4,49 €
Allmählich beginnt die Adventszeit und Melli kann es kaum erwarten. Das Adventslicht, dass in ihrer neuen Wohnung hinterlassen wurde, schließt sie direkt ins Herz. Sie liebt Kerzen und die bevorstehende Zeit. Es kommen turbulente Wochen auf sie zu. Sie fängt sich auf der Arbeit eine Erkältung ein. Plötzlich taucht ihr Exfreund auf, mit dem sie eigentlich längst abgeschlossen hat. Mit Paul, der im gleichen Chor singt, freundet sie sich an. Auch er hat seine Probleme. Das kleine Adventslicht ist mit Magie ausgestattet, Melli glaubt daran. Nur Paul muss noch überzeugt werden. Gelingt es beiden gemeinsam mit dem Adventslicht die stressige, nervenaufreibende Adventszeit zu überstehen? Das Buch kann auch als Adventskalender Buch gelesen werden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Adventslicht
Spendet Magie
Lässt die Menschen
An Wunder und Hoffnung
Glauben.
Gewidmet all denen
die an Wunder und Hoffnung glauben.
VORWORT
Kapitel 1 / ~ Wohnungsbesichtigung ~
Kapitel 2 / ~ Arbeit ~
Kapitel 3 / ~ Auch das noch ~
Kapitel 4 / ~ Ein Abend bei Paul ~
Kapitel 5 / ~ Der erlösende Anruf ~
Kapitel 6 / ~ Montag ~
Kapitel 7 / ~ Verdientes Abendessen ~
Kapitel 8 / ~ Ernsthaft? ~
Kapitel 9 / ~ Besorgungen ~
Kapitel 10 / ~ Arbeitsalltag ~
Kapitel 11 / ~ Differenz ~
Kapitel 12 / ~ Blanke Angst ~
Kapitel 13 / ~ Unruhige Nacht ~
Kapitel 14 / ~ Im Krankenhaus ~
Kapitel 15 / ~ Ein verdammt langer Arbeitstag ~
Kapitel 16 / ~ Wohnungseinrichtung 1 ~
Kapitel 17 / ~ Auf der Hut ~
Kapitel 18 / ~ Melli geht es besser ~
Kapitel 19 / ~ Wohnungseinrichtung 2 ~
Kapitel 20 / ~ Endlich wieder daheim ~
Kapitel 21 / ~ Wenn das nicht Liebe ist ~
Kapitel 22 / ~ Ob das Geld sich findet? ~
Kapitel 23 / ~ Alles wird gut ~
Kapitel 24 / ~ Weihnachten ~
Es war so einsam. So unendlich einsam. Und es schien sich erst mal nichts an der aktuellen Situation zu ändern. Die Tage kamen ihm so unendlich lang vor. Das Adventslicht seufzte. Jetzt war es schon ein Jahr alleine. Niemand hatte sich seit dem Auszug von Mona und Sven vor einem Jahr um es gekümmert. Ihm war kalt. So kalt. Sein Docht war ewig nicht mehr angezündet worden.
Es konnte die herannahenden Schritte förmlich spüren. Gleich drehte sich der Schlüssel im Schloss. Wie jeden Tag um die Mittagszeit. Die grauen Tage hatten begonnen. Die schönen Tage des Herbstes waren endgültig gezählt. Die Schritte gehörten zu Herrn Schröder, dem Vermieter der Wohnung. Er schlurfte täglich hier hinein um nach dem Rechten zu sehen. Er seufzte tief, so wie das Adventslicht vorhin selbst geseufzt hatte. Wer konnte es ihm verübeln. Es ging ihm nicht viel besser.
Herr Schröder schaltete monatlich Anzeigen in der Tageszeitung. Doch niemand schien sie wahrzunehmen. Dabei war diese Wohnung so zentral am Stadtzentrum, wie es nur möglich war. Das Rathaus war in nächster Nähe und gegenüber war die Kanzlei von Herrn Schwarz. Kirche und Pfarrheim waren ebenfalls um die Ecke. Und er war mit dem Preis deutlich runtergegangen. Er würde alles tun, wenn es nur vernünftige Mieter wären, und seine einzige Voraussetzung war, es musste ein Paar sein.
Zum Glück kannte Herr Schröder den Anwalt nur vom Sehen. Sie grüßten sich täglich. Wenn der Vermieter gegen dreizehn Uhr seine Runde drehte, machte Herr Schwarz meistens Mittagspause. Er seufzte erneut und fing sein tägliches Jammern an:
„Mein Gott. Schon wieder hat sich niemand auf die Anzeige beworben. Muss ich denn doch einen Makler einschalten? Ich könnte Herrn Schwarz fragen. Der kennt bestimmt mehrere Makler.“ Doch er wollte lieber selbst das Zepter in die Hand nehmen. „Was soll ich nur machen?“
„Mein lieber alter Mann. Leider wurde ich auch hier vergessen. Mich hat niemand mehr beachtet. Nicht einmal du. Du weißt wahrscheinlich gar nichts von meiner Existenz. Aber, oh, ich habe jeden Tag meine ganze Kraft, auch für dich ausgestrahlt. Aber erloschen ist es schwieriger, als wenn ich angezündet wäre.“
Herr Schröder stutzte einen Moment. Er blickte kurz nach oben. Was hing denn da?
„Na ich. Hast du mich doch einmal bemerkt. Vielleicht werden wir doch noch Freunde. Ich vermisse Mona und Sven auch sehr. Ich mochte sie genauso wie du. Mona hat mich jeden Abend angezündet. Nicht nur im Advent. Auch vorher schon. Und jetzt. Mir ist kalt. Du könntest wenigstens die Heizung andrehen. Nicht volle Pulle. Ein kleines bisschen würde schon genügen.“
Er stutzte schon wieder. Und meinte leise an das Licht gewandt:
„Jetzt sag nicht, du kannst reden! Pah. Das wäre ja noch schöner. Rede ich noch mit Kerzen.“
„Na. Was ist denn so verkehrt daran? Wenn ich dir helfen kann, neue Mieter zu finden?“
„Und wie?“
„Du solltest mal an Magie und Wunder glauben. Seit dem Tod deiner Frau hast du auch nachgelassen, alter Herr. Bist so ja nicht verkehrt. Aber wenn du immer mit deiner Bitterkeit hier durchläufst, wird es mir nur noch kälter.“
Herr Schröder schaute schräg nach oben, schlurfte dann wieder aus der Wohnung, wie er gekommen war.
Na, dann halt nicht. Aber Herr Schröder würde sich noch wundern. Das kleine Adventslicht senkte seinen Docht, als ihm eine Idee kam. Vielleicht sollte es diesen doch ordentlich strecken? Schaden konnte es nicht.
Siehe da, zwei Wochen später, spürte das Adventslicht eine gewisse Aufregung in sich. Vielleicht würde es doch noch was mit uns werden, hatte Herr Schröder gestern brummend gesagt. Bevor er nach seinem täglichen Rundgang die Wohnung wieder verließ. Ganz gespannt wartete das Adventslicht darauf, was nun passieren würde. Es war ihm schon etwas wohler um seinen Docht. Da hörte es am Nachmittag erneut den Schlüssel im Schloss und Herr Schröder unterhielt sich. Etwa mit einem Paar? Sollte er neue Mieter gefunden haben? Das wäre ja großartig.
Schließlich begann jetzt bald die Adventszeit und nichts wäre dem Adventslicht, das letztes Jahr hier einfach vor der Adventszeit verlassen wurde, lieber. Weil die beiden Vormieter in eine andere Stadt ziehen mussten. Oh. Es freute sich. Es freute sich. Das Lichtlein konnte das Lachen einer Frau und einem Mann vernehmen. Vielleicht würde ja alles gut werden.
„Sie sind gar kein Paar?“ Herr Schröder schaute verdutzt, während er die Beiden durch die seit Monaten verwaiste Wohnung führte. Endlich hatte sich jemand gemeldet. Die Resonanz seiner Werbeanzeige war spärlich, außer ihnen rief nur noch ein älteres Ehepaar an. Er bevorzugte Paare.
Melli zuckte kurz zusammen. Sie wollte die Wohnung. Sie gefiel ihr auf Anhieb und die Küche konnte sie so übernehmen. Es waren nur zwei Laufminuten bis zur Kanzlei. Herr Schröder ließ Melli nicht aus den Augen und auch Paul sah sie abwartend an. Sie hatte noch nie derart gelogen. Ihre Hände wurden feucht vor Aufregung.
„Doch, natürlich“, Melli lächelte zu Paul und griff nach seiner Hand. Er sah sie überrascht an, grinste, und meinte:
„Sicher, wir sind schon seit Wochen auf der Suche nach einer geeigneten Wohnung in der Innenstadt.“ Herr Schröder nickte zögerlich. Er schritt ihnen voraus und öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Der Boden war mit hellem Vinyl ausgelegt. Ein großes Fenster bot einen weiten Blick auf die Altstadt. Melli streckte sich und marschierte zum anderen Fenster, von dem aus man den Rathausplatz sah. An diesem Fenster entdeckte sie ein kleines, herunterhängendes Glas, eine rote Kugelkerze mit glitzernden Tannennadeln.
„Ein kleines Adventslicht“, rief sie überrascht. Verstaubt hing es wohl über Jahre schon dort.
„Wer hat dich denn hier vergessen?“ Sie trat heran und begutachtete es. Man sah, dass die Kerze schon heruntergebrannt war, also hatte die Vormieterin sich auch gut darum gekümmert. Bis auf die Tatsache, dass sie es vergessen hatte.
Das kleine Adventslicht hatte sie gehört. Es war so lange einsam gewesen. So einsam. Das Lichtlein hatte fast nicht mehr damit gerechnet, dass Herr Schröder nochmal neue Mieter finden würde. Melli war ihm deutlich sympathischer als das ältere Ehepaar neulich. Sie hatten es übersehen. Ihm wurde ganz wohlig um seinen Docht.
„Alle Vormieter“, flüsterte es daher zurück.
„Ich freue mich auf unser Wiedersehen“, meinte Melli nur, ergriff erneut Pauls Hand und deutete ihn in den offenen Raum, der ihr Esszimmer werden würde.
„Sieh doch Paul! Das offene Esszimmer. Unser runder Eichentisch passt doch perfekt hier rein. Wir könnten alle unsere Freunde einladen.“
„Ja, finde ich auch. Was soll die Wohnung denn kosten?“ Paul schaute Herrn Schröder fragend an, der schon auf dem Weg in den Flur war, um ihnen das Schlafzimmer zu zeigen. Paul überlegte, ob Melli einen runden Esstisch besaß, denn seiner war rechteckig.
„500 Euro warm.“
„Das wäre bezahlbar, hoffentlich gibt es keinen Haken?“
„Nein. Glauben Sie mir. Ich bin seit Monaten auf der Suche nach neuen Mietern. Es ist schwieriger als ich dachte. Die Leute wollen doch nicht direkt in die Altstadt, sie suchen lieber Wohnungen am Stadtrand.
Herr Schröder zeigte ihnen noch den Rest der Wohnung. Neben dem Schlafzimmer gab es noch ein kleines Gästezimmer. Einen weiteren Raum, den man als Büro oder Arbeitszimmer einrichten konnte, ein Badezimmer und sogar ein Gästebad.
„Paul, was meinst du?“, Melli zog Paul näher an sich heran. „Ich finde die Wohnung super geeignet für uns.“
„Ja. Doch. Ich bin auch begeistert. Wir nehmen die Wohnung. Oder Melli?“
Melli? Mellis hießen immer Melanie. Ja!
Das Adventslicht streckte seinen Docht nochmal ganz hoch und hoffte Herr Schröder würde sich für sie entscheiden. Allerdings war da noch ein älteres Ehepaar gewesen. Was ihm, dem Adventslicht, aber gar nicht sympathisch gewesen war.
„Ja. Sie ist perfekt. Ich habe mich sofort in sie verliebt.“
Herr Schröder zögerte kurz.
„Nun. Das ältere Ehepaar bestätigt mir erst am Montag, ob sie die Wohnung nehmen oder nicht. Aber Sie sind auf der Warteliste. Wann könnten Sie einziehen?“
„Sofort“ sagten Melli und Paul gleichzeitig.
„Gut. Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich etwas von den anderen Interessenten gehört habe.“
„Super. Vielen Dank.“ Herr Schröder schüttelte beiden die Hand. Melli war inzwischen zu Eis erstarrt. Er schien ihre Augen zu durchbohren. Sie fröstelte es, doch hielt seinem Blick aber stand.
„Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag. Bis bald.“
„Bis bald.“
Paul schaute ihr kurz in die Augen, „hoffentlich“ schienen sie ihr zu sagen, als sie auf den Rathausplatz traten. Inzwischen war ihr Gesicht kirschrot geworden.
„Paul. Danke, dass du mitgespielt hast.“
„Keine Ursache. Aber er wird darauf bestehen. Er scheint Paare zu bevorzugen. Du hast dich im ersten Moment in die Wohnung verliebt. Richtig?“
„Ja. Ja. Verdammt Paul.“ Sie lächelte ihn an. „Angenommen, wir bekommen die Wohnung. Würdest du mir beim Umzug helfen?“
„Klar. Natürlich, Melli. Ich wusste allerdings nicht, dass du solch ein schauspielerisches Talent hast.“ Paul grinste.
„Ich auch nicht. Aber es hat dir wohl gefallen?“
„Allerdings. Und ähm, ehrlich gesagt, gefällt mir die Wohnung auch sehr gut.“
„Ja? Das ist gut. Komm, darauf verputzen wir einen Döner.“
„Gute Idee. Den habe ich mir jetzt auch verdient.“ Melli lachte, zog Paul in Richtung des Dönergeschäftes schräg gegenüber ihrer Traumwohnung. Ihre Hände wurden wieder warm. Anscheinend hatte sie Paul noch nie so genau wahrgenommen. Sein Grübchen unten rechts am Kinn, das jedes Mal deutlich zur Geltung kam, wenn er lachte, seine tiefen Stirnfalten, seine warme, dunkle Stimme. Ihre Wangen glühten, als sie den Laden betraten, der beinahe voll besetzt war. Paul zog Melli mit sich an einen letzten freien Zweiertisch in der Ecke.
„Kannst du bitte das Fenster schließen?“, bat Melli ihre Kollegin Tina, die jüngere der beiden Frauen. Helen, die ältere, korpulentere, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Während sie den Arm bewegte, klimperte ihr silbernes Armband, wie leise Glocken, an ihrem Handgelenk.
„Ich gehe hier kaputt. Es ist viel zu warm. Ich kann bei dieser Hitze nicht arbeiten.“ Erneut wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Melli hatte den Fehler gemacht und ihre dünne, hellbraune Seidenbluse angezogen. Morgen würde sie ihren dicken Winterpulli anziehen. Sie notierte sich in Gedanken, dass sie sich unbedingt neue Pullover kaufen musste. Sie fing innerlich an zu zittern und merkte, wie sich die dünnen Härchen auf ihren Armen aufstellten. Sie schaute rechts aus dem Fenster. Die junge Frau konnte nicht einmal den Brunnen vom Rathausplatz erkennen, so dicht war der Nebel. Wenn wenigstens Sonnenstrahlen das Zimmer aufheizen würden, hoffte sie.
„Bitte Tina.“ Tina stand auf, schloss das Fenster und Helen seufzte, ein lautes, langgezogenes Seufzen. Das tat sie gerne. Niemand hatte es so schwer wie sie. Melli verdrehte die Augen.
„Wenn du erst mal in die Wechseljahre kommst, wird es dir genauso ergehen.“
„Na, da bin ich froh, dass ich noch weit genug davon entfernt bin“, meinte Melli trocken. Sie konnte sich in ihre Kollegin hineinversetzen, aber andererseits musste Helen auch sie verstehen.
Helen fing mit Tina ein Gespräch über die Kinder an. Melli hörte kaum hin. Das war auch letzte Woche schon so gewesen. Was Melli machte, schien die beiden nicht zu interessieren. Tina erzählte irgendetwas von einem Kindergeburtstag und Helen lachte laut. Als Herr Schwarz das Büro betrat, verstummten die beiden sofort. Melli konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Melli mochte Kinder und hatte auch sehr gerne als Grundschulsekretärin gearbeitet. Manchmal konnten sie aber auch kleine Quälgeister sein, und es gab Tage, wo sie an ihren Nerven zerrten. Ihr Ex Partner, Kai, wünschte sich Kinder und wollte mit Melli eine Familie gründen. Außer, dass sie auf der gleichen Schule arbeiteten, hatten sie kaum gemeinsame Interessen. Kai ging mit seinen Kumpels am Wochenende gerne ein Bier trinken, Melli bevorzugte gemeinsame Abende auf der Couch, oder genoss die Auftritte und Zusammenkünfte vom Chor. Er konnte nicht singen, was Melli immer bedauerte. Ihm lag auch nichts daran, eines der Konzerte zu besuchen, wovon der Chor mehrmals im Jahr welche gab. Sie lebten sich immer mehr auseinander, woraufhin Melli vor einem halben Jahr die Beziehung beendete. Ein paar Monate später stand die Schließung der Grundschule an, die Klassen waren zu klein. Kai hatte, in einer anderen Stadt, rasch eine neue Stelle gefunden. Paul hatte Melli, bei einer Chorprobe, den Tipp gegeben, sich bei der Anwaltskanzlei zu bewerben, was sie umgehend tat. Eine Woche später folgte die Einladung zum Vorstellungsgespräch. Bei Claudia, ihrer besten Chorfreundin, konnte sie unterkommen, bis sie die Stelle bekam.
Es war kurz nach neun, als Herr Schwarz das Büro betrat. Nicht, dass er gerade erst gekommen war, nein. Er fing immer gegen 8:00 Uhr an. Helen meinte, dass er morgens erst eine Stunde Ruhe brauchte, um seinen Kaffee, den er sich selbst mitbrachte, in Ruhe zu genießen. Dazu las er immer die Tageszeitung.
„Guten Morgen, die Damen.“
„Guten Morgen“, ertönte es im Chor zurück.
In der rechten, braungebrannten Hand hatte er ein Diktiergerät und hielt es Melli hin.
„Frau Auras, wenn Sie die Briefe hier tippen könnten?“ Melli nickte.
„Vielen Dank.“
„Sehr gerne.“ Melli nahm das Diktiergerät entgegen und fing gleich an zu arbeiten. Helen quatsche weiter drauf los und öffnete wieder das Fenster. Melli schüttelte den Kopf und goss sich eine Tasse Tee aus ihrer Thermoskanne ein. Mit dem rechten Zeigefinger strich sie sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie musste bald wieder zum Friseur. Diesmal stand Melli auf und schloss das Fenster.
„Sorry, Helen. Aber ich muss mich aufs Tippen konzentrieren, und das kann ich nicht, wenn es kalt ist, und ich zittere.“ Mit einem Schulterzucken quatschte Helen weiter mit Tina. Tina war eigentlich dabei, die Ablage zu bearbeiten, doch es schien beiden egal zu sein. Natürlich musste man mal quatschen, aber sie übertrieben es. An ihrem ersten Tag, vor einer Woche, war es bereits so gewesen. Helen hatte Melli ausgequetscht, was sie vorher gemacht hatte, ob sie Kinder habe, und einen Partner. Melli hatte nur mit ja oder nein geantwortet. Helen hatte das getan, was sie immer tat, wenn ihr keine Antwort einfiel. Sie zuckte die Schultern und redete weiter mit Tina. Die Ruhe hielt nicht lange an, denn Helen riss erneut das Fenster auf. Stand auf, stellte sich vor Melli.
„Sorry. Ich kann nicht arbeiten, wenn mir die Schweißperlen auf der Stirn stehen und über das Gesicht laufen, wie ein Wasserfall. Also gewöhne dich schon mal daran. Du kannst dir immer noch einen dicken Pulli anziehen, aber ich kann schlecht nackt hier sitzen.“
Das saß. Damit hatte Melli nicht gerechnet. Sie überlegte, ob sie sich ihre Jacke anziehen sollte. Doch erst mal beließ sie es dabei und tippte weiter.
Unwillkürlich dachte Melli an das kleine Adventslicht. Hoffentlich würde sich Herr Schröder bald melden. Sie wollte die Wohnung so sehr. Beim Gedanken an das kleine Adventslicht wurde ihr gleich viel wärmer ums Herz.
Wenigstens am Nachmittag hatte Melli ihre Ruhe. Montags und mittwochs blieben Helen und Tina nur bis zur Mittagszeit. Die anderen Tage musste Melli bis drei Uhr nachmittags mit ihnen ausharren.
Schon nach der Mittagspause begann Mellis Nase zu kribbeln. Na toll, dachte sie. Die junge Frau schnäuzte sich die Nase, ein weiteres Niesen folgte. Herr Schwarz kam ins Büro.
„Gesundheit.“
„Danke.“
„Können Sie die Briefe bitte noch frankieren und mit zur Post nehmen?“
„Na klar.“
„Ich verabschiede mich heute etwas früher. Haben Sie einen schönen Feierabend.“ Der Chef lächelte sie freundlich an. Seine weißen Zähne blitzen hervor.
„Danke gleichfalls“. Melli sah Herrn Schwarz nach. In seinem langen, schwarzen Mantel verließ er die Kanzlei. Seine dichten grauen Haare verrieten gleich, dass er nicht mehr der Jüngste war. Melli musste wieder niesen.
Melli fröstelte. Sie musste sich morgen unbedingt wärmer anziehen. Die Angestellte frankierte die Briefe, fuhr den PC herunter, schnappte sich aus ihrer Handtasche ihren Schlüssel, schloss die Tür hinter sich und verließ die Kanzlei. Melli freute sich auf einen ruhigen Abend alleine. Claudia war nach Feierabend in der Stadt mit einer Kollegin zum Essen verabredet, und das würde dauern.