine Flasche Salatdressing.
„ Das ist ein richtiges Festessen“, sagte Kathrin.
„ Passend zum festlichen Anlass. Du meintest doch eben, es gibt was zu feiern.“
„ Das habe ich nicht gesagt. Ich habe ein Angebot erhalten und wenn ich es annehme, ginge damit ein großer Traum in Erfüllung.“
„ Hat es mit deiner Arbeit zu tun?“
„ Ja, das könnte man so sagen.“ Kathrin tat weiterhin geheimnisvoll.
„ Mach es doch nicht so spannend. Los jetzt, raus mit der Sprache.“
In den folgenden Minuten berichtete Kathrin Alicia von Lieselottes Angebot.
Alicia wusste im ersten Moment nicht, was sie dazu sagen sollte und musste die Neuigkeit erstmal sacken lassen.
„ Ist das nicht der Hammer?“, fragte Kathrin.
„ Das ist eine ziemliche Überraschung.“
„ Ich konnte es auch nicht glauben, als Lieselotte mir das Angebot gemacht hat.
„ Und? Nimmst du es an?“
Nun war es Kathrin, die schwieg. „Ich weiß es nicht“, sagte sie nach einer Weile.
„ Was lässt dich zögern? Du stehst gerade kurz davor dir deinen größten Traum zu erfüllen und jetzt willst du kneifen?“
„ Ich will nicht kneifen, es ist bloß… Was wenn es schief geht und ich am Ende hochverschuldet da stehe?“
„ Das kann ich mir nicht vorstellen und selbst wenn, dann hast du es wenigstens versucht. Das Leben steckt immer voller Risiken, mal gewinnen wir und mal verlieren wir, aber wir müssen stets weiter machen.“
„ Aber es ist nicht mein Geld, das ich dann verspielt hätte und der Gedanke gefällt mir irgendwie nicht.“
„ Ich bin mir sicher, Lieselotte hat das einkalkuliert. Sie möchte dir einfach die Möglichkeit geben deinen Traum zu erfüllen, egal wie es ausgeht.“
„ Ich würde gerne Sylvie mit ins Boot nehmen, falls sie will, aber kannst du dir in etwa vorstellen wie Annelie auf die Nachricht reagiert? Sie wird ausrasten, aber nicht vor Freude.“
„ Sylvie mag bestimmt. Es ist schließlich auch ihr Traum, aber was Annelie betrifft, da könntest du Recht haben. Sie wird es nicht gut finden.“
„ Meinst du, ich soll zuerst mit Sylvie allein reden?“
„ Das halte ich für keine gute Idee. Wenn Annelie herausfindet, dass ihr das hinter ihrem Rücken besprochen habt, wird sie wahrscheinlich nie wieder mit Sylvie reden und mit dir auch nicht. Du weißt doch, wie schwierig sie manchmal ist.“
„ Ich weiß. Das wird eine ganz schöne Herausforderung. Wahrscheinlich lässt sie mich nicht mal ausreden.“
„ Ich bin ja dabei.“ Alicia lächelte Kathrin aufmunternd zu.
„ Du hättest also nichts dagegen, wenn ich Lieselottes Angebot annehme?“
„ Nein, im Gegenteil. Ich würde mich sehr für dich freuen und dich natürlich auch unterstützen, so gut ich kann. Du weißt, dass Pferde niemals meine Lieblingstiere werden, aber ich weiß, wie sehr du dir einen eigenen Reiterhof wünschst und wenn du die Chance dazu hast, werde ich dir garantiert nicht im Weg stehen. Ich werde hinter dir stehen, bei allem, was du machst.“
Kathrin war sichtlich gerührt von Alicias Worten. Sie musste sich sogar ein paar Tränchen weg wischen. „Du bist das Beste, was mir jemals passiert ist. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich liebe.“
Kathrins Worte brachten Alicia zum Lächeln. „Ich liebe dich auch. Ein Leben ohne dich kann ich mir nicht mehr vorstellen.“
Eine Weile saßen sie nur da und hielten sich an den Händen. Sie konnten und wollten sich nicht voneinander lösen, ihre Pizza wurde kalt, aber es war ihnen egal. Es zählte nur noch dieser eine Augenblick, in dem sie auf einzigartige Weise tief in ihren Herzen verbunden waren.
„ Bis wann musst du dich entscheiden, ob du es machst?“, fragte Alicia nach einer Weile.
„ Lieselotte hat mir keine Frist gesetzt.“
„ Das ist ja schon mal gut. Dann kannst du in aller Ruhe überlegen und planen.“
„ Eigentlich gibt es gar nicht so viel zu überlegen. Ich wäre ein totaler Idiot, wenn ich es nicht mache. So eine Chance bekomme ich nie wieder in meinem Leben.“
„ Dann solltest du so schnell wie möglich mit Sylvie darüber reden.“
„ Was hältst du davon, wenn wir Sylvie und Annelie Morgenabend zu uns zum Essen einladen?“, schlug Kathrin vor.
„ Das ist eine sehr gute Idee.“
Leider war es gar nicht so einfach eine passende Gelegenheit zu finden mit Annelie und Sylvie in Ruhe reden zu können. Zwar kam Sylvie fast täglich vorbei, um nach Flocke zu sehen, aber Annelie schaffte es kein einziges Mal mitzukommen. Erst beinahe eine Woche später gelang es Kathrin ein Treffen mit Sylvie und Annelie auszumachen. Für Kathrin war es gar nicht so einfach ihr Geheimnis zu wahren. Jeden Tag, wenn sie Sylvie sah, hätte sie es ihr am liebsten erzählt, aber sie wollte nicht riskieren, dass Annelie sich hintergangen fühlte. Dafür stand zu viel auf dem Spiel. Sie wusste, sie mussten es Annelie möglichst schonend beibringen, damit sie hoffentlich ihr Einverständnis gab.
An einem Samstagnachmittag kamen die beiden vorbei.
„ Hi.“ Kathrin begrüßte Sylvie und Annelie an der Haustür. „Wo habt ihr Clara gelassen?“
„ Meine Eltern passen heute auf sie auf“, sagte Sylvie.
Sie machten sich auf den Weg in die Küche, wo Alicia mit Kaffee und Kuchen wartete.
„ Hi Alicia“, begrüßte Annelie sie.
„ Na, ihr zwei. Schön euch zu sehen.“ Sie umarmte die Freundinnen. Doch dann stutzte sie. „Moment mal, fehlt da nicht jemand?“ Sie sah sich suchend um.
„ Clara ist bei Sylvies Eltern“, erklärte Kathrin.
„ Ach so.“
Sylvie lachte. „Sobald man ein Kind hat, wundern sich die Leute, wenn man mal allein unterwegs ist.“
„ Stimmt“, bestätigte Alicia, „aber seit Clara auf der Welt ist, habe ich euch tatsächlich noch nie ohne sie gesehen, zwar mal einzeln ohne Kind, aber nie ihr beide zusammen ohne Kind.“
„ Dann ist das sozusagen heute eine Premiere“, meinte Sylvie.
„ Ich vermisse Clara jetzt schon. Ohne sie fühle ich mich einfach nicht mehr vollständig.“ Annelie wirkte nicht glücklich über die momentane Situation.
Kathrin ahnte, dass die heutige Situation nicht gerade dazu einlud, um das Reiterhof Thema zu erörtern. Annelie war sowieso schon nicht so gut drauf, weil Clara nicht bei ihr war. Doch irgendwann musste sie es ansprechen. Sie konnte es nicht immer weiter vor sich her schieben. Lieselotte wollte schließlich irgendwann auch mal wissen, wie es weiter ging.
„ Heute Abend hast du sie wieder, Schatz“, sagte Sylvie zu Annelie.
„ Setzt euch. Kaffee und Kuchen warten“, sagte Alicia.
„ Oh, danke. Du hast dir wieder so viel Mühe gemacht.“ Sylvie betrachtete den Kuchen auf dem Tisch. Der Anblick ließ ihr das Wasser im Mund zusammen laufen.
Zodiak kam nun auch in die Küche. Er ging zuerst zu Sylvie, um sie zu begrüßen. Danach hockte er sich neben Annelie und sah zu ihr auf. Annelie tätschelte ihn einmal am Kopf. So ganz geheuer war er ihr immer noch nicht.
Alicia verteilte den Kuchen.
„ Hm, ich kann es kaum erwarten zu probieren“, sagte Kathrin.
„ Mein Leckermäulchen“, entgegnete Alicia und schenkte Kathrin einen liebevollen Blick. „Du hast doch schon die Teigschüssel leer geschleckt, also weißt du, wie er schmeckt.“
„ Der fertige Kuchen ist aber bestimmt noch viel besser“, meinte Kathrin.
In den folgenden Minuten ließen sie es sich bei Kaffee und Kuchen gut gehen.
„ Was gibt es neues bei euch?“, eröffnete schließlich Annelie das Gespräch und lieferte damit Kathrin das perfekte Stichwort, um endlich ihr Anliegen vorzubringen.
„ Es gibt tatsächlich Neuigkeiten“, sagte Kathrin und warf Alicia einen hilfesuchenden Blick zu.
„ Bekommt ihr Nachwuchs?“, fragte Annelie, die die Situation völlig falsch deutete.
„ Nein, wie kommst du denn darauf?“, fragte Alicia.
„ So wie ihr euch gerade angeschaut habt, muss es um etwas Bedeutsames gehen.“
„ Das geht es ja auch“, klinkte Kathrin sich ins Gespräch ein. „In erster Linie betrifft es Sylvie und mich, aber du Annelie, bist natürlich auch davon betroffen.“
Annelie sah nicht glücklich aus. Sie ahnte bereits, dass es um etwas ging, was ihr nicht gefallen würde.
Kathrin sprach schnell weiter. „Wie ihr ja wisst, wird Oskar seinen Hof nicht weiter führen können. Nachdem er nur ein paar Tage nach dem ersten Herzinfarkt noch einen zweiten bekommen hat, darf er in Zukunft körperlich nur noch wenig machen. Lieselotte hat deshalb beschlossen den Hof abzugeben.“
„ Heißt das, wir müssen Flocke woanders unterbringen?“, fragte Annelie. Sie wirkte fast ein wenig erleichtert, denn sie hatte mit einer Hiobsbotschaft gerechnet.
„ Ähm… nein. Flocke kann hier bleiben“, sagte Kathrin. Es fiel ihr unendlich schwer das auszusprechen, was sie auf dem Herzen hatte. Wegen Sylvie machte sie sich keine Sorgen, sie würde komplett aus dem Häuschen sein vor Freude, aber Annelie war wie ein Pulverfass. Die kleinste Flamme konnte sie zum Explodieren bringen und Kathrin fürchtete sich vor Annelies Reaktion.
„ Worum geht es denn dann?“, fragte Annelie.
Nun blieb Kathrin keine andere Wahl mehr. Sie musste ihre Freundinnen in ihre Pläne einweihen und sie hoffte von ganzem Herzen in den beiden Verbündete zu finden.
„ Lieselotte hat mir ein Angebot gemacht. Sie möchte mir 20.000 Euro geben, die sie und Oskar eigentlich für ihren Sohn gespart haben. Mit dem Geld könnte ich mir meinen Traum erfüllen und meinen eigenen Reiterhof eröffnen und hier kommst du ins Spiel“, richtete sie das Wort an Sylvie. „Könntest du dir vorstellen das mit mir gemeinsam zu machen, sozusagen als Geschäftspartnerin?“
Sylvie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie sah Annelie an, so als wollte sie sich eine Erlaubnis bei ihr abholen.
„ Ich würde sehr gerne, aber…“ Der Rest ihres Satzes ging in Annelies wütendem Protest unter.
„ Seid ihr beide eigentlich komplett übergeschnappt?“, fragte Annelie. „Das kann nicht euer Ernst sein. Sagt mir bitte, dass das nur ein Scherz ist.“ Annelie war fassungslos. Man sah es ihr an. Wütend sah sie von einer zur anderen.
„ Lieselottes Angebot war ernst gemeint“, sagte Kathrin.
Annelie sah Sylvie böse an. „Wenn du das machst, dann trenne ich mich von dir“, schleuderte sie ihr entgegen. Danach sprang sie auf und rannte aus der Küche. Kurz darauf knallte die Haustür ins Schloss.
„ Oh ha, ich habe ja damit gerechnet, dass sie keine Freudensprünge macht, aber mit so einer heftigen Reaktion habe ich nicht gerechnet“, sagte Kathrin.
„ Ich schaue mal nach ihr“, sagte Alicia und folgte Annelie nach draußen.
Annelie hatte das Auto fast erreicht.
„ Annelie, warte!“, rief Alicia ihr nach. Sie rannte los, um Annelie noch zu erreichen, bevor sie ins Auto stieg. Sie schaffte es und kam atemlos neben Annelie zum Stehen. „Bitte, fahr nicht weg.“
„ Ich kann nicht weg“, fluchte Annelie und schlug mit der flachen Hand wütend aufs Wagendach. „Sylvie hat den Schlüssel.“ Sie wandte sich Alicia zu. „Wusstest du von Kathrins Plänen?“
„ Ja, sie hat es mir gleich erzählt.“
„ Und Sylvie? Wusste sie es auch?“
„ Nein. Kathrin weiß es schon seit ein paar Tagen, aber sie hat Sylvie nichts gesagt, damit du es nicht als letzte erfährst.“
„ Oh, wie gnädig. Na vielen Dank auch.“
„ Können wir nicht in Ruhe über alles reden?“, schlug Alicia vor.
„ Was gibt’s denn da noch zu reden? Kathrin und Sylvie haben doch längst entschieden.“
„ Haben sie nicht.“
„ Doch! Hast du es nicht gehört vorhin? Sylvie hat eingewilligt.“
„ Ja, schon. Es gibt aber auch diesbezüglich noch einiges zu besprechen und da solltest du dabei sein. Es betrifft dich ja schließlich auch.“
„ Was habe ich da schon zu sagen? Sylvie interessiert meine Meinung doch gar nicht. Alles fing an mit diesem verdammten Pferd. Sie hätte es niemals kaufen dürfen. Warum macht sie alles kaputt?“ Annelie schlug erneut aufs Autodach, aber nicht mehr so fest wie zuvor. Sie schluchzte auf. Offenbar kämpfte sie mit Trauer und Wut und wusste gerade nicht welches Gefühl stärker war.
Alicia nahm Annelie in den Arm, um sie zu trösten.
„ Ihr Verhalten ist echt nicht mehr normal“, sagte Sylvie.
„ Du weißt doch, wie sie zu Pferden steht.“
„ Ja, aber hier gleich so eine Nummer abzuziehen, obwohl noch gar nichts entschieden ist, finde ich echt übertrieben.“ Sylvie kochte vor Wut.
Kathrin fühlte sich hin und her gerissen. Einerseits wollte sie der Freundin zustimmen, konnte andererseits aber auch Annelie ein wenig verstehen. Es war ein Wagnis, das sie alle zusammen eingehen wollten. Keiner wusste, ob es am Ende funktionierte. Sie hatte in den vergangenen Tagen viel darüber nachgedacht. 20.000 Euro klangen erstmal viel, aber das Geld war auch ebenso schnell weg und wenn es ihnen nicht gelang den Reiterhof ans Laufen zu bringen, saßen sie am Ende alle vier auf einem riesigen Schuldenberg. Auch dieses Szenario musste bedacht werden und Annelie dachte offenbar sofort daran, im Gegensatz zu Sylvie, die erstmal einfach nur Feuer und Flamme war.
„ Seit wann weißt du es?“, unterbrach Sylvie Kathrins Gedanken.
„ Seit ein paar Tagen. Bitte, sei jetzt nicht sauer, weil ich dir nichts gesagt habe, obwohl wir uns fast jeden Tag gesehen haben. Ich wollte nicht, dass Annelie sich übergangen fühlt, wenn sie es als letzte erfährt.“
„ Schon okay. Ich bin nicht so empfindlich und nachtragend wie meine Frau.“
„ Ich weiß.“
„ Hast du denn schon konkrete Pläne gemacht?“, fragte Sylvie. „Ich meine, wenn wir das wirklich machen, wie sehen die nächsten Schritte aus?“
„ Ich habe mir tatsächlich schon einige Gedanken gemacht“, sagte Kathrin. In den folgenden Minuten erläuterte sie Sylvie, was sie sich überlegt hatte.
Annelie hatte sich inzwischen ein wenig beruhigt und löste sich aus Alicias Umarmung.
„