Julias Weg ins Glück? - Toni Waidacher - E-Book

Julias Weg ins Glück? E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Julia Dippl hatte den Abendessentisch besonders liebevoll gedeckt. An diesem Tag, es war der 27. September, war es genau ein Jahr her, dass sie und Manfred sich verlobt hatten. Julia wollte keinen großen Akt aus diesem Jahrestag machen, aber sie fand es einfach schön, ihn in besonderer Stimmung zu genießen. Manfred Ebner, ihr Verlobter, war Außendienstmitarbeiter bei einem Münchener Großhandel für Bürobedarf. Er und Julia kannten sich seit über drei Jahren. Es ging auf achtzehn Uhr zu. Julia hatte sich an diesem Tag schon etwas früher freigenommen, um alles für den Abend vorzubereiten. Sie wollte Manfred mit seiner Leibspeise verwöhnen; Zwiebelrostbraten mit Bratkartoffeln. Der Geruch des bratenden Fleisches erfüllte die Wohnung. Auf dem Tisch standen eine Flasche Trollinger, rot und halbtrocken, wie Manfred den Wein liebte, sowie zwei Gläser. Julia wollte an diesem Abend ihre Beziehung mit Manfred etwas auffrischen, denn was vor drei Jahren so liebevoll begonnen hatte, war Alltag geworden. Darum hatte sie sich für Manfred schön gemacht und einen engen, schwarzen Rock angezogen, der nicht ganz bis zu den Knien reichte, eine transparente Strumpfhose sowie eine dunkelgrüne Bluse. Rock und Bluse brachten ihre weiblichen Proportionen voll zur Geltung. Die langen, blonden Haare, die sie meistens zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden oder aufgesteckt hatte, trug sie offen, Augen und Lippen waren dezent geschminkt. Alles in allem war die dreißigjährige Julia eine sehr schöne, begehrenswerte und verführerische Frau, deren Ausstrahlung sich kein Mann entziehen konnte. Leider hatte sich Manfred in den vergangenen Monaten zu einem ausgesprochenen Langweiler entwickelt. An den Abenden saß er am liebsten auf der Couch, schaute auf den Fernseher und trank dazu Bier. Er hatte an Gewicht zugelegt und von dem einmal so sportlichen Typ war nicht mehr viel übrig geblieben. Wenn sie irgendeine Unternehmung vorschlug, lehnte er mit fadenscheinigen Argumenten ab.

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Der Bergpfarrer – 474 –

Julias Weg ins Glück?

Toni Waidacher

Julia Dippl hatte den Abendessentisch besonders liebevoll gedeckt. An diesem Tag, es war der 27. September, war es genau ein Jahr her, dass sie und Manfred sich verlobt hatten. Julia wollte keinen großen Akt aus diesem Jahrestag machen, aber sie fand es einfach schön, ihn in besonderer Stimmung zu genießen.

Manfred Ebner, ihr Verlobter, war Außendienstmitarbeiter bei einem Münchener Großhandel für Bürobedarf. Er und Julia kannten sich seit über drei Jahren. Vor anderthalb Jahren waren sie zusammengezogen …

Es ging auf achtzehn Uhr zu. Julia hatte sich an diesem Tag schon etwas früher freigenommen, um alles für den Abend vorzubereiten. Sie wollte Manfred mit seiner Leibspeise verwöhnen; Zwiebelrostbraten mit Bratkartoffeln.

Der Geruch des bratenden Fleisches erfüllte die Wohnung. Auf dem Tisch standen eine Flasche Trollinger, rot und halbtrocken, wie Manfred den Wein liebte, sowie zwei Gläser.

Julia wollte an diesem Abend ihre Beziehung mit Manfred etwas auffrischen, denn was vor drei Jahren so liebevoll begonnen hatte, war Alltag geworden. Darum hatte sie sich für Manfred schön gemacht und einen engen, schwarzen Rock angezogen, der nicht ganz bis zu den Knien reichte, eine transparente Strumpfhose sowie eine dunkelgrüne Bluse. Rock und Bluse brachten ihre weiblichen Proportionen voll zur Geltung. Die langen, blonden Haare, die sie meistens zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden oder aufgesteckt hatte, trug sie offen, Augen und Lippen waren dezent geschminkt.

Alles in allem war die dreißigjährige Julia eine sehr schöne, begehrenswerte und verführerische Frau, deren Ausstrahlung sich kein Mann entziehen konnte.

Leider hatte sich Manfred in den vergangenen Monaten zu einem ausgesprochenen Langweiler entwickelt. An den Abenden saß er am liebsten auf der Couch, schaute auf den Fernseher und trank dazu Bier. Er hatte an Gewicht zugelegt und von dem einmal so sportlichen Typ war nicht mehr viel übrig geblieben. Wenn sie irgendeine Unternehmung vorschlug, lehnte er mit fadenscheinigen Argumenten ab. Manchmal – allerdings auch immer seltener – ging er nach der Arbeit mit Kollegen auf ein Bier aus. Darin erschöpften sich jedoch seine Freizeitaktivitäten. Und an den Wochenenden war er überhaupt nicht mehr von der Couch wegzukriegen …

Heute wollte ihn Julia aus der Reserve locken. Irgendetwas musste geschehen, was ihrer Beziehung wieder etwas Romantik und Schwung verlieh. So nebeneinanderher zu leben war nicht das, was sie sich vorgestellt hatte, als sie mit Manfred die gemeinsame Wohnung bezog.

Im Esszimmer lief leise das Radio. Julia stellte sich noch einmal in die Tür und ließ ihren prüfenden Blick über den festlich deckten Tisch gleiten. Sie war zufrieden. Jetzt musste nur noch Manfred erscheinen …

Julia zuckte zusammen, als das Telefon läutete. Im nächsten Moment überschattete sich ihr Gesicht, denn sie beschlich eine wenig erfreuliche Ahnung. Sie nahm das Gespräch an. Es war Manfred.

»Hallo, Schatz«, sagte er. »Ich ruf’ dich an, weil ich auf der Autobahn in einem Stau steck’. Und dann muss ich noch in den Betrieb. Es kann also noch eine gute Stund’ dauern, bis ich komm’.«

Julia spürte wie herbe Enttäuschung in ihr aufstieg. Sie atmete tief durch. »Ich hab’ einen Zwiebelrostbraten im Ofen«, murmelte sie. »Du hast mir doch versprochen, heute pünktlich heimzukommen. Du wolltest heut’ net hinausfahren, sondern deinen Schreibtischkram erledigen, um rechtzeitig zum Abendessen zu Haus’ zu sein.«

»Du weißt doch, wie sehr ich es hasse, den ganzen Tag am Schreibtisch zu hocken. Wobei mir jetzt, wo du von einem Zwiebelrostbraten sprichst, das Wasser im Mund zusammenläuft. Aber wieso kochst du mitten in der Woche so auf? Heut’ ist Donnerstag. Gibt’s einen besonderen Anlass, weil du mir mein Lieblingsessen kochst?«

Julia stand da wie vom Donner gerührt. Sekundenlang lauschte sie seiner Frage hinterher und fragte sich, ob sie sich nicht verhört hatte. »Ist das dein Ernst?«, stammelte sie schließlich.

»Ich versteh’ net«, sagte Manfred. »Du klingst ja richtig entsetzt? Kriegen wir vielleicht Besuch und ich hab’ vergessen, dass …«

»Heut’ ist unser Jahrestag!«, unterbrach ihn Julia.

»Jahrestag?«, wiederholte er, und es klang in der Tat ausgesprochen verständnislos. »Was war denn vor einem … Ach du lieber Himmel! Richtig, wir haben uns vor genau einem Jahr verlobt. Sakra, sakra, Schatz, wie konnt’ ich das vergessen? Warum hast du denn heut’ Früh nix davon gesagt? Dann wär’ ich doch …«

Julias ungläubige Erschütterung verwandelte sich in Zorn und sie schnitt ihm kurzerhand das Wort ab: »Vergiss es, Manfred! Es ist schlimm geworden mit dir. Weißt du, was ich dir schon längst sagen wollt: Dein Desinteresse wird immer offensichtlicher. Du lebst neben mir dahin, als wären wir schon jahrzehntelang verheiratet, wobei ich davon überzeugt bin, dass ein altes Ehepaar mehr Elan und Unternehmungsgeist an den Tag legt als wir beide. Du willst nur noch deine Ruhe haben, faul auf der Couch liegen und fernsehen. So hab’ ich mir das net vorgestellt mit uns beiden.«

»Aber …«

»Nix Aber! Ich hab’ langsam die Nase voll!« Julia unterbrach die Verbindung, warf wütend das Telefon auf den Tisch, setzte sich in einen Sessel und ließ den Kopf hängen.

Mit erloschenem Blick starrte sie vor sich hin. Ihre Gedanken arbeiteten. Manfred hatte sich zu einer richtigen Couch-Potatoe entwickelt. Keine Spur mehr von dem unternehmungslustigen, charmanten Mann, in den sie sich verliebt hatte. Sie gestand sich ein: Das Leben, das sie führten, ödete sie nur noch an. Auch ihr Job gefiel ihr nicht mehr. Sie arbeitete als Lohnbucherhalterin in einem Bauunternehmen. Jeden Morgen und jeden Abend war sie über eine Stunde unterwegs, um zur Arbeit und wieder nach Hause zu gelangen, ihr Chef forderte darüber hinaus immer öfter Überstunden und nörgelte ständig an irgendetwas herum. Aber das schlimmste war: Von der großen Liebe ihres Lebens, die Manfred und sie zusammengeführt hatte und von den Träumen eines gemeinsamen, glücklichen Lebens, war nicht mehr viel übrig ge­blieben. Eigentlich war es nur noch ein Scherbenhaufen, vor dem sie stand.

›Du musst etwas ändern!‹, schoss es ihr durch den Kopf. ›Und du darfst es nicht mehr länger hinausschieben.‹

Dass Manfred heute den Jahrestag ihrer Verlobung vergessen hatte, war nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.

Ihr fiel ein, dass sie vor zwei oder drei Tagen in der Zeitung ein Stellenangebot gelesen hatte. Eine Brauerei in der Nähe von Garmisch, die im kommenden Frühjahr die Produktion aufnehmen wollte, suchte einen Lohnbuchhalter respektive eine Lohnbuchhalterin. Der Gedanken elektrisierte sie regelrecht. ›Das wär’ was für dich!‹, durchfuhr es sie. ›Du liebst die Berge und München hängt dir schon lang’ zum Hals raus.‹ Der Stress, die Hektik und das unpersönliche Nebeneinander! Das alles ödete sie nur noch an.

Sie ging in die Küche. Auf der Arbeitsplatte der Küchenzeile lagen die Zeitungen, die sich Manfred für das Wochenende zurückgelegt hatte.

Es dauerte nicht lange, dann fand sie das Stellenangebot. Sie nahm die Zeitung und ging in das kleine Zimmer, das eigentlich als Kinderzimmer gedacht war, in dem jetzt aber unter anderem ein Schreibtisch mit einem Computer stand. Julia machte sich daran, eine Bewerbung zu schreiben …

*

Am darauffolgenden Dienstag saß Julia, wie an allen anderen Werktagen auch, an ihrem Schreibtisch in dem Bauunternehmen, bei dem sie beschäftigt war. Es war vormittags, zehn Uhr vorbei. Ihr Handy läutete und sie schaute auf das Display, aber die Telefonnummer sagte ihr nichts. Sie nahm das Gespräch dennoch an. »Julia Dippl.«

»Grüß Gott, Frau Dippl. Sie sprechen mit Jürgen Deininger, von der Deininger-Bräu …«

Julia war wie elektrisiert.

»Ich hoffe, ich störe Sie nicht. Vor mir liegt Ihre Bewerbung. Ich habe auch mit meinem Sohn über Sie gesprochen, und wir sind der Meinung, dass Sie die Voraussetzungen für die Tätigkeit, die wir zu bieten haben, bestens erfüllen.«

»O, danke, das freut mich.«

»Besteht Ihrerseits noch Interesse an der Stelle? Ich meine, Sie müssten den Wohnort wechseln, und wer verlässt schon gerne München?« Jürgen lachte. »Die Weltstadt mit Herz, wie es so schön heißt. Haben Sie sich das gut überlegt?«

»Natürlich, Herr Deininger. Wenn man hier leben und arbeiten muss, spürt man nicht viel von dem Flair, das München nachgesagt wird. Morgens hetzt man zur Arbeit, abends hetzt man von der Arbeit nach Hause. Da bleibt nimmer viel übrig, was einen zum Schwärmen verleitet.«

Wieder lachte Jürgen Deininger. »Das hört sich nicht gerade romantisch an. Aber arbeiten muss man auch in St. Johann. Wie es drum herum weitergeht, muss jeder selbst gestalten. Schön, Frau Dippl. Um es kurz zu machen: Wir würden Sie gern kennenlernen. Können Sie es einrichten, in den nächsten Tagen persönlich bei mir und meinem Sohn vorstellig zu werden?«

»Ich kann jederzeit Urlaub nehmen, Herr Deininger«, erklärte Julia. »Morgen schon, wenn Sie wollen.«

»Wenn es sich einrichten lässt, sehr gerne. Was halten Sie von vierzehn Uhr?«

»Ich werde pünktlich sein«, versprach Julia. »Wenn Sie mir noch die Adresse nennen, unter der ich Sie erreichen kann.«

Jürgen nannte sie ihr, Julia bedankte sich, und sie beendeten das Gespräch. Die Dreißigjährige atmete auf. Wie es schien, standen ihre Chancen, den Job in St. Johann zu bekommen, gar nicht schlecht. Die Stimme des Brauereibesitzers hatte sympathisch geklungen. Julia war ziemlich zuversichtlich.

Als sie am späten Nachmittag nach Hause fuhr, trübte einzig und allein der Gedanke an Manfred ihre gute Stimmung.

Ihr Chef hatte ihr, ohne groß nachzufragen, eine Woche Urlaub gewährt. Manfred jedoch würde ganz sicher fragen, weshalb sie plötzlich Urlaub habe. Weshalb sie sich freigenommen hatte, wollte sie ihm noch nicht unter die Nase reiben. Sie wollte sich nicht für ihre Pläne rechtfertigen müssen und sie wollte vor allem keinen Streit. Irgendwie musste sie ihm klarmachen, dass sie für ein paar Tage im Gebirge ausspannen wollte.

Manfred hatte sich wegen des vergessenen Jahrestages zwar zigmal bei ihr entschuldigt und geschworen, dass so etwas nie wieder vorkommen würde, doch schon am Wochenende hatte er wieder seinen gewohnten Trott gelebt und sich – trotz herrlichstem Sonnenschein – keinen Schritt aus der Wohnung bewegt.

Sie hatte am Samstag ihr Fahrrad aus dem Keller geholt und war an der Isar entlang weit in Richtung Bad Tölz gefahren. Doch alleine machte das auch keinen besonderen Spaß. Sie hatte zwar ihre Cousine, Kerstin Dobler, angerufen und sie gebeten, mit ihr die Radtour zu machen, aber Kerstin war zu einem Geburtstag eingeladen gewesen und hatte keine Zeit gehabt.

Manfred war noch nicht da, als sie zu Hause ankam. Sie machte sich einen Tee und setzte sich an den Küchentisch.

Er erschien eine halbe Stunde später. »Grüß dich, Schatz«, sagte er, als er die Küche betrat. »Alles gut bei dir?« Die Antwort schien ihn gar nicht zu interessieren, denn er zog seine Jacke aus und trug sie hinaus in den Flur, um sie an die Garderobe zu hängen.

Ein Schatten schien über Julias hübsches Gesicht zu huschen und ihre Mundwinkel verkniffen sich bitter.

Manfred kehrte zurück, grinste, nickte ihr zu und murmelte: »Ich hab’ einen Durst …« Er nahm eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, öffnete sie und kam zum Tisch. »Wie war dein Tag?«

»Interessiert dich das wirklich? Oder ist das auch nur eine rein rhetorische Frage?«

»Nein, nein, keine rhetorische Frage. Mein Tag war jedenfalls nicht so gut. Ein Großkunde ist abgesprungen. Er hat ein Angebot von einem österreichischen Großhändler erhalten, das unser Betrieb net toppen kann. Mein Chef war natürlich net gerade begeistert … «

Wie ihr Tag gewesen war, schien ihn – trotz seiner gegenteiligen Bekundung –, doch nicht wirklich zu interessieren. Er trank vom Bier. Ein Glas benutzte er nicht. »Das tut gut«, murmelte er. »Was gibt’s denn heut’ zu essen?«

»Ich hab’ net vor, etwas zu kochen«, erwiderte Julia. »Im Kühlschrank ist Wurst und Käse. Wo du das Brot findest, weißt du.«

Entgeistert starrte Manfred seine Verlobte an. »Was ist denn los, Schatz? Stimmt was net? Hab’ ich irgendetwas falsch gemacht?«

Sie schaute ihm in die Augen und sagte, ohne auf seine Fragen einzugehen: »Ich hab’ mich entschlossen, für ein paar Tage in Urlaub zu fahren.«

»Wann?«, fragte Manfred verblüfft.

»Morgen.«

»Was!?« Er starrte sie verstört an. »Bei uns im Betrieb muss ich mindestens eine Woche vorher den Urlaub beantragen. Und das weißt du auch. Ich denk’, wir sollten …«

Julia schnitt ihm das Wort ab: »Ich werd’ allein fahren.«

»Du … Alleine …« Mit einer Mischung aus Überraschung, Unglauben und Verständnislosigkeit starrte er sie an.

Julia nickte. »Ich brauch’ etwas Abstand. Hast du net auch das Gefühl, dass wir beide uns auseinandergelebt haben?«

»Auseinandergelebt? Wir beide?« Es schien sein Begriffsvermögen zu übersteigen. »Aber es ist doch alles gut, Schatz. Wir streiten uns net, wir haben hier eine schöne Wohnung und unser Auskommen. Was wollen wir denn mehr? Du hast noch nie auch nur angedeutet, dass du unzufrieden bist. Liebst du mich vielleicht nimmer? Hab’ ich irgendetwas getan, das dich verärgert hat?«

»Ich will jetzt net mit dir darüber debattieren, Manfred. Akzeptiere es, dass ich ein paar Tage benötige, um Abstand zu gewinnen und mein inneres Gleichgewicht zu finden. Darum fahr’ ich einige Tage in die Berge. Danach schauen wir weiter.«

»Was – schauen – wir – weiter?« Ratlosigkeit sprach aus jedem Zug seines Gesichts. »Was soll denn das heißen?«

»Wir werden sehen, wie’s weitergehen soll, Manfred. Das Leben, das wir beide führen, passt mir nicht mehr. Es muss sich etwas ändern.« Sie hatte keine Lust, sich zu rechtfertigen oder darüber zu streiten. »Reden wir net jetzt drüber, Manfred«, stieß sie hervor. »Mein Entschluss steht fest. Ich mach’ ein paar Tage Urlaub und versuch’, in aller Ruhe meine nächsten Schritte zu überlegen.«

»Du willst Schluss machen, die Verlobung lösen? Guter Gott, warum denn? Sag’ mir, was ich falsch gemacht hab’. Liebst du mich nimmer? Gibt’s einen anderen Mann?«

»Falsch hast du viel gemacht, Manfred. Einen anderen Mann gibt es nicht. Was meine Liebe zu dir angeht …« Julia überlegte kurz. »Ich mag dich. Ob man noch von Liebe sprechen kann, weiß ich net. Ich denk’, dass von unseren Gefühlen viel verloren gegangen ist.«

»Aber wir können doch noch einmal versuchen, es anders zu machen. Bitte, Schatz, du kannst doch jetzt net einfach alles hinwerfen und so tun, als hätt’ es die letzten drei Jahre net gegeben. Ich lieb’ dich doch noch genauso wie am ersten Tag. Du kannst mir doch net erzählen, dass du solang bei mir geblieben wärst, wenn du mich net auch lieben würdest. Wir – wir sind ganz einfach Opfer des Alltags geworden. Bitte, lass es uns noch einmal versuchen, Schatz.«

»Wie ich schon gesagt habe«, antwortete Julia, »ich brauch’ ein paar Tage, um in mich zu gehen und mich dann zu entscheiden. Darum werde ich morgen Früh für eine Woche in die Berge fahren und dort über alles in Ruhe nachdenken. Das gestehst du mir doch zu, Manfred?«