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Jahrgangsübergreifender Unterricht, verstanden als pädagogisches Konzept, umfasst vielschichtige Potenziale für das gemeinsame Lernen von Schülerinnen und Schülern und trägt zur Unterrichts- und Schulentwicklung bei. Die Frage, wie jahrgangsübergreifender Unterricht in der Praxis gestaltet und reflektiert werden kann, wird in diesem Buch aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Neben pädagogischen Begründungen, wissenschaftlichen Kontroversen sowie der aktuellen Ausgestaltung in den Bundesländern werden Arbeitsweisen einzelner Schulen in den Blick genommen, in denen bereits jahrgangsübergreifend unterrichtet wird. Anhand von Interviews mit Schulleitungen wird der Entwicklungsprozess vom jahrgangshomogenen zum jahrgangsübergreifenden Unterricht nachvollzogen. Darüber hinaus wird gezeigt, wie Lehrkräfte das gemeinsame Lernen von Schülerinnen und Schülern unterstützen können.
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Seitenzahl: 215
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Die Autorin
Dr. Matthea Wagener ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Grundschulpädagogik an der Technischen Universität Dresden. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Leistungsermittlung und -bewertung in der Grundschule, Übergänge in der Grundschule, soziale Ungleichheit, Professionalisierung von Lehrkräften, Pädagogische Beobachtung und Jahrgangsgemischter Unterricht.
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1. Auflage 2022
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-035264-3
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-035265-0
epub: ISBN 978-3-17-035266-7
Einleitung
1 Was ist unter jahrgangsübergreifendem Unterricht zu verstehen?
1.1 Verständnis im deutschen Sprachraum
1.2 Verständnis im englischen Sprachraum
1.3 Zusammenfassung
2 Jahrgangsübergreifender Unterricht im Wandel: Entwicklungen und Begründungen
2.1 Die Gründungszeit der Grundschule als Ausgangspunkt für Jahrgangsmischung
2.2 Jahrgangsmischung in der Grundschule als Unterstufe der Volksschule
2.3 Jahrgangsmischung aus reformpädagogischer Sicht
2.4 Jahrgangsmischung in der Zeit des Nationalsozialismus
2.5 Jahrgangsmischung von 1945 bis in die 1970er Jahre
2.6 Entwicklungen der Jahrgangsmischung bis heute
2.7 Zwischenfazit
3 Ausgestaltung und Begründung von Jahrgangsmischung in den Bundesländern
3.1 Jahrgangsmischung im Kontext der Schuleingangsphase
3.2 Gesetzliche Bedingungen zur Erprobung und Realisierung der Schuleingangsphase
3.3 Modellprojekte in Verknüpfung mit dem Elementarbereich
3.4 Jahrgangsmischung über die Schuleingangsphase hinaus
3.5 Zwischenfazit
4 Kontroversen um jahrgangsübergreifenden Unterricht
4.1 Kritik auf schulorganisatorischer Ebene
4.2 Bedenken auf sozialerzieherischer und didaktischer Ebene
4.3 Problematik Forschungsergebnisse zu Leistungsvergleichen
4.4 Zwischenfazit
5 Lernen im jahrgangsübergreifenden Unterricht
5.1 Sichtweisen auf Lernen
5.1.1 Behavioristische Sichtweise
5.1.2 Kognitivistische Perspektive
5.1.3 (Sozial-)Konstruktivistische Perspektive
5.2 Ko-konstruktives Lernen im jahrgangsübergreifenden Lerntandem
5.3 Didaktische Überlegungen zur Ermöglichung ko-konstruktiven Lernens
6 Individualisierende Unterrichtsarrangements im jahrgangsübergreifenden Unterricht
6.1 Begriffliche Annäherung an »Individualisierung«
6.2 Didaktische Unterrichtsarrangements zur Individualisierung
6.2.1 Arbeitspläne
6.2.2 Erarbeitung eines selbst gewählten Themas
6.2.3 Aufgaben zur Ko-Konstruktion im jahrgangs- übergreifenden Lerntandem
6.3 Ausgewählte Unterrichtsarrangements
6.3.1 Lernwege
6.3.2 Kooperative Erarbeitung eigener Fragen
6.4 Abschließende Überlegungen
7 Vom jahrgangshomogenen zum jahrgangsgemischten Unterricht: Ein Innovationsprozess
7.1 Innovationen und deren Implementierung
7.1.1 Zum Begriffsverständnis von Innovation im schulischen Kontext
7.1.2 Zum Begriffsverständnis von Implementierung schulischer Innovationen
7.1.3 Bedingungen für eine erfolgreiche Implementierung
7.2 Interviews mit Schulleitungen: Zur Implementierung von Jahrgangsmischung
7.2.1 Angaben zur Durchführung der Interviews
7.2.2 Analyse der Interviews
7.3 Zusammenfassung
Literatur
Jahrgangsübergreifender Unterricht – Didaktische Grundlagen und Konzepte möchte dazu beitragen, jahrgangsübergreifenden Unterricht zu verstehen. Dabei geht es nicht nur um ein Modell der Unterrichtsorganisation, in der verschiedene Jahrgänge in einer Klasse zusammen lernen. Jahrgangsübergreifender Unterricht ist auch nicht als Formel oder ein Rezept zu begreifen, das vorgibt, was richtig oder falsch ist (vgl. Stone & Burriss 2019, 11). Vielmehr ist jahrgangsübergreifender Unterricht als ein pädagogisches Konzept zu verstehen, das viele Variationen zulässt (vgl. ebd.).
In diesem Buch wird jahrgangsübergreifender Unterricht aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, um zur Auseinandersetzung damit anzuregen und Impulse für die Praxis zu geben.
Das erste Kapitel (Kap. 1) befasst sich mit dem Begriffsverständnis, das die Vielschichtigkeit des jahrgangsübergreifenden Unterrichts widerspiegelt. Im deutschsprachigen Raum werden Begriffe wie jahrgangsübergreifend oder jahrgangsgemischt synonym verwendet, während im englischsprachigen Raum mit der Bezeichnung auf die Organisation des Unterrichts verwiesen wird. Dennoch gibt es auch im englischsprachigen Raum eine Vielzahl an nicht präzise abgrenzbaren Realisierungsformen, die eine eindeutige Definition erschweren.
Da die Jahrgangsmischung seit der Gründung der Grundschule verschiedenen Wandlungen und Strömungen unterworfen war und auch heute noch ist, werden im zweiten Kapitel (Kap. 2) ausgewählte Zeitabschnitte genauer beleuchtet, anhand derer bildungspolitische, ökonomische und pädagogische Argumentationen nachgezeichnet werden. Einige Begründungen wie beispielsweise demographische und pädagogische Aspekte sind nach wie vor aktuell.
Einen wichtigen Einfluss hatte die »neue« Schuleingangsphase auf die Einführung jahrgangsübergreifenden Unterrichts. Dessen Erprobung in Form der Mischung des ersten und zweiten Schuljahrgangs fand in den einzelnen Bundesländern teilweise als Modellprojekt oder in Form von Schulversuchen statt. Auch über die Schuleingangsphase hinaus kann jahrgangsübergreifend unterrichtet werden. Über die verschiedenen Modelle und gesetzlichen Bestimmungen in den Bundesländern gibt das dritte Kapitel (Kap. 3) Auskunft.
Jahrgangsmischung wurde und wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Diese Kontroversen werden im vierten Kapitel (Kap. 4) thematisiert, wobei deutlich wird, dass die Diskussion auf sehr unterschiedlichen Ebenen geführt wird.
Im Zentrum des fünften Kapitels (Kap. 5) stehen verschiedene Sichtweisen auf das Lernen. Herausgearbeitet wird das kollektive Lernen im Grundschulalter, das insbesondere in jahrgangsübergreifenden Konstellationen Lernprozesse anregen kann. Anhand einer Gesprächssequenz zweier Mädchen im jahrgangsübergreifenden Lerntandem wird veranschaulicht, wie Kinder in Ko-Konstruktion eine Aufgabe im Sachunterricht bearbeiten.
Auch das sechste Kapitel (Kap. 6) greift die Unterrichtspraxis auf. Im Mittelpunkt stehen individualisierende Unterrichtsarrangements, die immer wieder gefordert werden. Die Herausforderungen, die sich für Lehrkräfte ergeben, werden in ihrem Spannungsfeld zwischen Individualisierung und Standardisierung genauer betrachtet. Ausgewählte Unterrichtsarrangements werden vorgestellt und im Hinblick auf ihre Ermöglichung von Individualisierung im Unterricht beleuchtet.
Schließlich geht es im siebten Kapitel (Kap. 7) um die Entwicklung vom jahrgangshomogenen zum jahrgangsübergreifenden Unterricht. Um diesen Innovationsprozess detailliert beschreiben zu können, wurden eine Schulleiterin und ein Schulleiter interviewt, die »aus erster Hand« Auskunft über den Entwicklungsprozess ihrer Schule geben. Herausstellen lassen sich damit Prozesse und Bedingungen, die zum Gelingen der Institutionalisierung von jahrgangsübergreifendem Unterricht beitragen.
Jahrgangsübergreifender Unterricht hat sowohl national als auch international Konjunktur, wird aber gleichzeitig auch kritisch unter die Lupe genommen. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Begriffsverständnis im nationalen und internationalen Kontext, wodurch die Spezifik der Jahrgangsmischung aufgespannt werden soll.
In Deutschland wird unter jahrgangsübergreifendem Unterricht schlicht das Unterrichten verschiedener Jahrgänge in einer Lerngruppe bzw. einer Schulkasse verstanden. Begriffe wie jahrgangsgemischtes, altersgemischtes, altersheterogenes, jahrgangsübergreifendes oder jahrgangskombiniertes Lernen werden synonym verwendet. Häufig wird der Begriff der Jahrgangsmischung und nicht der Altersmischung verwendet, da üblicherweise auch in Jahrgangsklassen eine größere Altersspanne vorzufinden ist. Somit soll mit dem Begriff der Jahrgangsmischung deutlich gemacht werden, dass es sich um eine Mischung schulischer Jahrgänge handelt (vgl. Demmer-Dieckmann 2005, 9). Dabei ist eine immense Vielfalt an Organisationsformen auszumachen, die in folgender Übersicht nur angedeutet werden kann und nicht als trennscharf zu verstehen ist, da viele Überschneidungen möglich sind (vgl. Wagener 2020, 226f., Tab. 1).1
Die Darstellung zeigt zwar vielfältige Organisationsformen jahrgangsübergreifenden Unterrichts auf, gibt jedoch keine Hinweise darauf, wie der Unterricht konzeptionell gestaltet wird. Eine etwas differenziertere Sichtweise findet sich in der Schweiz, Österreich und im englischen Sprachraum.
In der Schweiz ist der Begriff des altersdurchmischten Lernens (AdL) gängig, aber auch altersgemischtes, altersheterogenes und jahrgangsübergreifendes Lernen werden synonym verwendet. Gemeint ist damit, dass Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrem Alter »gemeinsam und differenziert nach ihrem Entwicklungs- und Lernstand« (Achermann & Gehrig 2011, 18) lernen und Heterogenität als Ressource
Tab. 1: Organisationsformen von Jahrgangsübergreifendem Unterricht (eigene Darstellung)
Kombinationsformen verschiedener Jahrgänge in der Grundschule:Zeitlich und fachlich begrenzte Jahrgangsmischung in der Grundschule:
für das gemeinsame Lernen und Zusammenleben betrachtet wird (ebd.). Der Begriff des altersdurchmischten Lernens steht für ein pädagogisches Konzept, das im zweiten Kapitel genauer ausgeführt wird. Demgegenüber ist mit dem Begriff der Mehrklassenschule eine Unterrichtsgestaltung verbunden, in der zwar zwei, drei oder mehr Klassen in einem Raum von einer Lehrperson unterrichtet werden, aber jede Klassenstufe ihren eigenen Stoffplan hat, sodass die Lehrperson eine Art Abteilungsunterricht durchführt.
In Österreich existieren laut Nationalem Bildungsbericht jahrgangsgemischte Mehrstufenklassen, die aufgrund der hohen Anzahl kleiner Schulen (30 Prozent aller Volksschulen) zwangsläufig gebildet werden (Breit et al. 2019, 21). Demgegenüber wird im Modell der Wiener reformpädagogischen Mehrstufenklassen ein Konzept favorisiert, das »eine altersbezogene Heterogenität« (ebd.) bewusst in die pädagogische Arbeit einbindet, sodass der Beweggrund, Mehrstufenklassen zu bilden weniger ein organisatorischer als vielmehr ein pädagogischer ist.
Im englischen Sprachraum stellt sich das Verständnis der Jahrgangsmischung zwar differenziert dar, allerdings lassen sich auch hier viele verschiedene Terminologien finden, die teilweise synonym verwendet werden, was sich erschwerend sowohl in Diskussionen um Jahrgangsmischung als auch in der Forschung zeigt (vgl. Ronksley-Pavia, Barton & Pendergast 2019, 26). In Orientierung an Cornish (2010) und Lloyd (1999) lässt sich folgender Überblick zusammenstellen (Tab. 2).
Tab. 2: Organisationsformen im englischen Sprachraum (eigene Darstellung)
Trotz der Vielfalt der Begriffe und der Vielzahl an Realisierungsformen lassen sich im Wesentlichen zwei Hauptbegründungen ausmachen, die sowohl im nationalen als auch im internationalen Zusammenhang von Bedeutung sind: Jahrgangsmischung bzw. jahrgangsübergreifender Unterricht (in diesem Buch synonym verwendet) wird aus der Notwendigkeit (z. B. Mangel an Schülerinnen und Schülern, aber auch Mangel an Lehrkräften, Vermeidung von Schulschließungen) sowie aus pädagogischen Erwägungen (z. B. Förderung des individuellen und gemeinsamen Lernens, Entwicklung) heraus praktiziert. Beide Begründungen werden im folgenden Kapitel näher beleuchtet und im Rahmen der Entstehung und Entwicklung der Grundschule seit 1919 in ihrem Stellenwert nachvollzogen.
1 Ein Beispiel hierfür wäre die Kombination der Klassen 1 bis 3, in denen separate Mathematikstunden für die Kinder der Klassenstufe 3 vorgesehen sind.
Der jahrgangsübergreifende Unterricht war seit der Gründung der Grundschule immer wieder verschiedenen Strömungen und Wandlungen unterworfen, die im folgenden Kapitel anhand prägnanter Zeitabschnitte nachvollzogen werden. Die Zeit der Gründung der Grundschule bildet den historischen Ausgangspunkt (Kap. 2.1), gefolgt von Überlegungen zur Frage, welche Bedeutung die Grundschule als Unterstufe der Volksschule für die Jahrgangsmischung hatte (Kap. 2.2). Als wichtige Zäsur werden reformpädagogische Konzepte betrachtet, in denen Jahrgangsmischung pädagogisch begründet wurde (Kap. 2.3). In der Zeit des Nationalsozialismus war die Jahrgangsmischung in Bezug auf das Erreichen staatskonformer Erziehungsziele bedeutend (Kap. 2.4) und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in der neu gegründeten Deutschen Demokratischen Republik als auch später in der Bundesrepublik als rückständig betrachtet (Kap. 2.5). Im Anschluss werden die aktuellen Entwicklungen dargelegt (Kap. 2.6), bevor das Kapitel mit einem Zwischenfazit (Kap. 2.7) abgeschlossen wird.
Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit jahrgangsübergreifendem Unterricht in der Grundschule wird von ihrer Gründung im Jahr 1919 ausgegangen. Zunächst wurde die Grundschule nicht als eigenständige Institution gegründet, sondern umfasste die vier unteren Jahrgänge der Volksschule. Diese wiederum war eine Einrichtung aus der Kaiserzeit, die weitergeführt wurde. Die systemische Verbindung von Grundschule und Volksschule blieb bis 1964 bestehen, wie auch im Reichsgrundschulgesetz von 1920 ersichtlich wird: »Die Volksschule ist in den vier untersten Jahrgängen als die für alle gemeinsame Grundschule, auf der sich auch das mittlere und höhere Schulwesen aufbaut, einzurichten.«2 Erst 1964 wurde die Grundschule zur eigenständigen Institution, unabhängig von der Hauptschule (vgl. Götz 2019, 40).
Als »die für alle gemeinsame Grundschule« sollte sie Kindern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft eine erfolgreiche Schullaufbahn gewähren. Allerdings wurde dieser Anspruch von Anfang an nur teilweise eingelöst. Aufgrund des Kriteriums der Schulfähigkeit, die sich nicht nur auf den Schulanfang bezieht, konnte und kann die Grundschule keine »für alle gemeinsame Schule« sein, als welche sie ursprünglich bezeichnet wurde. Denn die Selektion von nicht schulfähigen Kindern vor dem Eintritt in die Grundschule (im Reichsschulpflichtgesetz von 1938 gesetzlich verankert3) zeigt sich bis heute insbesondere in Form einer erheblichen Anzahl an Zurückstellungen vom Schulbesuch (vgl. Pape 2016, 104). Darüber hinaus erfuhr die Einrichtung von Hilfs- bzw. Sonderschulen in der Zeit der Weimarer Republik und insbesondere in der NS-Zeit einen erheblichen Gewinn durch ihren Ausbau im Rahmen eines eigenständigen Sonderschulwesens (vgl. Hänsel 2006). Diese Einschränkungen des Anspruchs der Grundschule als Einheitsschule wurden in der Erziehungswissenschaft bisher eher randständig thematisiert. Nach Herrlitz, Hopf und Titze (1998, 126) kann die Grundschule verstanden werden als Schule, in der »die strikte Segregation von höherer und niederer Bildung – allerdings nicht die von ›Normalschulen‹ und ›Hilfsschulen‹ für geistig und körperlich Behinderte – durchbrochen« wird. Diese Aussage ist bis heute zutreffend.
Als Grundlage für die Auseinandersetzung mit der Jahrgangsmischung ist der schon erwähnte Zusammenhang von Grundschule und Volksschule zu betrachten. Die Grundschule wurde nicht als eigenständige Institution eingerichtet, sondern umfasste die vier unteren Jahrgänge der Volksschule. Somit war sie auch der standortabhängigen Gliederung unterworfen und damit sehr unterschiedlichen Bedingungen in der Stadt und auf dem Land. Die Mehrzahl der preußischen Volksschulen befand sich auf dem Land und war überwiegend jahrgangsübergreifend (ein- und zweiklassig) organisiert, während die städtischen Volksschulen mehrheitlich in Jahrgangsklassen gegliedert waren.
Die Unterrichtsbedingungen waren also sehr unterschiedlich, da insbesondere auf dem Land sehr ungünstige Rahmenbedingungen vorherrschten. Beklagt wurden vom Deutschen Lehrerverein in der Denkschrift »Die Landschule« von 1926 vor allem die unzureichende Ausstattung an Personal und Lehrmitteln an den Schulen sowie die zu hohe Schülerzahl pro Klasse. Die Beurteilung der Lernentwicklung der einzelnen Kinder fiel überwiegend negativ aus, da zu wenige Unterstützungsmaßnahmen auf dem Land vorhanden waren. Hinsichtlich der aus Ressourcenmangel begründeten jahrgangsübergreifenden Unterrichtsgestaltung wurden didaktische Fragen der Unterrichtsdifferenzierung jedoch kaum gestellt und fanden sich auch nicht in den preußischen Richtlinien (vgl. Pape 2016, 110). Da eine spezielle Didaktik fehlte, wurde entsprechend einer vom Jahrgangsklassensystem bestimmten Abteilungsgliederung aus der Zeit des Kaiserreichs unterrichtet, obwohl einige Kritikpunkte angeführt wurden. Diese bezogen sich darauf, dass Lehrkräfte zu wenig Zeit zur Anleitung und gemeinsamen Erarbeitung von Unterrichtsgegenständen mit den Kindern hatten, sodass es sich bei den Lehrprozessen eher um »Methoden des Einpaukens« (ebd., 145) handelte.
Eine Abkehr vom Abteilungsunterricht innerhalb jahrgangsübergreifender Klassen wurde in reformpädagogischen Ansätzen deutlich, in denen didaktische Prinzipien wie das Ganzheits- und Gemeinschaftsprinzip, die Selbsttätigkeit des Kindes und das Lernen durch praktisches Tun zum Ausdruck gebracht wurden. Im Folgenden werden prägnante Ansätze aus reformpädagogischer Perspektive in Bezug auf Jahrgangsmischung skizziert.
Aus reformpädagogischer Sicht entwickelten sich Konzepte, die sich mit pädagogischen Argumenten für die Jahrgangsmischung aussprachen. Sie können als Gegenmodell zur Volksschuldidaktik betrachtet werden, in der die jahrgangsübergreifende Klassenbildung gezwungenermaßen aus fehlenden räumlichen und personellen Ressourcen resultierte.
Als prominente Vertreterin und Vertreter sind Maria Montessori (1870–1952), Peter Petersen (1884–1952) und Berthold Otto (1859–1933) zu nennen, die das Jahrgangsklassensystem kritisierten und sich konzeptionell sehr ausführlich zur Jahrgangsmischung äußerten. Die Jahrgangsklasse wurde als eine »unnatürlich« zusammengesetzte Lerngruppe betrachtet, da nirgendwo anders als in der Schulklasse Gruppen in Jahrgängen zusammengesetzt sind.
Maria Montessori, italienische Ärztin (erste Frau, die Medizin studieren konnte) und Pädagogin, betrachtete Jahrgangsmischung als natürliche Umgebung, ähnlich der Altersstruktur in der Familie. Sie plädierte für die Mischung von drei Jahrgängen, begründete dies aber nicht explizit (vgl. Montessori 1972, 86). Die Kombination dieser Altersstufen erweist sich Maria Montessori zufolge als Förderung der Entwicklung des Kindes:
»In vielen Schulen werden erst die Jungen von den Mädchen geschieden und dann alle noch nach den Lebensjahren, jeder Jahrgang in eine eigene Klasse. Das ist ein fundamentaler Irrtum, der zu allerlei Fehlern führt – diese künstliche Absonderung, in der sich der soziale Sinn nicht entwickeln kann. […] Unsere Schulen zeigten, wie Kinder verschiedenen Lebensalters einander halfen. Der Kleinere schaut, was der Größere tut, und fragt allerlei darüber, und der Ältere erklärt es ihm. Dies ist wirklicher Unterricht, denn die Auslegung und Erklärung eines fünfjährigen Kindes steht dem Begreifen eines dreijährigen so nahe, dass das Kleine alles leicht begreift, während wir seine Intelligenz kaum zu erreichen wüßten. Es besteht eine Harmonie zwischen ihnen und ein Gedankenaustausch, der zwischen einem Erwachsenen und einem so kleinen Kind nicht möglich ist. Es gelingt den Lehrerinnen nicht, dem dreijährigen Kind alle Dinge begreiflich zu machen; aber das Kind von fünf Jahren macht es ihm klar. […] Die Leute machen sich Sorgen, ob das Fünfjährige, während es […] dem anderen hilft, selbst wohl genug lernen wird. Erstens unterrichtet es nicht dauernd, es hat auch seine Freiheit und weiß sie zu gebrauchen. Aber […] daneben legt es, selbst unterrichtend, seine eigenen Kenntnisse sauber fest, denn es festigt jedes Mal gehörig seine Kenntnis, weil es diese aufs Neue analysieren und mit ihr umgehen muß, es sieht also alles mit größerer Klarheit« (ebd., 87ff.).
Das ausführliche Zitat verdeutlicht verschiedene Begründungen der Jahrgangsmischung von Montessori: Die Zuordnung der Kinder zu geschlechts- und altershomogenen Klassen betrachtet sie als unnatürliche Vorgehensweise. Gerade die Verschiedenheit der Kinder wirkt sich positiv auf die kognitive und vor allem soziale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler aus. Das Helfen der Kinder untereinander spielt dabei eine zentrale Rolle und lässt gegenseitige Achtung und Interesse entstehen. Die jahrgangsübergreifende Lerngruppe bietet ein soziales Umfeld, in dem den Kindern ermöglicht wird, sich in wechselnden Rollen zu erleben: Sie können von den Kenntnissen der Älteren profitieren und jüngere Kinder unterstützen. Zudem weist Maria Montessori in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich Kinder im Hinblick auf das Erklären und Begreifen näherstehen als Erwachsene und Kinder.
Montessori scheint davon auszugehen, dass es die Aufgabe der Älteren ist, jüngeren Kindern zu helfen. Der umgekehrte Fall wird als Lernchance nicht einbezogen. Der Sorge, dass ein älteres Kind nicht genug lernt, wenn es den Jüngeren hilft, begegnet Maria Montessori damit, dass das ältere Kind beim Helfen sein Wissen festigt.
Damit wird die Befürchtung von Kritikern, dass die älteren Kinder nicht genügend lernen würden entschärft. Montessori meint dazu: Das Kind »vervollkommnet […] das, was es weiß, indem es lehrt, denn es muß seinen kleinen Wissensschatz analysieren und umarbeiten, will es ihn an andere weitergeben. Dadurch sieht es die Dinge klarer und wird für den Austausch entschädigt« (ebd., 204). Anzumerken ist, dass bei Montessori das gegenseitige Helfen ausschließlich positiv konnotiert ist und die Theorie der Entkopplung des Lernstands vom Jahrgang unberücksichtigt bleibt, da ausschließlich davon die Rede ist, dass die Älteren den Jüngeren helfen. Mit der von Montessori ausschließlich positiv dargestellten Wirkung von Jahrgangsmischung stellt sich die Frage, inwiefern diese Idealisierung »geradegerückt« werden könnte, um eine fundierte Theorie begründen zu können.
Peter Petersen, Universitätsprofessor in Jena und Gründer der Jena-Plan-Schule, spricht vom Bankrott der Jahrgangsklasse. Drei Jahrgänge werden im Konzept des Jena-Plans (Petersen 1927, erstmals veröffentlicht) in Form von Stammgruppen zusammengefasst. Diese bestehen aus der Untergruppe (1. bis 3. Schuljahr), der Mittelgruppe (4. bis 6. Schuljahr), der Obergruppe (7. bis 8. Schuljahr) und der Jugendlichengruppe (9. bis 10. Schuljahr). Die jahrgangsübergreifenden Stammgruppen haben zum Ziel, dass ältere Schüler den jüngeren sowie »Klügere dem nicht so Begabten« (Petersen 1934/1984, 135) helfen. Petersen erläutert, wie sich Kinder gegenseitig in Inhalte oder Arbeitstechniken einführen bzw. erzieherische Aufgaben wahr- und übernehmen. Diese Gespräche betrachtet er als Potenzial, welches das didaktische Handeln der Lehrperson ergänzt. Damit sich dieses Potenzial entfalten kann, muss der Unterricht entsprechend gestaltet und den Kindern in ihren »Kräften, Neigungen, Interessen und menschlichen Beziehungen Bewegungs- und Äußerungsfreiheit gegeben werden« (ebd., 65). Mit dem jährlichen Wechsel innerhalb der Stammgruppen durch das Verlassen bzw. Hinzukommen von Schülerinnen und Schülern sollen Stigmatisierungen (z. B. der Langsame, der Kluge) möglichst verhindert werden. An oberster Stelle steht bei Peter Petersen die Gemeinschaft – das heißt die Schulgemeinde. Dieser ordnet sich der Mensch mit seiner Individualität unter (vgl. Burk 2007, 27). Petersen sieht in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen ein Verhältnis von »Lehrling, Geselle und Meister«, was aus heutiger Sicht kritisch zu betrachten ist, da erstens das individuelle Leistungsvermögen verdeckt bleibt und zweitens die Gefahr besteht, dass die einzelnen Jahrgänge eher in hierarchischen Verhältnissen und weniger in gleichberechtigten Beziehungen zueinanderstehen (vgl. Laging 2003, 13).
Das Konzept des Gesamtunterrichts von Berthold Otto (1859–1933) stellt einen enormen Bruch mit dem etablierten Jahrgangsklassensystem dar. Im Gesamtunterricht treffen sich Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 17 Jahren in einem großen Raum, analog zum Gespräch am Familientisch. Berthold Otto schreibt dazu:
»Der Gesamtunterricht […] bezieht sich auf das Zusammensein der ganzen Schule, wo 6jährige bis 17jährige zusammen sind. Gerade daran liegt es mir außerordentlich viel, an der geistigen Gemeinschaft verschiedener Lebensalter. Es ist das auch, wodurch die Familie in der geistigen Ausbildung der Kinder den bisherigen Schulen entschieden überlegen ist. […] Man muss am Familientisch so sprechen, dass die Kinder es schließlich alle verstehen, und ebenso müssen wir hier, wenn wir uns vom 6jährigen bis 17jährigen hinauf verständigen wollen, die Verständigungsmittel in der Sprache und in der ganzen Darstellungsweise dessen, was wir gesehen, gedacht und erlebt haben, so einrichten, dass wir zu einer gegenseitigen Verständigung gelangen. Wir haben dadurch mehr, als es bei einer rein gleichaltrigen Klasse der Fall sein kann, ein Abbild der Art und Weise, wie die Menschen selbst bei der Erforschung der Welt geistig miteinander verkehren; denn die verschiedenen Menschen, die auf verschiedenen Gebieten tätig sind, stehen selbstverständlich auf recht verschiedenen Standpunkten, und die gegenseitige Verständigung fällt mitunter recht schwer« (Otto 1913, 7f.).
Nach Otto (vgl. ebd.) werden Kinder und Jugendliche in diesem Unterricht darauf vorbereitet, dass Menschen verschiedene Interessen haben und über verschiedene Fähigkeiten verfügen, sich verständlich zu machen. Gelernt wird nicht nur, sich über verschiedene Themen inhaltlich auszutauschen, sondern auch, sich gegenseitig zu respektieren und geduldig zu sein. Auch wenn der Gesamtunterricht nicht durchgängiges Prinzip in Ottos Schulkonzept ist, so zeigt sich doch ein großer Unterschied im Vergleich zur Jahrgangsklasse. Mit seinem Verweis auf die Erforschung der Welt stellt Otto das wissbegierige Kind mit dessen Fragen und Interessen in den Mittelpunkt des Unterrichts (vgl. Klaas 2013, 29). Die Verschiedenheit der Anderen wirkt nicht lernhemmend, sondern anregend. In der gegenseitigen Toleranz und Achtung der Verschiedenartigkeit der Menschen liegt Otto zufolge ein erzieherischer Wert (vgl. ebd.).
Den Konzepten von Maria Montessori, Peter Petersen und Berthold Otto ist gemeinsam, dass sie den jahrgangsübergreifenden Unterricht als bewusst zu gestaltende pädagogische Herausforderung verstehen, die positiv bewältigt werden kann. Durch die Betonung des didaktischen Handelns und dem Anspruch eines starken Reflexionsvermögens vonseiten der Lehrperson unterscheiden sich die reformpädagogischen Begründungen der Jahrgangsmischung deutlich von der Volksschuldidaktik des Kaiserreichs. Allerdings lässt sich nur schwer beurteilen, inwieweit die reformpädagogischen Ideen tatsächlich im Unterricht umgesetzt wurden bzw. ob die Verfechterinnen und Verfechter reformpädagogischer Vorstellungen auch Einfluss auf die Schulreform hatten (vgl. Schmitt 1992, 11). Interessanterweise lässt sich feststellen, dass sich aktuelle Begründungen eng an reformpädagogischen Sichtweisen orientieren, was in Abschnitt 2.5 noch weiter ausgeführt wird (Kap. 2.5).
In der Zeit des Nationalsozialismus wird die Bezeichnung »Grundschule« zugunsten der »vier unteren Jahrgänge der Volksschule« aufgegeben. Der Grundschule wird nun nicht mehr der eigenständige Bildungsauftrag der Persönlichkeitsbildung zugeschrieben und damit verbunden werden die individuellen Entwicklungsbedürfnisse von Kindern negiert (vgl. Rodehüser 1987, 301). Die Curricula sind deutlich nationalsozialistisch geprägt. In den »Richtlinien für den Unterricht in den vier unteren Jahrgängen der Volksschule« von 1937 heißt es: »Die Volksschule hat nicht die Aufgabe, vielerlei Kenntnisse zum Nutzen des einzelnen zu vermitteln. Sie hat alle Kräfte der Jugend für den Dienst an Volk und Staat zu entwickeln und nutzbar zu machen. In ihrem Unterricht hat daher nur der Stoff Raum, der zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist« (zit. n. Scheibe 1974, 83). Margarete Götz und Uwe Sandfuchs (2014, 38) zufolge bedeutet das allerdings nicht, dass davon auszugehen wäre, dass sich die Grundschule von Beginn der NS-Zeit an »reichseinheitlich« entwickelt hat. Denn die Weimarer Grundschulrichtlinien galten noch bis weit in die 1930er Jahre hinein. Weiterhin waren veraltete Schulbücher in Benutzung, die dem Reichserziehungsministerium nachgeordneten Behörden handelten häufig eigenmächtig und darüber hinaus hat sich die Situation an Schulen im Laufe des Krieges zunehmend verschlechtert, sodass ein regelgerechter Unterricht eher selten war (ebd.).
Angaben zur Bildung jahrgangsheterogener bzw. -homogener Klassen sind nach Martin Pape (2016, 121) in den amtlichen Erlassen der nationalsozialistischen Schulpolitik nicht zu finden. Die Reichsrichtlinien von 1939 besagen (zit. n. Scheibe 1974, 86): »Die Aufgliederung in Klassen richtet sich nach den örtlichen Verhältnissen, insbesondere nach der vorhandenen Zahl der Schulkinder«. Insofern wird auch die Klassenzusammensetzung entsprechend der Weimarer Zeit fortgeführt. Der Schule auf dem Land kommt die besondere Bedeutung zu, »die Kinder im Sinne einer ›frühzeitigen Berufsverbundenheit‹ zu erziehen und sie auf ihre Rolle als Bauern und Arbeiter auszurichten, die für den Staat im bevorstehenden Krieg von Bedeutung ist« (Pape 2016, 123). Die jahrgangsheterogene Klasse bietet aus Sicht der NS-Didaktik günstige Bedingungen dafür, da die Lehrkraft in ihr über Jahre hinweg die gleichen Kinder unterrichtet. Insbesondere »die einklassige […] Schule zeigt in mancher Hinsicht ein Abbild der Familie, da sie Kinder verschiedenen Alters und Geschlechts umfaßt. Der Lehrer hat die Kinder mehrere Jahre hindurch zu betreuen, wodurch er sie besser kennenlernt und deshalb auch besser führen kann« (Huber 1944, 91, zit. n. Pape 2016, 124). Somit lassen sich aufgrund des Einflusses der Lehrkräfte nationalsozialistische Erziehungsziele in der jahrgangsheterogenen Klasse leichter verwirklichen (vgl. ebd.). Hinzu kommt, dass die älteren Schülerinnen und Schüler dazu angehalten waren, erzieherische Aufgaben für die Jüngeren zu übernehmen, was in der NS-Zeit ausgenutzt wurde. Auch wenn die jahrgangsübergreifende Landschule als besonders nützlich beim Erreichen der Erziehungsziele betrachtet wurde, so blieb sie finanziell dennoch ungenügend ausgestattet (vgl. ebd., 124).
Insgesamt zeigt sich, dass die nationalsozialistische Bildungspolitik die jahrgangsheterogen gegliederte Grund- und Volksschule für sich vereinnahmen und die begrenzten Rahmenbedingungen zur Realisierung ihrer Erziehungsziele nutzen konnte (vgl. ebd.).
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelten sich in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) unterschiedliche Schulstrukturen, die sich mit Blick auf Jahrgangsmischung wie folgt nachzeichnen lassen:
Das Schulwesen in der DDR erfuhr eine Neugestaltung, die mit dem »Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule« (vgl. Tenorth 2011, 53) von 1946 vorsah, »die Jugend frei von nazistischen und militaristischen Auffassungen im Gei