Josef 2122 Zukunft ohne Kindheit - Christine Stutz - E-Book

Josef 2122 Zukunft ohne Kindheit E-Book

Christine Stutz

1,0

Beschreibung

Dies gelte Euch als Warnung Die Zukunft ist ein dunkler Ort, ohne Licht. Niemand kann dorthin sehen oder gehen. Erst wenn die Zukunft Gegenwart wird, wissen wir, was sie für uns vorgesehen hat.... Als Warnung, uns Kinder, als das zu sehen, was wir sind! Wir sind eure Zukunft! So wie ihr uns behandelt, so gestaltet sich eure Zukunft! Wenn ihr uns schlecht behandelt, was sagt das für eure Zukunft aus? Nur eines: Wenn wir die Gegenwart werden, dann seid ihr die Vergangenheit. ------------------------------- In der Zukunft werden Kinder nicht mehr Zuhause erzogen. Sie werden ab den vierten Lebensjahr in sogenannten Center gebracht. Dort werden sie erzogen und auf ihr zukünftiges Leben, ihren Platz innerhalb der Gesellschaft vorbereitet. Keines der Kinder sieht seine Eltern je wieder. Josef ist vier Jahre alt als er seiner Mutter entrissen und in ein Center gebracht wird. Dort beginnt seine schlimmste Zeit. Seine Erziehung ist hart. Bis er sich etwas zuschulden kommen lässt und "Entsorgt" wird. Josef landet in einem Arbeitslager-Dem Höllenloch, schlimmster Ort außerhalb des Systems.

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Josef 2122 Zukunft ohne Kindheit

TitelseiteBiografie Josef 2122Vorwort1 Kapitel2 Kapitel3 Kapitel4 Kapitel5 Kapitel6 Kapitel7 Kapitel8 Kapitel9 Kapitel10 Kapitel11 KapitelEpilogImpressum

Josef 2122

Zukunft

ohne

Kindheit

Biografie Josef 2122

Biografie Josef 2122

Heute werde ich siebzig Jahre alt.

Ein Alter, dass ich eigentlich nie erreichen sollte. Nicht wenn nach gewissen Menschen innerhalb der Regierung gegangen wäre. Menschen, die versuchten, mich zu beseitigen. Und doch feiere ich heute Geburtstag. Mit meiner geliebten Partnerin, unseren Kindern und Enkelkindern. Wir alle, Jung und Alt, versammeln sich heute, um zu feiern. Mit Musik und Kuchen. Etwas, das in meiner Jugend unbekannt war. Damals gab es keine Kinder in einer Familie.

Man bat mich, meine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Denn jeder kennt den Namen Josef 2122. Kinder erfahren den Namen in den Schulen. Viele Mythen und Geschichten ranken sich darum. Doch kaum einer kennt meine wahre Lebensgeschichte. Was damals, vor über fünfundsechzig Jahren begann und zu einem Feuer wurde, dass unser Land gereinigt hat. Ein Feuer, von einer einzigen Rede entzündet, die ich im Fernsehen gehalten habe.

Mein Vater sagte einmal, ich sei sehr charismatisch. Ich hätte die Gabe, Menschen für mich einzunehmen Das mag stimmen. Denn unglaublich viele Menschen folgten mir als ich mich gegen ein Regime auflehnte, das uns unsere freie Meinung und unsere Kinder nahm. Ich wuchs in diesem Regime auf, war ein Teil davon. Doch gelang es mir immer, mir meine eigene Entscheidungskraft zu erhalten. Etwas, dass mir oft das Leben rettete, aber auch in die Irre führte. Das hier, das ist meine Geschichte.

Vorwort

Vorwort

Irgendwann in der Vergangenheit

In den vergangenen Jahren war die totale Demoralisierung der Jugend so weit vorangeschritten, das den Kindern und Jugendlichen, jegliche moralische Werte fehlten.

Eltern vernachlässigten ihre Kinder. Ersetzten Liebe gegen Elektronik. Zeit durch Geld und Luxus. Durch zügellose, Gewalt verherrlichen Spiele, Filme, brutale Vorbildern, Musik und Bücher eskalierte alles. Born to kill wurde zu einem Mantra, dass sich wie ein Feuer verbreitete.

Niemand war mehr sicher. Zunehmende Amokläufe von Jugendlichen, Selbstmorde und gegenseitige bestialische, Morde wegen Kleinigkeiten waren an der Tageordnung und zwangen die Regierung zu drastischen Maßnahmen:

Im Jahre 2048 erließ die Regierung ein folgenschweres Gesetz-

Kinder im Alter von 4 Jahren wurden den Eltern entrissen und in Erziehungscentren gebracht. Dort wurden sie bis zu ihrem 18 Lebensjahr erzogen um dann von einem Gremium begutachtet, um einer Arbeitsgruppe zugeteilt zu werden. Dort mussten die Jugendlichen ihren Platz ausfüllen und ihren Dienst tun. Ein freier Wechsel war unmöglich. Gehorsam war das oberste Gebot. In allen Bereichen des Lebens. Jungen Menschen wurde vom Gremium ein Partner zugeteilt.

Dieser wurde durch Computer als ideal ausgewählt. Niemand hatte Mitspracherecht. Man war verdammt, mit seinem Partner das Leben zu verbringen. So versuchte man, der Gewalt Einhalt zu gebieten.

Dies gelte Euch als Warnung

Die Zukunft ist ein dunkler Ort, ohne Licht. Niemand kann dorthin sehen oder gehen. Erst wenn die Zukunft Gegenwart wird, wissen wir, was sie für uns vorgesehen hat....

Als Warnung, uns Kinder, als das zu sehen, was wir sind!

Wir sind eure Zukunft!

So wie ihr uns behandelt, so gestaltet sich eure

Zukunft!

Wenn ihr uns schlecht behandelt, was sagt das für eure Zukunft aus?

Nur eines: Wenn wir die Gegenwart werden, dann seid ihr die Vergangenheit.

1 Kapitel

1 Kapitel

„Bitte, Gerry! Lass ihn mir. Er ist alles was ich noch habe! Sag, du hast ihn nicht gefunden. Lass mir Josef. Du kannst mir nicht unseren Sohn wegnehmen! Ich habe doch nur ihn!“ Meine Mutter weinte. „Mein Leben ist doch auch so schon elendig genug.“ Sie klammerte sich an den Arm des großen Mannes, der sie sanft beiseiteschob und nach mir griff. Ich hatte mich an den Rock meiner Mutter geklammert und weinte ebenso. Ich wollte nicht weg von ihr. Ich wollte bei meiner Mama bleiben. Der fremde Mann machte mir Angst. Er hob mich hoch, seine Waffe leuchtete auf und Mutter sank zu Boden. Es war das letzte Mal, dass ich meine Mama sah.

Der Mann brachte mich in ein riesiges Auto. Es war das erste Mal, dass ich in solch einem Fahrzeug fuhr. Mein Weinen versiegte. Fasziniert sah ich aus dem Fenster und betrachtete die schnell darin rasende Gegend. Meine kleinen Finger malten Bilder auf die nasse Scheibe. Der Mann lächelte traurig und schwieg dazu. Er brachte mich zu einem unglaublich großen Gebäude. Das Center der Hauptstadt.

Dort waren bereits viele andere Kinder meines Alters zusammengetrieben worden. Ebenso allein, allein ohne ihre Mütter. Sie alle standen dort, mit ihren Koffern und warteten, warten auf etwas, von dem sie , wie ich, keine Ahnung hatten. Viele weinten oder schrien. Doch das interessierte niemanden. Keiner kam, um uns zu trösten.

Man band mir ein Armband um, eine Nummer leuchtete auf. „Du heißt jetzt Josef 2122. So wirst du dich melden, wenn man dich anspricht, verstanden? Vergiss das nie. Und hör endlich auf zu heulen, Muttersöhnchen!“ sagte der große Mann. Es sollte hart klingen. Doch ich hörte auch einen besorgten Unterton. Der Mann kniete sich herunter und strich mir das Haar aus dem Gesicht. „Wenn du weinst, entsorgen sie dich. Das darf nicht geschehen. Hast du verstanden? Also sei tapfer.“ Flüsterte der Mann mir zu.

Ein Mädchen kam zu mir und legte ihren kleinen Arm um mich. „Hallo. Ich bin Eva 3131“ sagte sie leise. „Du musst stark sein, wenn du hier überleben willst. Das sagt meine Mama immer. Ich werde es nicht schaffen, aber du, davon bin ich überzeugt.“ Sie strich mir sanft über die Locken. Ihr Blick streifte den Mann neben mir.

„Willkommen im Center, Kinder!“ Die herrische Stimme einer Frau drang durch den Raum. Sie schlug mit einem Stock auf einen großen Gong und lenkte unsere Aufmerksamkeit auf sich. „Die Jungen nach rechts, die Mädchen nach links! Mädchen haben eine ungerade Endziffer, Jungen eine gerade! Habt ihr das verstanden?!“ Sie schrie ihre Anweisungen durch den Raum und wies dann auf verschiedene Kinder, die von jungen Frauen fortgeführt wurden. Dann wies sie auf mich und zögerte. Ihr Finger hing lange in der Luft, dann wanderte er weiter und ein anderer Junge wurde aus unserer Gruppe entfernt. Sie wartete, bis sich die Tür hinter den Kindern geschlossen hatte, dann sah sie uns erneut an. „Hat jemand von euch eine Ahnung, wo ihr seid oder was hier mit euch geschieht?“ fragte sie und betretenes Schweigen folgte.

Niemand von uns hatte eine Ahnung, dass nun die härtesten Jahre unseres Lebens begonnen hatten. Niemand hatte uns darauf vorbereitet. Wir alle, wir waren doch noch so jung.

Zuwenig Schlaf, zu harte Strenge und Regeln, zu wenig zu Essen, welches uns je nach Erfolg oder Gehorsam zugeteilt werden würde. Jedes Zuwiderhandeln oder Aufbegehren wurde hart bestraft. Nahrungsentzug war eine der Strafen, vielleicht die Schlimmste. Doch es gab auch Isolation, Wassertreten bis zum Umfallen, Freischlafen im Winter und vieles mehr. Viele Erzieher setzten ihre Schlagstöcke ein, um uns zu disziplinieren.

Wer sich nicht anpasste, oder aufbegehrte, wurde gnadenlos „Entsorgt“-

Viele Kinder verschwanden über Nacht. Hatten sie am Abend noch im selben Raum mit mir gelegen, waren sie am Morgen fort, so als habe es sie nie gegeben.

Brutale Gehorsamsspiele und nicht enden wollende Schulstunden bestimmten ab sofort unseren Alltag. Wer einschlief oder nicht mitzog, hatte verloren. Statt Spielen mussten wir Sport machen. Es durfte keine übergewichtigen Kinder geben. Darauf wurde peinlich genau geachtet. Kinder ohne Fürsprecher oder Beschützer hatten es besonders schwer. Sie waren den Schikanen der Erzieher schutzlos ausgeliefert.

Je nach Fähigkeit des Einzelnen konnte man in den Gruppen aufsteigen, die Elitegruppe war die Weiße. Dort waren die besten, die klügsten Kinder eines jeden Centers. Dort wurden die Jugendlichen auserwählt, die die spätere Regierung und die Gremien bilden sollten.

Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa

Elf Jahre später

Der große Gong weckte mich.

Schwer erhob ich mich aus dem Lager, welches mir als Bett diente. Mein Schlaf war wieder schlecht gewesen. Wieder dieser Albtraum, der mich seit dem Tag verfolgte, an dem mich die Truppen von meiner Mutter weggeholt hatten. Vier Jahre war ich damals alt gewesen. Vier Jahre und nicht verstehend, warum mich meine Mutter so schön angezogen hatte. Mein kleiner Koffer stand gepackt neben der Tür und Mutter weinte. Sie weinte, als sie mir mein Frühstück auf den Tisch stellte, sie weinte noch mehr, als es an der Tür klingelte.

Ein großer, grober Mann verlangte, mich zu sehen, seine harte Hand griff nach mir, als ich hinter Mutters Rücken hervor sah. Ich schrie wie am Spieß. Mutter bettelte den Mann an, mich nicht mitzunehmen. Der Mann zog weiter an mir kleinem Kind, das sich in den Rock seiner Mutter gekrallt hatte. Mutter wehrte sich, wollte mich zurückziehen, der Mann zog eine Waffe, ein heller Blitz und Mutter sank ohnmächtig zu Boden. Weinend war ich heute Morgen aufgewacht.

Wieder der laute Gong.

Ich sprang aus dem Bett und rannte zur Dusche. Dann schälte ich mich in meine gelbe Uniform. Ich durfte nicht zu spät kommen. Seit zwei Jahren war ich in der gelben Gruppe. Ein Privileg, ich durfte mir nichts zu Schulden kommen lassen, um nicht herabgestuft zu werden. Wenn ich die Prüfung morgen bestehen würde, hatte ich die Möglichkeit in die Elite-Gruppe, den Weißen, aufzusteigen. Dann wäre ich der jüngste Center-Boy, der dies je geschafft hatte. Und ich war wild entschlossen, es zu schaffen. Denn ich war unglaublich klug und gewitzt. Innerhalb der unteren Gruppen war ich bereits eine Legende. Jeder kannte mich- Josef 2122.

Die Weißen, mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich durfte eine weiße Uniform tragen. Jeder respektierte die Weißen. Denn das waren die Kinder, die einmal das Geschehen der Welt bestimmen konnten. Und bald würde ich dazugehören. Dann konnte ich versuchen, etwas zu verändern. Und ich hatte mir viel vorgenommen.

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa

Mein Weg führte mich in die Bibliothek. Eva wartete dort auf mich. Wir hatten 10 Minuten, 10 wunderbare Minuten, in denen wir uns unterhalten durften, bevor unser Tag begann. Kostbare Zeit, die ich nicht verschwenden durfte. Ich wollte alles auskosten. Eva war meine große Liebe.

Eva war in der orangen Gruppe, eine Gruppe unter mir, Dort war sie hängengeblieben. Und das seit drei Jahren. Sie hatte die letzte Prüfung wieder nicht geschafft. Ich seufzte leise. Liebe, kleine Eva. So sanft, so liebevoll. Sie hatte es so verdammt schwer. Solange wir in derselben Gruppe gewesen waren, hatte ich ihr helfen können, konnte ich sie beschützen. Eva, die Freundin von Josef 2122. Das respektierte jeder. Doch ich stieg auf, Eva blieb zurück. Jetzt konnte ich nicht mehr für sie mogeln. Eva musste es allein schaffen.

Eva und ich hatten uns in der Vorgruppe kennengelernt. Dort wurden alle Kinder gebracht, die ihren Eltern entrissen worden waren. Ich hatte geweint, Eva war zu mir gekommen und hatte mich getröstet. Seitdem waren wir Freunde. Und inzwischen auch etwas mehr, dachte ich lächelnd.

„Hallo Muttersöhnchen“ Mayor Gerry kam mir entgegen. Er war der Mann gewesen, der mich damals von meiner Mutter weggeholt hatte. Das würde ich nie vergessen, dachte ich bitter. Seit dem Tag nannte er mich immer nur Muttersöhnchen. „Mein Name ist Josef. Josef 2122“ antwortete ich pflichtbewusst. Immer wieder musste ich auf der Hut sein, durfte mir keinen Fehler erlauben. Fehler waren gefährlich. Sie konnten dir das Leben kosten.

Mayor Gerry grinste, salutierte kurz und ging weiter. Seit ich in der gelben Gruppe war, musste er mich grüßen. Das gab mir etwas Genugtuung. Auch, wenn nur reine Formsache war. Wie ich den Mann hasste. Er war Schuld an meinem Elend, dachte ich bitter schluckend. Ich freute mich, dass ich endlich kein Niemand mehr war.

Mayor Gerry war es, dem mein gesamter Hass galt. Irgendwann war ich erwachsen und hier raus, dann würde ich alles daransetzen, mich an den Mann zu rächen, der mich von meiner Mutter wegerissen hatte. Ich würde von ihm erfahren, wo ich meine Mutter fand. Ich würde sie wiedersehen. Das hatte ich mir geschworen.

Mein gelbes Armband leuchtete und gab Bescheid, dass meine Zeit lief. Ich beeilte mich. Meine Minuten mit Eva waren mir wichtig. Ich wollte unbedingt wissen, wie sie beim letzten Test abgeschnitten hatte. Dieser Test war für Eva entscheidend.

Mein Weg führte mich an der Vorgruppe vorbei. Ich schluckte tief. Die Vorgruppe war die schlimmste Zeit für uns Kinder. Fast ein Drittel der Kinder schaffte es nicht, wurde, wie es hieß- „Entsorgt“. Niemand wusste, was mit den Kindern, die die Prüfungen nicht schafften, passierte. Sie verschwanden einfach, so als habe es sie nie gegeben. Einmal hatte ich gewagt, zu fragen. Ich wurde hart bestraft. Drei Tage Einzelhaft und Nahrungsentzug. Damals war sechs Jahre alt.

Die Vorgruppe übte das Konzentrationsspiel. Die Kleinen mussten stillsitzen, oft stundenlang. Der, der es am längsten schaffte, sich nicht zu bewegen, wurde mit einem Stück Obst belohnt. Ich war ein Meister in dieser Disziplin gewesen. Es war mir gelungen, meinen Geist vom Körper zu trennen. Ich träumte mich zurück zu meiner Mutter, versuchte mich an ihren Geruch, ihr Gesicht zu erinnern, das verschaffte mir die Möglichkeit, oft stundenlang bewegungslos da zu sitzen. Hatte ich das begehrte Stück Obst ergattert, teilte ich es mit Eva. Die kleine Eva, zu klein, zu schmächtig, um sich durchzusetzen, wäre sie ohne meine Hilfe schon längst entsorgt worden. Jetzt hielt sie sich krampfhaft auf Stufe Orange. Das hieß, man würde sie für einen Job im Krankenwesen, oder im Dienstleistungswesen einteilen. Sie hatte noch drei Jahre hier durchzuhalten. Wenn ich es in Stufe Weiß schaffen würde, standen mir noch vier Jahre bevor.

Stufe Weiß, das bedeutete, ungehinderten Zugang zur Bibliothek, dem Computer und dem begehrten Fernseher. Nicht allen Kindern war dies erlaubt. Man hielt nicht mehr allzu viel davon, Kindern Bildung zukommen zu lassen. Nur die Klügsten und Besten eines jeden Zyklus von 8 Jahren war es vergönnt, sich durch Lesen weiterzubilden. Eva zu Beispiel durfte die Bibliothek nur donnerstags betreten und sich Bücher ausleihen, die sie auf ihre zukünftige Aufgabe innerhalb der Gesellschaft vorbereiteten. Einmal hatte ich Eva einen Liebesroman zukommen lassen. Sie war hellauf begeistert gewesen.

Leider hatte sie sich verraten und wir beide waren hart bestraft worden. Fast ein Jahr lang hatten wir uns nicht sehen dürfen. Eva wäre fast ENTSORGT worden, ich hatte 14 Monate Bibliotheksverbot. Eine geradezu gnädige Strafe in Hinsicht darauf, was mit Eva fast passiert wäre.

ENTSORGT---Ein Begriff der hier nur geflüstert wurde. Kinder und Jugendliche, die nicht ins Regime passten, verschwanden spurlos. Eben waren sie noch da, dann waren sie verschwunden, wie in Luft aufgelöst. Es wurde viel gemunkelt und spekuliert. Man vermutete, die Kinder würden getötet, andere vermuteten, sie würden irgendwo ausgesetzt, weit weg von der Zivilisation. Außerhalb des Systems. Doch niemand wagte auch nur eine Frage nach den Verschwundenen zu stellen. Ich erinnerte mich an Kalen. Kalen war damals mit mir zusammen ins Center gebracht worden. Anders als ich, rebellierte er gegen alles. Er prügelte sich und biss, als man ihn, wie üblich untersuchen und impfen wollte. Ich schluckte hart. Am Abend war er im Bett neben mir, im riesigen Saal mit mehr als 100 Betten, eingeschlafen, am nächsten Morgen war er verschwunden. Einfach fort, so als habe es ihn nie gegeben. Ich hatte es gewagt, damals erst sechs Jahre alt, nach ihm zu fragen. Ich war zu Mayor Gerry gebracht worden, der mir einbläute, nie wieder nach Kalen zu fragen, wollte ich nicht das gleiche erleben.

Eva hatte Glück gehabt. Ein wohlmeinender Fürsprecher hatte für sie gebürgt. Wer einen Fürsprecher hier hatte, war gut raus, je mächtiger dein Fürsprecher, desto mehr Freiheiten hatte man hier.

Eva saß in der Bibliothek und winkte heftig, als ich um die Ecke bog. Sie hatte mir etwas Wichtiges mitzuteilen, das sah ich ihr an. Sie klappte ihr Buch zusammen und kam mir entgegen, ihr oranges Armband schlug Alarm, als sie der Grenze, ein großer gelber Strich quer auf dem Boden, zu nahekam. Die Bibliothek war in verschiedene Bereiche unterteilt. Es war der höheren Gruppe erlaubt, die Grenzen nach unten zu übertreten, der unteren Gruppen dagegen streng verboten, die Höheren zu überschreiten. Meine Hand hielt Eva zurück, ich trat zu ihr und zog sie von der Linie fort. Jeder Fehler wurde von den Armbändern registriert und umgehend an den Hauptcomputern gesendet. Eva durfte sich keinen weiteren Fehler erlauben, wollte sie nicht auf Rot zurückgestuft werden. Ihre schlechten Leistungen waren schon Grund genug, ihre Freiheiten einzuschränken. Erst jetzt nahm ich meine Freundin in den Arm. Jetzt war es ungefährlich. Jetzt konnte ich sie kurz küssen. Doch Eva wehrte sich entschieden.

„Mein Leben ist zu Ende. Sie wollen mich entsorgen, Josef!“ Eva brach in Tränen aus, kaum dass wir in unserer geheimen Ecke saßen. „Mein Fürsprecher hat mich fallen lassen. Einfach so! Ich soll umgebracht werden, weil ich keinen Wert habe!“ sagte sie hastig. „Ich komme in ein Arbeitslager, weit weg von hier. Da sterbe ich bestimmt.“ Sie weinte und ich konnte nichts daran ändern.