Katharina - Achim Wiederrecht - E-Book

Katharina E-Book

Achim Wiederrecht

0,0

Beschreibung

Alles in ihrem Leben war sicher, alles war gut. Bis Katharinas beste Freundin tot aufgefunden wurde. Statt in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten und seine Firma zu übernehmen, hat sie von nun an nur einen Gedanken: Sie will endlich ein anderes Leben. Nach einem Überfall, der sie in große Gefahr bringt, und einer Geschichte aus der Vergangenheit ihres Vaters, ist nur noch eine Frage wichtig: Wird sie ihren Traum verwirklichen können? Eine Geschichte über Veränderungen. Es war Liebe, Verstehen, Vertrauen. Daraus wurde Angst, Lüge, Misstrauen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 136

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mein besonderer Dank gilt Denise Fritsch. Ohne sie wäre der Roman nicht entstanden.

Mein persönliches Motiv beim Schreiben des Romans:

Sei stark und mutig! Hab keine Angst und verzweifle nicht. Josua 1,9

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Freitag, 28. Juli

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Donnerstag, 10. August

Kapitel 4

Freitag, 11. August

Kapitel 5

Montag, 14. August

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Dienstag, 15. August

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Mittwoch, 16. August

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Donnerstag, 17. August

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Freitag, 18. August

Kapitel 44

Samstag, 19. August

Epilog

Prolog

Es war alles sicher, es war alles gut. Wir hatten uns und die Zeit zog über uns hinweg wie ein Vogelschwarm im Herbst, und ließ uns ihr atemlos folgen, ohne Sinn und Verstand und wir vergaßen dabei, was das Wichtigste war für unser kurzes Dasein auf dieser Erde: Liebe, Verstehen, Vertrauen.

Doch dann kam ein Moment, da hatten wir das Gefühl, dass wir ins Stolpern gerieten. Es war nur ein kurzer Moment, aber er brachte Angst, Lügen, Misstrauen und Tod. Dieser eine Moment drohte unsere Welt zu zerstören.

Wir waren satt vom vielen Glück, bis die bösen Dinge sich von unserem Glück nährten und uns hungrig zurückließen. Niemand nahm es wahr. Erst als die Schreie unsere Körper verließen, hörten wir uns zu.

Freitag, 28. Juli

1

Der neue Tag sandte seine ersten Sonnenstrahlen mit einem Lächeln über das erwachende Dorf.

Niemand ahnte, dass am Abend das Lächeln der Sonnenstrahlen von der Maske des Bösen abgelöst würde.

Es war Freitag und der Wecker auf Katharinas Nachttisch zeigte sieben Uhr. Das laute Rasseln unterbrach abrupt ihren traumlosen Schlaf. Zielsicher, mit dem rechten Zeigefinger auf der Stopptaste, beendete sie das unangenehme Geräusch. Vorsichtig blinzelte sie sich in den Morgen hinein.

Sie wohnte allein in dem Haus, seitdem ihr Vater vor fünf Jahren ausgezogen war. Er hatte sich über den Büroräumen seiner Firma eine kleine Wohnung eingerichtet.

Ihre müden Augen führten sie zu einem Foto an der gegenüberliegenden Wand. Es zeigte sie mit ihrer Freundin Maria vor drei Jahren auf der Frühjahrsmesse in der Stadt. Sie hatten beide ein kitschiges Lebkuchenherz um den Hals. Jeweils mit der gleichen Aufschrift: Freunde für immer.

Ihr Blick wanderte weiter zu dem daneben hängenden Kalender.

Freitag, 28. Juli.

Ihr Herz machte einen Freudensprung.

Heute kam Maria endlich aus Göttingen zurück. Wie jeden Freitag wollten sie sich oben an der Hütte am See treffen. Tratschen über das, was in der Woche alles passiert war. Vielleicht noch eine Runde schwimmen. Und Lachen. Maria lachte gerne. Sie war der Gegenpol zu Katharinas ruhigen Art. Vermutlich verstanden sie sich deshalb so gut.

Maria wollte anrufen, sobald sie aus Göttingen wegfuhr.

Von dem Gedanken beflügelt, dass Maria in ein paar Stunden wieder hier war, stieß sie die Bettdecke mit den Füßen von sich und kam mit einem Schwung auf der Bettkante zum Sitzen. Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln, trat ans Fenster und schob die Gardinen auseinander. Sogleich wärmte die frühe Morgensonne ihr Gesicht.

Nach dem Duschen verführte ihre gute Laune sie dazu, einen blauen Rock anzuziehen, der, für sie ungewohnt, viel Bein zeigte. Ein weißes T-Shirt und die langen dunkelblonden Haare machten sie, nach einem Blick in den Spiegel, zufrieden mit ihrem Aussehen. Die kleine Narbe am Kinn, die sie sich als Kind nach einem Sturz mit dem Fahrrad zugezogen hatte, störte sie längst nicht mehr. Zur Belohnung beglückte sie sich mit einem Lächeln.

Nach einer Tasse Kaffee und einer Scheibe Toastbrot trat sie unbeschwert und zufrieden den Weg zur Arbeit an.

Frau Müller, der Sekretärin ihres Vaters, fiel gleich die gute Laune von Katharina auf, als diese sie, ungewohnt, mit einer Umarmung begrüßte.

»Du bist ja richtig übermütig!«

Sie riskierte einen Blick auf Katharinas kurzen Rock.

»Und dann noch so schick angezogen!«

»Heute kommt Maria zurück.«

Frau Müller lachte.

»Da werdet ihr wieder genug zu tratschen haben.«

»Davon kannst du ausgehen«, lachte Katharina.

Mit tänzelnden Schritten ging sie zu ihrem Schreibtisch, stellte den Computer an und versuchte sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Doch immer wieder sah sie auf ihr Handy. Maria hatte sich noch nicht gemeldet.

Es ist ja auch noch früh.

Vierzehn Uhr kam der ersehnte Dienstschluss. Katharina räumte ihren Schreibtisch auf und Frau Müller wünschte ihr ein vergnügtes Wochenende.

Sie verabschiedete sich von ihrem Vater und der Blick auf ihre Uhr sagte ihr, dass es nur noch vier Stunden bis zum Wiedersehen mit Maria waren.

Maria lebte ihren Traum und studierte Theologie. Sie wollte, wie ihr Vater, Pfarrerin werden und bereitete sich mit ihrer Lerngruppe auf die Prüfungen vor.

Katharina arbeitete eigentlich gerne in der Schreinerei ihres Vaters.

Allerdings überfiel sie immer wieder ein Gedanke:

Soweit wie Maria könnte ich auch sein.

Nach dem plötzlichen Tod der Mutter vor acht Jahren hatte ihr Vater sie gebeten, in der Firma mitzuarbeiten. Sie hatte ihn nicht enttäuschen wollen, so dass ihr Traum von einem Literaturstudium zurückstehen musste.

In ihrer Wohnung angekommen, schaute sie gleich wieder auf das Handy. Immer noch keine Nachricht, kein Anruf.

Um sich abzulenken, ging sie hinüber zu der großen Bücherwand, die so vollgestellt war, dass kaum noch neue Bücher hineinpassten. Lesen und Literatur waren Katharinas große Leidenschaft. Sie nahm den angefangenen Krimi »Meerjungfrau« von Camilla Läckberg heraus, entfernte das Lesezeichen und machte es sich im Sessel bequem.

Das Buch spielte im schwedischen Fjällbacka. Ein Ort, den sie gut kannte, und so waren ihr viele Schauplätze darin sehr vertraut. Der Hafen mit Hunderten von kleinen und großen Motor- und Segelyachten, der Ingrid-Bergmann-Torg und der imposante Vetteberget-Felsen. An der dortigen Kungsklyfta wurden Teile des Films Ronja Räubertochter gedreht. Das war als Kind Katharinas Lieblingsfilm, den sie sich oft mit Maria angeschaut hatte.

Trotz des spannenden Verlaufs der Handlung, der Kommissar hatte gerade eine Frauenleiche entdeckt, schaute sie regelmäßig auf ihr Handy. Nichts. Als sie draußen plötzlich ein lautes Hupen vernahm, steckte sie schnell das Lesezeichen zwischen die Seiten, klappte das Buch zu und legte es auf den Tisch. War es Maria, die früher gekommen war, um sie zu überraschen? Sie schaute aus dem Fenster. Es war nicht Maria.

Dann schnellte ihr Blick wieder auf die Uhr. Katharina erschrak. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Es war bereits kurz vor siebzehn Uhr. Und kein Lebenszeichen von Maria! Sie konnte sich jetzt nicht mehr auf das Lesen konzentrieren. Warum meldete sich Maria nicht? Katharina wählte unter den Kontakten Marias Nummer. Sie hoffte, Marias Stimme zu hören. Während des Wartens spielte sie mit einer Haarsträhne. Doch nichts geschah.

Was ist los, Maria?

Vielleicht wussten Marias Eltern mehr? Sie drückte sogleich die Nummer des Pfarrers. Kaum hatte dieser sich gemeldet, brachte sie ihre Fragen hervor.

»Ist Maria schon da? Hat sie sich gemeldet? Weißt du, wo sie ist?«

»Ist sie noch nicht bei dir? Bei uns hat sie sich nicht gemeldet«, war seine wenig hilfreiche Antwort.

»Was soll ich jetzt machen?« Katharina war verzweifelt. »Ich komme mir so hilflos vor.«

Marias Vater versuchte sie zu beruhigen.

»Vielleicht steckt sie im Stau und der Akku ist leer. Sie wird sich schon melden.«

Die Worte des Pfarrers konnten sie nicht wirklich besänftigen. Der Pulsschlag erhöhte sich und wie ein Schutzschild schlang sie die Arme um ihren Körper.

Mit großen Schritten ging sie in ihrer Wohnung auf und ab, um ihren Puls auf ein normales Niveau zu bringen. Und immer wieder der Blick zum Handy und zur Uhr. Mitten in diese Ungewissheit hinein klingelte ihr Handy. Sie rannte sofort zum Tisch, nahm es auf und meldete sich.

»Maria, endlich. Weißt du, was ich mir für Sorgen …«

Weiter kam sie nicht.

»Ich bin es, dein Vater. Ich wollte dich nur noch etwas Geschäftliches fragen.«

Katharina kniff die Lippen zusammen und seufzte.

»Ich habe jetzt keine Zeit. Maria meldet sich nicht.«

Bevor ihr Vater Fragen stellen konnte, beendete sie das Gespräch.

Bis zum üblichen Treffen um achtzehn Uhr war es nur noch eine halbe Stunde. So entschloss sich Katharina, nicht länger in der Wohnung herumzulaufen, sondern sofort loszugehen. Sie bedauerte in diesem Moment, kein Auto zu haben. Andererseits brauchte sie keins für den kurzen Weg zur Arbeit. Und sonst nahm Maria sie immer mit.

Länger als eine Viertelstunde würde sie aber nicht bis zum See brauchen.

Nicht nur die warmen Temperaturen brachten sie zum Schwitzen. Ihre Schritte wurden immer schneller. Vielleicht wollte Maria sich nur einen Scherz mit ihr erlauben. Obwohl dies eigentlich nicht ihre Art war.

2

Katharina schickte ein stilles Gebet zum Himmel. Bitte lieber Gott, lass Maria schon da sein.

Als sie die Hütte endlich erreichte, saß da keine Maria. Katharina blieb stehen, doch ihre zitternden Knie zwangen sie auf die Bank. Sie sah sich um. Da die Hütte auf einer kleinen Anhöhe stand, hatte sie einen guten Ausblick über das Gelände. Ihre Augen wanderten zwischen Wald, See und in Richtung Dorf hin und her. Niemand war zu sehen.

Um ihren immer schneller gehenden Puls zu beruhigen, stand sie schnell auf und ging den kleinen Abhang hinab zum See. Dieser lag still vor ihr, kein Windhauch berührte ihn. Zwei Ruderboote waren mitsamt den Paddeln an ihren Haltepfosten festgezurrt.

Katharinas Blick irrte wieder umher, als sie plötzlich am Ende des Stegs etwas Dunkles liegen sah. Sofort rannte sie dorthin.

Sie nahm die Sachen in die Hand. Ein Handy in einer grünen Hülle und ein Autoschlüssel. Daran hing ein kleines silbernes Kreuz. Für einen Moment stockte ihr der Atem. Beides gehörte Maria. Das Handy war ausgestellt.

Wo bist du Maria?

Was ist passiert?

Katharina hatte jetzt nur noch den Wunsch, nach Maria zu suchen.

Sie ging zum Rundweg und sah dabei spontan auf ihr Handy. Nichts!

Blödsinn, dachte sie, Maria hat ja ihr Handy gar nicht mehr.

Warum liegen ihre Sachen am Ufer?

Warum hat sie sich nicht gemeldet, wenn sie doch schon da war?

Es muss etwas passiert sein.

Bei jedem ihrer Gedanken ergriff die Angst immer mehr Besitz von ihr.

Hastig begann sie den Weg, der großzügig um den See herumführte, abzugehen. Ihre Augen sprangen unruhig umher, sie wollte nichts übersehen. Spaziergänger waren keine da, die sie danach fragen könnte, ob sie etwas beobachtet hatten.

Immer wieder rief sie laut nach Maria. Damit scheuchte sie aber nur die zahlreichen Enten aus ihren Verstecken, die sich schnatternd darüber beschwerten. Bei jedem größeren Schilffeld verließ sie den Weg und schaute trotz ihrer Eile genau hinein. Dass sie nasse Füße bekam, störte sie nicht. Aber es war nicht das Geringste zu sehen!

Plötzlich klingelte ihr Handy. Katharina stand mitten in einem kleinen Schilffeld. Es war Marias Vater.

»Hast du etwas von Maria gehört?« überrumpelte sie ihn gleich mit einer Frage, bevor er zu Wort kommen konnte.

«Nein«, war seine kurze Antwort. »Wo bist du denn?«

»Hier oben am See, etwa hundert Meter von der Hütte entfernt. Ich habe am Bootssteg ihr Handy und den Autoschlüssel gefunden. Jetzt habe ich angefangen, den Rundweg abzulaufen.«

»Dann muss etwas passiert sein. Ich komme sofort hoch und helfe dir suchen. Sonst ist es hier kaum noch auszuhalten.« Schnell beendete er das Gespräch.

Katharina ging zurück auf den Weg. Obwohl es ihr schwerfiel, wollte sie warten.

Nervös trat sie von einem Bein auf das andere. Ihre Geduld war fast aufgebraucht, als Marias Vater endlich kam.

»Ich habe noch schnell bei einem Kommilitonen von Maria angerufen«, entschuldigte er sich.

»Seine Nummer lag auf ihrem Schreibtisch. Er sagte mir, dass sie schon heute Mittag weggefahren sei.«

»Das macht die ganze Sache noch schlimmer. Lass uns nicht noch mehr Zeit verlieren«, trieb Katharina zur Eile an.

Und so gingen sie auf dem Rundweg weiter, bis sie zu dem zweiten Parkplatz am See kamen. Dort sah Katharina etwas Rotes stehen.

»Ihr Auto«, rief sie ihre Erleichterung in den warmen Sommertag hinaus, und rannte hinüber. Es war abgeschlossen. Sie öffnete die Tür mit dem gefundenen Schlüssel und schaute in das Innere, ohne etwas Besonderes zu entdecken. Nach dem Abschließen des Wagens wartete sie enttäuscht auf den Pfarrer.

Dieser war die letzten Meter gerannt. Völlig außer Atem musste er sich erst einmal am Wagen abstützen.

»Sie muss immer noch irgendwo hier oben sein«, brachte er laut keuchend hervor.

Die Suche ging weiter. Schritt um Schritt umrundeten sie den See.

Dann blieb Katharina plötzlich vor Marias Vater stehen und schaute ihn mit feuchten Augen an.

»Ich habe Angst.« Ihre Stimme klang leise und ratlos.

»Ich auch«, sprach er nach einer kurzen Zeit der Stille. »Wir dürfen aber die Hoffnung nicht aufgeben«, machte er sich und Katharina Mut. Sanft wischte er ihr eine kleine Träne aus dem Gesicht.

»Du hast Recht«, sprach sie zu ihm und dann leise, wie zu sich selbst, »Maria lebt.«

Mit neuem Mut und Vertrauen gingen sie weiter.

»Da ist etwas«, rief Katharina plötzlich und rannte wieder voraus. Ihr Herz tobte immer schneller und drohte zu zerspringen.

Etwas großes Blaues ragte hinter dem Schilfrohr hervor. Dieses erhob sich wie eine Wand zwischen Uferweg und See. Beim Näherkommen sah sie schwarzes, kurzes Haar, ein blaues T-Shirt und eine helle Hose. Die Füße waren nackt. Sofort hastete sie in das hüfthohe Wasser bis hin zu dem leblosen Körper. Sie blieb stehen und starrte ihn mit weit aufgerissenem Mund an. Dann drehte sie ihn auf den Rücken und nahm den Kopf vorsichtig zwischen ihre Hände. Ausdruckslos sahen sie die dunkelblauen Augen ihrer Freundin an.

»Maria!« Ihr Schrei verhallte über dem stillen See.

»Komm, hilf mir«, rief sie Marias Vater zu. Dieser zuckte zusammen und schaute sie ängstlich und zitternd an. Nur langsam begriff er, dass dort unten seine Tochter lag. Mit steifen Schritten bewegte er sich ins Wasser, hin zu Katharina. Der Blick auf seine leblose Tochter ließ ihn willenlos daneben stehen.

»Ich muss es allein tun«, murmelte Katharina.

Sie legte ihren linken Arm unter den Körper von Maria und zog diesen den kurzen Weg zum Ufer. Der Pfarrer bewegte sich nur mühsam hinterher. Dann stieg sie aus dem Wasser. Allein und mit letzter Kraft zog sie Maria an beiden Armen hinauf ans Ufer. Ohne lange zu überlegen versuchte sie, Maria durch Mund-zu-Mund-Beatmung ins Leben zurückzuholen.

»Ruf einen Krankenwagen! Mach schon, wir brauchen einen Arzt.«

Doch Marias Vater reagierte nicht. Er stand weiterhin hilflos daneben.

»Maria, komm, atmen! Atme! Nun mach schon«.

Sie schrie die leblose Freundin an, deren Kopf haltlos zur Seite gefallen war. Katharina fühlte am Hals nach dem Puls. Kein Schlag mehr. Da erst begriff sie:

Tot, Maria ist tot.

»Nein, das darf nicht sein«, flüsterte sie kaum hörbar und schüttelte den Kopf.

Zitternd und erschöpft sank Katharina neben ihrer Freundin zu Boden. Marias Vater beugte sich hinunter und schloss mit beiden Händen die Augen der Toten. Dabei entdeckte er geronnenes Blut an der linken Kopfseite. Als er die Haare beiseiteschob, sah er die faustgroße Wunde. Wortlos zeigte er sie Katharina. Stumm sah sie hin. Ihr fehlten die Worte. Dann setzte sich Marias Vater schwerfällig neben sie. Sie umarmten sich und die Stille legte sich über sie wie ein Schutzschild vor der kommenden Zeit. Beide blickten auf Maria, die bleich, nass und leblos vor ihnen lag. Tränen rannten über die Wangen, doch sie konnten den Schmerz nicht lindern.

Unvermittelt sprang Katharina auf und durchbrach diesen stillen Augenblick.

»Wir müssen die Polizei rufen.«

Der Pfarrer reichte ihr wortlos sein Handy. Sie wählte die 110 und wartete ungeduldig auf eine Reaktion. Als sich eine Frauenstimme meldete, erzählte sie hastig, was passiert war.

Bewegungslos warteten sie auf die Polizei.

Die Abendsonne wärmte ihre kalten, nassen Körper.

Ihre Köpfe waren leer.

Ihre Stimmen waren stumm.

Ihre Blicke lagen auf Maria.

Nur das Quaken der Enten ließ erahnen, dass sich die Erde weiterdrehte.

3