Jahresrausch - Anna Bodeca - E-Book

Jahresrausch E-Book

Anna Bodeca

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Beschreibung

Herzlichen Glückwunsch! Gute Wahl! Sie halten den ersten Band einer neuen Kurzgeschichtenreihe in den Händen. Nach "Vielfalt" von Cristina Carbonero nun der gemeinsame "Jahresrausch" mit Anna Bodeca. Es erwarten Sie zwölf knackige Geschichten, die Sie durch das Jahr begleiten. Interessiert Sie ein Kinderstreich zur Nachkriegszeit oder darf es vielleicht ein wenig Mystery in einer Behörde sein? Mögen Sie eigentlich Spaghetti Bolognese mit grünem Wackelpudding? Und wie sind Ihre weihnachtlichen Traditionen? Freuen Sie sich auf schwungvolle Geschichten voller Humor, Spannung und fremder Welten. Und Sie sind sogar eingeladen, am zweiten Band mitzuwirken. Näheres im Buch, natürlich erst dann, nachdem Sie es gekauft haben :-).

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Seitenzahl: 108

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Über das Buch

Herzlichen Glückwunsch! Gute Wahl!

Sie halten den ersten Band einer neuen Kurzgeschichtenreihe in den Händen. Nach VIELFALT von Cristina Carbonero nun der gemeinsame JAHRESRAUSCH mit Anna Bodeca.

Es erwarten Sie zwölf knackige Geschichten, die Sie durch das Jahr begleiten. Interessiert Sie ein Kinderstreich zur Nachkriegszeit oder darf es vielleicht ein wenig Mystery in einer Behörde sein? Mögen Sie eigentlich Spaghetti Bolognese mit grünem Wackelpudding? Und wie sind Ihre weihnachtlichen Traditionen? Freuen Sie sich auf schwungvolle Geschichten voller Humor, Spannung und fremder Welten.

Und Sie sind sogar eingeladen, am zweiten Band mitzuwirken. Näheres im Buch, natürlich erst dann, nachdem Sie es gekauft haben :-).

Für unsere Lieblingsmenschen

Inhaltsverzeichnis

Januar: Chorizo y Rioja

Februar: Das erste Mal

März: Team AF

April: Beschwipst im Hühnerstall

Mai: Wenn die Hochzeitsglocken läuten

Juni: Frühsommersturm

Juli: Wenn die Hüllen fallen

August: Professionell

September: Monet im Nebel

Oktober: Siegfried

November: Entkommen

Dezember: O du fröhliche!

Epilog

Januar

Chorizo y Rioja

„Hola José“, begrüßte Miguel von der Spurensicherung den Kommissar. Der Jahresbeginn war typisch für den Norden Spaniens, nass und kalt. Kombiniert wurde dies heute mit einem pfeifenden Wind.

José nickte seinem Kollegen zu und wand sich unter dem Absperrband hindurch.

Das Klingeln des Handys hatte ihn heute Morgen aus einem festen Schlaf gerissen. Die Stimme des lokalen Polizisten hatte völlig aufgedreht geklungen. In dem verträumten Küstenort Cudillero hielten sich die Verstöße gegen das Gesetz in Grenzen. Die gemütlichen Kollegen waren vor allem mit aufgebrochenen Autos, gestohlenen Handtaschen und in seltenen Fällen mit leichten Drogendelikten beschäftigt.

Nur wenige Tage nach dem Jahreswechsel hatte ein Angler eine Leiche gefunden. Eine Frau, geschätzt etwa Mitte dreißig, lag zwischen den Felsen am Hafen. José war sofort hellwach gewesen, als der Polizist ihm die wichtigsten Daten durchgegeben hatte.

Wie in Trance hatte er seine Klamotten im dunklen Schlafzimmer zusammengesucht und war in den noch nicht angebrochenen Tag hinaus gehastet. Sein Herz hämmerte gegen sein Brustbein, die Hände waren feucht und kalt. Er fühlte sich innerhalb von Sekunden wie ausgekotzt.

Die eisige Morgenluft am Hafen kühlte Josés Kopf sofort ab. Wellen brachen unermüdlich gegen die Felsen am Hafenbecken und unterstützten den Nieselregen dabei, die Umgebung immerwährend feucht zu halten.

Während er sich seinen Weg über die nassen Steine zu den Kollegen bahnte, fuhr das Gedankenkarussell Achterbahn. Eine Leiche, hier in Cudillero, wurde das letzte Mal vor genau fünf Jahren, drei Monaten und zehn Tagen gefunden. Er kannte die Akte in- und auswendig, lückenlos und mit jedem noch so kleinen Detail. José spürte Übelkeit in sich aufkommen.

Seine Kollegen, die sich bereits am Tatort versammelt hatten, verstummten bei seinem Erscheinen.

„Guten Morgen“, sagte Pedro. Seit sechs Jahren arbeitete José mit dem Kollegen aus Andalusien zusammen. Nun ja, Liebe auf den ersten Blick war es nicht gewesen. Sie waren anfänglich beide nicht begeistert von der Zusammenarbeit. Es war wie eine arrangierte Ehe, sie fanden Kompromisse und ergänzten sich in ihren unterschiedlichen Charakteren. Rückblickend hatten die täglichen Streitereien José in seiner schwersten Zeit geholfen. Die letzten Jahre rauschten durch seinen Kopf, als er versuchte, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Ein neuer Fall brauchte seine Aufmerksamkeit. Pedro hielt José an der Schulter fest.

„Du solltest das nicht tun. Ich übernehme das. Fahr wieder nach Hause und leg dich ins Bett.“

„Er hat Recht“, pflichtete Miguel von der Spurensicherung bei, „lass es.“

Angespanntes Schweigen breitete sich aus. José spürte den Stress in jeder einzelnen Zelle seines Körpers.

„Es geht schon“, flüsterte er. Natürlich hatten seine Kollegen Recht. Der rasende Puls, die Schweißperlen auf der Stirn und die zitternden Hände konnten ihn nicht abhalten. Es war sein Fall. Immer wieder beruhigte er mit diesem Mantra seine wirren Gedanken.

Mit wackligen Beinen kletterte er zwischen den Felsen auf den Fundort der Leiche zu.

Er hob die weiße Abdeckung der Toten an. Der immergleiche faule Geruch schlug ihm entgegen. Was ihn aber an diesem Wintermorgen aufschreien ließ, war weder der Geruch, noch der Anblick des toten Körpers. Das erste Mal in über zwanzig Jahren Dienst als Kriminalkommissar konnte er sich nicht kontrollieren. Ihr Gesicht! Dunkle wellige Haare klebten an Hals und Schulter. Das Kinn war weich geschwungen. Die markanten Wangenknochen ließen einst ein schönes Lächeln erahnen. Josés Blick wurde von den haselnussbraunen Augen magisch angezogen. Blanke Todesangst stand in den Rehaugen.

José zitterte. Ihm war kalt, eiskalt. Hände richteten ihn auf und lotsten ihn weg. Weg von dem grässlichen Anblick eines ausgelöschten Lebens. Dumpf hörte er Pedro neben sich sprechen. Jemand legte eine Decke um seine Schultern. All der Schmerz war wieder da. José wollte nicht glauben, was er gesehen hatte. Die Tote sah aus wie Lucia.

Es dämmerte bereits, als er in seinem Bett wach wurde. Die quälenden Alpträume hatten ihn sofort wieder in ihren Bann gezogen und völlig ausgezehrt ausgespuckt.

Zurückversetzt in den dunkelsten Abschnitt seines Lebens, suchte José - wie damals - Zuflucht in Carlos Bar an der Ecke.

„Buenas noches“, begrüßte ihn der Inhaber. José setzte sich auf einen der Barhocker. Schnell stieg ihm der fruchtige Duft seines Lieblingsweins in die Nase. Kommentarlos hatte Carlos ihm ein Glas eingeschenkt. Sie verstanden sich ohne Worte.

José schwenkte den Wein und beobachtete die zähen Schlieren, die an der Glasinnenseite gemächlich ihren Weg nach unten fanden. Ein Rioja aus der baskischen Provinz Alava, rund einhundert Kilometer entfernt von Cudillero. So oft schon hatte diese Traube ihn getröstet.

„Hab schon davon gehört“, sagte Carlos und lehnte sich über die Theke. „Gibst du den Fall ab?“

José nahm einen großen Schluck, bevor er antwortete. „Nein.“

Einige Minuten schwiegen die Männer.

„Das ist pure Selbstfolter“, entgegnete Carlos.

„Ich nenne es eher Konfrontationstherapie.“ José schaute in das tiefe Rot seines Glases.

„Wie du meinst.“ Carlos verschwand durch die Tür hinter der Theke und kam mit einem Teller zurück.

„Hier“, er stellte José kleingeschnittene Salami neben sein Rotweinglas. „Probier mal meine neue Chorizo dazu, ist hervorragend.“ Bevor er sich dem nächsten Gast zuwandte, schob er sich selbst ein Stück der Köstlichkeit in den Mund.

Der Kaffee war inzwischen kalt geworden. Zum Glück war Pedro ein Langschläfer und so konnte José die ersten Stunden im Büro allein arbeiten.

Eins musste er seinem Kollegen lassen, er hatte gestern bereits alle wichtigen Daten und Unterlagen recherchiert und sortiert.

Der Name der Toten war Marta Sánchez Martínez, geboren in einem Ort nördlich von Sevilla. Sie war dreißig Jahre alt. Pedro hatte herausgefunden, dass sie für den Touristikverband arbeitete. Sie sollte sich um die Leerstände in dem kleinen Fischerdorf kümmern, die seit Beginn der Pandemie entstanden waren. Untergebracht war sie bei Maria Carmen Fernandez, einer Frau aus dem Dorf. Pedro hatte ihr Protokoll beigelegt, es war erwartungsgemäß unauffällig.

„Buenos días, guten Morgen“ begrüßte ihn Pedro.

„Ich mache uns mal frischen Kaffee, deiner ist ungenießbar.“

„Dann trink Tee.“

Ihre Konversation war schon immer speziell.

„Der Angler hat die Leiche um 4:30 Uhr gefunden.

Laut Miguel liegt der Todeszeitpunkt zwischen 20

und 22 Uhr.“

Während Pedro weiter den Stand der Ermittlungen berichtete, flammte Josés Übelkeit auf. Das normale polizeiliche Vorgehen erinnerte ihn an den Fall von Lucia. Immer wieder hatte er die Leute befragt, teilweise ohne Grund in Untersuchungshaft gehalten, vollkommen besessen davon, den Mörder seiner Tochter zu finden.

„Wie sollen wir weiter vorgehen?“, fragte Pedro vorsichtig.

José starrte schweigend die Wand an.

„So bist du mir keine Hilfe, fahr bitte nach Hause und komm morgen wieder!“ Damit drehte sich Pedro um und begann laut zu telefonieren.

Der Strudel zog ihn wieder hinunter. Der fruchtige Duft des Weins sank mit ihm in die dunkle Hölle.

Mit jedem Schluck tiefer.

„Mir ist heute Morgen Diego über den Weg gelaufen.“ Carlos gesellte sich zu José. Die Bar war um die Mittagszeit nur mäßig besucht.

„Warum die den entlassen haben, verstehe ich nicht,“ berichtete Carlos, während er sich ein Stück der Chorizo in den Mund schob. Das Fett leckte er von den Fingerspitzen ab.

„Wenn du mich fragst, ist der noch genauso bekloppt wie vor dem Aufenthalt in der Irrenanstalt.“ Der Kneipeninhaber erzählte kauend weiter.

„Der hat total wirres Zeug geredet. Den sollte man wieder einsperren.“

„Du bist unmöglich. Der Kerl ist krank.“ José schüttelte den Kopf über das saloppe Mundwerk seines alten Freundes. Er leerte sein Glas Rotwein und ließ die Wärme in seinen Körper fließen.

Es war jedes Mal ein schwerer Gang. Die Januarsonne kämpfte sich durch die Wolken und blitzte zwischen den kahlen Ästen der Bäume hindurch.

Die Ruhe des Friedhofs hatte an manchen Tagen etwas Tröstendes. Heute war sie erdrückend. José hatte einen Strauß weißer Rosen und einen mit rosa Gerbera. Das schmale Familiengrab lag am Ende einer Reihe. Sanft legten sich die zarten Sonnenstrahlen auf den hellen Stein. José nahm die verwelkten Blumen aus den Vasen, befüllte die Behälter mit frischem Wasser und arrangierte die neuen Pflanzen auf dem Grab. Hier waren seine wichtigsten Menschen. Sara und Lucia. Sara, seine Frau, war wenige Wochen nach Lucias Geburt gestorben. Ein nicht erkannter Hirntumor hatte sie regelrecht aufgefressen. Um das kleine schreiende Bündel hatte er sich zunächst kaum kümmern können. So niedergeschmettert war er nach Saras Tod. An dem Tag, als sie ihn zum ersten Mal mit großen haselnussbraunen Augen bewusst anblickte, schwor er sich, sie um jeden Preis zu beschützen.

José stand lange stumm vor dem Grab. Er wollte sich gerade umdrehen, da entdeckte er etwas Kleines neben dem Grabstein. Haselnüsse. Nach Lucias Beisetzung hatte er immer wieder Haselnüsse zwischen den Blumen gefunden. Aber das war vor langer Zeit gewesen. Wo kamen diese jetzt her?

Gedankenverloren steckte er die Nüsse in die Jackentasche.

„Ok, halten wir fest: Wir kommen keinen Schritt voran“, sagte Pedro schlecht gelaunt über den Rand seines Bildschirmes hinweg.

„Vielleicht suchen wir an der falschen Stelle. Der Tatort könnte woanders sein.“ José rieb sich die Stirn. Ihm war bewusst, dass solche Äußerungen in das erste Lehrjahr bei der Polizei gehörten. Die Reaktion seines Kollegen fiel entsprechend mickrig aus.

Ohne zu klopfen polterte Miguel von der Spurensicherung in ihr Büro. Im vergangenen Jahr hatten die beiden Kommissare eine Auszeichnung für das chaotischste Zimmer des gesamten Präsidiums bekommen. Zum Zeichen, dass dieser Preis verdient war, stolperte Miguel über mehrere Ordner und eine Topfpflanze, die mit Sicherheit lieber in der Pathologie gewohnt hätte.

„Ich hab was für euch“, rief Miguel. Aufgeregt hielt er ihnen einen durchsichtigen Plastikbeutel vor die Nase.

„Was soll das sein?“, fragte Pedro, der den Blick nicht von seinem Bildschirm abwendete.

„Heute Morgen war ich nochmal am Fundort der Leiche und habe diese hier gefunden.“ Noch immer war in seiner Stimme eine deutliche Aufregung zu hören.

José schaute nur kurz in Miguels Richtung. Das kann nicht sein, schoss es ihm durch den Kopf.

„Wo hast du die her?“, fragte er.

„Hab ich doch gerade gesagt“, antwortete Miguel.

„Auf dem Weg zum Fundort der Leiche habe ich nochmal alles genau unter die Lupe genommen.

Die Haselnüsse habe ich unterhalb der schmalen Mauer gefunden, bevor man zu den Felsen am Hafenbecken weiterklettern kann.“

José riss ihm die Tüte aus der Hand. Das Adrenalin durchflutete seinen Körper. Er griff in seine Jackentasche und holte die vier Haselnüsse hervor, die er gestern am Grab von Lucia entdeckt hatte.

„Es muss einen Zusammenhang geben“, stellte er fest und berichtete Pedro und Miguel von seinen Funden an Lucias Grab.

„Ich möchte dir echt nicht zu nahetreten“, sagte Pedro und lief auf und ab. „Warum hast du das nicht früher erzählt? Damals hast du jedes noch so kleine Detail untersucht, hast so viele Unschuldige weggesperrt und hast nicht in Erwägung gezogen, diesem Hinweis nachzugehen?“

Seine Stimme war lauter, als er wollte.

„Miguel, kannst du die bitte auf DNA-Spuren untersuchen?“ Pedro hatte sich wieder im Griff.

„Schon passiert“, antwortete der.

„Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen“, entgegnete der Kommissar genervt.

„Ich hab Spuren gefunden und mit unserer Datenbank abgeglichen. Leider keine Übereinstimmungen. Das Einzige, was ich auf den Nüssen ausmachen konnte, waren Spuren von dunklem Motoröl. Jetzt seid ihr wieder dran.“

„Öl?“, fragte Pedro. Nachdenklich ließ er sich in seinen Bürostuhl zurücksinken. „Es gibt zwei kleine Werkstätten am Hafen, für die Fischerboote.

Und die von Daniel oben an der Klippe, für die Autos.“

José fing den Blick seines Kollegen auf.

„Beginnen wir am Hafen mit der Befragung“, sagte Pedro. José nickte.

Der Regen prasselte ohne Unterlass auf den Küstenort nieder. Die beiden Kommissare hatten ihre Befragungen in den Hafenwerkstätten beendet.

Es gab keine neuen Indizien. Die Angestellten hatten glaubwürdige Alibis.

„Ok, dann fahren wir noch zu Daniel. Danach muss ich nach Hause, meine Schwiegermutter hat Geburtstag.“ Pedro verdrehte kaum sichtbar die Augen.

Das Haus der Familie López lag am Rand von Cudillero. Vor dem Ortsausgangsschild führte ein unbefestigter Weg zwischen Wiesen in Richtung der Steilküste. Von hier oben hatte man einen schönen Ausblick auf den Hafen.

José konnte sich genau daran erinnern, als er das erste Mal mit Lucia hier oben war, um einen Drachen steigen zu lassen. Sie war damals vier Jahre alt und hatte es geliebt. Er schluckte bei dem Gedanken.