Im Sturm der Gefühle - Toni Waidacher - E-Book

Im Sturm der Gefühle E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Wann kommen wir denn endlich an?«, nörgelte die sechzehnjährige Lea Dobner, auf dem Beifahrersitz lümmelnd. »Dieses Kuhdorf muss doch am Ende der Welt liegen. Ich kann schon nicht mehr sitzen, meine Beine sind total steif und mir schmerzt der Rücken.« »Jetzt übertreib mal nicht, Lea«, versetzte Michelle, die Frau am Lenkrad, nach einem Seitenblick auf ihre Nichte lächelnd. »Zuhause kannst du stundenlang vor dem Computer sitzen, ohne dass du über irgendwelche Verspannungen oder Schmerzen klagst. Außerdem ist St. Johann kein Kuhdorf, sondern eine wunderschöne Gemeinde im Wachnertal, und das liegt nur eine knappe halbe Fahrstunde von Garmisch-Partenkirchen entfernt. Ich schätze mal, wir sind gleich da. Und dann hast du zwei Wochen lang Gelegenheit, beim Bergwandern die Steifheit aus deinen Beinen zu vertreiben und deine Rückenmuskulatur zu trainieren.« Lea seufzte. »Wer hat dich bloß auf die Idee gebracht, hier, am Ende der Welt, wo es wahrscheinlich noch nicht mal Internet gibt, Urlaub zu buchen? Und – nächste Frage – wichtigste Frage, warum muss ich dich begleiten? Was soll ich hier?« »Die Frage, warum ich dich mitgenommen habe, haben wir schon x-mal diskutiert. Also erhältst du darauf von mir keine Antwort mehr. Was du hier sollst, habe ich dir ebenfalls x-mal vorgekaut. Du sollst ein wenig Abstand gewinnen von deinem verrückten Freundeskreis, du sollst hier Ruhe und Ausgeglichenheit finden, vor allen Dingen aber sollst du begreifen, dass das Leben nicht nur aus Party und Faulenzen – du bezeichnest es als chillen –, besteht, und dass es noch etwas anderes gibt als Smartphone und Online-Netzwerke.« »Ha, ha«

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Der Bergpfarrer – 481 –

Im Sturm der Gefühle

Toni Waidacher

»Wann kommen wir denn endlich an?«, nörgelte die sechzehnjährige Lea Dobner, auf dem Beifahrersitz lümmelnd. »Dieses Kuhdorf muss doch am Ende der Welt liegen. Ich kann schon nicht mehr sitzen, meine Beine sind total steif und mir schmerzt der Rücken.«

»Jetzt übertreib mal nicht, Lea«, versetzte Michelle, die Frau am Lenkrad, nach einem Seitenblick auf ihre Nichte lächelnd. »Zuhause kannst du stundenlang vor dem Computer sitzen, ohne dass du über irgendwelche Verspannungen oder Schmerzen klagst. Außerdem ist St. Johann kein Kuhdorf, sondern eine wunderschöne Gemeinde im Wachnertal, und das liegt nur eine knappe halbe Fahrstunde von Garmisch-Partenkirchen entfernt. Ich schätze mal, wir sind gleich da. Und dann hast du zwei Wochen lang Gelegenheit, beim Bergwandern die Steifheit aus deinen Beinen zu vertreiben und deine Rückenmuskulatur zu trainieren.«

Lea seufzte. »Wer hat dich bloß auf die Idee gebracht, hier, am Ende der Welt, wo es wahrscheinlich noch nicht mal Internet gibt, Urlaub zu buchen? Und – nächste Frage – wichtigste Frage, warum muss ich dich begleiten? Was soll ich hier?«

»Die Frage, warum ich dich mitgenommen habe, haben wir schon x-mal diskutiert. Also erhältst du darauf von mir keine Antwort mehr. Was du hier sollst, habe ich dir ebenfalls x-mal vorgekaut. Du sollst ein wenig Abstand gewinnen von deinem verrückten Freundeskreis, du sollst hier Ruhe und Ausgeglichenheit finden, vor allen Dingen aber sollst du begreifen, dass das Leben nicht nur aus Party und Faulenzen – du bezeichnest es als chillen –, besteht, und dass es noch etwas anderes gibt als Smartphone und Online-Netzwerke.«

»Ha, ha«, machte Lea sarkastisch. »Du und mein Vater – ihr habt mittelalterliche Ansichten. Leider bin ich noch keine achtzehn, und so hat mein Dad bestimmen können, dass ich mit dir hierher in den Urlaub fahren muss. Noch zwei Jahre. Ich ziehe dann in die WG und lebe endlich das Leben, das mir gefällt. Dann könnt ihr mich gernhaben.«

»Na, na, junge Dame, ein bisschen mehr Respekt bitte. Denkst du denn, in einer WG fliegen dir die gebratenen Tauben in den Mund? Wenn man vernünftig leben will, muss man Geld verdienen. Und um genug Geld zu verdienen, damit man sich was leisten kann, muss man eine Schulausbildung vorweisen können.«

»Aber ich gehe doch aufs Gymnasium.«

»Wie lange noch, wenn du dich nicht von dem Freundeskreis löst, mit dem du dich seit einiger Zeit herumtreibst? Wie viele von denen gehen denn in eine Schule? Und arbeiten geht schon gar keiner von ihnen. Die haben auf dich nur einen schlechten Einfluss. Das sind keine echten Freunde.«

»Sie wollen sich eben einer Gesellschaft verweigern, die nur auf Konsum und Geld geil ist …«

Michelle schnitt ihrer Nichte schroff das Wort ab, indem sie hervorstieß. »Spar dir diese dummen Sprüche. Vor allen Dingen solltest du nicht nachplappern, was dir andere vorspinnen. Das sind coole Sprüche, die sie irgendwo gelesen haben und die sie nachplappern, ohne wahrscheinlich ihren Sinn zu verstehen.«

»Auf meine Freunde lasse ich nichts kommen.«

»Du weißt, was dein Vater von deinen Bekannten hält. Er will, dass aus dir mal was wird. Und irgendwann, wenn du erwachsen bist und mit Vernunft über alles nachdenkst, wirst du es ihm danken. Was bringen uns Möchtegern-Revolutionäre, die sich nur allem verweigern, da muss man schon Lösungen erfinden und anfangen, etwas dafür zu tun, damit die Welt wirklich bess... – He, was ist das?«

Der Wagen begann plötzlich leicht zu schlingern.

»Warum lässt das Auto sich plötzlich so schwer steuern?«, entfuhr es Michelle. Sie bremste ab und fuhr rechts ran. Dort, wo ein Wirtschaftsweg von der Straße abzweigte, hielt sie an und stieg aus.

Sie ging um den Wagen herum und entdeckte, dass der linke Vorderreifen keine Luft mehr hatte war. »Wir haben einen Platten. Das hat uns gerade noch gefehlt. Nur wenige Kilometer vor dem Ziel.«

Auch Lea stieg aus und schaute sich das Malheur an. Die Brauen des Mädchens hoben sich. »Hast du schon einmal ein Rad gewechselt?«

»Nein«, gab Michelle zu. »Ich weiß nicht mal, wo sich in diesem Auto ein Wagenheber und das Werkzeug verstecken.«

Fast verzweifelt schaute sie ihre Nichte an.

»Sehen wir mal im Kofferraum nach«, schlug Lea ihrer Tante vor.

Michelle öffnete ihn. Sie hoben Reisetaschen und Koffer heraus und klappten die Abdeckung in die Höhe. Tatsächlich lag da ein Reserverad. Es war mit einer großen Schraube gesichert.

»Irgendwo muss ja auch ein Wagenheber sein«, murmelte Michelle. »Und ein Schraubenschlüssel, damit wir die Radmuttern abschrauben können. Nehmen wir erst mal den Reservereifen heraus.«

Es dauerte einige Zeit, bis Michelle die Verschraubung geöffnet hatte und das Rad herausheben konnte. Es war ziemlich schwer. Unter dem Rad lag ein Radkreuzschlüssel, und in einem Seitenfach befand sich ein Wagenheber.

»Ich habe dem Papa mal zugeschaut«, bemerkte Lea. »Wir müssen erst die Radschrauben lockern, aber noch drauf lassen, ehe wir den Wagen aufheben.«

Michelle machte sich an die Arbeit. Sie fand den passenden Steckschlüssel und versuchte die Schraube aufzudrehen. So sehr sie sich auch anstrengte, sie schaffte es nicht. Mit vor Anstrengung gerötetem Gesicht gab sie auf.

»Lass mich mal«, forderte Lea.

Michelle überließ ihr das Feld. Aber auch Lea mühte sich vergeblich ab. »Wir müssen ein Auto anhalten«, erklärte sie. »Vielleicht …«

Es waren bereits einige Autos vorbeigefahren, aber auf den Wagen am rechten Fahrbahnrand hatte niemand geachtet. Jetzt aber erklang vom Feldweg her das Tuckern eines Dieselmotors. Lea drehte sich herum. Ein Traktor kam auf sie zu.

Auch Michelle hatte sich ihm zugewandt. »Wir versperren ihm den Weg«, murmelte sie. »Jetzt kriegen wir mit dem Bauern wahrscheinlich auch noch Ärger.«

»Der ganze Urlaub war eine dumme Idee«, maulte Lea. »Das ist wahrscheinlich die Strafe dafür, dass ihr mich gezwungen habt …«

»Sei still! Ich will nichts mehr hören. Meine Nerven liegen sowieso schon blank.« Michelle hatte es mit einer derartigen Schärfe ausgestoßen, dass Lea verschreckt schwieg.

Der Trecker war heran und wurde angehalten, und ein Mann von etwa dreißig Jahren, dunkelhaarig und mit einem blauen Arbeitsanzug bekleidet, stieg von dem Trecker. Sein Gesicht war sonnengebräunt, er war etwa eins achtzig groß und kräftig gebaut, seine braunen Augen schauten freundlich in die Welt.

Natürlich hatte er auf den ersten Blick festgestellt, dass sie mit einer Reifenpanne liegen geblieben waren. »Das schaut ja gar net gut aus«, sagte er grinsend und blickte von Michelle auf Lea, wieder auf Michelle und sagte: »Kommen S’ zurecht? Haben S’ schon mal ein Rad gewechselt?«

»Die Schrauben sind dermaßen fest angezogen …«

Der Bursche lachte amüsiert auf. »Da bleibt mir wohl nix anderes übrig, als Ihnen zu helfen. Sonst stehen wir hier, bis wir Wurzeln schlagen.«

»Das wäre nett.« Michelle lächelte verkrampft.

»Aber das ist doch keine Frage, gute Frau. Solang’ sie nämlich mit ihrem Fahrzeug den Weg blockieren, kann ich net weiterfahren. Ich heiß’ im Übrigen Marko – Marko Bredgauer. Sie haben doch sicher auch einen Namen.«

»Michelle Filbinger. Das ist meine Nichte Lea. Wir wollen in St. Johann zwei Wochen Urlaub machen …«

»Du willst das«, fiel ihr Lea ins Wort. »Ich nicht. Ich muss!«

Marko grinste sie an. »Warum so kratzig, Madel. Es wird dir gefallen bei uns. Und wenn in zwei Wochen dein Urlaub endet, dann bist du richtig verliebt in St. Johann und ins Wachnertal. Glaub’ mir’s. Noch keiner ist von hier weggefahren, dem’s net so ergangen wär’.«

»Wie kann man sich in einen Ort verlieben?«, murmelte Lea.

»Denk’ an meine Worte«, sagte Marko lächelnd. »Dann will ich mich mal an die Arbeit machen. Hoffentlich haben S’ genügend Luft im Reserverad, Michelle.«

»Ich war mit dem Wagen erst kürzlich bei der Inspektion. In der Werkstatt werden sie den Reifen schon aufgepumpt haben.«

»Ihr Wort in Gottes Ohr.« Nach diesen Worten griff Marko nach dem Kreuzschlüssel …

*

Eine Viertelstunde später war das Rad gewechselt. Marko half Michelle das Werkzeug sowie das defekte Rad zu verstauen und sagte dann: »Sehen S’ zu, dass Sie bald einen neuen Reifen montieren lassen, denn das Reserverad ist net für den längeren Einsatz gedacht. Vielleicht kann man den kaputten Reifen vulkanisieren, ich mein’ damit, dass das Loch fachmännisch verschlossen wird.«

»Gibt es in St. Johann eine Reparaturwerkstätte?«

»In Waldeck ist eine.«

»Wie kann ich Ihnen danken?«, fragte Michelle.

»Das ist net nötig. Wenn S’ Dankeschön sagen, dann ist das in Ordnung. Ist doch selbstverständlich, dass ich helf’, wenn ich seh’, dass jemand in Not ist.«

»Na ja, so selbstverständlich ist das nicht«, entgegnete Michelle. Sie hatte festgestellt, dass Marko an keiner seiner beiden Hände einen Ring trug, der verraten hätte, dass er verlobt oder verheiratet gewesen wäre. Der hilfreiche und anscheinend stets gut gelaunte Bursche gefiel ihr ausnehmend gut, und sie war ihm sehr, sehr dankbar. »Ohne Ihre Hilfe wäre der kaputte Reifen zu einem echten Problem geworden«, gab sie zu. »Ich hätte einen Abschleppdienst verständigen müssen, und im Endeffekt hätte mich der Reifenwechsel eine Menge Geld gekostet.«

»Wahrscheinlich hätt’ schon noch jemand angehalten …«

»Egal«, sagte Michelle. »Nachdem Sie uns geholfen haben, hat sich das alles erübrigt und wir brauchen keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Lea und ich wohnen im Hotel ›Zum Löwen‹. Haben Sie etwas dagegen einzuwenden, wenn ich sie zum Abendessen in das Hotel einlade? Als kleines Dankeschön sozusagen. Oder gibt es jemand, der etwas dagegen haben könnte?« Während ihrer letzten Frage hatte sie verschmitzt gelächelt.

»Wer sollt’ etwas dagegen haben?«, fragte Marko breit grinsend. »Nicht jeden Tag erhält man eine Einladung zum Essen ins Hotel. Die Frau Reisinger ist eine vorzügliche Köchin, das Hotel ist für sein gutes Essen sogar weit über das Wachnertal hinaus bekannt. Sie müssen mir nur sagen, wann ich kommen soll, und ich werd’ da sein.«

»Geben Sie mir Ihre Telefonnummer«, bat Michelle. »Ich rufe Sie spätestens morgen an.«

Marko nannte sie ihr und Michelle speicherte sie im digitalen Telefonbuch ihres Smartphones. »Danke. Dann werde ich jetzt mal den Weg freimachen, damit Sie weiterfahren können. Vielen Dank noch einmal, Marko. Ohne Sie hätten wir alt ausgesehen.«

»Pfüat euch, ihr beiden«, verabschiedete sich Marko, ging zu seinem Traktor und kletterte hinauf.

Michelle und Lea setzten sich ins Auto.

Nachdem Michelle ein anderes Fahrzeug vorbeifahren hatte lassen, fuhr sie an. Marko winkte noch einmal, dann fuhren sie davon und er selbst startete den Motor des Treckers.

»Den hast du aber ganz schön angehimmelt, Tante«, sagte Lea, nachdem der Wagen kurze Zeit dahin­gerollt war. »Er hat dir gefallen, stimmt’s?«

»Ich habe ihn nicht angehimmelt, ich war lediglich freundlich zu ihm«, verteidigte sich Michelle. »Das ist ein Unterschied.«

Lea lächelte spöttisch. »Du warst ja ganz versessen darauf, ihn zum Abendessen ins Hotel einzuladen. Machst du das auch, weil du freundlich sein willst?«

»Das mache ich aus Dankbarkeit.«

Von nun an schlief das Gespräch ein.

Bald kam St. Johann in Sicht, ein Bild, das der alles überragende, prägnante Turm der Kirche prägte. Schließlich passierten sie das Ortsschild und dann sahen sie auch schon das Hotel, das an der Durchgangsstraße lag.

»Herrlich«, schwärmte Michelle. »Schau dir nur diese Blumenpracht auf den Fensterbänken und an den Balkonen an.«

Lea erwiderte nichts. Aber sie betrachtete die Häuser, deren Fassaden zu einem großen Teil mit herrlichen Lüftlmalereien versehen waren, recht interessiert, als das Auto daran vorbeirollte.

Schließlich hielt Michelle auf dem Parkplatz vor dem Hotel an. Sie stiegen aus, nahmen Koffer und Reisetaschen aus dem Auto und gingen hinein.

In der Rezeption saß Susanne Reisinger, die älteste Tochter des Hotelinhabers.

»Grüß Gott«, sagte Michelle. »Mein Name ist Michelle Filbinger. Meine Nichte und ich haben für zwei Wochen ein Doppelzimmer bei Ihnen gebucht.«

Einige Klicks, und Susanne hatte die Buchung auf dem Bildschirm ihres Computers.

»Sie kommen aus Neustadt an der Weinstraße«, sagte sie, »und haben Halbpension gebucht.« Dann nickte sie, schaute Michelle an und fügte hinzu: »Das Zimmer ist vorbereitet. Nummer hundertfünf in der ersten Etage. Soll ich jemand rufen, der ihnen mit den Koffern und Taschen hilft, oder geht es ohne Hilfe?«

»Das schaffen Lea und ich schon«, erwiderte Michelle und nahm von Susanne den Zimmerschlüssel in Empfang. »Wann gibt es denn Frühstück?«

Susanne nannte die Frühstücks- und Abendessenszeiten, dann nahmen Michelle und Lea ihr Gepäck und gingen zum Fahrstuhl.

Das Zimmer, das sie vorfanden, war freundlich und stilvoll eingerichtet und blitzte vor Sauberkeit. Das Fenster war geöffnet und die Luft im Raum frisch.

»Das schaut ja sehr gemütlich aus«, lobte Michelle. »Ich freue mich schon auf die nächsten zwei Wochen.«

»Und ich erst«, stieß Lea mit sauertöpfischem Gesichtausdruck hervor. »Ich könnte brüllen vor Freude.«

Michelle seufzte ergeben, zuckte mit dem Schultern und murmelte: »Mit dieser Einstellung verdirbst du dir den Urlaub selbst. Wenn mir etwas nicht gefällt, dann versuche ich wenigstens, das Beste daraus zu machen. Du aber versaust dir die Stimmung noch mehr. Wenn wir ausgepackt und unser Zeug alles verstaut haben, bitte ich dich, deinen Vater anzurufen. So bekommt dein Handy auch mal einen Sinn. Sag’ ihm, dass wir gut angekommen sind.«

»Gut angekommen?«, echote Lea sarkastisch. »Ich höre wohl nicht richtig. Hast du die Reifenpanne schon vergessen?«

»Das war höhere Gewalt, Lea«, lächelte Michelle. »Außerdem war der Schaden innerhalb kürzester Zeit behoben. Mit gut angekommen meine ich …«

»Ja, ja, schon gut, du musst mir keinen Vortrag halten, Tante, denn ich weiß, was du meinst.«

»Du sollst mir nicht immer ins Wort fallen, Lea. Das ist unhöflich und zeugt von wenig Reife.«

»Entschuldige.«

»Entschuldigung angenommen. Doch jetzt lass uns auspacken. Dann ruf deinen Dad an. Und finde dich damit ab, dass du die nächsten zwei Wochen mit mir auskommen musst. Wir werden Bergwanderungen machen, das Wachnertal erkunden, vielleicht fahren wir auch mal nach Garmisch oder Mittenwald. Da gibt es einiges, was wir uns anschauen können. Wir können auf die Zugspitze …«

»Du schaffst es schon im Vorfeld, mir die zwei Wochen völlig zu verleiden!«, regte sich Lea auf. »Ich will mich allenfalls an den Badestrand legen, mich von der Sonne anscheinen und den Tag locker angehen lassen.«

Michelle wandte sich wortlos ihrem Koffer zu, hob ihn aufs Bett und öffnete ihn. Sie hatte Lea jetzt den Rücken zugedreht, und so konnte diese nicht das entschlossene Lächeln sehen, das Michelles Mund umspielte. Lea würde schon noch merken, wer hier die Spielregeln bestimmte …

»Warum sagst du nichts?«, kam es fast ein wenig aggressiv von der Sechzehnjährigen.

»Weil ich mit dir nicht diskutiere, Lea. Für die nächsten zwei Wochen bin ich für dich verantwortlich, und du wirst haargenau das tun, was ich sage. Insoweit habe ich das ausdrückliche Okay deines Vaters. Noch Fragen?«

»Ich habe immer gedacht, wir wären Freundinnen«, beschwerte sich Lea.

»Sind wir auch. Wir können sogar die besten Freundinnen sein – solange du brav mitspielst...«

Lea verzog das Gesicht.

»Aber keine Sorge«, sprach Michelle weiter und lächelte dabei. »Du hast in allem ein Mitspracherecht. Und von dem wirst du, wie ich dich kenne, ausgiebig Gebrauch machen. Und jetzt pack’ dein Zeug aus und räume es gleich in deinen Schrank. Und während ich nachher dusche, rufst du deinen Vater an. Okay?«

»Ja, ja, es ist okay.«

*

»Hallo, Papa!«, sagte Lea in ihr Handy.

»Hallo, Kleines. Seid ihr gut angekommen?«