Kämpfend bis zum Schluss - André Kraus - E-Book

Kämpfend bis zum Schluss E-Book

André Kraus

4,8

Beschreibung

In seinem 2. Buch schreibt der Autor über die Erfahrungen die er bei den verschiedensten sportlichen, aber auch menschlichen Herausforderungen gemacht hat und gewährt dem Leser dabei tiefe Einblicke in seine Gefühlswelt. Auf spannende, mitreißende, aber immer auch humorvolle Art berichtet er u.a. von seinen Erlebnissen bei Extremläufen und einem mehrtägigen Trailrun über die Alpen. Oft stößt er hierbei an seine physischen und psychischen Grenzen, die ihn jedoch nicht davon abhalten trotzdem weiter zu machen. Verheerende Diagnosen, Zwangspausen, geplatzte Träume und auch zerschmetternde Niederlagen können hierbei seinen Kampfgeist und Mut letztlich nicht brechen. Wird es ihm wirklich gelingen seinen Traum vom Sieg bei einem der härtesten Hindernisläufe der Welt wahr werden zu lassen?

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Über den Autor:

André Kraus, geboren 1975 im Sauerland, ist seit einigen Jahren leidenschaftlicher Läufer. Zuhause fühlt er sich hierbei auf fast allen Distanzen ab 5km aufwärts. Generell gilt für ihn das Motto: Je verrückter die Strecken und deren Beschaffenheit, desto besser! Durch sein 1. Buch „Herz eines Kämpfers“ und Siege bei diversen Marathon-, Hindernis- und Crossläufen, hat er mit seiner stets kämpferischen Art und Weise in der Laufszene bereits auf sich aufmerksam machen können.

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1 –

Mit aller Macht

Kapitel 2 –

Der eiserne Wille

Kapitel 3 –

Der Fluch von Helgoland

Kapitel 4 –

Allein gegen die Armee der Blutsauger

Kapitel 5 -

Im Anmarsch auf die Alpen

Kapitel 6 –

160 Kilometer - Im Angesicht des Schmerzes

Kapitel 7 –

Die Angst vorm Fallen

Kapitel 8 –

Mein letztes Rennen

Kapitel 9 –

Der lange Weg zurück

Kapitel 10 –

Wenn die Hoffnung letztlich doch erstirbt

Kapitel 11 –

Wie ein Licht in dunkler Nacht

Schlusswort

„Last but not least“

Vorwort:

Lieber Leser,

ob Ihnen dieses Buch gefallen wird oder nicht, hängt sicherlich davon ab, mit welcher Einstellung und Erwartung Sie beim Aufschlagen des Buches starten. Wenn Sie poetische Lyrik erwarten, dann werden Sie enttäuscht sein. Wenn Sie eine weichgespülte Seifenoper erwarten: Sie werden bitter enttäuscht sein. Falls Sie ein politisches Statement, eine Offenbarung oder einen Skandal erwarten, auch dann werden Sie enttäuscht sein! Wenn Sie aber bereit sind, zu versuchen, sich in meinen Kopf und meine Gedanken zu versetzen, wenn Sie Leidenschaft, Durchhaltewillen, körperliche und seelische Schmerzen, Ehrlichkeit, Stärke und auch menschliche Schwächen erwarten, kennen und akzeptierten, dann glaube ich, dass Ihnen dieses Buch vielleicht gefallen könnte!

Das Schreiben ist nur ein Hobby von mir, darin bin ich sicherlich nicht perfekt. Das ist auch gar nicht mein Anspruch, perfekt zu sein, denn dazu habe ich viel zu viele Schwächen. Aber ich gehe auch nicht durchs Leben um immer nur Durchschnitt zu sein. Ich kann mich fokussieren auf Ziele, mich festbeißen an Dingen, die ich mir vornehme. Dafür kämpfen, das habe ich bereits bewiesen! So manchen sportlichen Traum habe ich mir bereits erfüllt, andere warten noch darauf erfüllt zu werden, vielleicht auch vergeblich, denn ich spüre den Zahn der Zeit an mir nagen. Und nicht nur das, denn manche Prioritäten verschieben sich im Laufe des Lebens. Der Sport rückt in den Hintergrund, denn Familie, Beruf und andere Prüfungen des Lebens haben aktuell Ansprüche die erfüllt werden müssen.

Es gibt nicht nur Sonne im Leben! Diese Erkenntnis lernen wir bereits in jüngeren Jahren. Es gehören auch Wolken und Regen dazu. Das Leben ist wie ein Lauf, der Ausgang des Rennens ist am Start noch völlig offen. Am Ende, im Ziel aber gibt es sowohl Sieger als auch Verlierer. Jeder läuft seinen eigenen, ganz persönlichen Lauf durchs Leben. Wie wir ihn absolvieren, mit erhobenem oder mit gesenktem Haupt, mutig, offensiv, von vorne weg oder ängstlich kauernd, defensiv, im hinteren Feld, diese Entscheidung fällt jeder für sich.

Dieses Buch ist vergleichbar mit einem Berglauf: Es führt über Gipfel, sonnige Höhen, aber auch durch dunkle Täler und rabenschwarze Tiefen. Wo dieser Berglauf schließlich endet, ob oben auf einem Gipfel oder unten im Tal, mit Triumph oder Niederlage, dass lässt sich nie genau vorhersagen. Lasst ihn uns gemeinsam laufen! Wer Lust hat auf eine Berg- und Talfahrt, auf eine gute Portion Abenteuer, reichlich brennende Oberschenkel, auf 2800 Meter hohe Alpengipfel, Hochseeinseln, Schlamm, zerbrochene und erfüllte Träume und nicht zuletzt ganz viel Herz, Leidenschaft und eine große Portion Kampfgeist, der ist herzlich eingeladen die folgenden Seiten mit mir zu durchleben…

Nicht irgendwie, sondern: Kämpfend bis zum Schluss!

Für Michaela, die Kämpferin an meiner Seite…

Kapitel 1 Mit aller Macht

Was hatte ich in den vergangenen 4 Jahren nicht alles unternommen, um einmal nur ganz oben auf dem Podest zu stehen bei der legendären Braveheart Battle, dem vielleicht härtesten Hindernislauf Deutschlands? Bittere Niederlagen hatte ich bereits hinnehmen müssen beim Griff nach dem Siegerschwert im unterfränkischen Münnerstadt. Die Wunden des letzten Jahres, als ich Kopf an Kopf mit 2 weiteren Kriegern in die letzte finale Steigung ging und auf diesen Metern den Sieg verpasste, sie sind noch frisch, der Geschmack beim Gedanken daran, er ist immer noch bitter. Doch aus Niederlagen kann man auch neue Motivation ziehen. Seit jenem Tag hatte ich ein neues Ziel: Revanche. Noch in der folgenden Nacht nahm ich online die Anmeldung für 2014 vor… Jetzt hatte ich 364 Tage, um mich darauf vorzubereiten. Die Zeit verging schneller als gedacht und schon begann das neue Laufjahr 2014.

Wie gewohnt kam ich gut durch den Winter, die Form stimmte, ich konnte den einen oder anderen Erfolg auf verschiedenen Strecken einfahren und befand mich scheinbar auf einem guten Weg. Der Winter war mild, kein Schnee war im Sauerland gefallen und die Trainingsbedingungen nahezu ideal. In den Oeventroper Wäldern spulte ich viele Kilometer in schwerem Gelände ab, trainierte auch im Wasser, in Sumpfgebieten und an Steilhängen um vorbereitet zu sein auf die Strapazen, die in Münnerstadt auf mich und meinen Körper warten würden. Die Wochen zogen dahin, die Starterliste studierte ich rauf und runter, markierte mir die möglichen Konkurrenten. Und die hatten klangvolle Namen, scheinbar unbesiegbare… Die Creme de la creme hatte gemeldet! Der frischgebackene „Tough Guy“ Sieger von Wolverhampton und Champion bei „Getting Tough – The Race“, sei da nur exemplarisch für viele andere genannt, gegen die ich normalerweise ein echt mickriges Licht am Läuferhimmel bin… Aber an der Braveheart Battle ist nichts normal. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass alles möglich ist, warum also nicht auch das Unmögliche? Die Namen in der Starterliste spornten mich nur dazu an noch härter zu trainieren, noch mehr zu geben.

Und dann kam er, wie so oft, der Rückschlag! Er traf mich hart, mit aller Wucht und ich fand mich plötzlich drei Wochen vor dem Startschuss der Battle, im Krankenhaus wieder. Der Noro-Virus hatte mich getroffen, und wie! Abends war noch alles normal, aber nur 8 Stunden später musste mich Michaela mit einem Rollstuhl durchs Krankenhaus schieben, weil ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Völlig ausgepumpt, Energielevel bei 0! Drei Tage verbrachte ich dann auf der Isolierstation des Marienhospitals. Die Pechsträhne, die sich bisher wie ein roter Faden durch sämtliche meiner Braveheart Battle Teilnahmen gezogen hatte, schien sich erneut nahtlos fortzusetzen. Aber ich erholte mich schneller als erhofft…

Klar, es hatte Kraft gekostet, die ersten Trainingsläufe bemerkte ich den Formverlust doch deutlich, aber davon ließ ich mich nicht entmutigen, der Fokus war gesetzt, es gab kein Zurück mehr. Ich würde starten! Dieses Jahr stand ich zudem nicht mehr alleine am Start, denn mein Trainingsgefährte und guter Freund Jörg wollte sich dieses Rennen, nach seinen Filmaufnahmen im letzten Jahr, erstmals aus der Teilnehmerperspektive zu Gemüte führen!

Die Vorbereitung war abgeschlossen, die Battle konnte kommen. Ich fieberte dem Tag X entgegen und freute mich wieder nach Münnerstadt zu kommen. Ich machte keinen Hehl daraus, mit welchen Erwartungen ich dorthin reiste, kein Understatement, ich wollte versuchen zu gewinnen, egal gegen wen auch immer das sein sollte. Diesmal wollte ich keine Angst vor den großen Namen haben, ich vertraute auf mich, meine Beine, meinen Willen und auf Gottes Segen! In aller Früh fuhren wir los und erreichten die Mauern von Münnerstadt bei herrlichem Sonnenschein und angenehmen 7 Grad.

Die gewohnten Abläufe sollten es heute sein, Startunterlagen abholen, einen kleinen Teil der Strecke besichtigen, Umziehen, Position im Startblock sichern und dann was das Zeug hält kämpfen. Aber bereits beim Besichtigen des „Killing Hill“, dem sagenumwogenen Steilhang, den es heute auf Hin- und Rückweg jeweils 2 mal zu bezwingen galt, entdeckte ich neben mir ein selbstzweifelndes, ängstliches Nervenbündel, dass plötzlich Schiss vor seiner Braveheart Battle Premiere hatte – Jörg. So galt es zunächst ihm sein Selbstvertrauen wieder einzuflößen und klar zu machen, dass es neben den schmerzvollen Momenten auf der Strecke, vor allen Dingen eines geben wird: Jede Menge Spaß mit Gleichgesinnten, zumindest wenn er es locker angehen lässt und in der Lage ist, die Atmosphäre unter den Teilnehmern aufzusaugen. Weiter vorne würde es vermutlich für mich weit weniger spaßig werden, dafür waren meine Ziele zu deutlich formuliert und die Strecke zu brutal. 28 Kilometer warten auf uns, gespickt mit 50 altbekannten und teils neuen, fiesen Hindernissen und Streckenabschnitten, die uns keinerlei Zeit und Luft zum Genießen lassen würden. 3000 Starter sollten sich in diesem Jahr dieser Herausforderung stellen – Wie üblich war das Rennen ausgebucht. Beim Umziehen sah ich ihn dann, den Mann der Stunde, den neuen Stern am Hindernis-Matsch-Extremlauf Himmel, denjenigen der momentan alles gewann, Charles F. vom Verein Getting Tough. Er war also tatsächlich da. „Jetzt nicht zweifeln André. Du hast ihn schon geschlagen, er ist nicht unbezwingbar, spätestens heute ist er reif“, so meine Gedankengänge. Ich ging hin, wollte ihm zu seinem Triumph beim „Tough Guy“ gratulieren und wissen, wen er von seinem Team noch alles mit dabei hat. Doch nachdem wir uns begrüßt hatten und er seine Ankündigung kundtat, „er wolle heute nur gemeinsam im Team laufen und lediglich den Mannschaftssieg anpeilen“, war er direkt schon wieder raus aus der Verlosung um Platz 1. Damit hatte zumindest er selbst mit der Entscheidung ganz vorn schon mal nichts mehr zu tun, denn nicht alle Mitglieder seines Teams (das laut Reglement den gesamten Lauf zusammenbleiben muss) hatten seine Klasse. So unverhofft schnell und plötzlich bin ich selten den vermeintlich größten und stärksten Konkurrenten losgeworden. Diese Erkenntnis euphorisierte mich regelrecht und ließ meine Motivation förmlich übersprudeln! Je schneller der Startschuss jetzt kommen sollte, desto besser, aber noch war die Zeit nicht reif. Bereits eine halbe Stunde vor dem Start galt es seine Position im Startblock zu sichern und immer wieder zu behaupten, denn selten wird irgendwo so sehr mit Ellenbogen gearbeitet, wie in vorderster Front eines 3000 Mann/Frau starken Starterfeldes…

Um mich herum herrscht reger Betrieb. Die Mischung aus Schweiß, Muskelöl und Adrenalin lässt mich zurückdenken: Wie bin ich hier her gekommen? Was trieb mich an? Wer war ich früher und wer bin ich heute? Wann bin ich das erste Mal gelaufen? Plötzlich scheint dieser Trubel um mich herum verschwunden zu sein, ich bin in Gedanken versunken und tauche ein in eine Erinnerung…

Ich bin zurück in meiner Grundschulzeit: Es ist 1982, ich stehe auf dem Schulhof. Heute sagt man, Kinder können grausam sein, aber auch damals herrschten schon diese Regeln: Der Stärkere unterdrückt den Schwächeren. Ich war klein, immer schon. Irgendwann beginnt dann die Selektion in den Köpfen der Kinder und man sucht sich „leichte“ Opfer, jemanden an dem man seine eigene Stärke, seine Überlegenheit demonstrieren kann, vielleicht auch nur um seine eigene Schwäche zu verstecken. So ist es heute in unserer Gesellschaft und damals war es nicht anders. Dieser Automatismus scheint einfach fest in unserer menschlichen Natur verwurzelt zu sein. Ich war immer sehr zurückhaltend, schüchtern und unscheinbar – das perfekte Opfer! Drei Jungs aus der Parallelklasse waren indes auf der Suche nach einem selbigen und wurden schließlich bei mir fündig… So entwickelten sich regelmäßige Hetzjagden rund um den Schulhof, die Unterrichtsgebäude und die Umgebung. Dort bin ich das erste Mal gelaufen, aus Furcht, aus purer, nackter Angst vor dem was passieren würde wenn sie mich einholen. Erwischt haben sie mich nur selten, denn ich wurde gut, gut im Entwischen, gut im Verstecken, gut im Flüchten. Positiver Nebeneffekt dessen war übrigens, dass ich im Sportunterricht langsam aber sicher zum König beim „Kettenfangen“ oder „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann“ erwuchs. Nach einer gewissen Zeit war es dann schließlich vorbei und die Drei hatten ein neues, ein einfacher zu jagendes Opfer gefunden und ließen mich links liegen. Ich war natürlich froh und vermisste diese Verfolgungsjagden nicht im Geringsten. Aber wie solch eine Aktion heutzutage auch immer bezeichnet würde, als Mobbing, Ausgrenzung, oder einfach nur Ärgern, sie hatte mich eines gelehrt: Wenn du deine Füße schnell genug bewegst, dir die Gegebenheiten deiner Umgebung zunutze machst, kannst du deinem vermeintlichen Schicksal entkommen!

Flinke Füße, ja genau die brauche ich auch jetzt, 32 Jahre später. Die Grundschulzeit ist vorbei, ich bin zurück im hier und jetzt, bei der Schlacht der Schlachten, meinem persönlichen Saisonhöhepunkt – Braveheart Battle 2014! Die Zeit ist reif, ich spüre diesen Hunger in mir, den Hunger nach der Krone, dem Siegerschwert, dem Triumph. Damals in der Schule bin ich gelaufen aus Angst, jetzt laufe ich um meinem Schicksal entgegen zu eilen, denn ich weigere mich zu glauben, dass es mein Schicksal sein soll, hier erneut zu scheitern und besiegt zu werden wie in den Vorjahren – ich will als Erster die Ziellinie überqueren! Warum? Weil das mein Traum ist! Und es ist mir gerade vollkommen egal, ob ein Teil der 2999 anderen Starter hinter mir annähernd das gleiche Feuer in sich spürt – jetzt gibt es nur eins: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Kämpfen bis aufs Blut, es kann losgehen!

Wir knien nieder, denn das Braveheart-Gebet leitet die finale Phase ein. Ich spüre wie der Kampfgeist in mir erwacht, die Tartanbahn unter uns scheint zu beben, dennoch ist es ganz still. Man spürt das Adrenalin dass in der Luft schwebt, ich kann es sogar schmecken, bilde ich mir ein. Jörg hockt 2 Reihen hinter mir, ich glaube auch er saugt diese einzigartige Atmosphäre inzwischen auf. Ich habe das Gebet, vorgetragen vom Streckenchef „Masterchief“, bereits so sehr verinnerlicht, dass ich den Lautsprecherausfall mittendrin locker verkrafte:

„… ich werde nicht eher aufgeben ehe ich im Kampf gegen die 28km zu Boden gehe. All meine Kraft werde ich aufbringen, auf das man noch Jahre später von diesem Lauf sprechen wird, und den Helden die ihn bestritten!“

Ich werde heute nicht zu Boden gehen, nein, ich bin bereit, lege alle Zweifel beiseite. Ich tauche ein in eine andere Welt. In der gibt es nur noch mich, mein Ziel und die Strecke die dazwischen liegt. Es kann losgehen, lasset die Schlacht entbrennen.

Der Startschuss ist erfolgt, jetzt ist es soweit, mein Rennen, meine Zeit, mein Ziel – es läuft! Ich trotze den drückenden und drängelnden Neben- und Hintermännern, setze mich durch auf den ersten Metern im Stadion. Eine gute halbe Runde gilt es hier zu absolvieren ehe wir auf der Gegenseite nach dem ersten Hindernis in die Wildnis Münnerstadts entlassen werden. Vorweg laufen 2 Teilnehmer, die ich jedoch direkt in die Kategorie „Aufschneider“ einsortiere. Von dieser Kategorie gibt es viele, bei der gesamten Bandbreite von Laufveranstaltungen gibt es sie, bei kleinen Volksläufen, bei Marathons, wie auch bei dieser Art Lauf. Als „Aufschneider“ bezeichne ich Läufer, die meist völlig unerfahren sind oder aber ihre Fähigkeiten heillos überschätzen, die auf den ersten 100 bis 400 Metern das Feld mit einem irre Tempo anführen, um dann komplett nach hinten durchgereicht zu werden und, nicht selten, das Ziel am Ende gar nicht zu Gesicht bekommen. So gesehen, liege ich bereits vor dem Killing Hill auf „Kurs“. Diesen Abhang haben wir uns vorher genau angesehen, so dass ich weiß, welcher Weg hinab der günstigste ist. Ich werde überholt, aber hier entscheidet sich das Rennen noch nicht, erst 27 Kilometer später, wenn wir wieder auf dem Rückweg hier angelangen, dann wird man sehen wer vorne liegt… von daher bleibe ich ruhig, gehe nicht volles Risiko, denn ich weiß, gewinnen kann man hier nicht, sehr wohl aber das Rennen verlieren, denn einmal umgeknickt, hat es sich direkt erledigt. Von daher ist an dieser Stelle noch Vorsicht geboten. Unten angekommen geht es direkt wieder hinauf, so die Neuerung in diesem Jahr. Bergauf geht den eben noch an mir vorbei Rasenden schnell die Puste aus. Ich liege vorn und kämpfe mich mit noch dosierter Kraft den Hang hinauf durchs Gebüsch und Geäst. Dann wieder bergab, keine Zeit um zu sehen wo die vermeintlichen Hauptkonkurrenten liegen. Konzentration ist angesagt. Der Killing Hill liegt hinter uns und es folgt eine flache Schleife mit einigen Flussdurchquerungen. Ich führe das Feld immer noch an und mache ordentlich Tempo. Obwohl ich mir bewusst bin, dass ich alleine aus den Schlammgruben, den „Lanoph Fields“, die nach ungefähr 10 Kilometern auf uns lauern, nicht heraus kommen werde, will ich dem Rest des Feldes mal auf den Zahn fühlen und die Reaktionen testen. Eine ganze Weile laufe ich allein und kann gut beobachten, nachdem wir die Flussseite gewechselt haben, wo die Konkurrenz liegt. Ich werde verfolgt von 3 Läufern, zwei kenne ich nicht, der andere ist Abbi, ein alter Bekannter, mit dem ich schon bei anderen Battles und auch beim Indoor Trail Event in Dortmund gekämpft habe. Auch Jörg entdecke ich ein paar Minuten später, als er freudestrahlend in den Fluss abtaucht. Meine drei Verfolger schließen zu mir auf, okay, erste Erkenntnis: Ich konnte sie trotz eines schnellen Tempodiktats nicht auf Abstand halten, was als Schlussfolgerung nur eines bedeutet: Hier habe ich es erneut mit verdammt starken und schnellen Läufern zu tun. Trotzdem entscheide ich mich dazu, weiter in Front zu laufen und mich nicht im Windschatten einzureihen, um mein eigenes Tempo bestimmen zu können und nicht die Äste der Bäume vom Vordermann ins Gesicht „geschnackt“ zu bekommen, denn es geht gerade stromaufwärts entlang des Flussufers, teilweise durchs Dickicht der Bäume. Dann aber geschieht etwas, dass mir aus zweierlei Gründen gar nicht so recht ins Konzept passen will: Untereinander werden lockere Sprüche gedrückt, es wird geflachst. Die Braveheart Battle ist bekannt für seine Kameradschaft und den Teamgeist unter den Athleten, aber hier und heute befürchte ich, dass mich eine Art freundschaftliche Gemeinschaft wie diese, am Ende den nötigen aggressiven letzten „Punch“ im Finish kosten könnte – Feinde schlägt man bekanntlich wesentlich leichter als Freunde… Nebenbei bin ich entsetzt, dass man bei diesem für mich persönlich echtem Höllentempo, noch so locker reden kann. Ich muss da schon deutlich mehr japsen. Obwohl es mir ja eigentlich schon von vorneherein klar war, dass man die Lanoph Fields, die knapp 4 Meter tiefen Schlammgruben, niemals alleine bewältigen kann und man sich untereinander helfen muss, passt mir dieser Small-Talk gerade überhaupt nicht.

Naja, es hilft ja jetzt nicht zu klagen, steig ich eben mit ein. So lern ich meine Gegner heute halt ein bisschen näher kennen. Mit Abbi verbindet mich inzwischen eine freundschaftliche Rivalität. Er ist megastark auf der Straße, speziell wenn es flach ist. Wenn dies ein flacher Halbmarathonkurs wäre, ich hätte nicht den Hauch einer Chance gegen ihn – heute sind wir jedoch bei der Braveheart Battle! Aber er ist perfekt vorbereitet. Das sehe ich daran, dass er nun bereits zum zweiten Mal einen kurzen Schlenker nach links ins Gebüsch unternimmt und dann zu meiner Überraschung mit einer Trinkflasche wieder herauskommt. Er hat sich tatsächlich bereits gestern, bei seiner Streckenbesichtigung mit dem Mountainbike, eine Art persönliche Verpflegungsstation an bestimmten Punkten deponiert! Das zeigt mir nur wie ambitioniert er heute ist. Auch er konnte diese Battle trotz dauernder Top 5 Platzierungen noch nie gewinnen. Vermutlich brennt auch in ihm ein ähnlicher Hunger wie in mir… Über die anderen beiden Gegner, Thomas und Andreas, lasse ich jetzt meinen „Scan“ drüber laufen. Der eine ist lang und aufgeschossen. Wenn er einen Schritt macht, muss ich zwei machen um auf die gleiche Strecke zu kommen! Aus meiner Perspektive ein echter Riese, ein verdammt schnell laufender Riese, der nicht aussieht, als würde ihn das hier grad auch nur im Geringsten anstrengen. Der letzte Verbliebene im Bunde ist mit mir auf Augenhöhe (größentechnisch) und scheint ein Kumpel vom „Riesen“ zu sein, denn die beiden flachsen mit herrlichem süddeutschen Akzent um die Wette – die Stimmung ist prächtig. Wenn das hier kein Rennen wäre, würde ich echt gerne mal mit den Typen hier meine Trainingsstrecken in Oeventrop zusammen laufen, ich glaube das wäre eine coole Tour… Aber es ist nun mal ein Rennen und ich zwinge mich dazu, dieses neu entstandene Viererbündnis lediglich als das zu sehen was es ist: Eine reine Zweckgemeinschaft um durch die Gruben zu kommen! Auf den ersten 7 Kilometern die jetzt hinter uns liegen, haben wir anscheinend so heftig Tempo gebolzt, dass hinter uns ohne Ende Luft ist zum nächsten Verfolger. So haben wir tatsächlich die Zeit, um während des Laufens auf der immer matschiger werdenden Wiesenlandschaft neben der Lauer eine Taktik abzusprechen: Schnell werden wir uns einig, dass wir bis zu den Lanoph Fields auf dem Rückweg, versuchen müssen zusammen zu bleiben, um gemeinsam durch ziehen und schieben aus den Gruben zu entkommen, alles andere würde keinen Sinn machen. Im Klartext bedeutet das folgendes: Wir würden bis ca. 7km vor dem Ziel in der Braveheart Battle Arena gemeinsame Sache machen und danach jeder auf „eigene Rechnung“ laufen und den Sieger unter uns ausmachen. Ein sehr gewagtes Unterfangen so eine Absprache, aber sie macht Sinn.