Jede Wolke ein Traum - Ronald Hirsch - E-Book

Jede Wolke ein Traum E-Book

Ronald Hirsch

4,8

Beschreibung

„Jede Wolke ein Traum“ ist eine Einwanderergeschichte aus der Sicht zweier Katzenbrüder, die, einst getrennt, wieder zusammenfinden wollen. Ihre Sehnsucht nach Heimat, einem Zuhause, aber auch nach Abenteuer teilen sie mit einer bunten Schar heimatloser Hafenbewohner in Italien. Von dort aus organisieren sie unter der Führung eines indischen Flohmagiers eine Auswanderungsodyssee ins gelobte Land Deutschland. In dieser Geschichte verleiht der Autor nicht nur den mit uns lebenden Haustieren eine Stimme, sondern auch den weniger geschätzten „grauen Mäusen“ unserer „Unterwelt“, die ein Dasein fristen müssen, das sie uns Menschen verdanken. Dabei ergibt sich die Frage, ob wir mit unserer Sicht der Welt nicht andere verdrängen oder sogar ausschließen. Was macht uns zu Freunden oder Fremden? Welche Bedürfnisse teilen alle Wesen auf unserer Erde? Was ist der Stoff der Träume vom Glück? Erwachsen sie aus der Wirklichkeit? Welcher Wirklichkeit? Oder ist es gerade umgekehrt? Große Fragen, die Toni und seine Freunde in ihrer kleinen Welt nicht beantworten können. Sie suchen nur eine Heimat, in der sie willkommen sind. Werden sie sie finden?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 102

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
12
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Sibylle

und meinen Kater Bobbi

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Piombino, Italien

Kapitel 2: Witten, Deutschland

Kapitel 3: Italien

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9: Kalkutta

Kapitel 10: Piombino

Kapitel 11: Witten

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

- 1 -

Piombino, Italien

„Luigi!“ brummte Toni. „Auf dem Kutter da drüben, siehst du die halbe Pizza in dem Fischkasten?“

„Natürlich“ näselte Luigi „ich sehe auch noch ein paar Sardinen, auf die Bruno so scharf ist. Wo ist er eigentlich wieder hin?“

„Er ist wieder unterwegs zum großen Pier. Dort soll ein Schiff aus Hamburg angekommen sein.“ antwortete Toni.

„Komm schon! Unser Abendbrot wartet da drüben auf uns. Oder willst du, dass die Hafenratten wieder schneller sind als wir? Hol’ es rüber. Ich habe Hunger.“

Toni spielt gerne Chef und kommandiert Luigi herum. Luigi ist ein Floh. Toni sein Hund. Er lebt auf seinem Fell am Hintern, dicht am Schwanz, wo es am wärmsten und kuscheligsten ist. Fast so warm wie in Kalkutta, wo er herkam. Als „blinder Passagier“ mit einer Ratte, ebenfalls „illegal“, auf einem Frachter von Indien nach Piombino. In Kalkutta hat er eine Menge Überlebenstricks gelernt. So hat er das Blutsaugen aufgegeben; fast alle seine Brüder und Schwestern waren dabei umgekommen, zerquetscht, vergiftet. Jetzt gönnt er sich nur ab und zu einen Schluck von Katzen oder Hunden, lebt aber vornehmlich von Allerweltskost, von Pizza und was sonst so von Menschen häufig in Resten weggeworfen wird. Aber das Beste hat er von seinem Flohguru gelernt: Tief einatmen, Luft anhalten, konzentrieren - und zack ist er von 2mm auf 20cm gewachsen.

Sein Talent in Weit – und Hochsprung gibt ihm damit ungeahnte Möglichkeiten im praktischen Alltag. Wie jetzt: Konzentration, und mit einem Sprung landet er auf dem Schiff in dem Fischkasten mit der Pizza und den Sardinen, packt sie unter seinen Arm und – Hops – ist er auch schon wieder zurück bei Toni auf der Hafenmole.

„Sollen wir auf Bruno warten?“ fragte Luigi.

„Ach was“, antwortete Toni „Lassen wir ihm die Sardinen, die riechen sowieso schon.“

„O.K.“ fiepte Luigi „und schmatz nicht wieder so!“

Bruno ist eine Katze, (sorry ein Kater), und alle drei sind ganz gute Freunde, eher ein gutes Team, das sich gegen all die anderen Bewohner des Hafenviertels, die Hundebanden, die Rattencliquen und die betrunkenen Hafenarbeiter zu wehren weiß.

Bruno hat angeblich noch einen Bruder in Deutschland, Genaueres hat er vergessen. Als er von Katzenfängern nach Italien verschleppt wurde, hatte er einen ziemlichen Schock erlitten. Damals war er noch sehr jung und zutraulich. Deswegen konnten sie ihn auch einfangen. Als er hier im Hafen auf ein Schiff nach China verladen werden sollte, konnte er im letzten Moment abhauen.

Ziemlich fertig war er.

Luigi fand ihn ausgehungert und verdreckt in einem alten Ölfass in einer Hafenscheune. Sie wurden Freunde – Bruno hatte einen tollen Pelz!

Seitdem zieht es ihn immer wieder dorthin, wo ihn etwas an Deutschland, seine Heimat erinnert, wie Schiffe im Hafen, wo er jetzt am Landungspier mit großen Augen auf die Massen der Passagiere starrt, in der Hoffnung, jemand würde ihn kennen und wieder zurück nach Hause nehmen. Kilian soll sein Bruder geheißen haben. Aber wer weiß schon, welche Fantasien der Schock seiner damaligen Verhaftung und Flucht verursacht hatte.

„Hallo, habt ihr schon alles aufgefressen?“ Bruno kam gerade um die Ecke, als seine Kollegen sich noch die Finger leckten, nachdem sie wegen des Gestanks der Sardinen ihre Pizza mehr heruntergewürgt als gekaut hatten.

„Hm, riecht lecker hier!“ brummte Bruno.

- 2 -

Witten, Deutschland

„Ich werde heute mal wieder bei Susanne schlafen, in der Parterre Wohnung. Bisschen rum schäkern“, dachte er, „ein wenig frühstücken, dann erstmal ne' Runde pennen auf frischen Laken. Dieser Duft!

Die da oben soll erst wieder das Bett beziehen. Sibylle spurt zwar schneller beim Dinnerservice, auf den Punkt gebackene Hähnchenflügel mit Sauce... Klasse, aber ich muss meine beiden Sklavinnen irgendwie gleich auf Trab halten.“

Etwas müde und ungelenk, aber voller Vorfreude auf sein gleich einzunehmendes Frühstück schlüpfte Bobbi durch die Katzenklappe der Haustür am Karl – Marx – Platz 10 in einer Kleinstadt im Ruhrgebiet.

Das Haus war schon 100 Jahre alt, hatte einen dicht bewachsenen Hintergarten mit Büschen und Bäumen, einen großen Parkplatz davor und eine endlose Industriebrache im Hinterland.

Dieses Revier musste nächtlich durchgecheckt werden. Bei Wind und Wetter. Ein anstrengender Job, der hungrig machte. Deshalb die Dienstordnung für Sibylle und Susanne: 5 Uhr Vorfrühstück, 7 Uhr Hauptfrühstück, 18 Uhr Dinner. Zwischenzeitlich natürlich kleine Snacks von einem sturen Typen, der auch da wohnte, der aber fast hypnotisiert werden musste, bevor serviert wurde. „Kullern“ wirkt aber sofort. Einfach auf den Rücken rollen, Katzenlächeln auflegen, ein paar Bauchtanzbewegungen, und „Zack“ der Kühlschrank öffnet sich.

Jetzt aber – „was ist das? Seit wann ess' ich das? Das sind Sardinen in Garnelensauce! Ich ess' doch, wenn überhaupt Fisch, nur Ökolachs in Sahnedip.“

Bobbi schüttelt den Kopf, gibt Susanne einen verächtlichen Hieb und verschwindet nach oben zu Sibylle. „Hallo Bobbi – Titti, komm ins Bett.“ säuselt es aus dem Schlafzimmer.

Bobbi richtet seinen Kommando – Starr – Blick auf Sibylle und schreitet in die Küche. Sibylle schält sich aus den Laken und folgt. Frühstücksservice!

Bobbi schläft, voller Bauch nach oben, und beginnt zu träumen: Erst von Schnecken, Würmern, Ameisen und Spinnen im Gras und Buschdschungel, von Auspuffrohren und Hundekot, von Mäusen und frechen Amseln, von der verdammten hinterlistigen Elster, von polternden Männerschuhen und den großen lärmenden Blechkisten, dann rollt er sich ganz klein, zuckt kurz mit Pfoten und Schwanz und findet sich in seinem schönsten Traumland aus seiner Kindheit: Alles ist weich und warm im Kuschelbett mit seinem Bruder und seiner Mama. Trinken, schlafen, schnurren, spielen – Tag ein, Tag aus in der Altbauwohnung von Frau Matussek. Sie ist Witwe, schon recht alt, und bekommt des Öfteren Besuch von Leuten vom Amt. Aber sie kümmert sich um sie, ihr Ein und Alles, wie um ihre Kinder, die sie nicht mehr besuchen. Dann wie immer – der Alptraum: Sie halten gerade ein Verdauungsschläfchen, da hört er es: Trapp, trapp, trapp... die Treppe hoch, bis zur Tür, das Schrillen der Wohnungsklingel, Stimmengewirr, Menschen in weißen Kitteln führen Frau M. aus der Wohnung, große Hände greifen nach ihm, sein Bruder beißt und kratzt und flitzt durch die Beine der Besucher und weg ist er. Wo ist er nur hin? Wo ist Mama?

Ich sitze in einer Plastikbox, werde zu einer Blechkiste gebracht, Motorenlärm, Dunkelheit.

Dann wieder Stimmen, Frauenstimmen, große Augen schauen mich an, Hände greifen nach mir und tragen mich in einen großen Raum. Mein neues Zuhause!10 Plastikkisten, 5 Näpfe, 3 Katzenklos, graue, schwarze, gefleckte Kollegen, groß und klein, alle schauen mich an, ich schaue mich um. Wo ist mein Bruder, meine Mama? - Sie sind weg!

Seitdem, wenn Bobbi friedlich schlummert und träumt, schreckt er auf, sobald die Wohnungsschelle klingelt, laute Fußtritte die Treppe herauf kommen. Dann, - Zack – flitzt er unter das Schlafzimmerbett. Dort bleibt er bis der Besuch verschwunden ist.

Leise gehen, Schuhe ausziehen, keine hektischen Bewegungen, dazu ermahnt Sibylle deshalb alle Besucher, damit Bobbi nicht wieder meint, „abgeholt“ zu werden ins Heim.

Wie damals bei Frau Matussek, als er von seiner Mutter und seinem Bruder Bruno getrennt wurde, dann aus dem Tierheim in enger Box im Kofferraum in ein fremdes Haus. Das Haus am Karl – Marx – Platz 10 soll jetzt endlich sein Zuhause sein und bleiben. Und deshalb müssen alle Etagen und Räume regelmäßig auch nach Verdächtigem kontrolliert und beschnuppert werden. Ein harter Job, wobei jede Motte, Assel oder Mücke ein Spion sein könnte.“ Wieso steht der Stuhl denn nicht mehr da, wo er war?

Was ist das denn für eine Tüte, wo kommt denn dieser Faden her?“ Gott sei Dank lebt er hier im Luxus und als Boss, der die übrigen Mitbewohner locker im Griff hat. Nur manchmal muss man eben mit einem Tatzenhieb nachhelfen.

„Im Garten machen die Amseln wieder Lärm. Das muss ich überprüfen. Wahrscheinlich ist der neidische Nachbarkater wieder auf meinem Grundstück.“

„Nicht auf die Straße, Bobbi“ ruft ihm Sibylle nach. Laut Katzenpass aus dem Tierheim hieß er eigentlich Kilian, aber nun, neues Heim, neuer Name! Der passte auch besser zu seiner Figur.

Sein Personal meinte sogar, eine Diät täte ihm gut.

„Von wegen!“

- 3 -

Italien

Toni war der Älteste von den drei Freunden im Hafen von Piombino. Er hatte den längsten Migrationshintergrund.

Fußmarsch aus Neapel, wo er dreimal fast von Motorrollern überfahren wurde.

Nun ja, einmal hatte es ihn doch erwischt. Schwer humpelnd wurde er eingefangen und in ein Sammellager gebracht, das des Öfteren von Müttern mit ihren dicken Kindern besucht wurde. Viele seiner Mitinsassen wurden auch wieder abgeholt oder adoptiert. Nur ihn, obwohl er immer mit dem Schwanz wedelte und niemals bellte, ihn wollte keiner haben.

Eines Tages, als der letzte seiner Käfigkumpel, Enzo, seiner neuen Familie übergeben wurde, und Wärter, Kinder und Eltern ein freudiges Palaver anstimmten, während sie Enzo ein nagelneues Lederhalsband umlegten, ohne Toni überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, schlich er unbemerkt durch die offene Gittertür.. Langsam, erst durch den Korridor, geduckt, dann hastig trabend durch den Haupteingang, floh er aus dem Lager und rannte, so schnell er konnte in Richtung Landstraße. Nach zehn Minuten Dauerlauf musste er wegen seines Hüftschadens die erste Pause einlegen. Er war müde und hatte Hunger. Im Lager hätte es jetzt Frühstück gegeben.

Zumindest konnte er im Straßengraben in einer Pfütze seinen Durst löschen. Aber wo gibt’s hier was zu essen?

Oben auf der Straße rauschte ein LKW vorbei. Mit dem Fahrtwind flog ihm eine zerknitterte Tüte vor die Füße.

Fettiges Papier, darin drei Kartoffelchips. Langsam kauen, dachte er.

In den nächsten Tagen rannte er unentwegt an der Landstraße entlang, Richtung Norden, dort soll es nicht so heiß sein wie hier im Süden.

Die Hitze tagsüber machte ihm zu schaffen und er musste von jeder Abwasserpfütze, auf die er stieß, trinken um fit zu bleiben. Deswegen hatte er nun aber Durchfall bekommen und war mager wie ein Windhund geworden, nur nicht so schnell und er war, vor allem, so schrecklich müde. Doch was war das? - ein köstlicher Geruch wehte ihm um die Nase und der Speichel schoss ihm in den Mund.

- 4 -

Bobbi langweilte sich. Problemloses Luxusleben macht melancholisch. Sibylle hatte versucht ihn zu unterhalten. Mit Hütchenspiel. Langweilig! Unter welchem Hütchen ist das Leckerli? Ohne zu schauen kann er es aus 10 m mit einem Nasenloch riechen. Vielleicht ein bisschen Boxen? Aber die hat so lahmarschige Reflexe, dass ich aggressiv werden muss. Dann geht das Geheule wieder los. Beim kleinsten Kratzer: „Aua Aua, böser Bobbi!“ Draußen kennen sie mich auch alle schon. Ich brauch' nur eine Pfote vor die Tür zu setzen und das Alarmgezeter meiner Vogelfreunde beleidigt meine empfindlichen Ohren.

Also ab in Deckung unter die Büsche. „Nicht auf die Straße, Bobbi Titti!“

„Ja ja.“ Nach 3 Minuten war Bobbi unter einem Farnwedel eingeschlafen. Seit kurzem hatte er Abenteuerträume:

Er, allein, in weiter Ferne.

Im Fernsehen hatte er Katzen gesehen, die im Freien lebten und ganze Herden von Tieren jagten, fast so groß wie Autos.

Das wäre mal was!

- 5 -

Toni schnüffelte. Der Duft kam von der anderen Straßenseite. Da musste er rüber. Scheiß – Verkehr! Jetzt, nach dem klappernden Moped eine Lücke. Eins, zwei, drei Humpier – die Hüfte! - Geschafft.

Ein großes, altes Bruchsteinhaus, Eisengitter, dahinter großer Garten mit alten Eichen, Steintreppe...