Kalorien in der Pfeife - Metaré Hauptvogel - E-Book

Kalorien in der Pfeife E-Book

Metaré Hauptvogel

5,0

Beschreibung

Wer sind die natürlichen Feinde einer essfreudigen und naschlustigen Frau? Richtig – Waage und Diät. Und eine Diät kommt selten allein. Stella Dodihn ist Galeristin. Seit sieben Jahren betreibt sie sehr erfolgreich ihre Galerie „Sternenhimmel“. Sie ist agil, geistig wendig, kreativ, begeisterungsfähig, freundlich und besitzt viele Interessen und Fähigkeiten und vor allem ein großes Herz für die unterschiedlichsten Menschen. Sehr zu ihrem Leidwesen hat sie einige Pfunde zu viel auf den Hüften und purzelt mit ihrer Freundin Maxi, ihrer Freundin seit Kindertagen, von einer Diät in die nächste. Die dritte im Bunde, Marga, Mode-Einkäuferin für eine Boutiquenkette, ist von Natur aus spargelschlank und braucht keine Diät. Auch in Stellas Liebesleben geht es turbulent zu. Und Stella ist gerade wieder dabei, eine Vernissage in ihrer Galerie zu organisieren. Zu den geladenen Gästen gehören auch zwei Galeristen aus London. Leider scheinen die nichts Gutes im Schilde zu führen. Im Jahre 1995 kann man nicht mal so eben in Google oder facebook nachschauen, wer wann was mit wem gemacht oder unterlassen hat. So beginnen umfangreiche Recherchen… Kalorien in der Pfeife – ein temporeicher Roman um Kalorien und Hüftgold, Kunst und Liebe. Und eine Hommage an die Leichtigkeit und Fröhlichkeit der 90er Jahre.

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Kalorien in der Pfeife – ein temporeicher Roman um Kalorien und Hüftgold, Kunst und Liebe. Und eine Hommage an die Leichtigkeit und Fröhlichkeit der 90er Jahre.

Metaré Hauptvogel ist Diplom-Produktdesignerin und seit 1984 in der gestalterischen Planung mit Architekten, GaLa-Bauern und Möbelherstellern tätig. 1996 betrat sie den „Weg des Feng Shui“ und seit 2003 begleitet Reiki ihr Leben und Arbeiten. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie die Heilerpraxis SonnenGeflecht in Nidda.

Weitere Schwerpunkte ihrer Tätigkeiten bilden die Malerei und das Schreiben. Die Personen in der Geschichte sind zwar frei erfunden, aber auf ihrem Schreibtisch werden sie lebendig, entwickeln ihre Eigenheiten und freuen sich darüber, dass sie ihre Spuren hinterlassen dürfen.

Für mich.

Und für alle Mondfrauen,

die mit uns gehen durch dick und dünn und dick und dünn...

Die Geschichte entstammt den unendlichen

Weiten meines Phantasieuniversums.

Begebenheiten, Orte und Personen

sind von A bis Ω erfunden.

Eventuelle Ähnlichkeiten mit was

oder wem auch immer, wären also total zufällig

und in keinster Weise beabsichtigt.

Ausnahmen:

Ort: das Baumhotel „Garten der Bäume“

ist angelehnt an das tatsächlich bestehende

Baumhaushotel auf der „Kulturinsel Einsiedel“

in der Nähe von Görlitz an der polnischen Grenze.

Zu finden über: www.kulturinsel.com

und: die dänische Insel Fanø

Person: Hans-Peter Berti,

Meisterkoch, Buchautor von „So kocht das Leben“

und Chef des traumhaften Feng-Shui-Hotels

und Restaurants „Unterberger Wirt“

in Dorfgastein im Gasteiner Tal in Österreich.

Zu finden über: www.unterbergerwirt.com

Zeit + Ort:

25. September – 31. Dezember 1995 in einer kleinen Stadt am Rhein in der Nähe von Bonn

Personen:

Stella Dodihn

30 Jahre, 159 cm, „pfundig“, dunkle Augen, kupferfarbener Pagenkopf, etwas mehr als kinnlang, bevorzugt sportlich-elegante Mode, Inhaberin der Galerie „Sternenhimmel“, räuspert sich oft in Verlegenheit und knibbelt dann auch an ihrem Ohrläppchen; ist total verliebt in Claus Merzinger, findet aber erst auf Umwegen zu ihm

Maximiliane Jankus

30 Jahre, 168 cm, „pfundig“, honigblond, erst schulterlange Haare, dann kurzer Wuschelkopf, bunte Augen, diätenfreudig, lebensfroh, Freie Werbetexterin, intoniert häufig Reklame-Musik; reich und „glücklich“ geschieden, hat sehr oft noch engen Kontakt mit ihrem Ex-Mann Benedikt

Marga Bitters

31 Jahre, 178 cm, spargelschlank, körperbewusst, kurzer, perfekter Pagenschnitt, schwarze, lockige Haare, helle, blaue Augen, Modeeinkäuferin für Boutiquenkette, Begrüßungsritual: Küsschen rechts, Küsschen links

Claus Merzinger

37 Jahre, 179 cm, schlank, graumelierter Wuschelkopf, stahlblaue Augen, Bart wie Sir Francis Drake, Oldtimer-Fan, international bekannter Künstler, allgemein eher publikumsscheu, arbeitet meistens mit Stella zusammen, liebt „Musen“ in Ermangelung von Stella

Dr. Arne Zapp

33 Jahre, 193 cm, athletisch-muskulös, dunkle, raspelkurze Bürstenfrisur, eisgraue Augen, Perlenzähne, Sportmedicus an der hiesigen Sportklinik, betreibt mit Freund Ole ein Fitness-Studio, ist verrückt nach Stella, aber nervig und umklammernd, wird auch mal richtig fies

Dr. Ole Hennig

33 Jahre, 190 cm, athletisch-muskulös, braune Wallelocken, graugrüne Augen, Sportmedicus mit Praxis, Fitness-Studio zusammen mit Arne; Arne und Ole sind alte Studienkollegen, kennen sich seit ihrer Marburger Zeit

Benedikt Jankus

34 Jahre, 180 cm, leicht untersetzt, blaue Augen, dunkelbraune Haare, beginnende Silberschläfen, Bauunternehmer und Immobilienmakler; Typ: Schmetterling, wandelt sich aber zum liebenden Familienvater und will Maxi erneut heiraten

Susamaus/Susanna

29 Jahre, 176 cm, superschlank, knallblaue Augen, blonde, halblange Haare, lispelt extrem und verknallt sich in Arne, trägt pfundweise Goldschmuck und hautenge Klamotten, heißt eigentlich: Susanna Friederike von Bödefeld und stammt aus alter, adliger Familie – ist aber das „schwarze Schaf“

Paloma Perusi

30 Jahre, 168 cm, superdick (!), dunkle Haare in zig Zöpfchen mit Perlen geflochten, violette Augen, frühere Studienkollegin von Stella, Spitzname „Täubchen“, Malerin, besitzt die totale Kreativität, liebt farbenfrohe, ausgefallene Kleidung und Marokko

Swana Dodihn-Quendt

36 Jahre, 158 cm, schlank bis pummelig, kupferfarbener Lockenkopf, dunkle Augen, Freie Designerin, Innenarchitektin etc., ältere Schwester von Stella

Leonie Dodihn

6 Jahre, 118 cm, schmal, rotblonde, lange Haare, dunkelblaue Augen, Tochter von Swana

Julius Quendt

46 Jahre, 188 cm, breit, gemütlich, dunkler Typ, Schnauz, goldbraune Augen, vielbeschäftigter Manager, weltweit tätig mit vielen Reisen

Marius Balder

31 Jahre, 185 cm, schlank, breite Schultern, dunkle Locken, dunkle Augen, dichte Wimpern, ehemalige Jugendliebe von Stella, Architekt + Dipl.Ing., lebte 7 Jahre in Japan

Momoko Balder

30 Jahre, 155 cm, zierlich, ihr Name bedeutet: „Pfirsichblüte“, Japanerin aus gutem Hause, ist auf ruhige Art durchsetzungsfreudig, spricht außer ihrer Muttersprache Deutsch und Englisch, eröffnet eine Schule für japanische Lebensart: „basho deai“ (Ort der Begegnung)

Mitsu Balder

6 Jahre, 110 cm, schmal, ihr Name bedeutet: „Licht“, schwarze Wuschellocken, dunkle Augen, Tochter von Momoko und Marius

Maria

57 Jahre, 170 cm, mollig, blaue Augen, graue Haare, pfiffiger, fedriger Haarschnitt, „Guter Geist“ im Künstlerhaushalt von Claus Merzinger

Rudolf Dodihn

66 Jahre, 178 cm, schlank mit kleinem Bauch, graue Augen, weiße, wellige Haare, Papa von Stella und Swana, ist weise und freundlich, mag gerne Jazz

Ella Dodihn

64 Jahre, 155 cm, schlank, braune Augen, weiße, lockige Haare, Mama von Stella und Swana, ist freundlich und neugierig, mag gerne Jazz, backt Zimtkringel und den weltbesten Apfelstrudel

Frau Holle

29 Jahre, 170 cm, sehr dick, blaue Augen, blonde Haare, Inhaberin der Boutique „Ma’tönnchen“

Ricardo della Monte

37 Jahre, 168 cm, sehr schlank, braune Augen, braune, glatte Haare, nach hinten gekämmt, 3-Tage-Bart, Inhaber des Lieblingsrestaurants von Stella und ihren Freunden

Prof. Lamberti

57 Jahre, 165 cm, schmal, weiße Haare, Andy-Warhole-Frisur, weißer Kinnbart, schwarze Knopfaugen, trägt mit Vorliebe schwarze Kleidung, Professor an der „Akademie für Bildende Künste“ und ehemaliger Lehrer von Stella, Paloma und Marius, Spitzname: „Professore“

UG Pendleton

56 Jahre, 167 cm, dicklich, Lesebrille auf der Nase, nuschelt, Journalist für die Fachzeitschrift „Kunst & Kultur“, Kunstkritiker mit weit reichenden Beziehungen

Kevin Grant Lacey

38 Jahre, 185 cm, mittelschlank, rötlichblondes Haar, graue Augen, kreativer Kopf der Galerie „Lacey‘s“ in London, wünscht Zusammenarbeit mit Merzinger und Stella

Miles Ringwood

39 Jahre, 187 cm, mittelschlank, breite Schultern, blaue Augen, dunkles Haar mit zarten Silberstreifen, Kaufmann bei „Lacey‘s“, ist ebenfalls an einer Zusammenarbeit interessiert

Bodo Hausert

23 Jahre, 180 cm, schlank, braune Haare, Grafikstudent, schreibt Plakate mit Lebensläufen der Künstler von Stellas Vernissagen

Ulli Drexel

26 Jahre, 178 cm, schlank, blond, Typ: Surfer, Sunny-Boy; Besitzer einer Rahmenwerkstatt; ständig verliebt in eine neue Liebe, Mädels sind: „wie Himbeereis mit Sahne – sind lecker, schmelzen aber ständig weg“

Janina Steiner

23 Jahre, 168 cm, schlank, Angestellte im „Susanna‘s“, einzige „Vertraute“ von Susamaus/Susanna

Lily Wiese

24 Jahre, 170 cm, mittelschlank, Floristin und Eigentümerin des Blumenladens „Blumenwiese“

Weitere Personen:

Ehepaar Laudam, Wolf und Anne, Stammkunden von Stella, wohnen im Villenviertel, Wolf Laudam ist Architekt

Meister Holzigel, Schreiner für die Galerie „Sternenhimmel“

Knöllchen-Politesse

Herr Meyerwind, Polizist

Herr Ballhauser, Polizist

Mr Montgomery, Angestellter der Tate Galery in London, hat ein Gastsemester lang mit Stella gemeinsam an der Akademie studiert

Bürgermeister und Gattin

Frau Balder, Mutter von Marius

Hoshi (Stern), Schwester von Momoko

Hubschrauberpilot

Hotel „Garten der Bäume“

Ulf Willmers, Inhaber und Geschäftsführer und seine Crew

Hans-Peter Berti, Koch, Gastwirt, Feng-Shui-Meister aus Österreich – DEN gibt es wirklich!

Birte, Freundin von Leonie

Nettie und Rudi, die Eltern von Birte

und Freunde von Swana und Julius

Patrick, der kleinen Rüpel Andrea, Mama von Patrick Sophie, kleine Intelligenzbestie und andere Klassenkameraden und deren Eltern

Inhaltsverzeichnis

Montag, 25. September

Dienstag, 26. September

Samstag, 30. September

Sonntag, 01. Oktober

Montag, 02. Oktober

Donnerstag, 05. Oktober

Freitag, 06. Oktober

Samstag, 07. Oktober

Sonntag, 08. Oktober

Montag, 09. Oktober

Dienstag, 10. Oktober

Mittwoch, 11. Oktober

Donnerstag, 12. Oktober

Freitag, 13. Oktober

Samstag, 14. Oktober

Sonntag, 15. Oktober

Montag, 16. Oktober

Dienstag, 17. Oktober

Donnerstag, 19. Oktober

Freitag, 20. Oktober

Samstag, 21. Oktober

Sonntag, 22. Oktober

Montag, 23. Oktober

Dienstag, 24. Oktober

Mittwoch, 25.Oktober

Donnerstag, 26. Oktober

Samstag, 28. Oktober

Dienstag, 31. Oktober

Donnerstag, 02. November

Montag, 06. November

Freitag, 10. November

Montag, 13. November

Mittwoch, 15. November

Samstag, 18. November

Dienstag, 21. November

Freitag, 24. November

Samstag, 25. November

Montag, 27. November

Samstag, 02. Dezember

Montag, 04. Dezember

Mittwoch, 06. Dezember

Freitag, 08. Dezember

Samstag, 16. Dezember

Montag, 18. Dezember

Mittwoch, 20. Dezember

Freitag, 22. Dezember

Samstag, 23. Dezember – Samstag, 30. Dezember

Sonntag, 31. Dezember

Montag, 25. September

„Oh, mein Gooott!“

Entsetzt sprang sie von der Waage und schielte argwöhnisch auf die auf 100-g-genaue Digitalanzeige. Aber hell und rot und überdeutlich erstrahlte ihr Gewicht in Leuchtzahlen.

Als die Anzeige erlosch, umrundete sie die Waage wie einen schlummernden Feind, der jederzeit erwachen und zuschlagen könnte. Schließlich entledigte sie sich noch ihres Nachtgewandes und ihrer Puschen, um splitterfasernackt, ohne jegliches Fremdgewicht noch einmal die Waage zu befragen.

Doch dieses grausame Ding zeigte ihr genau dieselben Zahlen wie vorher. Klar, eigentlich war sie auch nicht doof genug zu glauben, dass ein kurzes Hemdchen und Fellpuschen eine gravierende Gewichtsveränderung auslösen könnten.

Sie war mal wieder mindestens zwanzig Zentimeter zu klein für diese Kilos auf der Waage...

Ihr in verschiedenen Größen von 36-46 gut sortierter Kleiderschrank gab auch kaum noch etwas her. Sie stand vor der drei Meter breiten Front. Etliche Kleidungsstücke, bereits probiert und für zu eng befunden, versammelten sich auf dem Bett. Selbst die größten und weitesten Sachen kniepten und kaschierten nichts mehr. Sie fühlte sich wie eine aus der Form geratene Wurst.

So konnte sie doch nicht ewig weitermachen! Sobald eine Kollektion ihr zu eng war, hatte sie einfach neue Klamotten gekauft. Denn in der Galerie musste sie ja auch entsprechend erscheinen. Wie sollte sie Kunst und schöne Formen verkaufen, wenn sie aussah, als ob sie besser beim Wurstmachen aufgehoben wäre?

Nach dem Vorbild ihrer älteren Schwester Swana hatte Stella Objektdesign studiert. Zur freischaffenden Künstlerin fühlte sie sich aber nicht berufen, hatte stattdessen lieber eine kleine Galerie eröffnet. Die Bilder, Objekte und Skulpturen, die sie dort anbot, waren zum Teil sogar eigene Werke. Der Laden lief inzwischen gut, so dass sie das Gründungskapital, das die Bank und Papa ihr geliehen hatten, locker zurückzahlen konnte.

Sie war eine agile Frau, die ständig neue Kontakte für ihr Geschäft fand, Vernissagen, Kurse und Vorträge veranstaltete und außerdem Freunde um sich scharte, mit denen sie auch noch viel unternahm. Doch leider, leider benötigte sie zur Wahrung ihrer stets gleich bleibenden Ruhe und Freundlichkeit viele Seelenstreichler wie Schokolade, Nougat, Chips und Flips, Gummibärchen, Kekse und-und-und.

Außerdem: zum Kochen hatte sie sowieso meistens entweder keine Lust oder keine Zeit.

Aber sie liebte den Stress und den Zeitdruck, der sich meistens aus ihren Aktivitäten ergab und fühlte sich immer dann so richtig lebendig, wenn mindestens fünf Probleme gleichzeitig zu lösen waren. Nur im Moment fühlte sich Stella weniger als „Stern“ – eher als „Supernova“.

Als sie ihren Laden aufschloss, klingelte bereits das Telefon.

„Jaja, komme schon. Na, da hat’s aber einer dringend! – Guten Morgen, Galerie ‚Sternenhimmel’, Stella Dodihn“, grüßte sie fröhlich in den Apparat.

„Guten Morgen, Stella. Ich weiß nicht, ob Du Dich noch an mich erinnerst – ich bin Marius und wieder aus Japan zurück.“

Pause. Stella vergaß zu antworten, vergaß zu atmen. Marius! Unter Tausenden hätte sie seine Stimme immer noch erkannt. Marius – nach all den Jahren.

„Stella?“ Dunkel und ein bisschen rau klang die Frage aus der Hörmuschel. Jetzt wurde die Stimme drängender: „Stella, bist Du noch da? Bitte, leg nicht auf, Stella.“

„Hm-m“, räusperte sich Stella und rang um Fassung. Sie umklammerte die hohe, blaue, mit zartfarbigen Sternen übersäte Säule in ihrem Verkaufsraum und suchte nach den passenden Worten.

„Ja, ich bin noch da. Und Du, Du bist wieder da, Marius“, hörte sie sich dämlich lallen. Oh je, blöder hätte sie kaum reagieren können!

Leise lachend erwiderte er: „Logisch wie früher. Ja, ich bin vorgestern wieder eingetroffen. Gestern habe ich Nachforschungen angestellt, wie und wo ich Dich am besten erreichen kann. Stella, ich möchte Dich wiedersehen.“

Stella fühlte sich wie in einer Glasglocke. Denken in diesem Zustand war schier unmöglich. Die widerstreitendsten Gefühle tobten in ihr. ‚Nein! Bloß nicht wiedersehen! Mein Leben ist gerade erst so, wie ich es mag!‘

„Ja“, hauchte sie, „ich möchte Dich auch wiedersehen.“

„Fein, dann hole ich Dich heute Abend um acht bei Dir zu Hause ab und wir gehen zusammen essen.“

‚Nein! Auf gar keinen Fall gehe ich mit Dir essen!‘

„Ja“, hauchte sie wieder, „bis heute Abend um acht.“

„Ich freu mich auf Dich!“

Stella sank auf die nächstbeste Sitzgelegenheit (es war ein Stuhlobjekt von Claus Merzinger) und starrte das kleine, handliche Sprechgerät in ihren Händen an.

Marius – Leben pur – Liebe ihrer Studienjahre.

Verschwand direkt nach ihrer gemeinsamen grandiosen Diplom-Party Richtung Japan, um dort die enormen, bautechnischen Möglichkeiten kennen zu lernen, mit denen diese Menschen ihr kleines Land trotz der Naturgewalten wie Erdbeben, Seebeben und was noch alles auf den höchstentwickelten Architektur- und Technikstand versetzt hatten.

Das war vor sieben Jahren.

Nun war er wieder da.

Und er wollte sie unbedingt wiedersehen.

Langsam tropfte die Bedeutung dieses Wunsches in ihr umnebeltes Begriffsvermögen.

Er würde sie wahrscheinlich gar nicht wiedererkennen. In den letzten Jahren waren ihre Pfunde gekommen und gegangen wie der Mond sich von der Sichel zum Vollmond rundet. Mal mehr, mal weniger. In den letzten zwei Jahren leider aber immer mehr. Und damals, vor sieben Jahren, liebe Güte, da war sie als Elfe durch die Akademie geschwebt! Das Essen der Mensaküche hatte aus dem pummeligen Teenager schnell eine kleine, zarte Frau werden lassen. Und so hatten sie sich kennen und lieben gelernt. Aber jetzt...

Wie konnte sie nur einem Treffen zustimmen? Es war aus und vorbei. Bereits seit sieben Jahren. Die Stella von damals gab es nicht mehr. Sie hatte sich weiterentwickelt, geistig und auch – naja. Sogar ihre langen, roten Locken gehörten der Vergangenheit an. Genau wie Marius. Und da sollte er auch bleiben. Doch wie konnte sie jetzt noch verhindern, dass er heute Abend um acht vor ihrer Tür stand?

Ein weiteres Telefonklingeln riss sie aus ihren trüben Gedanken.

„Guten Morgen, Galerie ‚Sternenhimmel‘, Stella Dodihn!“ grüßte sie fröhlich in den Apparat. (...und wie‘s drinnen aussieht, geht niemand was an!)

„Ah, guten Morgen mein Schatz! So, wie Du Dich meldest, habe ich es wohl doch geschafft.“

„Ach, Papa!“ schniefte Stella in den Sprechbereich ihres Telefons.

„Oh je, meine Große, war heut schon ein Anrufer früher als ich?“

„Ja-ha“, schluchzte Stella, die Große.

„Hm-m“, räusperte sich Papa Dodihn, „vorhin kam ganz überraschend der Anruf von Marius. Er ist seit zwei Tagen in Deutschland und wollte wissen, was Du machst, wo Du wohnst, ob Du bereits in festen Händen seist.“

Pause. Stella gab nur kieksende Laute von sich.

„Hätte ich ihm Deine Telefonnummer vom ‚Sternenhimmel‘ lieber nicht geben sollen?“ sorgte sich Papa.

„Ach, Papa!“ schniefte Stella erneut. „Was meinst Du, was er zu einem Vollmond wie mir sagen wird? Er will heute Abend mit mir essen gehen – ich war heute früh auf der Waage – ich hab nichts anzuziehen – ich glaub, ich will ihn gar nicht wiedersehen. Leider hab ich zugestimmt, und ich weiß nicht, wie ich ihn erreichen und absagen soll.“

„Oh, Tochter! Sei doch nicht so dumm! Du bist eine erfolgreiche, attraktive Frau! Die paar Pfunde mehr oder weniger ändern doch an Deinem Wesen nichts!“

„Das sagst Du, weil du mein Papa bist“, trotzte Stella.

„So ein Quatsch! Denk mal richtig nach, dann kommst Du auch wieder zu einer positiveren Haltung Dir selbst gegenüber. Auf jeden Fall wünsche ich Dir viel Spaß und Euch beiden einen netten Abend. Mama lässt auch grüßen.“

„Danke, Papa.“ Stella lächelte zaghaft ins Telefon.

Den ganzen Vormittag hatte sie viel zu tun. Zuallererst startete sie einen Hilferuf an ihre modisch stilsichere Freundin Marga.

Stella hatte Marga Bitters einmal während einer Vernissage bei einem befreundeten Galeristen kennen gelernt. Dann hatte Marga Stella öfter im „Sternenhimmel“ aufgesucht, war zunächst Kundin und schließlich Freundin geworden. Sie war Modeeinkäuferin für eine Boutiquenkette und sah stets umwerfend aus.

Marga war groß und schlank. Sie hatte nie Probleme mit ihrem Gewicht und auch nicht mit Stellas. Vor allem konnte sie Stella immer hervorragend bei Kleidungskäufen beraten. Marga sagte auch sofort zu, als Stella sie bat, in der Mittagspause zu ihr zu kommen.

Außerdem gab es mal wieder eine Ausstellung zu organisieren, zwischendurch kamen Kunden, die eine intensive Beratung wünschten, wie sie ihr Haus durch Bilder und andere Kunstwerke verschönern konnten.

Das Ehepaar Laudam griff wieder einmal erfreut zu. Sie kauften gleich drei Bilder, eine Skulpturengruppe von ihrer Schwester Swana Dodihn-Quendt und das Stuhlobjekt von Claus Merzinger, das ihr am Morgen seelischen Halt gegeben hatte. Nun verschaffte es ihr finanziellen Halt und überhaupt: Claus musste sie auch noch anrufen, wegen des Stuhles, wegen der Ausstellung und weil sie ihn so gern lachen hörte.

„Natürlich liefere ich Ihnen Ihre Kunst frei Haus. Das Aufhängen der Bilder und Arrangieren der Skulpturen und des Objektes an den optimalen Stellen ist allerdings eine Kunst für sich und nicht kostenfrei.“

Aber die Laudams waren begeisterte Stammkunden, die stets auch Stellas Arrangierkunst mit kauften und vereinbarten den Termin am morgigen Abend nach Ladenschluss.

Wieder meldete sich das Telefon: „Guten Morgen, Galerie ‚Sternenhimmel‘, Stella Dodihn.“ Nun klang es auch für ihre eigenen Ohren schon fröhlicher.

„Hallo, Claus Merzinger am Apparat!“

„Oh, Claus, schön, dass Sie anrufen! Zwei Dinge hab ich für Sie. Zum Einen: Ihr Stuhlobjekt ist verkauft, zum Anderen: ich plane mal wieder eine Ausstellung. Und Sie will ich auf jeden Fall dabei haben.“

„Wusst ich’s doch! Auf meine Stella ist Verlass. Sie schaffen es immer wieder, mich aufzuheitern.“

„Was ist denn passiert?“

„In meinem Atelier gab es einen Wasserrohrbruch. Der Schaden ist schwer schätzbar, aber nun fast schon wieder behoben.“

„Oh je! Sind Sie überhaupt imstande zu arbeiten?“

„Ihre Ausstellung ist ein Lichtblick. Welches Motto schwebt Ihnen diesmal vor?“

„‚Leichtigkeit und Schwere‘...“

Sie besprachen noch weitere Dinge, die den Verkauf des Stuhlobjektes betrafen, und schließlich verabschiedete sich Claus Merzinger, nicht ohne dass sie sein erfrischendes Lachen gehört hatte. Der Mann konnte sogar nach einem Wasserrohrbruch noch lachen!

Pünktlich zur Mittagszeit stand Marga im Laden.

„Marga! Wunderbar, dass Du kommen konntest.“ Küsschen rechts, Küsschen links. „Mittagessen fällt aus. Du musst mal wieder Klamotten mit mir kaufen gehen.“

„Ach, Schatzi! Hoffentlich hast Du Deinen Schrank mal von Deinen Jahrhundertobjekten befreit.“

„Nö, wieso? Du weißt doch: die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben, dass eine Diät mal länger schlank macht als zwei Wochen.“

„Dann kauf Dir lieber was Neues, wenn es denn soweit sein sollte“, lautete Margas lakonische Antwort. „Die Sachen sind doch längst out – Schnitt, Stoff, Farben – alles.“

„Es ist sicherlich nicht mehr lang hin, dann sind sie wieder in...“

Margas einzige Antwort war ein scheeler Seitenblick.

„Jajaja, Du hast ja sooo recht, Marga! Aber ich habe heute eine Verabredung mit einem Freund aus Studientagen, wiege noch mehr als letzten Monat vor meiner Obstdiät und passe in rein gar nix mehr rein.“

„Dann komm mal mit, Schatzi. Ich weiß schon, wo wir was Schickes zum Wohlfühlen für Dich finden.“

Stella schloss den „Sternenhimmel“, die beiden Freundinnen hakten sich unter, und Marga geleitete Stella zielstrebig durch die City. Vor einer besonderen Boutique blieb sie schließlich stehen und sah Stella erwartungsvoll an. Die reagierte entsetzt und hob abwehrend die Hände.

„Nein! Marga! Alles – nur das nicht! Zu ‚Ma’tönnchen‘ geh ich nicht. Es muss doch noch bei ‚Normalos‘ etwas für mich geben.“

„Schon, Schatz, aber hier hast Du einfach die größere Auswahl unter modisch wirklich schicken und tragbaren Stücken in der Konfektionsgröße, wie Du sie im Moment brauchst. Du weißt doch, die Kleider müssen Dir passen – nicht Du den Kleidern.“

Stella rollte mit den Augen und seufzte ergeben. Marga öffnete schwungvoll die Tür zu „Ma’tönnchen“ und rauschte in den Laden – mit Stella im Schlepptau.

„Meine Freundin braucht etwas Passendes, um abends auszugehen“, verkündete sie selbstbewusst der herbei eilenden Verkäuferin. Die war fast so groß wie Marga mit ihrem Modelgardemaß, aber dafür zweimal so breit. Stella beruhigte sich etwas und kroch aus ihrer Mäuschenstellung hervor.

Und tatsächlich: Marga hatte wieder mal recht gehabt. So schnell hatte sie noch nie etwas so Schönes gefunden, in dem sie sich gleich so wohl fühlte, dass sie anfing, sich auf den Abend zu freuen. Und die Verkäuferin Frau Holle war nett und kompetent in der Beratung.

Marga und Frau Holle hatten mit sicherem Griff einen schilfgrünen Hosenanzug ausgesucht. Der Blazer war ohne Kragen und Revers, schließen konnte frau ihn mit einem schillernden Perlmuttknopf. Das Material war wie schwere Seide, aber knitterfrei. Dazu gab es eine Bluse aus dem gleichen Material in zarten Blau-, Grau- und Grüntönen. Eine lange Reihe kleinerer Perlmuttknöpfe lief vom ebenfalls kragenlosen Ausschnitt hinunter zum Saum.

Passende Pumps musste Stella auch noch dazu nehmen. Ja. Das war’s. So gekleidet würde Stella ihr Selbstbewusstsein aufrechthalten können, wenn sie am Abend Marius treffen würde.

Ach, Marius – ob er sich wohl sehr verändert hatte?

Der Nachmittag war genauso hektisch wie der Vormittag, nur dass nicht ein Kunde mehrere Objekte wollte, sondern mindestens zehn Leute Beratung wünschten, sich austauschen wollten und die Akademie sich meldete, wegen der bevorstehenden Ausstellung, in der sie auch immer junge Designer zeigte, die ihr von ihrem ehemaligen Lehrer Professor Lamberti empfohlen wurden.

Als sie abends ihre Galerie schloss, summte sie vor sich hin, beeilte sich tütenbeladen nach Hause zu kommen. Sie lebte in einem Fachwerkhäuschen mit einem kleinen von Blumen übersäten Vorgarten.

Im Erdgeschoss befanden sich die Küche mit angrenzender Essecke, das winzige Gäste-WC, ein Wohnzimmer mit Kamin. Eine Treppe führte unters Dach in ihr Schlafzimmer – ein einziger großer Raum mit schrägen Wänden. Nur das Bad war durch eine Wand abgetrennt. Alles war sehr hell und freundlich gestaltet, in ruhigen Farben gehalten. Stella liebte die beruhigende Atmosphäre ihres Hauses, das Pendant zu ihrem Hetze-Alltag.

Im Keller gab es noch drei Räume: einen Raum für die Heizung, dann ihren so genannten Hauswirtschaftsraum – dort hatte sie Waschmaschine und Trockner, Bügelbrett und einen Fernseher (Bügeln war ja ohne Unterhaltung so ätzend!) untergebracht – und ihre kleine Werkstatt, aus der sie, dank der leichten Hanglage des Hauses, ebenerdig nach draußen in den Garten gehen konnte.

Im Werkraum gab es ein großes Regal mit Werkzeugen, Nägeln, Schrauben, Haken und Fläschchen mit verschiedenen Tinkturen. Farben gab es hier, Lacke und Pinsel, ein Standbohrgerät, Stichsäge, Holz und Speckstein. Auf der Arbeitsplatte stand eine halb angefangene Skulptur, im Regal neben der Platte bewahrte sie fertige Figuren, Zeichenskizzen und Gedankenstützen auf.

Heute Abend rannte Stella die Treppe in ihr Schlafzimmer hinauf, verschmähte die Badewanne, sprang statt dessen flott unter die Dusche, cremte sich überall ein und hatte ausnahmsweise keine Probleme mit „Was-ziehe-ich-bloß-an-?“. Dann noch Haare föhnen, das ging auch schnell bei dem kurzen Pagenschnitt, einen Hauch Puder, Rouge und Lidschatten ins Gesicht – Wimpern und Lippen nicht vergessen. Ein bisschen Duft noch, hinein in die Pumps und fertig.

„Ding-dong!“ hallte denn auch prompt die Türglocke melodisch durch die Diele.

Stella fühlte ihr Herz schneller schlagen, mahnte sich zur Ruhe, schritt die Stufen hinab zum Eingang und öffnete. Draußen in der beginnenden Dämmerung stand Marius. Das heißt, sie nahm an, dass er es war, denn zuerst fiel ihr Blick auf einen riesigen Strauß apricotfarbener Callas.

„Ich hoffe, Du magst noch immer Callablüten“, tönte es hinter den Blumen hervor.

Diese Stimme – dunkel und ein bisschen rau.

„Komm doch herein. Ich will zuerst eine Vase für diese wundervollen Blumen finden. Ja, ich mag Callas immer noch“, bestätigte sie seine Begrüßungsworte.

Sie ging ihm voraus ins Wohnzimmer, holte eine große, dunkelviolette Vase aus dem Highboard und füllte in der Küche Wasser hinein. Sie stellte sie auf die Schieferplatte vor dem Kamin und wandte sich endlich dem Mann zu, der den Riesenstrauß immer noch in seinen Händen hielt, nahm ihm die Blumen endlich ab und ging in die Knie, um sie in der Vase zu arrangieren. Dann erhob sie sich, drehte sich um und sah ihn an.

Marius sah sie auch an.

Seine Augen weiteten sich, und er holte tief Luft.

Er sagte nichts, er bewegte sich nicht, er stand bloß so da.

Stellas Mund verzog sich kaum merklich zu einem spöttischen Lächeln. Genauso hatte sie es sich vorgestellt: gewogen und für zu schwer befunden. Nun ja, Marius war ein Mann aus der Vergangenheit. Die Gegenwart zählte genug Freunde, die sie mochten, wie sie jetzt war.

Der große, breitschultrige Mann mit den dunklen Locken öffnete den Mund und sagte: „Stella, es ist wunderbar, Dich endlich wieder zu sehen.“

Stellas linke Augenbraue ging in die Höhe, gesellte sich zu dem spöttischen Lächeln. Sie blieb ebenfalls still stehen und musterte ihn.

„Danke“, erwiderte sie zurückhaltend, „es ist schön, dass Du da bist.“

Marius machte einen Schritt auf sie zu, als müsse er über eine tiefe Schlucht springen, um zu ihr zu gelangen.

Diese Schlucht gab es auch, und sie war sieben Jahre tief.

Er nahm ihre Hände und sah ihr in die Augen.

„Du bist eine attraktive Frau geworden, Stella. Und Deine dunklen Augen blitzen noch genauso wie damals.“

Stellas rechte Augenbraue ging nun ebenfalls in die Höhe, der leichte Spott in ihrem Lächeln vertiefte sich.

„Erneutes Dankeschön. Und Dein Kompliment gilt ebenso für Dich.“

„Stella, ich –“ begann er, wurde aber freundlich-reserviert von ihr unterbrochen.

„Du wolltest mich zum Essen abholen? Dann lass uns jetzt lieber gehen.“

Sie entzog ihm ihre Hände, ging ihm wieder voraus in die Diele, nahm Blazer und Tasche und verließ das Haus. Marius folgte ihr wortlos.

Er hatte im vornehmen „Landhaus“ einen Tisch für Zwei reservieren lassen. Am festlich gedeckten Rund saßen sie sich bei Kerzenlicht gegenüber.

„Dies hier ist ein solcher Edelschuppen, da bekommt die Dame automatisch eine Karte ohne Preisangaben. Als ob wir Frauen nicht selbst bezahlen könnten“, provozierte Stella.

„Aber ich fände es wunderbar, wenn ich Dich trotzdem einladen dürfte. Ich habe Dich schließlich telefonisch überfallen“, parierte Marius galant.

Stella sah ihn prüfend an, erwiderte erst mal nichts und vertiefte sich in die Beschreibung der verschiedenen Köstlichkeiten.

Schließlich bestellten sie zum Rahmsüppchen aus Steinpilzen einen trockenen Weißwein, als Hauptspeise Filetspitzen vom Rind auf Lollo-Rosso-Blättern mit Walnussöl und Himbeeressig angemacht, dazu einen leichten Weißherbst.

Nachdem er Stella alle möglichen Fragen nach ihrem Geschäft und ihrem Leben gestellt hatte, erzählte Marius während des Essens über seine Jahre in Japan, seine Erfahrungen, seine berufliche Entwicklung. Er hatte es weit gebracht. Dank der Studentenverbindung, der er angehörte, hatte er den Job in einem großen Architektur- und Ingenieurbüro bekommen, wo es ihm gelungen war, an verschiedenen Renommierprojekten erfolgreich mitzuarbeiten.

Entspannt saßen sie einander im Kerzenlicht gegenüber, tranken nach dem herrlichen Essen noch Espresso.

„Und welche Pläne hast Du für die Zukunft, Marius? Willst Du wieder im guten, alten Europa Fuß fassen oder ist der Lockruf der exotischen Ferne stärker?“

„Oh, ich möchte durchaus in Europa, in Deutschland bleiben. Ich möchte hier mein eigenes Büro aufmachen und –“ er zögerte, schaute ihr im Kerzenschein in die Augen, nahm ihre Hand und fügte leise hinzu: „– und ich möchte meine Familie hierher holen.“

Stella saß unbeweglich, klappte die Augen auf und zu und wusste nicht, ob sie erleichtert, enttäuscht, wütend oder froh sein sollte.

Marius saß ebenso unbeweglich, angespannt und hielt immer noch ihre Hand. Stella sagte nichts, zog ihre Hand nicht weg, sah ihn nur weiter an, während ihr Verstand Karussell fuhr. Marius bemerkte die wechselnden Gefühle in ihren Augen und wartete.

Schließlich sagte sie: „Erzähl mir von Deiner Familie.“

Marius atmete vorsichtig auf und lächelte: „Meine Frau heißt Momoko, das bedeutet ‚Pfirsichblüte‘. Wir haben eine kleine Tochter, die ist jetzt fast sechs Jahre. Ihr Name ist Mitsu, das bedeutet ‚Licht‘.“

„Wie habt Ihr Euch kennen gelernt?“

„Das war ein ganz witziger Zufall. Um sprachlich möglichst schnell Anschluss zu finden, machte ich einen Crash-Kurs in Japanisch. Sie war die Vertretung für ihre erkrankte Freundin und hatte eine so herzliche, spontane Art, die mich an Dich erinnerte.“

In Stellas Augen schlich sich wieder Spott ein, automatisch zuckte ihre linke Augenbraue in die Höhe, und sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.

„Stella, bitte, versteh das nicht falsch.“ Marius schwenkte sofort auf ihre Distanzierung ein.

„Nein, nein. Ich versteh schon richtig. Bitte, erzähl weiter.“

„Nun, jedenfalls trafen wir uns auch außerhalb des Sprachkurses. Das war gar nicht so einfach, denn sie ist die Tochter einer an Geld und Einfluss reichen Familie, und die Japaner passen gut auf ihre Töchter auf. So stand ich bald vor der Entscheidung, sie nie mehr wieder zu sehen oder sie zu einer ehrenwerten Frau zu machen. Ich weiß, für unsere Ohren hört es sich nach dem Muff des letzten Jahrhunderts an, aber für die Moralvorstellungen der Japaner trifft es immer noch zu. Unsere Verbindung war seit der Ausreise nach Asien abgebrochen, und da –“

Er verstummte und zuckte mit den Schultern.

„Du brauchst Dich nicht zu entschuldigen. Zu einer Liebe gehören immer zwei“, entgegnete Stella ruhig.

Marius sah ihr irritiert in die Augen. Wie hatte sie das jetzt gemeint? Aber Stella ermunterte ihn nur, er möge fortfahren seine Geschichte zu erzählen.

„Als sie mich ihrer Familie vorstellte, entdeckte ich, dass ihr Onkel einer meiner Chefs im Architekturbüro war. Nach diesem ersten Familientreffen ging alles weitere dann ganz schnell. Die Familie nahm mich wohlwollend an und so geriet ich in die Familienmaschinerie der Japaner, die den Lebens- und Karriereverlauf ganz vehement beeinflusst. Wir heirateten zur Zeit der Pfirsichblüte. Wegen ihres Namens ist das ein sehr gutes Omen.“

Marius beendete seinen Bericht. Stella sagte nichts, wartete auf das, was noch kommen musste. Marius blieb auch still.

Endlich half sie ihm weiter: „Und jetzt willst Du, dass ich Deiner Frau und Deiner Tochter das Einleben in Europa, wo sie ohne ihre Familie in einer fremden Kultur leben müssen, erleichtere.“

Bittend sah er sie an: „Ja, darauf hoffte ich.“

„Warum bist Du nicht im förderlichen Familien- und Karriereverband der Japaner geblieben?“

„Ich hatte Heimweh“, sagte er schlicht.

Diese schnörkellose Antwort gefiel ihr. „Du kannst auf mich zählen, Marius“, versprach sie ihm.

Dienstag, 26. September

Am nächsten Vormittag saß sie in ihrem „Sternenhimmel“ und arbeitete an der Planung zur Vernissage. Zurzeit betonte ein großer, flacher Kubus, in zartem Himmelblau die Mitte ihres Geschäftsraumes. Der könnte auch Verwendung in der Vernissage finden, wenn er umlackiert würde. Die anderen Teile waren eher nicht zu gebrauchen. Es waren mal wieder neue Präsentationswände fällig. Andere Kollegen machten es sich einfacher – weiße Räume, weiße Stellwände und (wenn überhaupt) weiße Präsentationskuben. In Gedanken zuckte Stella mit den Schultern: ‚Wer’s nicht besser weiß, nimmt Weiß.‘ Stella liebte die Abwechslung in feinen Pastelltönen, sie konnten Bilder und Skulpturen in ihrer Form unterstreichen und deren Farben noch mehr zum Leuchten bringen.

Die Ladenglöckchen bimmelten, brachten aber nicht Claus Merzinger, auf den sie wartete, sondern Maxi herein. Mit Maxi war sie seit ihren Kindertagen schon befreundet. Mit vollem Namen hieß Maxi eigentlich Maximiliane und hatte die gleichen Probleme mit ihrer Figur wie Stella.

„Hi, Stella, ich hab mal wieder ‘ne neue Diät gefunden: Zitronendiät!“ verkündete Maxi strahlend und gutgelaunt. Maxi war eigentlich immer strahlend und gut gelaunt.

„Zitronendiät?“ wunderte sich Stella. „Muss das sein?“

„Ach, stell dich nicht so an. Mindestens sieben Kilo kannst Du damit in einer Woche abnehmen! Vor allem: es ist ganz einfach in der Zubereitung – Du brauchst nur zu trinken, überhaupt nicht essen.“

„Was? Nichts essen? Wie geht denn sowas bei schwer arbeitenden Geschäftsleuten?“ entsetzte sich Stella.

„Geht ganz toll, und Du fühlst Dich wunderbar!“ begeisterte sich Maxi. Stella guckte nur skeptisch.

„Hier. Schau. Lies selbst.“ Maxi hielt ihr ein Blatt unter die Nase – eine Fotokopie einer Fotokopie und entsprechend schwer leserlich. Nach diesen Ausführungen sollte eine Woche lang ausschließlich aus Zitronen gepresster Saft getrunken werden, mit Wasser gemildert, mit Ahornsirup gesüßt und mit Cayennepfeffer gewürzt, jeden Tag sieben große Gläser dieser Mischung.

„Cayennepfeffer!!!“ keuchte Stella. „Maxi! Was soll dieser Unsinn?“

„Also, pass mal auf!“ Maxi tat, als spräche sie zu einer Schwachsinnigen. „Cayennepfeffer regt den Stoffwechsel an, Ahornsirup hält den Kreislauf in Schwung, außerdem schützt er mit dem Wasser den Magen vor der Zitronensäure, und der Zitronensaft gibt Energie und brennt das Fett weg.“

„Wie lange soll dieses Martyrium erduldet werden?“

„Solange Du willst. Hat keine Nebenwirkungen. Überhaupt gar keine!“

„Maxi! Wem willst Du denn das erzählen? Denk doch mal nach. Zitronensaft und Cayennepfeffer! Allein der Gedanke macht mir Gänsehaut.“ Stella schüttelte sich.

„Du vergisst den süßen Ahornsirup. Und denk an die schwindenden Kilos! Komm, es ist Mittagszeit. Mach Deinen Laden zu. Wir gehen jetzt einkaufen.“

Nicht restlos überzeugt gab Stella dem Drängen nach.

Gegenüber von Stellas Galerie gab es einen türkischen Feinkostmarkt. Dort deckten die beiden sich mit Zitronen für die ganze Woche ein. Sieben Stück für jeden Tag, mal sieben für die ganze Woche. Misstrauisch beäugte Stella den riesigen Berg Zitronen, von dem sie sich eine Woche lang ernähren sollte. Doch nach einer Woche martialischer Fastenkur würde sie ihr Traumgewicht noch lange nicht erreicht haben. Was dann? Sie sah sich für den Rest ihres Lebens Zitronen essen...

Aber Maxi duldete kein Zaudern mehr. Sie zog Stella weiter zum Reformhaus. Hier bekamen sie den nötigen Ahornsirup.

„Cayennepfeffer hast Du ja wohl im Haus oder?“ hakte Maxi nach.

Stella nickte bestätigend.

„So. Und jetzt, Stella, meine Liebe – auf zur Henkersmahlzeit!“

„Wie bitte?“

„Na, wo wir doch jetzt mindestens eine Woche gar nichts mehr zu beißen bekommen, gehn wir noch einmal ausgiebig zum Italiener. Pizza mit allem drauf oder Nudeln mit allem drin und drum und Cappuccino – aber bitte mit Saaahne!“ intonierte Maxi.

Es gab kein Halten mehr. Einvernehmlich stürmten Maxi und Stella „ihren“ Italiener, ein Restaurant namens „Mare Sicilia“, das eine Straßenecke von Stellas Galerie entfernt lag.

Am Nachmittag kam endlich Claus Merzinger. Stella strahlte, als sie ihn sah. Er entdeckte die Kiste mit ihren Einkäufen in dem kleinen Büroraum.

„Machen Sie eine Zitronenparty, Stella?“

Stella lachte. „So ähnlich, ja. Maxi hat mich mal wieder zu einer neuen Diät überredet. Ab morgen geht’s los.“

„Wollen Sie etwa nur Zitronen essen?“

Merzingers Gesicht bildete ein Fragezeichen. Stella erklärte ihm den Verlauf der Diät. Auch er reagierte skeptisch.

„Na, wenn Sie’s glücklich macht... Ich würde Ihnen etwas anderes empfehlen.“

„So? Haben Sie etwa auch Schwierigkeiten mit Ihrer Waage?“

Claus Merzinger lachte. „Nein, noch nie gehabt. Aber was halten Sie davon, mal richtig in den Spiegel zu sehen?“

„Hab ich doch“, murrte Stella, „und in meinen Kleiderschrank. Deswegen mach ich doch dauernd diese Diäten.“

Er sah sie eindringlich an: „Ich fragte, ob Sie einmal richtig in den Spiegel sehen würden? Sie sind eine bezaubernde Frau, Stella, mit herrlich lebendigen Augen, mit ansteckendem Lachen, klarem Verstand und großem Herzen. Wer Sie richtig sieht, Stella, sieht nicht die Pfunde, die Sie selbst stören.“

Stella schluckte. Sie stand da, sah ihren Lieblingskünstler an, der ihr ein so unverhohlenes Kompliment gemacht hatte und wusste ausnahmsweise nicht, was sie sagen sollte.

In die knisternde Stille hinein ertönten glücklicherweise melodisch die Ladenglöckchen.

„Hm-m“, räusperte sich Stella verlegen, „nehmen Sie sich doch einen Kaffee, Claus. Ich schau mal eben vorne, ob ich behilflich sein kann.“

Merzinger lächelte und griff nach einem Kaffeebecher.

An diesem Abend kam Stella erst spät nach Haus. Gleich nach Ladenschluss war sie mit den am Vortag verkauften Objekten zu Laudams gefahren.

Sie wohnten in einem ruhigen Vorort in einer Stadtvilla. Eine hohe, weiße Mauer mit einem schwarzen, schmiedeeisernen Tor umschloss das parkähnliche Grundstück, in dessen Mitte sich ein eindrucksvolles Gebäude erhob – groß, kubisch, weiß und mit vielen Glasfronten.

An der Mauer links vom Tor prangte eine Schieferplatte, die mit Buchstaben aus gebürstetem Edelstahl verkündete, wer hier wohnte:

WOLF LAUDAM. ARCHITEKT.

Stella meldete sich über Sprechfunk am Tor an, die Kamera klickte, das Tor schwang auf, und sie fuhr die geschwungene Auffahrt hoch bis zum breiten Eingangsportal.

Das Ehepaar Laudam erwartete sie bereits. Gemeinsam trugen sie die Bilder, die Skulpturengruppe und das Stuhlobjekt in die Eingangshalle.

Zunächst führten die beiden Stella durch ihr Haus und zeigten ihr die bevorzugten, möglichen Plätze für die Kunstwerke. Mit geübtem Auge fand sie schnell die optimalsten Stellen, und bald darauf war alles so arrangiert, als wäre es nie anders gewesen. Ganz besonders stolz war sie auf die Skulpturengruppe von Swana, die im Entree so richtig zur Geltung kam.

Die beiden Laudams waren so anregende und nette Menschen, dass sie noch eine Weile länger miteinander plauderten und lachten. Stella hatte ihnen auch gleich von der geplanten Vernissage erzählt.

„Eine schriftliche Einladung werden Sie rechtzeitig erhalten.“

„Wir kommen natürlich, wie immer. Sie dürfen schon jetzt mit unserem Erscheinen rechnen“, freuten sich die beiden.

Es war schließlich fast zehn Uhr abends, als Stella nach Hause kam. Sie machte die Musikanlage an, und gleich darauf füllten beruhigende Klänge den Raum. Zum Glück hatte sie den Kamin am Morgen schon vorbereitet. So war er schnell angezündet. Jetzt noch einen Becher Kakao, auf die Couch und Füße hoch.

Sie beobachtete die Flammen, die gierig an den Kienspänen entlangliefen, immer stärker wurden, mehr Nahrung brauchten und schließlich über den dicken Kloben herfielen.

Nachdenklich schaute sie in ihren Kakao, nahm einen Schluck, spürte die weiche, warme Süße im Mund und schluckte gaanz, gaanz langsam. Ach, tat das gut! Trotzdem – sie konnte sich mit ihren üppigen Rundungen nicht restlos anfreunden. Also ab morgen: Zitronendiät! Stella lächelte schief, stand auf, zog die Glut im Kamin auseinander und ging zu Bett.

Samstag, 30. September

Am Samstagvormittag, es war der vierte Tag ihrer Zitronendiät, stand sie im „Sternenhimmel“ und beriet einen Kunden, der ein Bild in kräftigen Farben für sein Wohnzimmer suchte. Plötzlich hatte sie das Gefühl, der Boden unter ihr würde weich wie Watte, in ihren Ohren rauschte es, vor ihren Augen wurde es dunkel.

Im nächsten Moment spürte sie zwei Arme um sich und fühlte sich fort getragen. Etwas Nasses patschte in ihr Gesicht, auf ihre Stirn und um die Handgelenke.

Gleichzeitig hörte sie ihren Namen: „Frau Dodihn! Frau Dodihn! Kommen Sie, wachen Sie wieder auf! Frau Dodihn!“

Flatternd schlug sie die Augen auf.

O-oh, war ihr übel – alles drehte sich.

Eisgraue, besorgte Augen sahen sie an.

„Frau Dodihn, geht es Ihnen wieder besser?“

„Ich weiß nicht – was war denn los?“

„Meine Unkenntnis muss umwerfend sein. Als Antwort auf meine Fragen fielen Sie in Ohnmacht. Ich konnte Sie gerade noch auffangen und in Ihr Büro tragen. Sind Sie krank? Brauchen Sie irgendwelche Medikamente?“

„Nein, nein. Nur bitte ein Glas Wasser, ja?“

Ihr Kunde reichte ihr ein Glas Mineralwasser, das auf ihrem Schreibtisch stand. Stella trank, und langsam wurde ihr besser. Nur in den Ohren rauschte es noch ein bisschen.

Nun war es ihr mächtig peinlich, dass sie ihm buchstäblich in die Arme gesunken war. Über den Rand ihres Wasserglases blinzelte Stella zu ihrem Retterkunden hinüber. Der stand groß und breit mitten im kleinen Büro. Sein Blick schwenkte gerade von der großen Schale mit Zitronen und der Ahornsirupflasche zu ihr.

„Sie machen wohl eine Zitronendiät, was?“

„Ja.“ Stella reagierte einsilbig auf die in strengem Ton gestellte Frage.

„Davon sollten sie tunlichst die Finger lassen, Frau Dodihn.“

„So? Woher kennen Sie meinen Namen? Und wie kommen Sie dazu, mir einfach ungefragt gute Ratschläge zu erteilen, Herr –?“

„Zapp. Arne Zapp. Ihr Name steht vorne im Inhaberschild, und ich verstehe etwas vom menschlichen Körper.“

„So? Ich auch. Ich hab mal Anatomisches Zeichnen gehabt“, kratzbürstete Stella.

„Ach, nee“, grinste Arne Zapp. „Anatomie gehörte auch in mein Studium. Allerdings habe ich Medizin studiert.“

„Herrjeh! Auch das noch! Ein Arzt! Um Ihre Zunft mache ich eigentlich lieber einen großen Bogen.“

Arne Zapp griff nach ihrem Handgelenk und fühlte ihren Puls.

„Na, das fühlt sich gut an.“ Er verglich ihren Pulsschlag mit dem Sekundenzeiger seiner Armbanduhr. „Und Farbe kommt ja auch wieder in Ihr Gesicht.“

Er lächelte sie an. Unwillkürlich lächelte Stella zurück.

„Aber, um noch einmal auf Ihre Zitronensammlung zu kommen: sollten diese Früchte und die hübsche Flasche mit Ahornsirup nicht der Dekoration, sondern Ihrer Ernährung dienen, so kann ich das nicht befürworten.“

Stellas Lächeln verschwand. Finster starrte sie in ihr Wasserglas.

„Eine Zitronenfastenkur ist extrem Kreislauf belastend. Und nicht nur das, auch die inneren Organe werden –“

Er kam nicht weiter. Stella unterbrach ihn abrupt. „Ersparen Sie mir das!“

„Wenn Sie unbedingt dauerhaft abnehmen wollen, so geht das auf gar keinen Fall mit solchen einseitigen Extremkuren.“ Er ließ einfach nicht locker.

„Ich dachte, Sie interessieren sich für ein Bild in lebendigen, kräftigen Farben für Ihr Wohnzimmer“, lenkte Stella ab.

„Das auch. Ich nehme übrigens das Aquarell, dessen Vorzüge Sie mir vor Ihrer – hm – Pause so wundervoll erklärt haben. Es erinnert mich an meine Schulzeit. Kunstunterricht. Emil Nolde hat mich immer schon mit seinen kräftigen, leuchtenden Farben begeistert.“

„Dieses farbenfrohe Aquarell mit dem Titel ‚Weite Landschaft‘ ist aber kein Emil Nolde“, spann Stella sogleich lebhaft den Faden weiter. „Doch ohne Zweifel war die junge Künstlerin, ihr Name ist Hannah Hahnig, ebenfalls von dem Altmeister beeindruckt. Möchten Sie es in dem Rahmen, in dem es ausgestellt ist oder sollen wir noch einen suchen, der Ihre Wohnung farblich mit einbezieht?“

Arne Zapp lächelte. „Schon wieder ganz geschäftsmäßig, Lady Lemon? Das Bild gefällt mir in dieser Rahmung. Beides wird in meiner Wohninsel wundervoll aussehen. Aber zurück zu Ihnen – bitte lassen Sie den Quatsch mit den Zitronen. Ihr kleines Blackout vorhin sollte Ihnen Warnung genug sein.“

Stella seufzte. War der Mann hartnäckig!

„Und was kann ich Ihrer Meinung nach tun, um endlich meine Traumfigur zurück zu erobern?“ Das hätte sie mal besser nicht gefragt, denn die Antwort, die sie bekam, war nicht das, was sie hatte hören wollen.

„Das Einzige, was wirklich dauerhaft hilft, ist, die Ernährung umzustellen. Normale Sachen essen, vor allem Gemüse. Aber Ihr Körper, Ihr Organismus braucht auch Obst, Milch, Quark, Eier, Fleisch, Fisch, Kartoffeln, Brot – eben von allem etwas. Und wenn Sie eine Süße sind“, fügte Zapp grinsend hinzu, „brauchen Sie auch jeden Tag ein Nascherchen, damit Sie nicht irgendwann einmal unter Entzugserscheinungen leiden und heißhungrig über Schokolade und Co herfallen.“

„Danke für die Vorlesung, Herr Professor Zapp.“

„Bitte, bitte, aber Doktor Zapp reicht. Man will sich ja nicht mit fremden Federn schmücken“, wehrte der Mediziner lachend ab.

Stella rollte die Augen und atmete tief durch. Was für ein Typ!

„Nun, außerdem brauchen Sie Ausgleichsport und Bewegung. Gehen Sie schwimmen, Rad fahren, joggen – das bringt die Heizer in Ihrer Verbrennungsanlage auf Trab.“

„Ja, was denn noch alles! Solch ein Essprogramm, wie Sie es mir vorschlagen, kann ich bei meinem unregelmäßigen Tagesablauf nicht einhalten. Wenn ich schon an die Einkauferei und die Zubereitungen denke! Und dann soll ich mich auch noch sportmäßig quälen und schinden. Ich war froh, als ich den Schulsport endlich hinter mir lassen durfte, da werd ich bestimmt nicht freiwillig in der Gegend herum hoppsen und Freiübungen machen.“

Stella war empört. Was dieser Mensch sich einbildete! Er sollte sein Bild kaufen und verschwinden.

Arne Zapp lachte laut auf. „Wut steht Ihnen richtig gut!“

Dann wurde er wieder ernst, kaufte das Bild und nahm es gleich mit. Im Hinausgehen gab er ihr eine Visitenkarte.

„Falls sie doch Lust auf Ausgleich und Bewegung haben, gehen Sie doch mal ins Fitness-Center. Da hoppst man nicht in der Gegend herum – vielleicht ist das ja etwas für Sie.“

Er strahlte Stella an – reif für eine Zahnpastareklame. Dann ging er. Endlich!

Stella stand mitten im „Sternenhimmel“, starrte hinter ihm her mit der Visitenkarte in der Hand:

Bodybuilding & Fitness

Medizinische Betreuung von A – O

Vereinbaren Sie einen persönlichen Beratungstermin!

Am Nachmittag schloss Sie ihr Geschäft und fuhr zu Maxi.

Maxi wohnte in einem eleganten Penthouse am Park. Nach einer „glücklichen“ Scheidung war sie aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen und großzügig abgefunden worden. Auch heute noch traf sie sich oft mit ihrem Exgatten nicht nur auf einen Kaffee. Sie verstanden sich noch immer ganz gut – nur leben konnten sie nicht miteinander.

Der Nachmittag war mild und von golden warmem Sonnenlicht durchflutet. Sie saßen auf der Dachterrasse und hatten ihre „Limonendrinks“ vor sich auf dem Tisch stehen. Stella schilderte ihrer Freundin gerade den problematischen Bildverkauf vom Vormittag.

„Also, Maxi, auch wenn ich die Einstellung dieses Dr. Arne Zapp für etwas überzogen halte – so ganz überzeugt war ich von diesem Zitronenzeugs nie.“

„Stella! Warst Du schon mal auf der Waage in diesen vier Tagen?“

„Nein.“

„Komm mit und staune.“ Maxi sprang auf, zog Stella mit in die Wohnung und ins Bad, zeigte auf die Waage (das gleiche Modell wie auch Stella es besaß) und forderte Stella auf, sich sofort zu wiegen.

Stella zierte sich. „Nein, das mache ich immer nur morgens.“

„Ist heute egal.“

„Aber ich wiege mich immer nur unbekleidet.“

„Dann zieh Dich aus.“

„Maxi! Jetzt reicht es aber.“

„Na gut. Aber wieg Dich morgen früh wie gewohnt und entscheide dann, ob Du weitermachst oder nicht.“

Stella sank gegen den Türrahmen und sah entgeistert drein. „Mensch, Maxi, merkst Du nix mehr? Ich bin heute in Ohnmacht gefallen! Einfach so. Wenn mir das auf der Straße passiert wäre – oder im Auto...“

„Naja, vielleicht ist Dein Kreislauf ein bisschen labil.“

„Sag mal, Maxi, so eine Fastenkur zu beginnen, ohne beim Arzt zu checken, in welcher körperlichen Verfassung man sich befindet, ist wohl ein wenig einfältig von uns gewesen. Außerdem hatte der Fitnessdoktor ‘ne Menge gegen die Zitronendiät einzuwenden.“

„Hat er auch eine Alternative zu bieten, Dein Doktor?“

„Er ist nicht mein Doktor. Aber Alternativen hat er tatsächlich aufgezeigt.“

„Ach – kenn ich alles: viel Gemüse, viel Salat, viel Trinken, viel Sport – viiiel Gesundheit. Und viel langsam geht das auch noch. Wenn Du Glück hast, verschwinden 372 Gramm pro Monat.“

„Er sagt, nur so geht es.“

„Das können wir ja machen, wenn die Kilos runter sind, damit wir nicht mehr zunehmen.“

„Maxi, ich glaub den ganzen Quatsch nicht mehr.“

„Willst Du aufgeben? Sind doch nur noch drei Tage. Jetzt fängt Dein Körper erst so richtig an zu entschlacken, Giftstoffe werden freigesetzt und ‘raus gespült. Wenn Du jetzt aufhörst, schadest Du Dir und Deinem Kreislauf mehr, als Du ihm nützt. Halte wenigstens noch die drei Tage durch. Danach überlegen wir uns etwas anderes.“

Maxi konnte auch Schlangen beschwören. Ganz sicher. Seufzend gab Stella sich drein. Außerdem – sieben Kilo leichter bedeutete zwei Nummern kleiner im Kleiderschrank...

„Wie sieht er denn aus, Dein Fitnessdoktor?“

„Er ist nicht mein Doktor. Aber er sieht gut aus: groß, breit, muskulös, raspelkurze, schwarze Haare, eisgraue Augen –“

Stella brach ab und warf Maxi böse Blicke zu, die auf dem Toilettendeckel saß und haltlos kicherte.

„O-oh, er ist nicht Dein Doktor. O-oh, aber schwärmen tust Du in den höchsten Tönen. O-oh, Stella-Stern, Vorsicht, Dein Herz.“

„Maxi! Du bist unmöglich. Dieser Mensch ist unmöglich. Ach, es ist einfach alles unmöglich.“

„Nix ist unmöööglich –“, intonierte Maxi einen bekannten Werbeslogan. Sie liebte Werbesprüche. Ständig fiel ihr dazu etwas ein. Dieses Talent nutzte sie als Freie Werbetexterin.

Sie kicherten und lachten und alberten noch eine Weile herum, dann wollte Stella heim.

Zu Hause freute sie sich auf einen ruhigen Abend in Knuddelzeug vor dem Kamin – ohne heiße Schokolade, aber mit Buch. Gerade, als sie es sich so richtig gemütlich gemacht hatte und das Feuer im Kamin prasselte, dudelte das Telefon. Glücklicherweise lag das mobile Teil neben ihr, und sie konnte bequem in ihren Polstern und Kissen versunken sitzen bleiben.

„Ja, bitte?“ Daheim meldete sie sich immer nur mit diesem Kürzel.

„Hallo, Stella, wie geht es Dir?“

Verdammt, noch immer ließ diese Stimme ihre Haut prickeln.

„Grüß Dich, Marius. Wie klappt es mit der Wohnungssuche?“

„Ach, nicht so toll. Irgendetwas stimmt immer nicht. Entweder ist die Wohnung zu klein oder die Lage nicht gut oder die Leute im Haus gefallen mir nicht. Stell Dir vor, ein Vermieter bietet eine Wohnung von 150 qm an, verbittet sich aber Kinder. Kinder sind laut und stören.“

Er klang so traurig und resigniert, dass Stella ihm spontan vorschlug, sie zu besuchen. Freudig stimmte Marius zu.

Gleich darauf tat es Stella schon wieder leid – ihr schöner, gemütlicher Buchabend war vorläufig beendet.

Kurze Zeit später traf Marius ein. In der dämmrig beleuchteten Diele umarmte er Stella heftig. Überrascht ließ Stella es geschehen, schob ihn dann aber sanft von sich.

„Geht es Dir nicht gut, Marius?“

„Nein, wirklich nicht. Seit ich wieder daheim bin –“

Er brach ab, Stella führte ihn ins Wohnzimmer, wo er sich seufzend in die gemütlichen Polster vor dem knisternden Kamin sinken ließ. Das Feuer und die kleine Leselampe waren die einzige Beleuchtung im Raum.

„Sicher fühlst Du Dich fremd im eigenen Land nach dem langen Auslandsaufenthalt“, vermutete Stella und reichte ihm etwas zu trinken.

„Ach, das ist es nicht. Nicht so direkt jedenfalls. Es ist alles irgendwie so weit weg – und so unwirklich. So, als wäre alles nur ein Traum gewesen...“ Er starrte in sein Glas.

„Wann kommen denn Deine Frau und Deine Tochter?“

„Wir haben noch keinen Termin vereinbart. Ich lebe noch immer bei meinen Leuten, habe noch keine Wohnung und auch keine geeigneten Büroräume gefunden.“

„Sieht ja im Moment wohl etwas schwierig aus. Aber Du darfst jetzt nicht aufgeben. Hast Du schon einen Makler eingeschaltet?“

„Ja, Makler aufgesucht, selbst inseriert, auf Anzeigen angerufen oder hingefahren. Bis jetzt hat alles nichts gebracht. Und außerdem fühle ich mich hier in meiner Heimat einsamer als damals zu Anfang in Japan.“

„Da hattest Du ja auch Deinen Job in dem großen Architekturbüro. Du musst Dir und Deutschland Zeit geben, Euch wieder aneinander zu gewöhnen.“

„Vielleicht hast Du recht. – Ach, Stella“, er holte tief Atem und sah ihr in die Augen. „Stella, manchmal denke ich, ich hätte nicht fortgehen sollen.“

Stella schwieg, doch ihre linke Augenbraue zuckte unvermeidlich in die Höhe.

„Weißt Du noch, unsere Diplomparty?“ erinnerte er sich. „Wir hatten beide im gleichen Semester unsere Examen gemacht und die Party gemeinsam im Schwimmbad veranstaltet.“

„Ja, wir hatten es extra für den Abend gemietet und mit Luftballons und Luftschlangen geschmückt und überall Kerzen aufgestellt.“

„Genau. Und zum Schluss sind alle im Pool gelandet und haben eine riesige Wasserschlacht ausgefochten.“

Stella lachte, als sie an die glückliche Zeit damals dachte.

Marius versenkte seinen Blick in ihre dunklen Augen. Sekundenlang. Sekunden, in denen die vergangenen Jahre zerflossen.

Dann nahm er Stella in die Arme und küsste sie.

Ihre Lider senkten sich, und sie erwiderte seinen Kuss.

Und plötzlich war es wieder wie damals.

Plötzlich waren sie wieder sieben Jahre jünger, war die Zukunft noch unbekannt und alle Chancen der Welt erwarteten sie.

„Oh, Stella, Elflein, dass ich Dich wieder gefunden habe...“

Marius Atem ging rasch, Stellas Herz klopfte laut. Sie überließ sich seinen Zärtlichkeiten, drängte jeden anderen Gedanken beiseite, wollte nur noch Marius spüren, Marius und ein Stück unbeschwerter Studentenseligkeit. Die Galerie, Zitronen, Japan, Momoko und Mitsu waren so weit fort...

Sie versanken wie im Rausch in einem Strudel von greifbaren alten und neuen Gefühlen und liebten sich wild und heftig und drängend vor den züngelnden Flammen des Kaminfeuers.

Sehr viel später, als die Feuer erloschen waren und nur noch die Glut im Kamin glomm, löste Stella sich aus Marius Armen, suchte seinen Blick. Stumm fragend sah sie ihn an. Was sollte nun werden? Einerseits wollte sie die neue, alte Vertrautheit nicht wieder hergeben, andererseits spürte Stella, dass irgendetwas nicht so war, wie es nach einem so leidenschaftlichen Erlebnis sein sollte. Auch Marius schien irritiert, drehte den Kopf zur Seite und schloss die Augen.

„Was ist los? Sieh mich an und rede mit mir“, forderte Stella.

Marius blieb stumm.

„So geht das nicht, Marius. Sag mir bitte, was Dich drückt.“

„Du hast Dich sehr verändert“, begann er langsam. „Du riechst anders, Du schmeckst anders, und Du fühlst Dich auch anders an.“

Stella wartete.

„Du bist eine erfolgreiche und sicherlich auch attraktive Frau geworden, Stella. Aber, es tut mir leid, ich vermisse das Mädchen von damals – mein Elflein.“

Stella war es, als täte sich die Erde auf. „Sieben Jahre sind eine lange Zeit, Marius. Die gehen an keinem spurlos vorüber“, brachte sie mühsam hervor.

„Nein, aber Du scheinst ein völlig anderer Mensch zu sein.“

„Das fällt Dir aber reichlich früh ein!“ schnappte Stella ironisch.

„Kannst Du eigentlich nichts dagegen tun?“

„Was meinst Du?“

„Nun, ein erfolgreicher und tatkräftiger Mensch sollte doch auch seinen Körper im Griff haben. In Japan hat man jedenfalls diese Schwierigkeiten nicht.“

Stille breitete sich zwischen ihnen aus. Japan war doch nicht so weit fort wie Stella gehofft hatte. Für einen Moment fehlten ihr tatsächlich die Worte.

„Ich weiß nicht, wie die Japaner mit ihren Frauen umgehen, Du aber hast eine Menge von Deinem ehemaligen Charme eingebüßt.“

„Momoko hat sich darüber nie beschwert. Außerdem hat sie bereits ein Kind geboren und sieht immer noch mädchenhaft aus.“

Sekundenlang sah Stella ihn an. Dann stand sie auf, nackt und rund wie sie war, bückte sich, hob seine Kleidungsstücke auf und schritt zur Tür. Sie warf die Sachen in die Diele und sagte ruhig: „Raus. Du kannst Dich im Flur noch ankleiden, und dann verschwinde.“

„Was fällt Dir denn ein? So zickig brauchst Du gar nicht auftreten!“ Drohend kam er auf sie zu.

Stella klopfte das Herz wild bis zum Hals. Wut und Empörung nahmen ihr fast den Atem. Gefährlich leise kamen ihre Worte: „Sei froh, dass ich Deine Kleider nicht vor die Haustür in den Vorgarten geworfen habe. Zieh Dich an – und dann verschwinde aus meinem Leben.“

Einen langen Moment verharrten die beiden dunklen Augenpaare in stummem Gefecht. Marius spürte Stellas kalte Entschlossenheit und Distanz. Es war ihm zwar nicht bewusst, was er Falsches gesagt oder getan haben sollte, um solch eine heftige Reaktion herauf zu beschwören, verlegte sich aber aufs Bitten.

„Stella, Du kannst mich doch nicht einfach so vor die Tür setzen.“

„Doch. Ich kann. Raus.“ Sie schritt zur Haustür und öffnete sie weit. Der milchige Schimmer der Straßenlaterne stürzte über die Fliesen der Diele und beleuchtete den entsetzten Gesichtsausdruck des hüllenlosen Mannes. Marius sprang fast in seine Hosen und verschwand schließlich ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Stella warf die Tür hinter ihm zu und drehte den Schlüssel um. Sie sank gegen den im Türblatt eingearbeiteten Spiegel, ihr Blick ging ins Leere.

Irgendwann spürte sie die Kälte des Bodens und des Spiegels. Sie fror. Äußerlich und innerlich. Langsam tappte sie ins Wohnzimmer zurück, zog ihre weichen, warmen Knuddelsachen wieder an und hockte sich vor den glimmenden Kamin. Sie legte Kiene und Kloben in die Feuerstelle, brachte die Flammen wieder zum Lodern und ging dann in die Küche. Dort machte sie sich eine Heiße Schokolade – und zwar mit gaaanz viel Sahne.

Schließlich saß sie eingewickelt in ihre Kuscheldecke mit dem dampfenden Kakao in den Kissen vor dem inzwischen wieder munter prasselnden Kaminfeuer.

Als sie nicht mehr fror und die Wärme des Feuers und die Süße des Kakaos sie langsam durchströmten, kamen die Tränen. Langsam kullerte der erste, salzige Tropfen über ihre linke Wange. Sie war ja selbst schuld an ihrem Fiasko. Eine alte Liebe war wie ein Pilzgericht – beides sollte man niemals aufwärmen. Schon gar nicht, wenn eine Familie mit ins Spiel gekommen war.

Trotzdem war es eine maßlose Unverschämtheit von Marius nach einem solchen Ausbruch von Gefühlen und Leidenschaft an ihr herumzumäkeln und auch noch Vergleiche anzustellen zwischen ihr und seiner japanischen Pfirsichblüte!

Und dann heulte und schluchzte und schniefte sie in ihren Kakaobecher bis alle Tränen heraus geweint und ihre Augen und Nase fürchterlich verquollen waren.

Sonntag, 01. Oktober

Am nächsten Morgen wachte sie vor dem erloschenen Kamin auf. Irgendwann war sie vom Weinen erschöpft in ihrer Decke eingeschlafen.

Stella war keine Frau, die sich lange selbst leid tat. Wenn Momoko eine zarte Pfirsichblüte war, dann war Stella ein reifer Pfirsich – rosig, rund und schön weich. Und Marius war in den Jahren in Japan ein fürchterlicher Macho geworden, der nur sich und seine Ansichten und Wünsche gelten ließ. Dass sie ihre eherne Regel „Lass Dich nie mit einem verheirateten Mann ein!“ gebrochen hatte, wollte sie nicht weiter analysieren – lieber vergessen.

So – und nun: Schluss mit Kummer und Tränen.

Sie stand auf und ging ins Bad. Nun brauchte Sie kein langes Verwöhn- und Kuschelschaumbad, sondern eine erfrischende, aufmunternde Duschorgie. Sie stellte sich in ihre Dusche, drehte die Hähne auf und genoss ausgiebig das auf sie nieder prasselnde, heiße Wasser. Nachdem sie sich mit dem Badetuch trocken gerubbelt hatte, cremte sie sich von oben bis unten mit einer duftenden Bodylotion ein.

Anschließend putzte sie mit Hingabe minutenlang ihre Zähne und spülte und gurgelte allen schlechten Geschmack des gestrigen Abends aus ihrem Mund.

Schließlich marschierte sie in ihren weichen Bademantel gehüllt in die Küche. Dort strafte sie ihren restlichen Zitronenvorrat mit Verachtung und bereitete sich ein ausgiebiges Tröstefrühstück mit einer großen Schale Café-Au-Lait, aufgebackenen, warmen Croissants, zartem, hauchdünn geschnittenem Rauchfleisch und Frischkäse mit Pflaumenmus.

Während sie all diese Köstlichkeiten verzehrte, kramte sie in ihrer Handtasche nach ihrem Notizbuch. Dabei fiel ihr die Visitenkarte in die Finger, die ihr der Fitnessdoktor gegeben hatte. Auf der Rückseite waren die Telefonnummer und die Öffnungszeiten des Trainingsclubs vermerkt. Er war auch an Sonntagen zugänglich.

Auf einmal schien ihr die Idee mit dem Sport gar nicht so abwegig. Anschauen konnte sie sich so ein Bodystudio ja mal.

In Jeans und Pulli, aber ohne Sporttasche, stand sie kurze Zeit später im Fitness-Center. Neben der Eingangstür streckte sich der Empfang mit Café-Bar, die von einer kleinen, gemütlichen Sitzecke ergänzt wurde. Der Trainingsraum war riesengroß. Es gab drei Zirkel mit jeweils mehreren Geräten, die wie Inseln in dem Riesenraum wirkten. Mindestens zwanzig Menschen, Männlein wie Weiblein, trainierten stöhnend und pustend mit den Instrumenten.

„Stella! Schatzi, grüß Dich! Seit wann gehörst Du denn zu uns Fitness-Jüngern?“

Überrascht drehte Stella sich um. „Marga! Was machst Du denn hier?“

Küsschen rechts, Küsschen links. „Du bist gut! Du weißt doch, dass ich regelmäßig zum Training gehe.“

„Ah ja, ich erinnere mich. Du betreibst das schon länger, nicht wahr?“

„Fast ein Jahr schon“, bestätigte Marga nickend. „Und? Willst Du jetzt auch anfangen?“

„Nö. Weiß noch nicht. Nur mal schauen, was hier so los ist.“

„Das Training täte Dir sicher auch gut. Ist ein prima Ausgleich zum Stress im Job. Ob Freude, Frust oder Verspannung – alles kann man hier raus lassen ohne andere zu nerven.“

„Ach, den Psychotherapeuten spart man wohl nebenbei auch noch, während man sich locker eine Superfigur antrainiert?“ Bei Stella brach schon wieder die Ironie durch.

Marga lachte: „Ach, Stella, Du bist unmöglich! Wie bist Du überhaupt auf dieses Studio gekommen?“

„Ein Kunde gab mir eine Visitenkarte. Wahrscheinlich stemmt der hier auch die Gewichte. Aussehen tut er jedenfalls danach.“ Grinsend begleitete Stella ihre Worte mit beschreibenden Gesten.

Marga prustete vor Vergnügen. „Warte, ich stell Dir den Trainer vor. Das Tolle hier ist, falls mal etwas passieren sollte, hast Du gleich die richtige, medizinische Versorgung.“

Sie waren bei einem im Liegestütz auf und nieder hüpfenden Muskelberg angekommen.

„Hey, Arne, darf ich Dir meine Freundin Stella vorstellen? Sie will sich über das Trainingsprogramm informieren.“

Stella blickte auf einen raspelkurzen, schwarzen Haarschopf und kräftige, muskulöse Arme, die einen mächtigen, athletischen Körper bewegten. Nun sprang dieser sportliche Mensch geschmeidig auf die Füße, und ein Blick aus eisgrauen, lächelnden Augen traf Stella, deren Knie sich bedenklich mit Wackelpudding füllten.

Arne strahlte, nahm Stellas Hände und rief mit volltönender Stimme: „Das ist ja wundervoll, Frau Dodihn! Ich hätte es nicht für möglich gehalten, Sie tatsächlich hier begrüßen zu dürfen.“

Marga schaute ungläubig drein. „Arne war Dein Kunde, Stella?“

„Sieht so aus.“ Ganz dünn kam Stellas Stimme.

Arne schien die Verlegenheit von Stella zu spüren. „Am besten, wir setzen uns erst mal an die Café-Bar, und ich erzähle Ihnen ein bisschen was über den Laden hier. – Marga, Du machst bitte Dein neues Programm weiter wie besprochen. Ich kümmere mich um Deine Freundin.“

„Alles klar, Arne. – Keine Sorge, Stella, bei Arne bist Du in guten Händen. Bis dann!“ Marga steuerte auf ein chromblitzendes Ungeheuer zu, um sich weiteren Übungen zu widmen.

„Kommen Sie, Stella“, forderte Arne Zapp sie freundlich auf, legte sachte seinen Arm um Stellas Schultern und führte sie zu der wintergartenähnlichen Café-Bar. „Möchten Sie etwas trinken?“

„Nein, danke.“

„Nun, dann werde ich Ihnen wohl erst mal etwas über mich und über dieses Studio erzählen. Also, ich bin Arzt an der Sportklinik und betreibe mit meinem Freund Ole dieses Fitness- und Bodybuilding-Studio. Einer von uns beiden oder Jack, ein speziell ausgebildeter Trainer, ist immer während der Öffnungszeiten hier. Unser Trainingsprogramm basiert auf den neuesten sportmedizinischen Kenntnissen.“

Er machte eine Pause, um Stella Gelegenheit zu geben, eventuelle Fragen zu stellen. Stella schwieg.

„Wenn Sie bei uns Mitglied werden, steht Ihnen das Sportstudio mit sämtlichen Geräten und Einrichtungen inklusive Beratung und Betreuung zur Verfügung. Sie können hier Saunen und Sonnenbräunen, auch mal eine Runde schwimmen, Kaffee, Saft, Mineralwasser oder Energiedrinks zu sich nehmen. Außerdem werden Sie hier immer nette, aufgeschlossene Leute treffen.“

Stella schwieg immer noch.