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Karla, eine durchschnittliche Frau von Mitte vierzig, hat genug von Mittelmäßigkeit und will ihr Aussehen und Leben komplett neu ausrichten. Die biologische Uhr tickt und es ist kurz vor Zwölf, um noch einmal durchzustarten. Ihre angestrebten Veränderungen stellt sie vor schwierige Entscheidungen, nicht nur in Bezug auf ihr Äußeres, sondern auch ihres zukünftigen Lebensstils. Ein unerwartetes kriminelles Geschehen in ihrem Heimatort stellt ihr die Weichen. Kann sich Karla entschließen auf ihre finanzielle Unabhängigkeit und ihren ungebundenen Lebenswandel zu verzichten? Wird sie einen radikalen Neuanfang wagen?
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Inhaltsverzeichnis
Mittelmäßig geht gar nicht
Italienische Romanze
Toskana wir kommen
Eine unerwartete Mitteilung
Nur ein falscher Ort
Ein Haus in Siena
Eine Tragödie
Die Rückführung
Die Suche nach Veränderung
Eine Kreuzfahrt auf andere Art
Nur die Schönheit zählt
Ein neues Glück und ein Baby
Impressum
Scand Torg AB
Karla, eine durchschnittliche Frau von Mitte vierzig, hat genug von Mittelmäßigkeit und will ihr Aussehen und Leben komplett neu ausrichten. Die biologische Uhr tickt und es ist kurz vor Zwölf, um noch einmal durchzustarten. Ihre angestrebten Veränderungen stellt sie vor schwierige Entscheidungen, nicht nur in Bezug auf ihr Äußeres, sondern auch ihres zukünftigen Lebensstils. Ein unerwartetes kriminelles Geschehen in ihrem Heimatort stellt ihr die Weichen. Kann sich Karla entschließen auf ihre finanzielle Unabhängigkeit und ihren ungebundenen Lebenswandel zu verzichten? Wird sie einen radikalen Neuanfang wagen?
Anne Jacobsson
KARLA SAGT TSCHÜSS
Roman
Originalausgabe
Auflage Februar 2023
©Scand Torg AB
All rights reserved
Lektorat Michael Thomas
Klövervägen 3
37692 Ringamåla -Svängsta
Sweden
ISBN: 978-91-986784-8-2
Das bin ich, Karla. Mittelalt, mittelgroß, mittel hübsch, mittel wohlhabend, mitteldick, mit einem mittelmäßigen Job in einer mittelmäßigen Firma und mittelmäßigem allgemeinen Wohlfühlfaktor. Mit, wie könnte es anders sein, mittellangen, Straßenköter-blonden Haaren. Was für eine Perspektive habe ich? Mein Leben läuft, nein, tröpfelt vor sich hin. Klar, ich habe nichts auszustehen, mein Gehalt bringt mich über die Runden. Die Miete ist zwar in den letzten beiden Jahren auf das Doppelte gestiegen, aber ich kann es noch stemmen. Noch, aber was, wenn das so weitergeht? Was, wenn ich einmal ausfallen sollte? Es gibt keinen Partner, der mich unterstützen könnte und keine Kinder, die sagen würden: Mama, komm zu uns, du musst nicht allein leben.
Meine Ersparnisse schwinden dahin, nachdem es seit Jahrzehnten keine Zinsen mehr gibt. Dabei hatte ich eine super Abfindung bekommen, als die Pharmafirma in Frankfurt am Main ihre Tore schloss. Nicht, dass ich mich beschweren möchte, aber trotzdem ist mein Leben bei Weitem nicht so verlaufen, wie ich es mir in frühester Jugend vorgestellt hatte. Damals, mit siebzehn träumte ich von einem Mann, einem Bauernhof mit vielen Tieren und vier Kindern. Heute, mit siebenundvierzig, sind die Träume längst Geschichte. Ich habe es vermasselt. Einfach nur versaut. Ludwig war eigentlich der richtige Mann für mich, er hatte von allem etwas. Er war groß, großzügig, großherzig, großmütig und verdammt großartig im Bett. Was ist bloß schiefgelaufen? Warum konnten wir nicht ein Paar werden? Ich hätte ihn damals heiraten sollen, als er mir diesen wunderbar romantischen Antrag im Urlaub machte. Wir hatten zwei Wochen Ibiza gebucht und es waren herrliche Ferien mit ihm. Ludwig fragte mich, ob ich ihn heiraten würde und was sage ich blöde Kuh? Nicht ja, sondern, ich muss darüber in Ruhe nachdenken. Jetzt habe ich sie, die Ruhe. Keinen Mann, keine Kinder, keinen Bauernhof. Eine Mietwohnung in der Stadt, die ich zudem nicht sonderlich mag und schon gar nicht meinen Träumen vom Landleben entspricht. Ludwig war damals so enttäuscht. Bis heute kann ich meine damalige Reaktion nicht verstehen. Warum habe ich nicht einfach ‚Ja‘ gesagt? Mein ganzes Leben wäre völlig anders verlaufen, zumindest hätte ich einen Mann mit Bauernhof und wahrscheinlich Kinder. Jetzt habe ich eine Wohnung, die halbwegs passt, jedoch von meinem Traum ist nichts geblieben. Natürlich bin ich nach Ludwig nicht ins Kloster gegangen, oder habe mich vor Kram selbst zerfleischt, nein bestimmt nicht. Ich hatte Männer, in die ich mehr oder weniger verliebt war, aber nichts war von Bestand. Immer wieder gingen meine Beziehungen in die Brüche. Meine berufliche Karriere war weitaus erfolgreicher als das Thema Mann, Kinder und Heirat. Dennoch blieb ich auf der mittleren Führungsebene hängen, bestimmt weil bei mir alles nur mittel ist. Der Spiegel sagt nicht Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land, du Karla bist die Schönste hier! Nein, das wäre gelogen. Eine Neuorientierung, eine Wandlung wäre dringend fällig, aber wie und womit fange ich an? Mittelgroß bleibt, mittelalt wird eher schlimmer, mittel wohlhabend, bei den Nichtzinsen wohl eher ebenfalls. Aber jetzt, mitteldick, das kann ich verbessern. Morgen, nein heute, melde ich mich in einem Fitness-Zentrum an. Mittel hübsch, nun ein paar Dinge gingen da noch, Fettabsaugen, Bruststraffung, Lippen auffüllen. Na ja, das muss ich mir alles wirklich sehr gründlich überlegen. Zum Friseur gehen, genau das könnte ich bereits übermorgen in Angriff nehmen, denn ich habe, aufgrund der vielen Überstunden, am Nachmittag frei. Soweit so gut. Mein mittleres Einkommen wird sich in dieser Firma nicht ändern lassen. Ich müsste wechseln, aber wohin? In meinem Alter? Nehmen die mich denn überhaupt noch? Ich bin zu alt, das kann ich vergessen. Oder soll ich es einfach darauf ankommen lassen, ein Versuch wäre es wert.
Mein Mobiltelefon klingelt, Heike meine Freundin ist dran. Ein lediglich kurzes Gespräch mit ihr unterbricht meine Findungsphase, sodass ich mich schnell und problemlos wieder mit meinem Gedankenspiel beschäftigen kann. Ich muss etwas ändern, sonst bleibe ich als Ladenhüter hier hängen und genau das will ich nicht. Darauf hätte ich fünfzehn Jahre eher kommen können. Jetzt kurz vor der Menopause in Torschlusspanik zu verfallen, ist sehr stupide, oder? Nein, ist es nicht. Das Leben kann noch einmal so lange dauern und ich muss jetzt etwas unternehmen, sonst brauche ich überhaupt nichts mehr auf die Beine stellen und man findet mich womöglich eines Tages vereinsamt gestorben in einem Zwei Zimmer Apartment. Ein grausamer Gedanke, nein, das geht gar nicht. Ich packe es jetzt an. Zuerst rufe ich im Fitness-Zentrum an. Die Preise sind gesalzen, 250 € für zwei Monate, als Probe. Na gut, ich teste zuerst, ob das für mich passt. Schließlich besitze ich keinerlei Fitness-Erfahrung. Bisher beschränkten sich meine Aktivitäten auf Schwimmen und Wandern. Joggen hasse ich. Gut, morgen starte ich mit der Fitness. Jetzt einen Friseurtermin, erledigt, übermorgen um vierzehn Uhr bei Susanne. Sie kenne ich bereits von den mittellangen Schnitten, aber jetzt benötige ich etwas Frisches und irgendwie peppig abgehoben soll es aussehen. Soweit habe ich meine Pläne geschmiedet. Was noch fehlt, wäre ein Mann. Bloß keine Partnerbörse, dort tummeln sich mittlerweile nur noch Verrückte. Vor einigen Jahren, als es damit begann, war Online-Dating sehr solide. Die Männer und Frauen suchten größtenteils ehrlich und mit besten Absichten. Zumindest kenne ich einige Frauen aus der Firma, die wirklich erfolgreich bei der Partnersuche waren. Zum Beispiel Anne, die ist nach einem Jahr nach Schweden zu ihrem neuen Freund gezogen und soviel ich weiß noch immer glücklich in Bullerbü. Momentan lasse ich die Finger davon, denn ein Partner steht nicht unbedingt auf Platz eins meiner To-do-Liste. Was ist mit der Schönheits-OP? Ist das notwendig, oder schaffe ich es ein paar Kilo zu verlieren, ohne gleich an Fettabsaugung zu denken? Bestimmt, und Lippen aufspritzen, ist ohnehin eine bescheuerte Idee. Bleibt eigentlich noch eine Bruststraffung. Meine ist dämlicher Weise sukzessiv der Erdanziehung hinterhergelaufen. Meine Pläne diesbezüglich bedürfen noch einige Nächte des Nachdenkens, wobei ich mir schon jetzt im Klaren darüber bin, dass es bestenfalls nur eine Bruststraffung und keinesfalls eine Vergrößerung geben könnte. Wobei die Betonung auf könnte liegt.
Susanne ist eine perfekte Friseurin, sie hat die Gabe, die Haare so optimal zu schneiden, dass Frau nicht heulend, überstürzt, mit Sonnenbrille und Mütze den Salon verlassen muss. Sie spürt sofort, dass ich seelisch aus dem Gleichgewicht geraten bin. Nach dem ersten Espresso und ihre einfühlsame Beratung geht es mir wesentlich besser.
»Karla, was ist denn deine Vorstellung? Möchtest du etwas Modernes, oder lieber praktisches, welche Farbe hast du dir ausgedacht?«
»Ich möchte attraktiver aussehen, deshalb habe ich mich bereits im Fitness-Center angemeldet, weil ich mir selbst auf den Keks gehe. Alles an mir ist eintönig und langweilig. Mein Aussehen, mein Job und mein Leben.«
»Oh Gott, das klingt nach schwerer Midlife Krise. Da sollten wir tatsächlich eine rundum Erneuerung vornehmen«, erwidert sie und lacht.
»Ja, du hast recht, ich fühle mich wirklich sehr krisenmäßig, also was schlägst du vor?«
»Zuerst, machen wir aus dem Straßenköter blond einen wunderbar leuchtenden Sonnenton. Dann strahlt zumindest schon einmal dein Haupt. Dann verpasse ich dir einen lässigen Schnitt, mit Pony und etwas stufig, sodass du die Haare offen tragen, als auch hochstecken kannst.«
»Gute Idee, fang an. Nee, zuerst, bring mir bitte noch einen Espresso«, schmunzele ich und freue mich auf meine Typenveränderung.
Susanne legt los, mit der angerührten Farbe mein Haupt zu beschmieren. Ich blättere derweil in den einschlägigen Frauenzeitschriften, die man immer gern bei einem Friseurtermin liest. Was für eine verlogene Gesellschaft, denke ich, als ich die barbusige C Promi Tante auf einer Seite entdecke. Überall wird über me-too, geredet und dass die Männer alle so böse sind und die armen Frauen ständig nur belästigen wollen. Was finde ich auf jeder zweiten Seite? Irgendeine Influencerin, YouTuberin oder Spielerfrau oder sonstige Tussi, die ‚blank- zieht‘, wie es jetzt im Journalisten-Jargon heißt. Ich frage mich wirklich, ob dies das Einzige ist, was Frau noch zu bieten hat? Aber jedes Mal gibt es einen Aufschrei, wenn ein Mann eine Frau anzüglich anschaut? Wobei ich mir nicht im Klaren darüber bin, was anzüglich anschauen ist. Jetzt werden alle Feministinnen aufheulen, wie kann man so etwas in Zweifel ziehen. Tue ich aber. Ich verstehe nämlich nicht, warum sich die Ladys ständig halb nackt in zweideutigen Posen ablichten lassen und im nächsten Augenblick eine Beschwerde loslassen, dass alle Männer nur das Eine wollen. Jedenfalls empfinde ich diese Art von Publicity, der Frauen unwürdig. Sie möchten gleichgestellt sein mit den Männern und ebenbürtig bezahlt werden. In Vorständen mitberücksichtigt, sowie in der Politik mehr vertreten sein, was alles essenziell und erstrebenswert ist. Allerdings werden diese edlen Absichten, in Anbetracht der Bilder in der Regenbogenpresse, eher in Zweifel gezogen, wenn dort die Frau als, sagen wir mal vorsichtig, Schönheit mit wenig anderen Attributen, dargestellt wird. Oder liege ich völlig falsch? Sind diese halb nackten Frauen, vielleicht viel intelligenter als ich annehme? Sie registrieren, dass es ein Potenzial ist gut auszusehen und lassen sich dementsprechend ablichten, was ihnen wiederum eine hervorragende Einnahmequelle ermöglichen kann. Ist es eventuell so? Vielleicht, nur sollten sie daraufhin keine Ansprüche auf ‚Unversehrtheit‘ geltend machen. Das empfinde ich als verlogen.
Nachdem ich mir ausreichend und völlig bedeutungslose Gedanken, über die Boulevardpresse und ihre Inhalte gemacht habe, wende ich mich wieder Susanne und ihrer Arbeit zu. Mittlerweile ist die Färbe Aktion abgeschlossen und sie spült mir die Haare aus, die augenblicklich heller erscheinen. Nach dem Frottieren greift sie zur Schere.
»Siehst du Karla, es macht definitiv einen freundlicheren Eindruck«, sagt sie und lacht.
Schnipp-schnapp fliegen die Haare auf meinen Umhang. Ich denke noch ein letztes Mal über die Frauen nach und muss eingestehen, dass ich ebenfalls hier sitze, um hübscher zu werden. Was natürlich nicht verwerflich ist, solange ich nicht blankziehe, sinniere ich und muss grinsen.
Susanne schneidet unglaublich geschickt und schnell. Es ist ein befriedigender Beruf, Frauen zu verschönern, zumindest wenn man so begnadet ist wie sie. Eine halbe Stunde später sitze ich perfekt geföhnt und gestylt vor dem Spiegel.
»Fantastisch, es sieht klasse aus, danke Susanne!«
Ich bin mehr als zufrieden, mit meinen sonnen-blonden Haaren und dem tollen Schnitt. Lässig, bis zu einem gewissen Grad wild, nicht so exakt gestylt, trotzdem edel. Eigentlich benötige ich jetzt ein neues Outfit, aber ich beherrsche mich. Schließlich möchte ich unbedingt weitere Kilos verlieren, was sich bereits jetzt mit den ersten Fitness-Übungen erfolgreich auf der Waage zeigt, zwei Kilo weniger, juchhu. Neu gestylt, jedoch in Anbetracht der Tatsache, dass ich mir im Augenblick keine neue Garderobe zulege, lasse ich meinen eigentlichen Wunsch, in der Boutique zu shoppen, beiseite und suche einen Buchladen auf. Für mich ist, in einer Buchhandlung zu stöbern, noch schöner als Kleiderkauf. Bücherregale zu durchforsten und vielleicht die ein oder andere Publikation zu finden, die meiner momentanen Gemütslage entgegenkommt, ist etwas ganz Besonderes. Ein Buch taucht mich in eine träumerische oder spannende und fesselnde Welt. Noch weiß ich nicht, welche mir augenblicklich mehr gefallen könnte. Ich lese zwei, drei Buchanfänge und eine Entscheidung fällt mir schwer. Meine Gedanken, kreisen um einen spannenden Kriminalroman, einer Familien-Saga oder einer theatralischen Liebesbeziehung, deshalb nehme ich ein viertes Buch zur Hand und lese den Anfang der Geschichte. Sie handelt von einer Frau, die ihre große Liebe nicht heiraten konnte. Ja, genau, das entspricht meiner momentanen Verfassung, anderen geht’s wohl ebenfalls nicht besser. Ich bezahle und will gerade den Laden verlassen, als mit ohrenbetäubendem Lärm eine Sirene losgeht. Plötzlich fahren die Gitter vor der Tür herunter und wir Kunden können den Laden nicht mehr verlassen. Was zum Geier ist hier los? Ich stehe mit ungefähr zehn anderen Erwachsenen vor der Schranke und schaue gebannt auf die Straße. Die Kassiererin scheint ebenso überrascht, denn sie weiß nicht, was hier gerade abläuft. Ratlos schaue ich in die Runde. Vor der Tür fahren mehrere Polizeiwagen mit Blaulicht vor. Sie sperren alles in einem Umkreis von einigen hundert Metern ab. Offensichtlich ist nicht der Buchladen das Objekt dieses bizarren Geschehens, denn im nächsten Moment erscheint der Ladeninhaber und teilt uns mit, dass es auf der Straße zu einer Schießerei gekommen ist und wir Mitteilung erhielten, sofort den Laden abzusperren. Gut, da haben wir wohl noch einmal Glück gehabt, denke ich, und schaue dem Polizisten, der mit einer Maschinenpistole vor dem Eingang steht, direkt in die Augen. Viel kann ich von ihm nicht erkennen, er ist vermummt und trägt einen Helm auf dem Kopf. Unsere Blicke treffen aufeinander. Trotz dieser bizarren Situation übermannt mich ein seltsames Gefühl von Geborgenheit. Sekundenbruchteile später braust ein schwarzes Auto in die Fußgängerzone und der Beifahrer eröffnet das Feuer und zielt auf den Polizisten vor dem Buchladen. Noch ehe dieser zurückschießen kann, bricht er genau vor der Eingangstür zusammen und ich sehe seinen hilfesuchenden Blick. Offensichtlich ist er schwer verletzt, aber er lebt. Sofort zücke ich mein Mobiltelefon und benachrichtige einen Rettungswagen. Sie waren bereits unterwegs, da sie von einer Schießerei hörten, wussten aber noch nichts von dem verletzten Beamten. Jetzt kommt ein zweiter Polizist und beugt sich über seinen Kollegen. Er tastet ihn ab und spricht mit ihm. Drei Minuten später hält der Wagen. Sie legen den Verletzten auf eine Trage und bringen eine Infusion an. Als sie vorsichtig seinen Helm abnehmen, erblicke ich eine dunkelbraune, fast schwarze verschwitzte Lockenpracht, die knapp seine braunen Augen verdeckt. Ein schöner Mann, denke ich, hoffentlich ist er nicht so schwer verletzt. Der Sanitäter schließt die Tür des Rettungsfahrzeuges und sie fahren mit Blaulicht und Martinshorn davon.
Die Gitter werden wieder hochgezogen, denn offensichtlich ist die Gefahrenlage gebannt. Die Kunden verlassen schweigsam und nachdenklich das Geschäft. Was ist das für eine Zeit, mitten in der Stadt eine Schießerei? Wir leben doch nicht in Texas. Immer öfter hört man von solchen Situationen. Von USA kennt man das, aber hier bei uns, in der ach so friedlichen, von Gesetzen und Vorschriften wimmelnden Republik, ist das eigentlich undenkbar.
Zu Hause schließe ich die Eingangstür gleich wieder hinter mir ab. Ein ungutes Gefühl macht sich breit. Es war immer alles so ruhig und ausgewogen in meiner schönen Stadt, keine Verbrechen, außer mal ein Ladendiebstahl oder eine Schlägerei, aber eine Schießerei, nein, das gab es noch nie. Nach einer Weile der Entspannung und einer Tasse Kaffee schalte ich den Fernseher ein, wahrscheinlich berichten sie von der heutigen Aktion. Tatsächlich, in den Regionalnachrichten steht ein Reporter genau vor dem Buchladen und erklärt, was heute Nachmittag geschehen war.
»Zum Glück konnten die beiden Verbrecher verhaftet werden. Der verletzte Polizist liegt in der Klinik, befindet sich jedoch nach einer längeren Operation außer Lebensgefahr. Der Grund der Schießerei ist bis jetzt unbekannt, die Polizei geht nicht von einem Attentat aus.«
Gut, dass es ihm besser geht, dieser attraktive Mann hat mich zweimal sehr berührt. Zuerst fühlte ich mich beschützt, doch als er unvermittelt angeschossen wurde, dachte ich, es wäre wichtig ihm beizustehen, aber mehr als den Krankenwagen rufen konnte ich hinter dem Gitter leider nicht. Wie gerne hätte ich ihm Mut zugesprochen und seine Hand gehalten, als er verletzt auf den kalten Steinen lag. Das Gefühl in dem Moment hilflos zu sein, wo Zuwendung dringend benötigt wird, ist zutiefst bedauernswert und es erstaunt mich, dass ich ein derartiges Empfinden einem fremden Menschen entgegenbringen konnte.
Nachdem ich meiner Freundin Heike ausführlich von der heutigen Schießerei am Telefon berichtet hatte, nehme ich mein neues Buch zur Hand und mache es mir auf meinem Sofa gemütlich. Von Krimis habe ich die Nase gestrichen voll. Es ist etwas ganz Anderes, wenn man plötzlich selbst involviert ist. Nur gut, dass ich mich für den Liebesroman entschieden habe.
Im Büro sprechen alle von der gestrigen Schießerei. Ich beteiligte mich nicht an den Spekulationen, warum, weshalb, wieso. Auch erwähne ich nicht, dass ich alles unmittelbar miterlebt hatte, sondern halte mich aus diesen Gesprächen völlig heraus. Es liegt mir nicht, im Mittelpunkt zu stehen und schon gar nicht, wilde Spekulationen abzugeben. Mein Chef bemerkt jedoch meine neue Frisur und die helle Farbe und meint:
»Sie sehen heute sehr schick aus, diese Frisur und dieser Blond-Ton steht ihnen ausgezeichnet, Karla.«
»Danke für das Kompliment«, erwidere ich etwas erstaunt über seinen positiven Kommentar.
Bisher hatte er nie etwas Persönliches zu mir gesagt. Scheinbar habe ich mich von der grauen Maus verabschiedet, wenn sogar mein Chef eine positive Bemerkung abgibt. Meine Laune steigt und die Arbeit läuft wie am Schnürchen. Punkt fünf schalte ich den Computer aus, nehme meine Sporttasche und mache mit auf den Weg ins Fitness-Center.
Das Work-out war super anstrengend, dennoch fühle ich mich wie neu geboren. Irgendwie hätte ich schon viel früher darauf kommen können, mich einer Veränderung zu unterziehen, warum bloß habe ich so lange damit gewartet? Auf dem Heimweg komme ich an dem Beauty-Salon vorbei, den ich all die Jahre ignorierte, aber heute gehe ich hinein.
»Hallo, was kann ich für sie tun?« Fragt mich die hübsche rothaarige junge Frau hinter dem Tresen.
»Eigentlich weiß ich es nicht, vielleicht sollte ich mir etwas Gutes tun«, erwidere ich ein wenig ungeschickt und erwecke den Eindruck kaum Erfahrungen in Kosmetikbehandlungen zu haben. »Bitte empfehlen sie mir etwas«, ergänze ich.
»Ich würde eine Reinigung, eine Wimpern- und Augenbrauen-Färbung, eine erfrischende Maske und eine Gesichtsmassage empfehlen und zum Abschluss eine Maniküre. Das hätten wir diese Woche im Angebot und kostet komplett 85.-Euro, wäre das für sie interessant?«
»Wunderbar, das nehme ich gerne, wann darf ich vorbeikommen?«
»Sie können gleich hierbleiben, wenn sie möchten, eine Kundin musste ihren Termin absagen.«
»Noch besser, dann fangen wir gleich an, ich bin gespannt.«
Als ich es mir auf der Kosmetik-Liege bequem gemacht habe und die junge Frau, die übrigens Tina heißt, loslegt, fühle ich mich sofort entspannter. Der warme Dampf aus dem Vaporizer duftet nach Kamille und hüllt mein Gesicht in wohlig warme Wolken. Im Hintergrund spielt leise eine Entspannungsmusik und ich gleite langsam in einen Tagtraum. Nach fünfzehn Minuten wohliger Wärme und einem Vision von weißen Südseestränden holt mich Tina in die Wirklichkeit zurück. Sie reinigt mein Gesicht, entfernt Mitesser an der Nase, quetscht drei Pickel auf der Stirn aus und zupft überflüssige Augenbrauen-Härchen aus. Die Bedampfung zuvor war eindeutig angenehmer, doch sie gibt sich sehr viel Mühe, es mir trotzdem so komfortabel wie möglich zu machen. Sie erzählt von ihren beiden Kindern, die noch in den Kindergarten gehen und von ihrer Mutter, die sie bei der Betreuung unterstützt. Ihr Mann hatte sie wegen einer anderen Frau nach der Geburt des zweiten Kindes verlassen. Was für ein Idiot, denke ich, so eine hübsche, liebenswerte Frau mit zwei Kindern sitzenzulassen. Sage aber nichts, da es mich nichts angeht. Nachdem Wimpern und Augenbrauen gefärbt sind, trägt sie eine wohlriechende Gesichtsmaske auf und stellt wieder diese wunderbare Dampfmaschine an. In der Zwischenzeit widmet sie sich meinen Nägeln und ich mich einem weiteren Tagtraum. Am Ende der pflegenden Behandlung trägt sie ein leichtes Make-up auf und entlässt mich wieder in die raue Wirklichkeit.
»Es war so entspannend, Tina, ich komme bestimmt wieder«, sage ich und bezahle sehr gerne diese wunderbare Pflege.
Mehr als gut gelaunt, aber noch nicht bereit, mich in meinen vier Wänden zu verkriechen, mache ich einen Abstecher zu Luigi. Eine Pizza ist momentan äußerst unpassend, da ich unbedingt weitere Kilos loswerden muss, aber ein Salat und ein Gläschen Rotwein kann nichts schaden. Luigis Ristorante gibt es hier um die Ecke, seit gefühlten hundert Jahren und ich bin ein Fan der italienischen Küche, was natürlich unzweifelhaft zu bestimmten Pölsterchen beigetragen hat. Wir begrüßen uns wie alte Freunde, denn wir sind es.
»Wow, du siehst heute ganz besonders hübsch aus, was hast du gemacht? Ach ja, die Haare, si, meraviglioso, und Make-up ebenso, sei molto carino, hast du einen neuen Freund?«
»Oh nein, keinen neuen und keinen alten Freund, nur einen neuen Vorsatz. Ich will mich verändern, überall und in allem.«
»Grande, mia bella! Was darf ich dir bringen?«
»Einen gemischten Salat und deinen roten Hauswein.«
»Molto volentieri! Sehr gerne Karla.«
Zwei junge italienische Frauen helfen Luigi in der Pizzeria. Francesca, seine Cousine, sie lebt normalerweise in Napoli und Giulia, seine Nichte, die mit ihren Eltern hier wohnt. Beide sind bildhübsch mit ihren langen, schwarzen, lockigen Haaren und den olivfarbenen Teints. Luigi bringt einen großen Salatteller mit Focaccia und ein Glas Rotwein. Ich hätte zwar liebend gerne eine Pizza bestellt, aber ich beherrsche mich und mache mich nicht weniger genüsslich über den Salat her.
»Molto delicato, Luigi«, antworte ich, als er mich fragt, ob es schmeckt.
Zwei junge Männer kommen herein. Luigi begrüßt sie mit Namen.
»Buon pomeriggio Jens e Claudio.«
»Hallo Luigi, alles klar?«
»Si, tutto ok. grazie«, grinst er und bringt beiden einen Grappa.
»Claudio, non sei in servizio?«
»No, wir sind nicht im Dienst«, antwortet Claudio und setzt sich mit Jens an einen Tisch.
Die beiden unterhalten sich und ich bekomme mit, dass sie Polizisten sind und bei ebendieser Schießerei dabei waren. Jetzt höre ich ein wenig genauer hin, vielleicht erfahre ich etwas über den angeschossenen Kollegen.
»Come sta il tuo collega?«, fragt Luigi.
»Besser, Gott sei Dank«, antwortet Jens.
»Er hatte Glück gehabt, der Mario, dass er nur einen Schulterdurchschuss hatte«, ergänzt Claudio.
Aha, Mario, heißt der Schöne, passt irgendwie zu ihm, denke ich.
»Sí, che fortuna!«, sagt Luigi und geht in die Küche.
Ich bin insgeheim froh, dass der attraktive Polizist noch einigermaßen gut davongekommen ist. Irgendwie geht er mir nicht aus dem Sinn. Nachdem ich meinen Wein ausgetrunken hatte, verabschiede ich mich von Luigi und mache mich auf den Heimweg. Es ist ein lauer Abend und meine Gedanken kreisen um meine neue Idee der rundum Erneuerung und dem schönen Polizisten. Vielleicht, denke ich, läuft er mir noch einmal über den Weg. Möglicherweise ist er verheiratet und hat Kinder, oder will keine Freundin. Spielt alles keine Rolle, wenn es sein soll, treffen wir uns sicher einmal wieder, oder eben nicht.
Meine Fitness Veranstaltungen zeigen Wirkung. Mittlerweile habe ich acht Kilo verloren und damit eine Kleidergröße weniger. Gekostet hat mich diese ganze Prozedur acht Wochen und acht Tage harte Arbeit. Aber, es hat sich gelohnt. Ich fühle mich rundherum wohl und attraktiver. Nichts mehr Mittelmaß. Ich sehe viel vorteilhafter aus, fühle mich noch besser und bin in der Firma eine Sprosse höher auf der Karriereleiter geklettert. Von ganz allein, ohne ein Wort. Mein Chef macht mir Komplimente über meine Verwandlung und meint, das hätte sich sehr positiv auf meine Performance ausgewirkt. So hat es das, denke ich. Vielleicht hat er recht, jedenfalls habe ich einen kleinen Sprung weiter nach oben geschafft und bin ein wenig stolz auf mich. Was jetzt noch fehlt, wäre der Busen. Das heißt, er fehlt nicht, er ist vorhanden, nur die Schwerkraft zieht an ihm. Soll ich tatsächlich eine Bruststraffung vornehmen lassen, oder ist das zu blöd und zu übertrieben? Erst mache ich jahrelang gar nichts und nun falle ich von einem extrem ins Nächste. Ich bin unschlüssig, aber möchte das keinesfalls mit meiner Freundin Heike erörtern. Im Gegensatz zu den Damen der Boulevard Presse, habe ich eine Art Schamgefühl, selbst vor meiner besten Freundin. Ergo, muss ich das mit mir selbst ausmachen. Ich schlafe eine Nacht darüber und vielleicht treffe ich morgen eine Entscheidung.
Der Arbeitstag hat mich wieder voll im Griff. Bis jetzt habe ich mich noch immer nicht entschieden, ob ich es tun soll, oder nicht, aber es hat keine Eile. Egal, ob ich es mache oder nicht, bis dato hat meine Verwandlung jedenfalls super geklappt. Nach der Arbeit fahre ich kurz in die Stadt, um Lebensmittel einzukaufen. Gerade, als der Bus vor einer Ampel hält und ich gelangweilt aus dem Fenster schaue, hält ein Wagen neben uns. Der Fahrer schaut zu mir und mich trifft der Schlag. Mario, der angeschossene Polizist, sitzt am Steuer. Er schaut mich ebenfalls verwundert an, jedoch scheint er nicht so richtig zu wissen, ob ich ihm bekannt bin oder eher nicht, zumindest kann ich das an seinem Gesichtsausdruck erahnen. Als der Bus weiterfährt, verliere ich ihn aus den Augen. Wenigstens geht es ihm wieder gut, denke ich und steige an der nächsten Haltestelle aus.
Der Verkehr ist in der Innenstadt stark eingeschränkt und das macht sich positiv bemerkbar. Seitdem alle vom Umweltschutz sprechen und Fridays for Future ihre Aktionen permanent in allen Regionen abhalten, musste die Stadtverwaltung reagieren und führte Elektrobusse und eine neue Fahrradspur ein. Immerhin, das ist ein Anfang, wenn auch noch bescheiden. Ich begrüße es, da das Einkaufen viel entspannter vonstattengeht. Die Fußgängerzonen wurden erweitert und man kann endlich in aller Ruhe draußen vor den Restaurants und Cafés Platz nehmen. Das erholsame Einkaufen ist ebenso ein großes Plus für die anderen Geschäfte und Dienstleistungsunternehmen. Ich entscheide mich spontan einen Kaffee zu trinken und nehme auf der Terrasse vor der Konditorei Platz.
»Hallo Karla!«
Ich schaue mich um und sehe Heike auf mich zukommen, vollbepackt mit diversen Einkaufstüten.
»Hallo Heike, möchtest du auch einen Kaffee?«
»Ja gerne.«
Sie lässt sich völlig erschöpft auf dem Stuhl nieder.
»Hast du einen Einkaufs-Marathon hinter dir?«
»Ja, genau. Ich hatte wenig Zeit und musste so viel besorgen, bin total down.«
»Entspann dich, ich bestelle uns einen Kaffee und suche einen Kuchen aus, o.k.?«
Heike nickt und verstaut die Tüten auf dem leeren Stuhl. Als ich zurückkomme und die Bedienung den Kaffee und zwei Stück Pflaumenkuchen bringt, muss ich feststellen, dass ich ihn ohne Sahne bestellt habe.
»Ohne Sahne?« Heike ist erstaunt. »Ich kann mich nicht erinnern, dass du jemals einen Pflaumenkuchen ohne Sahne gegessen hast.«
»Die Zeiten ändern sich. Nachdem ich die Pfunde so hart abtrainiert habe, steht mir der Sinn nicht mehr nach Kalorien. Es war so eine verdammte Quälerei«, seufze ich.
»Sag, was gibt es Neues bei dir?«, fragt mich Heike.
»Ja, es gibt etwas Neues, ich wurde befördert und mein Chef meint, meine äußerliche Verwandlung hätte sich positiv auf meine Performance ausgewirkt.«
»Oh, hervorragend. Ich finde, dass die neue Frisur und Farbe plus die abgespeckten Pfunde dich viel jünger aussehen lassen. Wenn du jetzt noch einen Mann findest, steht deiner neuen, glücklichen Zukunft nichts mehr im Weg.«
»Echt, meinst du, ein Mann macht mich noch glücklicher?«
»Kann man nicht wissen, du musst es versuchen.«
»Nicht so einfach in meinem Alter, du weißt, die tollen Kerle stehen nicht mehr Schlange,« ich schmunzele und trinke meinen Kaffee aus.
»Ich muss nach Hause, Roland wartet aufs Essen«, erwidert Heike.
»Das wäre dann der Nachteil, wenn man sich einen Mann anlacht, tschüss dann, wir telefonieren wieder.«
Meine Gedanken sind wieder spontan zu meiner Brust gewandert. Liften, oder nicht liften? Ich bestelle mir noch einen Kaffee und blättere in der ‚Cosmopolitan‘. Überschrift: Brustvergrößerung, Bruststraffung. Na, wer sagt es denn, der Artikel kommt mir wie gerufen. Ich lese und trinke meinen zweiten Kaffee und entscheide mich spontan nach Beendigung der Lektüre für eine Bruststraffung. Nachdem die Zeitung so nett ist und auch gleich einen Link zu den bekanntesten Chirurgen liefert, suche ich im Internet nach einem in meiner Nähe. Damit ich nicht auf den erst Besten hereinfalle, schaue ich mir die Kommentare an. Na ja, nicht optimal. Ich suche weiter. Nach drei neuen Versuchen werde ich fündig. Zwar fünfzig Kilometer entfernt, aber mit einwandfreien Kritiken und sympathisch schaut er ebenfalls aus. Meine Entscheidung ist gefallen, gleich Morgen rufe ich in der Praxis an und lasse mir einen ersten Termin geben. Zufrieden und ziemlich entspannt mache ich mich auf den Heimweg. Der Tag war sehr erfolgreich und ich lasse ihn mit einem Glas Tee und meinem Buch ausklingen.
Der folgende Morgen beginnt mit Sonnenschein und einem Telefonanruf meines Chefs.
»Sie brauchen heute nicht in die Firma kommen, wir haben einen Totalausfall im Computersystem, das müssen wir erst lösen.«
»O.k., dann melde ich mich morgen Vormittag, oder sie senden mir eine SMS.«
»Ja, mache ich, tschüs Karla.«
Das trifft sich ausgezeichnet. Sofort suche ich mir die Telefonnummer der schönheitschirurgischen Praxis heraus und rufe an. Eine Frauenstimme meldet sich und ich schildere ihr mein Anliegen.
»Kein Problem, wir haben am kommenden Donnerstag einen Termin um zehn Uhr oder am Freitag um acht, was passt ihnen besser?«
»Der um zehn würde mir eher passen, da ich fünfzig Kilometer fahren muss.«
»Prima, dann bis Donnerstag.«
Die Dame legt auf und ich notiere mir den Termin in meinem Mobiltelefon. Den freien Tag nutze ich, indem ich bei meiner Kosmetikerin nachfrage, ob eventuell heute ein Termin zu haben ist. Prima, das hat geklappt und ich gehe frohen Mutes an die wenigen Hausarbeiten, die ich erledigen muss. Eigentlich ist ein solches Singleleben ziemlich easy. Keine besonderen Wünsche seitens eines Familienmitgliedes, keine Berge von Wäsche, wie es meine Mutter mit uns vier Kindern immer hatte und kein Ehemann, der sich meistens nur zum Essen einfindet und ansonsten sein Ding macht.
Mein Vater war Beamter im höheren Dienst und somit kam das Geld regelmäßig aufs Konto. Er musste sich keine Gedanken um Erwerbslosigkeit oder Schließung einer Abteilung machen, so wie es mir in Frankfurt am Main erging. Diesbezüglich hatte er definitiv ein entspannteres Leben. Dafür war er Mitglied in verschiedenen Vereinen, wie Feuerwehr, Schützenverein, Kegelverein und engagierte sich im Lions Club und somit waren seine Abende ziemlich ausgelastet. Meine Mutter beschwerte sich nie darüber. Sie pflegte ihre Damenfreundschaften, sang im hiesigen Theaterchor und war Vorsitzende eines Charité Vereins. Ihr war es wohl ganz recht, wie es mit Papa lief, da die Vorlieben und Hobbys der beiden sehr unterschiedlich ausfielen. Für mich wäre eine solche Ehe undenkbar. Ich würde mir einen Partner wünschen, mit dem mich viel mehr Gemeinsamkeiten verbinden, doch bisher ist ein solcher Partner nicht eingetroffen und meine Liebschaften endeten immer wieder aufgrund dieser fehlenden Eigenschaften. Am Ende fehlten die gemeinsamen Hobbys und Unternehmungen. Was kann ich machen, wenn es einen solchen Mann für mich nicht gibt?
Meine Kosmetikerin Tina verwöhnt mich wieder exzellent und ich bin schon während der Einwirkzeit der Maske dermaßen tiefenentspannt, dass ich tatsächlich einschlafe. Ich wache erschrocken auf, als sie mit einem warmen, feuchten Tuch die Maske aus meinem Gesicht entfernt.
»Sie haben richtig tief geschlafen, Karla«, sagt sie lächelnd.
»Das ist so wundervoll entspannend bei ihnen zu liegen und umsorgt zu werden«, erwidere ich ein klein wenig peinlich berührt.
Nach der Kosmetikbehandlung schaue ich bei der italienischen Boutique Verde vorbei, dessen Sortiment genau meinem Geschmack entspricht. Eine traumhaft schöne Bluse in türkis-weiß, hat es mir angetan und ich kann trotz des astronomischen Preises für eine Bluse von zweihundertdreißig Euro nicht widerstehen. Was hat mich bloß geritten eine so teure Bluse zu kaufen, denke ich als ich den Laden verlasse. Aber o.k., sie ist aus purer Seide und hat einen Schnitt, der seinesgleichen sucht. Es gab sie nur ein einziges Mal und sie passt perfekt zu mir. Was soll’s? Das Leben ist zu kurz, um sich über Geld aufzuregen. Das habe ich noch nie, außerdem, bin ich allein und es gibt niemanden zu versorgen, ergo gönne ich mir das ein oder andere gute Stück.
Die Firma hat das Computerproblem noch immer nicht gelöst und ich habe mir daher den Donnerstag Urlaub genommen, um zum Schönheits-Chirurgen zu fahren. Mein kleiner Cooper wird ohnehin zu wenig genutzt und es wird Zeit ihn mal wieder zu bewegen. In der Stadt fahre ich meistens Fahrrad oder gehe zu Fuß. Der Tiefgaragen-Platz im Haus ist eine Annehmlichkeit, die mir bei der Wohnungssuche von großer Wichtigkeit war. Ich hatte einfach keine Lust, ständig zu kreisen, bis man schlussendlich und möglichst noch einen Kilometer entfernt einen Parkplatz findet.
Die Strecke von fünfzig Kilometern über die Autobahn, war schnell zu fahren und ich komme eine Viertelstunde früher an. Ich melde mich an dem Empfang und werde in den Wartebereich geleitet. Sehr nobel alles hier. Schicke hellbeige Lederstühle vor einer dunkelblauen Seidentapete. Der Boden ist aus hellem Parkett und die Zimmerpflanzen stecken alle in farblich passenden Töpfen. Die Zeitschriften liegen auf hellen Holztischen, die den gleichen Ton wie das Parkett aufweisen. Zwei super moderne Stehlampen, wahrscheinlich italienisches Design, runden den Stil ab. In der Ecke leuchtet ein Kaffeeautomat, Marke DeLonghi. Alles sehr elegant. Kaum habe ich meinen Cappuccino ausgetrunken, bringt mich die Dame zu dem angrenzenden Arztzimmer. Ein freundlicher Doktor um die vierzig, in einem blauen Shirt, Marke Lacoste und einer weißen Hose, begrüßt mich mit Handschlag.
»Was darf ich für sie tun?«
Ich erläutere mein Anliegen und lasse mich eingehend über Vor- und Nachteile eines solchen Eingriffs beraten, ebenso natürlich über die Kosten der Operation. Eine halbe Stunde später und mit einem OP-Termin stehe ich wieder vor meinem Auto. Hätte ich noch eine Nacht darüber schlafen sollen? Mir ist meine spontane Zusage nicht geheuer, normalerweise denke ich länger nach. Aber ich hatte mich im Vorfeld gründlich informiert, sodass mir keinerlei Bedenken kamen, als der Doktor mir diesen Eingriff anhand von Bildmaterial erklärte. Ok, das kostet zweitausendachthundert Euro plus Nachsorge, aber ich empfinde diesen Preis als fair, zumal ich mich genauestens im Internet schlau gemacht hatte. So, nun wird mein Busen ebenfalls in meine Rundumerneuerung einbezogen, aber danach ist endgültig Schluss. Man soll es nicht übertreiben, denke ich und fahre wieder zurück nach Hause.
Gut gelaunt genehmige ich mir zur Feier des Busens einen Piccolo, das muss jetzt sein. Entspannt, zufrieden und überglücklich widme ich mich wieder meinem Liebesroman, der mich in eine romantische Gefühlswelt katapultiert und mich hoffen lässt, vielleicht doch noch den passenden Traummann zu finden.
Mein Chef ruft um Punkt acht Uhr an, um mir mitzuteilen, dass ich heute wieder arbeiten darf. Die Panne sei behoben.
»Gut, ich bin in einer halben Stunde im Büro.«
Schnell nehme ich meinen Joghurt aus dem Kühlschrank, trinke meinen eben gebrühten Kaffee und fahre mit dem Rad zur Arbeit. Der Computer startet sofort und ich stelle fest, dass zumindest meine wichtigsten Daten und Tabellen vorhanden sind. Offensichtlich haben sie das Problem wirklich lösen können, ohne größeren Schaden anzurichten. Unser Chef ist ziemlich erleichtert, als er der Belegschaft mitteilt, dass wir immenses Glück hatten und sich der eigentliche Schaden als marginal herausstellte. Nach dem Gespräch erwähne ich, dass ich in vierzehn Tagen eine Woche Urlaub nehmen möchte. Er fragt mich, ob ich wegfahre und als ich verneine, gibt er sich ohne weiteres Nachfragen zufrieden und genehmigt mein Anliegen. Ich hätte ihm auch nicht auf die Nase binden wollen, dass ich mir die Titten liften lasse. Nein, das bleibt mein alleiniges Geheimnis.
Die vierzehn Tage flogen nur so dahin. Mein Work-out hat weitere drei Kilos purzeln lassen und der Pizza-Verzicht beschert mir eine Traumzahl auf der Waage. Ich habe es geschafft, mein Wunsch-Gewicht und meine Wunsch-Konfektionsgröße zu erreichen. Wenn jetzt noch der Busen wieder in Form ist, bin ich verdammt nahe am Supermodel. Blödsinn, das wohl eher nicht, aber ich komme ihm schon ziemlich gleich.