Kaputt - Lars Landers - E-Book

Kaputt E-Book

Lars Landers

4,9

Beschreibung

Ein Mann taucht unter falschem Namen in einer Psychotherapiepraxis auf. Er erzählt der Therapeutin eine sonderbare Geschichte. Ein Höllentrip beginnt, in den die Therapeutin bald selbst hinein gerät.

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Seitenzahl: 181

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Über den Autor

Lars Landers lebt und arbeitet in Berlin-Mitte. Er hat in Berlin, der Fahrradstadt Münster und in der Hauptstadt der USA, Washington D.C., studiert.

Mit »Ich werde älter« legte er seinen ersten Roman vor. »Nichts bleibt ... wie es war« und »Kaputt« folgen als zweiter und dritter Roman.

Weitere Romane, wie das »Handbuch zum Unglücklichsein«, »Sonnengott« und »Q«, befinden sich in verschiedenen Vorbereitungsstadien.

Sein Genre ist die Belletristik.

www.larslanders.info

Allen verlorenen Seelen

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 – 34. KW, Dienstag, 16.00 Uhr

Kapitel 2 – 34. KW, Freitag, 10.00 Uhr

Kapitel 3 – 35. KW, Mittwoch, 09.00 Uhr

Kapitel 4 - 36. KW, Montag, 14.00 Uhr

Kapitel 5 - 36. KW, Donnerstag, 18.00 Uhr

Kapitel 6 - 37. KW, Dienstag, 11.15 Uhr

Kapitel 7 - 37. KW, Freitag, 13.00 Uhr

Kapitel 8 - 38. KW, Mittwoch, 11.00 Uhr

Kapitel 9 - 38. KW, Freitag, 13.13 Uhr

Kapitel 10 - 42. KW, Dienstag, 10.00 Uhr

Kapitel 11 - 42. KW, Freitag, 14.05 Uhr

Kapitel 12 - 44. KW, Montag, 13.00 Uhr

Kapitel 13 - 44. KW, Mittwoch, 14.03 Uhr

Kapitel 14 - 47. KW, Montag, 09.00 Uhr

Kapitel 15 - 47. KW, Donnerstag, 14.10 Uhr

Kapitel 16 - 47. KW, Freitag, 13.13 Uhr

Kapitel 17 - 47. KW, Freitag, 21.19 Uhr

Kapitel 18 - 48. KW, Freitag, 13.00 Uhr

Kapitel 19 - 49. KW, Mittwoch, 10.02 Uhr

Kapitel 20 - 50. KW, Freitag, 12.54 Uhr

Kapitel 21 – 52. KW, Dienstag, 10.03 Uhr

Kapitel 22 - 52. KW, Donnerstag, 19.23 Uhr

Kapitel 23 - 2. KW, Montag, 08.59 Uhr

Kapitel 24 - 2. KW, Freitag, 09.02 Uhr

Kapitel 25 - 3. KW, Donnerstag, 13.01 Uhr

Kapitel 26 - 4. KW, Dienstag, 16.05 Uhr

Kapitel 27 - 6. KW, Mittwoch, 14.00 Uhr

Kapitel 28 - 7. KW, Freitag, 08.55 Uhr

Kapitel 29 - 10. KW, Freitag, 13.01 Uhr

Kapitel 30 - 10. KW, Freitag, 17.23 Uhr

Kapitel 1 – 34. KW, Dienstag, 16.00 Uhr

»Guten Tag, Herr Schmidt, nehmen sie bitte Platz.«

»Danke und ebenfalls guten Tag.«

»Machen sie es sich bequem.«

»Hab ich schon.«

»Also gut, Herr Schmidt, darf ich sie zunächst fragen, wie sie auf mich gekommen sind?«

»Telefonbuch.«

»Aha, gut, dann würde ich zunächst gern die Formalitätenerledigen, wenn es ihnen recht ist.«

»Ist recht.«

»Meine Mitarbeiterin, Frau Radow, hat bei der telefonischen Aufnahme Matthias Schmidt, 49 Jahre, notiert. Ist das richtig?«

»Bis auf das Alter gelogen.«

[Schweigen]

»Aha, wie heißen sie denn wirklich.«

[Schweigen]

»Schönes Zimmer, besonders die Couch gefällt mir,könnte aus einer Filmszene stammen.«

»Danke, noch einmal zurück zu ihrem…«

»Gustav Gans.«

»Sehr witzig.«

»Sie lachen aber gar nicht.«

»Dagobert Duck.«

»Ich verstehe nicht.«

»Ist dir Drögör Gustavson lieber? Sonst belässt du ’s besser bei Schmidt oder einfach Matthias.«

»Ich möchte nicht, dass sie mich duzen.«

»Warum nicht? Ist doch viel vertrauter, kommen wir eher zur Sache. Machen wir gleich auf Verständnis und Nähe, ersparen uns das Vorspiel.«

»Ohne professionelle Distanz zu ihnen geht es nicht.«

»Für dich oder mich?«

»Wollen sie ein Spiel mit mir spielen? Dann verschwenden sie ihre und meine Zeit und zusätzlich ihr Geld.«

[Schweigen]

»Ich duze alle!«

»War das schon immer so?«

»Nein.«

»Könnten sie dann bei mir bitte eine Ausnahme machen?«

»Wieso?«

»Damit es mir in unserem Gespräch besser geht.«

»Hmh.«

»Lassen sie es einfach sacken. Ich lade sie herzlich ein, einmal eine Ausnahme von ihrer Regel zu machen.«

»…Lasse es sacken.«

»Warum wollen sie mir Ihren Namen nicht verraten?«

»Bin abgetaucht.«

»Abgetaucht?«

»Ich möchte nicht gefunden werden.«

»Von wem?«

»Meiner Frau, meinen beiden Töchtern, der Steuerfahndung, die Liste ist lang.«

»Haben sie etwas verbrochen?«

»Du meinst im Sinne von Verbrechen?«

»Sie bitte!«

»Nein, ich habe kein Verbrechen begangen.«

»Warum wollen sie sich dann nicht finden lassen und Ihrer Vergangenheit stellen?«

»Weil ich die Mösen nicht mehr sehen konnte.«

»Was meinen sie mit Mösen?«

»Ich bin, äh, war Gynäkologe.«

»Und?«

»Ich konnte die Mösen eines Tages einfach nicht mehr sehen und habe alles hingeschmissen.«

»Und dann?«

»Bin ich abgetaucht.«

»Abgetaucht?«

»Besteht dein Job darin, ständig meine Wörter zu wiederholen?«

»Nein, aber manchmal tragen Nachfragen zum besseren Verständnis bei.«

»Aha…Na dann…Bin auf die Balearen, habe dort einigeZeit gelebt, ist aber langweiliger, als man denkt...«

»Man oder sie?«

»Der ganze Aussteigermythos ist der letzte Dreck. Ich fand ’s scheiß langweilig. Am heftigsten sind die Rentnerparadiese. Die schuften ihr Leben lang, um von einem Hühnerkäfig im Ruhrpott in einen anderen im Paradies umzuziehen. Ist doch Scheiße.«

»Vielleicht sehen das diese Menschen anders!?«

»Vielleicht, vielleicht können die über den Berg Scheiße auch nicht hinüberblicken.«

[Pause]

»Und dann?«

»Bin zurück.«

»Wo ist zurück für sie?«

»Jetzt bin ich hier, bei dir.«

»Bei ihnen!«

»Klar doch.«

»Also gut, Herr Schmidt, warum sind sie wirklich hier?

Was wollen sie von mir?«

»Ich habe niemanden zum Reden, muss Geschwüre loswerden?«

»Geschwüre?«

»Gedankengeschwüre, Wülste, Gedärme, ’ne Menge davon.«

»Interessant, wie sie das ausdrücken…Sie haben gar keinen zum Reden?«

»Ja, ja, kritzeln sie ruhig ordentlich mit. Halt die ganze Fäkalienscheiße fest. Vielleicht wird es dann weniger in mir…Oh, ja…«

»Stört es sie, dass ich mir Notizen mache?«

»Ist dein Job!«

»Ihrer bitte!...Aber zurück zur Frage…«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Das ist so, wenn man abtaucht. Sonst funktioniert die Scheiße doch nicht. Noch nie ’nen Agentenfilm gesehen. Alle Kontakte abbrechen…Meinen letzten, noch verbliebenen Freund hab ich vorher schon verlorn.«

»Warum?«

»Weil ich seine Frau gefickt habe.«

»Ich würde mich freuen, wenn sie eine andere Wortwahl treffen würden.«

»Ich rede immer so.«

»Auch früher, in Ihrem Job?«

»Nein.«

»Warum jetzt?«

»Weil ich abgefuckt bin…Das ganze scheiß Spiel nicht mehr mitmache.«

»Was meinen sie mit abgefuckt?«

»Du wiederholst schon wieder das, was ich sage, aber immer nur als Frage. Krickel ruhig rum, aber wiederhol nicht ständig alles. Das nervt.«

»Ich mache meinen Job, ich lade sie ein, mir da zu vertrauen. Und noch mal, bitte siezen sie mich. Was meinen sie also mit abgefuckt?«

»Darüber möchte ich ja mit dir sprechen.«

»Ihnen!«

[Schweigen]

»Hmh, aber irgendwie sind wir doch fast Kollegen.«

»Wenn sie das Studium der Humanmedizin meinen, ja, ansonsten haben wir völlig andere Richtungen eingeschlagen.«

»Ich bin Mösendoktor und du Kopfdoktor. Wir blicken beide tief rein. Kannste gleich notieren.«

[Schweigen]

»Warum haben sie mit der Frau Ihres Freundes geschlafen?«

»Ich ficke sie alle, ich habe sie alle gefickt.«

»Wen?«

»Frauen. Fotzen!«

»Herr Schmidt, bitte respektieren sie mich und meine Wünsche.«

»Klar doch.«

[Schweigen]

»Warum glauben sie, dass ich nicht die Polizei benachrichtige?«

»Weil du an deine berufliche Schweigepflicht gebunden bist.«

»Die hat Grenzen.«

»Duzen, Fäkalausdrücke und Steuerhinterziehung zählen nicht.«

»Was meinen sie mit Steuerhinterziehung?«

»Schwarzgeld, davon lebe ich. Meine Ex will es bestimmt auch haben.«

»Wie wollen sie mich bezahlen, sind sie noch krankenversichert?«

»Nee, nee, natürlich nicht mehr, wie soll ’n das auch funktionieren? Genau aus dieser schwarzen Kasse, in bar, jedes Mal, auf den Tisch. Ich leg ’s nachher auf ’n Tisch von der Radow.«

»Wissen sie, was ich nehme?«

»Klar, deine Vorzimmertante hat es mir gleich gesagt, weil ich doch keine Krankenversicherung habe.«

»Wie kann ich sie erreichen, z.B. wenn ich einen Termin absagen muss?«

»Gar nicht, dann gehe ich eben wieder.«

»Wie kommen sie darauf, dass es zu einem weiteren Termin kommen wird?

»Wieso nicht?«

»Wir beide müssen in den ersten Sitzungen klären, ob wir miteinander arbeiten können und wollen.«

»Ich will nicht mit dir arbeiten.«

»Sondern?«

»Nur erzählen.«

»Warum sollte ich das auch wollen?«

»Weil du neugierig bist, sehen willst, wohin das führt, weil du dir beweisen willst, wofür du studiert hast, dass du gut bist, weil du jung bist, deine Sache hier noch nicht gut läuft.«

»Sie! Warum soll meine Sache noch nicht gut laufen?«

»Normalerweise bekommt man nicht gleich am nächsten Tag einen Termin. Dein Praxisschild an der Hausfassade ist neu, aber kleiner als das vorherige. Wahrscheinlich hast du den Laden erst kürzlich aufgemacht.«

»Aha, die Zeit ist bald um. Wir müssen zum Ende kommen.«

»Wieso? Draußen wartet niemand, ihre so genannte Mitarbeiterin ging, als ich kam, im Wartezimmer war niemand. Ich zahl auch mehr, hab ’ne Menge hinterzogen.«

»Herr Schmidt, ich sage, wann die Zeit für mich vorbei ist oder sie, wenn sie ihrerseits die Sitzung beenden wollen.«

»Okay, das ist’n Deal.«

»Rufen sie bitte Frau Radow an, wenn sie eine weitere Sitzung wollen. Ich mache mir bis dahin meinerseits Gedanken.«

»Mach ich. Bis zum nächsten Mal.«

»Guten Tag, Herr Schmidt.«

Kapitel 2 – 34. KW, Freitag, 10.00 Uhr

»Ach, nein, Herr Schmidt!?«

»Guten Morgen, Nicole.«

»Frau von Baumgarthen, bitte.«

»Guten Morgen.«

»Guten Morgen, Herr Schmidt.«

[Schweigen]

»Warum haben sie sich bei Frau Radow unter, ich schau noch mal auf die Karte, Herrn Thanotius angemeldet?«

»Und hab gleich wieder einen Termin bekommen…«

»Das war nicht meine Frage.«

»Nein, bloß meine Feststellung, scheint noch nicht gut zu laufen, Nicole!?«

»Frau von Baumgarthen, bitte.«

»Türlich.«

»Also?«

»Na ja, ich hatte wohl Schiss, dass ich keinen Termin mehr kriege oder die Steuerfahndung hier wartet.«

»Aha.«

»Außerdem wollte ich sehen, ob dir bei dem Namen etwas auffällt.«

»Was hätte mir denn auffallen sollen?«

»Thanotius, Thanatius, …«

»Thanatos?«

»Treffer!«

»Was wollen sie mir dadurch sagen?«

»Na, Gott des Todes als Gynäkologe fand ich originell.«

»Was ist daran originell?«

»Mann, geht das schon wieder los?«

»Was geht wieder los?«

»Die Wiederholungsscheiße, Nicole.«

»Frau von Baumgarthen.«

»Tschuldigung.«

»Also?«

»Was also?«

»Was finden sie an diesem Bild originell?«

»Ach darüber möchte ich nicht sprechen.«

»Ich habe eine Bitte, Herr Schmidt. Ich würde mich freuen, und sehe es auch als Arbeitsgrundlage mit ihnen an, dass sie sich ab sofort immer unter ihrem Pseudonym Schmidt anmelden.«

»Warum?«

»Ich möchte nicht bei jedem neuen Klienten überlegen, ob nicht sie durch die Tür kommen!«

[Schweigen]

»Abgemacht.«

»Schön, worüber möchten sie denn sprechen?«

»Ficktief!«

»Fiktiv?«

»Nein, mit ck und ief und gleich wieder aufschreiben, Nicole.«

[Schweigen]

»Fühlen sie sich im Moment soweit wohl, Herr Schmidt?«

»Klar doch, wieso?«

»Sie sitzen die ganze Zeit auf der Vorderkante des Stuhls und wippen mit den Fußspitzen.«

»Das heißt, Kopfdoktor?«

»Frau von Baumgarthen, bitte. Es können Zeichen von Unsicherheit und dem Wunsch nach Flucht sein.«

»Nee, nee.«

»Wollen sie wirklich hier sein?«

»Warum?«

»Nur wenn sie eine Notwendigkeit für sich erkennen, hier sein, sich beraten, begleiten oder einfach auch nur erst einmal reden zu wollen, können wir etwas erreichen.«

»Ich will hier sein. Aber helfen kannst du mir eh nicht. Will nur reden.«

»Okay, was wollen sie mir mit ficktief sagen?«

[Schweigen]

»Ich bin ganz tief in die ganzen, ganzen…Fotzen eingedrungen, beruflich und privat. Immer und immer wieder. Sie waren überall. Ich konnte nicht mehr entkommen.«

»Und?«

»Vielleicht wollte ich etwas raus finden, etwas erforschen, hinter etwas gelangen…«

»Was haben sie denn gesucht?«

»Ein Geheimnis?…Keine Ahnung.«

»Sind sie deswegen hier, wollen sie das jetzt für sich klären?«

»Nee.«

»Warum sind sie zu mir gekommen?«

[Schweigen]

»Nich’ immer so intellektuell…Ich will übers Ficken reden.«

»Wieso?«

[Schweigen]

»Mensch, die ganze Scheiße, die ganze Zeit über…Ja, Frau Soundso, nein, Frau Soundso, das ist so, Frau Soundso, machen sie sich keine Sorgen, das kriegen wir schon wieder hin, ist alles nicht so schlimm, alles wird gut…Verdammt dieser ganze elaborierte, medizinische, gesellschaftshöfliche Scheißendreck…Nie konnte ich sagen, was ich wollte.«

»Was wollten sie denn sagen.«

»Mensch, du blöde Kuh, wasch dich, rasier dich vorher mal ordentlich, ich hab keinen Bock, mich durch deinen dreckigen Busch zu wühlen, genießt du das jetzt, hast du dir vorm Ficken keine Gedanken über die Folgen gemacht, musstest du mit der abgebrochenen Gurke unbedingt zu mir kommen? Ich hab keinen Bock auf diese Bilder, hau ab. Nerv andere.«

»Dieses Bild haben sie von ihren Patientinnen?«

»Verdammt, du hast doch keine Ahnung, wer sich da immer wie auf den Stuhl legt…Das sind nicht immer schüchterne, arme Hausfrauen, denen es unangenehm ist, sich die Latexfingern reinstecken zu lassen. Das ist doch Bildniveau. Da sitzt der ganze Querschnitt der Gesellschaft…Aber am schlimmsten sind die Gelangweilten, die Frustrierten, die aus der Vorstadt, die Gleichgültigen.«

»Und die sind zu ihnen gekommen, zu einem Gynäkologen?«

»Na, Kur- und Badeärzte gab es bei uns nicht…Ja, zu mir, weil ich immer so schön zugehört und jaja, oh, nein wirklich, wie schlimm gesagt und Anteilnahme geheuchelt habe.«

»Und darüber wollen Sie jetzt sprechen, etwas los werden, sich mitteilen? Ist das ihr Thema?«

»Nenn es, wie du willst, Kopfdoktor, ich habe so ein Riesenscheißdrecksgeschwür in mir…Das muss endlich raus…Raus schneiden kann ich es nicht, es sitzt zu tief im Kopf, oder ich schneid ihn gleich ab…Wegsaufen hat nich’ funktioniert…Die Scheiße schwimmt oben, so gut wie die DLRG…Die Rentner auf Teneriffa haben immer nur gekünzelt gehustet und den Tisch gewechselt. Ja, schreib, das alles nur auf, schreib es alles in dein verdammtes Heft, Nicole.«

»Sie konnten ihre Gedanken mit niemandem teilen, nicht mit ihrer Frau oder Freunden?«

»Nein.«

»Haben sie sich nicht getraut oder waren die anderen dafür nicht empfänglich?«

[Schweigen]

»Beides…Alle sind doch nur mit sich selbst und ihrem erbärmlichen Leben beschäftigt, ist doch voll der Egoshooterscheiß hier.«

»Aha, aha, okay, sehr gut, mit welchem Geschwür wollen sie anfangen?«

»Was ist daran denn gut?«

»Dass sie sich öffnen wollen. Es ist ein Anfang…«

»Scheiße, meine Geburt war der Anfang von meinem beschissenen Leben.«

»Wollen sie über ihre Kindheit reden?«

»Lass die Freudkacke, Nicole. Du hast ja nich’ mal eine Couch.«

»Würden sie sich gern hier hinlegen?«

»Blödsinn.«

»So kommen wir nicht weiter.«

[Schweigen]

»Ist doch wurscht, ich zahle, ich kotze mich aus.«

»Aha, wenn sie das so bezeichnen wollen, okay.«

[Schweigen]

»In der letzten Sitzung haben sie davon berichtet, dass sie mit der Frau ihres besten Freundes geschlafen haben. Ist das wichtig, ein Thema für sie? Wollten sie darüber mit mir sprechen?«

»Fleißig, fleißig, Kopfdoktor, schön Notizen gemacht.«

»Frau von Baumgarthen, bitte.«

[Schweigen]

»Warum ich Bettina gefickt habe?...Es war der 45igste von Gerd. Bettina ist doch schon ein Scheißname. Nomen est omen. Die alte geile Sau hatte mir Silvester schon voll besoffen an den Sack gepackt und mir ins Ohr geflüstert, ich würde mich doch bestimmt mit Mösen gut auskennen. Auf ’m Geburtstag habe ich es ihr dann schön besorgt…Volle Kanne, großes Programm im Kinderzimmer und hab mir dabei die Krakelbilder der Tochter an der Wand angesehen. Ich hab sie so durchgerammelt, dass die ganzen verfickten Plüschtiere vom Bett gehopst sind…«

»Herr Schmidt, können sie das auch anders ausdrücken?...Oder hilft es ihnen, auf diese Weise ihr Geschwür zu verkleinern?«

»Ne, is nich“, genau so, nich“ anders.«

»Okay, okay. Vielleicht kann sich das noch ändern.«

»Was denn?«

»Dass sie über alles mit Verachtung zu reden scheinen, auch über ihre eigene Person.«

[Schweigen]

»Nachdem ich sie voll durchgefickt hatte, und ich musste ihr dabei auch noch den Mund zu halten, damit sie das Haus nicht zusammen schreit, haben wir voll verlogen wieder alle auf der Terrasse zusammen gesessen, während es aus ihr raus lief.«

[Schweigen]

»Was ist ihnen wichtig an dieser Geschichte?«

»…Keine Ahnung.«

»Gab es einen Grund, warum sie mit, Moment bitte, Bettina, geschlafen haben?«

»Einen Grund?«

»Ja, warum?«

»Weil sie ’ne geile Fotze ist?«

»Wollten sie jemanden verletzen?«

»Nee, aber nich’ doch.«

»Wollten sie sich selbst wehtun oder Brücken einreißen?«

»Keine Ahnung, nee, nee…Bestimmt nicht.«

»Waren sie von ihrem Freund enttäuscht, hatte er sie verletzt?«

»Alle Achtung, Kopfdoktorchen, …Nee, war alles okay mit Gerd.«

»Wollten sie vielleicht ihre Freundschaft zerstören, oder war es ein Hilferuf?«

»Nach was denn?«

»Das wollen wir herausfinden.«

»Nee, nee, das will ich nicht, ich will nur das Geschwür loswerden.«

»Aha, aha.«

»Aha, aha, ist das alles?«

»Was wünschen sie sich denn?«

»Dass der Dreck weniger wird.«

»Dreck oder vielleicht eher Druck von ihnen nehmen?«

»Wurscht…Die Scheiße muss aufhören. Deswegen bin ich hier.«

[Schweigen]

»Okay, Herr Schmidt, ich denke, dass das für heute reicht.«

»Aber wir haben doch noch gar nicht richtig angefangen.«

»Haben wir das nicht? Sehen sie das so?«

[Schweigen]

»Na, dann bis zum nächsten Mal, Nicole.«

»Frau von Baumgarthen, bitte.«

Kapitel 3 – 35. KW, Mittwoch, 09.00 Uhr

»Moin!«

»Guten Morgen, Herr Schmidt, setzen sie sich bitte.«

»Sitze schon, Sü-süße.«

»Bitte lassen sie das…«

[Schweigen]

»Sie sind doch nicht, sie sind doch nicht etwa betrunken?«

»Wie kommst ’nen da drauf, Schätz-chen…«

»Frau von Baumgarthen bitte, aber das hatten wir schon so oft…Von ihnen geht ein starker Alkoholgeruch aus, ihre Augen sind gerötet, ihre Stimme klingt schwammig.«

»Danke fürs Kompliment. Ich sah schon immer scheiße aus…schon als scheiß Bab-by.«

»Bitte beantworten sie meine Frage!«

»Nur ein bisschen?«

»Ein bisschen?«

»Fängt…Fängt des schon wieder an mit der Wiederholscheiße…«

»Herr Schmidt, wann haben sie zuletzt alkoholische Getränke zu sich genommen?«

»…Länger her.«

»Was heißt länger her? Vor einer, zwei, drei Stunden, heute früh, gestern Nacht?«

[Schweigen]

»Unten.«

»Was meinen sie mit unten?«

»Na, eben unten, unten auf der Straße.«

»Meinen Sie, kurz bevor sie zu mir rein gekommen sind?«

[Schweigen]

»Herr Schmidt, wenn sie nicht offen darüber sprechen können, nicken oder schütteln sie bitte mit dem Kopf.«

»…Okay, danke. Ich möchte die Sitzung für heute beenden!«

»Ab-ber, ab-ber, das geht nich’.«

»Wieso geht das nicht?«

[Schweigen]

»Ich will…Ich muss…Reden…Das Geschwür, so groß, so groß, wird größer…Muss reden…hab doch sonst keinen außer Dich.«

»Herr Schmidt, ich arbeite nicht mit alkoholisierten Klienten. Das entzieht jede Arbeitsgrundlage für mich.«

»…Ich bin, bin auch ganz artig.«

»Ich mache da keine Ausnahmen. Ich beende jetzt die Sitzung.«

[Schweigen]

»Soll Frau Radow ihnen ein Taxi rufen? Ist vielleicht sicherer für den Nachhauseweg…Oder wohin sie auch immer wollen.«

[Schweigen]

»Is schon gut, Nicole, ich geh ja schon.«

»Herr Schmidt, zünden sie sich bitte die Zigarette unten vor dem Haus an.«

»Haha, haha, ich komme aus Huxaria, haha, ich komm vom anderen Stern…Haha, da flieg ich wieder hin, haha...«

»Bitte, Herr Schmidt, bitte!«

»Schon gut…Schon gut, bin schon weg.«

»Danke.«

»Tscha-tschau, Nicole…«

»Herr Schmidt?«

»Wa-as?«

»Kommen sie bitte nie wieder alkoholisiert in die Sitzung! Andernfalls werde ich nicht mehr mit ihnen arbeiten!«

[Schweigen]

»Deal!«

»Auf wieder sehen, Herr Schmidt.«

»Tschüssikowski, Nicolchen…«

»Frau von Baumgarthen...«

Kapitel 4 - 36. KW, Montag, 14.00 Uhr

»Guten Tag, Herr Schmidt, bitte setzen sie sich.«

»Danke, hallo.«

[Schweigen]

»Warum guckst du mich so an?«

[Schweigen]

»Könnten sie bitte endlich meinen Wunsch respektieren und mich ansprechen, wie ich es möchte?«

»Tschuldigung.«

»Ich habe sie so angesehen, um für mich eine Antwort auf meine Frage zu erhalten, ob sie sich an unsere letzte Abmachung gehalten haben.«

»Und?«

»Sie scheinen, nüchtern zu sein.«

»Bin ich.«

»Okay, wollen sie mir sagen, warum sie letztes Mal betrunken waren?«

[Schweigen]

»Ich…Ich war traurig.«

»Traurig? Warum waren sie traurig?«

»Wegen der Ollen in der Sauna…«

»Wen meinen sie mit der Ollen, und was hat sie traurig gemacht?«

»Ich war im Europacenter in der Sauna…Ist echt schön da, mit Dachgarten und so. Vielleicht bisschen viel Schwule da, aber ansonsten auch ein paar anständige Weiber.«

»Fühlen sie sich in der Nähe von Homosexuellen unwohl?«

»Nee, nee, die sind besser als die meisten anderen Arschlöcher.«

»Können sie das auch anders ausdrücken?«

»Wieso?«

»Schon gut, vielleicht ein anderes Mal. Bitte fahren sie fort.«

[Schweigen]

»Also, fällt mir jetzt ein bisschen schwer, eigentlich will ich nicht…«

»Was fällt ihnen schwer?«

»Is ’nen Scheißthema.«

»Wobei fühlen sie sich nicht gut?«

»…Einsamkeit.«

»Haben sie sich in der Sauna einsam gefühlt?«

»Ja.«

»Und was hat das ausgelöst?«

[Schweigen]

»Die Olle.«

»Wer ist die Olle?«

»Eine Frau.«

»Eine Frau? Was für eine Frau, kennen sie sie?«

»Nee…Also, ich…Ich kam in die Biosauna, da wo man Skatspielen kann, so wenig heiß ist das…Da sitzt eine Frau, vielleicht vierzig, etwas kräftig, aber stramme Haut, richtig glatt, kleine, feste Titten, so Bananenform, wie ich es mag, schwarze Haare, schulterlang, leicht gewellt, nass, es tropft auf ihre Haut. Sie sitzt auf der mittleren Ebene, Rücken schön grade, Titten schön nach vorn, aber Beine eng zusammen, ganz brav, richtig anständig, wie sich das gehört, guckt mich an, unsere Blicke treffen sich, sieht gleich wieder weg. Setze mich auf die obere Ebene hinter sie, damit ich sie schön anglotzen kann. Dann fängt sie an, sich mit irgendeiner Scheiße einzucremen. Direkt vor mir. Macht mich ganz irre. Ich glotze und glotze…Will sie einfach nur berühren, anfassen, wie eine Statur einer griechische Göttin im Park. Sie dreht sich zweimal um, guckt zu mir. Keine Ahnung warum. Typen kommen und gehen, die Sauna ist leer, nur wir beide. Ich halt’s kaum mehr aus…Denke, ein Wort, nur ein Wort von dir, und ich wandere mit dir aus. Nur ein Wort und ich bin Dein…«

[Schweigen]

»Und was ist weiter passiert?«

»Ich, ich denke, dieser, dieser eine Moment kann mein Leben verändern, komplett verändern, alles wird anders…Nur ein Wort von ihr und ich nehme die nächste Ausfahrt mit ihr, egal wohin.«

[Schweigen]

»Wie ging es weiter?«

[Schweigen]

»Ich hab gewartet, gewartet, auf einen Blick, ein Wort, sie saß weiter vor mir, mittlerweile auf der unteren Ebene, is kühler dort, sie war schon vor mir drin, hat total lange ausgehalten…Als sie aufstand und sich nach unten setzte, konnte ich ihren Körper endlich richtig sehen, besonders ihren Arsch, ich war völlig weg, geil, traurig, alles auf einmal.«

[Schweigen]

»Und dann?«

»Dann? Sie hat nichts gesagt, nichts gemacht. Dann bin ich geflohen, abgehauen…Raus gerannt, ohne Duschen angezogen, einfach weg. Nur raus.«

»Was hätten sie sich denn von der Frau gewünscht?«

»…Dass sie mich anspricht, mich berührt, nich’ wegen Sex, einfach nur berührt, auch wenn ich geil war…Mich in den Arm nimmt, wir abhauen, gemeinsam, irgendwohin abhauen…Wir beide…«

»Warum haben sie die Frau nicht angesprochen?«

»…Ich, ich, …«

»Herr Schmidt, Herr Schmidt, warten sie doch, bleiben sie doch hier, bitte!«

Krach.

Kapitel 5 - 36. KW, Donnerstag, 18.00 Uhr

»Guten Abend, Frau Doktor.«

»Guten Abend, Herr Schmidt…Setzen Sie…«

»Ja, ja, Nicole, immer die gleiche Begrüßung.«

»Stört sie daran etwas?«

»Ist scheiß berechenbar, total langweilig. Lass dir was Neues einfallen.«

»Ist alles Berechenbare für sie negativ besetzt?«

»Weiß nich’…Darüber hab ich noch nicht nachgedacht.«

»Wollen sie keine Kontinuität?«