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In diesem Moment leben rund 7,8 Milliarden Menschen auf der Erde. Manche haben Angst und laufen weg. Einige kommen nach Hause und andere lügen, um den Tag zu überstehen. Andere wiederum sehen der Wahrheit ins Auge und etliche sind böse, im Krieg mit dem Guten. Über 7 Milliarden Seelen auf der Welt und manchmal braucht man nur eine einzige.Carmen ist überaus glücklich darüber, dass sie nach langer Suche einen Teilzeitjob in einem gigantischen Spielwarengeschäft ergattern kann. Auf Anhieb versteht sich die Abendschülerin mit ihren Kollegen, doch dies gefällt ihrer Freundin Silke überhaupt nicht. Sie will Carmen für sich allein haben und droht ihr mit der Offenbarung eines Geheimnisses, sollte Carmen nicht das tun, was Silke von ihr verlangt. Carmen lernt, was Freundschaft wirklich bedeutet, und schwärmt nebenbei gleich mal für drei Männer. Aber wer von den charmanten Jungs ist der Mann aus ihren Träumen, den sie in der realen Welt unbedingt an ihrer Seite haben möchte?
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Seitenzahl: 244
SAPHIRA COLLINS
&
ALEC XANDER
JUST LUV ME
DER MANN AUS MEINEN TRÄUMEN
NEW ADULT
Copyright © der deutschen Ausgabe:
X-Scandal Books (2022)
Anschrift: X-Scandal Books, No51 Bracken Road, Carlisle Offices, Sandyford,
Dublin, D 18 CV 48
Irland
E-Mail: [email protected]
Webseite: www.gaybooks.eu
www.alec-xander.com
Korrektorat: Lilian Franke
Lektorat: MvS Minden
Cover: ©PANDORABOX
Stock.adobe.com
Original-Fassung: Fantasy – Der Mann meiner Träume
© 2014 X-Scandal Books
Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise (!), ist nur mit schriftlicher Genehmigung gestattet. Das kostenlose Verbreiten des E-Books, die kostenpflichtige Verbreitung oder die Weitergabe an Dritte sind untersagt und werden bei Verstoß mit einer Anzeige geahndet.
Handlung, Charaktere und Orte sind frei erfunden.
Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.
Im realen Leben gilt verantwortungsbewusster Umgang miteinander!
INHALTSVERZEICHNIS
DEDICATED TO MICHAEL TREVINO
Prolog
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
16. KAPITEL
17. KAPITEL
18. KAPITEL
19. KAPITEL
20. KAPITEL
21. KAPITEL
22. KAPITEL
23. KAPITEL
BÜCHER VON ALEC XANDER
Thanks for the inspiration – again :-)
Diese Geschichte widme ich Anna, Björn und dem Rest der ehemaligen Frühschicht.
Vielen Dank für die tolle und verdammt lustige Zeit!
Ende Oktober 2003
Es war spät in der Nacht, als ich in meinem Bett lag und von einer romantischen Begegnung träumte. Eine wunderschöne Wärme umgab mich. Endlich schien ich den Mann meiner Träume gefunden zu haben. Doch wer war er überhaupt? Ich hatte mich einfach in seine Arme fallen und mich von ihm umarmen lassen. Langsam wich ich von seiner Brust und schaute zu ihm auf. Seine Lippen waren voll, ein attraktiver Kussmund schmückte sein Antlitz. Ich konnte mein Herz spüren, das wie wild vor Aufregung klopfte. Gleich war es so weit. In wenigen Augenblicken würde ich nach all den Jahren des Alleinseins endlich wissen, wer der Mann meiner Träume sein würde. Dass ich schlief, war mir bewusst, denn wo sonst – außer in der Fantasiewelt – konnte man schon auf Wolken laufen? Aber dies spielte für mich keine Rolle, denn wenn er in meiner Fantasie existierte, dann auch da draußen in der realen Welt. Suchen würde ich ihn, finden und niemals mehr loslassen. Doch dafür musste ich wissen, wer er war. Dass er mehr als einen ganzen Kopf größer war als ich, war weniger überraschend, da ich mit meinen 159 Zentimetern ziemlich klein geraten war. Kurz davor, ihm in die Augen zu schauen, riss mich plötzlich eine weibliche, mir bekannte Stimme aus dem Schlaf.
„Carmen!“
Ich riss die Augen auf, setzte mich blitzartig aufrecht hin und schaute auf etwas, das unheimlicher gar nicht hätte aussehen können. Das Licht des Mondes ließ das Schemenhafte noch bedrohlicher wirken, als es ohnehin bereits war. Ängstlich zog ich die Bettdecke zur Nase hin, als es Schritt für Schritt auf mich zu kam. War das etwa eine Brust, was ich da zu erkennen meinte? Ich kniff die Augen halb zusammen und sah mit gerunzelter Stirn zu dem Furchterregenden hin. Ja, es war eine Brust, die ich erkannte. Das Schattenwesen hatte sogar zwei davon. Zwei tiefhängende Brüste, die nur zu einer Person im Haushalt gehören konnten: meiner stets textilfreien Mutter. Erleichtert darüber, dass mich niemand umbringen wollte, stieß ich einen Seufzer aus.
„Fräulein!“, mahnte sie mit erhobenem Finger.
Wenigstens unter den Achseln hätte sie sich mal rasieren können. Nicht, dass ich etwas gegen die Freikörperkultur hätte, aber in manchen Momenten wünschte ich mir wirklich, dass meine Mama sich mal etwas überziehen würde.
„Du wirst dir morgen früh gefälligst einen Job suchen!“
„Deswegen weckst du mich?“, fragte ich entsetzt.
„Haben wir uns verstanden?!“
Warum brüllte sie mich denn so an? Was konnte ich denn dafür, dass die Ehe mit ihrem Ex-Mann, der übrigens nicht mein Vater war, nicht sonderlich gut lief und im Chaos endete?
„Ja, ist ja gut“, sagte ich kopfschüttelnd. „Komm mal runter.“
„Morgen, mein Fräulein“, warnte sie mich wild gestikulierend, „wirst du deinen Hintern aus dem Bett heben und dir endlich eine Arbeit suchen.“ Ihre hängenden Melonen schwangen von links nach rechts und von oben nach unten. Es war wirklich kein schöner Anblick und ich konnte nur hoffen, dass meine Brüste eines Tages nicht mit meinem Bauch konkurrieren würden.
„Ja, werde ich“, erwiderte ich genervt und winkte sie weg.
„Morgen“, wiederholte sie, ehe sie mein Zimmer endlich verließ. Dass meine Tür über einen Griff verfügte, schien Mama wieder einmal vergessen zu haben. Vielleicht, aber auch wirklich nur vielleicht, war es pure Absicht. Ein lauter Rumms ließ mich und vermutlich auch die Nachbarn in näherer Umgebung aufzucken. Tief atmete ich durch, ehe ich mich nach hinten aufs Bett fallen ließ. Dass meine Mutter mich aus dem Schlaf gerissen hatte, nur um das von mir zu verlangen, was sie bereits seit Wochen von morgens bis abends von mir wollte, konnte ich nicht nachvollziehen. Sie tat so, als ob ich keiner Arbeit nachgehen wollte, was aber keinesfalls der Wahrheit entsprach. Natürlich wollte ich beruflich tätig sein. Allein schon aus dem Grund, um mir Sachen leisten zu können, die mit dem mickrigen Taschengeld nicht bezahlbar waren. Schminke, Kleidung, Konzertbesuche … Zurück in den Schlaf zu finden, war kein Kinderspiel. Das Verhalten meiner Mutter hatte mich einfach zu sehr aufgebracht. Und als ich es dann doch nach einer gefühlten Ewigkeit endlich schaffte einzuschlafen, träumte ich einen Mist nach dem anderen. Dabei hatte ich so sehr gehofft, ihm, wer auch immer er war, wieder im Land der Träume zu begegnen.
Endlich!, dachte ich erleichtert, nachdem ich die Wohnungstür hinter mir geschlossen hatte. Ohne Punkt und Komma hatte mir meine Mama einen Vortrag übers Arbeiten gehalten. Ich konnte nicht einmal in Ruhe mein Marmeladentoast essen. Wie auch immer. Während ich die Treppen des Altbaugebäudes hinunterlief, zog ich mir meine warmen Baumwollhandschuhe an und setzte mir eine Mütze auf, da draußen ein kleines Unwetter herrschte. Kaum hatte ich die Haustür geöffnet, kam mir ein starker Wind ins Gesicht gefegt. „Und bei dem Wetter soll ich mir einen Job suchen?“ Genervt rollte ich mit den Augen und trat seufzend hinaus. Da ich in der Innenstadt wohnte, konnte ich eine Menge Geschäfte nacheinander aufsuchen. Dass ich in einigen schon vor Tagen nachgefragt hatte, ob man eventuell eine Aushilfe suchte, sollte mich nicht davon abbringen, erneut nachzuhaken. Es konnte schließlich sein, dass irgendwer nun doch eine kleine Stelle für mich hatte. Einen Laden nach dem anderen klapperte ich ab, doch immer wieder hörte ich die gleichen Sätze:
„Tut uns wirklich leid, aber wir suchen keine Aushilfen.“
„Haben Sie eine Berufsausbildung? Nein? Kein Interesse.“
„Sie haben keinen Schulabschluss? Ohne können Sie keine Ausbildung beginnen und sich irgendwo bewerben, junges Fräulein.“
Die letzte Angestellte hatte mich innerlich echt wütend gemacht. Ja, ich besaß keinen Schulabschluss, noch nicht, denn ich besuchte gerade mal seit wenigen Wochen eine Abendschule, um genau diesen nachzuholen. Wieso ich mit meinen achtzehn Jahren noch keinen besaß? Die liebe Liebe war dran schuld – und meine Mutter. Sicherlich hatte auch ich etwas Schuld an dem Chaos, aber nicht in erster Linie. Nachdem man mich von der Grundschule auf eine Gesamtschule geschickt hatte und wir in eine andere Stadt gezogen waren, fing das Durcheinander an. Nie hatte ich verstehen können, warum ausgerechnet ich es nur auf die Gesamtschule geschafft hatte. Es war wie ein Schlag in die Magengrube. All meine Freundinnen und Freunde gingen schließlich auf eine Realschule, nur wenige auf ein Gymnasium. Auf ein Gymnasium hatte ich jedoch nie gehen wollen, da es mir zu stressig schien. Aber auf die Realschule wäre ich sehr gerne gegangen. Es war nicht so, dass Gesamtschüler blöder waren als die von der Realschule. Es lag einfach an den Umständen. Ich war die Einzige, die wirklich niemanden kannte und auch keinen Zugang zu irgendwem gefunden hatte. Hinzu kam, dass ich mich mit den Lehrern ebenfalls nicht verstand, weshalb ich die ein oder andere Stunde geschwänzt hatte. Dem nicht genug, war die Entfernung dermaßen immens, dass ich schon lustlos in den Unterricht ging. Morgens musste ich um halb sechs aufstehen, um den Bus um halb sieben erwischen zu können. Zuerst ging es in eine andere Stadt, dann musste ich eine halbe Stunde warten und in den Schulbus umsteigen, der stets völlig überfüllt war. Hätte ich wenigstens eine Freundin auf der Schule gehabt, wäre das Ganze sicherlich etwas erträglicher gewesen. Da ich keine große Lust mehr verspürt hatte, mir diesen morgendlichen Stress anzutun, schwänzte ich und verbrachte Stunden auf irgendwelchen Spielplätzen, wo ich die Schulbücher systematisch durchgegangen war. Okay, Geschichte hatte ich ausgelassen. Irgendwie kam es mir immer so vor, als ob die Geschichtsbücher manipuliert waren, als ob diese nicht die Wahrheit erzählen würden. Wirtschaft war auch nicht so ganz mein Fach. Am tollsten fand ich Deutsch, Englisch und Bio. Jedoch war diese Zeit auch eine sehr einsame, da ich wirklich niemanden hatte, mit dem ich über meine Probleme reden konnte. Nachdem meine Mutter nach geschlagenen zwei Monaten einen Brief von der Schule bekommen hatte, war daheim die Hölle los. Ich schlug ihr einen Schulwechsel vor und pochte darauf, auf die Hauptschule gehen zu dürfen.
Wieso ich plötzlich auf die Hauptschule wollte? Mein damaliger Schwarm, der Daniel, ging auf diese Schule und da ich sowas von verknallt in ihm war, wollte ich ihm nahe sein. Sicherlich hatten wir im selben Haus gewohnt und oft Stunden miteinander verbracht, aber das reichte mir nicht aus. Ich wollte mehr und so kam es, dass man mich nach ewiger Bettelei tatsächlich auf die Schule verfrachtete, die Daniel besucht hatte. Für mich spielte es keine Rolle, dass ich erst in der siebten und er bereits in der zehnten Klasse war. Jahre später verstand ich, warum er nie Interesse an meiner Person gehabt hatte. Mehr als eine kleine Schwester war ich nie für ihn gewesen. Schade, aber ich konnte es nicht ändern.
Auf der Hauptschule hatte ich von Anfang an den Vorteil, mit dem Lernstoff erheblich weiter zu sein. Ich schrieb eine Eins nach der anderen, Freunde hatte ich dennoch keine gefunden – im Gegenteil. Meine Mom hatte mich vorgewarnt, dass Problemfälle auf Hauptschulen kämen – hätte ich ihr doch mal geglaubt. Was ich dort alles erlebt hatte, kann man sich nicht vorstellen und glauben würde man mir dies wahrscheinlich auch nicht. Auf der Hauptschule lernte ich irgendwann Silke kennen. Silke war eine Klasse über mir, etwas molliger und wirklich nett zu mir – auch wenn ich ihre ständigen Versuche, ihr braunes Haar zu blondieren, nicht gutheißen konnte. Wir freundeten uns an und verbrachten fortan jede freie Minute miteinander. Irgendwann hatten wir keine Lust mehr auf die Hauptschule und ihre verrückten Schüler. Wir beschlossen unseren Abschluss auf einer Abendschule nachzuholen und verbrachten Stunden über Stunden in den Innenstätten, auf Spielplätzen, in Geschäften. Wir waren überall dort, wo uns unsere Busfahrkarten, die wir von der Schule bekommen hatten, kostenlos hinbrachten. Es war eine recht lustige Zeit. Meine Mutter war selbstverständlich alles andere als erfreut über meine ständige Schulschwänzerei. Mehrfach hatte ich jedoch versucht, mit ihr über meine Sorgen und Ängste zu reden, doch schien es sie nie wirklich zu interessieren. Und dann, nun ja … Irgendwann ließ Mama eine derartig gewaltige Bombe platzen, die ich ihr wahrscheinlich niemals werde verzeihen können. Sie sagte, dass meine Grundschullehrerin mich auf die Realschule hatte schicken wollen, meine Mutter aber dagegen war. Der Grund? Meine Mama hatte Angst, dass sie mir dann nicht bei den Hausaufgaben helfen könnte. Ich war aus allen Wolken gefallen, als ich das gehört hatte. Seitdem hing der Haussegen mehr als nur schief. Manchmal fragte ich mich, was ich alles für schöne Sachen hätte erleben können, wenn man mich auf die Realschule geschickt hätte. Wen hätte ich wohl alles kennengelernt und was wäre eventuell aus mir geworden? Diese Fragen stellte ich mir seitdem fast jeden Tag. Natürlich war ich noch nicht zu alt, um etwas aus mir machen zu können, aber ich hätte mir gewiss eine Menge an Ärger ersparen können, hätte meine Mama nicht diese fatale Fehlentscheidung für mich getroffen.
Alle Geschäfte in der City hatte ich aufgesucht, einen Job hatte ich dennoch nicht bekommen. Was soll´s, dachte ich mir und lief zu einem der größten Spielzeugläden weit und breit: Heaven. Das Geschäft befand sich etwas außerhalb der Stadt und es dauerte rund eine halbe Stunde, bis ich es erreichte. Bei Heaven angelangt, musste ich mir erst einmal einen heißen Kaffee aus der Bäckerei von gegenüber holen, um mich aufzuwärmen. Ich betrat den gigantischen Laden mit dem Becher in der Hand und war dermaßen beeindruckt, dass ich das Ganze erst einmal auf mich wirken lassen musste. Es war nicht so, dass ich noch nie zuvor dort gewesen war, aber in diesem Moment kam mir alles irgendwie viel größer und imposanter vor. Ich überlegte, wen ich nach einem Job fragen könnte und begab mich zur Info, die sich nah am Ausgang befand. Die freundliche Mitarbeiterin griff nach meiner Frage direkt zum Hörer und rief jemanden an. Sie erklärte mir den Weg und zeigte zu einem Eingang, der sich zwischen den Regalen mit den Computerspielen befand. Auf direktem Wege ging ich hindurch und folgte der Anweisung, die sie mir gegeben hatte. Früher hätte ich mir nie vorstellen können, bei Heaven zu arbeiten, aber ich wollte unbedingt Geld verdienen – vor allem, damit sich solch ein Albtraum wie in der Nacht zuvor nicht noch einmal wiederholte. Ich lief durch einen recht kühlen Gang und blickte zu einer Treppe, die sich auf der rechten Seite befand. Dort musste ich hin. Ich ging die Stufen zur offenstehenden Tür hinauf und klopfte an. Neugierig schielte ich in das Büro, das ziemlich chaotisch aussah. Ein Mann saß mit dem Rücken zu mir und durchforstete seine Papiere, die auf dem Schreibtisch verteilt waren. Erneut klopfte ich an.
„Moment, Moment!“, sagte er etwas unfreundlich und drehte sich kurz darauf zu mir um. „Ja, bitte?!“
„Hallo, mein Name ist Carmen. Man hat mich zu Ihnen geschickt.“
„Wegen des Jobs?“, fragte er derb.
„Ja, wegen …“
„Kommen Sie rein und setzen sie sich!“ Erneut schaute er in seine Unterlagen. Anscheinend war er total gestresst. Vielleicht hatte er deswegen so wenige Haare auf dem Kopf?
Ich setzte mich ihm gegenüber.
„Ja, wir suchen aktuell noch Aushilfen auf Teilzeit. Morgens von sechs bis zehn Uhr. 6,50 Euro die Stunde“, erklärte er. „Sie sind noch Schülerin?“
„Ja, ich besuche eine Abendschule, wo ich meinen Schulabschluss nachhole.“
„Von wann bis wann geht der Spaß?“
„Abends von 18 bis 21 Uhr.“
„Perfekt. Schon mal im Lager gearbeitet?“
„Ja, schon öfter.“
„Wo zum Beispiel?“
„Im Baumarkt und so.“ Und so bedeutete in diesem Fall: Das war´s dann auch schon. Nicht, dass ich im Baumarkt wirklich im Lager gearbeitet hätte, aber das wusste der Herr ja nicht. Hätte ich Inventur gesagt, hätte er wohl einen belustigten Laut von sich gegeben. Artikel scannen kann schließlich jeder. Wobei …
„Perfekt. Sie können auch Überstunden machen, was aber wohl nicht nötig sein wird.“
„Also jeden Tag vier Stunden?“
„Genau. Wären 26 Euro pro Tag.“
Sofort rechnete ich im Kopf aus, wie viel Geld ich im Monat machen könnte. Es war perfekt!
„Dann benötige ich einmal Ihren Ausweis.“
„Sehr gern.“ Ich überreichte ihm meinen Ausweis und war überrascht darüber, dass alles so flott und leicht vonstattenging. Zügig war der Vertrag unterschrieben. Es war mein erster Arbeitsvertrag. Zwar befristet, aber es war besser als gar nichts. Glücklich verabschiedete ich mich und ging hocherfreut nach Hause. Meine Mom wird doof aus der Wäsche gucken, freute ich mich im Geiste, doch als ich ihr den Vertrag unter die Nase hielt, tat sie es nicht. Stattdessen hielt sie mir wieder einmal einen Vortrag. Sie hätte sich ja vielleicht mal zur Abwechslung mit mir freuen können. Immerhin hatte ich neben der Schule jetzt auch noch eine Arbeitsstelle.
Später am Nachmittag traf ich mich mit Silke. Wir lebten nicht in derselben Stadt, weshalb sie stets knapp eine Stunde mit dem Bus fahren musste, um mich besuchen zu können. Es schien ihr allerdings nichts auszumachen. Uns verband halt eine tiefe Freundschaft und sogar ein kleines Geheimnis, das ich aber um jeden Preis geheim halten wollte. Unter anderen Umständen wäre es mir vielleicht weniger peinlich gewesen. Wie auch immer. Silke war wirklich eine gute Freundin, nur manchmal, da wünschte ich mir, wir würden nicht ständig aufeinander hocken. Man hatte sich nach all der Zeit einfach nichts mehr Großartiges zu erzählen. Unabhängig davon brauchte ich auch mal Zeit für mich allein, aber dies Silke zu sagen, hatte ich mich nie getraut. Ich wollte sie nicht verletzen. Ich war schließlich ihre einzige Freundin, von der ich wusste. Dennoch wäre etwas Abstand, auch wenn es nur mal für einen Tag gewesen wäre, wirklich schön gewesen. Machte mich dieser Wunsch zu einer schlechten Freundin? Immerhin besuchten wir nicht dieselbe Abendschule. Es war fast schon ein Segen, dass sie nur die Abendschule in ihrer Stadt besuchen durfte. So hatte ich wenigstens etwas Zeit für mich und meine neugewonnenen Schulkollegen, die mir zur Abwechslung mal nicht wie kleine, zurückgebliebene Kinder vorkamen. Lag wohl aber auch am Alter, denn in der Abendschule waren die meisten Schüler weit über 20, manch einer sogar über 50. Der Mann meiner Träume befand sich allerdings nicht unter ihnen. Zwar zeigte jemand starkes Interesse, aber ich wollte keineswegs wie Mutter enden. Unglücklich kann ich auch allein sein, dazu benötige ich keinen Mann.
Silke saß auf der Treppe einer Kirche. Oft hielten wir uns dort auf, um über unser Leben zu klagen. Manchmal lästerten wir auch. Allerdings beleidigten wir, wie so manch anderer, niemals einen Menschen. Es war halt ein Unterschied, ob man sich im Leisen über jemanden amüsierte oder ob man die Person öffentlich verletzte oder gar zur Schau stellte.
„Carmen!“, freute sie sich und zog an ihrer selbst gedrehten Zigarette. Ja, Silke rauchte. Anfangs störte es mich sehr, da ich zu den Nichtrauchern gehörte, aber irgendwann hatte ich mich dran gewöhnt. Sie konnte überall rauchen, nur nicht in meinem Zimmer! Im Höchstfall mal am offenen Fenster. Da ich sie ununterbrochen angrinste, fragte sie rasch: „Wieso guckst du mich so dämonisch an?“
„Ich“, verkündete ich mit Spannung in der Stimme und hockte mich neben sie, „habe einen Job!“
„Laber!“, staunte sie. „Ich auch!“
„Jetzt wirklich?“ Irgendwie konnte ich mir Silke nicht bei der Arbeit vorstellen. Sie scheiterte ja bereits in ihrem Zimmer mit dem Aufräumen.
„Ohne Scheiß!“
„Ist ja großartig! Und wo?“
Mit dem, was sie dann sagte, hatte ich auf keinen Fall gerechnet: „Heaven.“
Für einen Moment war ich wirklich sprachlos. Sollte ich mich darüber freuen, dass wir noch mehr aufeinander hocken würden? Dann hätten wir uns abermals nichts zu erzählen. „Ähm …“, rang ich mir ein Lächeln ab, „jetzt wirklich?“
„Ja, wieso? Wo hast du denn einen gefunden?“
„Heaven“, antwortete ich zögernd.
Mit großen Augen gaffte sie mich an. Ihr Mund öffnete sich immer weiter, was ein wenig unheimlich aussah. „Du verarschst mich?!“ Ja, Silke hatte teils eine recht gewöhnungsbedürftige Ausdrucksweise. Ein wenig Ghetto, aber damit kannte ich mich aus – schließlich hatte ich jahrelang in einer Hochhaussiedlung gelebt, ehe wir in die Innenstadt gezogen waren.
„Nein“, widersprach ich und kramte nach dem Vertrag, den ich gefaltet in meiner kleinen, schwarzen Umhängetasche aufbewahrte. „Hier ist er.“ Ich zeigte ihr meinen, und sie durchwühlte schnell ihre große, graue Umhängetasche, um mir ihren zu zeigen.
„Wow!“, sagte ich gespielt begeistert. Nicht, dass ich mich nicht für sie gefreut hätte, das tat ich, aber wollte ich doch auch mal was nur für mich allein erleben. Silke war schließlich immer da – selbst, wenn ich mal krank im Bett lag.
Als meine Mama erfuhr, dass Silke die gleiche Arbeitsstelle hatte, war sie alles andere als begeistert, denn sie konnte Silke nicht ausstehen. Für sie war Silke der Grund, warum ich nicht mehr die Schule besucht hatte. Abgesehen davon war ihr Silke zu fett, zu ungepflegt. Besonders die abgeknabberten Fingernägel waren Mama ein Dorn im Auge. Sie selbst war nämlich Kosmetikerin gewesen, ehe sie geheiratet hatte. Warum sie nur noch daheim und möglicherweise sogar schwarzarbeitete, verstand ich nicht.
Einen Tag vor Beginn der Arbeit war ich so aufgeregt, dass ich ständig irgendwo vorlief oder etwas fallen ließ. Mein Knie hatte ganz schön was abgekriegt. Ganz hibbelig war ich, auch wenn mir das frühe Aufstehen schon vorher gegen den Strich ging. Wie ich Alles unter einem Hut bringen sollte, wusste ich hingegen noch nicht so genau. Fest stand allerdings, dass künftige Besuche von Silke auf ein Minimum gesetzt werden mussten. Die Schule war mir in diesem Moment einfach wichtiger, als 24/7 aufeinander zu hocken. Abgesehen davon sahen wir uns fortan ja während der Arbeit.
Mein Handy vibrierte und ein leiser, angenehmer Sound holte mich aus dem Land der Träume. Beautiful von Christina Aguilera – schöner hätte man wahrhaftig nicht geweckt werden können. Der Klingelton eignete sich aber auch perfekt dazu, um wieder einzuschlafen. Noch während des Liedes drehte ich mich wieder auf die Seite und schloss die Augen. Beinahe wäre ich wieder in die Fantasiewelt geglitten, hätte mich der grässliche Sound meines anderen Weckers nicht endgültig wach gemacht. „Halt doch die Klappe!“, meckerte ich und setzte mich ruckartig auf, um das Werkzeug des Teufels auszuschalten. Ich blickte auf die Uhrzeit: 04:06 Uhr in der Früh! Das war eigentlich meine Zeit, um schlafen zu gehen, und nicht, um aufzustehen. Tief atmete ich durch und riss die Bettdecke zur Seite. Hätte ich es nicht getan, dann wäre ich noch liegen geblieben und mit Sicherheit wieder eingepennt. Mein Bus kam zwar erst um 05:30 Uhr und bis zur Haltestelle brauchte ich auch nur drei Minuten, aber ich hasste die Hektik. Bis ich mich angezogen und mir die Haare gestylt hatte, dauerte es sowieso noch. Gut gelaunt ging ich zum Lichtschalter, ließ mein Zimmer hell werden und grinste ununterbrochen vor mich hin. Da meine Mama noch schlief, musste ich leise sein. Dennoch brauchte ich Musik, um wach zu werden. Ich legte Britneys letztes Album Britney ein und zog mich langsam an. Wie sehr ich mich doch auf das neue Album der Spears freute, doch da musste ich noch zwei Wochen warten. Das Video zur ersten Single Me Against The Music war auf jeden Fall der Hammer!
Ich schlich in die Küche, um mir ein Toast mit Marmelade zum Frühstück und zwei für die Arbeit zu machen. Danach kniete ich dann vor meiner Heizung. Nein, ich hatte nicht vor zu beten. Auf der Fensterbank stand ein kleiner Spiegel, vor dem ich mich immer schick machte. Irgendwo musste ich ja reinschauen, um mein langes braunes Haar wellig zu stylen. Viel Make-up hatte ich noch nie benutzt. Das einzige, was ich stets tat, war meine Augen zu betonen. Ein wenig Kajal, ein Lidstrich, etwas Lidschatten und ein bisschen Mascara. Ab und zu benutzte ich auch mal einen Lippenstift, aber das kam eher seltener vor. Richtig aufgedonnert wie so manch andere hatte ich mich eigentlich noch nie. Ich wollte halt immer ein wenig natürlicher rüberkommen und keinesfalls künstlich. Als ich vor meinem Schrank stand, fragte ich mich, was ich anziehen sollte. Was war das perfekte Outfit für solch eine Arbeit? Es sollte auf jeden Fall gut aussehen, aber auch seinen Zweck erfüllen. Nach langem hin- und her entschied ich mich für eine schwarze Jeans mit hohem Bund, ein weißes Top, einen flauschigen Pullover mit Ballonärmeln und Rundhalsausschnitt sowie für meine sportlichen Sneaker. Stöckelschuhe waren nie etwas für mich gewesen. Ich konnte zwar drauf laufen, aber hochhackige Schuhe passten einfach nicht zu meiner Figur. Wie fast jede Frau fand ich nämlich hier und dort etwas, was mir so gar nicht an mir gefiel. In meinem Fall war es der etwas breitere Hintern und die viel zu groß geratenen Brüste. Silke, die knapp einen Kopf größer war als ich, war schon immer neidisch auf meine Oberweite gewesen. Sie dachte, dass man mit einer größeren Oberweite mehr Erfolg bei Männern haben würde. Ja, man bekam mehr Blicke und selten dämliche Sprüche zugeworfen, aber ein Mann mit Herz und Verstand ließ sich damit auch nicht finden.
Ich verstaute mein Essen in meinem schwarzen Lederrucksack, machte die Musik aus, zog mir den schwarzen Trenchcoat über und schlich aus der Wohnung. Es war gar nicht so leicht, die Tür leise zu schließen, denn in dem Altbau schien alles irgendwie immer zu quietschen. Draußen kam mir direkt die kalte Luft entgegen, was aber zu dieser Jahreszeit im November weniger verwunderlich war. Ich lief durch die Innenstadt hindurch zum Markt, wo sich die Bushaltestellen befanden. Viele Menschen schienen noch nicht auf den Beinen zu sein. Ich setzte mich unter das schützende Dach, um nicht allzu viel von dem kalten Wind abzubekommen, und wartete auf den Bus, den auch Silke nehmen wollte. Als er kam, stieg ich ein, bezahlte und hielt Ausschau nach meiner besten Freundin.
„Carmen!“, hörte ich Silke nach mir rufen.
„Höh?“, stutzte ich. Wo war sie? Ich brauchte einen Moment, bis ich sie unter all den starrenden Gesichtern ausfindig machen konnte. Schnell hockte ich mich neben sie. „Guten Morgen!“
„Hätte ja nicht gedacht, dass du wirklich so früh aus den Federn kommst.“
Gekonnt überhörte ich ihre Bemerkung. „Und, aufgeregt?“, fragte ich sie.
„Total!“, gestand sie mit einer Miene, die leicht an eine Irre erinnerte.
„Ich freue mich auch sehr.“
„Ich bin ja schon auf die anderen gespannt.“
„Hoffentlich keine Arschlöcher wie auf der Hauptschule“, hoffte ich inständig.
Eine fast nie enden wollende Schnellstraße und vier Haltestellen später erhoben wir uns. Kaum ausgestiegen, zündete Silke sich vor Aufregung eine Zigarette an.
Ich blickte nach links zur Brücke. „Wollen wir über die Brücke gehen?“
Silke schaute nach rechts, dann nach links. „Die Straßen sind frei.“
Ich zögerte. Sollte ich es wirklich wagen und über die Straße huschen?
„Jetzt komm schon!“, forderte sie mit einem Blick über die Schulter.
Einen Moment zögerte ich, ehe ich die sonst so lebhafte Fahrbahn überquerte. Wir liefen an einem gigantischen Supermarkt vorbei, dessen leerer Parkplatz etwas Unheimliches an sich hatte. Die Laternen, deren Lichter recht gelb waren, erinnerten mich irgendwie an einen Horrorfilm. Gruselig!
„Ich bin total neugierig.“ Silke wurde fortwährend hibbeliger, als wir zur anderen Straßenseite hinüberwechselten. „Ich will es jetzt endlich wissen.“ Gegenüber dem Geschäft befand sich in direkter Nähe eine Autobahn. Das Geräusch der Autos ließ ein seltsames Gefühl in mir aufkommen. Jedoch konnte ich diese Empfindungen keineswegs deuten. Was bedeutete es?
Wir erreichten den Eingang und standen erst einmal vor verschlossener Tür. „Wieso lassen die uns denn nicht schon rein?“, wunderte ich mich und sah auf mein Handy. Wir hatten bereits 5:50 Uhr.
„Was weiß ich“, stammelte Silke und sah zu zwei Männern, die in unmittelbarer Nähe standen. Sie schienen nicht viel älter als wir zu sein.
Ein Auto kam auf den Parkplatz gefahren. Zwei Frauen mittleren Alters stiegen aus und liefen direkt auf uns zu.
„Guten Morgen“, wünschte uns eine der Frauen, die dem Anschein nach polnischer Abstammung war. „Seid ihr beiden auch neu hier?“, erkundigte sie sich und strich sich die Strähnen aus dem Gesicht. Ihr braunes Haar war leicht gelockt und schulterlang – es gefiel mir.
„Ja, das sind wir“, antwortete Silke. „Ich bin übrigens Silke.“
„Hallo, ich bin die Hanna“, grüßte sie und reichte ihr die Hand. Nun sah sie mich an. „Hanna.“
„Carmen.“
„Was?“ Offenbar hatte sie mich nicht verstanden.
„Carmen“, wiederholte ich freundlich.
Ratlos schaute Hanna zu ihrer Freundin, die lange, schwarze Haare hatte und selbst so manchen Mann mit ihrer Körpergröße überragte. „Ich habe es immer noch nicht verstanden.“
„Carmen“, wiederholte Silke.
Verwirrt schielte Hanna zu ihr. „Wie?“
„Carmen“, sagte Silke etwas lauter. „Car-men!“
„Karten?“, rätselte Hanna.
Ihre Freundin rollte genervt die Augen. „Carmen, Mensch!“ Nun blickte sie mich an und hob freundlich die Mundwinkel an. „Ich bin Karuna.“
„Hey“, lächelte ich. „Carmen.“
„Mittlerweile weiß ich es“, sagte sie belustigt.
„Ach“, kam es von Hanna. „Carmen! Jetzt habe ich es auch verstanden.“
Nun mussten wir alle – bis auf Hanna – unwillkürlich lachen.
„Ja, ich höre bei dem Wind nicht so gut“, behauptete Hanna verlegen.
„Wann lassen die uns denn rein?“, erkundigte Karuna sich.
Ahnungslos hob ich die Schultern. „Ich habe keine Ahnung.“
„Um kurz vor sechs“, warf eine männliche Stimme in das Gespräch ein.
Wir sahen zu ihm. Ein junger, schlanker Mann von geschätzten Anfang 20 gesellte sich zu uns. Viele Narben schmückten sein Gesicht, und seine Haltung sowie seine Stimme verrieten mir, dass er zu den Schulzeiten stets der lockere Typ gewesen sein musste. Er wirkte auf mich wie jemand, der jeden Scheiß mitmachte und sich auch gern mal einen Joint reinzog. Ein chilliger Kerl eben. Nicht gerade die perfekte Wahl als Partner, aber bestimmt ein guter Freund, auf den man sich verlassen könnte.
„Sagt er zumindest“, fuhr er fort und schaute über die Schulter.
Ein weiterer Kerl, der etwas kräftiger gebaut war und kurzes, blondiertes Haar hatte, lief auf uns zu. Der Typ hätte der letzte Mensch auf Erden sein können. Angefasst hätte ich den sicherlich nicht. Er hatte so eine bedrohliche Ausstrahlung an sich, als ob er Katzenbabys umbringen oder zum Frühstück verspeisen würde. „Ja, die machen erst kurz vor sechs die Pforten auf, um uns hineinzulassen.“
Ich registrierte, dass Silke den Typ interessant zu finden schien. Meinem Geschmack entsprach er auf jeden Fall nicht. Neben solch einem Gesicht wollte ich zu Lebzeiten nicht aufwachen.
„Ich bin übrigens Charles“, stellte sich uns der Typ mit den Narben im Gesicht vor und reichte jedem von uns die Hand.
„Sven“, grüßte nun auch der Bursche, der Silkes Augen zum Funkeln brachte.