In den Straßen von Nizza - Robert de Paca - E-Book

In den Straßen von Nizza E-Book

Robert De Paca

4,7

Beschreibung

Nicolas arbeitet als Chauffeur, Fremdenführer und Sekretär für die Reichen der Reichen in Nizza und erfüllt seinen zahlungskräfitgen Auftragsgebern fast jeden Wunsch. Als er eines Tages einen russischen Kunden fährt, wird er in einen mysteriösen Gemäldediebstahls verwickelt - und unfreiwillig zum Vermittler zwischen Täter und Bestohlenem. Zusammen mit Versicherungsdetektivin Nathalie macht er sich daran, die bedeutenden Gemälde wiederzubeschaffen, und ein rasantes Katz-und Maus-Spiel entlang der malerischen Küste beginnt...

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Robert de Paca lebt seit über fünfzehn Jahren an der Côte d’Azur und arbeitete in der Luxushotellerie sowie der Gastronomie. Er betreute zehn Jahre lang ein Internet-Tourismusportal über die Côte d’Azur zwischen Monaco und Cannes. Heute lebt er mit seinen Kindern in der Provence und betreibt eine Internetkochschule für mediterrane Küche.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig. Das Buch enthält einen Anhang mit Rezepten.

© 2014 Emons Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: iStockphoto.com/stefan1234 Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-86358-415-3 Côte d’Azur Krimi Originalausgabe

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Das Buch widme ich

meinem Vater, weil das meine Wurzeln sind,

und meinen Kindern, weil sie mein Antrieb sind.

PROLOG

Die Hände in den hauchdünnen Latexhandschuhen arbeiteten flink und präzise. Sie machten diese Arbeit nicht zum ersten Mal.

Der Mann vertraute jedoch keineswegs auf Routine – er versuchte sie sogar zu vermeiden, denn bei den Stromstärken, die hier im Spiel waren, bedeutete ein einziger unachtsamer Augenblick den Tod des Mannes.

Er überprüfte nochmals den korrekten Sitz der massiven Klemmzangen, um sicherzugehen, dass der Strom ungehindert und in voller Stärke fließen konnte. Alles schien in Ordnung. Ein letztes Mal kontrollierte er die Anzeigeinstrumente des Aggregats und trat dann ein paar Schritte zurück. Erst jetzt entspannte er sich und sah auf das Display seines Handys.

Wie geplant kam der Anruf gegen elf Uhr. Er hob ab, lauschte kurz, ohne selbst etwas zu sagen, und drückte dann den Auslöser.

Der Generator pumpte seinen tödlichen Stromstoß schlagartig in das hausinterne Stromverteilungssystem. Die Sicherungen im Anwesen unterbrachen in diesem Moment gleichzeitig die ihnen anvertrauten Stromkreise, und das Notstromaggregat im Keller der riesigen Villa würde all seine Kapazitäten ausschöpfen müssen, um die ausgefallene Versorgung auch nur annähernd zu ersetzen.

Indem er die Schutzschaltung gegen Überspannung durch Blitzschläge gekonnt umging, hatte der Mann mit der kurzen, aber enormen Stromspitze in den wenigen Millisekunden, bevor die Sicherungen reagieren konnten, einige hochempfindliche Sensoren und Steuerteile schwer gestört, manche durch die Überschlagspannung sogar zerstört, so wie es sein russischer Auftraggeber von ihm erwartete.

Zu welchem Zweck, wusste er nicht und wollte es auch gar nicht wissen.

Der Job ist der Deal, so einfach war das.

Inzwischen war der Mann bereits wieder damit beschäftigt, die Anlage zu demontieren und eventuelle Manipulationsspuren zu beseitigen.

In wenigen Augenblicken würde er in seinem Wagen wegfahren, und für einen zufälligen Passanten würde nichts mehr auf die Sabotage hindeuten.

1

Drei Tage zuvor

Um diese Tageszeit floss der Verkehr auf Nizzas Strandboulevard, der Promenade des Anglais, reibungslos. Die Berufstätigen waren bereits an ihren Arbeitsplätzen, und die Touristen krabbelten gerade erst aus den Betten oder saßen mit ihrem Café au lait und den obligatorischen Croissants noch auf den Hotelterrassen beim Frühstück und genossen das Zusammenspiel der kräftigen Maisonne mit dem lauen Ostwind, der vom Meer über die Stadt strich.

Das zusammengefaltete Geldbündel in Nicolas’ Hosentasche fühlte sich nach einem fürstlichen Trinkgeld an. Sein Tagessatz belief sich auf achthundert Euro, was für die vergangenen vier Tage einen schönen Batzen Geld ergeben würde, und allem Anschein nach hatte sein Kunde generös aufgerundet. Bei Amerikanern waren zehn bis fünfzehn Prozent die Regel, meistens gaben sie noch deutlich mehr. Dieser Mann, den er nach einem verlängerten Wochenende heute frühmorgens zum Nizzaer Flughafen am westlichen Ende der Stadt zu dessen gemietetem Businessjet zurückgebracht hatte, war Schweizer gewesen, und bei denen wusste man meist nicht so richtig, woran man war.

Während Nicolas die luxuriöse Leihlimousine abgeliefert und das Übernahmeprotokoll überwacht hatte, war sein Kunde vermutlich schon im Landeanflug auf Genf, wo ihm erneut eine arbeits- und terminreiche Woche mit Bankern und Anlegern bevorstand, deren Kommissionen ihm solche Wochenendausflüge finanziell ermöglichten.

Nicolas holte das Geld aus seiner Gesäßtasche und zählte sechs Fünfhundert-Euro-Scheine sowie fünf Zweihundert-Euro-Scheine. Viertausend Euro: Offensichtlich hatte Nicolas den Geschäftsmann mit der kurzfristigen Besorgung einer Eintrittskarte für das eigentlich bereits ausverkaufte Galadinner im Sporting Club von Monte Carlo hinreichend beeindruckt. Genauso wie mit dem Zutritt zu einer privaten Weinprobe in den Weinbergen namens Bellet im Hinterland von Nizza – eine der ältesten Weinlagen Frankreichs. Das war normalerweise einer sorgsam ausgesuchten Gruppe örtlicher Weinkenner und den Sommeliers der Grandhotels vorbehalten, da die rund fünfzig Hektar Anbaufläche gerade mal achthundert Hektoliter Wein pro Jahr produzierten und deshalb die Flaschen nie über die Grenzen des Umlands hinauskamen. Einladungen zu diesen exklusiven Proben in einem der elf Weingüter wurden in der Regel nur auf Empfehlung ausgesprochen – auch das hatte genau den Geschmack des Eidgenossen getroffen. Ein Beweis für Nicolas’ gute Kontakte in der Region und eine unbezahlbare Werbung für seinen Service.

Neider nannten ihn abschätzig ein »Mädchen für alles« der Reichen. Von Geschäftspartnern, mit denen er häufig zusammenarbeitete, den Verleihfirmen für Luxuslimousinen oder Motoryachten, den Maîtres d’hôtel der Gourmetrestaurants an der Côte d’Azur, den Betreibern von exklusiven Boutiquen oder Luxus-Dienstleistungsanbietern wurde er jedoch meist als Concierge betitelt.

Damit waren natürlich nicht die schrulligen Concierges in Gestalt des Hausmeisters einer Wohnanlage gemeint, sondern vielmehr die eleganten Concierges in den Luxushotels, die die Wünsche ihrer anspruchsvollen Klientel erfüllten. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass er nicht hinter einem Concierge-Tresen stand und mehreren Gästen zur gleichen Zeit diente. Nicolas stand seinem jeweiligen Kunden immer exklusiv und, wenn es sein musste, rund um die Uhr zur Verfügung, begleitete ihn überallhin und war ständig bemüht, seinen Aufenthalt so perfekt wie möglich zu gestalten.

Gelüstete es den Kunden nach Meeresfrüchten, kannte Nicolas die richtigen Adressen, kümmerte sich um die Reservierung der besten Plätze und chauffierte den Kunden hin.

Wollte der Kunde einen Bootsausflug machen, hatte Nicolas eine Auswahl von Charterfirmen an der Hand, um exakt das gewünschte Schiff zu besorgen. Er besaß sogar den Bootsschein, um die Boote, bei denen kein Kapitän erforderlich war, selbst zu den interessantesten Ankerplätzen zu steuern.

Für Shoppingtouren hatte Nicolas die Adressen der Edelboutiquen samt den Telefonnummern der jeweiligen Geschäftsführer parat, um für Prominente notfalls ein Exklusiv-Shopping zu organisieren, bei dem der Laden kurzerhand für das normale Publikum geschlossen wurde. Dass der Kunde in diesem Fall einen diesem Privileg entsprechenden Umsatz tätigen würde, wurde stillschweigend vorausgesetzt.

Jeder noch so ausgefallene Wunsch sollte, wenn er irgendwie realisierbar war, seinen Kunden im Handumdrehen erfüllt werden können.

Nicolas war sozusagen Chauffeur, Privatsekretär, Ferienplaner und Animateur für Millionäre in einer Person und manchmal, auf längeren Autofahrten nach weinseligen Dinners, auch geduldiger Zuhörer, oftmals sogar Vertrauter.

Einige seiner Kunden folgten seinen Vorschlägen nahezu blind, und deshalb war er ein wertvoller Kontakt für all diejenigen, die ihre Geschäfte mit den Reichen der Welt machten. Nicolas wurde als Schlüsselfigur wahrgenommen, die es für sich zu gewinnen galt: Einladungen in die noblen Restaurants, damit er diese seinen Kunden weiterempfahl, oder Ausflüge im kleinen Kreis unter »Kollegen« mit der neuesten Errungenschaft des Yachtverleihers, bei denen an nichts gespart wurde, damit sie ihren erlebnishungrigen Gästen die Charteryacht malerisch und überzeugend schildern konnten.

Manchmal waren es aber auch die kleinen, ganz persönlichen Gesten der Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurden. Wenn er beispielsweise für seine Kunden eine Luxuslimousine mietete, konnte er mit seinem Privatwagen zu dem betreffenden Verleiher fahren und sein Auto dann für die Dauer des Auftrages kostenlos in der Garage des Verleihers parken– gerade in Flughafennähe ein nicht zu unterschätzender, geldwerter Vorteil – und hinterher bekam er ihn sogar noch blitzblank gewaschen und bis in den letzten Winkel staubgesaugt wieder – selbstverständlich als Zusatzservice zu den üblichen acht Prozent Vermittlungsprovision, die im Allgemeinen von derartigen Dienstleistern am Ende des Monats an ihn überwiesen wurden.

Nicolas steuerte sein selbst restauriertes BMW-CSI-Coupé aus den siebziger Jahren die Promenade an der berühmten Baie des Anges– der Bucht der Engel – in Richtung Hafen entlang.

Die Promenade bot zwischen der Fahrbahn und dem Strand auch eine mehrere Meter breite Piste für Radfahrer, Inlineskater und Fußgänger. Dort standen auch in unregelmäßigen Abständen die blauen, speziell für die Stadt Nizza entworfenen Metallstühle, die Spaziergänger dazu einluden, das bunte Treiben am Strand zu beobachten oder gedankenverloren dem endlosen Kommen und Gehen der Wellen zuzusehen.

Der Strand von Nizza bestand nicht, wie drüben in Cannes, aus Sand, sondern aus hellgrauen, von der Brandung rund geschliffenen Steinen. Die waren mittlerweile so berühmt, dass man sogar ein Gesetz erlassen hatte, das die Mitnahme als Souvenir unter Strafe stellte. Nicolas war allerdings kein Fall bekannt, bei dem dieses Gesetz auch tatsächlich angewandt worden war und zur Ausstellung eines Strafzettels geführt hatte.

Nicolas fand den Steinstrand zum Liegen ohnehin unbequem, dafür sorgte das Fehlen von Sand für ein herrlich klares Wasser. Er liebte es, wenn die Ausläufer des provenzalischen Mistrals oder des afrikanischen Schirokkos an manchen Tagen im Frühjahr die ansonsten so harmlosen Mittelmeerwellen auf bis zu zwei Meter auftürmten, um sie dann unter donnerndem Tosen am Strand zu brechen. Dann erstrahlte das Wasser in unmittelbarer Küstennähe in einem gleißenden Türkis, gekrönt von schneeweißen Spitzen aus Gischt, während der dabei entstehende feine Sprühregen der Wellen vom Wind über die Promenade getragen wurde und dort kleine Regenbogen in die Luft zauberte.

Zu Nicolas’ Linken trennte ein breiter Grünstreifen die Fahrbahnen. Auf dem makellos geschnittenen Rasen pflanzten die städtischen Gärtner zwischen den großen Palmen Inseln mit saisonalen Blumen.

Nicolas fuhr mit gemütlichen fünfzig Stundenkilometern. Schneller zu fahren wäre nicht nur unsinnig– denn nur bei diesem Tempo schwamm er im Rhythmus der zahllosen Ampeln auf einer grünen Welle –, er hätte bei schnellerer Fahrt auch kein Auge mehr auf das türkis glitzernde Wasser und auf die in der Sonne leuchtende Blumenpracht des Mittelstreifens riskieren können. Auch nach nunmehr sechs Jahren an der Côte d’Azur genoss er immer wieder aufs Neue die intensiven Farben der satten mediterranen Vegetation, das gleißende Licht auf den Jugendstilfassaden und die Artenvielfalt – sowohl bei den Pflanzen als auch bei den Menschen.

Früher war er überzeugt, im Süden müsse man zwangsläufig ein Cabrio fahren, aber er hatte sich dann doch für das elegante Coupé entschieden. Sein Haar war schon immer dünn gewesen, mit dreißig waren die Geheimratsecken schon deutlich ausgeprägt, und jetzt, mit Mitte dreißig, war er froh, dass ihm die Sonne nicht ständig durch das lichter werdende Haar auf den Kopf brannte.

Jackett und Krawatte hatte er gleich nach der Rückgabe der Limousine abgelegt. Er ließ alle Fenster seines BMWs herunter und genoss den Fahrtwind, der nun ungehindert durch die Fahrgastzelle zog.

Die Bucht der Engel zog sich in einem sanften Bogen fast acht Kilometer entlang und wurde nur kurz von einem Hügel aus schroffem Kalkgestein unterbrochen, auf dessen Plateau noch die spärlichen Fundamentreste einer Kirche aus dem 11.Jahrhundert und eines Schlosses aus dem 12.Jahrhundert zu besichtigen waren. Das Hochplateau bot einen schier endlosen Blick über die ganze Stadt.

Die Bucht endete schließlich an einem weiteren Hügel mit einem Museum namens Terra Amata, benannt nach dem Fundort eines vierhunderttausend Jahre alten Lagerplatzes mit Spuren menschlicher Behausung, Werkzeugen und Feuerstellen. Damals lag der Platz direkt am Strand, heute war der Meeresspiegel jedoch sechsundzwanzig Meter tiefer. Wenn Nicolas an dem Museum vorbeikam, versuchte er sich das Leben des Homo erectus seinerzeit vorzustellen, was der wohl gerade gemacht hatte, als er den Fußabdruck hinterließ, der noch heute so gut erhalten war.

Das Klingeln von Nicolas’ Handy riss ihn abrupt aus seinen Tagträumen. Hastig stöpselte er sein Headset an und nahm den Anruf entgegen.

Die Stimme der Frau war ihm unbekannt, aber in der Moskauer Agentur gab es offenbar so viele Mitarbeiter, dass er es nur sehr selten mit jemandem ein zweites Mal zu tun bekam. Die Frau bestätigte ihm in einem unpersönlichen, geschäftsmäßigen Ton, dass sein nächster Kunde wie vereinbart eintreffen würde. Nachdem auch Nicolas bestätigt hatte, zum abgemachten Zeitpunkt am Flughafen auf ihn zu warten, beendete die Frau das Gespräch genauso abrupt, wie es begonnen hatte.

Nicolas war irritiert. Bislang hatte man ihm vertraut und ihn als zuverlässigen Partner betrachtet, solche Bestätigungsanrufe waren unüblich und unnötig. Handelte es sich hierbei nur um eine übereifrige Sekretärin, oder war sein neuer Kunde ein egozentrischer Wichtigtuer, der seine ganze Umgebung nach seiner Pfeife tanzen sehen wollte? Die schon fast pedantischen Sonderwünsche, bis hin zu dem vom Kunden gewünschten Mietwagen, waren mehr als ungewöhnlich. Das konnte ja heiter werden.

Nicolas versuchte, diese unangenehmen Gedanken zu verdrängen, und bog jetzt vor dem Schlossberg in Richtung Altstadt ab, zum Cours Saleya, der nur durch eine Häuserzeile von der Uferpromenade getrennt war. Auf diesem Platz wurden jeden Vormittag die Stände des Marché aux Fleurs unter den bunten Sonnenschutzzelten aufgebaut, wo die Händler und Bauern nicht nur Blumen anboten, wie es der Name des Marktes andeutete, sondern auch Obst und Gemüse, Kräuter und Salate, Käse, Gewürze, kandierte Früchte und was sich sonst noch alles zum genussvollen Verzehr eignet.

Nicolas würde sein Auto in der Tiefgarage direkt unter dem Platz parken. Nur wenige Schritte vom Markt entfernt, gleich neben der Nizzaer Oper, befand sich eine Zweigstelle seiner Bank, so konnte er das Honorar auf sein Konto einzahlen – zumindest den offiziellen Teil, denn das Trinkgeld bekam die Bank oder gar der Fiskus nie zu Gesicht.

Anschließend ein Grand Crème, wie der große Milchkaffee meist bestellt wurde, in seinem Lieblingsbistro, dem Ponchettes am anderen Ende des Marktes, dort, wo sich die Touristenströme mit dem Kommen und Gehen der Marktkunden vermischten, wo eine brasilianische Capoeira-Truppe oft ihr artistisches Spektakel aufführte oder Theaterstudenten in aufwendigen Kostümen vollkommen regungslos Statuen darstellten und auf die Euros der Touristen hofften.

Nicolas hatte schon eine genaue Vorstellung, was er sich heute Abend auf den Holzkohlengrill legen würde: eine große Scheibe aus der Lammkeule, saftig mariniert nach seinem Hausrezept, basierend auf Rotwein, Knoblauch, Provencekräutern, Senf, etwas Ketchup, einem Schuss Worcestershiresauce und viel Olivenöl. Dazu eine selbst gemachte Ratatouille, für die er das Gemüse hier auf dem Markt besorgen wollte. Aber nicht bei irgendeinem Händler, sondern auf dem kleinen Platz neben dem Justizpalast, wo einige Bauern ihre selbst angebauten Erzeugnisse direkt verkauften. Dazu ein frisches Baguette und eine Flasche gekühlten, trockenen Roséweins aus der Camargue, deren sandiger Boden dem Wein sein charakteristisches Aroma verlieh.

Genießen würde er all das in seinem kleinen verwilderten Garten mit Meerblick hoch oben über der Küste – seinem kleinen Paradies. Nicolas brauchte für sich selbst weder teure Edelrestaurants noch repräsentative Accessoires, davon hatte er im Berufsleben wirklich genug, im Privatleben zog er Bequemlichkeit vor. Sosehr er die raffinierten Feinheiten der Haute Cuisine genoss und die Kunst der Sterneköche bewunderte, irgendwann kam immer der Moment, wo es ihn nach Pastis und schwarzen Oliven als Aperitif, einer provenzalischen Hausmannskost mit einem guten Tischwein dazu und hinterher einer saftigen Tarte aux Pommes oder noch besser: einer Tarte Tatin, dem gestürzten Apfelkuchen, gelüstete.

Gern nannte man die provenzalische Küche auch »mediterrane Diät«. Nun, wenn Pastis und Apfelkuchen offiziell als Bestandteil einer Diät anerkannt wurden, dann war er hier genau richtig. Denn für Sport hatte Nicolas weder Zeit noch Lust, und trotzdem hielt er seine fünfundachtzig Kilo seit Jahren, ohne dafür Kalorien zählen zu müssen. Bei seiner Größe von deutlich über einem Meter achtzig war das ein akzeptables Wohlfühlgewicht.

2

Am späteren Abend, die Glut des Grills knisterte noch leise vor sich hin, schaute sein Nachbar kurz vorbei. Eigentlich wollte José ja nur den Bohrhammer zurückbringen, den er sich letzte Woche für einen Mauerdurchbruch ausgeliehen hatte.

José war wie die meisten Bauarbeiter, sofern sie nicht Araber waren, portugiesischer Abstammung. Es gab sogar einen französischen Witz darüber, dass portugiesische Frauen ihre neugeborenen Jungs gleich nach der Geburt gegen die Wand warfen: Bleiben sie an der Wand kleben, werden sie später mal Maurer, fallen sie herunter, werden sie später mal Fliesenleger.

In seiner Freizeit werkelte José an einer ehemaligen Scheune aus Bruchstein, die er mittlerweile in ein nettes provenzalisches Häuschen umgewandelt hatte. Inzwischen fand er jeden Monat mehrere Visitenkarten von Maklern in seinem Briefkasten, die für ihre zahlungskräftigen Kunden aus England, Italien oder Skandinavien Häuser suchten. Diese Visitenkärtchen schafften es nicht einmal bis in sein Haus. Für sie und für die unzähligen Postwurfsendungen hatte José neben seinem Briefkasten einen Korb installiert, zur Zwischenlagerung, bevor alles in den Altpapiercontainer wanderte.

Letztes Jahr hatte José mit dem Bau einer Garage an der Rückseite des Hauses begonnen. Hätte jemand gefragt, so hätte José erklärt, dass seine Frau ein drittes Kind erwartete und er deshalb ein zweites Auto anschaffen möchte (die Tatsache, dass seine Frau überhaupt keinen Führerschein besitzt, ist lediglich ein unwesentlicher Schönheitsfehler in dieser Begründung). Da die besagte Garage weniger als zwanzig Quadratmeter aufwies, erforderte deren Errichtung lediglich eine Bauabsichtserklärung, die im Gegensatz zu einer Baugenehmigung kostenlos war, und man konnte nach Ablauf einer kurzen Widerspruchsfrist gleich mit den Arbeiten beginnen, da es keiner Genehmigungsprozedur bedurfte. Auch erhöhte die Garage den Wohnwert des Hauses nur unwesentlich, was sich für José wiederum günstig auf die von der Gemeinde erhobene Wohnsteuer auswirkte.

Es wurde eine sehr schöne Garage, die sogar wärmeisoliert war und deren Fenster einen hübschen Blick auf den Garten bot. Für Kenner der hiesigen Mentalität war es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Garage niemals ein Auto beherbergte und auch kein Garagentor eingebaut wurde.

Nun, nach der Geburt von Manuel, würde in der Mauer zwischen Garage und Wohnhaus an einem Samstagnachmittag ein Durchbruch herausgestemmt und eine Türe eingesetzt. Herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Kinderzimmer, Manuel!

José und Christina freuten sich natürlich auf ihren Zuwachs, aber irgendwas schien José zu bedrücken. Nicolas kannte seinen Nachbarn mittlerweile gut genug, und so nutzte er dieses Gespräch unter Männern, José ein bisschen auf den Zahn zu fühlen.

Fast als hätte José nur darauf gewartet, begann er von seinen Sorgen auf der Arbeit zu erzählen.

»Weißt du, die Firma, in der mein Kumpel arbeitet, ist übernommen worden. Der verliert jetzt seinen Job. Und bei uns – das sind nun schon zwei Bauaufträge, die mein Arbeitgeber dieses Jahr bereits verloren hat. Der Polier hat im Büro zufällig mitbekommen, dass wir bei den Ausschreibungen von ausländischen Firmen um über zwanzig Prozent unterboten wurden«, beendete er schließlich die Geschichte.

»Firmen aus dem Osten?«, hakte Nicolas nach.

»Polen, ja die auch. Aber hauptsächlich spanische Firmen und auch portugiesische.« Letzteres schien José besonders peinlich zu sein. Seine eigenen Landsleute nahmen ihm hier in Frankreich offenbar die Arbeit weg. »Als Lohn wird meist nur der Mindestlohn gezahlt, und das sind in Spanien gerade mal achthundert Euro, in Portugal sogar noch weniger. Da können sie die Kollegen mit Bussen hierher kutschieren, in Containern vor Ort unterbringen und sind trotzdem noch viel billiger.«

Nicolas konnte Josés Bedenken nur allzu gut nachvollziehen. José hatte sich hier gut eingelebt und sich ein einfaches und ruhiges Leben eingerichtet.

Nicolas könnte sich im Notfall, unabhängig und flexibel, wie er war, einfach einen neuen Luxusspielplatz suchen und seinen Kunden genauso gut in Dubai, Miami, oder welcher Jetset-Hotspot dann auch immer gerade aktuell sein würde, seine Dienste anbieten.

Aber wenn Nicolas ganz ehrlich war, wollte auch er sein kleines Refugium hier oben über der Küste unter keinen Umständen aufgeben.

So verging der Abend, und über einem Gläschen zu Josés Begrüßung, einem zum Begießen des besagten Mauerdurchbruchs und einem zum Wegspülen der Sorgen entwickelte sich dann doch noch eine längere Diskussion über die egoistischen Firmenbosse und Eurokraten in Brüssel, die fern aller Realität das Leben von José und Nicolas mehr und mehr beeinflussten.

Und so grummelten und lamentierten die beiden Einwanderer wie zwei alte Franzosen über den unaufhaltbaren Fortschritt rund um sie herum und die damit einhergehende Verringerung der Lebensqualität.

Sie verabschiedeten sich mit der Schlussfolgerung, dass früher, als alle Nationalstaaten mehr oder weniger noch ihr eigenes Süppchen kochten, eben doch alles besser war.

Über diese ausgedehnte Diskussion hatte Nicolas völlig vergessen, den Grillrost runterzunehmen. Jetzt, am Morgen danach, waren Fett und Fleischreste eingebrannt, und wenn er nicht durch rabiates Schrubben mit der Metallbürste die Hälfte des Nirosta zerstören wollte, so musste er den Rost erst mal einige Stunden in Seifenwasser einlegen – na ja, so was kommt vor, und die saftige Lammkeule mit den Röstaromen des Holzkohlefeuers war den Zusatzaufwand allemal wert gewesen.

Nachdem er noch die cadavres (zu Deutsch: Kadaver, der französische »Fachausdruck« für die leer getrunkenen Flaschen) beseitigt hatte, machte er seine wöchentliche Kontrollrunde durch den Garten.

Nicolas hatte, wie man es auf Französisch nannte, den »schwarzen Daumen«, was bedeutete, dass seine Hände, im Gegensatz zu einem »grünen Daumen«, nicht das geringste Geschick für den Umgang mit Pflanzen aufwiesen. Aus diesem Grund hatte er bei der Gestaltung seines Gartens und der Auswahl der Pflanzen viel Wert auf Pflegeleichtigkeit gelegt. Regelmäßiges Ausputzen, Unkrautjäten, Beschneiden und Düngen anspruchsvoller Gewächse würde er garantiert ständig vergessen, und so kamen die Pflanzen seines Gartens im Großen und Ganzen ohne seine Hilfe aus – es blieb ihnen ja auch nichts anderes übrig.

Hinter dem flachen Anbau aus Naturstein, der sein Wohn- und Arbeitszimmer beherbergte, stand ein sogenannter Vierjahreszeiten-Zitronenbaum, der dank mehrerer Blütenzyklen das ganze Jahr über beerntet werden konnte. Zu dieser Jahreszeit trug er nicht nur schwer an Früchten, sondern entwickelte gleichzeitig auch noch neue Blüten für die nächste Ernte.

An der Westseite des Wohnzimmers stand der achteckige, fast zehn Meter hohe Steinturm, der in früheren Zeiten eine Zisterne gewesen war. Der Besitzer hatte den inneren Wasserbehälter entfernt und Zwischenböden eingezogen, sodass ein Wohnturm mit zwei Etagen entstand. Als Nicolas das Gebäude vor fünf Jahren mietete, hatte er im Vertrag eine Option auf ein Vorkaufsrecht zu seinen Gunsten eintragen lassen, und so konnte er es gleich zu Beginn riskieren, in einen Umbau nach seinen Vorstellungen zu investieren, denn dass er dieses Häuschen eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages kaufen wollte, das war für ihn schon nach kurzer Zeit beschlossene Sache.

Heute befand sich in dem circa zwölf Quadratmeter großen Erdgeschoss des Turms die Küche. Sie bot mit ihrer annähernd runden Form einen idealen Arbeitsbereich, da alle Schränke mit ein, zwei Schritten schnell erreichbar waren. An der Wand entlang führte eine Treppe in die beiden oberen Etagen, wobei der Raum unter den Stufen als Einbauschrank konzipiert war, um auch jeden Quadratzentimeter effektiv auszunutzen.

Im ersten Stock war das Badezimmer, ganz oben lag Nicolas’ Schlafzimmer. Die dafür eingebauten Fenster waren aus statischen Gründen sehr klein gehalten. In Kombination mit den dicken Steinmauern sorgten sie auch bei größter Hitze für ein kühles Schlafzimmer, sodass Nicolas nicht auf die Mithilfe einer permanent surrenden Klimaanlage angewiesen war.

An der Außenseite des Turms begann der Efeu etwas zu ungestüm zu wuchern und müsste eigentlich mittels radikalen Zurückschneidens energisch in seine Schranken verwiesen werden, aber das würde noch warten müssen. Für morgen stand bereits der nächste Kunde vor der Tür, und da Nicolas weder den Kunden noch dessen Vorstellungen für den fünftägigen Monacoaufenthalt kannte, musste er verschiedene Optionen vorbereiten. Er musste über Veranstaltungen und Partys Bescheid wissen und welches Publikum dort vertreten sein würde.

Noch wichtiger war vor allem, wo man sich nicht blicken lassen durfte, weil dort nur VIP-geile No-Names herumschwirrten.

Nicolas war gern für alle Eventualitäten gerüstet, um jeden Wunsch seiner Kunden so schnell und so perfekt wie möglich umzusetzen, und zum Glück war Monaco mit seinen zweieinhalb Quadratkilometern ein recht überschaubares Terrain. Mit drei oder vier Anrufen bei seinen zuverlässigen Quellen sollte er in weniger als einer halben Stunde einen sehr detaillierten Überblick bekommen.

3

»Haben Sie keinen Nachnamen, Nicolas?«, fragte der Russe, nachdem sie das Flughafengelände verlassen hatten und sich in den beginnenden Berufsverkehr einfädelten.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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