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Ein hoffnungslos romantischer Scheidungsanwalt und eine zynische Rom-Com-Autorin wetten auf die Liebe!
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Molly Marks glaubt nicht an die große Liebe. Sie verdient ihr Geld mit dem Schreiben von romantischen Komödien, deswegen weiß sie einfach besser als andere Leute, dass Happy Ends nur eine Hollywood-Erfindung sind. Seth Rubinstein ist sich absolut sicher, dass irgendwo die Frau seines Lebens auf ihn wartet, trotz seines Jobs als einer der besten Scheidungsanwälte Chicagos. Doch Seth weiß genau, wie sich die große Liebe anfühlt, seit er auf der Highschool mit Molly zusammen war. Ihr Wiedersehen ist ebenso unverhofft wie aufregend und nach ein paar Martinis zu viel schließen die beiden eine gewagte Wette ab: Wer von ihnen das Liebesglück von fünf Paaren besser vorhersagen kann, gewinnt. Der Haken dabei? Paar Nr. 5 sind sie selbst!
Frech, witzig und voller Gefühl: Die perfekte Geschichte für alle, die noch an die wahre Liebe glauben – selbst wenn sie es niemals zugeben würden!
Die beliebten Tropes Grumpy-meets-Sunshine und Second-Chance entfachen ein Feuerwerk der Gefühle!
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Seitenzahl: 456
KATELYN DOYLE
Just Some Stupid Love Story
Molly Marks glaubt nicht an die große Liebe. Sie verdient ihr Geld mit dem Schreiben von romantischen Komödien, deswegen weiß sie einfach besser als andere Leute, dass Happy Ends nur eine Hollywood-Erfindung sind. Seth Rubinstein ist sich absolut sicher, dass irgendwo die Frau seines Lebens auf ihn wartet, trotz seines Jobs als einer der besten Scheidungsanwälte Chicagos. Doch Seth weiß genau, wie sich die große Liebe anfühlt, seit er auf der Highschool mit Molly zusammen war. Ihr Wiedersehen ist ebenso unverhofft wie aufregend und nach ein paar Martinis zu viel schließen die beiden eine gewagte Wette ab: Wer von ihnen das Liebesglück von fünf Paaren besser vorhersagen kann, gewinnt. Der Haken dabei? Paar Nr. 5 sind sie selbst!
Katelyn Doyle lebt und arbeitet in Los Angeles. Unter einem Pseudonym veröffentlichte sie schon erfolgreich historische Liebesromane, die unter anderem von der »New York Times« gelobt wurden und sie zur »USA Today«-Bestsellerautorin machten. Just Some Stupid Love Story – Die Wette mit dem Ex ist ihre erste romantische Komödie.
Katelyn Doyle
Love Story
Die Wette mit dem Ex
Roman
Deutsch von Juliane Zaubitzer
Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel »Just Some Stupid Love Story« bei Flatiron Books, New York.
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Copyright der Originalausgabe © 2024 by Katelyn Doyle.
Published by Arrangement with Katelyn Doyle. Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Alexandra Kranefeld
Umschlaggestaltung und -motive: © www.buerosued.de
BSt · Herstellung: CS
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-31872-7V003
www.blanvalet.de
Für Chris
Palm Bay Preparatory School
15. Klassentreffen
November 2018
Molly
Sollte es je dazu kommen, dass Sie eine Veranstaltung mit einem weißen Partyzelt ausrichten, können Sie sicher sein, dass ich, Molly Marks, mit Bedauern absagen werde.
Wenn Ihr Zelt mit exotischen Blumen geschmückt ist, mit Tausenden von Lichterketten und geprägten Tischkarten aus Leinen, wenn es eine Tanzfläche gibt, eine Hochzeitskapelle und ein Podium für Trinksprüche, seien Sie versichert, dass ich durch Abwesenheit glänzen werde, um Ihnen, liebe Freundin, aus Hunderten von Meilen Entfernung zuzuprosten.
Das ist nicht persönlich gemeint. Ich bin sicher, Sie sind eine ganz wundervolle Gastgeberin.
Aber das weiße Partyzelt als Symbol der öffentlichen Zurschaustellung von Gefühlen und Sentimentalität ist mir zuwider. Wenn ich schon Gefühle bekunden muss – igitt –, dann zu Hause im Dunkeln bei heruntergelassenen Jalousien, in einem mit Krümeln und Sauvignon Blanc bekleckerten Bademantel.
Sie werden also verstehen, warum ich in dieser schwülen Nacht auf dieser sternenschimmernden Insel, die für ihre champagnerfarbenen Strände berühmt ist, den Enthusiasmus einer Frau verspüre, die auf Stöckelschuhen zum Schafott humpelt.
Denn im perlmuttfarbenen Schein des Florida-Vollmonds nähert sich uns der hungrige Schlund eines weißen Zeltes von der Größe eines Kreuzfahrtschiffes.
Ein Banner, geschmückt mit künstlicher Bougainvillea und violett und rosa blinkenden Lichtern, verkündet in jubelnder Schrift:
Willkommen zu Eurem 15. Klassentreffen,
Palm Bay Jahrgang 2003!!!
Drei Ausrufezeichen. Krank.
Ich gebe zu, dass man die Atmosphäre, die mich unter dem wogenden Zeltdach empfängt, unter den richtigen Umständen – wenn ich zum Beispiel ein anderer Mensch wäre – als verträumt bezeichnen könnte.
Immerhin riecht die Luft nach Jasmin, Orangenblüten und der salzigen Brise, die vom Golf von Mexiko herüberweht. Petroleumfackeln tauchen die Tanzfläche in flackerndes Licht. Es gibt eine Champagnerbar und ein Hummerbüfett. Sorgfältig gekleidete Männer und Frauen umarmen sich mit aufrichtiger Freude. Auf ein paar Gesichtern entdecke ich sogar Tränen.
Ich lege eine Hand an den Hals, um meinen flatternden Puls zu fühlen. Es war ein Fehler, im Hotel keine Xanax zu nehmen. Vielleicht kann ich mich in einem Rettungsschwimmerhäuschen verstecken.
»Ich kann das nicht«, flüstere ich meiner besten Freundin Dezzie zu, die mich heute Abend zusammen mit ihrem Mann Rob begleitet.
Sie drückt meine Hand, viel zu fest – eine Geste, die mich entweder beruhigen soll oder zur Räson bringen.
»Du schaffst das«, flüstert sie zurück.
»Da sieht man, dass meine Frau auf einer ekligen Privatschule in Florida war«, bemerkt Rob, ungerührt davon, dass meine Nerven blank liegen. »Ihr fünfzehnjähriges Klassentreffen sieht aus wie eine Hochzeit am Strand.«
»Ehrlich gesagt ist das hier zehnmal schöner als unsere Hochzeit«, sagt Dezzie und zieht mich an einem Tisch mit Goodie Bags vorbei, aus denen glitzernde Flip-Flops und Insektenspray quellen. Wir halten inne, um die Tischdekoration aus Ananas, Orchideen und Strasspalmen auf uns wirken zu lassen.
»So ist das eben, wenn man einen verarmten Sozialarbeiter heiratet«, sagt Rob. »Vielleicht können wir das Klassentreffen nutzen, um unser Eheversprechen zu erneuern.«
»Wenn es etwas Schlimmeres gibt als ein Klassentreffen«, sage ich grimmig, »dann ein Klassentreffen mit Eheversprechen. Außerdem ist es ungeschriebenes Gesetz, dass sich jedes Paar, das seine Gelübde erneuert, innerhalb eines Jahres trennt. Ihr passt zu gut zusammen, um alles für ein paar Coconut Shrimps wegzuwerfen.«
»Wie ich sehe, sind wir heute Abend gut gelaunt«, sagt Rob und klopft mir auf die Schulter.
Rob hat Glück, dass ich mich zu elend fühle, um Kontra zu geben. Er und Dezzie sind schon so lange zusammen, dass Rob und ich fast wie Geschwister sind. Die Art von Geschwistern, die sich heiß und innig lieben und dies durch Zankereien und einen Hang zu körperlicher Gewalt ausdrücken.
»Übellaunigkeit war damals Mollys Markenzeichen«, behauptet Dezzie. »In der zwölften Klasse wurde sie zur Pessimistin des Jahres gewählt.«
Ich werfe mein Haar zurück. »Eine Leistung, auf die ich übrigens immer noch stolz bin. Ich habe mir diese Auszeichnung hart erarbeitet.«
Die Kehrseite der Medaille war meine Neigung zu Panikattacken. Aber keine Sorge. Als ich erwachsen war, bin ich zum Psychiater gegangen, und jetzt bin ich eine starke, selbstbewusste Frau mit einem rezeptpflichtigen Cocktail aus angsthemmenden Antidepressiva und der gelegentlichen Benzo.
»Ich kann mir nur vorstellen, wie Molly als Teenager war«, sagt Rob und nimmt ein winziges, mit Kaviar besprenkeltes Krabbenküchlein von einem Kellner entgegen. »Wenn man bedenkt, wie unerträglich sie jetzt ist …« Er grinst mich boshaft an und ich schubse ihn weg.
»O Gott, sie war unausstehlich«, sagt Dezzie und legt liebevoll den Arm um mich. »Nur schwermütige Gedichte und schwarzer Kaffee und im Debattierclub feministische Tiraden. Sie war die menschliche Verkörperung eines Sylvia-Plath-Tattoos.«
»Es hat sich also buchstäblich nichts geändert«, sagt Rob.
»Stimmt nicht«, widerspreche ich. »Ich bin der Mittelpunkt jeder Party. Nur nicht dieser.«
Bitte glauben Sie mir: Das ist wahr. Ich lebe in Los Angeles, und meine Karriere basiert auf der Fähigkeit, an den Pools absurd großer Häuser in den Hollywood Hills spritzige Gespräche zu führen, während ich genau die richtige Menge Champagner trinke. Ich lasse meinen Charme spielen, plappere unbedarft daher und knüpfe so mühelos Kontakte, dass es fast so aussieht, als würde ich mich amüsieren.
Aber das ist das echte Leben.
Dies ist ein Klassentreffen.
»Nun, heute Abend«, verkündet Rob, »werden wir dich so in Fahrt bringen, dass deine alten Freunde dich nicht wiedererkennen. Stimmt’s, Dez?«
Dezzie hört schon gar nicht mehr zu. »Wo sollen wir sitzen?«
»Ganz hinten, wo uns niemand sieht«, sage ich.
Sie schlägt mir mit ihrer Clutch auf den Arm. Es ist eine sehr gute Clutch. Dezzie hat einen ausgezeichneten Geschmack. Heute Abend trägt sie ein kurzes, drapiertes Kleid, das aussieht wie Comme des Garçons, in Wahrheit aber – wie sie mir versichert hat, als ich bei ihrem Anblick neidisch aufstöhnte – eine kreativ gewickelte Tunika von Amazon ist. Ihr glänzendes schwarzes Haar trägt sie als strengen, schulterlangen Bob, und ihre Lippen sind ein roter Farbtupfer, der perfekt zu ihrem blassen Teint passt. Rob kann von Glück reden, dass er gut aussieht und ein markantes Kinn hat, denn sein Modestil kann wohlwollend bestenfalls als luschig bezeichnet werden. Er trägt wie immer eine zerknitterte hellbraune Hose, die er heute Abend mit einem für das Wetter viel zu warmen Tweedblazer und abgewetzten schwarzen Halbschuhen aufgepeppt hat, die nicht zu seinem Gürtel passen. Sie sind ein seltsames Paar, wie Karen O. und Jim aus The Office. Aber sie haben eine beneidenswerte Chemie.
»O mein Gott, Molly, du musst aufhören, dich zu beschweren«, sagt Dezzie. »Du hast die meisten dieser Leute seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen. Du bist den ganzen Weg von Los Angeles nach Florida geflogen, obwohl du es hasst. Ich lasse nicht zu, dass du dich den ganzen Abend hinter deinem Weinglas versteckst und mir und Alyssa unterm Tisch sarkastische Nachrichten schreibst.«
»Wenn du glaubst, dass ich heute Abend so etwas Niedrigprozentiges wie Wein trinke, kennst du mich schlecht«, sage ich. »Außerdem habe ich gesehen, dass es einen eigens kreierten Cocktail gibt. Wie könnte ich einem Palm Bay Preptini widerstehen?«
»Oooh, wie schmeckt die Nostalgie nach einer Privatschule, die vierzigtausend Dollar pro Jahr gekostet hat?«, fragt Rob.
Ich schnappe mir eine Sektschale von einem vorbeigehenden Kellner und kippe die Hälfte der blassorangenen Flüssigkeit runter. »Nach Frauen, die ihre Diane-von-Fürstenberg-Kleider durchschwitzen, in die Jahre gekommenen, betrunkenen Typen, die zu Hip-Hop tanzen … und, ähm, Rum oder so.«
Dezzie verschwindet plötzlich und kommt mit drei Tischkarten in der Hand zurück.
»Ich habe uns gefunden«, sagt sie und gibt mir eine.
Molly Marks, Tisch 8.
Mir dreht sich der Magen um. »Warte. Wir haben feste Plätze?«
Dezzie zuckt die Schultern. »Marian Hart hat das Treffen organisiert. Wahrscheinlich will sie, dass die Leute sich mischen. Du weißt ja, wie sie ist.«
Marian Hart war Klassensprecherin und Ballkönigin. Sie hat die erbarmungslos fröhliche Energie einer Animateurin.
»Bitte sag mir, dass wir am selben Tisch sitzen«, sage ich und schnappe mir Dezzies Tischkarte.
Desdemona Chan, Tisch 17.
»Verdammte Scheiße«, murmle ich. »Hoffentlich sitzt Alyssa wenigstens an meinem Tisch.« Alyssa ist unsere andere beste Freundin, die Dritte im unzertrennlichen Trio, das wir seit der zweiten Klasse bilden.
»Nö. Ich habe ihre Karte gesehen. Sie sitzt an Tisch elf. Außerdem hat ihr Flug Verspätung und sie wird frühestens in einer Stunde hier sein. Sie kann dich nicht retten. Du wirst dich einfach unter die Leute mischen müssen.«
»Ich kann mich gut unter die Leute mischen«, kontere ich. »Nur zu falscher Nostalgie und aufgesetzter Fröhlichkeit bin ich nicht fähig.«
Die weiße Steeldrum-Band, die Jimmy-Buffett-Cover spielt, beendet The Weather Is Here, Wish You Were Beautiful, und keine Geringere als Marian Hart betritt die Bühne.
Wie erwartet, sieht sie makellos aus. Ihr perfekt gesträhntes blondes Haar ist zu einem eleganten Dutt frisiert, der trotz der Luftfeuchtigkeit Floridas nicht in sich zusammenfällt, und ihre Arme sehen aus, als wären sie von Goop gesponsert.
»Leute!«, kreischt sie ins Mikrofon. »Es ist so toll, euch alle zu sehen. Von hundertsiebenundsechzig Schülern sind heute Abend hundertachtundfünfzig hier, könnt ihr das glauben? Und wir werden so. viel. SPASS. haben.«
Zur Betonung verdreht sie ihre blauen Augen.
Ich vergrabe meinen Kopf an Dezzies Schulter. »Ich hasse es jetzt schon. Warum bin ich hier?«
»Du wolltest doch kommen, du Heuchlerin. Reiß dich zusammen. Vielleicht amüsierst du dich ja.«
Sie irrt sich. Ich wollte ganz sicher nicht kommen. Ich bin hier, weil ich unter Druck gesetzt wurde. Ich bin die Einzige aus unserem kleinen Kreis, die an der Westküste lebt, und wir sehen uns immer seltener, seit Alyssa Kinder hat. Aber ich bin gerade dabei, ein Projekt zu beenden, und ich reise nicht gern, wenn ich im Schreibmodus bin.
»Ich sollte zu Hause sein und arbeiten«, sage ich.
»Du kannst dir mal vier Tage freinehmen«, sagt Rob. »Du bist doch kein Onkologe.«
Ich bin sehr weit davon entfernt, lebensrettende Medizin zu praktizieren. Ich schreibe Drehbücher für romantische Komödien, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Schicksalhafte Begegnungen, Situationskomik, ein Herzensbrecher, der mit den Tränen ringt, während er einer Frau mit Föhnfrisur, die im Zweifelsfall bei einer Zeitschrift arbeitet, seine unerwartete, unsterbliche Liebe erklärt.
Lachen Sie nur.
Zugegeben, mein Beruf passt nicht so recht zu den misanthropischen Anwandlungen, für die ich bekannt bin. Dennoch möchte ich betonen, dass ich erstaunlich gut darin bin. Nach dem Studium hatte ich hintereinander zwei Indie-Hits. Das ist zwar schon acht Jahre her, aber mein Produzent ist im Gespräch mit einem Hollywoodstar, der die Hauptrolle in dem Drehbuch übernehmen soll, das ich gerade fertigstelle, und ich glaube, es könnte wieder ein Hit werden.
Ein großer sogar.
Was ich dringend gebrauchen könnte. Ich bin gut im Geschäft, aber nach meinem ersten Erfolg war ich so eitel zu glauben, dass ich die nächste Nora Ephron oder Nancy Meyers werde und mir mit absoluten Klassikern eine goldene Nase verdiene. Bisher hat es mit den Millionen und der »Stimme einer Generation« noch nicht so ganz geklappt.
»Gleich werden die Vorspeisen serviert«, fährt Marian auf der Bühne fort. »Wenn ihr euch also jetzt an eure Plätze begeben könntet, wäre das perfekt. Wir werden fantastisch speisen und dann feiern, als wären wir sechzehn! Um das Eis zu brechen, gibt es an jedem Tisch ein paar Fragen. Diskutiert darüber, während ihr euch die Jakobsmuscheln schmecken lasst. Und jetzt viel Spaß!«
Ich ergreife Dezzies Hand. »Ich kann nicht glauben, dass ich das alleine durchstehen muss.«
»Du wirst das toll machen, Prinzessin«, sagt sie und löst sich aus meinem Griff. »Du wirst sie umhauen. Wenn nicht mit Charme, dann mit deinem berühmten finsteren Blick.«
»Ich bereue es jetzt schon.«
»Sieh mal, hier ist unser Tisch«, sagt Dez zu Rob und zeigt auf einen Achtertisch, an dem bereits dieser stille Typ sitzt, der einen Hedgefonds gegründet hat, und Chaz Logan, der Witzigste aus unserem Jahrgang.
»O Mann, du hast Chaz und den Milliardär?«, jammere ich, obwohl ich schon dreiunddreißig bin. »Ich bin voll neidisch.«
Dez sieht sich um. »Oh, dein Tisch sieht interessant aus.«
Ich folge ihrem Blick zu einem kleineren Tisch am Rand, in Strandnähe. Auf einem Schild in Möwenform steht: Tisch 8.
Und dort sitzt Seth Rubenstein, allein.
Mir schnürt sich die Kehle zu.
»Ach du Scheiße«, zische ich.
Seth
Ich amüsiere mich blendend. Ich liebe solche Veranstaltungen.
Ich bin gerade mal eine Stunde auf meinem fünfzehnjährigen Klassentreffen und habe mit meiner alten Chemiepartnerin Gloria und ihrer Frau Emily bereits die letzten zehn Jahre rekapituliert (sie arbeiten als Filmausstatter in Hollywood und haben sich gerade einen Hund angeschafft), mir zwanzig Bilder von Mike Wilsons Baby angesehen (süßer kleiner Kerl), gedroht, Marian ins Meer zu werfen (ich liebe Marian und sie sieht toll aus), zwei Cocktails getrunken, die nach unserer Schule benannt sind (total lecker), und einen Ausschnitt vom Lightning-Spiel auf Loren Heymans Handy gesehen (ich bin kein Eishockeyfan, aber ich glaube, Loren verwechselt mich, und das mag ich an ihm).
Jetzt sitze ich an Tisch acht, allein, denn im Gegensatz zum Rest meiner ehemaligen Klassenkameraden respektiere ich Marians ausgefeilte Choreographie. Außerdem kann man, wenn man der Erste am Tisch ist, die Reaktionen der anderen beobachten, wenn ihnen klar wird, dass sie den ganzen Abend mit einem reden müssen.
Ein Heidenspaß.
Ich strecke die Beine aus, mit dem Rücken zum schönen Golf von Mexiko, nippe an meinem Palm Bay Preptini und wippe mit dem Fuß zu den ersten Takten von Margaritaville, während ich auf meine Tischnachbarn warte.
Aus dem Brotkorb ragen diese süchtig machenden knusprigen Parmesanstangen – mmmh – und ich nehme eine und beiße hinein. Eine etwas peinliche Menge an Käsekrümeln regnet auf meine Brust. Während ich mir noch den Dreck von der Jacke klopfe, schaue ich wieder auf. Und prompt dreht sich mir der Magen um.
Molly Marks steht im Schatten einer Topfpalme und sieht mich entsetzt an.
Ich habe sie seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen.
Seit der Nacht, in der wir Schluss gemacht haben.
Oder besser gesagt, sie mit mir, völlig überraschend und ohne Vorwarnung, sodass ich erst im College darüber hinweggekommen bin – oder vielleicht auch erst im Jurastudium, je nachdem, wie viel ich getrunken hatte.
Hastig stopfe ich mir den Rest der Stange in den Mund und stehe mit einem breiten Grinsen auf, immer noch kauend, weil Molly es nicht besser verdient hat.
»Molly Marks!«, rufe ich und öffne meine Arme, als gäbe es nicht den geringsten Grund, warum sie mich nicht freundschaftlich umarmen sollte. Ich bin Seth Rubenstein, Rechtsanwalt, und ich werde sie in meinem berühmten Charisma ertränken.
Sie steht da, den Kopf geneigt, als wäre ich bekloppt.
Sehen Sie, ich bin bekloppt, das gebe ich zu. Aber nett bekloppt, was für Molly zweifelsohne schwer nachvollziehbar ist, da sie selbst grausam und unterkühlt ist.
»Hey, lass mich nicht hängen«, rufe ich. »Komm schon her, Marksman!«
Widerstrebend kommt sie in meine Arme und klopft mir zaghaft auf die Schulter – als ob sie sich bei einer Berührung mit mehr als einem Finger eine Geschlechtskrankheit zuziehen könnte.
Die ich nicht habe. Ich habe mich testen lassen, bevor ich hergeflogen bin. Nur für den Fall.
Ich ziehe sie näher an mich heran. »Hey, ein bisschen mehr Zuneigung, bitte, Marky Marks. Ich bin’s, dein alter Freund Seth Rubes.«
»Wer?«, fragt sie trocken.
Ich lache, denn ich bin fest entschlossen, die entspannte Leutseligkeit eines sehr coolen Typen auszustrahlen, den ihre Gegenwart nicht im Geringsten aus dem Konzept bringt. Und Molly war immer lustig, für die wenigen Leute, zu denen sie sich herabließ.
»Ich kann nicht glauben, dass du hier auftauchst«, sage ich und trete einen Schritt zurück, um sie anzuschauen. Zu unseren fünf- und zehnjährigen Klassentreffen ist sie nicht erschienen, was niemanden überrascht hat.
»Ich auch nicht.« Sie seufzt in dieser der Welt überdrüssigen Art, die mich einst um den Verstand gebracht hat.
»Du siehst umwerfend aus«, sage ich.
So was sagt man auf einem Klassentreffen natürlich zu jedem, aber in ihrem Fall stimmt es. Sie hat immer noch dieses lange, dichte dunkelbraune Haar, das ihr bis zum Hintern reicht und sich von den Bobs und Hochsteckfrisuren der anderen Palm-Bay-Flamingos abhebt. Sie ist sogar noch größer, als ich sie in Erinnerung habe, und ihre tollen Beine kommen durch das kurze, hauchdünne schwarze Kleid, das sie mit einer Lederjacke kombiniert hat, besonders gut zur Geltung – ein bewusster Verstoß gegen Marians sommerlichen Dresscode. Sie trägt zwischen zehn und zwanzig zierliche Goldketten in verschiedenen Längen, die bis zum Spalt zwischen ihren Brüsten reichen, mit winzigen Anhängern wie einer Distel oder dem Umriss von Kalifornien. Ich bin enttäuscht über mich selbst, denn ich muss gestehen, ihr die Ketten am liebsten einzeln abnehmen zu wollen.
Sie mustert mich von oben bis unten. »Du siehst auch gut aus. Ich hätte gedacht, du würdest älter aussehen.«
Hm.
Ich versuche, nicht geknickt zu wirken.
Offenbar gelingt es mir nicht, denn sie schlägt eine manikürte Hand vor den Mund.
»Tut mir leid. Das kam falsch rüber. Ich meinte …«
»Du hast erwartet, dass ich so reif wirke, wie es meiner angeborenen Gravitas entspricht?«, sage ich, um sie zu retten, denn sie sieht aus, als würde sie am liebsten wegrennen und den Kopf in den Sand stecken.
Ich konnte es noch nie lassen, sie vor sich selbst zu retten.
Nicht, dass es jemals geklappt hätte.
»Nein, nur … Ich meine, ähm, du bist nicht gealtert. Oder, natürlich bist du gealtert, aber nicht so wie die anderen hier? Du siehst gut aus, irgendwie männlich? Gott, tut mir leid, entschuldige.«
Sie redet sich um Kopf und Kragen und ich habe Mitleid mit ihr.
»Das liegt am Botox«, scherze ich, »und ich habe einen tollen Chirurgen.« Es überrascht mich nicht, dass sie nicht lacht. Sie war schon immer sehr geizig mit ihrem Lachen. Wer sie zum Lachen bringen will, muss es sich verdienen.
Aber es ist extrem befriedigend, wenn man es schafft.
»Bitte, setz dich doch«, sage ich und deute mit ausladender, weltmännischer Geste auf den leeren Stuhl neben mir.
Er ist leer, weil ich niemanden mitgebracht habe. Genauer gesagt, hat meine Begleitung, mit der ich seit fast vier Monaten zusammen war, in letzter Minute abgesagt, indem sie am Abend vor unserem Flug per SMS mit mir Schluss gemacht hat.
Sie meinte – genau wie die letzten fünf oder sechs Frauen davor –, dass ihr alles zu schnell ginge. Dass ich mehr wolle, als sie zu geben bereit sei.
Vielleicht hat sie recht. Ich neige dazu, mich zu sehr in eine Beziehung hineinzustürzen, immer in der Hoffnung, dass wir uns ineinander verlieben. Warum soll man sich zurückhalten, wenn jede Frau die Richtige sein könnte? Ich suche nach der Frau fürs Leben, nach meiner Seelenverwandten, meiner Ehefrau.
Und ich bin sicher – absolut sicher –, dass ich ihr bald begegnen werde.
All das erwähne ich Molly gegenüber nicht.
»Wer sitzt noch hier?«, fragt sie und sieht sich am Tisch um.
»Marian«, sage ich mit heimlichem Vergnügen. Molly hat Marian immer verabscheut.
»Gott, sie sieht immer noch genauso aus«, sagt Molly. »Was macht sie so?«
Natürlich ist Molly über niemanden aus unserer Klasse auf dem Laufenden.
»Sie ist in der Werbung«, sage ich. »Spezialisiert auf Damenhygienemarken.«
Molly schnaubt. »Marian verkauft Tampons und so Scheiß?«
Ich schüttle den Kopf. »Keinen Scheiß. Nur Tampons.«
Diesmal lacht sie tatsächlich.
»Und wie geht es dir? Was machst du so?«, frage ich, obwohl ich genau weiß, was sie macht, denn sie ist, zumindest in unserem alten Freundeskreis, berühmt.
Sie schnappt sich eine der Parmesanstangen und bricht sie müßig in zwei Hälften.
Wenn ich mich nicht täusche, ist sie nervös.
Ich mache sie nervös.
Entzückend.
»Ich schreibe«, sagt sie vage.
»Oh, das ist ja toll. Was schreibst du denn?«
»Filme. Romantische Komödien.«
Sie sagt es höflich, wie jemand, der alle weiteren Fragen abblocken will. Das ist meine Chance, sie ein wenig zu quälen.
»Miss Molly McMarks«, sage ich, »du machst wohl Witze. Ausgerechnet du schreibst Schnulzen?«
»Schnulzen spielen am Eröffnungswochenende mehr als fünfzig Millionen Dollar ein«, sagt sie. »Oder jedenfalls taten sie das, bevor Superhelden die Herrschaft über die Kinokassen übernommen haben.«
»Ich liebe Superhelden«, sage ich. »Ohne dir zu nahe treten zu wollen.«
»Natürlich tust du das. Du hattest schon immer eine Schwäche für den simplen Kampf zwischen Gut und Böse.«
Das ist gemein, aber wahr, und ihre Gehässigkeit gefällt mir. Es erinnert mich an unsere Romanze. Wahre Liebe mit sechzehn prägt. Bis heute fühle ich mich hoffnungslos zu feindseligen Frauen hingezogen.
»Ich wusste, dass du im Grunde deines Herzens sentimental bist«, sage ich und das stimmt auch. Sie hat sich immer geweigert, mit mir ins Kino zu gehen, weil sie dabei weinen musste, und sie hat eine Phobie davor, in der Öffentlichkeit zu weinen.
»Es ist ein Job«, sagt sie und kippt die Hälfte eines Palm Bay Preptini runter.
»Vorsicht«, sage ich. »Da sind fünf Sorten Rum drin.«
Sie winkt einen Kellner heran und lässt sich zwei neue geben.
»Prost«, sagt sie und bietet mir einen an.
Ich nehme ihn und nippe daran. »Lecker.«
»Und was machst du so?«, fragt sie.
»Ich bin Anwalt. Partner in einer Kanzlei in Chicago.«
Ich gebe zu, dass ich das mit Stolz sage. Mit dreiundzwanzig habe ich mein Jurastudium abgeschlossen und bin mit achtundzwanzig Partner geworden, was in meiner Kanzlei noch nie vorgekommen ist.
»Anwalt für was?«, fragt sie.
Dieses Detail würde ich lieber für mich behalten. Ich weiß, es wird ihr nicht gefallen.
»Familienrecht«, sage ich, so vage wie möglich.
Molly starrt mich ungläubig an und es wirkt nicht gespielt. »Du bist Scheidungsanwalt?«
Sie hat eine tiefe Abscheu vor Scheidungsanwälten. Verständlicherweise.
Aber ich versuche, nicht wie diejenigen zu sein, die das Leben ihrer Mutter ruiniert haben, als wir noch Kinder waren. Ich bin stolz darauf, Paaren dabei zu helfen, sich auf menschenwürdige Weise zu trennen – oder besser noch, zu heilen.
»Nicht ganz«, sage ich schnell, »ich mache auch Eheverträge, Mediation …«
Ihre Lippen verziehen sich zu einem bedrohlichen Lächeln.
»Das ist lustig«, sagt sie, ohne jede Heiterkeit. »Du warst in der Schule immer so ein hoffnungsloser Romantiker.«
»Du musst es ja wissen«, sage ich.
Die Farbe weicht aus ihrem Gesicht.
Huch. Ich wollte ihr nicht direkt an die Gurgel gehen.
Ich wollte es genüsslich in die Länge ziehen.
Nichtsdestotrotz genieße ich ihr Unbehagen.
Bevor ich sie in weitere Erinnerungen daran verwickeln kann, was sie mir in unserer Jugend angetan hat, kommt Marian an den Tisch, flankiert von ihrem Ex-Freund Marcus, unserer französischen Austauschschülerin Georgette und Georgettes Begleitung, einem einschüchternd gut aussehenden Mann, der so gelangweilt dreinblickt, wie es nur ein Pariser auf einem Klassentreffen in Florida kann.
»Oh, seht euch zwei nur an!«, ruft Marian und mustert mich und Molly. »Als ob kein Tag vergangen wäre.« Sie dreht sich um und wendet sich an den Franzosen. »Die beiden waren mal so amoureux.«
Ich lege einen Arm um Mollys Schultern und drücke sie ganz fest an mich. »Sind sie immer noch.«
Molly schaudert unmerklich, was entweder Ekel sein könnte oder die kühle Meeresbrise auf ihren nackten Schultern oder eine Welle nostalgischer Lust auf mich.
Okay, wahrscheinlich nicht Letzteres.
»Ja, nein«, murmelt sie.
Der Franzose streckt Molly die Hand entgegen. »Ich bin Jean-Henri. Georgettes Mann.«
»Ich bin Molly«, erwidert sie und schüttelt ihm die Hand. »Das Klassenbiest.«
Molly
Es ist schwer, so zu tun, als würde es einem nichts ausmachen, jemanden wiederzusehen, den man zutiefst verletzt und bei dem man sich nie entschuldigt hat, wenn einem dabei die Hände zittern.
Ich halte sie unter den Tisch und hoffe, dass Seth es nicht bemerkt.
Dezzie hat mir versprochen, dass er nicht hier sein würde. Im Nachhinein betrachtet, ist Dezzie die Art von Mensch, die kein Problem damit hat, zu lügen, um dich dazu zu bringen, das zu tun, was ihrer Meinung nach gut für dich ist. Und sie glaubt, dass es gut für mich ist, mich meinen Ängsten zu stellen.
Aber Dezzie ist Konditorin, keine Therapeutin. Ihre psychologischen Interventionen sind selten von Erfolg gekrönt.
Seth tut inzwischen wieder so, als ob absolut nichts wäre. Als hätte ich nicht am Abend unserer Abschlussfeier nach vier Jahren Beziehung kaltherzig mit ihm Schluss gemacht. Als wäre es nicht die Nacht gewesen, in der wir unsere Unschuld verlieren wollten, in einer Hotelsuite, die er bereits mit Rosenblättern und vier verschiedenen Kondomsorten bestückt hatte, nur damit ich reinkomme, ihm das Herz breche und wieder gehe.
Als hätte sich das alles nicht in weniger als fünf Minuten abgespielt.
Wie ich ihn kenne – aber wer weiß, denn ich habe ihn vor fünfzehn Jahren geghostet und seitdem nicht mehr mit ihm gesprochen –, spielt er mit mir.
Aber das ist okay, sage ich mir und versuche, normal zu atmen. Er hat es sich verdient.
Ich bin erleichtert, als Seth mit Marian und Marcus in ein Gespräch über Chicago verfällt, wo Seth lebt. Dann kommen sie auf Marians Haus in Miami und Marcus’ in Atlanta zu sprechen, und auf ihre Jobs in der Werbung und im Sportmanagement.
Ich übe mein Französisch an Georgette, die jetzt in Paris lebt, Stylistin ist und Jakobsmuscheln genauso verabscheut wie ich.
»Tu es avec Seth?«, fragt sie mit leiser Stimme und nickt in seine Richtung.
»Non!«, stottere ich. »Ich bin mit Dezzie und ihrem Mann hier.«
»Ah«, haucht Georgette sehr französisch. »Tant pis.«
Es klingt fast ein bisschen enttäuscht.
Ich schüttle den Kopf. Georgette war nur in der elften Klasse an unserer Schule. Zweifellos weiß sie nichts von unserer schmutzigen Trennung.
»Erzähl mir«, sage ich zu ihrem Mann, »wie ihr euch kennengelernt habt.«
Bei einer Vernissage in einer Bar auf dem Dach des Centre Pompidou, bien sûr.
Gebannt lausche ich der glamourösen Geschichte ihrer Verlobung. In Wahrheit heuchle ich Interesse, damit ich mich von Seth wegdrehen kann – als wären Georgettes Worte ein Kraftfeld, das mich davor schützt, den Rest des Abends mit ihm reden zu müssen.
Doch dann steht Marian auf und greift nach einem Stapel Karten in der Mitte des Tisches.
»Zeit für unseren Eisbrecher!«, zwitschert sie.
»Fun!«, schwärmt Seth und macht daraus irgendwie ein zweisilbiges Wort.
Er scheint es ernst zu meinen.
Ich kann nicht glauben, dass wir mal zusammen waren.
Zugegeben, er war schon damals schön und sieht jetzt irgendwie noch besser aus – groß und schlaksig, mit glänzendem schwarzem Haar, dunklen Augen, die übermütig funkeln, und einer gekrümmten Nase, die ich nur als erotisch beschreiben kann.
Und dann war er damals noch in mich verknallt, statt befremdet oder verstört wie alle anderen Jungs an unserer Schule. Und ich war Wachs in seinen Händen, in den kostbaren Momenten, die wir allein waren.
Er ist immer noch der einzige Mensch, in den ich je verliebt war.
Ich hätte mich nicht neben ihn setzen sollen.
Die Pheromone des gegenseitigen Begrapschens auf dem Rücksitz durchdringen den Panzer meiner Angst und meine verzweifelten Versuche, mich auf Georgettes Anekdoten über Marion Cotillard zu konzentrieren. Seths Nähe lenkt mich ab, und ich bin hin- und hergerissen zwischen dem Drang, auf die Toilette zu gehen, um mich zu sammeln, und dem Drang, ihn zu packen und mit ihm unter dem Landungssteg zu verschwinden, wo wir immer rumgemacht haben.
Sex ist ein ausgezeichnetes Mittel gegen Panikattacken. Er holt dich in deinen Körper zurück, und es ist praktisch unmöglich, in eine Angstspirale zu geraten, solange jemand deine Brüste berührt. Dieses Phänomen ist verantwortlich für mindestens 70 Prozent meiner ansonsten unerklärlichen Ex-Freunde.
Seths Arm streift meinen, als er nach seinem Getränk greift, und ich spüre, wie seine Berührung irgendwo in der Nähe meiner Eierstöcke nachhallt. Zum ersten Mal an diesem Abend entspannen sich meine Schultern.
Ich werfe ihm einen flüchtigen Blick zu, um zu sehen, ob er ebenfalls einen Anflug von Lust verspürt.
Stattdessen ist er ganz auf Marian konzentriert.
»Erste Frage!«, sagt Marian und winkt mit der Karte. »Was ist deine schönste Erinnerung an die Highschool?«
O Gott!
Marcus hebt die Hand. »Das ist einfach. Ich war Ballkönig neben diesem wunderschönen Mädchen.«
Marian errötet und nimmt Marcus’ Hand. Er sieht ihr in die Augen, Staunen im Blick, und man kann die Hitze zwischen ihnen spüren.
»Das war auch mein Lieblingsabend«, schnurrt Marian.
Ich fange zufällig Seths Blick auf. Ich frage mich, ob er sich auch gerade daran erinnert, wie ich ihn überredet habe, den Abschlussball ausfallen zu lassen und stattdessen einen Strandspaziergang zu machen. Dass die Nacht genauso war wie diese – warm und fast ein bisschen klebrig, erleuchtet vom Vollmond. Dass wir in unseren Klamotten ins Meer gesprungen und völlig überdreht auf der Party danach aufgetaucht sind, ich in klatschnassen Pailletten, er im triefenden Smoking.
Wir schauen beide weg.
Georgette ergreift das Wort und erinnert sich, wie wir auf einer Klassenfahrt nach Costa Rica tauchen waren, und dann bin ich dran.
Ich schweige.
Die Wahrheit ist, dass meine schönsten Erinnerungen an die Highschool alle mit Seth zu tun haben. Aber das werde ich bestimmt nicht zugeben. Also krame ich die erste harmlose Sache hervor, die mir in den Sinn kommt.
»Ich werde mich immer erinnern, wie Dezzie, Alyssa und ich uns nachts weggeschlichen haben, um in eine echte Country-Western-Bar zu fahren, von der wir gehört hatten, irgendwo im Osten auf dem Land. Wir haben das Cabrio von Dezzies Mutter geklaut und sind etwa eine Stunde lang über dunkle, staubige Straßen gefahren, mit Patsy Cline bei voller Lautstärke. Niemand wollte unseren Ausweis sehen, und wir haben bis zwei Uhr morgens mit irgendwelchen alten Cowboys getanzt. Es war unglaublich.«
Was ich nicht erwähne, ist, dass ich mir die ganze Nacht gewünscht habe, Seth wäre da. Dass Dezzie und Alyssa total genervt waren, weil ich ihn ständig anrief, damit er sich übers Handy die Band anhören kann.
»Das ist so süß«, sagt Marian und strahlt mich an.
»Das ist es wirklich«, sagt Seth. »Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen.«
Seth hatte sich wirklich gewünscht, er wäre dabei gewesen. Er war traurig, dass ich ihn nicht eingeladen hatte mitzukommen. Er liebt – beziehungsweise liebte – Country-Musik. Und Tanzen. Er ist einer von denen.
Als ich ein paar Monate später anlässlich seines Geburtstags mit ihm hinfahren wollte, um es wiedergutzumachen, hatte die Bar dichtgemacht.
Das könnte eine Metapher für unsere damalige Dynamik sein: Er, voller Sehnsucht nach mehr. Ich, immer nur eine Geste entfernt von der Hingabe, mit der er mich überschüttete. Er hatte unbegrenzte Kapazitäten für Zuneigung. Und ich hatte bereits den Abwehrmechanismus entwickelt, der mich instinktiv zurückschrecken lässt, wenn sich jemand nach meiner Liebe sehnt.
»Du bist dran, Rubes«, sagt Marcus.
Seth lehnt sich zurück und legt lässig den Arm um meine Schultern.
»Es war der Tag, an dem sie hier sich herabgelassen hat, mit mir auszugehen«, sagt er.
Er spielt eindeutig mit mir.
»In der neunten Klasse waren wir bei einem Debattierwettbewerb in Raleigh«, fährt er fort und mustert mich mit spöttischer Zärtlichkeit. »Marks hat natürlich gewonnen. Danach landeten ein paar von uns im Hotelzimmer von Chaz Logan, und wir sprachen über den Obersten Gerichtshof, denn wir waren eingebildete kleine Arschlöcher. Molly schwang sich zu einer sehr eloquenten Rede auf, in der sie die Auslegung der Verfassung gegenüber dem strengen Konstruktivismus verteidigte, und sie war so klug und sah so hübsch aus – ich dachte, mir schmilzt das Herz aus der Brust. Als Chaz uns rausgeschmissen hat, weil er schlafen wollte, habe ich sie gefragt, ob sie mit mir am Pool noch weiterreden will. Wir ließen unsere Füße ins Wasser hängen, und ich sagte ihr, dass ich während ihrer perfekten Rede nur daran gedacht hatte, wie sehr ich sie küssen wollte.«
Alle am Tisch sehen uns an, als wären wir in einem kitschigen Liebesfilm. Am liebsten würde ich aufspringen und ins Meer rennen, denn von einem Hai gefressen zu werden, wäre immer noch besser als die Kombination aus Scham und Verlegenheit, an der ich gerade ersticke.
Seth kichert, als würde er diese Geschichte beim Probeessen für unsere Hochzeit erzählen. »Und weißt du noch, was du gesagt hast, Molls?«, fragt er und sieht mir demonstrativ in die Augen.
Alle warten, lächelnd.
Ich räuspere mich und hoffe, dass ich die Worte herausbekomme.
»Ich habe dich gefragt, worauf du wartest.«
Seth
Molly leidet.
Ich gebe zu, es war meine Absicht, sie leiden zu lassen, aber jetzt tut sie mir ein bisschen leid.
Ich nehme an, jeder am Tisch weiß, wie es zwischen uns zu Ende ging.
Dass sie mich blockiert und sich in der Skihütte ihres Vaters in Vail verkrochen hat, während ich sechs Wochen durchheulte und zwanzig Pfund abnahm.
Dass sie nicht auf meine E-Mails antwortete.
Dass sie in den Semesterferien all unsere alten Treffpunkte mied.
Dass sie mir im Grunde das Herz gebrochen und es dann zur Sicherheit in einen Mülleimer in irgendeinem Park gestopft hat.
Mit dreiunddreißig sollte ich darüber hinweg sein.
Und das bin ich auch!
Zumindest dachte ich, ich wäre es. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, Molly jemals wiederzusehen. Sie kommt nie zu diesen Veranstaltungen.
Marian, die ein Schatz ist, weint: »Das ist so süß! Ihr zwei wart hinreißend.«
»Nicht so hinreißend wie ihr beide«, erwidere ich lächelnd.
Marcus schlingt einen seiner muskulösen Ex-Quarterback-Arme um Marian. »Wollen wir vor der Vorspeise noch ein Tänzchen wagen, schöne Frau?«, fragt er.
Ich frage mich, ob sie ihre Liebe heute Abend wieder aufleben lassen.
Ich hoffe es.
Sie sind beide Single. Keiner von ihnen kann die Finger vom anderen lassen. Wenn ich wetten müsste, wer aus unserer Klasse eines Tages zusammenkommt, dann wären es diese beiden.
Georgette und der Franzose entschuldigen sich ebenfalls und lassen Molly und mich allein, sodass wir in unseren Jakobsmuscheln stochern, auf der Suche nach einem neutralen Gesprächsthema.
Ich würde sie ja zum Tanzen auffordern, aber ich besitze noch einen Rest Würde, und die Stimmung ist ein bisschen angespannt, seit ich das Unaussprechliche ausgesprochen habe. Vor allem, weil ich nicht aufhören kann, ihr Haar anzustarren, das ihr über die Schultern fällt.
Ich muss weg von ihr.
»Ich geh mal Jon Hallo sagen«, sage ich und stehe auf. Jon ist einer meiner besten Freunde von damals und wir haben die ganze letzte Nacht mit seinem Freund Alastair und unserem anderen besten Freund Kevin abgehangen. Es gibt also keinen dringenden Grund, ihn zu begrüßen, außer den, Molly nicht merken zu lassen, dass ich immer noch, wider besseres Wissen, in sie verknallt zu sein scheine.
Ich dachte, sie wäre erleichtert, dass ich mich verziehe, stattdessen packt sie mich am Ärmel.
»Hey«, sagt sie. »Bevor du gehst, wollte ich noch … Ich wollte dir noch sagen, dass es mir leidtut.«
Jegliche Erregung verlässt meinen Körper. Ich fühle mich unbehaglich. Freundlichkeit heucheln, während ich innerlich koche, verleiht mir ein Gefühl der Macht. Nach ihrer Entschuldigung fühle ich mich wie ein Opfer. Wie der armselige Junge, dem das Herz gebrochen wurde.
»Was denn?«, frage ich und bemühe mich, nicht verletzlich zu wirken.
»Du weißt schon, wie es geendet hat. Dass ich einfach verschwunden bin.«
Das gefällt mir gar nicht. Ich wollte kein Mitleid. Ich wollte sie blamieren. Das ist nicht dasselbe.
Und wie sie das sagt, sieht sie genauso aus wie damals, wenn wir allein waren und sie ihre coole Masche ablegte.
Es nervt mich, wie sehr mich das immer noch berührt.
Ich zucke die Schultern. »Das ist fünfzehn Jahre her, Süße. Mach dir keine Sorgen.«
Sie schüttelt den Kopf. »Das war scheiße von mir. Ich fühle mich immer noch schrecklich deswegen. Und ich habe gehört, dass es dir … eine Weile nicht gut ging.«
Ich lehne mich zurück und strecke die Beine aus. Ich schätze, wir reden darüber.
»Ich war kurz ziemlich fertig deswegen.« Ich erspare ihr die Einzelheiten.
Sie nickt und weicht meinem Blick aus. »Du glaubst mir vielleicht nicht, aber ich auch.«
Sie hat recht. Ich glaube ihr nicht.
»Ich habe irgendwie angenommen, dass du wenigstens mal anrufst«, kann ich mir nicht verkneifen zu sagen, wahrscheinlich weil ich schon vier Drinks intus habe. »Oder schreibst. Oder zumindest eine Brieftaube schickst, damit ich weiß, dass du noch lebst.«
Sie nimmt ihre Parmesanstange und beginnt, sie in Viertel zu brechen. Es schmerzt mich. Sie verschwendet gute gesättigte Fettsäuren.
»Ja«, sagt sie. »Das hätte ein normaler Mensch getan. Ich kann es nicht wirklich erklären. Ich war ein Arschloch.«
Ich glaube nicht, dass sie keine bessere Erklärung hat als diese. Die Wahrheit ist, dass sie trotz ihres Benehmens nie ein Arschloch war. Sie war sensibel und hat es mit Zynismus überspielt. Wenn sie ihre Deckung fallen ließ, war sie so unglaublich liebenswert.
»Ich glaube, das ist nicht wahr«, sage ich.
Ich erwarte, dass sie protestiert, aber sie denkt kurz darüber nach.
»Ich glaube, ich hatte Angst. Unsere Unis waren zwei Flugstunden voneinander entfernt, und ich dachte, du würdest am Ende mit mir Schluss machen, und damit konnte ich nicht umgehen. Also hab ich’s einfach beendet, bevor es noch intensiver werden konnte.«
Das ist eine vernünftige Erklärung. Besser als dass ich ihr irgendetwas Schreckliches angetan habe, von dem ich nichts weiß, oder dass sie mich nicht wirklich geliebt hat, oder eines der anderen schmerzhaften Szenarien, über die ich im Laufe der Jahre nachgegrübelt habe.
Aber es scheint auch etwas zu sein, das sie mir damals einfach hätte sagen können. Eine Sorge, die ich hätte wegküssen können, wie so viele andere ihrer Ängste.
Egal. Ich bin nicht hier, um eine rückwirkende Paartherapie mit Molly Marks zu machen.
Ich bin hier, um mich zu betrinken und vielleicht mit einem süßen Mädchen aus dem Tennisteam rumzumachen.
Ich muss das Thema wechseln.
»Hör zu, Molls, mach dir keine Sorgen, okay? Das ist Schnee von gestern. Sieh dir lieber Marian und Marcus an. Ich glaube, sie sind verliebt.«
»Wow«, sagt sie und starrt auf die Tanzfläche, wo die beiden so eng tanzen, als wären sie zu einer Person verschmolzen.
In meiner Eigenschaft als Beziehungsexperte kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass man nur so zu Cheeseburger inParadise tanzt, wenn man seelenverwandt ist.
»Ich habe immer gedacht, dass sie zusammenkommen«, sage ich.
»Heute Abend sieht es jedenfalls danach aus. Hoffentlich schaffen sie es noch aufs Hotelzimmer.«
»Nein, ich meine, ich dachte, sie würden am Ende heiraten oder so. Sieh sie dir an. Glaubst du wirklich nicht, dass sie seelenverwandt sind?«
»Ich glaube nicht an Seelenverwandtschaft.«
Das verwirrt mich. Ihre Filme sind romantisch und lebensbejahend, und immer findet irgendein komischer Kauz jemanden, der genauso kauzig ist und perfekt zu ihm passt. Ich liebe ihre Filme. Sie sind witzig, süß und optimistisch, aber mit einem gewissen Unterton, der die verschrobene Sensibilität der Person erahnen lässt, die sie geschrieben hat.
(Nicht, dass es etwas zu bedeuten hätte, dass ich beide mindestens dreimal gesehen habe.)
Ich möchte nicht durchblicken lassen, wie vertraut ich mit ihrer IMDb-Seite bin, also sage ich nur:
»Was? Du schreibst Liebeskomödien und glaubst nicht an Seelenverwandtschaft? Gibt’s ja nicht.«
»Gibt’s nicht.« Sie lehnt sich zurück. »Genau. Romantik gehört ins Reich der Fantasie. Das hier« – sie deutet auf Marian und Marcus – »ist leider das echte Leben. Und im echten Leben gibt es nur selten Happy Ends.«
Ich verkneife mir den Hinweis, dass sie nur so denkt, weil sie unseres in einem prägenden Alter zerstört hat.
»Das ist ziemlich zynisch, Süße«, sage ich.
»Ich halte mich nur an die Fakten. Ich bin schließlich Expertin, oder? Romanzen sind ein Genre. Sie haben einen gewissen Rhythmus, so wie Thriller oder Krimis. Es beginnt mit der ersten Begegnung und endet, wenn die beiden zusammenkommen. Und als Autor drückst du an der Stelle für immer auf Pause, lässt die Geschichte in der Schwebe. Man sieht nicht, wie er sie betrügt oder sie sich entliebt oder ihre Kinder ihr Sexleben zerstören oder wie sie bei einem Schnorchelunfall in den Flitterwochen sterben. Verstehst du? Es ist eine Fantasie. Nur eine blöde Liebesgeschichte.«
»Gott, ist das deprimierend.«
»Sagt der Typ, der beruflich Beziehungen zerstört.«
»Äh, Verzeihung. Ich habe zwar viele Scheidungen, aber auch viele Versöhnungen in letzter Minute erlebt, und dass eine Beziehung zerbricht, bedeutet nicht, dass die Liebe dahinter nicht echt war. Manchmal funktioniert es einfach nicht. Inzwischen kann ich erkennen, wer sich versöhnen wird und wer die wahre Liebe erst noch suchen muss. Jeder ist dazu bestimmt, seinen Menschen zu finden. Jeder sollte eine Liebe seines Lebens haben.«
»Das ist süß«, sagt Molly auf freundliche Weise verächtlich und setzt der alles verzehrenden Intensität unserer Unterhaltung ein Ende, statt auf mein brillantes Argument einzugehen. Ich nehme es ihr nicht übel, denn wenn ich mich so mit ihr unterhalte – als wären wir allein und unsere beiden Gehirne das Einzige, was auf dieser Welt existiert –, werde ich ganz wehmütig nach der Zeit, als wir sechzehn und voneinander besessen waren.
Ich verdrehe die Augen. »Sei nicht so herablassend, Marks.«
»Bin ich nicht. Es ist schön, dass du so denkst. Ich weiß nur, dass du dich irrst.«
»Wer hat dich so verletzt?«, frage ich. Ich scherze nur, aber sie zuckt zusammen.
Weil es jemand getan hat.
Ich hätte das nicht sagen sollen.
»Sagen wir einfach, ich bin nicht dafür gemacht, jemandes Seelenverwandte zu sein«, sagt sie.
Diese Worte machen mich traurig.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Jedenfalls war sie nicht dafür geschaffen, meine zu sein.
Molly
Verdammt noch mal, Molly.
Es ist eine Sache, mir selbst meine Schwächen brutal ehrlich einzugestehen. Aber ich versuche, nicht damit hausieren zu gehen.
Auf Klassentreffen.
Vor einem Ex-Freund, der mich hasst.
Noch dazu weiß Seth, dass ich recht habe. Er bemitleidet mich deshalb. Ich kann es ihm ansehen.
»Klingt, als wärst du ziemlich hart zu dir selbst, Molls«, sagt er leise.
Aber ich bin nicht hart zu mir selbst. Ich bin hart zu den Menschen, die den Fehler machen, mich lieben zu wollen. Denn ich weiß leider, wie das endet.
»Marks!«, schreit jemand vom anderen Ende des Raumes.
Es ist Alyssa. Dem Universum sei Dank.
»Ich geh nur mal schnell Hallo sagen«, sage ich zu Seth, aber er winkt schon ab, als wären wir nicht gerade ineinander vertieft gewesen. Als würde es nicht gerade um etwas sehr viel Persönlicheres gehen als den Quatsch, der in Liebesfilmen verzapft wird.
»Jon, Kevin und ich haben eine Verabredung mit teuren Schalentieren«, sagt er und deutet auf seine beiden besten Freunde aus Kindertagen, die für Hummerbrötchen anstehen.
Er winkt ihnen zu. Kevin verdreht die Augen, als er mich neben Seth sieht.
Ich kann gar nicht schnell genug aufstehen.
Ich bahne mir einen Weg durch die Menge zur Bar, wo Alyssa bereits ein San Pellegrino auf Eis mit fünf Limetten bestellt. Ihre Dreads stapeln sich auf ihrem Kopf und fügen ihren eins achtundsiebzig weitere fünfzehn Zentimeter hinzu. Sie trägt ein bodenlanges ringelblumengelbes Wickelkleid, das die goldenen Untertöne ihrer dunkelbraunen Haut betont und ihren Babybauch zur Geltung bringt.
»Sieh dich an«, kreische ich. Ich habe sie, seit sie wieder schwanger ist, nicht mehr gesehen.
Sie legt sich eine Hand auf den Bauch. »Ich weiß. Egal was passiert, lass nicht zu, dass es auf der Tanzfläche zur Welt kommt.«
»Ich weiß nicht. Ich könnte die Szene für ein Drehbuch verwenden.«
»Wie geht’s dir?«, fragt sie mit leiser Stimme.
Ein Typ, mit dem sie in der zehnten Klasse zehn Minuten zusammen war, kommt vorbei und gibt ihr Fünf. »Los, Flamingos!«, schreit er.
Alyssa war unser Leichtathletikstar. Der ganze Stolz unseres Jahrgangs.
»Ich verliere noch den Verstand«, sage ich. »Hast du gesehen, wer neben mir sitzt?«
Sie grinst. »Ja.«
»Ich sterbe.«
»Für mich siehst du noch ganz munter aus.«
»Tja, rate mal, was ich tun werde?«, sage ich und winke dem Barkeeper. »Ich werde mich besinnungslos betrinken.«
Es fällt mir nicht schwer, dieses Versprechen einzulösen. Es wimmelt von Kellnern, die Champagner herumreichen und im Laufe des Abends auch Tabletts mit Espresso-Martinis namens – wie sollte es anders sein – Flamingo.
Den Hauptgang überspringe ich praktischerweise, damit in meinem Bauch mehr Platz für Alkohol ist, und vor allem, um Seth aus dem Weg zu gehen. Ich beobachte ihn aus dem Augenwinkel, wie er in der Menge badet, fast jeden umarmt, der ihm über den Weg läuft, Nummern in sein Telefon eingibt und Leute auf die Tanzfläche zieht.
Er ist so offensichtlich glücklich, dass er scheinbar im Alleingang bei allen im Zelt den Serotoninspiegel anhebt.
Außer bei mir.
»Hey!«, sagt Dezzie und kommt zu mir und Alyssa rüber, die sich zu meiner Anstandsdame für den Abend ernannt hat.
Eigentlich bin ich gar nicht so betrunken, dass ich die Aufsicht eines Erwachsenen brauche. Mein nervöses Adrenalin ist stärker als der Alkohol. Ich fühle mich, als wäre ich auf illegalen Aufputschmitteln, oder zumindest verschreibungspflichtigen Betäubungsmitteln.
»Kommt und tanzt mit mir, Mädels«, sagt Dezzie und streckt jeder von uns eine Hand entgegen.
»Ich bin zu schwanger zum Tanzen«, protestiert Alyssa. »Meine Knöchel sind wie Wassermelonen. Und ich muss Ryland anrufen.«
Alyssas Mann schwänzt das Klassentreffen, um auf die beiden Kinder aufzupassen.
Der glückliche Ryland.
»Ich kann nicht tanzen«, sage ich. »Ich kann einfach nicht. Sieh doch hin« – ich zeige auf die Tanzfläche – »da ist Seth.«
»Sie haben ein paar Worte gewechselt, und jetzt ist sie ein Wrack«, fasst Alyssa in meinem Namen zusammen.
»Ein Wrack«, wiederhole ich mit Nachdruck, denn ich habe so viel Alkohol getrunken, dass ich jedes Gefühl für Verhältnismäßigkeit verloren habe.
»Tanzen hilft, Schatz«, sagt Dez und packt mich am Arm.
Der DJ spielt Hits aus unserer Jugend, und es fällt mir schwer, bei Baby Got Back nicht auf die Tanzfläche zu stürmen, obwohl der Song inzwischen vermutlich gecancelt ist. Dez wirft die Arme in die Luft, und ehe ich michs versehe, tanze ich. Und wenn ich wild genug tanze und die Augen fest genug schließe, kann ich Seth Rubenstein ausblenden.
Ein langsames Lied ertönt und Rob taucht auf. »Darf ich sie dir wegnehmen?«, fragt er Dezzie und nimmt meine Hand.
Dezzie schubst mich in die Arme ihres Mannes und schnappt sich Alyssa.
»Komm schon«, drängelt sie. »Für Stehblues bist du nicht zu schwanger.«
Ich lege meine Hände auf Robs Schultern.
»Amüsierst du dich?«, frage ich über Céline Dion hinweg.
»Blendend«, sagt Rob. Er ist schon betrunken, taumelt ständig und bringt mich aus dem Gleichgewicht, aber er ist ein ansteckend fröhlicher Betrunkener.
»Echt jetzt?«, frage ich über die Musik hinweg.
»Ja! Ich liebe deine Freunde. Wusstest du, dass Chaz ein professioneller Comedian ist? Er will mir Freikarten besorgen, wenn er das nächste Mal in Chicago auftritt.«
»Du Glückspilz.«
»Und dieser Hedgefonds-Typ an unserem Tisch hat mir erzählt, dass er früher heimlich in Dezzie verliebt war und nur zu schüchtern, sie anzusprechen. Ist das nicht süß?«
»Ja! Sie sollte dich für ihn verlassen. Er könnte ihr eine Insel kaufen.«
»Ich weiß! Das habe ich auch gesagt. Oh, und ich habe diese Lesben kennengelernt, die in der Nähe von dir in L. A. leben.«
»Gloria und Emily?«
»Ja. Und weißt du was? Sie entwerfen Filmsets.«
»Äh, ja. Ich weiß? Weil wir Nachbarn sind? Wie du gerade gesagt hast?«
»Und ich liebe Seth«, schreit er, als das Lied abrupt endet.
»Halt die Klappe«, zische ich.
»Wieso?«, fragt er mit gespielter Unschuld. »Er wohnt in Chicago. Wir gehen ein Bier trinken, wenn wir zurück sind.«
»Du weißt, dass er mein Ex ist.«
»Jo. Umso besser.«
»Verräter.«
Der DJ tippt aufs Mikro. »Und jetzt ein Wunsch, gewidmet der bezaubernden Molly Marks«, sagt er mit dieser albernen Stimme, die alle DJs zu haben scheinen.
»Oooh«, raunt die Menge, dabei weiß jeder hier, dass ich jede Art von Aufmerksamkeit hasse, besonders wenn sie mit Tanzen zu tun hat.
»Molls«, lallt Rob. »Du musst einen Verehrer haben.«
Die eingängige Anfangssequenz von It’s Gonna Be Me von NSYNC dröhnt aus den Lautsprechern.
Ich sehe zu Dez und Alyssa, die sich kaputtlachen.
»Seid ihr das gewesen?«, rufe ich über die Musik hinweg.
Sie schütteln unschuldig den Kopf. Alyssa bedeutet mir, mich umzudrehen.
Hinter mir steht Seth und singt tonlos mit.
Er geht auf ein Knie. »Darf ich um diesen Tanz bitten, Mylady?«
»Das hast du nicht getan.«
Er lächelt selbstzufrieden. »Ich musste es tun. Ich musste.«
Es war das Gegenteil von unserem Lied. Ich hasste es so sehr, dass Seth es im Auto laut aufdrehte, um mich zu ärgern, wenn ich zickig war. Ich hasste es so sehr, dass er mich dazu tanzen ließ, wenn ich traurig war, um meine Traurigkeit in Wut zu verwandeln. Ich hasste es so sehr, dass er es mir jedes Mal beim Karaoke als Ständchen brachte, eine Art perverses Paarungsritual.
Sie wissen schon. Was ein Freund so macht.
Seth nimmt meine Hand. »Komm schon, Marks. Du musst mit mir tanzen. Das ist Tradition.«
Mir bleibt keine Wahl.
Er fasst mich um die Taille und zieht mich an sich.
»It’s Gonna Be Me«, brüllt er mir ins Ohr.
Seth
Ich bin endlich, endlich drüber weg.
Nach fünfzehn Jahren unterschwelligen Grolls gegen Molly Marks habe ich meinen Frieden gefunden. Ich fühle mich leicht wie eine Feder, auch wenn ich mir ein wenig töricht vorkomme, weil ich so lange verbittert war. Aber ich vergebe mir.
Immerhin war Molly meine erste große Liebe, und sie hat sich entschuldigt, wenn auch mehr schlecht als recht, und ich werde sie nach heute Abend wahrscheinlich nie wiedersehen, und ich möchte mit ihr tanzen, um der alten Zeiten willen. Zu ihrem Lieblingslied.
Okay, vielleicht will ich sie auch ein kleines bisschen quälen.
Chronisch mürrische Menschen muss man manchmal quälen. Man sollte es nicht meinen, aber es muntert sie auf.
Außerdem hatte ich sehr viele Flamingos und bin voll auf Koffein.
»Das ist grausam«, schreit Molly mir ins Ohr.
»Nee«, kontere ich. »Das ist lustig.«
Ich packe ihre Hüften – unschuldig genug, was den Abstand angeht, aber mit der rhythmischen Bewegung eines notgeilen Teenagers.
Hauptsächlich, um sie zu ärgern, aber auch, weil, nun ja. Sie ist verdammt heiß.
»Komm schon, Süße, schwing die Hüften!«, schreie ich und rüttle rhythmisch an ihren Schultern.
»Ekelhaft«, schreit sie zurück. Aber sie gehorcht.
Unsere Körper berühren sich.
»Tu es für Justin«, flüstere ich ihr ins Ohr, lege meine Hand an ihren Rücken und wirble uns herum.
»Welcher Justin?«
»Timberlake, Baby.«
Sie kichert, und ich weiß, dass ich gewonnen habe.
Sie ist immer noch dieselbe wie damals. Und ich habe sie schon damals intuitiv verstanden. Wir waren auf derselben Wellenlänge – nicht nur sexuell, sondern auch auf freundschaftlicher Ebene, und oft haben wir uns stundenlang verquatscht.
Trotz meiner langen Reihe von Freundinnen hatte ich schon lange keine solche Verbindung mehr zu jemandem.
In gewisser Weise vermisse ich sie immer noch. Meine Molls. Meine Miss Molly. Meine Marky Marks.
»Molls«, sage ich und ziehe sie ein wenig näher.
»Bla?« (Vielleicht hat sie auch Ja gesagt, aber NSYNC ist sehr laut.)
»Tut mir leid, wenn ich vorhin anstrengend war. Ich hoffe, ich habe dir nicht den Abend versaut.«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich habe es verdient«, schreit sie.
Ich widerspreche nicht.
»Es ist schön, dich zu sehen«, rufe ich zurück.
»Ja, oder?«, lese ich von ihren Lippen. Ich kann sie nicht hören. Aber das ist egal.
Jetzt, wo wir reinen Tisch gemacht haben, will ich tanzen.
Ich singe Molly leidenschaftlich an, während sie sich lachend wegdreht. Ich wirble sie ein paar Mal herum, asynchron zur Musik – nur so zum Spaß.
Am Ende des Songs singt sie mit. Wir sehen uns in die Augen und unsere Hüften – darf ich das sagen? – reiben sich aneinander.
Als Shake Ya Ass ertönt, versucht sie nicht einmal zu fliehen. Stattdessen fängt sie an, mit dem Hintern zu wackeln.
Passiert das gerade wirklich? Reibt sie ihren Arsch an meinem Schritt und wirft mir ihre extrem langen, erotischen Haare ins Gesicht?
Das tut sie, Euer Ehren. Das tut sie!
Als das Lied endet, sind wir erschöpft, also lege ich meinen Arm um ihre Schultern und führe sie von der Tanzfläche. »Lass uns was trinken«, sage ich. »Mein letzter Flamingo ist mindestens zwanzig Minuten her.«
Wir halten einen Kellner an und besorgen uns eine weitere Runde tödlichen, koffeinhaltigen Alkohol.
»Lass uns am Strand spazieren gehen«, schlage ich vor.
Keine Frage, ich fordere mein Glück heraus. Ich mache mich darauf gefasst, dass sie das Weite sucht und sich bei Alyssa ausheult, weil sie meine Gesellschaft aus Versehen genossen hat.
Aber sie nickt. »Gute Idee«, sagt sie. »Es ist so eine laue Nacht.«
Kevin sieht mich von der anderen Seite des Raumes an und kneift missbilligend die Augen zusammen wie ein englisches Kindermädchen, das ihren Zögling beim Kuchenessen erwischt. Er ist mit Molly befreundet – sie waren in New York zusammen auf dem College –, aber er macht sich Sorgen um mich.
Das ist nett von ihm, aber ich will jetzt keinen Helden; ich will diese Frau küssen, die meine Hand nimmt und mich in Richtung Ozean zieht. »Komm schon. Ich brauche Luft«, flüstert sie.
Ich hoffe, sie meint damit: »Ich brauche dich.«
Wir schlendern Hand in Hand den Strand hinunter bis zum Landungssteg.
»Weißt du noch, wie wir hier immer rumgemacht haben?«, fragt Molly.
Ich bleibe cool.
»Ja, klar. Leider haben die Touristen den Strand entdeckt. Heutzutage braucht man aus der Stadt anderthalb Stunden hierher, bei dem Verkehr.«
»Ich weiß. Meine Mutter will immer herkommen, wenn ich zu Besuch bin, aber das nervt.«
»Kommst du oft her?«, frage ich.
Ich ja, aber ich habe Molly noch nie getroffen.
»Nach Möglichkeit nur einmal im Jahr«, sagt sie. »Ich bin Weihnachten hier und am 4. Juli kommt meine Mutter nach L. A.«