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NINA MORETTIS 9. FALL Ne bis in idem. Nie zweimal für die gleiche Tat. Der Rechtsspruch, der bereits in der Römerzeit zur Anwendung kam und auch im deutschen Grundgesetz verankert ist, stellt Hauptkommissarin Nina Moretti auf eine harte Geduldsprobe. Vor ziemlich genau zehn Jahren wurde im Westerwald die Leiche einer jungen Frau gefunden. Der mutmaßliche Täter war damals schnell gefasst. Doch der Richter zweifelte an der Schuld des Angeklagten und sprach ihn frei. Jetzt geschieht ein weiterer Mord. Am selben Ort und unter den gleichen Umständen. Aber handelt es sich auch um denselben Täter? Für Oberkommissar a. D. Hans Peter Thiel, der damals die Ermittlungen führte, ist der Fall schnell klar. Doch das Blatt wendet sich und aus dem Jäger wird der Gejagte. Thiel selbst gerät in das Visier der Ermittlungen. Nina Moretti steht vor einem Rätsel. Ist der ehemalige Kollege tatsächlich zu solch einer Tat fähig, oder handelt es sich lediglich um ein tödliches Spiel?
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Seitenzahl: 510
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Titelseite
Impressum
Über den Autoren
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Epilog
So etwas wie eine Danksagung
Leseprobe
Micha Krämer
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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Umschlaggestaltung: Carsten Riethmüller
eISBN 978-3-8271-8331-6
EPub Produktion durch ANSENSO Publishing
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„Mit Micha Krämer hat ein neues Talent die Szene betreten. Ich mag seine Schreibe. Er kann etwas, das langsam aus der Mode kommt: eine Geschichte erzählen und uns fesseln“, schrieb Bestsellerautor Klaus-Peter Wolf einst über Micha Krämer.
Dieses Talent demonstriert der Kultautor und Musiker aus dem Westerwald nicht nur in seinen zahlreichen Romanen und Jugendbüchern, sondern auch bei seinen Lesungen, die mittlerweile ganze Hallen füllen. Wer einmal mit dem Mythos Nina Moretti angefixt ist, den lassen die Geschichten rund um die junge Kommissarin nicht mehr los.
Der Roman spielt hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.
Er stöhnte leise auf, als die Nadel seine Haut und die Wand der darunterliegenden Vene durchbohrte. Es pochte kurz, doch dann ließ der Schmerz schnell wieder nach. Seine Muskeln erschlafften, und die Anspannung fiel langsam von ihm ab. Ruhig beobachtete er, wie der rote Lebenssaft sich seinen Weg suchte. Tropfen für Tropfen sickerte das Blut aus seiner Ader. Er hatte sein Leben, so, wie er es bisher geführt hatte, gemocht und in vollen Zügen genossen. Gleichzeitig hatte es ihn aber auch immer mehr angewidert. Er war ein Sklave seiner Habsucht geworden, die vor zehn Jahren mit dem Tod seines ersten Opfers begann. Es hatte ihm gefallen, der Herr über Leben und Tod zu sein. Ihn erregte es, in ihre Augen zu sehen, wenn das Lebenslicht darin für immer verlosch. Er hatte immer mehr gewollt und dabei viel zu hoch gepokert. Und jetzt war es vorbei. Er hatte verloren und musste nun die Konsequenzen tragen. Lange hatte er sich auf diesen Moment vorbereitet und wie beim Schach jeden seiner Züge akribisch durchdacht. Angst vor diesem Tod ... und was danach kam, hatte er nicht. Nein ... alles würde gut werden. Er würde endlich wieder frei sein. Für wie lange, das lag an ihm. Der Druck, der die letzten Wochen auf ihm gelastet hatte, war enorm gewesen. Er schloss die Augen, schwelgte, wie so oft in den letzten Tagen, in seinen Erinnerungen und musste dabei zufrieden lächeln. Er war wahrlich ein Teufel. Ein Mann, der sich immer genommen hatte, was und wen er wollte. Er hatte schlimme Dinge getan, die ihm jedoch immer wieder eine große Befriedigung gebracht hatten. Sie würden ihn niemals zu fassen bekommen. Nein, das war vollkommen ausgeschlossen. Dafür war er zu schlau. Nun gut, man konnte derzeit mit Fug und Recht behaupten, er wäre angezählt. Schach, aber noch nicht Matt. Und wie ein Schachprofi würde er einfach seine Dame opfern, um am Ende doch noch zu siegen. Er würde das Ruder herumreißen. Es konnte gar nicht schiefgehen. Natürlich war ihm klar, dass sie in den nächsten Tagen herausfinden würden, was er getan hatte. Ja, bestimmt konnten sie, wenn sie ordentlich ermittelten, noch den einen oder anderen Fall mit ihm in Verbindung bringen. Nicht alle ... da ja auch nicht wirklich jedes seiner Opfer vermisst wurde. Es gab unter Gottes Sonne tatsächlich viele, nach denen niemals gesucht werden würde, da keiner je von ihrer Existenz gewusst hatte. Täglich verschwanden Menschen, von denen niemand in der zivilisierten Welt ahnte, dass sie jemals auf Erden gewandelt waren. Und da, wo sie hergekommen waren, dachte auch niemand mehr an sie, weil es eh viel zu viele von ihnen gab. Aber an ihn, den Minotaurus in seinem Labyrinth, würden die, die ihn jagten, noch lange denken. Nur finden ... finden würden sie ihn in diesem Leben nicht mehr.
Freitag, 23. September 2016, 20:36 Uhr Stadthallenrestaurant Betzdorf
Die Kalbsbäckchen auf Wirsinggemüse waren tatsächlich ein kulinarischer Kracher. Da hatte Dominic Friedrichs, der Betreiber des Restaurants, nicht zu viel versprochen. Auch der Nachtisch, ein Sorbet aus Früchten und hausgemachtem Vanilleeis, war nicht nur ein Augenschmaus, sondern auch sehr, sehr lecker. Dennoch verging Hans Peter Thiel just in dem Moment, als er den zweiten gut gehäuften Löffel davon zum Munde führte, schlagartig der Appetit.
„Vielleicht ist es besser, wir gehen jetzt“, knurrte er, ließ den Dessertlöffel auf den hübsch verzierten Teller sinken und schob diesen dann von sich.
Inge Moretti, seine Lebensgefährtin, sah erstaunt auf.
„Was ist denn, schmeckt es dir nicht? Geht es dir nicht gut?“, erkundigte sie sich besorgt.
Hans Peter deutete mit einer Kopfbewegung zu einem Tisch nahe dem Eingang, an dem eine junge, attraktive, dunkelhaarige Kellnerin gerade die Bestellung der Getränke entgegennahm.
Inge wirkte irritiert. „Was ist denn mit dem Mädchen? Sie war doch nett und zuvorkommend.“
Hans Peter schnaufte, verdrehte die Augen, beugte sich vor und flüsterte: „Ich meinte nicht das Kind, sondern den Mann, der da zusammen mit der jungen Rothaarigen sitzt und tut, als wäre nie etwas gewesen.“
Inge kniff die Augen zusammen und schielte vorsichtig zu dem Tisch.
„Wieso? Was soll denn gewesen sein, dass der nicht so schauen darf, wie er es gerade tut?“, wollte sie wissen.
Hans Peter blieb ihr die Antwort schuldig. Die Angelegenheit war kompliziert, weshalb er es ihr später in aller Ruhe erklären würde. Er zog seine Brieftasche aus dem Sakko und winkte Dominic Friedrichs zu, der ihn ziemlich verdattert anblickte, dann aber herbeieilte.
„Jungchen, ich möchte gerne zahlen“, erklärte Hans Peter und reichte dem Wirt einen Fünfzigeuroschein.
„Reicht das?“
Dominic Fridrichs kniff die Augen zusammen. „War etwas nicht in Ordnung? Hat‘s euch beiden nicht geschmeckt?“, fragte er, ohne den Geldschein zu beachten.
„Essen war ganz gut. Leider schlagen mir deine Gäste ein wenig auf den Magen“, erklärte er dem Wirt den Sachverhalt knapp und bemerkte, wie Inge ihn nun fast zornig anfunkelte. Dominic Friedrichs ließ seinen Blick durch das gut gefüllte Lokal schweifen und blieb an einem der Tische im hinteren Bereich hängen.
„Meinst du Bürgermeister Brato und die Leute aus dem Stadtrat?“, kombinierte er grinsend und setzte sich auf den freien Stuhl direkt neben Inge.
Hans Peter verdrehte die Augen. Es half nichts. Er würde, bevor es hier noch zu Missverständnissen kam, seine Beweggründe, das Lokal zu verlassen, doch noch ein wenig präziser ausführen müssen.
„Jetzt pass ma auf, Jungchen, wenn ich was gegen die ortsansässige Politikprominenz hätte, dann würde ich bestimmt nicht in deinen durchaus sehr gepflegten Laden gehen, sondern in die nächstbeste Dönerbude oder zu McDonald’s. Nein, mein Junge, ich meine den Typ da drüben ... den mit der rothaarigen Schönheit ... direkt neben dem Ausgang“, erklärte er ihm ganz langsam und griff sich an die Brusttasche seines Hemdes, in der sich bis vor einigen Monaten noch die Schachtel mit den Zigaretten befunden hatte. Ein Gewohnheitsreflex, den er wohl bis ans Ende seiner Tage nicht mehr ablegen könnte, obwohl er ganz bestimmt nie mehr rauchen würde, weil er dies so für sich entschieden hatte. Hans Peter lebte seine Prinzipien. Wenn er etwas sagte oder beschloss, dann zog er das ohne Wenn und Aber durch! Auch wenn es ihm gelegentlich schon einmal schwerfiel. Rauchen war so eine Sache. Er hatte es über vierzig Jahre lang genossen und im letzten Sommer beschlossen, damit aufzuhören, da es ihn beinahe ins Grab gebracht hätte.
„Keine Ahnung, wer das ist“, meinte Dominic Friedrichs, nachdem er den Gast, der sich angeregt mit seiner Begleiterin unterhielt, einen Moment betrachtet hatte.
„War mir klar, dass du das nicht weißt, mein Junge. Deshalb erklär ich dir das ja jetzt. Der da hinten, das ist Marios Karas. Ein Grieche, der vor ein paar Jahren seine damalige Freundin zuerst vergewaltigt und im Anschluss erwürgt hat“, klärte Hans Peter ihn auf. Die Augen von Inge weiteten sich, und auch Dominic schien nun ein wenig verunsichert.
„Bist du dir sicher?“, fragte er nach einigen Sekunden.
„Natürlich bin ich mir sicher! Denkst du etwa, ich wär senil? Den Vogel würde ich unter einer Million Menschen sofort wiedererkennen“, fauchte er.
„Ähm, und was macht der hier auf freiem Fuß, wenn er ein Mörder und Vergewaltiger ist?“, wollte der Wirt wissen.
„Tja, Friedrichs, da fragst du leider den Falschen. Wenn es nach mir gegangen wär, hätte ich den nämlich weggesperrt, bis er verschimmelt. Es ging aber nicht nach mir. Der Herr Richter Wulf war der Ansicht, dass die Beweise gegen Karas nicht schlüssig genug waren, und hat ihn deshalb freigesprochen. Außerdem haben ihm seine sauberen Kumpane ein Alibi gegeben.“
Dominic Friedrichs biss sich auf die Unterlippe und sah einen Moment zur Zimmerdecke. Deutlich war ihm anzusehen, wie es in dem ansonsten sehr spontan veranlagten Wirt arbeitete.
„Also, versteh ich das jetzt richtig? Der Mann da drüben wurde eines Mordes beschuldigt, kam vor Gericht und wurde freigesprochen?“, fragte er noch einmal nach.
„Genau so, du Schnellmerker“, antwortete Thiel.
„Na, vielleicht ist er ja tatsächlich unschuldig gewesen, Hans Peter. Der Richter wird ihn ja schließlich nicht einfach so freigesprochen haben“, fiel Inge ihm jetzt auch noch in den Rücken.
„Genau, kann ja sein, dass du dich damals tatsächlich vertan hast. Kann ja mal passieren ... selbst so einem Superbullen wie dir“, pflichtete Friedrichs ihr bei.
Hans Peter holte tief Luft, knallte den Fünfzigeuroschein, den er noch immer in den Händen hielt, auf den Tisch und erhob sich.
„Wenn ihr das meint, könnt ihr euch ja zu dem Aas rübersetzen und noch ein Schwätzchen mit ihm halten. Ich für meinen Teil möchte mir jedoch mit so einem Menschen noch nicht mal die Atemluft in diesem Raum teilen“, spie er so laut aus, dass mit einem Mal sämtliche Gespräche in dem Lokal verstummten.
„Okay, Hans Peter, wenn du das meinst, dann wünsche ich euch beiden noch einen netten Abend“, gab Dominic Friedrichs resigniert auf, während Thiel sich erhob und zur Garderobe ging.
„Hans Peter, setz dich doch bitte wieder hin“, hörte er Inge bittend hinter sich flehen. Hans Peter ignorierte sie. Er musste hier schnellstens raus, oder er würde platzen. Der Fall Marios Karas war ein wunder Punkt in seiner Polizistenlaufbahn. Ein Stachel, der sehr tief saß. Hans Peter war sich sicher, dass Karas das Mädchen damals getötet hatte. Nicht nur, dass die Beweise eindeutig gewesen waren. Nein, der arrogante Schnösel hatte die Tat sogar gestanden. Dumm war nur, dass es keine Zeugen außer Hans Peter selbst gab, die dieses Geständnis mitangehört hatten. Vor Gericht hatte er dann alles abgestritten und sogar ein Alibi für die Zeit des Mordes präsentiert. Angeblich war er an dem betreffenden Abend mit drei Freunden in einem Kölner Bordell gewesen. Ein auf den ersten Blick bombensicheres Alibi, das die drei Jungs auch vor Gericht beschworen hatten. Hans Peter riss seinen Mantel von der Garderobe, schlüpfte hinein, nahm dann den von Inge und ging zurück zum Tisch. Sein Blick fiel erneut auf Marios Karas. Der Grieche hatte ihn nun auch bemerkt und gaffte triumphierend zu ihm herüber. Hans Peter glaubte von sich sagen zu können, ein ruhiger und besonnener Mensch zu sein. Doch beim Anblick des grinsenden Mannes musste er schon verdammt an sich halten, um nicht zu ihm hinüberzugehen und dem Typen mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Selbstverständlich würde er so etwas nicht tun. Aber es war tatsächlich besser, jetzt zu gehen, bevor seine gute Kinderstube sich mit einem Mal verflüchtigte und ... Nun ja. Man sollte eben nie Nie sagen.
„Dominic, das tut mir so leid, aber ...“, stammelte Inge gerade, als Hans Peter zurück an den Tisch kam. Langsam erhob sie sich und blickte Hans Peter dabei so zornig an, als ob er der Grund dafür sei, dass dieser bislang so wunderbare Abend so unglücklich enden musste.
„Schon gut, Inge, mach dir mal keinen Kopf. War denn bei dir ansonsten alles in Ordnung? Hat es dir geschmeckt?“, lenkte Dominic Friedrichs ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Ja, natürlich, Dominic. Alles hervorragend“, säuselte sie, während Thiel ihr in den Mantel half.
„Gut, dann wie gesagt, noch einen schönen Abend und grüßt mir Nina und Klaus ganz lieb“, verabschiedete der Wirt sich. Hans Peter nickte nur. Das Schlimmste stand ihm ja noch bevor. Marios Karas saß genau am Ausgang. Sie mussten, um das Lokal zu verlassen, an ihm vorbei. Der Grieche beobachtete ihn noch immer mit einem schleimigen Grinsen in seiner widerlichen Fratze.
Dominic Friedrichs war genervt. Er hasste Vorfälle wie den gerade eben mit Thiel. Gut, er kannte den alten Stinkstiefel und wusste ihn so zu nehmen, wie er war. Der Alte war gelegentlich schon mal schräg drauf. Was Dominic allerdings ganz und gar nicht verstand, war, wie Inge Moretti, die Mutter seiner ehemaligen Schulkameradin Nina, es mit dem alten Bullen aushielt. Die beiden älteren Herrschaften kamen, seit er das Lokal vor über zwei Jahren eröffnet hatte, des Öfteren in die Stadthalle. Auch vorher, als er selbst noch als Angestellter das Schlosshotel in Friedewald geleitet hatte, waren die beiden in unregelmäßigen Abständen dorthin zum Speisen gekommen. Stammgäste halt.
Thiel bestellte meist etwas mit Fleisch, dazu immer ein alkoholfreies Bier. Inge hingegen eher Fisch und einen Wein. Sie war von dem, was seine Jungs in der Küche zauberten, bisher immer begeistert gewesen und sagte es auch. Thiel schien es ebenfalls zu schmecken. Davon war Dominic fest überzeugt. Doch anders als seine Begleitung würde der Mistkerl es niemals zugeben. Nein, wenn man ihn nachher fragte, war es immer nur „ganz gut“ oder „ganz in Ordnung“. Meist verriet ihn dabei aber sein zufriedenes Grinsen. Worte wie „Sehr gut“, „Prima“, „Lecker“, „Ausgezeichnet“ oder gar „Hervorragend“ fehlten hingegen in Thiels Wortschatz zur Gänze.
Was hatte er jetzt eigentlich von ihm erwartet? Dass er einen anderen Gast rausschmiss, nur weil der ehemalige Bulle diesen nicht mochte? Nun ja. Gegen den Mann mit dem griechischen Namen war schon einmal ermittelt worden. Schön und gut. Aber ein Freispruch war nun mal ein Freispruch. Der Richter würde sich schon etwas dabei gedacht haben, ihn laufen zu lassen.
Als Dominic mit den Desserttellern in der Hand gerade den Durchgang zur Küche passieren wollte, hörte er durch die Geräuschkulisse des Lokals eine durchdringende sonore Stimme sagen: „Na, das ist ja mal eine reizende Überraschung, Herr Kriminalkommissar Thiel. Immer wieder nett, Sie zu treffen.“
Dominic war lange genug Gastronom, um aufkeimenden Ärger in seinem Restaurant förmlich zu wittern. Er machte also auf dem Absatz kehrt, stellte die Teller entgegen seiner Gewohnheit einfach hastig neben der Kasse auf die Theke und eilte zum Ausgang, wo er gerade noch mitbekam, wie Thiels Ellenbogen die Nase des anderen Gastes traf. Der Schlag war nicht fest gewesen. Nein, er reichte noch nicht einmal aus, um den anderen vom Stuhl zu fegen. Dennoch sprang der nun auf und packte Thiel am Kragen seines Mantels. Ohne zu zögern, ging Dominic dazwischen, wischte die Hand des Fremden beiseite und versuchte gleichzeitig Thiel in Richtung Ausgang zu schieben.
Dabei nahm er den strengen Geruch nach Alkohol wahr, der von dem Griechen ausging.
„Aha, der Herr Kommissar ist nachtragend“, lallte der und betastete seine Nase, aus der nun doch etwas Blut tropfte. Dominic stemmte sich gegen Hans Peter, der erneut in Richtung des Fremden drängte.
„Ich krieg dich noch, Karas. Und wenn es das Letzte ist, was ich auf Erden erledige. Ich lass dich wegsperren“, schrie Thiel.
Karas lachte auf.
„Du kriegst mich nie, Thiel. Schon vergessen? Der Richter hat mich freigesprochen. Ne bis in idem. Du alter seniler Sack kannst mir gar nichts. Ne bis in idem. Nie zweimal für die gleiche Sache“, lachte der andere ziemlich dreckig.
Dominic mobilisierte alle seine Kräfte und schob Thiel weiter.
„Mädchen, du solltest dich vor dem Typen in Acht nehmen. Die Letzte hat das Abendessen mit ihm nicht überlebt“, bellte der jetzt auch noch in Richtung der Rothaarigen. Die Augen des Griechen blitzten hasserfüllt, während die junge Frau nur verdutzt dreinschaute.
Elegant beförderte Dominic erst einmal Hans Peter Thiel durch die Glastür nach draußen auf das Podest der großen Treppe.
Der Alte grinste plötzlich zufrieden. Wie es schien, war er mit dem, was er getan hatte, hochzufrieden.
„Sag mal, bist du jetzt total bekloppt? Verdammt, Hans Peter, du kannst dem Typ doch nicht einfach eine reinhauen“, zischte Dominic zornig.
Hans Peter schüttelte ihn ab und strich seinen Mantel glatt.
„Dann hätte mich das Arschloch nicht so blöd von der Seite anquatschen sollen. Aber na ja. Wenigstens ist die kleine Maus bei ihm jetzt gewarnt“, erklärte er und fasste sich an die Brust.
Dominic folgte erschrocken der Handbewegung. Nicht dass Thiel jetzt auch noch einen Infarkt hier bei ihm bekam. Das fehlte jetzt noch. Doch Hans Peter betastete lediglich die Brusttasche seines Hemdes, schüttelte den Kopf und setzte den Fuß auf die oberste Stufe der Treppe.
Als Nächstes würde Dominic den anderen Gast besänftigen müssen. Vielleicht mit einem Drink auf Kosten des Hauses? Mal sehen.
Er wandte sich ab, um zurück ins Lokal zu gehen, und sah in Inges betrübtes Gesicht. Hinter ihr, durch die Glastür bemerkte er den Gast mit dem griechischen Namen, der ihnen nun doch noch hinterherkam. Na super! Der fehlte ihm jetzt noch! Konnte der Typ sich nicht einfach wieder hinsetzen und fünfe gerade sein lassen?
Dominic seufzte, riss entschlossen die Tür zum Restaurant auf und stellte sich dem Mann in den Weg.
„Es ist alles in Ordnung. Setzen Sie sich bitte wieder. Der Vorfall tut Herrn Thiel leid“, log er jetzt einfach mal, um die Lage nicht noch weiter eskalieren zu lassen.
„Lass mich gefälligst durch, du Kasper. Ich lass mir doch nicht von dem Scheißbullen eine verpassen und den Abend mit meiner Freundin versauen. Den mach ich fertig“, keuchte der Mann zornig und versuchte ihn zur Seite zu schieben. Die Alkoholfahne, die von ihm ausging, war ekelhaft. Dominic sah kurz nach draußen. Von Thiel und Frau Moretti war bereits nichts mehr zu sehen. Zumindest etwas Positives. Den „Kasper“ überging er geflissentlich, obwohl es ihm selbstverständlich missfiel, so tituliert zu werden. Doch als Gastronom war er über die Jahre einiges gewöhnt, was den Umgang mit Betrunkenen anging.
„Herr Thiel ist doch längst gegangen. Warum setzen Sie sich nicht einfach wieder zu Ihrer charmanten Begleitung an den Tisch, nehmen einen Drink aufs Haus und vergessen das Ganze.“
„Nichts werde ich vergessen. Der Bulle ist doch nur sauer, dass er mir das mit Jasmin damals nicht nachweisen konnte“, zischte der, und Dominic war sich nun nicht mehr sicher, ob der Kerl tatsächlich mit ihm sprach oder lediglich mit sich selbst. Ein teuflisches Grinsen huschte über das Gesicht des Fremden. Tief sog er die Luft ein, schob Dominics Hände beiseite, straffte sein Sakko und flüsterte mit einem letzten Blick durch die Glastür nach draußen: „Mit dir bin ich noch nicht fertig, Bulle. Neues Spiel, neues Glück. Mich wirst du nie bekommen! Ne bis in idem ... in idem“, flüsterte er und ging dann einfach zurück ins Lokal.
Dominic blieb im Gang stehen und sah dem Griechen hinterher, der beruhigend auf seine Begleitung einsprach. Die junge Frau, die gut und gerne zehn oder sogar fünfzehn Jahre jünger war als Karas, schien verunsichert. Wie hatte der Typ noch gerufen? Ne bis ... in idem. Ja, genau das waren seine Worte gewesen. Dominic hatte diesen Satz schon einmal gehört. Aber wann und in welchem Zusammenhang ... daran konnte er sich nicht mehr erinnern. Dennoch war seine Neugier geweckt. Er verließ das Lokal, ging die Treppe hinunter und setzte sich auf eine der unteren Stufen. Für Ende September war es recht mild. Er kramte in seinen Hosentaschen nach seinem Smartphone und den Zigaretten und zündete sich eine an. Typen wie Thiel und dieser Gast waren schuld, dass er rauchte. Als er den Rauch zu den angeleuchteten Kronen der mächtigen Eichen emporblies, fiel ihm ein, weshalb Thiel sich vorhin zweimal an die Brust gefasst hatte. Der alte Mistkerl hatte seine Zigaretten gesucht, die er früher immer in seiner Brusttasche gehabt hatte.
Während Dominic rauchte, um sich wieder zu beruhigen, tippte er die Worte des Griechen in sein Smartphone. Ne bis in idem. Nie zweimal für die gleiche Tat, las er die Artikelüberschrift bei Wikipedia. Nachdem er den Anfang des Artikels über den alten römischen Rechtsspruch überflogen hatte, wusste er, um was es ging. Verdammt! Thiel hatte vermutlich recht gehabt. Hätte ein Unschuldiger bei dem Streit vorhin nicht noch einmal seine Unschuld beteuert? Doch, hätte er! Dieser Karas hatte nichts dergleichen getan. Im Gegenteil, er hatte, ohne es tatsächlich auszusprechen, den Richter, Thiel, seine Tat und auch das Opfer verhöhnt. Und jetzt saß dieser Mörder in seinem Lokal und aß von seinem Tisch. Vielleicht sollte er den Typen einfach rausschmeißen. Auf so einen als Gast konnte er gut verzichten. Entschlossen stand er auf, drückte die Zigarette im Ascher aus und ging wieder hinein.
Dienstag, 25. Oktober 2016, 23:52 Uhr Betzdorf, Karl-Stangier-Straße / Haus der Familie Moretti
Nina Moretti rekelte sich in dem alten Cocktailsessel in ihrem Schlafzimmer, ließ ihre Beine über die Lehne baumeln und sah gedankenversunken aus dem Fenster. Sie war alt geworden. Genau genommen heute auf den Tag sechsunddreißig Jahre. Je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr kam sie zu der Überzeugung, dass sechsunddreißig sogar schon sehr, sehr alt war. Wenn man es mal ganz nüchtern und rein statistisch betrachtete, war die Hälfte ihres Lebens nun vorbei und sie hatte in dieser Zeit noch nichts Weltbewegendes erreicht. Während alle ihre Freundinnen und ehemaligen Schulkameradinnen längst eine eigene Familie und einen Drei-Liter-SUV besaßen, mit dem sie die Taxifahrten für ihren Nachwuchs absolvierten, wohnte sie noch immer im Hotel Mama und fuhr den alten marinablauen VW Käfer ihres verstorbenen Papas. Gut, es gab auch Lichtblicke. Sie hatte einen anständigen Job. Sie war verbeamtet und seit zwei Wochen sogar Kriminalhauptkommissarin. Was die Sache allerdings nicht besser machte. Im Gegenteil. Als sie nach der Schule, mit neunzehn, zur Polizei gegangen war, hatte es da damals natürlich auch schon Hauptkommissare gegeben. Allesamt altgediente Beamte. Alte Menschen eben. Und jetzt war sie eine von denen.
Ihr Blick fiel auf das gerahmte Foto auf dem kleinen Beistelltisch neben ihrem Sessel, das von der gedimmten Stehlampe sanft angestrahlt wurde. Es zeigte Linus und Leah, ihre Patenkinder. Die beiden waren wirklich groß geworden. Das Foto hatten die zwei ihr heute Nachmittag zum Geburtstag geschenkt. Sie lehnte sich zurück und dachte über ihre Zukunft nach. So konnte es doch nicht immer weitergehen. Sie wollte auch eine Familie.
Ihr Blick wanderte zum Bett, in dem Klaus friedlich schnarchte. Der Mann passte schon mal. Den brauchte sie nicht zu ändern. Alles gut! Auf einen protzigen Geländewagen, mit dem man noch nicht mal wirklich ins Gelände fahren konnte, würde sie ebenfalls dankend verzichten. Auf dem Rücksitz ihres alten VW Käfers war genug Platz für zwei Kindersitze ... in der Not auch für drei. Das sollte fürs Erste reichen. Und die Sache mit dem Eigenheim wurde auch vollkommen überbewertet. Sie wohnte gerne in dem Haus, das Papa für sie und Mama mit seinen eigenen Händen gebaut hatte. Okay, sie könnte endlich damit anfangen, einmal selbst ihre Wäsche zu machen und den Haushalt zu schmeißen. Eben alle die Arbeiten selbst zu verrichten, die bisher immer noch ihre Mutter für sie erledigte. Nicht, dass Nina sie darum bitten würde ... nein. Es nervte sogar irgendwie, und es war ihr ein wenig peinlich, dass ihre Mama ihr ständig hinterherräumte. Es war aber zugegebenermaßen auch sehr angenehm ...
Das Vibrieren ihres Mobiltelefons riss Nina aus ihren Gedanken. Sie nahm das Gerät von dem kleinen Beistelltisch und betrachtete das Display. Wenn die Leitstelle der Wache sie um Mitternacht anrief, dann bedeutete dies nichts Gutes. Sie nahm das Gespräch deshalb an, meldete sich, wie es sich gehörte, mit ihrem Namen und Dienstgrad und lauschte dann dem Bericht des Wachhabenden.
„Okay, Manfred, sag Wacker und Peters, dass ich unterwegs bin“, meinte sie schließlich und legte auf.
Erst als sie sich aus dem Sessel erhob und leicht wankend das Schlafzimmer verließ, fiel ihr wieder ein, dass es vermutlich nicht ratsam wäre, so mit dem Wagen zu einem Leichenfund zu fahren. Gut, vermutlich würden die Kollegen sie nicht gleich, wenn sie ankam, ins Messröhrchen pusten lassen, aber es brauchte ja nur auf dem Weg dorthin etwas zu passieren. Zum Beispiel dass ihr jemand vors Auto lief. Ein Betrunkener oder ein Kind. Wobei ... die Chance, nachts um zwölf auf der Straße ein Kind zu treffen, war ja eher ... Egal. Fakt war, sie hatte getrunken und würde nicht selbst fahren können. Thomas Kübler, ihren Kollegen, anzurufen schied ebenfalls aus. Alexandra, seine bessere Hälfte, hatte am Abend nach dem kleinen Umtrunk ihre liebe Not gehabt, ihn ins Auto zu verfrachten. Thomas trank selten und war daher erfahrungsgemäß nach nur drei Bier für mindestens die nächsten zwei Tage todkrank.
Ihr Blick wanderte zu Klaus. Nein, der schied ebenfalls aus. Blieb also nur noch einer. Oberkommissar a. D. Hans Peter Thiel, der Lebensgefährte ihrer Mutter und Ninas ehemaliger Dienstpartner. Seit seinem Infarkt im letzten Sommer trank der keinen Tropfen Alkohol mehr. Um Klaus nicht zu wecken, zog sie sich im Bad an, holte dann noch leise ihre Dienstwaffe aus dem Safe im Schlafzimmer und schlich auf Strümpfen, mit den Turnschuhen in der Hand, nach unten ins Erdgeschoss, wo sich die Wohnung ihrer Mutter befand.
Die Türen im Hause Moretti wurden nie abgeschlossen. Wozu auch? Vorsichtig öffnete sie die Wohnungstür, trat in die Diele und lauschte. Durch die Glastür des Wohnzimmers am Ende des Flures war das Flimmern des Fernsehers zu sehen. Mindestens einer der beiden war also noch wach. Sie klopfte sachte und trat dann, ohne eine Antwort abzuwarten, ein. Thiel saß auf dem Sofa und blickte sie erstaunt an. Im Fernseher lief ein Film. Nina erkannte Clint Eastwood als Dirty Harry. Sie wusste, dass Thiel auf diese alten Schinken stand, und musste bei dem Gedanken, der ihr dazu kam, spontan lächeln. Der Filmbulle und Hans Peter würden vermutlich ein super Team abgeben.
„Ist was?“, fragte Thiel und musterte sie.
„Die Wache hat angerufen. Im Wald bei Scheuerfeld haben sie eine tote Frau gefunden“, erklärte sie.
Thiel runzelte die Stirn. „Und was hab ich damit zu tun?“, fragte er.
„Ich hab was getrunken ... und da dachte ich ...“
„Da dachtest du, ich könnte dich dahin fahren“, nahm er ihr die Worte aus dem Mund, beugte sich vor, griff die Fernbedienung vom Wohnzimmertisch und schaltete den Apparat aus.
„Ja genau, so war der Plan“, bestätigte Nina und sah zu, wie Hans Peter sich erhob und den Raum verließ.
Thiel war tatsächlich alt geworden, ging es ihr durch den Kopf. Demnächst würde er siebzig werden. Es war viel passiert in den sechs Jahren, die sie ihn nun kannte. Er war mehr für sie geworden als nur ein ehemaliger Kollege oder der neue Lebenspartner ihrer Mutter. Thiel war ein Freund. Eine Vaterfigur, die ihren richtigen Papa zwar nicht ersetzte, dem aber sehr nahe kam. Seine Art war herzlich, aber nicht direkt offensichtlich. Die meisten Leute, die ihn kannten, sahen in ihm einen exzentrischen, störrischen Miesepeter. Doch wer ihn richtig kennenlernte, sich die Zeit nahm, hinter die alternde Fassade zu sehen, der erkannte, dass Hans Peter in Wahrheit ganz anders war, als es im ersten Moment den Anschein hatte.
Sie beobachtete, wie er seine Pantoffeln abstreifte, seine Schuhe aus dem Schrank nahm und sich dann auf die Treppe setzte, die ins Obergeschoss führte, um sie anzuziehen. Bis vor seinem Herzinfarkt hatte er dies noch im Stehen erledigt. Aber wie gesagt ... auch an einem Hans Peter Thiel ging das Alter nicht spurlos vorbei.
Minuten später hockte sie auf dem Beifahrersitz seines 5er BMW und war wieder in Gedanken bei ihrem eigenen verkorksten Leben. Im Sommer hatte sie die letzte Packung mit den Antibabypillen in der Mülltonne entsorgt. Doch passiert war seitdem nichts! Wobei ... natürlich passierte bei ihr und Klaus ständig etwas. Alles war gut, zumindest was das eheliche Zusammenleben betraf. Nur die Resultate blieben irgendwie aus.
Thiel parkte seinen Wagen am Dallen, wie die Scheuerfelder den steilen Weg hinauf zu dem Holzkreuz nannten, direkt hinter einem Streifenwagen, einem silbernen Mercedes Kombi und einem Geländewagen.
„Na, sieh mal einer an, der Leichenfledderer ist auch schon da“, meinte Thiel und deutete mit einem Nicken auf den Kombi von Doktor Sebastian Wagner, dem Gerichtsmediziner. Dann hielt er einen Moment inne, schien zu überlegen und schüttelte den Kopf.
„Ist was?“, erkundigte sie sich.
„Nein, mir war nur gerade so ... vergiss es“, meinte er und winkte ab.
„Geht’s dir nicht gut?“, hakte Nina nach.
Thiel rang sich ein Lächeln ab und tätschelte Ninas Knie.
„Alles gut, ich musste nur gerade an was denken ... und Ninakind ... mach dir bitte nicht immer so viele Gedanken um mich ... ihr müsst mich nicht behandeln wie ein rohes Ei ... du und deine Mutter.“
Sie betrachtete kurz seine Hand auf ihrem Knie. Jedem anderen Kerl, ausgenommen natürlich Klaus, der sie so angefasst hätte, hätte sie längst eine geklatscht. Bei Thiel war das anders.
Sie stiegen aus und gingen gemeinsam den steilen geschotterten Weg hinauf zu der Lichtung, wo, solange Nina denken konnte, das mit Neonröhren beleuchtete hölzerne Kreuz stand. Der Ausblick über das Dorf Scheuerfeld von hier aus war, zumindest am Tage, sehr schön. Heute war leider gar nichts zu sehen, außer dem Nebel, dessen Feuchtigkeit sich auf ihre Haut legte und ihr Gesicht angenehm kühlte. Mit jedem Schritt, den sie dem Neonlicht, das verschwommen durch die Bäume schimmerte, näher kamen, merkte sie, wie sie nüchterner wurde und die Hitze von ihr wich, die zweifelsohne ebenfalls vom Alkohol herrührte. Die Gedanken über sich selbst und ihre Situation verflüchtigten sich aus ihrem Kopf und machten neuen Platz. Da oben im Schein des Kreuzes lag eine tote Frau. Eine, die genau wie Nina Träume, Wünsche und Sehnsüchte gehabt hatte, die sich nun nicht mehr erfüllen sollten, da der Tod wie so oft alles zunichtegemacht hatte.
Am Rande der Lichtung trafen sie auf Peter Klein, den Jagdpächter des Reviers, der sich gerade mit Kriminaloberkommissarin Sandra Frings, Ninas jüngerer Kollegin, und Jürgen Wacker von der Streife unterhielt.
Als er Nina und Thiel bemerkte, stutzte er kurz und wirkte, als hätte er einen Geist gesehen.
„Hallo, Peter“, begrüßte Nina ihn und folgte dann seinem Blick, der förmlich an Thiel zu kleben schien.
„Hallo, Peter, lange nicht gesehen“, meinte Thiel und griff sich an die Brust. Nina kannte diese Geste nur zu gut. Thiel suchte wieder einmal nach seinen Zigaretten. Seit er aufgehört hatte, tat er dies ständig, wenn er nervös war ... wobei er dies natürlich früher auch schon gemacht hatte, dabei aber im Gegensatz zu heute nie ins Leere gegriffen hatte.
„Ja, hallo, Nina, hallo, Hans Peter“, löste der Jagdpächter sich aus seiner Starre und reichte zuerst Nina und dann Hans Peter Thiel seine Hand.
„Und was haben wir?“, stellte Thiel die Frage, die eigentlich Nina hätte stellen sollen.
„Es ist genau wie damals, Thiel ... genau wie damals“, flüsterte Peter Klein und ließ Nina aufhorchen. Ihr Blick wechselte zwischen den beiden Männern hin und her, und Nina spürte, dass hier irgendetwas in der Luft lag. Etwas Bedrohliches, nicht Greifbares.
Nina glaubte nicht an Zufälle, zumindest nicht an solche. Klar konnte einem im Urlaub auf Malle mal ein Bekannter aus dem Westerwald über die Füße laufen ... oder dass man zwei Tage hintereinander die gleiche freie Parklücke in der Stadt vorfand. Ja ... so etwas war dann ein Zufall. Aber die Tatsache, dass an einem Wegekreuz im Wald, einem beliebten Aussichtspunkt, innerhalb von zehn Jahren zweimal eine Frauenleiche gefunden wurde ... jedes Mal vom selben Jagdpächter, jedes Mal auf die gleiche bestialische Art und Weise geschändet und im Anschluss mit einem roten Schal erwürgt? Zwei Mädchen, gerade mal Anfang zwanzig, die sich mit ein wenig Fantasie sogar ein wenig ähnlich sahen? Nein, so etwas war für Ninas Geschmack ein wenig zu viel Zufall.
Peter Klein, der Jäger, der die Tote gefunden hatte, hatte es als ein Déjà-vu bezeichnet, und Thiel hatte seitdem nichts mehr gesagt. Dass es dem alten Bullen die Sprache verschlug, war für ihn mehr als ungewöhnlich. Doch er hatte einfach nur dagestanden, das tote Mädchen mit den langen roten Haaren, dem blassen Gesicht und den feuerrot bemalten Lippen betrachtet und mit versteinerter Miene geschwiegen.
Nina kannte den Fall von vor knapp zehn Jahren nur aus Erzählungen. Damals, als der Mord geschah, hatte sie noch in Köln beim KK 11 gearbeitet. Was sie wusste, wusste sie von Thiel, der den Fall gemeinsam mit den Kollegen bearbeitet hatte, die sich, genau wie er heute, fast alle im Ruhestand befanden. Der Einzige, der von dem alten Ermittlungsteam noch dabei und damals als junger Kommissar in dem Fall involviert war, war Kriminaloberkommissar Torsten Liebig, den sie vor einigen Minuten deshalb angerufen und herbeizitiert hatte.
„Und, Sebastian, können Sie schon etwas sagen?“, erkundigte Nina sich bei Doktor Wagner, dem Gerichtsmediziner, der gerade seinen Koffer schloss und den Kollegen der Spurensicherung das Feld räumte.
„Ich denke, die junge Dame ist seit etwa zwölf Stunden tot ... plus minus zwei Stunden“, antwortete er. Sie überschlug die Uhrzeiten im Kopf. Der Tod wäre demnach gestern, an Ninas Geburtstag, gegen Mittag eingetreten.
„Todesursache?“, hakte Nina nach.
Wagner verdrehte die Augen.
„Meine liebe Nina ... auf den ersten Blick kann ich Ihnen dazu auch nur das erzählen, was Sie gerade offensichtlich selbst gesehen haben. Sie wurde stranguliert. Vielleicht mit dem roten Schal? Vielleicht auch nicht? Ob das tatsächlich die Todesursache ist ...“
„... wird die Obduktion zeigen“, kam Nina ihm zuvor.
„Bingo, meine Liebe. Wie ich sehe, sind Sie doch noch lernfähig, was dies betrifft“, meinte er und grinste. Nina war nicht zum Spaßen zumute. Der Tod, die Anwesenheit eines toten Menschen, zog sie, auch nach all den Jahren, noch immer emotional in einen Abgrund.
„Wann kann ich mit den Obduktionsergebnissen rechnen?“, versuchte sie dennoch direkt Nägel mit Köpfen zu machen.
Wagner stöhnte theatralisch.
„Morgen, Nina ... morgen.“
„Sie meinen heute, wir haben ja schon kurz nach ein Uhr nachts“, verbesserte sie ihn.
Wagner blieb stehen und sah sie einen Moment abschätzend an.
„Nein, ich meinte tatsächlich morgen ... wir haben derzeit einiges zu tun. Alles der Reihe nach“, belehrte er sie und machte dabei auf Nina einen sehr müden und niedergeschlagenen Eindruck. Sie nickte, verabschiedete sich und sah ihm noch eine Weile hinterher, wie er über den Waldweg in Richtung seines Wagens ging.
Erst als der zunehmende Nebel ihn verschluckte, blickte sie sich suchend um. Sie entdeckte Thiel, der mit Peter Klein auf der Bank am Rande der Lichtung saß und sich leise unterhielt. Die Rücken der beiden Männer wurden schemenhaft vom Neonlicht des Kreuzes beleuchtet, dahinter verlor sich das Licht im Nebel. Sie machte einen Bogen um die Tote und ging zu den beiden hinüber. Zumindest schien der Oberkommissar a. D. seine Sprache wiedergefunden zu haben, was ja auch schon mal positiv war.
„Sie hatte keine Papiere dabei. Wir haben keine Ahnung, wer sie ist“, klärte sie die beiden Männer auf.
„Ich kenn sie. Das ist die Freundin von Karas“, antwortete Thiel und erhob sich.
„Vermutest du das, oder weißt du das?“, fragte sie skeptisch, da sie sich nicht vorstellen konnte, dass es sich bei der jungen Dame, genau wie vor zehn Jahren, um die Freundin des griechischen Geschäftsmannes handelte.
„Ich hab sie vor vier Wochen mit ihm gesehen. In der Stadthalle. Da war sie mit Karas zum Essen.“
„Sicher?“, war sie nun doch verblüfft.
„Ganz sicher! Ihr Name ist Evelin Starke. Sie wohnt in Siegen und studiert da an der Uni Maschinenbau“, berichtete er tonlos.
Nina starrte ihn mit offenem Mund an.
„Und das weißt du jetzt woher? Hat sie dir das abends in der Stadthalle erzählt, oder was?“
„Ich weiß es eben“, knurrte Thiel.
„Dann weißt du auch vermutlich, wo genau sie wohnt? Adresse? Straße? Hausnummer?“, fauchte sie, da sie es nicht ausstehen konnte, wenn jemand glaubte, sie für blöd verkaufen zu können. Noch nicht einmal Thiel, der zugegebenermaßen einen Sonderstatus bei ihr besaß.
„Sie wohnt ... hat ... in der Leimbachstraße siebzehn in Siegen gewohnt. Vierte Etage ... ganz oben ... mit zwei Freundinnen ... so eine Mädchen-WG.“
Nina blickte kurz zu Peter Klein, der genau wie sie sehr verwundert über Thiels Wissensstand zu sein schien. Entschlossen packte sie Thiel am Arm, riss ihn von der Bank und zog ihn mit sich fort. Was sie beide jetzt zu besprechen hatten, war nicht für die Ohren eines Dritten bestimmt.
„Würdest du mir bitte schön verraten, woher du das alles weißt?“, zischte sie.
Thiel seufzte.
„Ich war bei ihr. Vor zwei, drei Wochen. Hab sie gewarnt ... dass sie sich mit dem Teufel einlässt. Habe ihr geraten, einen Bogen um Karas zu machen“, gab er knirschend zu und erzählte ihr dann von der Begegnung mit dem ehemaligen Tatverdächtigen vor vier Wochen in der Stadthalle und seinen anschließenden Ermittlungen, wie er es so schön nannte.
„Sag mal, spinnst du? Du kannst dem Typen doch nicht einfach hinterherschnüffeln und seiner Freundin raten, sie solle sich von ihm trennen“, empörte Nina sich.
„Weshalb nicht? Einer musste es doch machen. Aber wie du siehst, hat es nichts gebracht. Aber ich muss mir wenigstens nicht vorwerfen, ich hätte es nicht versucht“, ereiferte er sich.
„Quatsch, Hans Peter. Das sind doch haltlose Anschuldigungen. Und überhaupt, warum sollte Marios Karas so eine Nummer hier abziehen und sich selbst wieder ins Zentrum der Ermittlungen bringen?“, gab sie zu bedenken. Thiel zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Der Mann ist total wahnsinnig. Vermutlich glaubt er, dass er wieder auf die gleiche Tour wie damals aus all dem rauskommt, und will uns damit auch noch verhöhnen ... euch ... Ich bin ja aus der Nummer raus“, meinte Thiel.
„Vielleicht will jemand, dass es für uns aussieht, als sei Karas der Mörder des Mädchens. Jemand, der ihm schaden will, der ihn gerne im Knast sähe. Mal daran gedacht?“, kam Nina ein Gedanke.
Sie sah es Thiel an, wie es in seinem Kopf arbeitete.
„Klar könnte das sein, aber mal ehrlich, Nina. Wer ist so krank im Kopf und begeht einen Mord, nur um ihn jemandem anzuhängen, weil er ihn gern im Knast hätte? Nein, da wäre es doch viel einfacher, denjenigen, dem man schaden möchte, direkt zu töten. Also zumindest würde ich es so machen. Ich hätte Karas abgeknallt und ihn irgendwo verscharrt, anstatt auch noch das unschuldige Kind mit reinzuziehen.“ Erneut fasste Thiel an die Tasche seines Hemdes, um nach seinen Zigaretten zu suchen. „Wenn du mich fragst, dann ist das da“, er deutete in Richtung der Toten, „ganz klar die Handschrift von Marios Karas. Wer weiß, vielleicht ist sie ihm ja auch auf die Schliche gekommen. Hat rausgefunden, was der Typ für einer ist.“
Nina ließ die Schultern sinken. Irgendetwas in ihr wollte Thiel glauben. Doch es war zu früh und zu verführerisch, sich in diese These zu verrennen. Klar, an Thiels Argument war etwas dran. Wenn man bereit war zu morden, weil man jemanden hasste, dann ging man nicht den Umweg über eine Unschuldige. Zumindest wäre das auch Ninas Logik. Doch wenn sie eines gelernt hatte, dann war es das, dass psychopathische Killer niemals logisch vorgingen und man ihr Tun mit dem klaren Menschenverstand in den wenigsten Fällen nachvollziehen konnte.
„Brauchst du mich hier noch? Ansonsten würde ich gerne nach Hause fahren“, riss Thiel sie aus ihren Gedanken.
Nina schüttelte den Kopf.
„Nein danke, fahr ruhig. Sandra oder Torsten können mich dann heimbringen“, sagte sie und verabschiedete sich von ihm. Ihr Instinkt witterte Ärger. Thiels Alleingang würde Folgen haben. Welche, das würde sich zeigen.
In Gedanken versunken ging sie zurück zu der Lichtung mit dem schweren Holzkreuz und sah mit zusammengekniffenen Augen hinauf zu der Stelle, wo sich die Balken kreuzten. Das grelle Licht der Neonröhren blendete sie. Hatte das Kreuz etwas mit dem Fall zu tun? War die Tote hier aus religiösen Gründen abgelegt oder ermordet worden? War hier der Tatort, oder war sie lediglich hierhergebracht worden? Der Zugang zu diesem Ort war holprig, zumindest ohne ein Fahrzeug mit einigermaßen Bodenfreiheit. Aber niemand würde eine Leiche den Weg hier hinauf auf Schusters Rappen tragen. Wagner hatte gemeint, das Mädchen wäre ungefähr seit gestern Mittag tot. Es war eher unwahrscheinlich, dass die Leiche so lange hier gelegen hatte, ohne entdeckt zu werden. Peter Klein meinte vorhin, dass er gegen siebzehn Uhr in den Wald gegangen war und seitdem weiter oben, unmittelbar vor dem Örtchen Dauersberg, auf einem Hochsitz angesessen hatte. Die Tote hatte er erst auf dem Weg nach Hause entdeckt. Wäre das Kreuz nicht beleuchtet, so wäre er vermutlich sogar in der Dunkelheit an dem Mädchen vorbeigelaufen. Aber was war am Nachmittag gewesen? Hatte er sie vielleicht übersehen?
„Ach, Peter“, rief sie und ging zu dem Jäger, der noch immer auf der Bank vor dem Abhang saß und in die Dunkelheit starrte. Er drehte sich um und sah Nina erwartungsvoll an.
„Sag mal, Peter, als du gegen fünf am Nachmittag in den Wald bist, bist du da auch über diesen Weg gegangen, oder?“
Der Jäger schüttelte den Kopf.
„Nein, da bin ich über den Schlangenweg hinten herum Richtung Dauersberg. Das ist zwar ein bisschen weiter zu laufen, aber bei Weitem nicht so steil wie hierher“, erklärte er. Nina kannte den Weg. Als Kind war sie hier des Öfteren sonntags mit ihren Eltern spazieren gegangen.
„Kannst du dir vorstellen, dass eine Leiche hier an diesem Ort von mittags bis abends liegt und keiner bemerkt es?“, fragte sie.
Er schüttelte erneut den Kopf.
„Nein, glaub’ ich nicht. Hier gehen viele Leute mit ihren Hunden lang“, bestätigte er ihre Vermutungen.
Auf dem Weg bemerkte sie nun zwei Gestalten, die vom Tal heraufkamen und einen Zinksarg mit sich trugen. Nina erkannte die junge Frau mit den blonden Haaren sofort. Es war Katharina, die Angestellte von Henning Himmrich, dem Bestatter. Der junge Mann im schwarzen Anzug bei ihr war ihr unbekannt.
Die beiden Bestatter waren heftig aus der Puste, was Ninas Verdacht nur bestätigte, dass niemand die Tote alleine hier heraufgetragen haben konnte. Der Täter musste ein Fahrzeug benutzt haben. Dummerweise war der Untergrund aber sehr steinig. Sandra und zwei der Uniformierten hatten bereits vergeblich nach Reifenspuren gesucht.
„Hallo, Katharina, wo hast du denn deinen Chef gelassen?“, erkundigte Nina sich bei der Bestatterin. Die verdrehte genervt die Augen.
„Der ist noch mit den anderen Dicken in der Sauna. Da bleibt wieder alles an mir hängen“, lästerte sie ziemlich frech, wie Nina fand, und stellte mit ihrem Begleiter den Sarg auf dem Boden ab.
„Und warum seid ihr zu Fuß hier?“, fragte sie weiter und war auf die Antwort gespannt.
Katharina schnaufte.
„Na, weil wir mit dem schweren Himmelstaxi schon unten, wo es vom geteerten Weg auf den Schotter ging, aufgesetzt sind. Der Chef flippt aus, wenn ich die Karre demoliere. Der ist da total penibel“, bestätigte sie Ninas Einschätzung der Straßenverhältnisse und des Ordnungssinns von Henning.
Mittwoch, 26. Oktober 2016, 7:18 Uhr Betzdorf, Friedrichstraße / Kriminalkommissariat
Nina fühlte sich wie gerädert. Es war kurz nach vier gewesen, als sie total übermüdet ins Bett gefallen und entgegen ihren Befürchtungen doch sofort eingeschlafen war. Oft war es bei ihr nämlich so, dass wenn sie den toten Punkt überschritten hatte, sie erst recht nicht einschlafen konnte.
Den Wecker, der um zwanzig nach sechs begann, Krach zu schlagen, hätte sie am liebsten aus dem Fenster geworfen. Wäre Klaus nicht gewesen, der sie so lange drangsaliert hatte, bis sie sich endlich aus ihrer warmen Decke schälte, läge sie vermutlich immer noch in den Federn und schliefe tief und fest wie ein Murmeltier. Der starke Kaffee, den Mama ihr wie jeden Morgen gekocht hatte, reichte heute ebenfalls nicht aus, um sie einigermaßen auf Spur zu bringen. So hockte sie nun an ihrem Schreibtisch, beobachtete versonnen die sich drehende kleine Eieruhr auf ihrem Computerbildschirm, während die Kiste hochfuhr, und gähnte dabei wie Clarence, der Löwe aus der Fernsehserie Daktari.
An der Tür vernahm sie ein Klopfen. Noch bevor sie „Herein“ sagen konnte, wurde dieselbige aufgerissen und Thomas Kübler polterte herein.
„Mojen, Nina“, meinte er lapidar, steuerte einen der Besucherstühle vor dem Schreibtisch an und ließ sich wie ein nasser Sack darauf niederplumpsen. Sie betrachtete ihn einen Moment. Frisch und ausgeruht sah eindeutig anders aus. Seine ansonsten immer sorgsam gekämmten Haare standen wild in alle Himmelsrichtungen.
„Sag mal, wart ihr letzte Nacht noch unterwegs? Die Jungs von der Streife meinten so was eben“, erkundigte er sich.
„Jepp, waren wir noch“, bestätigte sie.
„Und warum sagt mir keiner was?“, meckerte er.
„Weil du gestern Abend besoffen warst“, antwortete sie trocken.
„Ach so ... jou ... stimmt ja“, meinte er und sah sie erwartungsvoll an.
„Mensch, Kübler ... is was?“, erkundigte sie sich.
„Ähm ... ja ... nee. Ich dachte, du informierst mich jetzt mal“, antwortete er und schien heute gar nicht so angeschlagen wie sonst, wenn er am Vorabend etwas getrunken hatte.
Nina deutete auf die Wanduhr.
„In einer halben Stunde ist Dienstbesprechung mit Staatsanwalt Lambrecht und Kriminalrat Dirken. Ich erzähl das jetzt nicht alles zig Mal für jeden in diesem Laden im Einzelnen“, antwortete sie ihm und deutete dann auf die Kaffeemaschine.
„Bevor du hier gelangweilt rumhockst, koch uns lieber in der Zeit mal einen Kaffee. Du siehst im Übrigen auch aus, als könntest du einen gebrauchen.“
Thomas schielte zur Kaffeemaschine und schüttelte dann den Kopf.
„Nee, lass mal ... ich soll ja keinen Kaffee mehr trinken. Das ist schlecht für meinen Magen ... und mein Chi“, antwortete er.
Nina beugte sich vor.
„Für dein ... was?“
Thomas schaute, als hätte sie ihn beim Klauen ertappt.
„Na ... für mein Dings ... mein Chi ... oder so“, stammelte er.
„Sagt dein Arzt ... oder wer?“
„Nein, das sagt Alex ... oder vielmehr ... der Meister ... Ähm, na du weißt schon, dieser Dingens ... dieser Guru, zu dem sie da die letzte Zeit schon mal geht.“
„Du meinst dieser Yoga-Typ ... der mit diesem weißen Strampelanzug“, wusste Nina, wovon Thomas sprach.
„Ja, genau der“, antwortete Kübler und verdrehte die Augen. Auch wenn er es niemals sagen würde, so war Nina sich ziemlich sicher, dass es ihm missfiel, dass seine Frau ständig bei diesem esoterischen Quacksalber abhing. Es war aber auch echt nervig, wie Alexandra seit Wochen von diesem Typen schwärmte, und das sogar ganz unverhohlen, wenn Thomas dabei war. Wie zum Beispiel gestern Abend, als sie weder von den Frikadellen noch von den Würstchen genommen und sich stattdessen an der selbst mitgebrachten Rohkost und dem Körner- und Tofukram satt gegessen hatte. Da es so ein Zeugs im Hause Moretti mitnichten gab, hatte sie sich alles selbst mitgebracht und sogar so viel davon, damit alle Anwesenden davon mitessen konnten. Wenn es denn jemand gewollt hätte! Schlussendlich hatte nur Alexandra selbst davon gegessen. Wobei Nina sich nicht vorstellen konnte, dass sie davon satt geworden war.
„Wie lange geht sie da jetzt eigentlich schon hin?“, überlegte sie laut.
„Knapp sechs Wochen. Sie meint, dieses ... Dings ... Yoga ... oder was die da machen, täte ihr gut.“
„Und was meinst du dazu?“, fragte sie.
Thomas zuckte mit den Schultern.
Nina reckte sich. „Aaachhh ... weißt du was, Tom? Ich glaube, das ist alles Unsinn mit diesem Yogagedöns. Ich finde, die Menschen sollten alle einfach täglich mindestens einmal ordentlich Sex haben, dann wären die auch alle zufriedener und glücklicher“, sagte sie das, was ihr gerade durch den Kopf ging, und beobachtete amüsiert, wie Thomas’ Kopf die Farbe einer überreifen Tomate annahm.
„Was meinst du? Ist doch so, oder?“, reizte sie ihn noch mehr.
„Ähm ja ... ich ... ja ... weiß nicht. Aber ... das eine ... muss das andere ja nicht ... also ich mein ... Alexandra, die is ja immer total rattig, wenn die vom Yoga kommt ... also ... und dann ... na ja ...“
„Bitte, Thomas, verschone mich mit Details“, Nina hob abwehrend die Hände und musste grinsen. So genau wollte sie es jetzt doch nicht wissen. „Okay, Thomas, dieser Heini meint also, dass du keinen Kaffee mehr kochen darfst?“, wechselte sie wieder rasant auf das, worum es hier ging.
„Ja ... nee ... ich soll den nur nicht mehr trinken ... wegen dem ... Dings“, stammelte Kübler.
„Dann weiß ich nicht, auf was du jetzt wartest“, entschied sie und deutete erneut auf die Kaffeemaschine. Genervt verdrehte er die Augen, riss die Kanne aus der Maschine und verließ das Büro, um Wasser zu holen. Nina würde einmal mit der Freundin reden müssen. Es war okay, wenn sie für sich entschied weder Kaffee noch tierische Produkte zu konsumieren. Aber dass sie Thomas so beeinflusste, war nicht in Ordnung. Schließlich beeinträchtigte dies ja auch den geregelten Ablauf hier in der Dienststelle. Kein Kaffee, wo gab es denn so etwas? Das war ja fast wie bei ihren befreundeten Kollegen auf Langeoog, die ständig nur ihren Friesentee schlürften und noch nicht einmal eine Dienstkaffeemaschine besaßen. Nein, so etwas ging gar nicht! In eine ordentliche deutsche Amtsstube gehörte ein ordentlicher Kaffee!
Nina kannte aber auch Alexandra gut genug, um zu wissen, dass es sich bei ihr und ihren verschiedenen Esoteriktrips im Grunde immer nur um sehr kurze Phasen handelte. Es würde sie nicht wundern, wenn die derzeit vegane Freundin am nächsten Wochenende im Lokal wieder ein saftiges Steak bestellte und zum Nachtisch einen Eiskaffee mit Sahne. Aber mussten es denn ständig diese Extreme sein? Wenigstens schien es ansonsten bei den beiden noch zu laufen.
Punkt acht betrat Nina, mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der einen, ihrem Laptop in der anderen Hand und gefolgt von Thomas Kübler den Besprechungsraum. Wie so oft war Staatsanwalt Lambrecht noch nicht anwesend, das Team aber ansonsten komplett. Am Ende des Tisches hockte Sandra Frings mit Hauptkommissarin Heike Liebig vor einem Laptop. Nina war froh, dass Heike nach ihrem Mutterschutz wenigstens wieder an halben Tagen im Dienst war. Oberkommissar Torsten Liebig, ihr Mann, saß neben Kriminalrat Dirken, der seit gut und gerne einem Jahr Ninas Chef war. Die beiden unterhielten sich leise, verstummten aber, als Nina sich hinsetzte. Überhaupt hatte Nina die letzte Zeit das Gefühl, dass die beiden des Öfteren die Köpfe zusammensteckten. Die Chemie zwischen Torsten und ihrem Chef schien zu stimmen. Ninas Verhältnis zu Dirken würde sie ebenfalls als gut bezeichnen. Nur zu flüstern gab es da nichts. Wenn sie sich etwas zu sagen hatten, konnte das jeder hören.
„Okay, guten Morgen, meine Herrschaften. Nun, wo wir komplett sind, würde ich sagen, wir fangen an“, begrüßte Dirken die Runde, nachdem auch Thomas endlich Platz genommen hatte. Nina schielte zu dem leeren Stuhl rechts neben Dirken, auf dem normalerweise Staatsanwalt Lambrecht den Besprechungen beiwohnte und der immer noch leer war. Im Allgemeinen war es üblich, dass sie immer erst so lange warteten, bis Lambrecht sich dann endlich zu ihnen herbequemte. Heute jedoch schien das anders zu sein.
„Herr Doktor Lambrecht lässt sich entschuldigen“, lieferte Dirken sofort eine Erklärung und übergab dann zügig an Nina, die als leitende Beamtin in dem Fall kurz und bündig die Ereignisse der letzten Nacht und die zugegebenermaßen dürftigen Erkenntnisse und Rückschlüsse aus den bisherigen Ermittlungen vortrug. Als sie dann von der Unterhaltung mit Thiel und dessen recht unkonventioneller Schnüffelei berichtete, versuchte sie aus den Regungen ihres Chefs zu lesen. Dirken wirkte nachdenklich, fast besorgt, aber nicht überrascht. Vermutlich hatte Torsten ihm diese Informationen wohl schon geflüstert.
„Haben wir die Angehörigen der Verstorbenen schon kontaktiert?“, wollte er wissen, nachdem Nina fertig war.
„Ja, die Kollegen aus Stuttgart waren noch in der Nacht in Begleitung eines Notfallseelsorgers bei Evelin Starkes Eltern und haben sie in Kenntnis gesetzt“, antwortete Nina und spürte, wie sich dabei ihr Hals zuschnürte. Sie schämte sich in diesem Moment sogar für ihre Gedanken, welch ein Glück es doch war, dass nicht sie selbst, sondern andere die furchtbare Nachricht den Eltern hatten überbringen müssen.
„Sie erwähnten eben, das Opfer wohne in einer WG. Wie steht es um die Mitbewohnerinnen von Frau Starke? Wurden diese ebenfalls informiert?“, hakte Dirken nach.
Nina sah in die Runde, und diesmal war es Thomas, der sich als Erster zu Wort meldete.
„Ich denke, es wird das Beste sein, wenn wir die Siegener Kollegen darum bitten, dies zu übernehmen und bei der Gelegenheit auch das Zimmer von Frau Starke zu versiegeln, bis wir die Zeit haben, uns ein Bild zu machen“, schlug er vor.
„Nein, das kommt nicht infrage. Ich möchte, dass Sie und Frau Moretti das sofort erledigen“, wandte Dirken rigoros ein. Nina war von der Reaktion ihres Chefs nicht überrascht, da sie dies eh so geplant hatte. Aber auch den Vorschlag von Thomas hatte sie genau so von ihm erwartet. Wenn es nach ihm ginge, würde er allen Außendienst auf andere abschieben. Er selbst saß am liebsten nur in seinem Büro und ermittelte an seinem Computer. Das beherrschte er dafür so gut wie kein anderer in der Dienststelle.
„Herr Liebig war damals in die Ermittlungen zu dem Mord an der Studentin Jasmin Vielberg involviert, er wird sich die alten Akten noch einmal vornehmen. Vielleicht hat Herr Thiel recht, und es gibt da ja doch einen Zusammenhang zu dem neuen Fall“, entschied Dirken und wandte sich dann Heike und Sandra zu.
„Sie beide würde ich bitten, als Erstes diesen Herrn Karas zu überprüfen. Immerhin kannte er, laut Aussage von Herrn Thiel, ja beide Opfer und war damals im Fall Jasmin Vielberg der Beschuldigte.“
Als Nina nach der Besprechung zurück ins Büro kam, fiel ihr als Erstes die stickige Luft in dem Raum auf. Sie ging ans Fenster und öffnete es. Dabei erhaschte sie einen Blick auf den großen Parkplatz des Präsidiums, der direkt an das Flüsschen Heller grenzte, hinter dem sich dann das Rathaus erhob. Auf dem Parkplatz standen zwei Männer und schienen eine sehr hitzige Diskussion zu führen, von der Nina aber dummerweise kein Wort verstehen konnte. Interessiert beobachtete sie, wie Hans Peter Thiel verbal auf Staatsanwalt Lambrecht eindrosch. Lambrecht war, das wusste sie ebenfalls von Thiel, damals bei dem Fall Jasmin Vielberg der ermittelnde Staatsanwalt gewesen. Nina würde ihren Hintern verwetten, dass es bei dem Streit gerade um diesen alten Fall ging. Sie wusste, dass Thiel Lambrecht und dem Richter die Schuld daran gab, dass Karas damals ungeschoren davongekommen war. Überhaupt war das Verhältnis der beiden Männer sehr undurchsichtig. Sie war sich nicht ganz sicher, was die beiden miteinander verband. Thiel, da gab es keine Zweifel, konnte Lambrecht überhaupt nicht leiden. Und auch Lambrecht schien die Nähe des ehemaligen Kriminaloberkommissars nicht gerade zu suchen. Die beiden mochten sich nicht, und das war ganz offensichtlich. Dennoch war da irgendeine Verbindung zwischen ihnen. Warum zum Beispiel bestellte Lambrecht Thiel immer noch zu Ermittlungen und ließ ihm ständig irgendwelche Eskapaden durchgehen? Der alte Kommissar besaß, das wusste sie ganz genau, so etwas wie einen Beratervertrag mit der Staatsanwaltschaft. Nina hatte so etwas zuvor noch nie gehört. Sie war sich daher sicher, dass Lambrecht und Thiel seit Jahren irgendeine gemeinsame Leiche im Keller hatten. Die Frage war nur welche? Nina hatte Thiel schon des Öfteren darauf angesprochen, doch der alte Griesgram hatte jedes Mal gemeint, das wäre totaler Quatsch und sie würde sich das lediglich einbilden. Der Gedanke, dass dies alles mit diesem verlorenen Prozess von vor zehn Jahren zu tun hatte, war Nina bisher noch nie gekommen, schien ihr aber nun gar nicht mehr so abwegig.
„Wie weit bist du? Können wir los?“, hörte sie Kübler hinter sich fragen.
„Moment noch“, beschied sie ihm und beobachtete weiter den Streit auf dem Parkplatz. Gerade im Moment teilte Lambrecht aus, während Thiel sich wieder einmal an die Hemdtasche griff, um nach seinen Kippen zu suchen.
„Sag mal ... streiten die?“, fragte Kübler.
„Nee, die haben sich furchtbar lieb. Sieht man doch, oder?“, meinte Nina und beobachtete, wie Thiel die Fäuste ballte. Sie hielt die Luft an. Der würde doch wohl nicht ... Nein, er tat es nicht. Stattdessen wirbelte der alte Bulle herum, stapfte zornig zu seinem Wagen und stieg ein. Sekunden später heulte der Motor auf, und der schwere BMW schoss rückwärts aus der Parklücke. Dabei rammte er um ein Haar noch einen Streifenwagen, der langsam über den Platz rollte, der Fahrer voll in die Eisen ging und laut hupte. Nina hörte das Quietschen von Reifen auf Asphalt, als Thiel anfuhr, ohne die uniformierten Kollegen eines Blickes zu würdigen. Lambrecht, der die ganze Zeit wie angewurzelt dagestanden hatte, musste beiseitespringen, um nicht überrollt zu werden. Dann verschwand Thiels Wagen um die Gebäudeecke in Richtung Friedrichstraße, wo sich die Ausfahrt befand.
„Hui ... na, der war aber geladen“, fand Kübler.
„Los, beeil dich“, antwortete sie lediglich, schnappte sich ihre Handtasche und die Jacke, die sie erst während sie schon durch den Flur lief überstreifte.
„Hey, verdammt, mach doch mal langsam. Was hast du es denn auf einmal so eilig?“, schimpfte Kübler hinter ihr, während Nina schon im Treppenhaus war und hinunterstürmte. Einer ihre Grundsätze war es, Staatsanwalt Lambrecht nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen. Sie und er würden in diesem Leben sicherlich keine Freunde mehr werden. Dies lag vermutlich nicht nur daran, dass der sie schon am ersten Tag, als sie damals den Job in dieser Dienststelle antrat, sehr blöde angebaggert und sie ihm daraufhin einen heftigen Korb verpasst hatte. Auch die Tatsache, dass Nina in seiner Anwesenheit das eine oder andere Mal das Wort „Arschloch“ herausgerutscht war, hatte nicht zu einem besseren Miteinander beigetragen. Aber es war, wie es war. Man traf im Leben eben immer wieder auf Menschen, die einem sympathisch waren, und auf andere, die einem eher einen Brechreiz bescherten. Lambrecht gehörte eindeutig zur zweiten Kategorie. Dennoch wollte Nina ihm unbedingt jetzt, heute und hier im Treppenhaus begegnen. Fieberhaft überlegte sie, wie und weshalb sie ihn ansprechen könnte. Ihn zu fragen, um was es da eben bei dem Streit zwischen ihm und dem Oberkommissar a. D. gegangen war, schied natürlich aus.
„Guten Morgen, Herr Dr. Lambrecht“, flötete sie deshalb erst einmal zuckersüß, als sie beinahe mit ihm zwischen Erd- und Untergeschoss zusammengestoßen wäre.
„Morgen“, knurrte der nur zurück und versuchte sich rechts an der Wand an ihr vorbeizuschieben. Nina bewegte sich ebenfalls zur Wand und versperrte ihm den Weg.
„Ach ... Sie haben nicht zufällig Herrn Oberkommissar a. D. Thiel gesehen?“, fragte sie nun ganz dreist.
„Nein, keine Ahnung“, log er zu ihrer Verwunderung und versuchte nun links am Treppengeländer vorbeizukommen.
Erneut schob sich Nina vor ihn.
„Wir würden ihn gerne befragen, wegen diesem Fall von vor zehn Jahren, der, bei dem Marios Karas am Ende freigesprochen wurde. Aber sagen Sie ... waren Sie da nicht damals der ermittelnde Staatsanwalt?“, plapperte sie lustig weiter.
Ein Ruck ging durch Lambrecht. Sein Blick verfinsterte sich nun noch mehr. Nina merkte, wie er nach Worten suchte. Es war immer wieder schön, ihn sprachlos zu sehen, brachte sie aber im Moment nicht weiter.
„Ich dachte halt, Sie wären Herrn Thiel begegnet. Einer der Kollegen meinte, er hätte Sie vorhin mit ihm draußen ...“
„Ich weiß nicht, wo dieser alte Querulant ist. Und jetzt lassen Sie mich gefälligst vorbei, ich habe es eilig“, zischte Lambrecht boshaft. Nina trat beiseite.
„Kein Problem, Herr Doktor Lambrecht, wir unterhalten uns dann später wegen des Falles von damals“, rief sie ihm hinterher und wartete, bis sie hörte, wie oben eine Tür zugeschlagen wurde.
„Sag mal, musste das jetzt sein?“, stöhnte Thomas.
„Was musste sein?“, erkundigte sie sich und setzte sich wieder in Bewegung.
„Na, dass du den Lambrecht ständig bis aufs Blut reizen musst. Irgendwann dann ...“, Thomas brach den Satz ab.
„Irgendwann was?“, interessierte es sie nun aber doch, was er sagen wollte.
„... bekommst du noch mal mächtig Ärger mit ihm“, vollendete Thomas den Satz.
„Huiiii, jetzt hab ich aber Angst“, meinte Nina und musste grinsen. Wenn sie vor irgendetwas oder irgendjemandem keine Angst hatte, dann war dies Doktor Michael Lambrecht. Die hatte sie, genau wie den Respekt vor ihm, schon lange verloren.
Die Fahrt mit Küblers altem Dienst-Mercedes nach Siegen lief ziemlich schweigsam ab, da Nina bereits kurz hinter Freusburg weggedusselt war. Sie wurde erst wieder wach, als der Wagen zum Stehen kam und Thomas sie heftig an der Schulter rüttelte.
„Du schnarchst“, meinte er nur, als sie ihn müde anblinzelte, und deutete dann auf ein Mehrfamilienhaus gegenüber dem Supermarktparkplatz, auf dem sie gerade parkten.
„Sind wir schon da?“, fragte sie total verpeilt, streckte sich kurz, gähnte dabei noch einmal und strich eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht.