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Eine unglückliche Liebesbeziehung, eine verunglückte Entdeckungsreise und die Liebe zu einem fernen Land und dessen Menschen, lassen den Willen wachsen zu helfen. Mit beeindruckendem Engagement und der Freude an den Kindern Indiens lassen sich Berge versetzen. Das zeigt dieses beeindruckende Buch über eine Frau, die ihren Lebenstraum mit Unterstützung ihrer Freunde Wirklichkeit werden ließ.
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Seitenzahl: 194
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Dieses Buch möchte ich meiner 1966 verstorbenen Schwester widmen. Mit 23 Jahren lernte sie einen jungen Inder kennen, und es wurde die große Liebe. Meiner Schwester fehlte jedoch der Mut zu einer Heirat mit einem Hindu, der einer Brahmanen Familie angehörte. Zudem war er seit Kindheitstagen mit einer Cousine verlobt. Nach vielen Monaten der Qual entschloss sich meine Schwester schweren Herzens gegen diese Hochzeit. Für beide brach eine Welt zusammen. Als Bikash sich wieder gefangen hatte, willigte er in die Heirat mit seiner Cousine Ranu ein. Der Kontakt blieb bestehen, auch über den Tod meiner Schwester hinaus.
1988 erhielt ich einen Brief von Bikash mit der Einladung, Weihnachten und Silvester bei seiner Familie zu verbringen. Sollte ich die Reise in das für mich fremde Land machen? Für mich stand schnell fest, wie auch immer die Reise verlaufen sollte, ich wollte dieses fremdartige Land kennen lernen. Noch ahnte ich nicht, wie sehr diese Reise mein Leben verändern sollte.
Nachdem ich die Eindrücke meiner ersten Indienreise verarbeitet hatte, saß ich ein Jahr später wieder im Flieger nach Indien. Es tat sich mir eine ganz andere Welt auf. Ich habe mein Herz an die Kinder in Indien verloren. Schritt für Schritt wagte ich mich in diese für mich fremde Welt. Ich lernte Familienschicksale kennen, die Kinder oft hilflos hinterlassen, und ich lernte in den folgenden Jahren diesen Kindern zu helfen. Mit der Gründung einer Kinderhilfsorganisation konnten wir in mannigfaltiger Weise helfen. Unsere ganze Freude sind die 72 Waisenkinder in unserem Kinderdorf.
Alle Namen in diesem Buch habe ich geändert, auch die Ortsnamen. Damit möchte ich unsere Kinder schützen. Die Idylle soll nicht durch dieses Buch gestört werden.
Vorwort
Teil I
Bombay (Mumbai) – Eindrücke einer indischen Großstadt
Madras (Chennai)
Zu Gast in einer Brahmanen Familie
Im Club und der verlorene Sohn
Eine Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt
Ausflug nach Mahabalipuram
Das Ende einer Freundschaft
Stadtrundfahrt und Abschied von Madras
Bangalore (Bengaluru) und Südindien
Weihnachten 1988
1. Weihnachtstag!
Mein Traumhotel
Fahrt zu dem Nationalpark Bannarghatta
Ein bäuerlicher Markt
Taj West End Hotel
Busfahrt nach Mysore
Deutsche Reisegruppe mit einem Rotel Bus
Die Reisekasse macht schlapp
Lal Bagh – ein herrlicher Park
Trivandrum (Thiruvananthapuram)
Zu Gast bei einer katholischen Familie
Ponmundi Hill
Cape Comorin (Kanyakumari) – die Südspitze Indiens
Kovalam Beach
Rückflug über Delhi
Delhi
Stadtrundfahrt Delhi und die Rache Montezumas
Teil II
Nordostindien
Besuch in Malipur 1990
Besuch eines Krankenhauses
Zündeln im Schlafsaal
Ausflug ins Himalaya Gebirge
Erster Besuch in Charatpur 1990
Charatpur 1992
Kalkutta (Kolkata)
Charatpur Schulprojekt
Besuch beim Bischof
Ausflug in die Bergwelt
Rundreise Südindien
Charatpur 1994
Leichtsinn kommt vor dem Fall
Swonja
Besuch in der Nachbardiözese
Abschied von der Kirchengemeinde in Charatpur
Charatpur und endlich Anschluss ans Stromnetz
Das Kindermissionswerk hilft uns
Südindien
Hilfe für Slumkinder in Bangalore
Indische NGO für behinderte Kinder im Slum
Patenschaften im Slum von Bangalore
Tsunami in Südindien
Nordostindien
Traum und Wirklichkeit ein Kinderdorf zu bauen
Lisa, Reema und Niraj
Dank
Die Autorin
Freunde brachten mich am 11.12.1988 zum Flughafen in Frankfurt. Alle Formalitäten waren schnell erledigt, ein kurzes Winken und mein Abenteuer Indien begann. Im Flugzeug saß ein etwa zehnjähriger Junge neben mir. Es war erstaunlich, wie locker dieser kleine Kerl sich mit mir unterhielt. Er ging in London zur Schule und da Ferien waren, flog er heute zu seinen Eltern nach Bahrain. Ich genoss den guten Service der Gulf Air und auch mein Einstieg in die orientalische Küche. Es gab Lammrollbraten mit Curryreis und Ratatouille. Es schmeckte köstlich. Darauf folgte arabischer Kuchen und dazu türkischer Kaffee, der einen äußerst eigenartigen Geschmack hatte. Ja, eine fremde Welt erwartet mich. Als wir in Bahrain landeten strahlte mein kleiner Nebenmann und er konnte nicht schnell genug zu seinen wartenden Eltern und Geschwistern kommen. Auch wir anderen Reisenden nach Bombay mussten das Flugzeug verlassen und es gab überall Ratlosigkeit wohin. Ich schloss mich Reisenden an, die auch nach Bombay wollten und eine Stunde später saßen wir schon wieder im Flieger. Ortszeit 5 Uhr setzte die Maschine in Bombay auf. Die bleiernde Müdigkeit, die mich übermannt hatte, war plötzlich verflogen. Was würde mich nun erwarten? Eine riesige Schlange vor der Einreise- und Passkontrolle. Als ich endlich an der Reihe war, reklamierte der Kontrolleur mit großem Lamenti, dass ich den Einreisezettel falsch ausgefüllt hätte. Einen neuen Zettel gab es nicht. So schrieb ich die fehlende Angabe dazwischen und ich stellte mich an der anderen Schlange an und siehe da, nun wurde ich durchgelassen. Beim Zoll ging dann alles glatt. Am Ausgang drückten sich die Menschen an den Fenstern die Nase platt. Ich wurde nicht abgeholt.
Nun war ich auf mich selbst gestellt. Nur jetzt keine Unsicherheit aufkommen lassen. Als ich nach draußen kam, färbte sich der Himmel rosarot. Der Tag fing an und auch meine Zeit in Indien. Vor dem Flughafen war schon reger Betrieb. Ich hatte mir einen Taxischein zum Festtarif im Flughafen gekauft und nun musste ich mir den Taxifahrer suchen. Alles ging sehr schnell und schon waren wir auf dem Weg in die Stadt. Durch das offene Fenster strömte die frische Morgenluft herein. Doch was für ein eigenartiger, süßlicher Geruch! Wie nach Jasmin. An den Linksverkehr musste ich mich erst gewöhnen, auch dass alle wie vom Teufel verfolgt fuhren. Ein ständiges Hupen, ausweichen in letzter Minute, man war versucht, die Augen davor zu verschließen. Aber dafür gab es rechts und links viel zu viel zu sehen. Kilometer weit säumten die Slums die Straße. Die Hütten bestanden teilweise nur aus Plastikplanen, von Stöcken gehalten. Andere waren aus Holz, Pappe und einem Stück Wellblech zusammen gebastelt. Die besseren Hütten hatten Dächer aus getrockneten Palmzweigen. Trotz der frühen Stunde war hier schon emsiges Leben. Frauen hatten Wasserbehälter auf dem Kopf und eilten zu ihren Hütten. Immer wieder sah man Kuhställe. Die Kühe zogen auch durch die Stadt, lagerten auf der Straße oder sie ziehen gemütlich ihres Weges. Alles fährt um sie herum und weder Mensch noch Tier regt sich darüber auf, da die Kuh in Indien ja heilig ist. Aber in Bombay hat man trotzdem die Kühe aus dem Zentrum verbannt. Der wahnsinnige Verkehr lässt das nicht mehr zu. Zwischen Autos, Bussen und LKWs trotten auch Ochsengespanne mit ihren Lasten, sowie große Handkarren, schwer beladen mit Obst und Gemüse, gezogen von hageren Männern. Viele trugen die Lasten auf ihrem Kopf. Je näher wir der Stadt kamen, veränderte sich das Straßenbild. Statt Hütten säumten nun Häuser die Straße. Auf den Bürgersteigen sah man Menschen die schliefen, teilweise mit Zeitungspapier zugedeckt. Dann kamen riesige Wohnsilos, hässlich anzusehen. Der Verkehr nahm mehr und mehr zu. Im Zentrum staunte ich über sehr schöne alte Häuser. Was für ein Kontrast! Dann tauchte zu meiner rechten das Meer auf, wir waren auf der Strandpromenade. Im Wasser lag ein weißer Palast und der Taxifahrer sagte, dass dieser nur bei Ebbe erreichbar wäre.
Kurz darauf erreichten wir das Hotel Taj Mahal Intercontinental. Sikhs in prachtvollen Gewändern öffneten das Taxi. Wie von Zauberhand war mein Gepäck schon im Hotel verschwunden. Ich betrat das Traumhotel mit klopfendem Herzen. Welche Pracht empfing mich! Ich blieb einen Augenblick wie gebannt stehen, um den ersten Eindruck von dem, zu der Zeit schönstem Hotel der Welt, in mich aufzunehmen. Ein Freund, der geschäftlich hier im Hotel war, hatte ein Zimmer im alten Trakt für mich gebucht. Er schaffte es, für mich einen akzeptablen Preis zu erhalten, und somit konnte ich es mir für drei Nächte leisten. Das Treppenhaus im alten Trakt war von einer gewaltigen Halle umgeben. Ein Boy brachte mich zu meinem Zimmer. Kleine antike Möbel machten den Schlafraum sehr wohnlich und dann der Blick aus dem Fenster! Ich konnte das Meer sehen.
Aber schon bald überfiel mich die Müdigkeit und ich wollte nur schlafen. Aber das wollte mir nicht gelingen, ich war zu überdreht.
Also nahm ich doch erst einmal ein Bad. Die Badezimmer Einrichtung war ein Traum aus einem anderen Jahrhundert, sehr antik, ich war begeistert. Wie alt sind wohl diese Armaturen? In der Wanne sitzend wollte ich den Wasserhahn zudrehen. Aber der ließ sich nicht bewegen. Einen Überlauf hatte die antike Wanne nicht und der Stöpsel ließ sich nicht herausziehen! Was tun? Raus aus der Wanne und ans Telefon. Aber meine Englischkenntnisse reichten nicht, dem Mann am Telefon zu erklären, dass ich kurz vor einer Überschwemmung im Bad stehe und schnellstens Hilfe brauche. Also legte ich wieder auf, schnappte mir den Bademantel aus dem Bad, und lief auf den Flur. Ich hoffte, jemanden um Hilfe bitten zu können. Wie aus dem Nichts tauchte ein Hotelboy auf und ich zog den verdatterten jungen Mann ins Bad. Der hatte sofort die Situation erfasst und stoppte den Wasserzulauf. Na, das fing ja alles schon gut an.
Meine ersten Schritte auf den Straßen Bombays, tat ich sehr zaghaft. Ich hatte noch nicht ganz die Uferstraße erreicht, schon war ich von Bettlern umringt. Ich hatte mir vorgenommen, niemanden was zu geben. Also den Blick starr geradeaus und los. Es war schrecklich! An diese Situation musste ich mich nun gewöhnen. Dieser Linksverkehr machte mich anfangs ganz konfus und so erkämpfte ich mir Straße für Straße. Überall lagen magere und verlumpte Menschen auf den Bürgersteigen und schliefen. Die Frauen in ihren bunten Saris sahen etwas sauberer aus. Die Kinder, die sie zum Betteln auf dem Arm hatten, waren schmutzig und völlig zerlumpt. Aber das gehört zur Strategie des Bettelns und ist zum Teil organisiert. Oft werden Kinder auch verstümmelt, um erfolgreicher betteln zu können. Das ist eine sehr traurige Seite Indiens und ich hätte nun dringend jemanden zum Reden gebraucht. Es war keine gute Idee gewesen, diese Indienreise alleine zu machen.
Müde kam ich ins Hotel zurück und suchte mir ein ruhiges Plätzchen, wo ich mich etwas erholen konnte. Nach meiner Runde durch dieses wunderschöne Hotel entdeckte ich die Gartenterrasse. Während draußen der Verkehrslärm fast unerträglich war, fand ich hier eine himmlische Ruhe. Dieser stilvolle exotische Garten verleitet zum Träumen. Exotisch gekleidete Bedienstete huschten umher und versorgten die Gäste mit köstlichen Getränken. Mir war, als wäre ich in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht.
Abends begab ich mich sehr früh schlafen und wurde schon wieder bei Sonnenaufgang wach. Ich ging zum offenstehenden Fenster und hielt den Atem an. Diese Stimmung auf dem Wasser! Es schimmerte lachsfarben, wie mit Perlmutt überzogen. Das Farbenspiel ist nicht zu beschreiben. Am Horizont sah man Ozeanriesen und davor hunderte von Fischerbooten. Die Strandstraße war noch menschenleer. Nur die Krähen lärmten mit den Möwen um die Wette. Durch das geöffnete Fenster drang wieder dieser süßliche herbe Geruch, den ich schon am Flughafen wahrgenommen hatte.
Nach dem Frühstuck ging ich zum 'Travel Desk', um mich um meinen Flug nach Madras (Chennai) zu kümmern. Den hatte ich schon in Deutschland gebucht, er war aber noch nicht bestätigt. Nun sagte man mir, dass für mich überhaupt keine Buchung vorläge und es bis Jahresende auch keine freien Flüge mehr gäbe! Man riet mir den Zug zu nehmen. Ich war wie vom Donner gerührt. Nun konnte mir nur noch Bikash in Madras helfen. Er hatte mich eingeladen seine Familie über Weihnachten und Neujahr zu besuchen. Also rief ich ihn an und erzählte ihm von dem Dilemma. Ich war froh, dass er die deutsche Sprache noch nicht ganz vergessen hatte. Prakash wollte versuchen von Madras aus meine Probleme zu lösen, aber keine Chance. Ich war schon bereit, eine 24 Stunden Fahrt mit Schlafwagen nach Madras in Kauf zu nehmen. Die Rezeption rief an, ich solle umgehend eine Cilly in Bombay anrufen. Ich kannte keine Cilly und da rief auch schon Prakash wieder an: „Cilly ist meine Cousine und sie kennt jemand bei Gulf Air. Bitte Anne, frage im Hotel nach einem Flugkapitän, sein Name ist Sri Lapten. Er wird dich mit nach Madras nehmen. Kein Problem Anne!“ Noch glaubte ich an dieses Wunder. Der Traum vom Flugkapitän war aber kurz. Er war nicht im Hotel. Nun wurde ich doch etwas unruhig, was wenn ich weder Flug noch einen Platz in der Bahn bekomme? Das Taj Hotel ist für mich viel zu teuer um länger dort zu verweilen. Wieder Anruf in Madras, wieder kein Problem! Da dachte ich noch, ich hätte noch zwei Tage Zeit für Bombay. Ich wusste noch nicht, dass indische Uhren anders gehen. Ich sollte noch viele Gelegenheiten haben, das fest zu stellen. Den ganzen Vormittag hatte ich mit diesem Problem vertan, und ich bekam nur mit Mühe und Not noch einen Platz im Sightseeing-Bus. Der holte mich am Hotel ab. Ich freute mich, dass ich wenigstens einen kleinen Überblick von der wunderschönen Stadt bekommen sollte.
Die Innenstadt Bombays gefiel mir sehr, besonders die herrlichen alten Gebäude im viktorianischen Stil hatten es mir angetan. Die Stadt schien ein einziger Bazar zu sein. Auf den Bürgersteigen wurden alle möglichen Waren angeboten. Da gab es vor allen Dingen die Garküchen. Dort roch es köstlich und die Speisen sollen sehr gut schmecken, aber man musste damit rechnen, dass die Speisen alle sehr scharf gewürzt sind. Immer wieder kam man an den so genannten heiligen Bäumen vorbei. Dort verweilen die Hindus zu einem kurzen Gebet und geben oft eine milde Gabe dem Priester. Diese heiligen Bäume sind mit Bildern indischer Gottheiten geschmückt. Oft hockt auch ein Sadhu davor. Die Priester tragen ein orangefarbenes Gewand und ein Sadhu ein weißes Wickel-Beinkleid. Ein Sadhu ist ein sehr alter Mann, der seine Familie verlassen hat, um bis zu seinem Tod ein Leben im Gebet und in Armut zu führen. Oft bleiben sie nicht am selben Platz, sondern ziehen durch die Lande. Sie leben nur von milden Gaben. Dafür erbittet er für den Wohltäter Krishnas Gnade. In der Nähe der Tempel und Gebetsstätten flechten Frauen und Mädchen Blumenkränze aus Jasmin und anderen Blüten. Diese werden als Gabe mit in den Tempel genommen. Junge Mädchen schmücken sich mit kurzen Blumengirlanden das Haar.
Wir besuchten einen buddhistischen Tempel. Vor dem Tempel mussten wir unsere Schuhe ausziehen. Die prächtigen Farben in den Tempeln ließen einen staunen und Zeit und Raum vergessen. Doch dann durchzuckte es mich wie ein Blitz, meine Schuhe! Unter den Einlagen hatte ich meine gesamte Reisekasse versteckt! Im Nu war ich draußen. Ein alter Mann bewachte die Schuhe. Mit einem Lächeln reichte er mir meine Schuhe. Die Aufregung war umsonst gewesen.
Vom Tempel ging es zu den hängenden Gärten. Ein lohnenswerter Abstecher. Viele Sträucher waren kunstvoll zugeschnitten und man stand plötzlich vor einem grünen Elefanten. Von hier aus sah man die Türme des Schweigens. Sie gehörten den Parsen. Auf dem Dach dieser sehr hohen Häuser beerdigen die Parsen ihre Toten. Der Leichnam wird mit einem Ritus dort oben abgelegt und dann überlässt man ihn den Geiern. Da läuft es einem schon etwas gruselig den Rücken herunter. Zurück von der Stadtrundfahrt war erst einmal eine Ruhepause nötig. Danach besuchte ich das nahegelegene National Museum. Ein unbedingtes Muss! Man taucht hier tiefer in dieses Land ein.
Es war spät nachmittags. Nicht mehr lange, dann würde die Sonne ins Meertauchen. Auf der Strandpromenade war eine riesige Menschenmenge, die wie ich, den Sonnenuntergang erleben wollte. Bei Dunkelheit leuchteten an der langen Promenade die Straßenlaternen und es sah aus, wie eine kilometerlange Perlenkette. Nachdem das Meer die Sonne verschluckt hatte, ging ich zurück zum Hotel.
Von dem anstrengenden Tag fiel ich abends todmüde ins Bett. Zudem kämpfte ich ja auch noch mit dem Jetlag. Mitternacht riss mich das Telefon aus dem Schlaf, Bikash! „Bitte sei morgen um 12 Uhr mit dem Gepäck am Flughafen und kaufe dir ein Open Ticket, und sei um 14 Uhr beim 'Duty Officer'. Sage ihm, dass du nach Madras musst, und dass du eine Zusage vom Flugkapitän Sri Lapton und Flugkapitän Rauman hättest. Keine Angst, keine Problem Anne!“ Ich tat mich schwer, meinen unterbrochenen Schlaf wieder zu finden.
Ein Taxi brachte mich zum Flughafen. Ich hatte ein schrecklich mulmiges Gefühl, ob ich es wohl schaffen würde, den 'Duty Officer' davon zu überzeugen, dass ich wirklich die Zusage von dem Flugkapitän hatte, einen Platz in der Maschine nach Madras zu bekommen. Als ich den Flughafen betrat, stürzten sich gleich drei Burschen auf mein Gepäck, sie gaben es nicht mehr her und sausten los. Ich in Panik hinter her. Endlich blieben sie stehen und ich sagte ihnen, dass ich zum Büro von Indian Airlines müsste. Das war geschlossen. Dann zum 'Duty Officer', aber da sollte ich ja erst um 14 Uhr sein. Da verschwanden die Burschen. Um 14 Uhr begann der Disput mit dem 'Duty Officer' und abends um 18 Uhr hatte ich endlich meine Bordkarte. Ich war fix und fertig. Wie aus dem Nichts tauchten dann diese Burschen wieder auf und schnappten sich mein Gepäck. Als ich es endlich aufgeben konnte, haben mich diese Drei mächtig zur Kasse gebeten. Ich hatte keine Kraft mehr, mich zu wehren. Das Einchecken hatte meine allerletzten Nerven gekostet. Als ich endlich an der Reihe war, schloss der Schalter und Reisende irrten umher, um den zuständigen Schalter zu finden. An einigen Schaltern stand das Reiseziel nur in Hindi. Ich war den Tränen nahe. Um mich herum nur Inder. Ich fasste mir ein Herz und sprach ein Ehepaar an. Schnell war der Schalter gefunden.
Im Wartebereich für den Abflug stürzte sich eine Deutsche auf mich. Sie kam von Poona, schwärmte von ihrer Zeit im Ashram und war völlig aufgedreht. Wir haben so miteinander gelacht, dass sich selbst unsere indischen Mitreisenden amüsierten. Damit hatte sich meine Anspannung endlich gelöst.
Hotel Taj Mahal
Bombay: 'Gateway of India'
Strandpromenade - Marine Drive
Arabisches Meer
Bombay City
Am Stadtrand von Bombay
Unser Abflug verzögerte sich um mehr als zwei Stunden. Nach einer Zwischenlandung in Bangalore landeten wir um 23 Uhr in Madras. Was würde mich hier in Madras erwarten? Der Gedanke verfolgte mich schon während des Fluges. Bikash hatte mich eingeladen Weihnachten mit seiner Familie zu verbringen. Aber wollte das auch seine Frau? Alte Wunden könnten bei ihr aufbrechen! Es ist schon so lange her, dass Bikash in Deutschland war und meine Schwester ihn im Krankenhaus kennenlernte. Damals dachte er, er müsse in der Fremde sterben. Eine Krankenschwester bat meine Schwester, ihn im Nachbarzimmer zu besuchen und ihm wieder Lebensmut zu geben. Das hat sie erfolgreich getan, es wurde eine große Liebe.
Am Ausgang des Flughafens in Madras standen die Wartenden hinter einer Absperrung. und ich versuchte Bikash zu finden. Aber es waren alles nur fremde Gesichter für mich. Plötzlich hörte ich eine Stimme „Anne“? Da stand Bikash mit dunkler Hornbrille vor mir und ich suchte in seinem Gesicht den Bikash von damals. Er hatte sich schon sehr verändert, aber wie viele Jahre waren vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Ranu, seine Frau, war nicht mitgekommen. Bikash hatte sein Auto in der Nähe geparkt, und schnell verschwand mein Gepäck im Kofferraum, und los ging es in die Nacht. Man sah alles nur schemenhaft und mir fiel auf, dass sehr viele Kühe auf den Straßen lagerten. In Bombay hatte man sie aus der Innenstadt verbannt. Um diese Zeit waren die Straßen fast menschenleer. Bikash und ich redeten locker miteinander, wie in alten Zeiten. Er sprach noch etwas deutsch, das stellte ich gleich beruhigt fest. Mein Englisch bedurfte sehr der Auffrischung. Der Stadtteil kam mir sehr alt vor und als ich fragte, ob das die Altstadt wäre, bekam ich zur Antwort: „Nein alte Stadt ist woanders“. Ich hoffte die Umgebung würde bald besser. Die Straßen waren unbefestigt und rechts und links nur 'Basties', die Hütten der Armen. Endlich tauchten in der Dunkelheit einigermaßen passable Häuser auf, und dann waren wir endlich da.
Mein Magen fing an zu flattern. Was würde mich hier erwarten? Ich hatte zu meiner Freundin gesagt: „Der Besuch dort steht und fällt mit Ranu!“ Was ich in der Dunkelheit sehen konnte, das Haus sah aus wie eine kleine Burg, also vom Feinsten! Der Hausdiener öffnete uns das große Tor. Er trug einen weißen Dhoti, das traditionelle Beinkleid. Er verneigte sich tief und ich schenkte ihm, trotz schrecklicher Müdigkeit, ein freundliches Lächeln. Wir fuhren in die Garage, die der älteste Sohn für uns öffnete. Freundliche Begrüßung und dann ging es ins Haus. Hier wartete Ranu und begrüßte mich förmlich. Sie führte mich ins Wohnzimmer und bat mich Platz zu nehmen. Ranu trug eine graue Hose und eine weiße Bluse. Sie sah krank aus und hatte dunkle Ringe unter den Augen. War ich der Grund? Sie meinte, sie fühlte sich nicht gut, sie hätte eine Erkältung und wäre müde. Ich bat schlafen gehen zu dürfen, da ich auch todmüde wäre. Da zeigte sie mir mein Zimmer, das gleich an den Wohnraum grenzte. Ein fast runder Raum, mit einem großen Bett, ein Kleiderschrank und ein Regal. Über dem Bett sah ich einen riesigen Ventilator und auch eine Klimaanlage war vorhanden. Daneben befand sich gleich ein Badezimmer. Soviel Komfort hatte ich gar nicht erwartet.
Es war sehr warm im Zimmer und da die Klimaanlage schrecklich laut war, versuchte ich ohne sie zu schlafen. Ich hatte meine Augen noch nicht zu, da kamen schon die ersten Moskitos und bliesen zum Kampf. Was tun? Raus aus dem Bett, und ich suchte in meinen noch nicht ausgepackten Koffer, ein mitgebrachtes Stück engmaschige Gardine, die im Notfall als eine Art Moskitonetz herhalten sollte. Nun war schon der Notfall da! Aber wo befestigen? Es fand sich nichts, und da ich zum Umfallen müde war, warf ich sie so über meinen Kopf. Den Angriff dieser blutrünstigen Biester versuchte ich zu überhören. Am nächsten Morgen sah mein Gesicht wie ein Streuselkuchen aus.
Um 9 Uhr kam ich pünktlich zum Frühstück. Da Bikash schon früh in seine Fabrik gefahren war, und Mohan, der Sohn, zur Uni war, leistete mir nur Ranu beim Frühstück Gesellschaft. Sie war nicht sehr gesprächig, aber sie fragte mich, was ich zu Mittag essen möchte. Meine Antwort war „Reis mit Gemüse, aber bitte nicht so scharf gewürzt!“ Es schmeckte sehr gut. Es gab zwei weibliche Angestellte in dem Haus, Mutter und Tochter. Die Mutter, ihr Name war Amina, hatte das Essen zubereitet, zusammen mit Ranu. Man sah, dass sie schon ein hartes Leben hinter sich hatte. Als sie das Essen auf dem Tisch brachte, sah ich ihre abgearbeiteten Hände. Ihre hübsche Tochter Kutty sah noch hoffnungsfroh in die Zukunft. Sie war für das Haus da, half aber auch ihrer Mutter beim Kochen. Aber wie Ranu mir sagte, Amina könne nicht gut kochen, daher müsse Ranu es ihr zeigen und hätte dadurch keine Zeit für mich. Mir war es Recht. So hatte ich Zeit meinen Koffer aus zu packen. Auch sehnte ich mich nach einem Mittagschlaf, ohne Moskitos. Diese halten sich ja am Tag zurück. Am Nachmittag schrieb ich an meinem Reisebericht für meine Freunde in Deutschland. Ein Freund hatte mir das ans Herz gelegt. Dem Heft konnte ich alles anvertrauen, meine frohen Erlebnisse, die mich bewegten, was mich traurig oder auch was mich wütend machte. So entstand der Bericht über meine erste Indienreise.