Kati in Paris - Astrid Lindgren - E-Book
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Kati in Paris E-Book

Astrid Lindgren

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Beschreibung

Paris! Die Türme von Sacré Coeur, der Bois de Boulogne, die engen Gassen vom Montmartre. Lennart kennt ein Hotel, klein und billig, am linken Seineufer, in dem bereits Robespierre und Madame Curie gewohnt haben. Verliebt haben sich Kati und Lennart in Italien, aber heiraten möchten sie nur in Paris! Mit Kati in Paris liegt jetzt der dritte Band der Kati-Trilogie in neuer Überarbeitung vor.

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Über dieses Buch

Ganz Paris träumt von der Liebe. Der letzte Band der Kati-Trilogie in neuer Überarbeitung. Paris! Die Türme von Sacrè-Coeur, der Bois de Boulogne, die engen Gassen vom Montmartre. Lennart kennt ein Hotel, klein und billig, am linken Seineufer, in dem bereits Robespierre und Madame Curie gewohnt haben. In Italien haben sich Kati und Lennart verliebt, aber heiraten möchten sie nur in Paris!

KAPITEL 1

»Ich kenne ein kleines, billiges Hotel am linken Seineufer, dort können wir wohnen«, sagte Lennart und zog nachdenklich an seiner Pfeife. »Robespierre[1] hat dort gewohnt – und Madame Curie[2] – und ich.«

»Tja, wie das bergab gehen kann mit alten, feinen Hotels«, sagte Eva.

Ich selbst sagte nichts. Paris! Hochzeit in Paris – warum nicht? Von dieser Stadt hat man nur Gutes gehört. Als ich so weit gedacht hatte, fühlte ich schon, wie die Begeisterung in mir aufsprudelte. Aber ich beschloss sie wieder einzukorken und nur immer ein wenig davon herauszulassen.

»Das wäre fantastisch, aber …«

»Außerdem hat es einen großen Vorteil«, versicherte Eva. »Ich kann euch eine Brautjungfer verschaffen.«

Nun ist ja eine Brautjungfer nicht gerade das, wonach man sich in Paris als Erstes umsieht, aber ich fragte dennoch: »Kannst du das? Wen denn?«

»Unterzeichnete, Eva! Da ich meinen Urlaub unter den Brücken von Paris zu verbringen gedenke.«

Das war eine Neuigkeit.

»Ich dachte, Brautjungfern wären kleine, blondlockige Fünfjährige in rosa Tüll«, wandte Lennart ein.

»Ich kann euch eine stattliche Brautjungfer in schwarzem Rips bieten«, sagte Eva. »Take it or leave it![3]«

Wir nahmen dankbar an.

 

Dies war an einem der ersten Abende im Mai. Ein ganzer Herbst, ein ganzer Winter und ein kleines Stück Frühling waren seit jenem denkwürdigen Tag vergangen, als Lennart im Mittelmeer um meine Hand angehalten hatte. Sieben Monate lang war ich hier umhergegangen und hatte darauf gewartet, ihn heiraten zu können. Es war eine unendliche Zeit. Und wenn man dann daran dachte, dass der arme alte Jakob sieben Jahre auf Rahel gewartet hatte! In früheren Zeiten haben die Leute alles Mögliche ausgehalten. Sieben Monate waren für mich völlig ausreichend.

Lennart war keineswegs der erste Mann in meinem Leben. Er war der zweite. Und ich hoffte, dass er mit Gottes Hilfe der letzte sein würde.

Der erste hieß Jan. Erst vor einem Jahr hatte ich Jan gesagt: Nun ja, ich würde ihn wohl heiraten, aber vorher müsse ich ausprobieren, wie es wäre, selbständig zu sein und auf eigenen Füßen zu stehen, ohne einen Menschen, der sich meiner annähme und alles für mich regele.

Da kam Lennart. Und da zeigte sich, dass dies alles nur Geschwätz war.

Ich war bereit, in jeder Sekunde meine Selbständigkeit aufzugeben, und hatte keinen größeren Wunsch als jemanden zu haben, der sich meiner annahm. Vorausgesetzt, dass dieser Jemand Lennart war!

»Sieh einer an!«, sagte Eva überlegen. »Da braucht nur eine Mannsperson zu kommen und mit dem kleinen Finger zu winken – und schon ist es aus mit der Selbständigkeit!«

Eine Mannsperson – das war ungerecht! Jan war doch auch eine Mannsperson und ich hätte meine Selbständigkeit seinetwegen nicht aufgegeben, selbst wenn er mit allen zehn Fingern und auch noch mit den Zehen gewinkt hätte! Bei Lennart war es ja etwas ganz anderes. Dass Eva das nicht begriff! Aber die Ärmste war wohl auch nie ernstlich verliebt gewesen!

Man darf nicht annehmen, dass außer mir und Lennart noch irgendjemand wusste, was Liebe ist. Lennarts Mama begriff es überhaupt nicht. Sie sagte nur, man brauche Zeit, um sich gegenseitig richtig kennen zu lernen, und junge Juristen könnten es sich eigentlich nicht leisten zu heiraten, und es sei für die Karriere hinderlich, wenn man zu früh eine Familie gründe.

Nein, wisst ihr was: Wenn junge Menschen auf all das hören wollten, was alte Leute reden, so würde die Entwicklung stocken und die Erdkugel stillstehen.

»Sich kennen lernen!« Als ob ich Lennart nicht kenne! Ich weiß, er ist klug und intelligent und ruhig und zärtlich und aufrichtig, und er lacht über dieselben Sachen wie ich, und er hat einen schwermütigen Zug und einen gewissen Zug von Kindlichkeit und ist ein klein wenig eitel und überhaupt bezaubernd. »Er könne es sich nicht leisten zu heiraten« – hatte man nicht immer sagen hören, dass »zwei ebenso billig leben können wie einer«? Und was die Karriere betrifft … wartet nur ab, Lennart würde sicherlich in viel jüngeren Jahren Hofgerichtsrat werden, als sein Vater es geworden war, wenn er eine so einfallsreiche und ermunternde Frau wie Kati hatte.

Dies alles sagte ich nicht zu Lennarts Mama. Sie brachte auch nicht all ihre Einwände auf einmal vor, sie ließ nur hier und da eine kleine vorsichtige Andeutung fallen. Aber wenn Lennart mich dann nach Hause brachte, machten wir immer erst einen Umweg durch den Tiergarten, küssten uns wild und schworen, dass wir heiraten würden, sobald wir auch nur ein kleines Mauseloch zum Wohnen auftreiben könnten.

Ich hatte allerdings die Zweizimmerwohnung in der Kaptensgatan. Aber die teilte ich mit Eva und ich hatte nicht das Herz sie auf die Straße zu setzen. Jahrelang hatte sie in kleinen, schauerlichen Zimmern gewohnt und in diese Hölle konnte ich sie nicht zurückschicken. Eva war verzweifelt. Es sei schrecklich, dem Glück zweier junger Menschen im Weg zu stehen, sagte sie. Und sie kniff in ihre wohlgerundeten Hüften und seufzte: »Oh, könnte sich dies allzu feste Fleisch in Tau auflösen und verdunsten! Damit die Turteltauben ihren Taubenschlag für sich allein hätten. Wenn man doch in Rauch aufgehen könnte! Oder wenn man ein Mann wäre! Dann könnte man sich bei den Panzertruppen anwerben lassen. Aber jetzt ist man eben Stenotypistin in einem Anwaltsbüro in der Kungsgatan.«

»Ja, und dafür ist es unstreitig etwas ungünstig, bei den P 2 in Strängnäs zu liegen«, gab ich zu.

Eva hatte verzweifelt nach einer neuen Wohnung gesucht. Lennart und ich suchten noch verzweifelter. Aber so verzweifelt waren wir doch nicht, dass wir viertausend Kronen unter der Hand für eine Zweizimmerwohnung bezahlt hätten, die »teilmöbliert« war mit einer widerwärtigen, schwarzen Esszimmereinrichtung – das war eines der schönen Angebote, die wir bekamen. Unser Unwille, so leichtsinnig viertausend Kronen wegzuwerfen, beruhte vielleicht zum Teil darauf, dass wir sie nicht hatten.

Schließlich sagte ich ganz verzweifelt zu Lennart: »Wir können wohl erst heiraten, wenn es Zeit ist, goldene Hochzeit zu feiern.«

Aber da geschah etwas. Wand an Wand mit Eva und mir wohnte ein älteres Paar. Ein kleiner, reizender, rosenwangiger Herr und eine silberhaarige, sanfte, kleine Dame. Ich kannte sie so flüchtig, wie man seine Nachbarn auf demselben Treppenflur kennt. Wir grüßten uns, wenn wir uns trafen, und sagten manchmal, es sei schönes Wetter oder es sei ja mächtig kalt geworden. Es kam auch vor, dass ich der alten Dame den Marktkorb die fünf Treppen hinauftrug, wenn ich sowieso denselben Weg hatte.

Aber dann eines Samstagnachmittags im Vorfrühling, als ich vom Büro nach Hause gestürzt kam, läuteten die Glocken der Hedwig-Eleonoren-Kirche so traurig und die Frau im Milchladen erzählte mir, dass unser Nachbar, der rosenwangige Herr, gestorben sei und nun beerdigt würde. Oh, mir tat seine Frau so Leid, die jetzt ganz einsam sein würde. Und ich dachte, ich müsse bei ihr klingeln und ihr ein paar Blumen bringen. An einem anderen Tag. Nicht heute. Heute wollte ich mit Lennart essen. Nur wir beide. Und ich vergaß alle Toten und alle Einsamen wegen Lennart, der lebte und mit dem ich den ganzen Abend allein sein würde. Ich vergaß alles. Aber vierzehn Tage später traf ich die silberhaarige kleine Dame in tiefer Trauer unten an der Haustür. Das Gewissen schlug mir. Jetzt war es zu spät, ihr Blumen zu bringen. Um wenigstens etwas zu tun, nahm ich ihren Marktkorb und wir begannen unseren mühsamen Aufstieg die Treppen hinauf.

»Oh, diese Treppen!«, seufzte sie. »Aber jetzt werde ich sie bald los sein. Ich ziehe am ersten Juli zu meiner Schwester in Norrköping.«

»Ach«, sagte ich.

Da klopfte die alte Dame mir sanft auf den Arm und sagte: »Ich hörte unten im Milchladen, dass Sie heiraten wollen. Möchten Sie meine Wohnung haben? Aber Sie haben diese Treppen wohl auch satt und würden lieber in einem Haus mit Fahrstuhl wohnen?«

Ich stellte den Korb hin und starrte sie an. Dann sprudelten die Worte aus mir heraus. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich gern ohne Fahrstuhl ganz oben im Turm zu Babel wohnen würde, wenn ich nur eine Wohnung bekommen könnte, und dass … oh, oh, oh, ich könne mir nichts Wunderbareres denken als in der Kaptensgatan wohnen bleiben zu dürfen.

»Dann passt es ja gut«, sagte sie und nickte freundlich. »Drei Zimmer und eine erschwingliche Miete …«

Ich drückte ihren Arm und versuchte ihr zu zeigen, wie dankbar ich war. Da nickte sie wieder und sagte: »Es wäre mir ein lieber Gedanke, mir vorzustellen, dass es Ihr erstes Heim als junge Frau sein würde. Mein Mann und ich haben hier dreiunddreißig Jahre gewohnt und wir sind immer glücklich gewesen.«

Ich drückte ihren Arm nur noch fester. Oh, ich hatte doch gewusst, dass es so etwas gab! Es gab glückliche Ehen. Es gab Menschen, die zusammenhielten, die gut zueinander waren und alles teilten in dreiunddreißig langen Jahren. Und das werden Lennart und ich auch tun – am liebsten noch länger als dreiunddreißig Jahre!

Ich durfte mit hineinkommen und mir die Wohnung ansehen und ich wurde ganz wild bei dem Gedanken, wie wunderbar es werden würde, wenn nur Lennart und ich sie so einrichten könnten, wie wir wollten. Es war jetzt ein altes Heim und in seiner Art nett und gemütlich. Aber es sollte ein neues Heim werden, ein neues, schönes, behagliches und praktisches Heim – und es würde unser Heim sein, hurra!

Fünf Minuten später stürzte ich zu Eva, schlug mir vor die Brust und schrie: »Wer, glaubst du, steht hier vor dir?«

»Erinnert irgendwie an Kati«, sagte Eva trocken. »Ich kenne sonst keinen, der annähernd so albern aussehen kann.«

»Du hast Recht!«, rief ich. »Es ist Kati aus der Kaptensgatan und wird es auch bleiben. Aber außerdem siehst du den glücklichsten Menschen auf der Erde vor dir.«

Dann lief ich zum Telefon und rief Lennart an. »Lennart!«, schrie ich und versuchte ihm alles zu erzählen.

»Das Telefon scheint nicht in Ordnung zu sein«, sagte Lennart, »es blubbert so komisch darin.«

»Ach, Lennart«, rief ich, »das bin doch nur ich, die so blubbert.«

Er glaubte es nicht, als ich es ihm erzählte. Er weigerte sich absolut zu glauben, dass es stimmte, und warnte sehr, mich himmelblauen Hoffnungen hinzugeben, bevor der Mietvertrag abgeschlossen sei.

Aber acht Tage später war alles klar und ich hatte den Vertrag über meinem Bett aufgehängt, damit ich ihn sehen konnte, wenn ich morgens aufwachte, und Lennarts Mama hatten wir davon überzeugt, dass eine frühe Heirat ein Gottesglück sei und zum Wohl der Gesellschaft und des Einzelnen.

Kurzum: Das Leben lachte!

Und nun Paris! Lennart wollte, dass wir in Paris heirateten. Natürlich konnten wir es uns nicht leisten, natürlich war es Wahnsinn – aber wie schön war es, dass er es wollte!

Denn wer war ich, dass ich mich gegen meinen Herrn und Gebieter auflehnte! Es wäre ja reizend, eine Ehe damit zu beginnen, dass man den unschuldigsten und harmlosesten kleinen Einfällen seines Mannes Hindernisse in den Weg legte!

Während die Maidämmerung vor unserem Fenster dichter wurde, saßen wir da, tranken unseren Tee, schwatzten und machten Pläne. Ja, wir würden in Paris heiraten, die Sache war abgemacht.

»Das wird eine Erinnerung fürs Leben«, versicherte Eva.

»Ja, besonders bei so einer Brautjungfer«, sagte Lennart.

 

An diesem Abend konnte ich fast nicht einschlafen. Ich lag nur da und starrte gegen die Decke und hörte wieder Lennarts Worte:

»Ich kenne ein billiges Hotel am linken Seineufer, dort können wir wohnen.«

Ich war noch nie in Paris gewesen.

KAPITEL 2

Pläne machen, packen, reisen … was für einen Spaß macht das alles! Außer dem Packen natürlich. Wie steht es doch in »Drei Mann in einem Boot«: »Wenn George aufgehängt ist, wird Harris der schlechteste Packer der Welt sein.« Das passt ausgezeichnet auf Lennart und mich. Wenn Lennart aufgehängt ist, kann nur noch eine Dose Puder in einem Koffer eine größere Verwüstung anrichten als ich. Wie anders bei Eva. Sie ist zur Packerin geboren. Alles verstaut sie ordentlich, hat Platz für alles und steht nie, wenn der Koffer fertig gepackt ist, mit den Händen voller Schuhe da, die zuunterst hätten liegen müssen.

Lennart und ich wollten in seinem zweisitzigen alten Fiat nach Paris fahren. Die Brautjungfer würde mit dem »Nachtpariser« hinterhergeflattert kommen. Und da Eva ihre Reise vier Tage später antreten musste als wir, fiel ihre Packtätigkeit leider nicht mit meiner zusammen. Ich musste selbst einpacken, so gut ich konnte. Eva saß hartherzig dabei und guckte nur zu.

»Hab keine Zeit«, sagte sie, als ich vorsichtig andeutete, sie möge mir helfen. »Ich habe absolut keine Zeit. Muss Französisch lernen. Schon zu Hause in Åmål war mein Lehrer sehr verstimmt, wenn ich statt ›c’est moi‹[4] ›je le suis‹ sagte, und ich wage nicht daran zu denken, wie es werden wird, wenn ich nach Paris komme.«

In diesem Augenblick klingelte es an der Tür. Es war Lennart, der nachsehen wollte, wie weit ich mit dem Packen gekommen sei.

Er selbst sei damit fertig, behauptete er. Damals wusste ich noch nicht, dass er mir als schlechter Packer noch überlegen war, und ich zog ihn erfreut zu dem Koffer, der halb gefüllt auf dem Boden stand.

»Du kannst mir helfen«, sagte ich.

»Danke«, sagte er. »Hej«, sagte er, Letzteres zu Eva. Dann kippte er den ganzen Inhalt auf den Boden. Ich hätte eine falsche Methode angewandt, behauptete er. Und dann begann er nach seiner Methode zu packen. Ich konnte nicht sehen, dass zwischen unseren Methoden ein anderer Unterschied war, als dass er noch etwas verschwenderischer mit dem Puder um sich streute – es war aber auch so eine blöde Dose, die nicht richtig dicht hielt.

»Wirf die ganze Dose weg«, schlug ich vor, »Paris ist voll von Puder! Stell dir vor, wir fahren morgen nach Paris!«

Dann verloren wir uns in Träumereien. Saßen zu beiden Seiten des Koffers und legten zerstreut dann und wann einen Gegenstand hinein, während wir redeten.

»Ach, wird das schön, die Seine zu sehen«, sagte ich. »Ich sammle Flüsse.«

»Die Seine wird dir gefallen«, sagte Lennart.

»Aber wir müssen billig leben, vergiss das nicht, Lennart! Zu essen brauchen wir eigentlich überhaupt nicht. Käse, Brot und Rotwein, ça suffit[5], wie der Franzose sagt, nicht wahr, Eva?«

»Davon weiß ich nichts«, brummte Eva. »Ich bin erst bis zu den ›Einleitenden Schreibübungen‹ in der französischen Sprache gekommen«, sagte sie und zeigte auf das Buch auf ihrem Schoß.

»Unser Hotel liegt im Quartier Latin[6]«, sagte Lennart, »und ich versichere dir, das ist die bezauberndste Gegend von Paris.«

»Ich hab euch was Trauriges mitzuteilen«, unterbrach uns Eva. »Der Schmerz und die Überraschung haben die Nichte des Korporals noch wahnsinniger gemacht.«

Lennart sah sie fragend an. »Was für ein Korporal? Kenne ich ihn?«

»Das möchte ich nicht annehmen. Der Korporal ist nur ein Beispiel aus meinen ›Einleitenden Schreibübungen‹ «, erklärte Eva. »Ein sehr trauriges Beispiel übrigens.«

Lennart hörte nicht auf sie. Er nahm meine Wildlederschuhe und schob sie sachte und vorsichtig unter eine weiße Bluse, die das nicht zu mögen schien.

»Wir haben doch einen Spirituskocher mit, da können wir uns am Straßenrand Eier und Kaffee kochen. Das wird billiger, als in teure Restaurants zu gehen.«

»Es ist schändlich, dass ihr euch so wenig um die arme Nichte des Korporals kümmert«, sagte Eva missvergnügt. »Denkt doch nur, zu Anfang war sie bloß so im Allgemeinen ein bisschen verdreht, jetzt haben Schmerz und Überraschung sie noch wahnsinniger gemacht, aber das nehmt ihr ganz ruhig hin und faselt nur von eurem alten Spirituskocher.«

»Was liest du denn da für einen Blödsinn?«, fragte ich.

»Nicht diesen Ton, wenn ich bitten darf«, sagte Eva. »Ich habe das Buch gerade heute von meinem französischen Lehrer bekommen und es gefällt mir. Wenn die Lehrbücher nur Sätze enthalten wie zum Beispiel: ›Wie viel kostet ein Einzelzimmer mit Bad?‹ und ›Zeigen Sie mir bitte den Weg zum Eiffelturm‹, dann gebe ich das Lernen auf. Da lob ich mir doch dies hier«, sagte sie und drückte das Buch an ihr Herz. »Dies spricht zur Fantasie. Hört nur: ›Sollte Maria diesen Wächter nicht leicht mit einer hübschen kleinen Lüge bestechen können?‹ Und: ›Der Kapitän mit dem roten Backenbart wird den zweirädrigen Wagen nie an die Grünkramhändlerin verkaufen.‹ «

»Wenn das ›Einleitende Schreibübungen‹ sind, solltest du dich, glaube ich, vor fortgeschritteneren Studien hüten«, warnte Lennart und fuhr zu mir gewandt fort: »Einmal müssen wir jedenfalls in ein richtiges Restaurant gehen, damit du siehst, was französische Küche ist.«

»Quartier Latin, Montmartre[7] und Montparnasse[8]«, sagte ich und stopfte meinen Lieblingshut in den Koffer. »Bisher waren das für mich nur Worte. Wenn man sich vorstellt, dass ich bald in Wirklichkeit dort sein werde!«

»Liebling«, sagte Lennart, »ich freu mich so, dir alles zeigen zu können.«

»Mein Fischer wurde gezwungen, sein bestes Boot an den alten Wilddieb zu verkaufen«, behauptete Eva. »Seine taubstumme Frau ist beunruhigt über dieses schlechte Geschäft. Ihr müsst zugeben, dass eine tiefe Tragik hierin liegt! Die Frau ist taubstumm, stellt euch mal vor! Da geht sie umher und ist so beunruhigt, dass sie beinahe zerspringt wegen der wahnsinnigen Bootsgeschäfte ihres Mannes. Aber kann sie ein einziges vorwurfsvolles Wort rausbringen? Nein! Sie kann höchstens etwas missbilligend grunzen, und ihr müsst nicht glauben, dass das einen Mann hindern kann, wenn er erst einmal angefangen hat Boote zu verkaufen«, sagte Eva zornig und sah Lehnart an, als hätte er irgendetwas damit zu tun.

Aber Lennart blieb völlig ungerührt. »Notre-Dame in Paris«, sagte er. »Das ist die schönste Kirche, die ich kenne. Eigentlich ist es schade, dass wir nicht dort getraut werden können.«

»Ach, es ist ganz egal, wo wir getraut werden«, sagte ich. »Es wird jedenfalls in Paris sein. – Eva, freust du dich nicht auf Paris?«

»Doch«, meinte Eva. »Aber«, fügte sie hinzu und warf einen Blick in das Buch, »wir kehrten nach Hause zurück, nachdem man uns mitgeteilt hatte, dass der Keller mit Wein und jungen Kapaunen gefüllt sei.«

»Natürlich. Aber das wird eine Weile dauern. Bis dahin wollen wir es genießen. Lennart, du bist doch nicht böse, wenn Eva und ich manchmal in Läden gehen? Lafayette und Printemps[9] und das alles …«

»Ich weiß nicht, ob ich das erlauben kann«, sagte Lennart streng. »Nein, ich denke, das werden wir zu verhindern suchen. Wenn nichts anderes hilft, kann ich dich ja immer im Hotelzimmer einschließen.«

»Pah«, sagte Eva, das Buch zuklappend, »sollte Kati diesen Wächter nicht mit einer kleinen Lüge bestechen können?«

»Das kann sie bestimmt«, sagte ich und küsste den strengen Wächter zuversichtlich auf seinen schönen Haaransatz.