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Eigentlich ist Katis Freund Jan an allem schuld. Wenn der sich nicht als großer Amerikakenner aufgespielt hätte, wäre Kati wohl kaum auf die Idee gekommen, selbst hinzufahren. Dass ihre Tante als Aufpasserin mitkommen will, passt ihr gar nicht. Aber selbst eine alte Tante kann Kati den Frühling in New York nicht vermiesen - vor allem nicht, seit sie einen Amerikaner namens Bob getroffen hat ... Der erste Band der Kati-Trilogie - erfrischend und unkonventionell.
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Eigentlich ist Katis Freund Jan an allem schuld. Wenn der sich nicht als großer Amerikakenner aufgespielt hätte, wäre Kati wohl kaum auf die Idee gekommen, selbst hinzufahren. Dass ihre Tante als Aufpasserin mitkommen will, passt ihr gar nicht. Aber selbst eine alte Tante kann Kati den Frühling in New York nicht vermiesen – vor allem nicht, seit sie einen Amerikaner namens Bob getroffen hat …
Der erste Band der Kati-Trilogie – erfrischend und unkonventionell.
Eigentlich war Jan schuld. Dass ich nach Amerika fuhr, meine ich. Ich hatte sein ewiges Gerede satt, wie merkwürdig alles in den Staaten wäre. Also beschloss ich selbst hinzufahren und mir die Sache anzusehen.
Jan war in Amerika gewesen. Eine ganze Woche, oder sagen wir, um nicht ungerecht zu sein, vierzehn Tage. Dann kam er heim und war der große Amerikakenner. Oh, er könnte eine Doktorarbeit schreiben über die amerikanische Gesellschaft, die amerikanische Architektur, amerikanische Geschäftsmethoden, amerikanisches Essen und amerikanische Frauen. Besonders über amerikanische Frauen. Es war unglaublich, was er alles in sich aufgenommen hatte, während er sich da herumtrieb – übrigens waren es vielleicht auch vier Wochen. Wenn man eine empfängliche Natur ist, so ist man es eben.
Ich will nicht behaupten, dass ich übermäßig romantisch bin. Aber wenn man mir eine Vorlesung über amerikanische Architektur hält, während ich einen Mondscheinspaziergang mache, dann habe ich nur den einen Wunsch: ein kleines, einsames Tier im Wald zu sein.
Jan ist Architekt. Glaubt er. Ich glaube es nicht. Solche kleinen scheußlichen, viereckigen Häuser, wie er zeichnet, könnte ich auch an einem Nachmittag zusammenschustern.
Manchmal bilde ich mir ein, dass ich in Jan verliebt bin. Er selbst ist fest überzeugt, um nicht zu sagen unerträglich sicher, dass es der Fall ist.
Während Jan aus Leibeskräften loslegte, wie es drüben in Amerika wäre, ließ ich meistens »alles zu einem Ohr hinein-, und zum anderen hinausgehen«, wie meine Tante zu sagen pflegt. Aber manchmal konnte ich es doch nicht lassen, ihn ein bisschen zu ärgern.
»Lieber Jan«, sagte ich, »das wissen doch alle Menschen. Alle Menschen sind doch in Amerika gewesen. Warum reist du nicht lieber nach Emmaboda? Dort ist keine Ratte gewesen, soviel ich weiß. Ein weißer Fleck auf der Karte. Fahr dorthin, sage ich. Dann kannst du nach Hause kommen und den großen Hörsaal der Bürgerschule mieten und einer verwunderten Welt erzählen, wie das Leben in Emmaboda ist.«
Da sagte Jan, Frauen müssten liebreizend sein, und ich wäre nur neidisch, weil ich selbst noch nie in dem großen Land im Westen gewesen wäre.
Vielleicht hatte er Recht. Eines schönen Tages hätte ich mich wohl in einer Vitrine im Reichsmuseum wieder gefunden: »Das einzige bekannte schwedische Exemplar, das nie einen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hat.« Alle Menschen fuhren ja dorthin. Es war schon fast eine Schande, die Freiheitsstatue nur auf Ansichtskarten gesehen zu haben.
Also je längere Vorträge Jan hielt und je mehr ich es satt hatte, sie anzuhören, umso mehr wurde ich von der Begierde verzehrt selber Amerika aus der Nähe zu sehen. Und ich freute mich wie ein Kind bei dem Gedanken, was ich Jan erzählen würde, wenn ich heimkehrte. Ich würde ihn in eine Ecke drängen und mit ihm über Amerika sprechen, bis es ihm zum Hals herauskäme.
Insgeheim kränkte es mich etwas, dass Jan die amerikanischen Mädchen immer als solche Auswüchse an Schönheit und Reiz hinstellte. Ihre Figur, ihre Art sich zu kleiden, ihr Make-up – o boy! Ich finde, er hätte sagen können, er fände mich auch ziemlich hübsch. Aber das tat er nicht. »Du bist nicht hübsch, aber du bist eigenartig«, sagte er. Und mit so einem soll man beinahe jeden Abend im Tiergarten herumlaufen!
Nein, Kati, rasch nach Amerika, sagte ich mir. Man brauchte ja bloß Geld von seinem ansehnlichen Bankkonto abzuheben und sich auf den Weg machen.
Nichts weiter? O doch. Man musste zunächst mit der Tante sprechen. Bei meiner Tante wohne ich, seit ich als kleines Kind elternlos wurde. Und wenn meine Tante zu bestimmem hätte, säße ich noch immer mit Eimer und Schaufel auf einem Sandhaufen im Park und buddelte. Tante wird in mir immer ein kleines, liebes, hilfloses Kind sehen, auch wenn ich schon längst eine gesetzte Matrone bin mit einer ansehnlichen Menge Bartwarzen und einer Stimme, die eine ganze Kompanie Berufssoldaten einschüchtern kann.
Ich ahnte also, dass es einen harten Kampf mit der Tante geben würde. Sie hat keine Sympathie für das große Land im Westen und überhaupt für kein anderes Land. Sie weiß Bescheid! Sobald ein junges Mädchen den Fuß auf fremden Boden setzt, gleich steht hinter der Ecke ein kleiner heimtückischer Mädchenhändler bereit. In teuflischer Bosheit überwältigt er sein Opfer und führt es einem Schicksal zu, das schlimmer ist als der Tod. Und Tante hat doch Mama auf dem Totenbett versprochen auf mich aufzupassen.
Aber schließlich bin ich jetzt doch endlich mündig, wenn Tante das auch noch nicht begriffen hat. Und ich habe ein paar Tausender von meinen Eltern geerbt. Es ist ausschließlich das Verdienst der Tante, dass dieses Geld am Tag meiner Volljährigkeit noch vorhanden ist. Ich selbst habe im Lauf der Jahre die ausgezeichnetsten Vorschläge gemacht es anzulegen. Ein Motorrad mit Beiwagen war mein heißester Traum als Vierzehnjährige und ich konnte nie begreifen, wie ein Mensch so verstockt und verblendet sein konnte wie Tante. Sie weigerte sich hartnäckig einzusehen, dass ein Motorrad eine so vorteilhafte Geldanlage ist, wie Bankiers sie nachts erträumen. Es nützte nichts, dass ich mich großzügig erbot Tantes Ausbildung als Motorradfahrerin zu bestreiten, bis ich selbst achtzehn wäre und einen Führerschein bekommen konnte. Ebenso störrisch war sie, als ich eine Kleinigkeit für eine sechsreihige Ziehharmonika ausgeben wollte, mit der ich viele ihrer einsamsten Stunden zu verschönern gedachte. Statt dafür dankbar zu sein sagte sie nur: Nee, nee, das Geld solle auf der Bank stehen bleiben. Ich würde es gut gebrauchen können, wenn ich von einer unglücklichen Ehe, unversorgten Drillingen, einem chronischen Nierenleiden infolge zu dünner Unterkleidung, Pestilenz und einigen anderen Unglücksfällen betroffen würde, die mir drohten.
Jetzt aber wollte ich nach Amerika fahren. Als Tante begriff, dass es mir ernst war, weinte sie ein paar vereinzelte Schauer und redete den ganzen Abend davon, welches Glück es sei, dass meine armen Eltern beizeiten dahingegangen seien. Als ich mich jedoch nicht erweichen ließ, ging sie tief gekränkt zu Bett. Am nächsten Morgen kam sie mit übernächtigtem Gesicht zu mir und sagte: Wenn ich mich durchaus ins Verderben stürzen müsse, so sei es ihre Pflicht mitzustürzen. Außerdem habe sie einen Bruder in Chicago und habe sich immer danach gesehnt, ihn wieder zu sehen. Tante wollte mit nach Amerika!
Ich schnappte nach Luft. Es war, als hätte meine Amerikareise mit einem Schlag Glanz und Duft verloren. Da war man hier herumgelaufen, hatte seine Blicke zum Himmel erhoben und gerufen: »Ich will hinaus! Ich will hinaus!« Es war nicht so leicht, sich plötzlich umzustellen und jetzt zu rufen: »Meine Tante und ich wollen hinaus!«
Und all die lustigen kleinen Reiseabenteuer, die ich hatte erleben wollen, um sie nach der Rückkehr den Mädchen im Büro anschaulich zu schildern – und auch anderen, die sich nicht wehren konnten! Ich konnte mir so gut vorstellen, wie es klingen würde. »Ihr hättet mich sehen sollen, wie ich zwischen New York und Chicago per Anhalter gefahren bin, es war verdammt lustig!« Denn natürlich gedachte ich per Anhalter zu fahren. Bisher ist wohl noch kein Mensch in Amerika gewesen ohne sich ein Auto für die Fahrt durch die große Salzwüste heranzuwinken. Aber mit der Tante ein Auto anhalten?
Ich habe Familiensinn, sicherlich, aber man kann doch nicht bestreiten, dass eine Tante mit Knopfstiefeln ein ernsthaftes Hindernis ist, wenn man am Wegrand steht und mit blitzenden Augen und erhobenem Daumen die Brummer zu bewegen versucht ihre Fahrt zu verlangsamen. Aber Tante trägt Knopfstiefel. Wenn sie sich fein macht. Handgearbeitete. Aus Chevreau. Vom Anfang des Jahrhunderts oder so ungefähr. Damit ist das meiste über Tante gesagt. Hinter dem strengen Äußeren und den barschen Worten ist sie furchtbar lieb und ich bete sie an. Aber es wäre mir lieber gewesen, sie wäre in unserer kleinen Zweizimmerwohnung in der Kapitänstraße geblieben und ich hätte sie aus gebührender Entfernung, mit dem Atlantischen Ozean zwischen uns, anbeten können. Jetzt aber hatte sie es anders beschlossen und wer bin ich, dass ich es wagen sollte, mich gegen eine Naturkraft aufzulehnen? Mit einem Seufzer fasste ich die Tante unter und ging mit ihr zum Passbüro.
Hier mussten die Knopfstiefel ausgezogen werden, weil man Tantes genaue Größe messen wollte. Sie erbot sich freilich, beim Messen die Knie etwas krumm zu machen, ungefähr so viel, wie die Absätze ausmachten, aber das ging nicht. Wütend knöpfte Tante die Stiefel auf, mit vielen bitteren Worten über das umständliche Schweden. Zu gegebener Zeit bekamen wir die Pässe. Unsere Passfotos waren genauso schön, wie solche Bilder zu sein pflegen. Ich sah aus wie Herodes vor dem Kindermord und Tante wie eine Verbrecherin, die eine neue Tat ausbrütet. Ich dachte bei mir: Wenn man uns für diese Pässe das Visum gibt, so ist es nicht übel. Vor allem, weil man ja, wenn man ein Visum für Amerika haben will, erklären muss, dass man nicht den Plan hat den amerikanischen Präsidenten zu ermorden. Ha, dachte ich, der amerikanische Gesandte braucht ja nur einen Blick auf diese Fotos zu werfen um zu begreifen, dass die Tante und ich sofort zum Weißen Haus stürzen und den Präsidenten mit unseren bloßen Händen erwürgen werden. Aber merkwürdig – wir bekamen das Visum. Und die Devisenstelle erlaubte uns gnädig einen kleinen Geldbetrag in klingende harte Valuta[1] umzuwechseln. Wenn wir nicht allzu üppig lebten, ich meine, wenn wir uns nicht darauf versteiften, wirklich jeden Tag essen zu wollen, würden unsere Dollars sicher eine ganze Woche reichen. Tante leckte den Daumen an und zählte das kleine, dünne Bündel Dollarnoten durch. Sie sah George Washington[2] fest in die Augen und sagte:
»Es ist gut, wenn man einen Bruder in Chicago hat.« Ich hatte zu Jan kein Wort von meinen Plänen gesagt. Da lief er, das unschuldige Lamm, und fantasierte von amerikanischer Architektur, während ich meine Maßnahmen ergriff. Ich dachte, es sollte eine kleine Überraschung für ihn werden, denn ich hatte immer das Gefühl, dass dieses wunderbare Amerika für ihn am schönsten ohne mich war.
Wir wollen nicht davon sprechen, was für ein Geschrei es im Büro gab, als ich dort die Neuigkeit verkündete. Alle Mädchen drängten sich um meine Schreibmaschine, und ich versuchte ein Gesicht zu machen, als wolle ich nur einen kleinen Abstecher in die Umgebung unternehmen.
»O Kati«, schrie Barbro, »es ist doch nicht dein Ernst, dass du nach Amerika fahren willst, wo die Millionäre wachsen? Pflück mir bitte auch einen!«
»Aber ja«, sagte ich tröstend, »ich bring eine ganze Hand voll mit, dann könnt ihr um sie losen.«
Nun musste ich noch den Chef bewegen mir Urlaub zu geben. Es war ganz einfach. Ich fragte ihn beiläufig, ob das Büro auf eine so gute Stenotypistin wie mich verzichten könne oder ob er wolle, dass ich nach ein paar Monaten wieder zurückkäme.
»Zurückkommen? Ich verstehe nicht«, sagte er und sah ganz verwirrt aus.
»Aus Amerika«, sagte ich, »da will ich nämlich hinfahren.«
Und nachdem er eine kleine Weile überlegt hatte, war er froh und dankbar, dass ich nach der Rückkehr meine segensreiche Tätigkeit in seinem bescheidenen Büro fortsetzen wollte.
An einem stillen Aprilabend ging ich mit Jan am nördlichen Mälarufer entlang und sah, wie die Lichter sich im Wasser spiegelten. Wir gingen weiter bis zum Rathaus, das seinen wunderbar schönen Turm zu einem blauen Abendhimmel mit gleitenden Aprilwolken erhob.
»Oh«, sagte ich, »oh, wie schön das Rathaus ist!«
Dem stimmte Jan zu. Von ganzem Herzen. Dann schwieg er eine lange Weile. Und endlich sagte er: »Eigentlich ist es sehr schade, dass du das Empire State Building[3] nicht gesehen hast.«
Aber da sagte ich: »Sei ganz ruhig, lieber Jan. Ich werde das Empire State Building sehen. Etwa am Donnerstag. Dann fliege ich nämlich nach New York.«
Jener Pfarrer, der gesagt hat, es wäre Sünde zu schwimmen, denn wenn es die Absicht gewesen wäre, dass wir schwimmen sollten, so hätte Gott uns Schwimmhäute zwischen den Zehen gegeben, jener Pfarrer war vermutlich ein Seelenverwandter der Tante. Sie hat genau dieselbe Einstellung zum Fliegen. Es ist Gotteslästerung, in so einer Blechbüchse in die Luft emporzusteigen, findet Tante. Und außerdem lebensgefährlich. Aber nun hatte sie ja von Anfang an resigniert und eingesehen, dass es hoffnungslos war, mich lebend in das Land der Väter zurückzubringen. Und da konnte es ja einerlei sein, ob wir in den Atlantik[4] stürzten oder ob der Tod als Befreier käme, während wir in dem gefahrvollen Amerika umherirrten.
Als Marie Antoinette[5] auf dem Henkerkarren auf dem Weg zur Guillotine durch Paris fuhr, mag ihr ungefähr ebenso zu Mute gewesen sein wie Tante, als sie in dem eleganten Bus der Fluggesellschaft durch die Stadt zum Flugplatz Bromma fuhr. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie durch das Fenster und überflog mit den Blicken die lieben Straßen und Häuser, als wäre sie überzeugt sie nie mehr wieder zu sehen.
Und als wir nach Bromma kamen und den Flugplatz sehen konnten, stieß sie ein kleines, jämmerliches Wimmern aus. Ich klopfte ihr tröstend auf die Schulter, obwohl ich mich selbst, offen gestanden, ziemlich zittrig fühlte. Aber da stand Jan, Gott sei Dank. Da stand er mit einem Veilchenstrauß in der Hand und ich hatte ihn wohl nie so gern gehabt wie in diesem Augenblick. Jan, der so viele harte Worte über närrische und abenteuerlustige Mädchen gesagt hatte! Er hatte natürlich Recht! Ich klammerte mich an ihn und wünschte leidenschaftlich, ich wäre so vernünftig gewesen daheim zu bleiben. Aber jetzt war es zu spät.
Ich rappelte mich zum Glück bald wieder auf. Als wir erst im Flugzeug saßen und es mit mächtigem Dröhnen über den Flugplatz hinbrauste, sich emporhob und immer höher stieg, gerade durch die sonnenbeleuchteten Wolken hindurch, und Jan und das Büro und Stockholm und der ganze Rummel tief unten zurückblieben, da fühlte ich mich wie ein Schulmädchen am ersten Tag der Sommerferien.
Ich glaub nicht, dass Tante sich gerade als Schulmädchen fühlte. Sie klopfte skeptisch gegen die Wand um festzustellen, wie stabil das Flugzeug war, und dann sagte sie: »Ich bin froh, dass ich mein Testament gemacht habe.«
Ich sagte, sie müsse versuchen etwas mehr air-minded zu werden. Unser tüchtiger Pilot würde ganz gebrochen sein, wenn er sie hörte. Aber da sagte Tante, wenn sie bald im Atlantik läge, wäre es ganz einerlei, wie air-minded sie sei, und sie möchte dem Piloten raten die Sache völlig ruhig zu nehmen, sonst würde sie ihm hinterher als Gespenst erscheinen.
Ich versuchte mir die Tante als ein kleines, böses Gespenst mit Knopfstiefeln vorzustellen, das in dunklen Herbstnächten wie ein zweiter Fliegender Holländer über dem Atlantik umherirrte, wurde aber in meinen Überlegungen durch die reizende Stewardess unterbrochen, die das Mittagessen brachte.
»Du musst jedenfalls zugeben«, sagte ich aufmunternd zu Tante, »dass es lustiger ist, in zweitausend Meter Höhe kalte Hühnchen zu essen, als sich zu Hause in der Kapitänstraße rote Rüben mit Speck einzuverleiben, was du sonst jetzt getan hättest.«
Es gelang mir, ihr eine halbe Zustimmung zu entlocken, und damit musste ich mich begnügen.
Oh, es war herrlich zu fliegen! Meine Lebensgeister stiegen, sodass sie mindestens tausend Meter höher waren als das Flugzeug selbst.
»Dass du nicht mit dem Schiff fährst?«, hatten alle Leute zu mir gesagt. »Das ist doch so bezaubernd.«
Und ich hatte regelmäßig geantwortet: »Ja, es ist kolossal bezaubernd. Aber nur für Leute, die wirklich Spaß dran haben, sich zu übergeben.«
Ich blickte auf den Atlantik hinab, als wir die norwegische Küste hinter uns gelassen hatten. Kleine Spielzeugboote bahnten sich dort geduldig ihren Weg. Ich dachte an Christoph Kolumbus und mir wurde warm ums Herz. Wie hatte er es nur wagen können! Um alles in der Welt, wie hatte er es wagen können! So viele Meilen und Abermeilen Wasser, bis in die Unendlichkeit, und dann nicht wissen, was dahinter war!
»Du musst zugeben, dass die Männer etwas Wildes und Abenteuerliches an sich haben«, sagte ich zu Tante.
»Wer will sich denn jetzt wieder scheiden lassen?«, fragte sie.
Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich an Kolumbus dächte, und was für ein Glück es für die Menschheit sei, dass nicht ich Kolumbus wäre, denn ich würde nach einem Tag umgekehrt sein. Voll Seekrankheit und Reue wäre ich vor Isabella von Spanien getreten und hätte gesagt: Nein, es gäbe wohl kein Amerika, oder jedenfalls wäre es besser, mit der Entdeckung bis zum neunzehnten Jahrhundert zu warten, wenn die Dampfschifffahrt ordentlich in Gang gekommen wäre, oder noch besser bis zum zwanzigsten Jahrhundert, wenn man dorthin fliegen könnte.
O ja, die Männer sind ein wildes, abenteuerliches, herrliches Geschlecht! Warum entdecken wir Frauen nie neue Erdteile?
»Eigentlich ist es ziemlich schäbig, bloß eine Frau zu sein«, beklagte ich mich bei der Tante.
»Du musst bedenken«, sagte sie, »dass wir Frauen die Männer zu ihren großen Taten anregen.«
Da saß sie in ihren pathetischen Knopfstiefeln, das Haar in einem lächerlich kleinen Dutt im Nacken, und Gott möge mir verzeihen, aber ich dachte bei mir selbst: Die großen Taten, zu denen sie die Männer angeregt hätte, wären bestimmt nicht umfangreicher, als dass sie bequem auf einem Daumennagel Platz hätten.
Aber ich liebte sie gerade so, wie sie war, mit Knopfstiefeln und allem, ja, ich liebte alle Menschen. Wenn man bedenkt, was für eine Sammlung netter und liebenswürdiger Leute ich als Reisegefährten bekommen hatte! Besonders ein Amerikaner gefiel mir. Wir plauderten eine Weile miteinander, obwohl die Tante die ganze Zeit aussah wie: »Aha, der Mädchenhändler … schon!«
Das mit dem Turm zu Babel war schon ein großes Unglück für die Menschheit. Wenn man sich vorstellt, dass man gestopft voll ist von geistreichen Dingen, die man anbringen möchte! Und dann kann man als Einziges ein in regelmäßigen Zwischenräumen wiederkehrendes »I see« oder »Is that so« herausquetschen.
Ich hätte Mr Healey meine unmaßgebliche Meinung über das Weltall auseinander setzen mögen, aber ich fühlte sofort, dass es sich nicht lohnte, es auch nur zu versuchen. All meine Englischkenntnisse waren wie weggeblasen. Ich erinnerte mich nur an einen einzigen Satz aus meinem englischen Lesebuch: »Can you tell me the nearest way to the Scandinavian Bank?«[6] Und so lustig es auch gewesen wäre, mit dieser Frage Mr Healey gerade ins Gesicht zu springen, beschloss ich jedenfalls doch es zu lassen und stattdessen mit den Augen zu blitzen und zu funkeln und Mr Healey reden zu lassen. Herren sind ja meistens sehr zufrieden, wenn sie ihre eigene Stimme hören können. Mr Healey tröstete mich übrigens damit, dass ich mit meinem englischen Wortschatz in Amerika ausgezeichnet zurechtkommen würde. Wie behauptet werde, sagte Mr Healey, brauchte man nicht mehr als vier Sätze zu können: »Good morning – ham and egg – I love you – good night!«
»Is that so«, sagte ich mit peinlicher Einförmigkeit. Nun, eigentlich wäre es wohl eine furchtbare Übertreibung, behauptete Mr Healey. Man käme wohl nicht mit nur good morning, ham and egg, I love you, good night aus. Man müsse auch Baseball sagen können, Popcorn und Coca-Cola.
»I see«, sagte ich.