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PRINZESSIN BLOSS FÜR EINE NACHT? von DANI COLLINS Beim Luxusurlaub in den Bergen sucht Prinz Rhys nach einer standesgemäßen Braut, die ihm einen Thronerben schenken soll. Doch die Einzige, die sein Begehren weckt, ist die geheimnisvolle Hotelangestellte Sopi - eine Frau, die unpassender nicht sein könnte! Oder? SINNLICHES WIEDERSEHEN MIT DEM MILLIONÄR von LOUISE FULLER Erst wird Mimi heiß von Millionär Bautista Caine geküsst, dann zeigt er ihr jäh die kalte Schulter: eine Demütigung, die Mimi nie vergisst! Als sie Bautista anlässlich der Hochzeit ihrer besten Freundin wiedersieht, knistert es trotzdem sofort wieder sinnlich zwischen ihnen … VERLIEB DICH NIE IN DEINEN FEIND! von ELISA MARSHALL Auf der Flucht vor einer Pflichtehe taucht Prinzessin Salma in Kalifornien unter, wo sie sich in den attraktiven Fotografen William verliebt. Aber kaum hat sie eine Nacht in seinen Armen verbracht, entdeckt sie: Er ist nicht der, der er vorgibt zu sein - sondern ihr größter Feind! AUF DEM WEINGUT DER LEIDENSCHAFT von HEIDI RICE Als die junge Engländerin Cara überraschend ein französisches Weingut erbt, lernt sie den Winzer Maxim Durand kennen, dem das angrenzende Land gehört. Von ungeahnter Leidenschaft überwältigt, lässt sie sich von ihm verführen. Aber will Maxim wirklich sie - oder nur ihr Erbe?
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Seitenzahl: 704
Dani Collins, Louise Fuller, Elisa Marshall, Heidi Rice
JULIA EXTRA BAND 494
IMPRESSUM
JULIA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 494 - 2021 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© 2020 by Dani Collins Originaltitel: „Cinderella’s Royal Seduction“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Emma Luxx
© 2020 by Louise Fuller Originaltitel: „Craving His Forbidden Innocent“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Alexa Christ
© 2018 by HarperCollins France, Paris Originaltitel: „La beauté des sables“ in der Reihe: AZUR Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Svenja Tengs
© 2020 by Heidi Rice Originaltitel: „A Forbidden Night with the Housekeeper“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Alexa Christ
Abbildungen: Harlequin Books S. A., ZoltanGabor / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 01/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751500548
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Für Hotelmitarbeiterin Sopi wird ein Märchen wahr: Prinz Rhys zieht sie in die Arme und verführt sie zärtlich. Doch dann schockiert ihr Traummann sie mit einem unmoralischen Angebot …
Wider jede Vernunft verspürt der argentinische Millionär Bautista Caine erregendes Verlangen, als er Mimi bei einer Hochzeit trifft. Dabei weiß er doch, dass sie eine Betrügerin ist! Oder etwa nicht?
Douglas’ Herz schlägt höher: Endlich hat er Prinzessin Salma aufgespürt, die einst sein Leben zerstört hat! Aber statt nach Rache sehnt er sich plötzlich ungewollt nach Salmas Küssen …
Nichts begehrt Playboy Maxim Durand so sehr wie den Weinberg, den die junge Cara geerbt hat. Weil Cara nicht an ihn verkaufen darf, schmiedet er einen leidenschaftlichen Plan. Mit ungeahnten Folgen …
Cassiopeia Brodeur wünschte sich, wenigstens einmal in Ruhe nachdenken zu können, bevor sie sich mit der nächsten Katastrophe auseinandersetzen musste, die ihre Stiefmutter Maude wieder verursacht hatte.
Genauso wie sie sich wirklich wünschte, ihren Stiefschwestern nie erzählt zu haben, dass ihre Freundinnen sie Sopi nannten.
„Sie meinen wohl eher Soapy, oder? Wie Englisch für seifig!“ Nanette und Fernanda waren in hysterisches Kichern ausgebrochen, als sie den Spitznamen gehört hatten.
Sieben Jahre später war der Name geblieben, aber Sopis Freundinnen waren gegangen. Und natürlich hatten sie inzwischen alle höchst interessante Berufe und ernsthafte Beziehungen – und lebten in richtigen Städten.
Nur Sopi war immer noch hier in Lonely Lake und putzte ihrer verwöhnten Stieffamilie und den Gästen des Spas, das ihren Namen trug, hinterher.
Warum konnten Maude und ihre Töchter nicht einfach nach Europa zurückkehren und aufhören kaputtzumachen, was von Sopis Leben noch übrig war? Schließlich konnten sie doch gar nicht oft genug betonen, wie schrecklich es hier in diesem „Kaff“ in der tiefsten Wildnis der kanadischen Rocky Mountains war!
Ach richtig, sie konnten ja nirgendwo anders hingehen, weil sie das ganze Geld von Sopis Vater verpulvert hatten. Und trotzdem schienen sie entschlossen, das Spa jetzt auch noch zu ruinieren …
„Sämtliche Reservierungen?“, wiederholte Sopi gerade und sah ihre Stiefmutter ungläubig an. „Du hast sämtliche Buchungen für März storniert?“
„Ja.“
„Absichtlich?“
„Sopi.“ Maude verfiel in ihren gouvernantenhaftesten Ton. „Wir können hier doch keine Familien mit Kindern brauchen, wenn wir einen königlichen Gast empfangen, oder? Außerdem benötigen wir die Zimmer.“
„Einen königlichen Gast?“, fragte Sopi mit einem erstickten Auflachen. „Das soll wohl eine Metapher sein, oder?“ Ab und zu tauchte hier zwar irgendein seltsamer alternder Popstar auf, aber echte Prominente mit echtem Geld fuhren nach Banff oder Whistler zum Skilaufen.
„Rhys Charlemaine ist der Prinz von Verina.“
„Nie gehört“, sagte Sopi, auch wenn es weit hinten in ihrem Kopf leise klingelte. Allerdings kam sie meist nicht mal dazu, den Wetterbericht zu hören. Und den Klatsch über verblassende Königshäuser verfolgte sie erst recht nicht.
„Sopi, Sopi. Deine Bildung lässt wirklich zu wünschen übrig.“ Maude schüttelte verzweifelt ihre silberne Frisur.
Meinte sie etwa die Bildung, für die kein Cent da gewesen war, weil Nanette und Fernanda mit dem Geld, das Sopis Vater hinterlassen hatte, unbedingt ein Eliteinternat in der Schweiz hatten besuchen müssen? Obwohl Sopi sich nie groß darüber beklagt hatte, weil ihre Stiefschwestern dadurch wenigstens weg gewesen waren.
„Was um alles in der Welt will denn ein Prinz hier?“
„Ich habe eine Woche Heli-Skiing für ihn arrangiert.“
Mit welchem Geld?
Sopi wollte schreien – oder auch weinen. Sehnsüchtig schaute sie aus dem Fenster in einen strahlend blauen Himmel, der sich über die blendend weißen Hänge des Tals spannte. In der letzten Saison war Sopi nur ein einziges Mal auf dem kleinen Berg auf der anderen Seite des Sees Ski gefahren. Dieses Jahr war sie noch gar nicht dazu gekommen.
„Die Mädchen machen das Penthouse für ihn frei, aber sie bleiben auf dem oberen Flur“, fuhr Maude fort. „Die übrigen Zimmer dort sind für seine Entourage.“
„Für seine Entourage? Bitte sag jetzt nicht, dass sie alle umsonst hier wohnen.“ Sopi wurde ganz übel, weil sie das Schlimmste ahnte. Maude ließ sie nie in die Bücher schauen, aber sie war nicht naiv. Sie wusste, dass das Spa von Tag zu Tag tiefer in die roten Zahlen rutschte.
„Natürlich berechnen wir ihm nichts.“ Du Dummchen. Das brauchte Maude nicht laut zu sagen, Sopi hörte es auch so. „Eine bessere Werbung könnten wir uns nicht wünschen. Ich habe einen Spitzenkoch eingestellt, das war sowieso überfällig.“ Ihr anklagender Blick sagte alles. Sopi wollte sich nicht einmal vorstellen, was der Spaß kosten würde. „Du wirst mehr Personal für die Anwendungen brauchen.“
„Maude.“ Sopi versuchte es wieder einmal. „Du weißt, dass ich niemanden bekommen kann.“
Die abgeschiedene Lage von Lonely Lake war ein großes Problem. Deshalb blieben die wenigen abenteuerlustigen Kosmetikerinnen und Physiotherapeuten meistens nur eine Saison. Hinzu kam, dass es eine ganz besondere Art Hölle war, für Maude und ihre Töchter zu arbeiten.
„Stell dich nicht so an“, seufzte Maude. „Sobald sich herumspricht, wer hier wohnt, stehen die Bewerber Schlange.“
Die Hauptklientel des Spas waren Ruheständler, die zu erschwinglichen Preisen ihre Arthritis in den heißen Mineralwasserbecken auskurieren wollten. „Senioren sind nicht gerade für üppige Trinkgelder bekannt. Wenn dieser Prinz und seine Kumpanen …“
„Kumpanen?“ Maude riss den Kopf hoch. „Sopi, er ist dreißig und unverheiratet. Und es wird Zeit, dass er das ändert.“ Maude blätterte durch eine Auswahl von Stoffmustern. Jetzt hielt sie ein kleines Quadrat preiselbeerfarbiger Seide hoch. „Beißt sich das mit Nanettes Haar, was meinst du?“
Maudes Gedankensprünge waren ein Problem. Sopi konnte ihnen oft nicht gleich folgen. Aber jetzt horchte sie auf. Konnte es sein, dass Maude eine ihrer Töchter mit diesem Prinzen verkuppeln wollte? Der irgendwo in einem Königreich lebte? Das weit, weit weg lag?
Und wenn eine von ihnen dorthin ginge, würden sie alle gehen.
Bei dem Gedanken spürte Sopi Hoffnung in sich aufsteigen, und ein Lächeln huschte ihr übers Gesicht.
„Nein, gar nicht, Maude. Und du hast ja recht. Das klingt gut. Ich mache mich sofort an die Arbeit.“ Ihr Herz hämmerte laut in ihren Ohren.
„Danke“, sagte Maude in eindringlichem Ton. „Und sieh zu, dass die Mädchen nicht behelligt werden.“
Sopi biss sich fest auf die Zunge. Wenn sie es jetzt geschickt anstellte, konnte sie vielleicht, ganz vielleicht ihre Stieffamilie für immer los werden.
Beschwingt verließ sie Maudes Büro und ging fröhlich vor sich hin summend nach oben ins Penthouse, um dort die Betten abzuziehen und die Klos zu putzen.
Rhys Charlemaine erwachte vor Sonnenaufgang. Noch ehe sich einer seiner Mitarbeiter mit frischem Kaffee, Morgenzeitungen und Nachrichten, die beantwortet werden mussten, in seine Suite schleichen konnte.
Er läutete nicht. Die Zeit, die er für sich allein hatte, war kostbar. Außerdem hatte es gestern genug Wirbel gegeben. Maude Brodeur, die Inhaberin des Spas, hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn persönlich zu begrüßen, um ihn anschließend noch fast zwei Stunden festzuhalten. Und dabei ein nervtötendes Namedropping zu betreiben.
Zweck der Übung war wohl gewesen, ihm ihre hübschen, einem Schweizer Eliteinternat entsprungenen Töchter ans Herz zu legen.
Rhys seufzte. Wenn man ihm für jede Frau, die in seinen Hosentaschen nach einem Ehering grub, einen Euro gäbe, wäre er wahrscheinlich reicher als alle Technologie-Milliardäre der Welt zusammen.
So aber hatte er nur ein recht ansehnliches Vermögen vorzuweisen, das auf klugen Investitionen beruhte, die er im Technologie-, vor allem aber im Immobiliensektor getätigt hatte. Die Hälfte davon gehörte seinem Bruder Henrik. Rhys kümmerte sich um ihre privaten Finanzen, während Henrik für die des Königshauses zuständig war. Auch wenn sie getrennte Wege gingen, arbeiteten die Brüder Hand in Hand.
Dennoch waren Henrik und er keineswegs immer einer Meinung. Rhys’ Ausflug in dieses winzige Nest in Kanada hatte seinen Bruder veranlasst, skeptisch die Augenbrauen zu heben.
Wobei auch Rhys erst mal seine Fühler ausstrecken wollte. Auf den ersten Blick schien das in einem Tal liegende, von einem Gebirgszug umgebene Objekt mit seinen heißen Mineralquellen reif zur Erschließung. Natürlich stellte die abgeschiedene Lage eine Herausforderung dar, aber jenseits des Sees gab es eine ausbaufähige Skipiste, die von den Einheimischen und den Gästen des Spas genutzt wurde.
Maude hatte betont, den geplanten Verkauf des Spas aus persönlichen Gründen vorerst geheim halten zu wollen, wobei sie so tat, als ginge es ihr nicht ums Geld, was natürlich Unsinn war. Aber Rhys hatte seine eigenen Gründe dafür gehabt, Maude Brodeurs Einladung anzunehmen. Und die hatten nichts mit der Frage zu tun, ob dieses Objekt eine lohnende Investition zu werden versprach oder nicht.
Auf der Suche nach Antworten, die weder mit Geld noch mit Status zu finden waren, ließ Rhys seinen schwermütigen Blick über den zugefrorenen See schweifen. Er brauchte ein Wunder, obwohl er an Wunder nicht glaubte. Er war ein Mann der Tat, der es gewohnt war, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Doch der Weg, der nun vor ihm lag, war mit Verrat gepflastert. Mit Verrat an seinem Bruder, wenn nicht gar an der Krone.
Wahrscheinlich sollte er dem Arzt dankbar sein, der den Grund für Henriks Zeugungsunfähigkeit herausgefunden hatte. Zum Glück hatte man den Hodenkrebs früh genug entdeckt. Henrik hatte gute Chancen, vollkommen zu genesen, sodass die Königswürde nicht auf Rhys übergehen musste. Doch was die Zeugungsfähigkeit seines Bruders anging, fiel die Prognose schlecht aus.
Was bedeutete, dass Rhys für den nächsten Thronfolger sorgen musste.
Und dafür brauchte er eine Ehefrau.
Er versuchte zu verdrängen, wie verräterisch sich das anfühlte. Henrik hatte alles dafür gegeben, dass sie ihren rechtmäßigen Platz in Verina wieder hatten einnehmen können. Dabei hätte er fast die Frau, die er liebte, verloren. Denn die Royalisten, die ihre Rückkehr aus dem Exil tatkräftig unterstützt hatten, waren ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass Henrik eine Adelige heiraten würde. Nur mühsam war es ihm am Ende gelungen, sie eines Besseren zu belehren. Und jetzt das.
Henrik und Elise verdienten es, eigene Kinder zu haben. Sie wären gewiss ganz wunderbare Eltern geworden.
Ein blaues Leuchten vor seinem Fenster riss Rhys aus seinen trüben Gedanken. Scheinwerfer tauchten den Dunst auf dem warmen Wasser eines Außenbeckens in blaues Licht und verlockten Rhys, nach draußen zu gehen.
Seine Sicherheitsleute hatten ihm berichtet, dass es im Gästeverzeichnis von weiblichen Namen mit Adelstiteln nur so wimmelte. Was kaum überraschend war, nachdem sein Besuch hier an die Medien durchgesickert war und so die üblichen Verdächtigen angelockt hatte.
Da er keine andere Wahl hatte als zu heiraten, befand er sich derzeit im letzten Stadium seines Junggesellendaseins. Und er entschied sich, dieses voll und ganz auszuleben.
Rhys streifte seine Pyjamahose ab und schlüpfte in einen mit seinem persönlichen Monogramm bestickten Bademantel und handgenähte Slipper. Dann suchte er nach der Zugangskarte, die Maude ihm gegeben hatte, und bestieg den Aufzug, um nach unten zu fahren.
Sopi war so erschöpft, dass sie an Einbildung glaubte, als sich hinter den Dampfschwaden, die aus dem Pool aufstiegen, eine männliche Gestalt materialisierte. Der Wellnessbereich, dessen Zugänge mit einem Timer gekoppelt waren, war eigentlich noch nicht geöffnet. Im Moment kam man da nur mit einer Personalkarte rein, und sie war allein in dieser Schicht. Der Mann trug keinen Hotelbademantel, sondern ein edles purpurrotes goldbesticktes Stück, das schöner war als jeder Bademantel, den sie je gesehen hatte.
Und noch während sie ihn anschaute, öffnete er den Gürtel und sie sah …
Himmel. Darunter war er splitternackt!
Sie sollte den Blick abwenden, aber sie tat es nicht. Konnte es nicht.
Durch die Schwaden beobachtete sie, wie er den Bademantel abstreifte und ihn über die halbhohe Glaswand warf, die sich um den Pool zog. Dabei kam sein knackiger nackter Po zum Vorschein. Der Unbekannte besaß die Statur eines olympischen Schwimmers mit breiten Schultern, schmalen Hüften und muskulösen Schenkeln.
Gleich darauf drehte er sich zu ihr herum. Herrlich nackt. Die dunkle Körperbehaarung betonte die wohldefinierten Konturen von Brust und Rippen und verlief pfeilförmig über seinen Waschbrettbauch nach unten zu …
Sein geschmeidiger Kopfsprung ins Wasser verursachte kaum ein Kräuseln der Wasseroberfläche.
Sopi drückte ihr Gesicht in den Stapel Badetücher auf ihrem Arm und vergaß vor Schreck zu atmen. Ihre Wangen waren ganz heiß, während ein gänzlich unbekanntes Gefühl in ihr aufstieg.
Weil sie nicht nur ihren Ehrengast, den Prinzen von Verina, in einer höchst intimen Situation erspäht hatte. Sondern auch die Kronjuwelen.
Unglücklicherweise befand sich Sopi auf der anderen Seite des Beckens, wo hinter einem Vorsprung der Rollwagen mit den frischen Badetüchern stand. Um von hier wegzukommen, musste sie erst das Deck umrunden und die kleine Brücke überqueren …
Plötzlich spritzte das Wasser, als der Prinz nahe ihren Füßen auftauchte.
„Guten Morgen.“ Er klang überrascht, ein klein wenig heiser.
Oh Gott. Sie zwang sich, den Kopf zu heben und kurz – ganz flüchtig – in seine Richtung zu schauen.
Gut. Nur Kopf und Schultern waren sichtbar. Das sollte es ihr eigentlich erlauben zu atmen, aber, Himmel, er sah so umwerfend aus. Seine Wangenknochen über dem nass glänzenden kurzen Bart wirkten wie gemeißelt. Ließ er sich diesen Bart nur stehen, um seinen schönen Mund zu betonen? Denn diese männlichen, wohlgeformten Lippen brachten sie allein durchs Ansehen auf schlimme Gedanken. Das nasse Haar hatte er sich nach hinten gestrichen, in den laserblauen Augen lauerte träge Neugier.
„Péférez vous le français?“, fragte er.
„Was? Ich meine, Verzeihung? Ich meine, nein. Ich spreche Englisch. Guten Morgen“, brachte sie sehr verspätet heraus.
Wenigstens wusste er nicht, wer sie war. Sie hatte gestern Abend ihr einziges anständiges Kleid angezogen, weil sie als Mitglied des Empfangskomitees eingeplant gewesen war, das aus Maude und ihren Stiefschwestern bestanden hatte. Doch dann hatte sie sich wieder umziehen müssen, um eine Lieferung mit sehr speziellen Kaffeebohnen und anderen Delikatessen abzuholen, die Maude extra für den Prinzen bestellt hatte. Eine Fahrt von vier Stunden, und das nur, weil irgendwer einen Fehler gemacht hatte.
„Ich fülle nur rasch die Badetücher auf.“ Nicht, dass sie gestarrt hätte oder sprachlos gewesen wäre oder so. Sie beeilte sich, den Stapel in den Rollwagen zu schieben, nahm dann aber schnell ein Handtuch wieder raus. „Das lege ich zu Ihrem Bademantel. Unsere … äh … europäische Stunde ist übrigens erst um … äh … zehn Uhr. Abends.“
„Europ…? Oh.“ Sein rechter Mundwinkel zuckte. „Bin ich gehalten, Badekleidung zu tragen?“
„Eigentlich schon. Nacktbaden ist nur nachts erlaubt … nach dem Saunagang.“
„Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, es ist also praktisch immer noch Nacht.“ Er hob eine geschwungene Augenbraue und sah zum Himmel auf.
„Stimmt.“ Sie überlegte einen Moment, dann beschloss sie, ihn ein bisschen zu piesacken. „Aber hier ist noch nicht geöffnet. Deshalb verstoßen Sie in jedem Fall gegen die Hausordnung.“
„Worin besteht die Strafe?“
So mit ausgebreiteten Armen gegen die Beckenwand gelehnt sah er aus wie jeder andere Gast, der müßig die Blicke schweifen ließ oder mit einer zufällig vorbeikommenden Angestellten ein bisschen flirtete.
Doch da sie wusste, dass er nackt war, bekam Sopi bei dem Geplänkel Herzklopfen und hatte plötzlich Schmetterlinge im Bauch. Sie drückte das Badetuch fest an sich, während sie versuchte, die Schmetterlinge auszublenden.
„Wenigstens verstehe ich jetzt, warum in dieser Woche keine Kinder zugelassen sind“, sagte sie. „Offenbar findet hier ein FKK-Treffen statt.“
Als er lächelte, leuchteten seine Augen so warm, dass es ihr durch und durch ging. Ihr gelang es nicht, dass zurückhaltende Lächeln auf ihren eigenen Lippen zu unterdrücken.
„Ihr Amerikaner seid so herrlich verklemmt.“
Oh nein. Sie kniff leicht die Augen zusammen. „Und ihr Franzosen seid so … oh, Verzeihung, sind Sie kein Franzose?“ Sie registrierte mit heimlicher Genugtuung, dass seine gute Laune umzukippen drohte.
Nach Maudes Ankündigung hatte sie herausgefunden, dass Verina ein kleines Königreich in den Alpen zwischen der Schweiz, Deutschland und Frankreich war. Die Einwohner waren seit einem Aufstand vor zwanzig Jahren, der später niedergeschlagen worden war, extrem patriotisch.
„Jedenfalls, das hier ist Kanada, und wir Kanadier sind gar nicht verklemmt. Wir tragen aber gerne Kleider, um nicht zu erfrieren.“ Sie deutete auf die träge durch die Luft schwebenden Schneeflocken, die sich in den aus dem Pool aufsteigenden Dampfschwaden auflösten. Seltsamerweise spürte sie die Kälte längst nicht so wie sonst frühmorgens hier draußen. Ganz im Gegenteil. Von ihrer Mitte strahlte Hitze aus. Ihre Knochen schienen dahinzuschmelzen.
„Schwimmen Sie hier nie nackt?“
„Nein.“ Sopi konnte sich überhaupt nicht daran erinnern, wann sie zuletzt geschwommen war. Sie kam praktisch nie dazu, den Luxus zu genießen, an dem sich alle anderen erfreuten.
„Es ist sehr befreiend.“
„Ja, bestimmt.“ Er ahnte ja nichts von den Zwängen, unter denen sie stand.
„Überzeugen Sie sich selbst. Warum nicht jetzt gleich?“
Als sie seinem Blick mit einem bedauernden Lächeln begegnete, war da etwas in seinen Augen … Es bewirkte, dass ihr für einen Moment das Herz stehenblieb, um dann viel zu schnell weiterzuklopfen.
Er musterte sie lange, als hätte er etwas entdeckt, das ihn neugierig machte. Als wollte er wirklich, dass sie nackt zu ihm in den Pool sprang.
Wieder verspürte sie ein heftiges Ziehen in ihrer Mitte. In ihrem Bauch breitete sich Hitze aus, die sich bis in ihren Oberkörper ausdehnte, in den Hals kroch und schließlich in ihre Wangen stieg. Ihre Brüste spannten sich und wurden schwer.
Sie reagierte nie auf Männer – nicht so jedenfalls. Ihr letztes Date hatte sie in der Highschool gehabt. Es hatte mit einem nassen Kuss geendet, der sie nicht annähernd so beeindruckt hatte wie der feste Blick dieses Mannes. Die Auswahl an Männern in Lonely Lake war ohnehin sehr begrenzt, und mit Gästen fing Sopi prinzipiell nichts an. Schließlich konnte das nirgendwo hinführen!
So wie jetzt auch. Das war kein richtiger Flirt. Der nackte Badegast interessierte sich nicht wirklich für sie. Er lud sie nur ein, ihm Gesellschaft zu leisten, weil sonst niemand da war. Gerade heute früh sah sie nach einer unruhigen Nacht besonders schrecklich aus.
„Keine Angst, Sie werden sehr bald nicht mehr allein sein.“ Sie deutete mit dem Kopf zu den Fenstern, hinter denen schon vereinzelt das Licht anging. „Ich muss mich jetzt um die Saunen kümmern.“
Nach diesen Worten machte sie, dass sie wegkam. Nicht dass er noch aus dem Pool kletterte, um ihr zum Abschied splitternackt die Hand zu schütteln.
Rhys schaute der Fremden nach, irgendwie seltsam enttäuscht.
Er hatte geglaubt, allein zu sein, als er nach einer längeren Strecke unter Wasser aufgetaucht war. Und da war sie gewesen, das Gesicht in einen Stapel Badetücher gedrückt, das dunkle Haar zu einem wirren Knoten hochgefummelt, die Uniform leicht zerknittert und formlos. Nur der Po kam äußerst reizvoll zur Geltung.
Lautes Gekicher auf einem Balkon über ihm veranlasste ihn, nach oben zu schauen, wo sich zwei Frauen mit nackten Beinen und tiefen Ausschnitten übertrieben winkend über die Balustrade beugten.
So fängt es immer an, dachte er müde.
Er sah sich suchend nach der jungen Frau um, die so herrlich normal gewirkt hatte. Aber sie war weg, und er fragte sich irritiert, woher seine Enttäuschung rührte.
Sie arbeitet hier, erinnerte er sich. Bestimmt würde er sie wiedersehen.
Dabei sollte er sie gar nicht wiedersehen wollen. Sich einer Angestellten zu nähern, war tabu. Wenn er Lust auf Sex hatte, brauchte er nur die Blicke schweifen zu lassen.
Doch beim Gedanken an die in Seide gehüllten Sexbomben, die jetzt wahrscheinlich schon auf den Weg nach unten waren, regte sich nichts bei ihm. Er dachte an ein ungeschminktes Gesicht mit Augen wie geschmolzene Schokolade, umrahmt von langen dunklen Wimpern. Unter einem Mundwinkel saß ein kleiner Schönheitsfleck.
Sie war ausgesprochen hübsch! Schlank, aber nicht dünn, mit kleinen kecken Brüsten und diesem niedlichen Po. Er überlegte, bis wohin sie ihm wohl reichen mochte, wenn sie vor ihm stand. Wahrscheinlich bekäme er einen steifen Nacken, wenn er sich zu ihr hinunterbeugte, um von ihren weichen Lippen zu kosten …
Stopp.
Fluchend hielt er die Luft an und tauchte hinab bis auf den Beckenboden, um sich so richtig zu verausgaben.
Es funktionierte nicht. Sie blieb in seinem Kopf.
Sopi war immer noch emotional aufgewühlt, bis sie hörte, dass der Prinz das Haus verlassen hatte. Sie beobachtete, wie der Hubschrauber in die Höhe stieg, sich über die Baumkronen erhob und um einen Berggipfel herum auf die andere Seite flog.
Erschöpft stahl sie sich davon, um sich in ihrer Hütte etwas auszuruhen. Von dem halben Dutzend kleinster A-Klasse-Gästehäusern war ihr Cottage am weitesten vom Haupthaus entfernt. Irgendwann, wahrscheinlich als der Herd schlappgemacht hatte, war es zu einem Lagerraum für Ersatzmatratzen und Minikühlschränke umfunktioniert worden. Sopi hatte einen der Kühlschränke angeschlossen, und die Heizung funktionierte auch, sodass man es hier durchaus aushalten konnte.
Dennoch war das Loft über dem Lagerraum winzig und mit den übrigen Unterkünften im Cassiopeia kaum vergleichbar. Sogar die Angestellten wohnten in modern eingerichteten kleinen Apartments im Personalgebäude, das weiter entfernt zwischen den Bäumen lag.
Bis zum plötzlichen Tod ihres Vaters – sie war damals fünfzehn gewesen – hatte Sopi in der Managersuite gelebt. Aber die hatte dann der Geschäftsführer bekommen, den Maude in jenem ersten Jahr eingestellt hatte. Und als Maude die Leitung selbst übernommen hatte, hatte sie auch die Suite für sich beansprucht. Die ganze Arbeit hatte sie dagegen von Anfang an Sopi überlassen.
Sopi hatte mal hier, mal da gewohnt, je nachdem, wo gerade etwas frei war. Schließlich war sie am äußersten Rand des Grundstücks gelandet, während Maudes Töchter nach ihrer unfreiwilligen Rückkehr aus Europa – das Geld war ihnen ausgegangen – das Penthouse bezogen hatten.
Sie liebte es nicht, im Dunkeln durch den tiefen Schnee zu stapfen, aber sie war glücklich, ihre eigenen vier Wände zu haben. Hier hatte sie es sich mit ein paar wenigen in Ehren gehaltenen Einrichtungsgegenständen ihrer Mutter gemütlich gemacht. Unter anderem gab es da einen Lesesessel aus blauem Samt und einen verblassten Seidenteppich. Sie schlief in einem Hochbett, das sie gebraucht gekauft hatte und unter das ein Schreibtisch passte. Das Bett war offensichtlich für ein Kind gedacht, doch Sopi hatte es nicht übers Herz gebracht, die aufgepinselten Prinzessinnen zu übermalen. Immerhin brachten sie die farbenfrohen Märchenfiguren zum Träumen!
Vor langer Zeit hatte ein Hotelgast einmal das Gerücht in die Welt gesetzt, dass Sopis Mutter adliger Herkunft gewesen sei. Ihre Mutter war damals schon verstorben gewesen, und ihr Vater hatte nur milde den Kopf geschüttelt.
Leise aufseufzend kletterte Sopi hungrig ins Bett. Ihre Essensvorräte waren aufgebraucht, und sie war noch nicht dazu gekommen, sie aufzustocken.
Als ihr Kopf das Kissen berührte, schlief sie bereits so tief, dass sie nicht einmal gehört hätte, wenn neben ihr eine Bombe hochgegangen wäre.
Erst als in der Ferne das Rattern von Hubschrauberrotoren erklang, fuhr sie aus dem Schlaf hoch.
Mist. Sie hatte gerade geträumt, wie das warme Wasser des Pools über ihre Haut glitt, während zwei strahlend blaue Augen …
Oh Gott. Sie war so erbärmlich.
Und schlagartig hellwach, als sie von einer Mischung aus Selbstverachtung und Schuldgefühlen überschwemmt wurde. Sie schaute auf ihr Handy, wo viele Textnachrichten ihrer Kolleginnen eingegangen waren. Über manche musste sie laut lachen. Sie verstanden sich alle gut, aber es gab auch viel zu tun. Sopi duschte eilig, zog sich an und sprintete zurück zum Haupthaus.
Nachdem sie drei sprichwörtliche Brände gelöscht hatte, hörte sie, wie sich im Nagelstudio eine Kosmetikerin über eine Lieferung von Nagelstickern beschwerte.
„Sie sollen eigentlich glitzern, aber sie sind einfach nur schwarz, und wenn man sie poliert, rollen sie sich zusammen und fallen ab.“
Sopi runzelte die Stirn und setzte sich mit den Stickern und etwas Lack auf eine Bank im hinteren Teil des Salons. Die Stühle waren alle mit aufgeregt gackernden Frauen besetzt, die hofften, später den Prinzen zu treffen.
Seit sie zwölf war, hatte Sopi sämtliche Anwendungen unter den wachsamen Augen sorgfältig geschulten Personals durchgeführt. Sie hatte zwar keine Zertifikate an der Wand, aber sie konnte alles, von Strähnchen nachfärben bis zu einer schwedischen Massage. Wäre jetzt ein Stuhl frei gewesen, hätte sie hier mit angepackt, aber sie hatte auch so genug zu tun.
Immerhin hatte sie sich letzte Woche die Zeit genommen, ihre Zehennägel blassrosa zu lackieren. Jetzt klebte sie sich auf jeden großen Zeh einen der monierten Sticker in Form eines High Heels und fixierte ihn mit farblosem Lack. Dann verschönerte sie zum Vergleich einen der Sticker mit etwas Glitzer und ein paar Strass-Steinen und lackierte noch einmal drüber.
Sie saß vorgebeugt und pustete auf ihre Zehen. In diesem Moment bekam sie einen Anruf, der sie veranlasste, barfuß mit dem Handy in der Hand über den Flur zu den Massageräumen zu eilen.
Karl, ihr stämmiger norwegischer Masseur, schickte sich gerade an, einen Raum zu betreten.
„Karl!“, flüsterte sie. Im Spabereich durfte nur geflüstert werden, damit sich die Gäste auch wirklich entspannten. „Deine Frau.“ Sie hielt ihm ihr Handy hin.
Karl wurde blass, nahm das Telefon entgegen und sagte irgendetwas auf Norwegisch.
„Ich muss sofort los.“ Vor lauter Aufregung versuchte er, Sopis Handy einzustecken. „Es ist so weit. Die Hebamme ist unterwegs.“
„Na dann viel Glück!“ Grinsend nahm Sopi ihm ihr Smartphone weg.
„Danke.“ Er war völlig fertig und wollte schon weggehen, fuhr dann aber noch einmal herum. „Mein Handy! Und da drin liegt er auf dem Tisch!“
„Karl.“ Sopi packte ihn am Arm und sagte eindringlich: „Ganz ruhig, ich übernehme. Hol einfach nur dein Telefon und hau ab.“
Er nickte, klopfte diskret und betrat mit Sopi den Raum. „Sir, es tut mir sehr leid“, sagte er. „Meine Frau liegt in den Wehen. Aber Sie sind bei meiner Kollegin in allerbesten Händen. Ah, da ist es ja.“ Karl schaute auf sein Handy, das auf dem kleinen Regal über den ätherischen Ölen lag, und sagte zu Sopi: „Ich habe nichts gehört, weil es auf stumm geschaltet war. Der Prinz hat sich beim Skifahren eine leichte Zerrung geholt.“
Sopi nickte wortlos, ihr Hals war wie zugeschnürt. Sie vermied es, den nackten muskulösen Rücken auf dem Behandlungstisch in Augenschein zu nehmen. Seine Hüften und Beine waren locker mit einem Laken bedeckt.
Karl bedankte sich und verließ eilig den Raum.
Sopi atmete tief durch, schluckte schwer. Dann räusperte sie sich und sagte heiser: „Ich hoffe, Sie haben Verständnis. Karl hat diese Woche Rufbereitschaft, und außer für Sie wäre er wahrscheinlich gar nicht reingekommen.“
Die Schultern des Prinzen spannten sich abrupt an, als wäre er überrascht, ihre Stimme zu hören.
Sie zog das Laken über seinen nackten Fuß und strich den Rest glatt, bevor sie um den Tisch herum auf die andere Seite ging. Als sie den Rand des Lakens unter seine Hüfte schieben wollte, stellte sie fest, dass er darunter nackt war. Die nächste böse Überraschung. Was war nur mit ihrem Leben los?
„Ich habe zwar keine formale Ausbildung, aber ich bin bei allen unseren Physiotherapeuten in die Lehre gegangen. Und habe bereits mehr als vierhundert Behandlungen eigenständig durchgeführt.“
Das war sie! In der Luft hing ein schwacher Duft nach Zitrone und Salbei, unterlegt mit dem stechenden Geruch von Nagellack. Aber da war noch etwas, ein Aroma wie von sonnengereiften Pfirsichen.
„Oder sollte ich vielleicht einen Arzt oder einen zertifizierten Physiotherapeuten hinzuziehen? Ich möchte nichts verschlimmern.“
„Das könnten Sie gar nicht. Ich lasse mich normalerweise nur von Männern massieren, weil Frauen nicht hart genug zupacken. Es ist eine leichte Zerrung, mehr nicht.“
Eine Hand legte sich auf seine Wade, drückte zu, wanderte dann weiter zum Fußgelenk, drückte erneut. Es war eine stumme Kommunikation, der Griff angenehm kraftvoll. Selbstbewusst.
„Ich benutze unser neutrales Massageöl. Wenn wir feststellen, dass Sie irgendwo eine Entzündung haben, kann ich Geranie oder Schafgarbe hinzufügen.“
Rhys wollte fast scherzen, dass sie ihn ja anrichten könnte wie einen Salat, aber das verkniff er sich. Obwohl es ihn reizte, sie ein wenig zu necken.
„Was in Ihren Augen das Beste ist.“
„Wie war der Schnee?“ Jetzt war sie links von ihm.
„Gut.“ Überraschend gut sogar. Mit einem strahlend blauen Himmel. Als er hörte, wie ein Flaschendeckel klickte und sie sich gleich darauf die Handflächen aneinander rieb, hielt er erwartungsvoll den Atem an.
Ihre Fingerspitzen landeten in der Mitte seines Rückens, leicht wie ein zu Boden sinkendes Blatt. Dann begann sie ganz langsam Druck auszuüben, den sie Zug um Zug verstärkte, während er ausatmete, bis keine Luft mehr in seiner Lunge war.
Als er das nächste Mal durchatmete, sickerte die Wärme ihrer Hände in seine Haut ein. Jetzt fing sie an, das Massageöl schwungvoll zu verreiben, bevor sich ihre Bewegung verlangsamte und ihre Hände zu sondieren begannen.
Sie ertastete die Verspannungen in seiner Schulter- und Nackenmuskulatur, die er nie ganz loswurde, drückte seinen Trapezmuskel auf jeder Seite, entdeckte die Schwachpunkte. Es sollte nicht erotisch sein, aber er fand ihre Berührungen aufreizend und wohltuend zugleich.
Wahrscheinlich sollte er die Massage sofort abbrechen, aber die Versuchung, ihren Händen freien Lauf zu lassen, war zu groß. Obwohl kaum vorstellbar war, dass er es schaffte, sich zu entspannen, wenn …
Er ächzte vor Schmerz, als sie ihren Daumen in eine Stelle neben seiner Wirbelsäule grub, was sich anfühlte, als würde sie ihm eine weißglühende Klinge zwischen die Rippen stoßen.
„Verzeihung.“ Der Druck ließ nach. „Das ist der Triggerpunkt. Ich komme später darauf zurück.“
„Nein. Machen Sie es gleich noch mal.“
Ihre Hand legte sich in die Wölbung zwischen Nacken und Schulter, der Druck nahm stetig zu …
„Ist das ihr Ellbogen?“
„Tut das zu sehr weh?“
„Nein.“
Sie gab noch mehr Druck, der Schmerz intensivierte sich drei Atemzüge lang, bevor er abebbte und mit einem köstlichen Kribbeln ausklang, das so umfassend war, dass er genüsslich aufstöhnte.
„So, das wars“, murmelte sie zufrieden und strich noch einmal lindernd über die Stelle, bevor sie sich die andere Seite vornahm.
Für die nächsten zehn Minuten massierte sie seine Schultern, wobei sie ihn abwechselnd quälte und besänftigte, bis sie sich seinem unteren Rücken zuwandte. Sie schob sogar das Laken beiseite, um ihre Ellbogen in den oberen Bereich seiner Gesäßmuskulatur stemmen zu können. Da war noch ein Triggerpunkt, der tierisch schmerzte, bevor die Muskelstränge in seinem unteren Rücken lockerer wurden und sich seine Muskeln vor Entspannung verflüssigen zu schienen.
Also, wenn das nicht erotisch war. Als er sein Becken leicht anhob, um sich den in seinen unteren Regionen dringend benötigten Platz zu verschaffen, richtete sie sich auf und zog das Laken höher.
„Ich werde versuchen, diese Gegend mit Reflexzonenmassage in den Griff zu bekommen.“ Sie deckte seine Füße auf. „Sagen Sie mir, wenn der Druck zu stark wird, ja?“
Ihre Daumen pressten sich gegen seine Fußsohlen. Er hob fast ab vor Schmerz, aber der anschließende Endorphinausstoß war es wert. Als sie bei seinen Waden und seinen Achillessehnen angelangt war, gehörte er ihr. So einen Zustand unterschwelliger Erregung hatte er noch nie erlebt. Sie hätte ihn inzwischen auch ans Bett fesseln und eine Peitsche schwingen können, und er hätte sie angefleht weiterzumachen …
Jetzt nahm sie sich seine Arme vor, und er musste sich schwer beherrschen, sie nicht an sich zu ziehen. Er lechzte danach, sie ebenso intim zu berühren wie sie ihn, aber er blieb reglos liegen und ließ sich von ihr verrückt machen.
Das war Folter. Wortwörtlich.
„Würden Sie sich jetzt bitte um…“
„Nein“, knurrte er. Er war steinhart.
Eine überraschte Pause. „Dann mache ich nach Ihrem Hals und dem Kopf Schluss?“
„Ja.“
Sie trat hinter ihn. Jetzt sah er nur noch ihre nackten Füße.
Auf beiden großen Zehen trug sie einen Nailart-Sticker in Form eines High Heels. Einer war schlicht schwarz und löste sich ab. Der andere war mit Pailletten verziert und glitzerte, als sie die Zehen krümmte, während sie ihm mit den Fingerspitzen leicht über den Nacken strich.
„Ich habe Sie hoffentlich nicht zu sehr gequält …“
„Auf keinen Fall.“ Er schloss genüsslich die Augen. „Das ist die beste Massage meines Lebens. Es gibt nur leider Dinge, gegen die ist man machtlos.“
Er hörte ein leises „Oh!“. Und dann ein Schlucken.
„Bleiben Sie gemein“, knurrte er.
Ihr Auflachen klang verwirrt, aber sie gehorchte. Der letzte Akt war ein grausamer Griff aller vier Fingerspitzen in seine Schädelbasis. So hielt sie ihn eine gefühlte Ewigkeit lang in einem dumpfen Kopfschmerz gefangen, bevor der Schmerz abebbte und dem herrlichen Gefühl wich, nach einem langen harten Winter die warme Sonne im Gesicht zu spüren.
„Lassen Sie sich Zeit beim Aufstehen.“ Ihre Stimme klang aufregend heiser, was einen neuen Hitzestoß in seine Lenden schickte. „Und trinken Sie viel Wasser.“
Rhys hob den Kopf, aber die Tür schloss sich bereits hinter ihr.
Enttäuscht setzte er sich langsam auf und trank einen Schluck Wasser. Als er in seinen Bademantel schlüpfte, entdeckte er auf dem hellen Fußboden etwas Schwarzes.
Neugierig bückte er sich. Wie seltsam, es war ein Nagelsticker in Form eines Damenschuhs, so wie ihn die geheimnisvolle Angestellte getragen hatte!
Nachdenklich blickte Rhys auf den winzigen Sticker in seiner Hand – und verstaute ihn dann sorgfältig in der Tasche seines Bademantels.
Erhitzt verließ Sopi das Haus durch den Lieferanteneingang. Dort stand sie in der kalten Abenddämmerung auf der Hintertreppe zur Küche und versuchte sich zu beruhigen.
Sie war total durch den Wind. Sie konnte sich an keine Situation erinnern, die sie jemals so durcheinandergewirbelt hätte. Es war nicht lüstern gewesen, sondern … elementar.
Sie hätte ewig mit den Händen über seinen Körper fahren können, wie eine Bildhauerin, die ihrem Werk den letzten Schliff gibt. Und kurz bevor sie ihn aufgefordert hatte, sich umzudrehen, hatte sie den starken Drang verspürt, sich der Länge nach auf ihn zu legen, um seine Essenz in sich aufzunehmen.
Das war der Moment gewesen, in dem sie sich verloren hatte. Erst als er sich geweigert hatte, sich umzudrehen, war sie unsanft auf den Boden der Realität zurückgekehrt. Aber dann hatte er ihr erklärt …
Hör sofort auf, daran zu denken, befahl Sopi sich rigoros.
Als sie erschauerte, fiel ihr auf, wie kalt es hier draußen war. Sie ging rein in die Küche, wo sich das Personal auf den Ansturm zum Abendessen vorbereitete.
Ungefragt verschwand sie im Umkleideraum und band sich eine Schürze um, bevor sie eine Stunde mit Kartoffelschälen und Töpfeschrubben zubrachte.
Verschwitzt machte sie sich schließlich auf den Weg zu ihrem kleinen Cottage, um zu duschen. Als sie vor sich lautes Gezänk hörte, wäre sie am liebsten wieder umgekehrt.
„Sopi!“ Fernanda hatte sie entdeckt. „Wo steckst du denn? Warum antwortest du nicht auf meine Nachricht?“
„Wieso?“
„Sie blockt uns, du Dummchen“, warf Nanette ein.
„Nur wenn ich arbeite.“ Sopi drängte sich zwischen ihre beiden Stiefschwestern, um ihre Haustür aufzuschließen. „Unsere Gäste haben natürlich Priorität.“
„Der Prinz meinst du wohl.“ Fernanda, die ihr unaufgefordert in ihre Hütte gefolgt war, schaute sich naserümpfend um.
„Wollt ihr mir unter der Dusche Gesellschaft leisten?“, flachste Sopi. „Da empfange ich aber normalerweise keinen Besuch.“
„Wie moralisch“, brummte Nanette und studierte ihre Fingernägel.
Es war doch immer nett, Zeit mit der Familie zu verbringen. Sopi unterdrückte ein Aufseufzen.
„Ihr könntet heute Abend am Empfangstresen helfen“, sagte sie insbesondere zu Nanette, die sich grundsätzlich weigerte, auch nur den kleinen Finger zu rühren. „Die Besetzung an den Tischen im Speisesaal wird mehrmals wechseln.“
„Ich habe zu tun.“ Nanette lächelte zuckersüß.
„Selbst wenn die Chance besteht, den Prinzen an seinen Tisch zu begleiten?“
„Er isst nicht unten“, warf Fernanda ein. „Deshalb bin ich hier. Die Frauen stehen vor dem Kosmetiksalon Schlange, um eins von diesen Dingern hier zu ergattern.“ Fernanda hielt ein Blatt mit Nailart-Stickern hoch.
Sopi runzelte die Stirn. „Die sind Müll. Sie fallen ab.“
„Ich weiß. Deshalb sollst du mir ja auch einen Sticker aufkleben. Damit er auch wirklich hält.“
Sopi schüttelte den Kopf. „Wenn ihr nicht mithelft, muss ich mich beeilen. Kleb ihn dir selbst auf. Es ist keine Kunst.“
„Vergiss den Speisesaal.“ Fernanda winkte ab. „Da wird nichts los sein. Der Prinz isst in seiner Suite, und zwar mit der Frau, die so einen Sticker verloren hat.“
„Was?“ Sopi hatte vorhin bemerkt, dass an ihrem rechten Zeh der schlichte schwarze Aufkleber fehlte, nur der glitzernde war noch da. Verwirrt zog sie ihre Schneestiefel aus, aber die Socken behielt sie an.
Nanette, die sich auf den ausrangierten Herd gestützt hatte, richtete sich wieder auf und wischte sich die Hände an ihrer Kehrseite ab. „Angeblich sucht der Prinz die Frau, die so einen Sticker verloren hat, aber er weiß nicht, wie sie heißt.“ Sie warf ihr Haar zurück. „Sie soll in seine Suite kommen, wenn sie Lust hat, mit ihm zu essen.“
„Er … wie lächerlich ist das denn“, sagte Sopi und merkte, dass ihr die Röte ins Gesicht schoss. Noch lächerlicher aber war der Gedanke, dass sie gemeint sein könnte. „Sobald er dich sieht, weiß er doch, dass du nicht die Frau bist, die er meint. Da wird dir ein Sticker nicht viel helfen!“
„Schön, aber sein Wachhund weiß es nicht, oder? Und wenn ich erst mal in seiner Suite bin, kann der Prinz selbst entscheiden, ob ich es bin oder nicht.“
Sopi fehlten die Worte. Fernanda war nicht die Hellste und extrem selbstverliebt, aber sie war – im Gegensatz zu Nanette – nicht gemein.
„Dasselbe habe ich ihr auch schon gesagt“, mischte sich Nanette ein.
„Trotzdem bist du hier. Und willst dasselbe“, zischte Fernanda ihrer Schwester zu. „Dann ist es ja vielleicht doch keine so blöde Idee, oder?“
„Moment mal.“ Sopi hob eine Hand. „Habt ihr gesagt, vor dem Salon ist eine Schlange?“
„Ja! Weil plötzlich alle so einen Sticker wollen. Könntest du mir nicht …“ Fernanda zog bereits den Reißverschluss an ihrem kniehohen Stiefel mit Plateausohle und Stilettoabsatz auf. „Aber mach schnell. Ich muss mich noch umziehen.“
„Fernanda …“ Sopi schaute Hilfe suchend zu Nanette, doch die war schon dabei, ihre Schlangenlederstiefelette abzustreifen.
„Ich habe noch nicht mal Nagellack drauf … oh.“ Fernanda hatte eine Handvoll Nagellackfläschchen aus dem Salon mitgenommen.
„Und du gehst barfuß, damit er den Sticker sieht?“, fragte Sopi belustigt.
„Also ehrlich, Sopi. Natürlich ziehe ich Abendsandaletten an.“ Fernanda verdrehte die Augen.
Genau. Sopi hatte mal wieder keinen Schimmer.
Da es der schnellste Weg war, die beiden loszuwerden, setzte sie sich auf die Treppe zu ihrem Loft. Sie bedeutete Fernanda, ihren Fuß neben sich auf die Treppe zu stellen.
„Ich hatte auch zwei und habe einen verloren“, sinnierte sie, während sie den Sticker akkurat auf Fernandas Zehnagel platzierte. „Vielleicht sollte ich mich euch anschließen.“ Das war eine bewusste Provokation, deshalb hätte Fernandas verächtliches Schnauben sie eigentlich nicht verletzen dürfen.
„Unbedingt. Hast du denn überhaupt schon ein einziges Wort mit ihm gewechselt?“
„Genau gesagt – ja.“
„Echt jetzt? Und worum gings?“ Nanette musterte sie aus zusammengekniffenen Augen.
„Um nichts Besonderes.“ Sopi schüttelte den Nagellack. „Er hat nicht mal nach meinem Namen gefragt.“
Sie lackierte den Sticker über. Als sie aufblickte, sah sie, dass Fernanda sie argwöhnisch musterte.
„Was würdest du denn anziehen?“, fragte Nanette süffisant.
„Hm?“ Sopi hob den Kopf.
„Zum Essen mit dem Prinzen.“
„Oh.“ Der Gedanke war ihr noch gar nicht gekommen, aber vielleicht war das ja eine Gelegenheit, die beiden ein bisschen zu ärgern. „Ich habe von meiner Mutter noch ein wunderschönes Kleid von Chanel, das ich schon immer mal tragen wollte.“
„Sag bloß.“ Diesmal klang Nanette fast beeindruckt. „Zeig her.“
Nachdem Sopi den Sticker sorgfältig befestigt hatte, kletterte sie in ihr Loft.
In einer Truhe unter dem Fenster bewahrte sie eine Handvoll Andenken auf – das Hochzeitsalbum ihrer Eltern, den Weihnachtsschmuck, der die Jahre überdauert hatte, und das Demoband für einen Gesangswettbewerb, der vielleicht ihr ganzes Leben verändert hätte, wenn nicht in der entscheidenden Woche ihr Vater gestorben wäre.
Nachdem sie die Sachen beiseitegeräumt hatte, holte sie einen Kleidersack aus Stoff heraus, in dem sie auch ihre Sommersachen aufbewahrte. Sie warf die Kleider auf den Boden und packte das in Seidenpapier eingeschlagene Kleid aus.
Und biss sich auf die Lippen, als sie die Katastrophe sah: Das Erbstück ihrer Mutter war dem Mottenfraß anheimgefallen.
Nanette erschien oben an der Treppe und sagte: „Oje. Und ich dachte schon, ich hause in einer Bruchbude.“
„Wage es nicht“, sagte Sopi scharf in der schmerzhaften Erkenntnis eines herben Verlusts. „Du lebst umsonst hier. Hast du dir schon mal überlegt, wer hier die ganze Arbeit macht?“
„Niemand zwingt dich zu irgendwas, aber du willst ja unbedingt die Märtyrerin spielen. Ständig.“
„Ach ja? Und du schaffst es nicht mal, dir einen Sticker auf den Zehennagel kleben?“, konterte Sopi wütend.
„Warum sollte ich?“
Elendes Biest. Sopi hatte gute Lust, Nanette in hohem Bogen rauszuschmeißen! Und ihre Schwester, die jetzt ebenfalls oben auftauchte, gleich mit dazu.
„O nein, Sopi, nein“, sagte Fernanda scheinheilig, als sie das Kleid sah. „Kleider muss man sachgerecht aufbewahren, das weiß doch jedes Kind. So ein Pech.“
„Hier entspricht offensichtlich nichts euren Standards“, sagte Sopi zähneknirschend. „Deshalb solltet ihr jetzt besser gehen.“
„Und mein Haar? Machst du es mir nicht?“
„Ernsthaft jetzt, Fernanda?“
„Warum bist du bloß immer so empfindlich! Ich verstehe nicht, warum sie so zu uns ist“, maulte Fernanda, während sie mit ihrer Schwester den Rückzug antrat.
Nachdem die beiden weg waren, verriegelte Sopi die Tür. Dann ging sie unter die Dusche. Und weinte über das verlorene Kleid, ihre toten Eltern – und über törichte Fantasien über unerreichbare Männer …
Als sie das Wasser abstellte, schaute sie auf den glitzernden Sticker auf ihrem großen Zeh. Blödes Ding. Sie puhlte es ab, und ihr Zehennagel blieb nackt und unschön zurück.
Dann wünschte sie sich, der Prinz möge eine ihrer Stiefschwestern heiraten, damit sie endlich alle auf Nimmerwiedersehen aus ihrem Leben verschwanden.
„Sagen Sie das noch mal“, knurrte Rhys seinen Assistenten an.
Gerard verlagerte unbehaglich sein Gewicht. „Ich habe nur Ihre Anweisung befolgt und beiläufig erwähnt, dass Sie eine Frau mit einem Sticker auf dem großen Zeh suchen.“
„Und jetzt sind da … wie viele Frauen draußen auf dem Flur?“
„Fünfzig?“ Der Assistent verzog entschuldigend das Gesicht.
„Und alle mit einem Sticker auf dem großen Zeh.“
„Ich fürchte ja, Sir.“ Gerard schluckte.
„Und jetzt? Was soll ich tun? Die Linien abschreiten wie der General bei einer Truppeninspektion, in der Hoffnung, dass ich sie entdecke?“ Er hatte es diskret angehen wollen. Über den Flurfunk. Haha.
Rhys schloss kurz die Augen. „Ihr Vorschlag, wie ich sie loswerden kann?“
„Vielleicht … wenn Sie einfach im Speisesaal essen? Sich unters Volk mischen?“
Rhys war der Appetit vergangen. „Das funktioniert nicht. Es würde all diese Frauen nur ermuntern, es später erneut zu versuchen.“
Wenn sie irgendwo da draußen wäre und ihn sehen wollte, hätte sie sich bereits gemeldet. Nein, sie war entweder zu schüchtern oder nicht interessiert.
Was für eine Enttäuschung. Obwohl er insgeheim wusste, dass es besser so war, weil diese Geschichte ohnehin keine Zukunft hatte.
Trotzdem wurmte es ihn maßlos.
„Na schön“, knurrte er. „Dann esse ich eben unten.“
Als Sopi hörte, dass der Prinz jetzt doch einen Tisch brauchte, bekam sie Panik. Sie wollte ihn auf keinen Fall sehen. Denn inzwischen war sie überzeugt, dass er die Massage abgebrochen hatte, weil ihm die Situation zu intim geworden war.
Wenig überraschend war, dass gleich nach der Ankündigung des Prinzen ihre Stiefschwestern am Empfangstresen auftauchten, um vermutete Rivalinnen aus dem Feld zu schlagen, indem sie sie zu ungünstig gelegenen Tischen begleiteten. Was ihnen zudem die Gelegenheit gab, vor dem Prinzen ein Schaulaufen zu veranstalten.
Sopi war froh, ihre Stellung am Empfang aufgeben zu können und schlüpfte in den Wäscheraum, um sich dort um die Wäsche zu kümmern. Da jetzt fast alle Gäste beim Essen waren, war es im übrigen Haus still. Sie tauschte mit ihren Kolleginnen aus dem Haushaltsbereich harmlosen Klatsch aus, während sie Schränke mit Bettwäsche auffüllten und im obersten Stockwerk den Gute-Nacht-Service durchführten.
Die Suite des Prinzen übernahm sie selbst. Beim Aufschütteln der Kissen entdeckte sie auf dem Nachttisch den schwarzen Nailart-Sticker, der auf einer der dunkelroten Mappen lag, die Maude für die Special-Event-Meetings benutzte. Beim Anblick des winzigen High Heels bekam Sopi Herzklopfen, doch da ein Sicherheitsmann mit im Raum war, schloss sie nur die Vorhänge, legte zwei Schoko-Täfelchen aufs Kopfkissen und ging.
Nach und nach verließen die Gäste den Speisesaal, um die Hottubs zu stürmen. Die meisten waren beschwipst, und Sopi stellte sich schon mal auf größere Aufräumarbeiten ein, aber erst wollte sie in der Küche helfen.
Wo wenig später Maude vorbeischaute und ihr eine ellenlange To-do-Liste in die Hand drückte. Nachdem Sopi alle Punkte abgehakt hatte, wurde es Zeit, die Pools und die Saunen zu schließen.
Sie steckte die letzte nackte Nymphe in einen Bademantel und beförderte sie diskret zu einem Aufzug, dann legte sie alle Schalter auf Service um. So, jetzt war sie endlich ungestört. Leise in sich hineinsummend holte sie den Mopp aus dem Schrank und machte sich an die Arbeit.
Es war Mitternacht, und Rhys stand hellwach am Fenster.
Und grübelte.
Verwünschte sich selbst. Seinen Bruder. Das Leben.
Zwei Stunden lang war er umgeben gewesen von schönen, wohlerzogenen, gebildeten Frauen, nur nicht von der einen, die ihm nicht aus dem Kopf gehen wollte. Und das behagte ihm gar nicht. Er hatte die dunkle Seite von Menschen gesehen, die besessen waren von einer Idee.
Ungebeten drängte sich die dunkelste Nacht seines Lebens in den Vordergrund seiner Erinnerung. Sofort füllte sich sein Kopf mit dem Lärm, den er anfangs für ein Feuerwerk im Innern des Palastes gehalten hatte.
Er war damals zehn gewesen, alt genug, um das ganze Entsetzen zu spüren, das der Anblick von in den Palast stürmenden Soldaten, die seine Eltern mit Maschinengewehren in Schach gehalten hatten, in ihm ausgelöste. Aber zu jung, um das volle Ausmaß der Tragödie zu begreifen, die sich da vor seinen Augen abspielte. Bei Licht betrachtet hatte er alles noch schlimmer gemacht. Er war schreiend die Treppe hinaufgerannt, zu Henrik, der von einem Soldaten festgehalten wurde.
Wenn er einfach neben seinem Bruder stehen geblieben wäre, wären seine Eltern heute vielleicht noch am Leben. Aber er hatte versucht, dem Soldaten das Gewehr zu entreißen, woraufhin dieser ihm den Kolben so hart ins Gesicht gestoßen hatte, dass seine Wange aufgeplatzt war.
Rhys hatte die Schreie seiner Mutter gehört. Sie hatte versucht, zu ihm zu gelangen, doch ein Soldat hatte sie am Arm gepackt und zurückgerissen. Als sich sein Vater eingemischt hatte, war die Anspannung unten in vier Schüssen explodiert, die seine Eltern niedergestreckt hatten.
Rhys konnte immer noch die fast übernatürliche Kraft in Henriks Händen spüren, als sein Bruder ihn an den Schultern seines Pyjamas gepackt und hinter die halbhohe Wand der oberen Galerie gezerrt hatte. Irgendwie hatte Henrik es dann auch noch geschafft, Rhys durch den Dienstbotenausgang aus dem Palast hinaus ins Freie zu bringen. …
Er war Henrik dankbar dafür, dass er sie da rausgebracht hatte, aber es verging kein Tag, an dem er sich nicht elend fühlte. Weil er überlebt hatte, während ihre Eltern seinetwegen gestorben waren. Und als er jetzt an die Diagnose dachte, die Henrik bekommen hatte, begann sein Herz noch schneller zu klopfen.
Warum Henrik, wo doch er, Rhys, so große Schuld auf sich geladen hatte? Wenn er Henrik jetzt auch noch verlöre …
Es wäre nicht auszudenken.
Rhys fluchte in sich hinein. Schluss jetzt mit diesen düsteren Gedanken, er brauchte dringend Ablenkung. Dieses ständige Sich-im-Kreis-drehen war ermüdend. Er sollte zur Entspannung ein paar Runden schwimmen.
Er zog sich aus und schlüpfte in seinen Bademantel. Diesmal war er weise genug, einen seiner Bodyguards mitzunehmen und am Eingang zu postieren, um sicherzustellen, dass ihm niemand folgte.
Im Umkleideraum herrschte gedämpftes Licht, Spiegel und Armaturen glänzten, der Boden war trocken. Musik und Wasserspiele waren ebenso ausgestellt wie die Gegenstromanlage im Becken. Es war herrlich ruhig, als er an der glatten Wasseroberfläche des Indoor-Pools und den Badefässern vorbeiging. Durch die beschlagenen Fenster sah er draußen den aus dem Außenbecken aufsteigenden Dampf in sanften Schwaden vor dem schwarzen Hintergrund des Himmels vorbeiziehen.
Gerade als er ins Freie gehen wollte, um ins Wasser zu springen, hörte er etwas in dem kurzen Gang, der in den Saunabereich führte. Eine Frau sang.
Zarter Eukalyptusduft hing in der feuchten Luft. Vor der Tür zu einem Dampfraum stand ein Putzeimer. Jetzt wurde eine Dusche abgedreht, und er hörte die zauberhafte Stimme eine herzergreifende Ballade singen, die von den gekachelten Wänden widerhallte.
Er lauschte immer noch wie gebannt, als sie auftauchte, mit einer langstieligen Bürste in der Hand, die sie schwungvoll in den Eimer warf. Das Haar hatte sie wieder zu einem wirren weichen Knäuel auf dem Kopf aufgetürmt, Strähnen klebten an ihrem feuchten Hals. Sie trug eine leichte Baumwollhose und einen weiten Kittel, beides durchnässt an den Rändern. Jetzt hörte sie auf zu singen und seufzte. Sie griff nach dem Eimer und ging damit den Flur hinunter um eine Ecke, wo ein Schild mit der Aufschrift „Zutritt nur für Personal“ hing.
Warum schrubbte sie mitten in der Nacht die Sauna? Sie, eine Göttin mit heilenden Händen und der Stimme einer verführerischen Sirene?
Er verschränkte die Arme und zog ein finsteres Gesicht, während er hörte, wie sich eine Tür öffnete und schloss. Er wartete.
Und wartete.
Wo war sie abgeblieben? Am Ende des Gangs waren zwei Türen, auf die er jetzt zuging. Eine gehörte zu einem Schrank, der bis auf frische Wäsche und Putzmittel leer war. Ihr Eimer stand auf dem Boden.
Auf der anderen Tür stand: Notausgang. Die Tür schließt automatisch.
Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt, dann stieß er sie ganz auf. Der Himmel war klar, die frische Luft wirkte belebend. Im Schnee sah man Fußspuren. Zwischen den Bäumen entdeckte er ein Wartungsgebäude.
Tu das nicht, warnte ihn eine innere Stimme.
Nichtsdestotrotz tastete er nach seinem elektronischen Schlüssel, hielt ihn gegen den Mechanismus an der Außenseite und sah ein grünes Licht aufleuchten. Neugierig trat Rhys hinaus in die Kälte.
Zum Teufel damit. Das hatte Sopi schon die ganze Zeit gedacht, während sie die Saunen geschrubbt hatte. Sie war verärgert und verschwitzt und fand, dass sie alles Recht der Welt hatte, sich noch ein bisschen zu amüsieren.
Wenn auch nicht im frisch gereinigten Wasser des Thermalbads. Nein, sie würde zur Originalquelle gehen, die vor langer Zeit von Forschern entdeckt worden war, wahrscheinlich von Vorfahren des nächstgelegenen First-Nation-Stamms. Niemand wusste, wer das heiße, aus dem moosigen Boden rieselnde Wasser gestaut und so an einem Steilhang mitten im Wald einen kleinen See geschaffen hatte, der im achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert von Jägern und Schneeschuhwanderern genutzt worden war.
Irgendwann hatte ein geschäftstüchtiger Eisenbahnbaron hier das erste Kurbad mit verschiedenen Becken gebaut, die aus der heißen Quelle weiter draußen gespeist wurden. Da es unmöglich war, dieses natürliche Felsenbecken vorschriftsmäßig zu reinigen, war es für die Gäste des Spas gesperrt. Und so diente es heute nur noch als Wärmequelle und Sehenswürdigkeit. Im Sommer blieb das Tor neben dem Pumpenhaus offen, dann konnten die Gäste in der Nähe picknicken und sich an der Aussicht auf das natürliche Felsenbecken und dem beruhigenden Plätschern des Quellwassers erfreuen.
Während Sopi sich ihren Weg zwischen den Bäumen hindurch zum Wartungshaus bahnte, waren ihre Fußspuren die einzigen in dem jungfräulichen Schnee. Unter den weit ausladenden Nadelbäumen war die Schneedecke nicht allzu tief, aber sie trug nur Sandalen. Als sie am Zaun angelangt war und an dem Tor rüttelte, das sich wegen der Schneemassen nur schwer bewegen ließ, waren ihre Füße steif gefroren und schmerzten.
Am Rand des Felsenbeckens angelangt, streifte sie ihre Sandalen ab und stieg in das heiße Wasser. Es brannte höllisch, gleichzeitig war es eine Riesenerleichterung.
Obwohl es ihr Lieblingsort war, war sie schon lange nicht mehr hier draußen gewesen. So lange, dass sie fast vergessen hatte, wie friedvoll es war. Abgeschirmt von den hohen Bäumen wähnte man sich fast jenseits der Zivilisation. Allein der Zaun mit dem Tor und das entfernte leise Brummen des Pumpenhauses erinnerten daran, dass es hier Menschen gab.
Je länger sie so dastand, desto besser begann sie sich zu fühlen. Das Wasser besaß offenbar wirklich heilende Kräfte. Sie wollte gerade ihren Kittel abstreifen, als sie ein Knirschen hörte. Was war das? Schritte im Schnee?
Oh nein! Sie hätte vor Frustration fast laut aufgeschrien. Wer kam da? Sie fuhr herum und …
„Oh.“ Der Prinz! Im Bademantel und mit Slippern an den Füßen.
„Sie sollten hier draußen nicht allein schwimmen.“ Sein Atem schwebte in kleinen weißen Wölkchen durch die eisige Luft. Er rüttelte am Tor, um es noch etwas weiter zu öffnen, dann stapfte er auf sie zu. Neben ihren Sandalen angelangt, streifte er seine Slipper ab und stieg ebenfalls mit den Füßen ins Wasser, wobei er mit einem zischenden Geräusch einatmete.
Sie hielt Ausschau nach seinen Bodyguards, doch da war niemand.
„Was machen Sie hier? Haben Sie sich verlaufen?“, fragte sie.
„Und Sie? Was machen Sie hier?“
„Oh, vielleicht haben Sie mich ja inspiriert.“
„Nackt zu baden? Das Wasser ist aber ganz schön heiß.“
„Im Sommer kann man nicht rein, da ist es zu heiß, aber um diese Jahreszeit geht es. Doch für die Öffentlichkeit ist es so oder so nicht erlaubt.“ Sie deutete mit dem Kopf auf das mit Schnee und Eiszapfen bedeckte Schild Baden verboten.
„Tja.“ Seine Mundwinkel zuckten belustigt. „Das Leben ist kurz und gefährlich.“
„Nicht wirklich. Das Wasser wird regelmäßig untersucht, eigentlich kann man es sogar trinken.“ Der Zaun hielt die Wildtiere fern, deshalb ging das Risiko einer Verunreinigung gegen null.
„Schade. Das nimmt der Sache gleich etwas von ihrem Reiz, nicht wahr?“
Das Wasser lockte, aber sie murmelte: „Es ist eine törichte Idee. Wir sollten zurückgehen.“
Er riss seinen Blick von dem gefrorenen See jenseits des Felsenbeckens los. Seine Augen glitzerten im Mondschein, sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. „Ich hätte mich gefreut, wenn Sie mir Gesellschaft geleistet hätten.“
„Hier?“, fragte sie ungläubig.
„Nein, beim Essen. Haben Sie es nicht … gehört?“
Die Luft, die sie einatmete, schien zu gefrieren. „Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass ich gemeint sein könnte. Diese Sticker sind weitverbreitet …“
„Ich weiß.“ Er klang verärgert. „Jetzt.“
Sie verkniff sich mit Mühe ein Lächeln. „Sie hätten mir eine persönliche Nachricht schicken können.“
„Ich wusste Ihren Namen nicht. Bei der Buchungsabteilung war nur Karl als mein Masseur eingetragen. Wer sind Sie?“
Sie zögerte. Warum fragte er das? Interessierte es ihn überhaupt?
„Ich weiß, dass das eigentlich tabu ist“, brummte er in die durch ihr Zögern verursachte Stille hinein.
Es war tabu? Jetzt war ihr ganz schwindlig, so perplex war sie.
„Wenn Sie sich belästigt fühlen, sagen Sie es. Dann bin ich sofort weg.“
„Keine Sorge.“ Sie schlang die Arme um sich, um die Kälte abzuwehren, da sie nur bis zu den Knöcheln im heißen Wasser stand. „Mein Vater hat dieses Spa für meine Mutter gekauft, und sie hat es nach mir benannt. Cassiopeia. Meine Freunde nennen mich Sopi.“
„Cassiopeia.“ Er ließ sich die Silben so langsam auf der Zunge zergehen, dass sie erschauerte. „Maude ist Ihre Mutter?“ Er klang überrascht, fast ungläubig.
„Meine Stiefmutter. Nach dem Tod meines Vaters hat sie hier die Führung übernommen. Ich war zu jung, um es selbst zu tun, aber inzwischen … na ja, jetzt würde ich es gern machen, aber Anwälte kosten Geld und … ach, es ist eine lange, öde Geschichte.“ Und wahrscheinlich glaubte er ihr sowieso nicht. „Mir ist kalt. Können wir …“ Sie schielte nach ihren Sandalen.
„Ja. Gehen wir richtig rein und wärmen uns auf.“ Er streifte seinen Bademantel ab und warf ihn über den Zaun, bevor er tiefer ins Wasser watete. Nackt natürlich.
„Ich bin überrascht, dass es so tief ist“, sagte er. Als er bei einer Felsnase anlangte, die ihm als Sitz dienen konnte, ließ er sich nieder. „Was ist mit Ihnen? Wollten Sie nicht auch baden?“
„Ja, aber allein.“
„Keine Sorge, ich schaue nicht.“ Er klang amüsiert, fast ein wenig spöttisch.
Sie trug BH und Slip, also praktisch einen Bikini. Sie wusste, dass das eine Ausrede war, um noch länger hierzubleiben, mit einem Mann, der sie faszinierte. Aber ihr gefiel die Vorstellung, dass sie das Interesse eines Prinzen erregen konnte, auch wenn es außer ihr nie jemand erfahren würde.
Konnte sie das wirklich?
Und ob. Jetzt würde sie sich endlich auch einmal etwas gönnen. Sopi watete aus dem Wasser, um ihre Arbeitssachen auszuziehen und sorgfältig beiseitezulegen.
Dann suchte sie sich über spitze Steine tastend ihren Weg. Und seufzte wohlig auf, als ihr das Wasser bis zu den Schultern reichte und Wärme sie durchströmte.
Der Prinz hatte sich umgedreht und schaute auf den hinter dem Becken liegenden See hinaus. Als sie versehentlich mit ihrem Fuß gegen seinen stieß, wandte er den Kopf und sah sie an.
„Feigling“, sagte er mit Blick auf ihre BH-Träger.
Fast übermütig tauchte sie kurz ganz unter, obwohl dabei ihr hochgezwirbeltes Haar nass wurde. In der Kälte würde es noch an ihrem Kopf festfrieren! Und beim zweiten Mal spülte sie ihren langen stressigen Tag mit ab und kam mit einem Seufzer puren Wohlbehagens wieder hoch.
„Ich habe kein Handtuch dabei“, gestand Sopi. „Das ist die idiotischste Idee, die ich je hatte, aber ich bereue es keine Sekunde.“
„Ich würde Ihnen ja meinen Bademantel leihen, aber dann müsste ich nackt wie ein Yeti durch den Schnee zurück zum Haus stapfen.“
„Ich bin sicher, dass ich heute früh schon einen gesehen habe.“
Seine Zähne blitzten weiß auf. „Sind Sie Kanadierin?“
„Ja. Meine Mutter war Schwedin, aber über ihre Familie weiß ich nicht viel. Mein Vater hat die ersten Mobiltelefone auf den europäischen Markt gebracht. Was anfangs ziemlich lukrativ war. So lukrativ, dass er sich das da kaufen konnte.“ Sie deutete mit dem Kopf auf das hinter den Bäumen liegende Spa. „Aber dann kam das Silicon Valley und hat die Party schlagartig beendet. Als meine Mutter starb, bekam er schwere Herzprobleme, und die finanziellen Sorgen haben alles noch verschlimmert.“
„So ein Kauf ist für jemanden aus dieser Branche ungewöhnlich, besonders da es außerhalb der Anlage keine Internetanbindung gibt.“
„Meine Mom hatte es als junge Mutter in einem fremden Land nicht leicht. Dad war viel unterwegs, und da sie nicht berufstätig war, fühlte sie sich isoliert. Aber sie liebte ihre Besuche im Spa. Sie kam oft her und unterhielt sich mit dem Besitzer, der mit dem Gedanken spielte, es zu verkaufen. Und dann hat mein Vater es für sie gekauft.“
„Romantisch.“
„Erst mal nicht. Es war ziemlich heruntergewirtschaftet, und es hat viel Schweiß gekostet, es richtig zum Laufen zu bringen, aber meine Mutter hat es geschafft. Als sie ein paar Jahre später starb, war es bereits sehr erfolgreich.“
„Was ist passiert?“
„Eine schlimme Grippe mit anschließender Lungenentzündung. Ich war noch sehr klein damals, aber es macht mich heute noch traurig.“
„Ich verstehe“, sagte er und es klang wie aus tiefstem Herzen.
Er stützte sich mit den Ellbogen auf den Felsen neben sich auf, legte den Kopf in den Nacken und schaute hinauf in den klaren Nachthimmel.
Das leise Plätschern des Quellwassers, das zwischen den Felsen entlangrann und von den Rändern in das Becken tropfte, erinnerte Sopi daran, wo sie war. Dass sie mit einem Prinzen in der Wildnis war. Allein.
„Da sind sie ja.“ Er neigte den Kopf. „Die Bäume waren im Weg. Cassiopeia. Eine Königin, wenn ich mich nicht irre.“ Die Dunkelheit machte es schwer, seinen Gesichtsausdruck zu entziffern.