Inferno Girl - Fiona Rose - E-Book

Inferno Girl E-Book

Fiona Rose

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Beschreibung

Moana ist eine Hybridin. Als halb Mensch und halb Nexianerin wird sie in allen übernatürlichen Welten verabscheut. Sie hat nur eine einzige Mission: Die Perle zu finden. Ein Schatz, nach dem seit jeher in den Magiewelten gejagt wird und eine Suche, die bisher noch keinem gelungen ist. Auf Moanas Reise werden ihr viele Hindernisse gestellt. Eines davon ist der mysteriöse, gut aussehende Krieger Elian, der nichts als eine Gefahr für sie darstellt. Und dennoch kann sie die elektrisierende Anziehung zu ihm nicht leugnen. Eine teuflische Versuchung, die ihr Ende bedeuten könnte - und doch kann sie ihr schon bald nicht mehr widerstehen.

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Roman

Band 1

eBook-Ausgabe

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright © 2024 by Andrea Geringer

Cover: Copyright © by Miblart

Verlag: Andrea Geringer

Florianigasse 1.

2434 Pischelsdorf

Österreich

[email protected]

Distribution im Auftrag der Autorin: tredition GmbH,

Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Dieses Werk, einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Anmerkung der Autorin

Teil Eins

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Teil Zwei

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Über die Autorin

Inferno Girl

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Anmerkung der Autorin

Über die Autorin

Inferno Girl

Cover

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Anmerkung der Autorin

Für optimale Unterhaltung wird von der Autorin folgende akustische Begleitung empfohlen:

Sie blickte auf das Meer hinab. Das Mondlicht verlieh dem Wasser einen metallenen Glanz. Plötzlich war nichts mehr von der sonst so sinnlichen Flut und Ebbe erkennbar. Nur noch eine quecksilberartige Flüssigkeit blieb zurück und bahnte sich langsam einen Weg zu ihr.

Sie erschrak und wollte flüchten. Doch sie konnte nicht. Das Meer zog sie in ihren Bann und sie wusste, sie war den Mächten der Natur heillos ausgeliefert.

Sie würde immer anders sein als die anderen. Sie lächelte in sich hinein, war fast schon amüsiert über die Grausamkeit des Schicksals. Anders ließ sich der Schmerz nicht ertragen. Immer wenn sie dachte, sie hätte sich an ihr Dasein gewöhnt, traf es sie von Neuem.

Sie war nicht gemacht für diese Welt – das wusste sie.

Und dennoch blieb ihr keine Wahl.

Konzentriert starrte sie auf die Gischt, die immer noch bedrohlich unter ihr wütete. Dort unten, in den Tiefen des Meeres war sie. Sie spürte ihre Anwesenheit mit jeder Faser ihres Körpers.

Sie war nicht wie die anderen. Sie würde nicht aufgeben. Sie zu finden, war das Einzige, was ihr blieb.

Ihr Entschluss stand fest. Entweder ihr gelang, was noch keinem in der Geschichte ihrer Art gelang – oder es gäbe nichts mehr, für das es sich zu existieren lohnte.

TEIL

INFERNO GIRL

1

Es war ein Tag wie jeder anderer. Dachte sie zumindest. Moana durchquerte die lange Allee, die von den verschiedensten Baumarten gesäumt wurde.

In Seatopia existierte nichts zweimal. Jedes Seewesen, das in der mit Sauerstoff gefüllten Unterwelt mitten im Ozean, in den unterschiedlichsten Ausprägungen vorkam, war einzigartig. Die Leuchtkäfer, die die Bäume umschwirrten, erstrahlten in ihrer hellsten Kraft – jeder in einer anderen Farbe.

Nach wie vor fasziniert von der Schönheit ihrer Welt, ging sie weiter - immer tiefer in den Wald hinein. Bald drang kein Licht mehr durch die dicht verzweigten Äste, sodass sie sich voll und ganz vom Glühen der Leuchtkäfer weisen ließ.

Sie war die Düsterheit gewohnt. Sobald man durch das Portal schlüpfte, das Seatopia mit dem Rest des Meeres verband, wurde man von einer immer stärker werdenden Dunkelheit begrüßt, die einen umfing wie eine schwarze Wolke. Sie betäubte die Sinne und für einen kurzen Moment gab es nichts als Schwärze. Doch mit der Zeit wurde es leichter, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. Wenn sie in jede Zelle des Körpers gedrungen war, entstanden feste Umrisse in der Sicht und ehe man sich versah, schien ein Leben in völliger Finsternis plötzlich möglich, bis man selbst fest daran glaubte.

Moana umfasste die glitzernden, feuchtnassen Steine an der Wand. Mittlerweile hatte sie die Diamantenhöhle Seatopias erreicht, die den Wald und das Portal mit dem Rest der Welt verbanden.

Moana fröstelte. Trotz der steigenden Temperaturen in der Menschenwelt blieb es in Seatopia immer kühl. Jahreszeiten gab es nicht. Anders als andere Seatopianer nahm sie die kalten Temperaturen jedoch wahr.

Sie drang weiter in die Höhle ein und langsam kam ein helles Licht am Ende des Tunnels in Sicht, die Öffnung zum Hauptareal. Der einzige Ort in ihrer Welt, der sich hell beleuchtet vor ihr erstreckte. Das Licht war so grell, dass Moana nur schwer die Augen offenhalten konnte und bildete einen starken Kontrast zur alles umfangenden Dunkelheit am Eingang ihres Reichs. Schützend hielt sie sich die Hand vor die Augen. Ein zu langer Blick in das strahlende Licht und man erblindete. Ursprünglich als Schutz für Eindringlinge, galt diese Regel auch für Moana.

Sie sah sich um und entdeckte einige Seefeen, die hoch ober ihr flogen und mit feindseligen Blicken auf sie hinabblickten. Sie war den Hass gewohnt und hat es schon lange aufgegeben, dazugehören zu wollen.

Entschlossen richtete sie ihren Blick wieder nach vorn. Vor ihr erhob sich die Pracht des jahrhundertealten Schlosses, das Herz Seatopias. Hier residierte die Königin der Seatopianer, die Moana nicht unbedingt gut gesinnt war.

Am liebsten würde sie einfach kehrtmachen, zurück in ihr heimeliges Häuschen, das ihr all die Jahre Zuflucht in der kalten Welt geboten hatte. Doch ihr blieb ihr nichts anderes übrig. Befehl war Befehl, ganz zu schweigen, wenn er von der Königin angeordnet war.

Moana straffte die Schultern und rüstete sich. Schritt für Schritt ging sie vorwärts.

Am Eingang musterte sie die Wache mit verengten Augen, die spitzen Speere angriffsbereit. Sie hielt ihren hasserfüllten Blicken stand und durchquerte das Tor. Eine kleine Brücke führte zum Schloss.

Das Wasser darunter war gesäumt von leuchtenden Fischen. Doch der bezaubernde Anblick täuschte. Die glänzenden Fische schienen einen in den Bann zu ziehen, denn genau das war ihre Taktik. Sobald man sie zu lange betrachtete, konnte man den Blick nicht mehr abwenden und wurde magisch zu ihnen gezogen. Bis man kopfüber ins Wasser stürzte und bei lebendigem Leib verschlungen wurde. Moana schüttelte sich über die perfide Bestialität der so idyllisch anmutenden Fische.

Entschlossen ging sie weiter zum Haupteingang des Schlosses, der aus zwei gewaltigen hölzernen Türen bestand. Zauberefeu rankte sich darüber und bewegte sich in alle Richtungen. Vorsichtig wich Moana den sich windenden Ranken aus, die Eindringlinge binnen Sekunden erwürgen konnten. Wurde die Pflanze von ihrer Wurzel getrennt, so verlor sie zwar an Bewegungsvermögen, doch ihr Gift blieb ihr erhalten.

Die Türen ebneten den Weg zu einer lichten Wiese. Von hier aus wurde man am Königshofe in Empfang genommen.

Sie betrat die Grünfläche, die nun hell leuchtete. Dies tat sie nur bei bestimmten Personen. Sie wusste, dass der Königin dieses Zeichen nicht gefallen würde. In dem Moment betrat die Königliche Hoheit den Hof. Sie stand am Treppenabsatz und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf die Lichtung zu Moana hinunter. Sie spürte ihren kalten Blick auf ihr ruhen, der sie zu durchbohren drohte. Genau wie bei den Wächtern hielt sie auch ihrer Feindseligkeit stand und wappnete sich für das Gespräch, das jetzt folgte.

»Tritt ein.«

Zwei Worte. Mehr bedurfte es nicht, um Moana dazu zu bewegen, durch die schimmernd gläserne Wand hindurchzutreten, die sich vor ihr aufgebaut hatte. Dabei handelte es sich um einen Schutzwall, der sie von neugierigen Mitlauschern der Hofgemeinschaft schützen sollte.

Moana machte einen Knicks, obwohl sich jede einzelne Faser ihres Körpers dagegen sträubte. Mit Genugtuung unterbrach die Königin die eisige Stille zwischen ihnen.

»Ich fürchte, ich habe schlechte Neuigkeiten für dich, Moana.«

Ein leicht spöttisches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Moana war an den herablassenden Ton, mit dem man sie in Seatopia oft ansprach, gewohnt. Aus ihrer Erfahrung wusste sie, dass es besser war, in solchen Fällen zu schweigen.

»Es war uns eine Freude, eine Kreatur wie dich bei uns in Seatopia zu beheimaten, doch ich fürchte, es ist Zeit für dich zu gehen.«

Sie sprach Kreatur mit solcher Abscheu aus, als wäre es allein ein Vergehen, das Wort in den Mund zu nehmen.

»Was?« Es platzte aus Moana heraus, ehe sie sich zurückhalten konnte. Sie konnte einfach nicht glauben, was sie da hörte.

Die amüsierte Miene der Königin versteinerte sich.

»Du bist hier nicht mehr erwünscht. Wir, und ich spreche im Namen ganz Seatopias, können deine Anwesenheit in unserem Reich nicht länger tolerieren. Es ist Zeit für dich, zu deinem Ursprung zurückzukehren.«

Die Worte prallten an ihr ab, erreichten sie nicht.

»Ich … ich verstehe nicht …«

Es machte keinen Sinn. Seit ihrer Ankunft in Seatopia war Moana nichts als rücksichtsvoll gewesen. Sie half den Bewohnern des Reiches, auch wenn ihre Hilfe nicht gern gesehen war. Sie unterdrückte ihre Frustration und versuchte dennoch dankbar dafür zu sein, endlich eine Bleibe gefunden zu haben. Und jetzt sollte sie gehen, nach allem, was sie für Seatopia getan hatte?

Moana spürte das Gefühl von Wut in ihr hochsteigen. Zuerst nur ganz leicht, doch dann wurde es immer stärker, bahnte sich einen Weg durch sie hindurch. Sie verlor an Kontrolle und ihre Stimme wurde lauter.

»Ich soll gehen? Nach allem, was ich für Eure Welt getan habe?« Es klang eher wie eine Drohung, als eine Frage.

Die Königin zuckte zurück, war sich wohl bewusst, was passieren konnte, wenn Moana die Kontrolle verlor.

Ein Schnipsen mit den Fingern reichte und die Wächter standen an ihrer Seite. Sie umschlangen Moanas Hände mit Zauberefeu, der sich gierig in ihre Haut fraß. Moana wollte schreien vor Schmerz. Doch der Efeu entzog ihr die Energie, die sie brauchte, um zu kämpfen.

»Ich verbanne dich hiermit aus Seatopia. Du wirst von nun an keinen Zugang mehr zu unserem Reich haben. Es tut mir wirklich leid, Moana, aber deine Anwesenheit hier gefährdet die Seatopianer mehr, als dass sie davon profitieren könnten …«

Die Worte der Königin kamen kaum noch bei Moana an, da sich ihre Sicht bereits verzerrte und ihre Muskeln erschlafften. Sie wusste, sie würde gleich das Bewusstsein verlieren. Zauberefeu war das stärkste Mittel gegen Zauberwesen. Es entzog einem alle Kraft, die man besaß – und das binnen weniger Sekunden.

Dann wurde alles um sie herum dunkel.

2

Als sie erwachte, weckten sie nicht die Gesänge der Seekreaturen, die schon morgens sehr laut sein konnten. Stattdessen kitzelte sie etwas an der Nase.

Sie griff zur Seite, auf der Suche nach ihrem Wecker, wie sie es jeden Morgen tat, um zu sehen, wie spät es war. Doch da war nichts. Nichts außer Sand. Alarmiert schlug sie die Augen auf und blickte direkt in den tiefblauen Himmel. Die Sonne strahlte bereits erbarmungslos auf sie herab. Neben ihr rauschte das Meer in sanften Wellen.

Sie wusste nicht, wie lange sie das Bewusstsein verloren hatte, doch sie wusste weshalb. Die Wirkung des Zauberefeus konnte von Stunden bis Tagen reichen, je nachdem, wie lange er dem Opfer die Lebensenergie entzog.

Langsam kamen die Erinnerungen an die Ereignisse zurück. Die Worte der Königin hallten in ihrem Kopf wider.

Ich verbanne dich hiermit von Seatopia. Du wirst von nun an keinen Zugang mehr zu unserem Reich haben.

Ihr spöttischer, herablassender Blick.

Es tut mir wirklich leid, Moana, aber deine Anwesenheit hier gefährdet die Seatopianer mehr, als dass sie davon profitieren könnten.

Und dann traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag. Sie hatte keinen Zugang mehr zu Seatopia. Das Reich, das zumindest für mehrere Jahre einem Zuhause glich, wurde ihr genommen. Einfach so. Als wären ihre Bemühungen all die Jahre bedeutungslos gewesen.

Sie spürte die Wut wieder in ihr aufkommen. Doch diesmal konnte sie kein Zauberefeu mehr aufhalten. Sie ließ es geschehen, spürte, wie die Frustration in ihr die Oberhand gewann. Ein Anflug von Hitze durchströmte ihren Körper und sie erzitterte. All ihre Kräfte verschmolzen in ihr. Das Meer spürte ihre Energie, passte sich ihrer an und die gerade noch leichten Wellen verwandelten sich in bedrohliche, unaufhaltsame Strömungen. Der Himmel verdüsterte sich und wurde nur durch gelegentliche Blitze erhellt.

Sie wusste, sie geriet außer Kontrolle. Doch wofür lohnte es sich noch dagegen anzukämpfen?

Sie hatte alles verloren. Schmerz durchzuckte sie. Alte Erinnerungen erschienen vor ihrem inneren Auge.

Ihre Eltern, die ihr alles bedeuteten und liebevoll auf sie hinabblickten. Im nächsten Moment ihre leblosen Körper am Boden.

Der Schmerz verstärkte sich. Sie schrie und richtete ihre Hände, die mittlerweile in allen Farben erleuchteten, auf das Wasser. Der Ozean nahm ihre Kraft auf wie ein ausgehungertes Tier, das kurz vor dem Erliegen war. Die Wellen türmten sich zu einem Tsunami auf, der nicht etwa durch ein Erdbeben, sondern durch Moana ausgelöst wurde.

Sie war gefährlich. Nicht sie als Person, sondern ihre Kräfte, die sie nicht zu kontrollieren vermochte. Sie war so mächtig wie kein anderes Seewesen. Sie war ein Fehler der Natur, den es galt für immer zu vermeiden.

Mit einem Mal verwandelte sich die Wut in Trauer und sie zerbrach innerlich. Moana fiel auf die Knie. Die Tränen kamen unangekündigt und mit voller Wucht. Sie weinte, bis es keine Träne mehr zu vergießen gab. Zu der starken Flut kam nun auch ein heftiges Gewitter hinzu.

Und dann erinnerte sie sich an die eine Aufgabe, die ihr ihre Eltern kurz vor ihrem Tod aufgetragen hatten. Das eine Ziel, das sie jedes Mal vor einem noch gewaltigeren Absturz bewahrte. Mit der Aussicht auf ein Ende ihrer Qualen keimte plötzlich wieder ein Funken der Hoffnung in ihr.

Sie öffnete langsam ihre Hände, die sie vor Wut noch zu Fäusten geballt hatte und merkte, wie sie sich beruhigte. Ihr Atem ging zwar noch immer stoßweise, doch der Schmerz ließ etwas nach. Das Meer tat es ihr gleich und lag wieder ruhig vor ihr. Auch das Gewitter zog weiter und der Himmel erstrahlte erneut in sattem Blau.

Doch was nun? Sie hatte eine Mission, doch keinen Plan. Eigentlich hatte sie ein konkretes Vorhaben gehabt, doch mit der Verbannung aus Seatopia war dieses nun hinfällig.

Langsam drehte sie sich um die eigene Achse und versuchte ihren Standort auszumachen. »Sea Valley - 2 km« stand an einer Tafel nahe dem Strand, an dem sie sich befand.

Sie war wieder in der Menschenwelt und erschauderte. Allein der Gedanke, sich erneut an das Leben der Menschen anzupassen, bescherte ihr eine Gänsehaut. Sie hatte es bereits einmal getan und nun musste sie es wieder tun.

Ihr widerstrebte die Vorstellung, sich als eine von ihnen auszugeben. Auch wenn sie teils Mensch, teils Seatopianer war, mochte sie das Seewesen in ihr viel mehr als die menschliche Seite, die ebenfalls in ihr schlummerte. Trotz des aufkeimenden Widerwillens, war es diese Menschlichkeit, die sie in ihr trug, die es ihr ermöglichte, in der irdischen Welt zu leben.

Moana seufzte. Sie wusste, es gab nur diese eine Möglichkeit, um ihr Ziel zu erreichen. Entschlossen und mit neuem Mut richtete sie sich auf und machte sich auf den Weg nach Sea Valley.

Dort, wo alles angefangen hatte.

3

Alles war noch genauso, wie sie es in Erinnerung hatte.

Sea Valley war eine größere Stadt, direkt am Meer liegend. Der Verkehr zog sich schleppend durch die Straßen. Moana musste stark husten, da sie die Abgase seit Jahren nicht mehr gewohnt war.

Das letzte Mal, als sie hier war, endete nicht gerade im Guten.

Sie kannte nur eine Adresse in Sea Valley. Die einzige Anlaufstelle, an die sie sich wenden konnte, auch wenn ihr bei dem Gedanken ganz unbehaglich wurde. Sie musste wieder zu ihm.

Mit einem mulmigen Gefühl ging sie die Baystreet entlang, folgte dem Verkehr weiter ins Stadtinnere und blieb an einer Bushaltestelle stehen. Dort wartete sie mit anderen Menschen auf den Bus der Greenrayline. Ihr entgingen die neugierigen Blicke nicht, die ihr die anderen zuwarfen. Sie versuchte sie zu ignorieren, doch war es zu lange her, als dass es sie wie früher kalt ließe.

Sie blickte an sich hinab. Ihr blau glitzerndes Kleid hing noch immer nass an ihr herab. Sie beobachtete, wie der durchtränkte Stoff auf den heißen Asphalt tropfte. Die Wärme des Bodens fraß sich durch die dünnen Sohlen ihrer Sandalen.

Endlich kam der Bus. Sie stieg bewusst beim Hintereingang ein und setzte sich in die letzte Reihe, in der Hoffnung unentdeckt zu bleiben. Langsam zählte sie die Stationen, die vor ihr lagen. Winmore Street, Chelsee Street, Lightway Street …

Plötzlich überkam sie eine Nervosität, dass sie nach Luft rang. Musste sie bei Headway West oder North aussteigen? Oder war es doch die Sunrise Street? Ihr Gefühl sagte ihr Headway West. Also stieg sie an der nächsten Haltestelle aus.

Die Sonne strahlte noch immer ohne Erbarmen auf Sea Valley herab. Moana war die Hitze nicht mehr gewohnt. Schwindel überkam sie und sie musste sich an der nächstgelegenen Wand festhalten. Die Passanten schlenderten an ihr vorbei und machten keine Anstalten, ihr zu helfen.

Sie ging weiter zu einem Shop, der so aussah, als würde er Kleidung verkaufen, die bei Irdischen gerade in Mode war. Sie betrat den Laden, ignorierte den verwirrten Gesichtsausdruck des Verkäufers und griff wahllos nach einigen Jeans und Tops. Bei den Accessoires hielt sie erneut inne und langte nach einer billigen Armbanduhr. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, dass sie den Modeschmuck noch brauchen könnte.

In der Umkleide schälte sie sich mühsam aus ihrem feuchten Kleid. Dabei flog etwas zu Boden. Mit gerunzelter Stirn betrachtete Moana den Schein, der in einigen Schwüngen durch die Luft segelte, ehe er am Boden landete. Irdisches Geld. Langsam ging sie in die Knie und hob ihn auf. Wer auch immer ihr das Geld in Seatopia zugesteckt haben musste, nachdem sie das Bewusstsein verloren hatte, musste Gnade mit ihr gehabt haben und mit den Regeln der Menschenwelt gut vertraut gewesen sein, wie es schien. In Gedanken verloren zog sie sich um, während sie fieberhaft nach einer geeigneten Person suchte. Doch wie lange sie auch nachdachte, die Schlussfolgerung war immer dieselbe: Niemand war ihr gut gesinnt in Seatopia und erst recht niemand wollte, dass sie überlebte. Müde betrachtete sie sich im Spiegel. Sie sah genau so aus, wie sie sich fühlte.

Ihre langen, schwarzen Haare hingen verfilzt an ihr herab und ihre Miene, die trotz der beschwerlichen Zeit in Seatopia nur selten ihr Strahlen verlor, wurde durch einen gläsernen, ernsten Ausdruck ersetzt.

Sie weigerte sich noch immer, die Grausamkeit des Schicksals zu akzeptieren und hoffte innerlich, dass sie bald aus dem Albtraum aufwachen würde. Doch sie erwachte nicht.

Mit ihrem neuen Outfit ging sie weiter und bog am Ende der Straße zur Springsteen Street nach links ab. Diese war weitläufiger und führte sie weg von der Hauptstraße zu einer kleineren Seitenstraße, die von schmalen Häusern gesäumt wurde.

Und da stand sie nun. Vor dem Haus, von dem sie glaubte, es nie wieder sehen zu müssen. Sie dachte, sie hätte diese Zeit ein für alle Mal hinter sich gelassen. Doch das Leben machte ihr wieder einmal einen Strich durch die Rechnung.

Zögerlich strich Moana ihre Kleidung glatt und klopfte zaghaft an der Tür, hinter der Darkwood wohnte. Nichts. Keine Bewegung, kein Geräusch. Nichts. Sie wartete. Dann klopfte sie erneut. Immer noch keine Reaktion.

Langsam wurde sie nervös. Darkwood war ein Teil der Lösung ihres Rätsels, einer von vielen kleinen Puzzleteilen. Ohne ihn hätte Moana noch weniger Chancen, das zu finden, was sie suchte.

Paul Darkwood hatte ihre Eltern gekannt. Und er war einer der Gründe, warum sie jetzt tot waren. Ihre Eltern hatten ihm vertraut. Erzählten ihm alles. Und er hat ihr Vertrauen missbraucht, es mit den Füßen getreten, als wäre es nichts wert gewesen.

Wenn Moana daran dachte, stieg die Wut in ihr empor und sie fürchtete, erneut die Kontrolle zu verlieren. Doch sie biss sich so fest es ging in die Wange und schaffte es so, sich wieder zu beherr- schen.

Sie klopfte ein letztes Mal. Die Tür öffnete sich wie von Geisterhand.

Darkwood sah noch verwilderter aus, als sie ihn Jahre zuvor in Erinnerung hatte. Sein Bart war ungepflegt und lang. Sein Rücken gekrümmt und seine Augen trüb. Mit zittriger Hand stützte er sich auf einem Gehstock, dessen Holz morsch wirkte und sein Gewicht dennoch zu tragen schien. Wenn sie es nicht besser wüsste, könnte man meinen, er sei ein alter, gebrechlicher Mann.

Er sah Moana direkt in die Augen. Ein hämisches Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

»Moana, mein Kind. Was tust du denn hier? Was für eine Unart von dir, dich all die Jahre nicht zu melden und mir jetzt auch noch unangekündigt einen Besuch abzustatten.«

Moana ging nicht auf seine höhnische Begrüßung ein. »Ich brauche Hilfe, Mr. Darkwood.«

Sie senkte den Blick. »Ich wurde von Seatopia verbannt und suche eine Bleibe, wenigstens für ein paar Tage. Sie wissen, ich kann nirgends sonst hin.«

Es war ihr unangenehm, den einzigen Halbirdischen um einen Gefallen zu beten, den sie nie wiedersehen wollte.

Sie wusste, dass sie ihm nicht trauen konnte und dennoch war er die einzige Option, die ihr blieb. Er war nicht wie sie, würde es nie sein. Denn er war eine Kreuzung aus Mensch und Dämon aus Avenhell, der Welt oberhalb der Erde.

»Wie gedenkst du denn, mir meine Großzügigkeit zu vergüten?«

»Sie können einen Anteil von dem Schatz haben, den ich suche«, log Moana.

Wenn ihre Eltern eine Sache bei der Geschichte, die sie Darkwood erzählten, ausgelassen hatten, dann, dass es sich bei dem Schatz um eine Perle handelte. Und eine Perle war für gewöhnlich nicht teilbar.

Entweder Darkwood spielte seine eigenen Spielchen oder er war ein noch größerer Narr als der, für den Moana ihn bereits hielt. Sein Gesicht leuchtete auf und er öffnete die Tür vollständig, sodass sie eintreten konnte.

Mit der Gewissheit, dass diese Lüge Folgen haben würde, trat sie ein. Ein Fehler, den sie nie wieder vergessen würde.

4

Das Haus von Paul Darkwood hatte sich in den sieben Jahren, die Moana nicht mehr hier gewesen war, kaum verändert. Die Wände waren noch genauso kahl und die Einrichtung genauso steril wie früher.

Als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte er hinter ihr: »Das Gästezimmer ist dasselbe wie damals.«

Moana nickte, während sie den schmalen Flur entlang ging und die Treppe ins Obergeschoss betrat. Sie spürte seinen bohrenden Blick in ihrem Rücken.

Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass aus dem alten gebrechlichen Herrn nun wieder ein junger, kräftiger Mann geworden war.

Darkwood war ein Hybrid. Und wie jeder Hybrid besaß auch er seine eigenen, magischen Kräfte, die ihn vom Rest der sterblichen Magiewesen, auch Nexianer genannt, unterschied.

Er spürte die Verbindung zwischen zwei übernatürlichen Wesen und konnte sich diese zum Vorteil machen, denn er beherrschte die Fähigkeit seine Form und sein Erscheinungsbild je nach Situation zu ändern. Eine Eigenschaft, die jedoch nur Dämonenkinder besaßen. Moana erschauerte.

Avenhell war das Gegenteil von Seatopia. Avenhell war die Welt der Dämonen, ein Ort der Zerstörung, die nie enden würde.

Seatopia war die Urquelle des Seins. Umgeben von Wasser, ohne das Leben nicht möglich war. Und seine Seewesen meist friedlich. Es gab nie Krieg in Seatopia. Kämpfe wurden nicht öffentlich ausgetragen. Eindringlinge wurden still und unauffällig getötet.

Das alles spielte sich entweder unter der Erde in Seatopia oder oberhalb des irdischen Lebens in Avenhell ab. Doch die Irdischen selbst blieben unwissend, ahnungslos über die übernatürlichen Kräfte um sie herum.

Moana schüttelte, verloren in ihren Gedanken den Kopf.

Die Irdischen dachten, sie wüssten alles. Dabei war ihre Welt so klein und unbefleckt von dem mystischen Geschehen, das so nah an ihnen vorbeizog. Sie waren blind für alles Übernatürliche. Die Magiewelten, die jenseits ihrer Vorstellung existierten mit all den Nexianern, die sie bewohnten. Doch so war die Natur. Die Menschen sollten nie auch nur in Berührung kommen mit der Oberwelt, geschweige denn der Unterwelt, die sich in dem Meer verbarg, in dem sie Abkühlung suchten.

Und doch gab es sie. Die Geschehnisse, die nicht passieren sollten. Geschehnisse, die unerwartet und mit voller Wucht eintrafen und verheerende Folgen haben konnten.

Moana lächelte traurig. Sie selbst war so ein Missgeschick. Etwas, das passierte und Nexianer totschwiegen, in der Hoffnung es so ungeschehen zu machen.

In seltenen Fällen kam es vor, dass Menschen mit der Fähigkeit geboren wurden, Nexianer sehen zu können. Ein Geburtsfehler, nichts weiter.

Laut einer nexianischen Legende waren sie Auserwählte der Feinde, die ihnen dabei helfen sollten, die Magiewelten zu erobern.

Denn es gab noch ein drittes Reich in den Magiewelten, das nach der Weltherrschaft strebte.

Villeria.

Die Teufelswelt war die Heimat jeglicher Rivalen. Auch wenn sie in der Ober- und Unterwelt nur als Mythos bekannt war, so wurde sie von Nexianern als Ort des Bösen verabscheut und gefürchtet.

Sobald Nexianer also wussten, dass es Auserwählte gab, wurden sie kaltblütig getötet.

Doch manche blieben unentdeckt. Und überlebten. Solche Menschen waren eine stetige Gefahr für Seatopia und Avenhell, die trotz ihrer Unterschiede verbündet waren und sich gemeinsam gegen Villeria gerichtet haben.

Doch es konnte noch schlimmer kommen. Wenn sich Auserwählte und Nexianer ineinander verliebten und damit zwei komplett verschiedene Welten kollidierten, war die Bedrohung nicht mehr aufzuhalten. Sie entwickelten solch einen starken Bund, der sie bis in den Tod miteinander verband.

Und aus so manch einer leidenschaftlichen Liebe resultierte der für Nexianer schlimmste Fall, der je eintreten konnte: Ein Hybrid – halb Mensch, halb Nexianer, entstand.

In den Augen der übernatürlichen Welten eine Naturkatastrophe, eine Zeitbombe, die jederzeit explodieren könnte. Denn Hybriden besaßen außergewöhnliche Kräfte, die stärker waren als alles andere. Sie konnten Neues schaffen und erblühen lassen. Doch sie konnten auch alles zerstören, was ihnen in die Hände kam. Die Gefahr lag schlichtweg darin, dass sie sich nicht kontrollieren konnten. Insbesondere dann, wenn sie sich bedroht oder verärgert fühlten, gab es kein Zurück mehr.

Nur ein einziger Gegenstand war in der Lage, ihre unaufhaltsamen Kräfte zu bändigen und der wurde seit der Entstehung aller Welten von Nexianern und Hybriden gleichermaßen gesucht.

Eine Akoya Perle, die sich in ihrer Pracht von allen anderen ihrer Art unterschied. Sie war nicht weiß oder cremefarben, wie sie es von Natur aus sein sollte, sondern dunkelviolett.

Sie war magisch und änderte je nachdem, wie sie genutzt wurde, ihre Temperatur. Sie konnte für gute Zwecke eingesetzt werden und Hybriden das geben, wonach sie sich so sehr sehnten: Kontrolle über ihre Kräfte. Doch sie konnte auch missbraucht werden und zu irreparablem Schaden führen.

Hatte man das Kind zweier Hybriden auf seiner Seite und war man im Besitz der Perle, so würde das geschehen, was noch keinem in der Geschichte der Magiewelten je gelungen war. Man erlangte die Herrschaft jeglichen übernatürlichen Lebens.

Seit Jahrhunderten wurde nach der legendären Perle gesucht, doch niemand hatte es je geschafft, sie zu finden.

Moanas Eltern hingegen widmeten ihr ganzes Dasein der Perlensuche und verloren auch aus selbigem Grund ihr Leben. Sie kamen zu Erkenntnissen, die bisher unentdeckt blieben und dies sogar heute noch wären, hätten sie sie nicht ihren engsten Freunden anvertraut. Darunter auch Darkwood, der dies zu seinem Vorteil nutzte und dessen Atem auf ihrem Nacken Moana aus den Gedanken riss.

»Nun, da wir uns geeinigt haben, den Schatz zu teilen, wirst du wohl so gnädig sein, mich in dein weiteres Vorhaben einzuweihen.« Es klang eher wie eine Drohung als eine Vermutung.

Anders als Seewesen lernten Dämonenkinder nicht von klein auf alles über die mystische Perle, sondern wussten, falls überhaupt, lediglich, dass es sich um einen verschollenen Schatz handelte.

»Sobald ich Näheres weiß, werde ich dich davon in Kenntnis setzen.« Da er jetzt nur noch ein paar Jahre älter war als sie, musste sie ihn nicht mehr siezen, um das Schauspiel aufrechtzuerhalten.

»Ich fürchte, das ist mir zu wenig Moana. Wenn du hierbleiben möchtest, musst du schon mehr für mich tun.«

Moana biss sich auf die Lippe. Die Hitze. Sie kroch an ihr hoch, verschaffte sich einen Weg zu ihren Gliedmaßen. Ihre Hände zitterten und färbten sich allmählich rot. Aus Furcht, Darkwood könnte es bemerken, ballte sie sie schnell zu Fäusten.

»Ich mache mich gleich heute auf die Suche und berichte dir abends von meinen Erkenntnissen«, log sie weiter.

Erstaunlicherweise gab Darkwood nach.

»Du weißt, was das letzte Mal passiert ist, als du mich angelogen hast. Solltest du es wieder tun, gibt es jetzt kein Entkommen mehr.«

Er grinste sie an, doch Moana wusste, dass er es genauso meinte. Sie schluckte schwer und nickte. Sie musste sich unbedingt etwas überlegen, um Darkwood davon zu überzeugen, dass sie es diesmal ernst meinte. Auch wenn sie es nicht tat.

»Fünf Stunden. Fünf Stunden hast du, um mich näher an unseren Schatz zu führen. Wenn du es nicht schaffst, waren es die letzten fünf deines jämmerlichen Lebens.« Er spuckte die Worte verächtlich aus. Und mit dieser Aussage verließ Moana so schnell sie konnte das Haus.

Sie stand wieder in der schmalen Gasse vor Darkwoods Grundstück.

Fünf Stunden … Die letzten fünf Stunden deines jämmerlichen Lebens …

Seine Worte hallten in ihrem Kopf wider.

Ihre Hände zitterten und erstrahlten in einem so tiefen Rot, wie sie es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Bevor sie verstand, was passierte, schoss bereits ein kleiner Feuerstrahl aus ihnen hervor, direkt auf eine vorbei huschende Taube. Das nichtsahnende Tier fing Feuer und immer größer werdende Flammen begannen, an ihm zu zehren. Die Taube stieß einen kläglichen Schrei aus und wand sich vor Qualen.

Als Moana endlich verstand was sie getan hatte, schritt sie ein und legte ihre nun vor Mitgefühl abgekühlten Hände auf die Taube. Das Feuer erlosch und das Tier lag zusammengekauert am Rande des Gehsteigs. Trotz der sengenden Flammen bewegte sich der Vogel noch. Kämpfte sichtlich ums Überleben.

Moana erschrak über sich selbst und wich zurück. Mit Unbehagen riss Moana ihren Blick von dem Tier los und zwang sich, weiterzugehen.

Sie hatte schon viel Schlimmeres angerichtet. Und nicht jeder kam so gut davon wie die Taube.

5

Kurz darauf stand Moana an der Kreuzung zwischen Evergreen Street und Melody Lane. Sie brauchte einen klaren Kopf. Gleich in der Nähe befand sich Amy’s Bakery Paradise, ein Laden, der viele irdischen Köstlichkeiten zu bieten hatte und in dem sie früher gern gesessen hatte. Sie hatte seit Tagen nichts mehr gegessen und ihr Magen sehnte sich nach all den Leckereien, für die sie schon damals in der Menschenwelt schwach geworden war. Also steuerte sie zielstrebig das Café an und bestellte einen Brownie und Cappuccino.

Mit neuer Energie versorgt versuchte Moana sich einen Plan zu überlegen.

Sie ging noch einmal alles durch, was sie von ihren Eltern über den Schatz wusste. Er war tief verborgen, am Abgrund Seatopias, weit weg von allem Leben, das es in diesem Reich gab. Es existierte eine magische Felswand in Seatopia, die die Unterwelt von den allumfassenden Tiefen des Meeres trennte. Ein klarer Schnitt zwischen magischem Leben und unendlicher Dunkelheit. Die wenigsten Nexianer überquerten je diese Grenze, und wenn sie es taten, kamen sie nie wieder zurück. Sie wurden verschluckt von der ewigen Schwärze, die das Reich umgab. Moana musste genau dorthin gelangen, selbst wenn es eine unmittelbare Gefahr darstellte. Es war der einzige Weg, um die Perle zu finden. Sie müsste sich in die dunkelsten Tiefen des Meeres hinab wagen und mit dem Risiko leben, womöglich nie wieder zurückzufinden. Doch eine klitzekleine Wahrscheinlichkeit sprach immer noch dafür, dass sie es schaffen könnte. Ihre Eltern selbst hätten alles dafür gegeben, diese Grenze zu überschreiten und das andere Ende des Ozeans zu erkunden. Doch dazu kam es leider nie. Moana wollte und musste ihnen diese letzte Ehre erweisen.

Noch immer tief versunken in ihren Gedanken, aß sie gierig ihren Brownie auf und schlürfte genüsslich ihren Kaffee.

Sie musste zurück nach Seatopia, auch wenn sie verbannt wurde. Doch das Portal, das Meer und Seatopia miteinander verband, würde ihr nicht mehr erscheinen. Moana musste einen anderen Weg in die Unterwelt finden. Aber bevor sie dies tun konnte, brauchte sie einen Plan für Darkwood. Er war die einzige Möglichkeit, in der irdischen Welt unentdeckt zu bleiben.

Er wurde gesucht, genau wie sie. Auch wenn sie sonst nichts gemeinsam hatten, waren sie doch beide Hybriden und damit beide Verfolgte. Sie waren nirgends willkommen. Eine Ungerechtigkeit und ein weiterer Grund, die Perle zu finden, um dem unerbittlichen Leid, das Hybriden und Auserwählten entgegengebracht wurde, ein Ende zu setzen. Darkwood würde sie nicht den übernatürlichen Welten melden, denn es bedeutete nicht nur ihren, sondern auch seinen Tod.

Aus den Augenwinkeln registrierte Moana eine Bewegung. Doch ehe sie die Hand an ihrem Tisch erkannte, war es auch schon zu spät. Ein beißender Schmerz in ihrem Schoß riss sie aus ihren Überlegungen. Moana zuckte zusammen und sah an sich herab. Ihr dampfender Kaffee war umgekippt und bahnte sich einen Weg durch ihre Jeans.

»Oh Gott, das tut mir so leid! Wie ungeschickt von mir!« Die Kellnerin blitzte sie an, während sie den Tisch vor ihr sauber wischte. Moana sprang auf und wich zurück.

»Schon gut.« Ihre Beine brannten immer noch von der heißen Flüssigkeit, doch sie ignorierte den Schmerz und verließ eilig das Café.

Eine Magiejägerin… Magiejäger waren Nexianer, die sich als Menschen ausgaben und Sternenpuder trugen. Eine auftragbare Schicht, die aus Menschenstaub bestand und die es den übernatürlichen Wesen ermöglichte, in der irdischen Welt zu leben. Anders als Moana, als Halbirdische, waren Nexianer ohne Sternenpuder für Menschen nicht sichtbar. Magiejäger jedoch waren an das irdische Leben gewöhnt und kaum von wahren Irdischen unterscheidbar. Sie waren Handlanger der Königsgemeinschaft aus Avenhell und Seatopia, immer auf der fortwährenden Jagd. Ihre Aufgabe war es, Hybriden und Auserwählte aufzuspüren und zu exekutieren. Das letzte Mal, als Moana einem begegnet war, war lange her und deshalb traf sie dieses Zusammentreffen wie ein Schlag ins Gesicht. Sie wurde also beobachtet. Moana musste weg, weit weg von diesem Stadtteil. Dabei könnten die Nächsten gleich um die Ecke lauern.

Von einer derartigen Paranoia erfasst taumelte Moana zur nächsten Busstation und stieg in den nächstbesten Bus ein, der sie direkt nach Forest Bay Beach brachte. Dorthin, wo ihr Abenteuer begonnen hatte.

Als sie wieder an dem Strand stand, an dem sie nach ihrer Verbannung aufgewacht war, versuchte sie sich zu orientieren. Das Portal zu Seatopia müsste sich nördlich von ihr befinden. Selbst wenn sie es jetzt nicht mehr sehen konnte, so musste es doch noch einen anderen Zugang zu dem Reich geben.

Sie blickte über den Felsvorsprung hinaus auf das Meer. Der Seegang war an diesem Tag nur leicht und der Ozean lag friedlich vor ihr. Moana holte tief Luft, nahm Anlauf und glitt mit elegantem Sprung ins Gewässer. Sie ignorierte das irritierende Gefühl der vollgesogenen Kleidung an ihrer Haut und schwamm weiter. Anders als Menschen benötigte sie unter Wasser keinen Sauerstoff, da sie als Hybridin sowohl Lungen als auch Kiemen besaß. Diese traten jedoch erst zum Vorschein, wenn sie in Kontakt mit Wasser kam. Sie tauchte hinab in die Tiefen des Meeres, schwamm mit den Fischschwärmen und genoss die Nässe an ihrem Körper. Sie liebte den Ozean mit all seinen Naturwundern, die er zu bieten hatte. Dennoch gab es genügend Feinde, nach denen Ausschau zu halten war. Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Ihr blieben noch drei Stunden, bis sie zu Darkwood zurückkehren musste.

Moana tauchte weiter hinab zu der Stelle, an der sie das Portal vermutete. Es war lange her, dass sie nach der Verbindung zu Seatopia suchte und sie war schwieriger zu erreichen, als sie es in Erinnerung hatte. Sie schwamm an zahlreichen Höhlen und Felsen vorbei, bis sie am Meeresgrund angelangt war. Der Sand fühlte sich kühl in ihren Händen an. Sie ließ ihn durch ihre Finger gleiten und begann zu graben. Immer tiefer grub sie sich durch den Boden, bis ein riesiges Loch entstand, das ins Nichts zu führen drohte. Vollkommene Dunkelheit.

Moana schwamm hinab, bis sie Gestein zu fassen bekam. Die Höhle, in der sich das Portal befand. Auch wenn sie wusste, dass es für sie nicht mehr sichtbar sein würde, erhoffte sie sich doch eine andere Spur nach Seatopia zu finden.

Sie tastete sich am Fels entlang, bis zu einer Öffnung, aus der eiskalte Strömungen ins Meer liefen. Das eisige Wasser ließ sie zusammenzucken, drang in jede Faser ihres Körpers. Sie tauchte hindurch und befand sich mitten in der Höhle, die komplett unbewohnt war. Kein Organismus überlebte in solchen Temperaturen. Sie musste sich beeilen, ehe sie der Kältetod heimsuchte. Wie erwartet, war kein Portal mehr auffindbar. Nur die erdrückende Dunkelheit und Kälte.

Ihr Herz fing an zu pochen und ihre Atmung ging schneller. Die Unterkühlung hatte bereits eingesetzt. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit. Panisch sah sie sich um, suchte weiter nach einem anderen Zugang. Ihre Muskeln fingen unkontrolliert zu zittern an.

Da sah sie es. Ein Schimmern in der Dunkelheit, ausgelöst durch einen einzigen Lichtstrahl, der wie ein Wunder durch die Höhle schoss. Das war es. Eine Spur. Sie war sich sicher.

Wäre da nicht diese überwältigende Müdigkeit gewesen, die sie erfasste. Ihr Atem ging langsamer und Schwindel überkam sie. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihr Herz aufgrund der tödlichen Kälte zum Stillstand kam. Sie musste die Höhle dringend verlassen. Mit letzter Kraft und aus Furcht geweiteten Pupillen zog sie sich aus dem Gestein und bahnte sich einen Weg hinaus aus dem gegrabenen Loch. Noch am Meeresboden brach sie bewusstlos zusammen.

6

Als Moana wieder zu sich kam, war ihr immer noch elend zumute. Sie fühlte sich kraftlos und erschöpft.

Die letzten fünf Stunden deines jämmerlichen Lebens …

Paul Darkwoods Stimme ertönte abermals in ihrem Kopf. Plötzlich war sie hellwach.

Sie blickte auf ihr Handgelenk, wo ihr die Uhr erbarmungslos mitteilte, dass sie noch eine halbe Stunde hatte, um zu Darkwood zu gelangen. Eine halbe Stunde. Und da wurde ihr schlagartig klar, dass Darkwood recht behielt. Es waren wirklich die letzten fünf Stunden ihres jämmerlichen Lebens.

Resigniert schwamm sie zurück an die Wasseroberfläche und bahnte sie sich einen Weg zurück zur Bucht. Mittlerweile war ihre Zeit abgelaufen. Sie wusste, es war vorbei. Doch sie konnte nicht einfach so aufgeben. Sollte sie kämpfen? Darkwood war stark. Doch Moana war stärker. Wäre sie nicht so geschwächt von ihrer Nahtoderfahrung gewesen, hätte sie sofort gekämpft. Doch jetzt hätte sie keine Chance. Sie wäre ihm heillos ausgeliefert. Auch eine Flucht war ausgeschlossen. Wenn sie einfach nicht mehr zu ihm zurückkehrte, hätte sie einen Feind und Verfolger zusätzlich am Hals und noch geringere Chancen, den Schatz je zu finden. Sie musste mit ihm reden und ihn davon überzeugen, dass er ihr vertrauen konnte. Also steuerte sie trotz seiner zutiefst ernst gemeinten Drohung Darkwoods Haus an.

Moana war eine Stunde zu spät. Auf ihrem Heimweg ging sie alle möglichen Szenarien durch und bereitete sich auf die bevorstehende Konfrontation vor. Doch sie hatte einen Plan. Er musste funktionieren. Es gab nur diesen einen Weg, um dem Tod ein weiteres Mal zu entkommen.

Sie klopfte erneut an der verwitterten Tür seines Hauses. Im Gegensatz zu ihrem letzten Wiedersehen öffnete sich diese sofort. Sie rechnete mit seinem wutverzerrten Gesicht, doch da war nichts. Der Flur lag gespenstisch verlassen vor ihr.

Langsam trat sie einen Schritt in das anscheinend leerstehende Haus ein. Genau wie er es prophezeit hatte, fiel sie auf seine Falle hinein. Kaum hatte sie einen Fuß in den Flur gesetzt, schnellte ein Arm blitzschnell vor und griff nach ihr. Sie wurde von der Wucht überrascht, dass sie kurz den Halt verlor und in den Gang hineinstürzte. Sie fiel auf die Knie und Darkwood stürzte sich rücklings auf sie.

»Du bist zu spät«, knurrte er.

»Ich habe etwas gefunden«, presste Moana notgedrungen mit dem restlichen Sauerstoff hervor, der ihr durch den Druck auf ihren Lungen noch geblieben war.

»Warum sollte ich einem verlogenen Miststück wie dir noch irgendein Wort glauben?«, zischte er.

»Lass von mir ab und ich beweise es dir.« Moana bekam kaum noch Luft und der Schwindel wurde allgegenwärtig. Darkwood wartete weitere dreißig elend lange Sekunden, bis er sein Knie langsam von ihrem Genick nahm.

Keuchend rang Moana nach Luft und kam allmählich wieder zu sich. Sie griff in ihre Hosentasche und zog mühevoll einen violetten Stein hervor. Ihr persönlicher Glücksbringer. Das Einzige, das ihr noch geblieben war. Lächelnd strich sie über seine glatte Oberfläche. Bevor sie es verhindern konnte, ergriff Darkwood den glänzenden Stein.

»Ein magischer Amethyst. Der Schlüssel zum Zugang zu Seatopia.« Darkwoods Gesichtsausdruck zufolge konnte er nicht glauben, was er vor sich sah.

Moana nickte. Es gab nur fünf Stück, verstreut in der Ober- und Unterwelt. Dieses Exemplar hatte ihren Eltern gehört und war ihr in Anbetracht ihrer Mission mitgegeben worden. Niemand wusste, dass sie im Besitz des Amethysts war. Selbst sie vergaß immer wieder, dass sie ihn ständig bei sich trug. Doch jetzt, als er in all seiner Pracht erstrahlte, wurde ihr bewusst, dass sie der Königsgemeinschaft Seatopias einen Schritt voraus war. Wurde man von der Unterwelt verbannt, war dieser Edelstein die einzige Möglichkeit wieder nach Seatopia zu gelangen. Er musste in die glänzende Öffnung, die Moana in der eiskalten Unterwasserhöhle entdeckt hatte, gesteckt werden, um seine Wirkung zu entfalten. Dies tat er jedoch nur, wenn er von der Person, der der Stein gehörte, eingesetzt wurde. Ansonsten war er wirkungslos. Anders als Moana gehofft hatte, schien Darkwood nicht völlig ahnungslos zu sein.

»Endlich bist du mir von Nutzen, Moana.« Er grinste. »Ich hatte viel Zeit mich zu erkundigen, während du weg warst.«

Das war ihr Freispruch. Er würde sie nicht töten. Denn er brauchte sie.

»Steh auf und geh in dein Zimmer. Wir haben noch viel vor, Moana.«

Sie erkannte die Aussage sofort. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass er dieselben Worte wiederholte, die sie vor sieben Jahren zum ersten Mal gehört hatte. Doch diesmal gab sie sich nicht ihrem Leichtsinn hin, sondern tat wie geheißen und ließ ihn im Glauben, sie würde gehorchen.

In ihrem Zimmer angekommen, schloss sie die Tür und wartete auf ihn. Er würde es wieder tun, das wusste sie genau. Deshalb musste sie vorbereitet sein. Darkwoods Schritte ertönten auf den Treppen, kamen bereits näher. Die Angst in Moana ließ Schweißtropfen auf ihrer Stirn bilden. Ihr Blick schwirrte wild umher und suchte nach etwas Greifbarem. Darkwood war fast an der Tür angelangt, als sie den schweren Gegenstand am Boden entdeckte. Ein Quarzitgestein, das in Sea Valley am Strand zuhauf zu finden war und von den Einwohnern weiterverarbeitet auch gerne als Dekorationselement genutzt wurde.

Moana hob den Stein mit Mühen hoch und positionierte sich hinter der Tür, wo er sie nicht gleich entdecken würde. Die Türklinke bewegte sich und wurde nach unten gedrückt. Darkwood trat mit einem breiten Grinsen ein. Moana nahm all ihre Kraft zusammen und schlug zu. Bevor Darkwood verstand, wie um ihn geschah, erlosch sein Lächeln und er kippte nach hinten. Mit ausgestreckten Beinen lag er reglos am Boden.

Das war ihre Chance. Sie wusste, dass Darkwood im Besitz einiger Schriften ihrer Eltern war. Sie rannte die Treppe hinab und durchsuchte das ganze Wohnzimmer. Sie suchte im Eingangsbereich und in Darkwoods Büro. Moana schrie frustriert auf. Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Vor Verzweiflung durchwühlte sie nun auch sein Schlafzimmer. Sie griff unter seine sorgfältig zusammengelegten Bettlaken. Nichts. Sie riss alle Läden auf, die sie finden konnte. Gähnende Leere blickte ihr entgegen und schien sie zu verspotten.

Ein leises Stöhnen drang aus ihrem Zimmer. Darkwood kam zu sich. Sie hatte ihre Chance verspielt.

Wütend schlug Moana auf sein Bett ein, wobei sie auch seine Polster zu greifen bekam. Ein beißender Schmerz fuhr durch ihren Arm. Die Polster. Moana hielt inne. Sie betastete es erneut. Und wieder wich sie mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück.

Ein weiteres Stöhnen von oben. Diesmal lauter. Die Zeit entwich ihr, wie Sand, der aus den Fingern glitt.

Sie biss die Zähne zusammen und schüttelte das Polster mit aller Kraft. Da waren sie. Lose Blätter fielen aus dem Polster, umgeben von Zauberefeu, um die versteckten Schriften vor neugierigen Eindringlingen zu schützen. Es war eine reine Attrappe. Moana erschauerte bei der Vorstellung, was Darkwood wohl in seinem echten Schlafkissen versteckt hielt. So gut wie jeder Nexianer bewahrte Zauberefeu in seinem Haushalt auf, um sich gegen unerwünschte Fremde zu verteidigen. Dies machte sich Moana nun zum Vorteil.

Sie steckte die zerknitterten Blätter ein, nahm so viel Zauberefeu, wie ihre Hände zu tragen vermochten und eilte dermaßen schnell die Treppe hinauf zu Darkwood, dass sie fast über ihre eigenen Füße stolperte.

Darkwood war wieder bei Bewusstsein und fluchte, wenn auch recht schwach und leise. »Du verdammte Göre. Das war der letzte Irrsinn, den du treiben konntest!«

Qualvoll versuchte er sich aufzurichten. Doch Moana kam ihm zuvor. Sie stürzte sich auf ihn, nahm seine Hände und band sie blitzschnell mit dem Efeu zusammen. Nexianer benutzten für gewöhnlich bei seiner Verwendung Handschuhe. Doch diese blieben Moana in diesem Moment verwehrt und als sie endlich ihr vollendetes Werk betrachten konnte, waren ihre Hände taub und von Blasen übersät. Zufrieden stellte Moana fest, dass sich der Schmerz ausgezahlt zu haben schien. In seiner Benommenheit bemerkte Darkwood nicht, wie ihm geschah und verlor allmählich wieder das Bewusstsein. Der Zauberefeu entfaltete verlässlich seine Wirkung und fraß sich gierig in seine Haut.

Langsam entfernte Moana sich von seinem reglosen Körper. Das sollte ihr zumindest ein paar Tage Zeit verschaffen. Sie nahm ihm den Amethyst wieder ab, der immer noch in seiner Hand lag. Sie spürte die neue Energie des für sie bestimmten Steins durch ihren Körper strömen.

Mit neuem Mut öffnete sie die Haustür und setzte einen Fuß durch die Türschwelle. Moana fühlte es ganz deutlich. Gutes stand bevor.

Bis heute fragte sie sich, wie sich damals so sehr irren konnte.

7

Die Sonne lockte sie mit ihrer wohligen Wärme aus dem Haus, in dem Darkwood seinen Qualen machtlos ausgeliefert war. Die Tür fiel ins Schloss und sie ließ alles hinter sich.

Moana hatte nicht viel Zeit. Sie musste schleunigst wieder zum Forest Bay Beach gelangen, um mit ihrem Amethyst den alternativen Zugang zu Seatopia freizulegen. Mit schnellen Schritten machte sie sich auf zur nächsten Busstation. Der überdachte Wartebereich war bereits in Sicht, nur noch 50 Meter entfernt. Da tauchte ein ihr bekanntes Gesicht auf.

»Wow, was für ein Zufall!« Die blonde Frau betrachtete sie mit einem schelmischen Lächeln. Woher kannte sie diese Person?

Fieberhaft versuchte Moana sich an eine frühere Begegnung mit ihr zu erinnern. Doch ihr Kopf war leer, es wollte ihr einfach nicht einfallen. Auch wenn ihr Verstand ihr in diesem Moment nicht verhelfen mochte, vermittelte ihr ihr Bauchgefühl deutlich, dass sie vor einer großen Gefahr stand.

»Wir kennen uns doch aus dem Café, richtig?«

Da wurde es Moana schlagartig klar. Die Kellnerin. Genauer gesagt, die Magiejägerin, die vorgab, eine irdische Kellnerin zu sein.

»Ich glaube, Sie verwechseln mich.« Moana versuchte ihr auszuweichen und weiterzugehen.

Doch die Frau, deren freches Grinsen sich nun in einen versteinerten Ausdruck verwandelt hatte, stellte sich ihr in den Weg. »Oh nein, Schätzchen. Das tue ich nicht.«

Ihr Lächeln war erloschen und ihre Augen strahlten eine Kälte aus, die Moana frösteln ließ. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie noch etwas anderes in ihrem unverwandten Blick zu sehen. So, als würde die Frau wissen, wer vor ihr stand und doch jemand anderen in ihr erkennen. Als Moana genauer hinsehen wollte, war der Anflug von Überraschung in ihrer Miene verschwunden.

»Glaubst du, du kannst tun und lassen, was du willst als Hybridin?«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Miss.« Moana reckte das Kinn. Wenn sie eins gelernt hatte, dann war es die Erkenntnis, dass sich Ehrlichkeit nicht immer bezahlt machte.

Die Frau funkelte sie wütend an. »Du glaubst wohl, du bist was Besseres, hm?«

Moana blieb stumm. Leugnen, leugnen, leugnen, wiederholte sie innerlich.

Doch die Magiejägerin legte noch einen nach. »Muss man sich wohl einreden, wenn man in keinem Reich erwünscht ist.«

Moanas Augen leuchteten rot vor Wut. Die Magiejägerin wusste, sie hatte einen wunden Punkt getroffen.

»Ich bin keine Hybridin«, zischte sie.

»Deine Augen sagen aber etwas anderes.«

Beschämt blickte Moana zu Boden. Ihre Augen. Ihre Augen, die sie in Momenten der Wut gerne zu vergessen pflegte.

»Dein kleines Abenteuer ist vorbei, Schätzchen«, fauchte die Frau.

Doch wenn Moana eine Angewohnheit besaß, die sie einfach nicht ablegen konnte, dann war es nie aufzugeben, ohne zu kämpfen. Moanas bernsteinfarbene Augen leuchteten nun feuerrot und ihre Handflächen glühten. Die Magiejägerin hatte sie unterschätzt, denn sie wirkte überrascht. Die blonde Frau griff hinter ihren Rücken und zog eine Giftpistole hervor. Eine berüchtigte Waffe der Nexianer, die Magiejäger für den Fall einer Auseinandersetzung immer bei sich trugen. Sie war gefüllt mit einem speziellen Gift, das gegen Hybriden eingesetzt wurde. Ein Schuss und Moana wäre für die nächsten Stunden gelähmt und ihren Feinden hoffnungslos ausgeliefert. Doch Moana war schneller.

Sie zielte mit ihrer Magie direkt auf die Jägerin. Die Frau wich zwar aus, doch ihr Kleid, das wild im Wind wehte, fing trotzdem Feuer. Moanas Gegenüber schrie und versuchte die Flammen mit bloßen Händen zu ersticken. Ein leichtes Ziel für Moana, die bereits ihren nächsten Feuerball abwarf. Der Feuerball traf die Magiejägerin genau in ihrer Körpermitte und stieg in züngelnden Flammen auf.

Animalische Laute und leidvolle Schreie erfüllten die Luft. Der Geruch versengten Fleisches breitete sich aus. Moana wandte sich schockiert von ihrer eigenen Kraft ab. Entgeistert drehte sie sich um ihre eigene Achse. Es war erstaunlich ruhig auf den Straßen Sea Valleys. Der Morgenverkehr war bereits vorüber und nur vereinzelt waren noch Autos zu sehen. Keiner schien von Moana und der Magiejägerin Notiz zu nehmen. Deren Sternenpuder schien sich durch das Feuer bereits zu verflüchtigen, denn die Umrisse der Jägerin lösten sich bereits auf. Moanas Gedanken überschlugen sich.

Oh Gott, was habe ich getan?

Frustriert und von solch einem Selbsthass erfüllt, wollte Moana ihre Kraft gegen sich selbst richten. Der Schmerz überwog wie so oft ihre Vernunft. Ihre Hände waren bereits auf sich selbst gerichtet, da fielen sie plötzlich leblos hinab. Moana betrachtete verwirrt die Reaktion ihres Körpers. Es war, als hätte sie diesen verlassen und wäre bloßer Betrachter der seltsamen Situation. Sie wollte ihren Kopf bewegen, doch ihr Nacken blieb stocksteif. Ihre Augen trockneten bereits aus, denn selbst das Blinzeln blieb ihr verwehrt.

Moana musste nicht weiter verzweifelt versuchen, sich zu rühren, um zu wissen, dass sie getroffen wurde. Die giftgefüllte Patrone steckte tief in ihrer Brust und sie spürte, wie sich das Gift in ihrem Blutkreislauf ausbreitete. Doch all das war bedeutungslos in Anbetracht der Qual, die sich vor ihr abspielte. Ein ekelerregender Gestank breitete sich aus, auch wenn der verkohlte Körper ihres Opfers immer heller wurde, ehe er ganz verschwand. Die Schreie waren verstummt und hallten doch in ihr nach. Moana war gezwungen, den Tod der Magiejägerin mitzuerleben und wurde doch zum Opfer deren Waffe. Moana kannte Schmerzen gut. Zu gut. Doch kein Schmerz war größer als der, den sie selber verursacht hat.

Bevor sie gequält von ihrer eigenen Grausamkeit komplett das Bewusstsein verlor, baute sich vor ihr eine dunkle Gestalt auf. Ein kräftiger Mann schob sich in ihr Blickfeld. In seiner Hand hielt er die Giftpistole. Er war es, der auf sie geschossen hatte.

Noch immer gelähmt von der betäubenden Substanz in ihrem Blutkreislauf stellte Moana mit blankem Entsetzen fest, dass sie dem Fremden völlig wehrlos gegenüberstand. Der mysteriöse Mann, komplett in schwarzer Kampfmontur gekleidet, hob den Kopf und sah ihr direkt in die Augen. Tiefblaue Augen, die Moana an das glitzernde Meer erinnerten, das sie so sehr liebte. Und dann geschah etwas Unvorhergesehenes, was ihr bis zu diesem Moment unbekannt gewesen war: Ein berauschendes Gefühl durchströmte ihren Körper und schien ihr den Atem zu rauben.

Moana rang keuchend nach Luft, doch das Atmen wurde immer schwerer. Panik ergriff sie. Sie glaubte zu ersticken. Mit geweiteten Augen blickte sie an sich hinab. Der Mann, der eine elektrisierende Wirkung auf sie hatte, legte seine Hand auf ihre Schulter. Mit angstvoll verzerrtem Gesicht erkannte sie, dass ein Gegenstand zwischen ihrem und seinen Arm aufblitzte. Ihre Angst verwandelte sich blitzartig in Resignation. Der mysteriöse Kämpfer hielt einen Elektroschocker direkt auf sie. Was auch immer der Angreifer mit ihr vorhatte, er wollte, dass sie dabei das Bewusstsein verlor. Das Gift in ihr minderte zwar ihr Empfinden, doch die Stromschläge waren so stark, dass ihr ganzer Körper zitterte.

Dann wurde es schwarz und Moana fiel in eine Tiefe, die kein Ende zu nehmen drohte.

8

Als Moana wieder zu sich kam, wusste sie weder wo noch wer sie war. Die Nachwirkungen des Gifts, wie sie mit Entsetzen feststellte. Sie blickte sich um. Doch da war nichts. Es war dunkel und kalt. Sie verlor jeglichen Orientierungssinn.

Fieberhaft versuchte sie sich zu erinnern. Die Amnesie konnte bis zu mehreren Stunden dauern, wie sie wusste.

Ich bin Moana Nightingale und ich habe eine Mission.

Doch was war ihre Mission? Sie verspürte einen tiefen Drang, etwas zu finden. Doch wonach suchte sie? Frustriert über sich selbst und erfüllt von der Befürchtung, all ihre Bemühungen wären zunichte, schrie sie entsetzt auf.

»Ruhe!«, knurrte eine Stimme vor ihr.

Sie war nicht allein.

Vorsichtig krabbelte Moana auf dem kühlen Boden nach vorne, bis sie gegen etwas Hartes stieß. Sie umfasste das Metall und erkannte, dass sie von riesigen Gitterstäben umgeben war. Sie griff durch den Freiraum zwischen den Stäben hindurch und stieß gegen etwas Kühles. Es fühlte sich an wie Leder. Das sich plötzlich bewegte.

Ein starker Schlag auf ihre Finger ließ sie zurückzucken.

»Bleib in deiner Zelle!« Wieder knurrte sie die tiefe, kratzige Männerstimme an.

Und da sah sie sie. Dieselben Augen in diesem unendlichen Blau, das sie zu lähmen schien. Sie zogen sie in ihren Bann. Moana konnte ihren Blick nicht abwenden, bis schließlich ihre Erinnerungen vor ihrem inneren Auge vorbeizogen. Da erkannte sie schlagartig, wer vor ihr stand.

»Ihr habt mich angeschossen und elektrisiert!«, fauchte Moana den mysteriösen Mann an.

»Und ich werde es gleich wieder tun, wenn du nicht sofort still bist!« Seine Stimme klang kühl. Doch da schwang noch etwas anderes mit, eine feine Nuance, die sie nicht identifizieren konnte.

Irritiert von seiner lässigen, unangreifbaren Art wurde Moana nur lauter. »Ihr könnt mich hier nicht ewig als Gefangene halten!«, schrie Moana entsetzt.

Sie wurde schon einmal gefangen genommen und konnte dem Tod geradeso entrinnen, indem sie nach Seatopia flüchtete und dem Reich zu Diensten stand. Die meisten Hybriden und Auserwählten, die verfolgt wurden, waren zu stolz, um sich den Königsherrschaften von Avenhell oder Seatopia zu unterwerfen. Doch die wenigsten von ihnen überlebten eine Gefangenschaft. Moanas Überlebensinstinkt überwog ihren Stolz.

Sie war auch in dieser Hinsicht anders. Lieber ein Leben als Sklavin als einen Tod in Freiheit. Seit dem grausamen Tod ihrer Eltern kämpfte sie für diesen Vorsatz.

»Vielleicht wollen wir dich nicht ewig als Gefangene halten.«

Die unbeeindruckte Stimme des mysteriösen Mannes, der anscheinend nun auch ihr Gefängniswärter war, riss sie aus ihren Gedanken. Moanas Kopf dröhnte noch immer von dem restlichen Gift, das in ihr zirkulierte.

»Was habt ihr mit mir vor?«